12.06.23, 14:54 Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern Eine Villa im Wert von 10 Millionen wird in Zug nur zu einem Bruchteil besteuert. Diese Bevorteilung der Wohneigentümer ist, das zeigt eine Analyse der «NZZ am Sonntag», weit verbreitet – entgegen dem Willen der Justiz. Rene Donzé 10.06.2023, 21.45 Uhr Wohneigentümer in Zug profitieren nicht nur von der begehrten Lage am See: Auch die Steuern sind enorm attraktiv. Stefan Huwiler / Imago «Der Kanton Zug schwimmt im Geld», titelte die «Zuger Zeitung» neulich und stellte die Frage: «Was tun mit den Millionen?» Einmal mehr hat Zug einen rekordhohen Überschuss erzielt: 332 Millionen Franken. Das Eigenkapital ist auf riesige 2 Milliarden Franken geklettert. Somit könnte https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag/weil-die-kantone-tricksen-hausbesitzer-zahlen-zu-wenig-steuern-ld.1742038?mktcid=smsh&mktcval=E-mail 1/13 12.06.23, 14:54 Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern der Kanton die Ausgaben eines ganzen Jahres locker aus den Reserven bezahlen. Künftig spült die Einführung der OECD-Mindeststeuer den Zugerinnen und Zugern weitere 200 Millionen Franken in die Kasse. Nun braucht die Politik neue Ideen, was sie mit all den Millionen anstellen soll. Die Prämienverbilligung für die Krankenkasse hat der Kanton bereits grosszügig ausgebaut. Eine vierköpfige Familie profitiert bis zu einem Bruttoeinkommen von 130 000 Franken. Die KitaSubventionen wurden ebenfalls aufgestockt. Zudem soll die Bevölkerung in den Genuss weiterer Steuersenkungen kommen: Ehepaare unterliegen erst ab 400 000 Franken der Vermögenssteuer, doppelt so viel wie heute. Dabei sind die Zuger Steuertarife schon jetzt unschlagbar günstig: Eine vierköpfige Familie mit einem Einkommen von 150 000 Franken zahlt in Zug lediglich 3200 Franken. In der Stadt Bern dagegen sind es 17 800 Franken., in Basel 16 400 Franken. Auch die Immobilienbesitzer sind auf Rosen gebettet. Dazu das Beispiel eines Herrschaftshauses an bester Zuger Hanglage: Die Villa mit grossem Umschwung bietet ein grandioses Panorama auf den See. Professionelle Schätzer beziffern ihren Wert auf 10 Millionen Franken. Der Fiskus jedoch taxiert den steuerlichen Wert auf weniger als zwei Millionen Franken. Dies geht aus dem Steuerauszug hervor, welcher der «NZZ am Sonntag» vorliegt. Bundesgericht hat klar entschieden https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag/weil-die-kantone-tricksen-hausbesitzer-zahlen-zu-wenig-steuern-ld.1742038?mktcid=smsh&mktcval=E-mail 2/13 12.06.23, 14:54 Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern Das Beispiel ist keine Ausnahme, wie Treuhänder bestätigen. Es komme immer wieder vor, dass der Steuerwert einer Liegenschaft um den Faktor vier oder gar fünf unter dem effektiven Marktwert liege. Doch wie sind solche Fälle zu erklären? Eigentlich hat das Bundesgericht in mehreren Urteilen festgehalten, dass der für Steuerzwecke verwendete Wert mindestens 60 bis 70 Prozent des marktüblichen Verkehrswerts erreichen sollte. Riesige Steuerunterschiede So viel Franken bezahlt ein Doppelverdienerpaar mit zwei Kindern und einem Einkommen von 200000 Franken in ausgewählten Städten an den Fiskus. 0 Zug 10 000 20 000 30 000 9 200 Zürich Genf Basel 22 800 28 400 29 100 Bern Stand: 10. 06. 2023 Quelle: NZZ am Sonntag 30 900 NZZ / mcm. Diese Regel gilt nebst der Vermögenssteuer auch für den Eigenmietwert, der bei selbstgenutzten Liegenschaften als Einkommen zu versteuern ist. Im Gegenzug dürfen Eigentümer ihre Schuldzinsen sowie Ausgaben für den Unterhalt von der Steuer abziehen. Die meisten Kantone schätzen den Wert der Liegenschaften systematisch vor Ort. Zug verzichtet darauf. Stattdessen stützt sich der Fiskus auf den historischen Kaufpreis. Das bedeutet: Ein Eigentümer, der sein Haus vor vielen Jahren günstig erwerben konnte, zahlt nur einen Bruchteil an Steuern. https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag/weil-die-kantone-tricksen-hausbesitzer-zahlen-zu-wenig-steuern-ld.1742038?mktcid=smsh&mktcval=E-mail 3/13 12.06.23, 14:54 Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern Besonders in Zug sind die Hauspreise geradezu explodiert. Seit dem Jahr 2000 haben sie sich verdreifacht. «Eigentümerinnen und Eigentümer, welche ihre Immobilie selber nutzen, haben in der Regel nichts von einer allgemeinen Wertsteigerung, ausser sie verkaufen die Immobilie», begründet die Regierung die Privilegierung langjähriger Hausbesitzer in einem Argumentarium aus dem Jahr 2017. Die Methode könne zwar «im Einzelfall zu Unschärfen» führen. Dafür, so die Behörde, erspare man sich eine aufwendige Schätzungsprozedur, wofür beispielsweise der Kanton Schwyz zwanzig Experten beschäftige. Preisentwicklung von Einfamilienhäusern im gehobenen Sektor https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag/weil-die-kantone-tricksen-hausbesitzer-zahlen-zu-wenig-steuern-ld.1742038?mktcid=smsh&mktcval=E-mail 4/13 12.06.23, 14:54 Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern Der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler betont, das Bewertungsmodell habe bisher zu keinerlei Reklamationen geführt, weder von den Steuerzahlern noch vom Bund. «Das Parlament in Bern debattiert derzeit über eine Abschaffung des Eigenmietwerts. Solange auf Bundesebene keine Rechtssicherheit besteht, wäre es voreilig, unser heutiges System zu ändern», erklärt Tännler. Allerdings dreht sich die Diskussion um den Eigenmietwert seit Jahrzehnten im Kreis, ohne Aussicht auf eine baldige Veränderung. Was sagt die Rechtslehre zum Argument der Zuger Regierung, für den Hausbesitzer habe eine Wertsteigerung keinen Nutzen, solange er das Objekt nicht verkaufe? Gehen andere Kantone zu hart gegen ihre Eigentümer vor, wenn sie die Besteuerung stattdessen auf den aktuellen Marktwert abstützen? Peter Hongler ist Professor für Steuerrecht an der Universität St. Gallen. Er sagt, ein gewisser Spielraum bei der Bemessung gehöre zwar zum Steuerföderalismus. «Das Gesetz legt jedoch klar fest, dass sich die Schätzung am Verkehrswert orientieren muss. Daher ist eine systematische Unterbewertung unzulässig.» Gemäss dem Steuerharmonisierungsgesetz seien die Kantone verpflichtet, mit gleichen Ellen zu messen. Dazu gehöre es, die steuerlichen Bewertungen in regelmässigen Abständen zu aktualisieren. Allerdings: Neben Zug nehmen auch andere Kantone diese Vorgabe nicht besonders ernst. Zürich zum Beispiel hat die Immobilienwerte im Jahr 2009 letztmals aufdatiert. Und erhielt deswegen prompt eine Rüge des Steuerrekursgerichts. Die Justiz hielt vor drei Jahren fest, die Unterbewertung sei bundesrechtswidrig. Diese Tatsache sei dem Steueramt «zweifellos bewusst». https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag/weil-die-kantone-tricksen-hausbesitzer-zahlen-zu-wenig-steuern-ld.1742038?mktcid=smsh&mktcval=E-mail 5/13 12.06.23, 14:54 Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern Doch geschehen ist seither: nichts. Finanzdirektor Ernst Stocker liess einzig verlauten, er habe gehofft, dieser Kelch würde an ihm vorübergehen. Ausserdem seien höhere Immobilienvermögen wenig attraktiv für Zürich, weil der Kanton dadurch mehr Geld in den Finanzausgleich einzahlen müsse. Umverteilung zulasten der Mieter Kurt Schmidheiny, Professor für Ökonomie an der Universität Basel, beurteilt die Praxis der Steuerämter mit Skepsis: «Die Unterbewertung ist zum Vorteil der Hauseigentümer, welche in der Politik eine starke Lobby besitzen. Zudem erfolgt die Subventionierung auf eine versteckte Art, so dass sie wenig Anstoss erregt. Der Preis jedoch ist eine Ungleichbehandlung.» Dies betreffe einerseits die Besitzer von beweglichen Vermögenswerten wie Aktien: Diese müssen stets den aktuellen Marktwert versteuern und können sich nicht auf den historischen Kaufpreis berufen. Vor allem aber gehe der Steuerausfall zulasten der Mieter. «Eine tiefe Bewertung von Liegenschaften führt zu einer Umverteilung von den Mietern zu den Hauseigentümern, was eigentlich durch das Konstrukt des Eigenmietwerts verhindert werden sollte.» Zudem, so Schmidheiny, erschwerten die Kantone mit ihrer Praxis eine effiziente Nutzung des Wohnraums: «Manche Leute würden gerne von einem grossen Haus in eine kleinere Mietwohnung umziehen. Doch wenn es sich steuerlich nicht lohnt, werden sie von einem solchen Schritt abgehalten.» Zug ist nicht der einzige Kanton, der seine Immobilienbesitzer bei den Steuern schont. Als reichster Kanton allerdings steht https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag/weil-die-kantone-tricksen-hausbesitzer-zahlen-zu-wenig-steuern-ld.1742038?mktcid=smsh&mktcval=E-mail 6/13 12.06.23, 14:54 Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern er stärker im Fokus: 400 Millionen Franken zahlt er in den Finanzausgleich ein. «Ohne diese Transferzahlungen wären die steuerlichen Unterschiede noch ausgeprägter», sagt Marius Brülhart, Ökonomieprofessor der Universität Lausanne. «Denn der Finanzausgleich funktioniert als eine Art Lusthemmer für den Steuerwettbewerb: Weil die Kantone einen Teil der Einnahmen an andere abgeben müssen, wird es für sie weniger lukrativ, zusätzliches Steuersubstrat zu generieren.» Zürich droht mit «Retourkutsche» Die übrige Schweiz hat also ein scharfes Auge darauf, dass die Zuger nicht allzu sehr im Geld schwimmen. So platzierte der Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker kürzlich eine ungewohnte Warnung: Wenn Zug die zusätzlichen Einnahmen aus der OECD-Mindeststeuer für weitere Steuersenkungen nutze, so würde das eine «Retourkutsche» beim Finanzausgleich provozieren, meinte er. Der Zuger Amtskollege Heinz Tännler versucht derweil, die Wogen zu glätten. «Unser föderalistisches Steuersystem, welches den Kantonen eine grosse Autonomie gibt, hat sich bewährt», sagt er. «Je besser unser Kanton finanziell dasteht, desto stärker kommt dies dank dem Finanzausgleich auch den anderen zugute.» Das Zuger Steuermodell als Vorbild? Bei der Besteuerung von Wohneigentum profilieren sich andere als Musterknaben, namentlich Luzern: Dort erstellt der Fiskus dank umfangreichen statistischen Daten eine relativ präzise Marktbewertung, welche alle fünf Jahre aktualisiert wird. Damit könne man sich die Schätzungen vor Ort zumeist https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag/weil-die-kantone-tricksen-hausbesitzer-zahlen-zu-wenig-steuern-ld.1742038?mktcid=smsh&mktcval=E-mail 7/13 12.06.23, 14:54 Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern ersparen, erklärt Simon Kaspar vom Steueramt Luzern. «Ein Viertel der 180 000 Immobilien haben wir mit der neuen Methode erfasst. Die Akzeptanz bei den Steuerzahlern ist sehr gut.» Die Luzerner Hausbesitzer kannten schon bisher keine Vorzugsbehandlung. In Zug dagegen wäre der Aufschrei gross, würde der Fiskus ebenfalls auf das Luzerner Modell umschwenken. Das Zuger Steueramt hatte im Jahr 2001 letztmals eine generelle Neubewertung vorgenommen – was bereits damals für böses Blut sorgte. Immerhin, um auch die Mieter bei Laune zu halten, hat der Kanton für diese Gruppe ebenfalls einen Steuerabzug eingeführt: 30 Prozent der Mietzahlung dürfen sie vom Einkommen wegrechnen – im Maximum 10 500 Franken. Dieser Mieterabzug ist eine weitere Zuger Besonderheit, die man sich dank den üppigen Einnahmen mühelos leisten kann. Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag» Passend zum Artikel ERKLÄRT Das Klimaschutzgesetz auf einen Blick 19.05.2023 Bundesgerichtsentscheid zum Eigenmietwert – für Rentner mit tiefen Einkommen wird es schwierig, ihr Haus zu halten 05.09.2022 https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag/weil-die-kantone-tricksen-hausbesitzer-zahlen-zu-wenig-steuern-ld.1742038?mktcid=smsh&mktcval=E-mail 8/13 12.06.23, 14:54 Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern Mehr von René Donzé (rd) Warum die Kosten für Psychologen explodieren 10.06.2023 INTERVIEW Was junge Frauen zur Verzweiflung bringt 20.05.2023 Uni-Rektor Michael Schaepman: «Uns fehlt jedes Jahr ein zweistelliger Millionenbetrag» 22.04.2023 Weniger Geld für schwer kranke Kinder 15.04.2023 Neueste Artikel https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag/weil-die-kantone-tricksen-hausbesitzer-zahlen-zu-wenig-steuern-ld.1742038?mktcid=smsh&mktcval=E-mail 9/13 12.06.23, 14:54 Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern KURZMELDUNGEN Wirtschaft: Georg Fischer will durch Übernahme in Finnland um einen Drittel wachsen +++ Stromkonzern Axpo versechsfacht seinen Halbjahresgewinn Aktualisiert vor 3 Stunden Der Verwaltungsrat der Credit Suisse wird neu von UBS-Kräften dominiert, viele Top-Manager verlassen die Bank Aktualisiert vor 3 Stunden https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag/weil-die-kantone-tricksen-hausbesitzer-zahlen-zu-wenig-steuern-ld.1742038?mktcid=smsh&mktcval=E-mail 10/13 12.06.23, 14:54 Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern KURZMELDUNGEN Polizei-News Zürich: Der Tote in der Limmat wurde am Abend zuvor von Unbekannten in den Fluss gestossen Aktualisiert vor 3 Stunden Offener Bruch: Sahra Wagenknecht treibt die Linkspartei weiter vor sich her vor 4 Stunden BILDSTRECKE Mediaset, Milan, Models und ein bisschen Politik: «La Dolce Vita» von Silvio Berlusconi vor 4 Stunden Silvio Berlusconi begann als Unternehmer und endete als Witzfigur – Chronologie eines Lebens vor 4 Stunden Für Sie empfohlen https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag/weil-die-kantone-tricksen-hausbesitzer-zahlen-zu-wenig-steuern-ld.1742038?mktcid=smsh&mktcval=E-mail 11/13 12.06.23, 14:54 Weil die Kantone tricksen: Hausbesitzer zahlen zu wenig Steuern KURZMELDUNGEN Kultur: Wim Wenders wird Jury-Chef des Filmfestivals in Tokio +++ Nichtbinäre Künstler schreiben bei den Tony Awards LGBTQ-Geschichte Aktualisiert 12.06.2023 PODCAST Mit glitzernden Businessparks und grossen Versprechen will Indien Investoren anlocken – doch die Herausforderungen sind gross 12.06.2023 Sparen die Schweizer Strom? 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