549 Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen Inhaltsverzeichnis 7.1 iele und Entscheidungstatbestände Z der Distributionspolitik – 551 7.2 bsatzkanalmanagement zur Realisierung A der absatzmittlergerichteten Strategien – 554 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5 erhaltensbeziehungen in Absatzkanalsystemen – 554 V Selektionskonzept – 557 Kontraktkonzept – 570 Stimulierungskonzept – 578 Optimierungsansätze für die integrierte Steuerung des gesamten Absatzkanalsystems – 579 7.3 Marketinglogistik – 587 7.4 Integrierte Erfolgsmessung in der Distributionspolitik – 588 7.4.1 7.4.2 S trategische Erfolgsmessung in der Distributionspolitik – 588 Operative Erfolgsmessung in der Distributionspolitik – 590 Literatur – 593 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2024 H. Meffert et al., Marketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41755-0_7 7 550 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen Makroumwelt 7 Ökologische Umwelt .. Abb. 7.1 Einordnung der Distributionspolitik in die Struktur des Lehrbuches Auch bei der Distributionspolitik sind Ziele festzulegen und strategische Entscheidungen zu treffen (vgl. . Abb. 7.1). Deshalb werden zunächst die Ziele und Entscheidungstatbestände der Distributionspolitik erläutert und grundlegende Begriffe definiert (7 Abschn. 7.1). Mögliche Ziele sind z. B. der effektive und effiziente Einsatz der verfügbaren Ressourcen bei der Erstellung der Distributionsleistung (auf Basis des Competence Based View) oder der Einsatz eines Absatzkanals, der den Wünschen und Bedürfnissen der anvisierten Zielgruppe am besten entspricht (auf Basis des Market Based View). Die Umsetzung der Ziele ist Aufgabe des Absatzkanalmanagements (7 Abschn. 7.2). Zunächst müssen strategisch-konstitutive Entscheidungen zur Gestaltung des Absatzkanalsystems getroffen werden, die anschließend mithilfe von instrumentellen Ansätzen umgesetzt und gesteuert werden. Wesentliche Grundvoraussetzung hierfür ist die Kenntnis der vielfältigen Verhaltensbeziehungen in Absatzkanalsystemen. Zu den strategisch-konstitutiven Ansätzen, also den Gestaltungsansätzen des Absatzkanalsystems, zählen das Selektions- und das Kontraktkonzept. Im Rahmen des Selektionskonzeptes werden die einzusetzenden Absatzkanäle ausgewählt. Soll der Nachfrager direkt vom Hersteller angesprochen werden oder ist es sinnvoll, Absatzmittler (z. B. Einzelhändler) zwischenzuschalten? Soll ein einziger Absatzkanal eingesetzt werden oder mehrere parallel (Mehrkanalvertrieb)? In der Regel übernimmt der Hersteller die Distribution nicht in Eigenregie, sondern in Kooperation mit anderen Unternehmen (z. B. Absatzmittlern). Dazu sind vertragliche Bindungen notwendig, die im Kapitel zum Kontraktkonzept erläutert werden. Eine 551 7.1 · Ziele und Entscheidungstatbestände der Distributionspolitik bekannte Form der vertraglichen Bindung ist z. B. das Franchising. Zur Führung des Absatzkanalsystems stehen instrumentelle Steuerungsansätze zur Verfügung. Hierzu gehören das Stimulierungskonzept, das Supply Chain Management (SCM) und das Efficient Consumer Response Management (ECR). Das Stimulierungskonzept beantwortet die Frage, wie Absatzmittler gewonnen und gebunden werden können. SCM analysiert die gesamte Lieferkette eines Produktes, vom ersten Vorproduktlieferanten bis zum Endverbraucher. ECR fokussiert auf eine enge Kooperation zwischen Hersteller und Einzelhandel, um die Bedürfnisse des Endverbrauchers besser zu befriedigen. Die Marketinglogistik (7 Abschn. 7.3) kann als die Implementierung der Entscheidungen im Absatzkanalmanagement angesehen werden. Ihre Aufgabe ist die Verteilung von Waren und Informationen. Der Beitrag der Distributionspolitik zum Unternehmenserfolg wird im Rahmen der integrierten Erfolgsmessung aufgezeigt (Abschn. 4). Hierbei wird zwischen der strategischen Erfolgsmessung (Beitrag zum übergeordneten Unternehmenserfolg) und der operativen Erfolgsmessung (Erfolg der einzelnen distributionspolitischen Maßnahmen) differenziert. Einen Überblick über die Einordnung der Distributionspolitik in die Struktur des Lehrbuches und den Aufbau des Kapitels gibt . Abb. 7.1. 7.1 Ziele und Entscheidungstatbestände der Distributionspolitik Distributionspolitik Die Distributionspolitik bezieht sich auf die Gesamtheit aller Entscheidungen und Handlungen, welche die Verteilung (engl.: distribution) von materiellen und/oder immateriellen Leistungen vom Hersteller zum Endkäufer und damit von der Produktion zur Konsumtion bzw. gewerblichen Verwendung betreffen (vgl. Pfohl 2018, S. 225 ff.; Vastag und Schürholz 2004, S. 5 ff.; Specht und Fritz 2005, S. 33; Meffert und Bruhn 2015, S. 371 ff.). Aus entscheidungsorientierter Sicht umfasst die Distributionspolitik grundsätzlich die Analyse der Entstehung des Nachfragerbedarfes, die Formulierung von Distributionszielen, die Ableitung von Strategien im Absatzkanal und im logistischen System sowie die Planung, Durchführung und Kontrolle aller Maßnahmen zur zielkonformen Gestaltung der Distributionsprozesse. Absatzkanal Die Absatzkanäle umfassen die rechtlichen, ökonomischen und kommunikativ-­ sozialen Beziehungen aller am obigen Verteilungs- bzw. Distributionsprozess beteiligten Personen und Institutionen. Dabei treten zwischen Hersteller und Endverbraucher als den beiden natürlichen Endpunkten eines Absatzkanals i. d. R. Absatzmittler und Absatzhelfer mit jeweils eigenständigen Distributionsfunktionen. 7 552 7 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen Absatzmittler sind rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Organe, die im Distributionsprozess absatzpolitische Instrumente eigenständig einsetzen (z. B. Großhändler, Einzelhändler). Demgegenüber handelt es sich bei Absatzhelfern (z. B. Speditionen) zwar um rechtlich selbstständige Organe, die jedoch eher unterstützende Funktionen erfüllen. Ein eigenständiger Einsatz absatzpolitischer Instrumente im Distributionsprozess ist damit zumeist nicht verbunden. Absatzkanalbezogene Entscheidungen sind auf eine im Sinne der Unternehmensziele optimale Verknüpfung von unternehmenseigenen Organen (z. B. Vertriebsmitarbeitern) und unternehmensfremden Absatzmittlern und -helfern ausgerichtet. Im Zentrum absatzkanalbezogener Entscheidungen steht die sog. Transaktionsfunktion, d. h. die wirtschaftlich-rechtliche (nicht aber physische) Übertragung von Verfügungsmacht über Leistungen an Endkäufer (vgl. Specht und Fritz 2005, S. 38 ff.). Demgegenüber umfasst die Marketinglogistik alle Entscheidungen, welche die physische Übermittlung einer Leistung vom Hersteller zum Endkäufer und den damit zusammenhängenden Informationsfluss betreffen und der Implementierung von Entscheidungen des Absatzkanalmanagements dienen. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Raum- und Zeitüberbrückungsfunktion durch Transport und Lagerung, Auftragsabwicklung und Auslieferung. Beide Teilsysteme der Distributionspolitik (das Absatzkanal- und das Logistiksystem) stehen in einem engen Zusammenhang und müssen simultan bearbeitet und gesteuert werden, um die Effizienz des Gesamtsystems zu maximieren. Eine gewisse Entscheidungsabfolge ergibt sich jedoch, da zunächst eine Vorstellung über das Absatzkanalsystem und damit die Art der wirtschaftlich-­ rechtlichen Leistungsübertragung entwickelt werden muss, um auf dieser Basis den physischen Leistungstransfer zu gestalten. Wird das Distributionssystem aus entscheidungsorientierter Perspektive analysiert, dann zeigen sich verschiedene Entscheidungstatbestände, die im Folgenden vorgestellt werden. Auf der Grundlage einer detaillierten Situationsanalyse sind zunächst die distributionspolitischen Ziele zu formulieren. Eine operationale, entscheidungsorientierte Formulierung nach Zielinhalt und -ausmaß sowie nach Zeit- und Segmentbezug ist zu gewährleisten. Die Zielformulierung ist Grundlage für die Ableitung der absatzmittlergerichteten Strategie. Neben den übergeordneten Zielen, wie z. B. Umsatz- und Marktanteilssteigerung, können distributionspolitischen Entscheidungen folgende spezifische Zielgrößen zugrunde gelegt werden (vgl. Specht und Fritz 2005, S. 245; Ahlert et al. 2020): 55 Vertriebskosten/Handelsspanne: Zum Beispiel Reduzierung der Vertriebskosten durch Einbindung kostengünstiger Absatzkanäle, die aufgrund großer Absatzvolumen und eines effizienten Kostenmanagements nur eine geringe Handelsspanne veranschlagen (z. B. Fachmärkte oder Discounter). 55 Distributionsgrad: Zum Beispiel Erhöhung des ungewichteten Distributionsgrades der Marke x in Verbrauchermärkten um y Prozent innerhalb der nächsten z Monate. Dabei bezieht sich der ungewichtete Distributionsgrad auf die Zahl von Absatzmittlern, die ein Produkt während eines bestimmten Zeitraumes oder zu einem definierten Zeitpunkt in ihrem Sortiment führen, in Relation zur Gesamtzahl der Absatzmittler, die die entsprechende Warengruppe im Sortiment führen. Beim gewichteten Distributionsgrad werden die Zahlen im Zähler und Nenner dieser Relation anhand ihrer jeweiligen Umsätze mit dem Produkt und der Warengruppe gewichtet. 553 7.1 · Ziele und Entscheidungstatbestände der Distributionspolitik 55 Image des Absatzkanals: Zum Beispiel Errichtung eines exklusiven Vertriebssystems für eine Premium-Marke zur Unterstützung der angestrebten Positionierung. 55 Kooperationsbereitschaft (Konfliktvermeidung): Zum Beispiel Einbindung solcher Absatzmittler, die bereit sind, kooperativ bei der Realisation der herstellerseitig geplanten Marketingaktivitäten mitzuwirken. 55 Aufbaudauer und Flexibilität: Zum Beispiel Auswahl von Absatzmittlern nach dem Zeitbedarf bis zur Erreichung eines bestimmten Soll-Distributionsgrades. 55 Beeinflussbarkeit und Kontrollierbarkeit des Absatzkanals: Zum Beispiel Auswahl solcher Absatzkanäle, die durch den Hersteller kontrollierbar und beeinflussbar sind, etwa weil der Hersteller gegenüber den Absatzmittlern ein Machtübergewicht besitzt oder ihm von den Absatzmittlern eine bestimmte Kompetenz (z. B. Beratung der Absatzmittler hinsichtlich der Präsentation der Ware) zugebilligt wird. Nach den Zielen ist im Rahmen der Strategiewahl festzulegen, ob grundsätzlich ein eher aktives oder passives Marketingverhalten hinsichtlich der Absatzkanalgestaltung realisiert werden soll, und welches Reaktionsmuster (aktiv/passiv) hinsichtlich der Marketingaktivitäten des Handels gewählt wird. Danach ist mit dem Selektionskonzept die vertikale und horizontale Absatzkanalstruktur festzulegen und diese im Rahmen der Absatzmittlerbewertung und -auswahl zu konkretisieren. Anschließend erfolgt im Kontraktkonzept die Fixierung der (vertraglichen) Beziehungsstruktur zwischen dem Hersteller und den zuvor selektierten Absatzmittlern und -helfern. Die getroffenen Entscheidungen werden anschließend mithilfe von instrumentellen Steuerungsansätzen umgesetzt: 55 Das Stimulierungskonzept umfasst neben der Gewinnung der zuvor selektierten Absatzmittler vor allem die Führung der Absatzkanäle, um die Absatzmittler zu einem den Herstellerzielen entsprechenden Verhalten zu veranlassen. Dabei ist zunächst eine grundlegende Entscheidung zwischen einem Push- oder Pull-­ orientierten Vorgehen zu treffen. Hiermit wird der Schwerpunkt aller Maßnahmen im Absatzkanal entweder auf die Absatzmittler (Push) oder auf die Endverbraucher (Pull) gelegt. 55 Die Analyse und Steuerung aller logistischen Prozesse der gesamten Lieferkette ist Aufgabe des Supply Chain Managements (SCM). Ziel ist es, die unternehmensübergreifenden Waren-, Informations- und Wertflüsse zu verbessern, um z. B. Ineffizienzen der Lieferkette zu beseitigen. Hierzu zählt die Reduzierung von Lagerbeständen durch eine verbrauchssynchrone Warenanlieferung (Just in Time) (vgl. Arndt 2021; Chopra und Meindl 2013). 55 Die enge Kooperation zwischen Hersteller und Einzelhandel beschreibt das Efficient Consumer Response Management (ECR). Neben logistischen werden vor allem marktliche Fragestellungen betrachtet. Ziel ist es, die Bedürfnisse des Nachfragers besser zu befriedigen. Dies ist z. B. durch eine gemeinsame Analyse und Gestaltung des Handelssortimentes oder einer gegenseitigen Unterstützung bei der Einführung und Vermarktung neuer Produkte möglich (vgl. Arndt 2021). Im Mittelpunkt der Marketinglogistik steht die Fixierung des angestrebten Lieferserviceniveaus und dessen Konkretisierung in operative Maßnahmen im Bereich der 7 554 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen Lagerhaltung und des Transportes. Die Planung der logistischen Entscheidungen setzt die Kenntnis der Distributionsstrategie voraus. Das Ergebnis der Entscheidungen in der Distributionspolitik kann abschließend im Rahmen der integrierten Erfolgsmessung kontrolliert werden. Die Auswirkungen der Entscheidungen haben direkten Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Dies ist bspw. der Fall, wenn ein Nachfrager aufgrund eines nicht verfügbaren Produktes am Point of Sale einen Kauf nicht tätigt oder sich für ein Konkurrenzprodukt entscheidet. In diesem Fall entstehen dem Hersteller direkte Umsatzverluste. Ebenso ist die Distributionspolitik in der Lage, Kunden zu binden und Umsätze zu steigern, z. B. durch deutlich geringere Lieferzeiten. 7.2 7 bsatzkanalmanagement zur Realisierung A der absatzmittlergerichteten Strategien Das Absatzkanalmanagement umfasst die systematische Planung, Koordination, Durchsetzung und Kontrolle sämtlicher auf das Absatzkanalsystem gerichteten Maßnahmen. Wesentliche Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Absatzkanalmanagement ist die Kenntnis der Verhaltensbeziehungen in Absatzkanalsystemen. 7.2.1 Verhaltensbeziehungen in Absatzkanalsystemen Absatzkanalsysteme sind nicht nur technisch-ökonomische, sondern ebenso soziale Systeme, in denen Verhaltensbeziehungen zwischen den verschiedenen Organen der Distribution bestehen. Die Analyse dieser Verhaltensbeziehungen erfolgt i. d. R. aus dem Blickwinkel potenzieller Konflikte zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen. Als Konflikt wird dabei grundsätzlich eine Situation bezeichnet, in der sich zwei oder mehr Verhaltensweisen in einem Spannungsfeld gegenüberstehen, sodass eine Verhaltensabstimmung auf Widerstand trifft (vgl. Kotler et al. 2011, S. 1020 ff.). Die zentralen Konfliktursachen in Absatzkanalsystemen sind Divergenzen in den 55 Zielbeziehungen, 55 Rollenbeziehungen, 55 Machtbeziehungen sowie 55 Kommunikationsbeziehungen zwischen den Mitgliedern eines Absatzkanals. . Tab. 7.1 zeigt beispielhafte Zielkonflikte, die sich in empirischen Untersuchungen als bedeutsame Streitpunkte herausgestellt haben. Rollenbeziehungen als Konfliktursache in Distributionssystemen resultieren aus den Verhaltenserwartungen der Marktpartner hinsichtlich der Übernahme bestimmter Marketingfunktionen. Ausgehend vom eigenen Rollenbewusstsein stellen die Marktpartner bestimmte Anforderungen (Rollenerwartungen) an die jeweils andere Marktseite. So kann bspw. die Sortimentsbildung im Handel mit bestimmten Vorstellungen bezüglich der unterstützenden Herstelleraktivitäten (z. B. Regalpflege, sortimentsorientierte Werbung) verbunden sein. Sind die wechselseitigen Erwartungen nicht klar abgesteckt, ist die Gefahr von Rollenkonflikten hoch. 555 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… .. Tab. 7.1 Mögliche Zieldivergenzen zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen. (Quelle: In Anlehnung an Homburg und Krohmer 2009; Winkelmann und Spandl 2023) Ziele Hersteller Handel Produktpolitische Ziele Markenimage auf Produktebene Markenimage auf Sortiments-Ebene Platzierung neuer Produkte in den Regalen des Handels Listing von „Renner“-Produkten, Auslistung von „Penner“-Produkten Mehr Regalplatz durch Produktdifferenzierung Förderung der Handelsmarken Niedrige Handelsspanne Hohe Handelsspanne Einheitliche Endverbraucherpreise einer Marke Raum- und zeitbezogene Preisdifferenzierung Weitestgehende Preisstabilität Sonderangebotspolitik (preispolitischer Ausgleich) Kontinuierlicher Abverkauf an den Handel Bestellmenge entsprechend der Nachfrage Distribution des gesamten Herstellersortimentes Zielgruppenbezogene Auswahl einzelner Marken und Produktvarianten Keine Warenrücknahme (Remissionen) Rückgaberecht für Lagerware Fertigungsoptimale Bestellmengen Nur Regal füllende Bestellmengen Mindestbestellmengen für den Handel Flexible Nachbestellmöglichkeiten Große Bestellmengen Schnelle Lieferung auch kleiner Mengen Bevorzugte Regalplatzierung für eigene Marken (Zweitplatzierung) Sortimentsgerechte Warenplatzierungen Hohe Distributionsdichte Möglichst exklusive Distribution Handel wirbt überregional für den Hersteller Regionale und lokale Werbung für den eigenen Standort Hersteller gestaltet Marktauftritt am Point of Sale mit Eigenständige Gestaltung des Marktauftrittes am Point of Sale Schaffung von Marken-­ Präferenzen Profilierung der Einkaufsstätte als Marke Erhöhung oder Stabilisierung der Markentreue Erhöhung oder Stabilisierung der Händlertreue Preispolitische Ziele Distributionspolitische Ziele Kommunikationspolitische Ziele Ob und in welcher Weise Konflikte zwischen den Marktpartnern ausgetragen werden, hängt in erheblichem Maße von den Machtbeziehungen im Absatzkanal ab. Je nach Machtbesitz können unterschiedliche Machtmittel (z. B. Auslistungsdrohungen) eingesetzt werden. Unter Anwendung von Macht im Distributions- 7 556 7 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen system kann ein Unternehmen – auf Hersteller- oder Handelsseite – die Marketingführerschaft im gesamten Absatzkanal übernehmen. Vor allem die zunehmende Konzentration auf der Handelsebene hat in Verbindung mit einer fortschreitenden Austauschbarkeit von Produkten unterschiedlicher Hersteller, der wachsenden Attraktivität von Handelsmarken und einem damit einhergehenden intensiven Regalplatzwettbewerb zu einer deutlich gestiegenen Nachfragemacht des Handels in vielen Produktgruppen, insbesondere im Bereich der schnell drehenden Konsumgüter (Fast Moving Consumer Goods, FMCG), geführt. Im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland liegt der Marktanteil der vier großen Handelsunternehmen EDEKA, REWE, Aldi und Schwarz-Gruppe (u. a. Lidl) bei über 85 % (Bundeskartellamt 2019). Auf Grund dieser Konzentration im Handel ist den meisten FMCG-­Herstellern eine eigenständige Durchsetzung von Marketingkonzepten gegenüber dem Handel kaum noch möglich. Die dramatisch veränderten Machtpositionen von Hersteller und Handel führen weiterhin zu spezifischen Kommunikationsbeziehungen der Marktpartner. Während Hersteller früher aufgrund eigener Marktforschungsstudien i. d. R. zu besseren Informationen über das Kaufverhalten von Konsumenten kamen, verfügt heute der Handel durch den Einsatz von Scanner-Kassen oft über einen Informationsvorsprung. Neue Technologien wie Radio Frequency Identification (RFID), werden zukünftig eine Verstärkung dieses Informationsgefälles bewirken (vgl. Salditt 2008; Boeck et al. 2011; Perry et al. 2019). Darüber hinaus hat das Marketing-Know-how im Handel in den letzten Jahren deutlich zugenommen – nicht zuletzt durch die vermehrte Einstellung qualifizierter Hochschulabsolventen. Die Erosion des vorhandenen Informations- und Know-­ how-­Vorsprunges der Hersteller hat in Verbindung mit der enorm verstärkten Machtposition des Handels die Kommunikationsbeziehungen deutlich verändert und seitens der Hersteller zu der Klage geführt, oft nur noch „eine verlängerte Werkbank“ des Handels zu sein. Zur Vermeidung derartiger Konflikte ist ein adäquates Konfliktmanagement unerlässlich. Dabei sind durch geeignete Maßnahmen vorhandene Konflikte abzubauen oder zumindest in handhabbarer Form transparent zu machen. Dies kann bspw. durch eine Beseitigung der Konfliktursachen (z. B. Abstimmung von differierenden Zielvorstellungen), die Institutionalisierung eines Konfliktmanagements (z. B. in Form einer Zusammenarbeit in Gremien und Arbeitskreisen) oder die präventive Vereinbarung einer Schlichtung durch Dritte im Konfliktfall (z. B. Schiedsgerichte, Gutachter) geschehen. Art und Ausmaß von Konflikten werden ganz wesentlich von der Maßnahmengestaltung im Rahmen des Absatzkanalmanagements bestimmt. Zum Beispiel kann durch die Selektion von Absatzmittlern oder deren vertragliche Bindung die ­Konfliktanfälligkeit des gesamten Absatzkanalsystems nachhaltig beeinflusst werden. 557 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… 7.2.2 Selektionskonzept 7.2.2.1 lassifizierung der vertikalen und horizontalen K Absatzkanalstruktur Mit dem Selektionskonzept wird die grundsätzliche Struktur der Absatzkanäle eines Unternehmens festgelegt. Die Komplexität der hierbei relevanten Entscheidungstatbestände hat in der Literatur zu einer Vielzahl konkurrierender Systematisierungsvorschläge geführt (vgl. z. B. Gutenberg 1976; Schögel 1997; Kotler et al. 2016). Als grundlegendes Strukturierungsmerkmal ist zweckmäßigerweise zwischen der vertikalen und der horizontalen Absatzkanalstruktur zu unterscheiden (vgl. Ahlert 1996, S. 153 ff.). . Abb. 7.2 zeigt zunächst die abzugrenzenden, alternativen Absatzkanäle und Vertriebsformen im Überblick. Bei der Festlegung der vertikalen Absatzkanalstruktur trifft der Hersteller eine Auswahl zwischen den Absatzstufen. Art und Zahl dieser Stufen bestimmen die Länge des Absatzkanals zwischen Hersteller und Endabnehmer. Je größer die Zahl der zwischen Hersteller und Endverbraucher geschalteten Absatzmittler, desto länger ist der entsprechende Absatzkanal. Die Auswahl der Absatzstufen ist unmittelbar mit der Entscheidung verbunden, ob die Produkte direkt oder indirekt vertrieben werden sollen. Entscheidungen über die Absatzkanalstruktur Vertikale Struktur Horizontale Struktur Breite: Direkter Vertrieb Rechtlich und wirtschaftlich frei Indirekter Vertrieb Vertraglich gebunden (z. B. Franchising) Festlegung der grundsätzlichen Art der Absatzmittler (Betriebsform) Tiefe: Festlegung des Betriebstyps und der Anzahl der Absatzmittler .. Abb. 7.2 Entscheidungstatbestände bei der Festlegung der Absatzkanalstruktur 7 558 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen Ist eine Entscheidung über die vertikale Absatzkanalstruktur getroffen, so schließt sich im zweiten Schritt die Festlegung der horizontalen Struktur an. Diese umfasst die konkrete Auswahl der Absatzmittler innerhalb der einzuschaltenden Absatzstufe(n) und erfolgt in zwei Schritten. Schritt eins ist die Festlegung der Breite des Absatzkanals, also die grundsätzliche Art der Absatzmittler je Absatzstufe (Betriebsform). Betriebsform Als Betriebsform werden bestimmte Kategorien von Handelsbetrieben verstanden, deren konstitutive Merkmale (z. B. Sortimentsumfang, Verkaufsfläche etc.) insoweit übereinstimmen, als dass sie aus der Perspektive der Nachfrager als gleichartig wahrgenommen werden (vgl. Heinemann 1989, S. 12 ff.; Burmann 1995, S. 3 f.; Ahlert et al. 2020, S. 127 ff.). 7 Im zweiten Schritt wird die Tiefe des Absatzkanals festgelegt. Hierzu zählen die Entscheidungen über den Betriebstyp und die Anzahl der einzusetzenden Absatzmittler. Betriebstyp Betriebstypen resultieren daraus, dass die konstitutiven Merkmale einer Betriebsform in unterschiedlich starker Ausprägung auftreten können. Je nach Ausprägung von Sortimentsbreite, -tiefe, Selbstbedienungsgrad […] lassen sich unterschiedliche Typen und damit Varianten von Betriebstypen unterscheiden (vgl. Heinemann 1989, S. 13) Die Betriebstypen in Deutschland lassen sich in erster Instanz nach geografischer Ausrichtung in Binnen- und Außenhandel unterteilen (vgl. . Abb. 7.3). Die Binnenhandelsbetriebe werden zudem nach Stufigkeit in ein- und mehrstufige Betriebstypen unterteilt. Mehrstufige Betriebe zeichnen sich dadurch aus, dass sie mindestens eine Großhandelsstufe und die Einzelhandelsstufe integriert haben. Einstufige ­Handelsbetriebe werden hingegen in Groß- und Einzelhandelsbetriebe unterteilt. Der Großhandel vertreibt hierbei an Geschäftskunden (z. B. Industriebetriebe, weitere Handelsstufen), während der Einzelhandel direkt an den Endkunden vertreibt (vgl. Hansen 1990, S. 30; Ahlert et al. 2020, S. 56). Beispiele für Großhändler sind z. B. die Cash&Carry-Betriebe, wie sie u. a. von der Metro AG betrieben werden. Beispiele für Einzelhändler sind Kaufhäuser, wie z. B. das KaDeWe in Berlin, Verbrauchermärkte, wie z. B. die E-Center von Edeka oder mit der Entwicklung des Internets auch Online-Shops, wie z. B. Amazon (vgl. Ahlert et al. 2020, S. 123 ff.). Bezüglich der Anzahl einzuschaltender Absatzmittler lassen sich nach dem Kriterium des angestrebten Distributionsgrades drei Ausgestaltungsformen unterscheiden (vgl. Bowersox et al. 2013, S. 91 ff.; Kotler et al. 2016, S. 605): 55 Bei der intensiven Distribution wird ein hoher Distributionsgrad angestrebt (Universalvertrieb). Hier sollen die Produkte möglichst überall erhältlich sein (Ubiquität sichern). Eine quantitative oder qualitative Beschränkung auf Seiten der Absatzmittler ist dabei nicht vorgesehen. Diese Art der Distribution kennzeichnet primär Güter des täglichen Bedarfes (z. B. Brot, Butter, Joghurt, Mineralwasser). 559 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… Betriebstypen Binnenhandel Einstufig Einzelhandel Großhandel Discounter SpezialFachgeschäft Großhandel Kaufhaus SortimentsEinkaufsGroßhandel zentrum KonsumMega-Markt Großhandel VerbraucherCash and markt Carry Supermarkt Tante-Emma-Laden Versandhaus Tele-Shop Online-Shop Außenhandel Mehrstufig Kooperation Einkaufsgenossenschaften Handelskooperative Einkaufskontore Freiwillige Ketten Importhandel Exporthandel Konzentration Konsumgenossenschaften Filialunternehmen .. Abb. 7.3 Unterteilung der Betriebstypen. (Quelle: In Anlehnung an Hansen 1990, S. 30; Ahlert et al. 2020, S. 126) 55 Demgegenüber werden bei der selektiven Distribution die Absatzmittler vornehmlich nach qualitativen Gesichtspunkten ausgewählt. Als Selektionskriterien werden dabei, neben bestimmten Anforderungen an die Ausstattung der Absatzmittler (z. B. Geschäftsgröße, Kundendiensteinrichtungen, Personalqualifikation, Geschäftslage), vor allem Merkmale der Marketingaktivitäten als Maßstab für die Auswahl herangezogen (z. B. Kooperationsbereitschaft, Preisaktivitäten). In der Praxis wird häufig auch die Abnahmemenge als Selektionskriterium genutzt. 55 Einen Sonderfall der selektiven Absatzmittlerauswahl bildet die exklusive Distribution. Hier werden die Absatzmittler zusätzlich hinsichtlich ihrer Quantität beschränkt. Dies führt im Extremfall zu gebietsbezogenen Exklusivverträgen mit einzelnen Absatzmittlern (z. B. bei hochwertiger Bekleidung). Bei dieser Art der Distribution erwartet der Hersteller häufig aggressivere Verkaufsbemühungen der Absatzmittler sowie eine bessere Kontrollmöglichkeit über Preise und Serviceleistungen. Die Führung von Premiummarken geht daher häufig mit einer exklusiven Distribution einher. Tendenziell ist dabei mit Verbesserungen beim Image der Premiummarke und nachgelagert auch bei den Handelsspannen zu rechnen. In diesem Zusammenhang gewinnt der Mehrkanalvertrieb immer mehr an Bedeutung (vgl. Wirtz 2022). Speziell die Entwicklung der Online-Kanäle und deren Weiterentwicklung hin zu sozialen Medien fördern den Trend einer kanalübergreifenden Nachfrageransprache (vgl. Heinemann 2023; zur Diskussion der Online-­ Kommunikation und sozialer Medien vgl. Abschn. 4 in 7 Kap. 8). Dies eröffnet neue Möglichkeiten einer bedürfnisspezifischen Ansprache des Nachfragers anhand seiner Kanalpräferenzen (vgl. Winkelmann und Bertling 2008, S. 174 f.). Die Mehrkanal-­Ansprache ermöglicht somit eine stärkere Individualisierung und damit 7 560 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen auch eine stärkere Nachfragerorientierung. Um dieser Entwicklung gerecht zu werden, widmet sich 7 Abschn. 2.2.3 speziell dem Mehrkanalvertrieb. 7.2.2.2 7 Direkter und indirekter Vertrieb Abhängig von der Anzahl der Handelsstufen, die zwischen Hersteller und Endverbraucher eingeschaltet sind, wird zwischen indirektem und direktem Vertrieb unterschieden. Indirekter Vertrieb liegt dann vor, wenn rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Einzel- und/oder Großhändler (Absatzmittler) oder vertraglich gebundene, aber wirtschaftlich selbstständige Kooperationspartner (z. B. Franchisenehmer) in den Absatzkanal eingeschaltet sind. Dabei können die wechselseitigen Beziehungen zwischen Hersteller und Absatzmittler entweder frei, d. h. ohne längerfristige gegenseitige Vereinbarungen ausgestaltet, oder aber vertraglich geregelt sein. Letzteres impliziert insbesondere eine Begrenzung der Freiheitsgrade der Absatzmittler. Damit gewährleisten vertragliche Bindungen gleichzeitig eine bessere Durchsetzbarkeit der gesamten Marketingpolitik des Herstellers im Absatzkanal. Aus der Struktur und Intensität dieser vertraglichen Bindungen ergeben sich unterschiedliche vertragliche Vertriebssysteme, die eingehend bei der Ausgestaltung des Kontraktkonzeptes dargestellt werden. Beim direkten Vertrieb findet dagegen ein unmittelbarer Kontakt zwischen dem Hersteller und dem Endverbraucher ohne Zwischenschaltung von Absatzmittlern statt. Dieser direkte Kontakt kann auch in Form von herstellereigenen Filialen oder eines eigenen Online-Shops erfolgen, sofern diese wirtschaftlich vom Hersteller abhängig, also nicht selbstständig sind. Diese Form des direkten Vertriebs setzt z. B. der Modehersteller Esprit ein, der seine Waren auch über ein eigenes Filialsystem und einem eigenen Online-Shop vertreibt. In den vergangenen Jahren haben die neuen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien zu einem erheblichen Bedeutungszuwachs des Direktvertriebes geführt (vgl. Wirtz 2016, S. 4). Insbesondere das Internet hat die Ausgestaltungsmöglichkeiten des direkten Vertriebs maßgeblich erweitert. . Tab. 7.2 fasst die wesentlichen Vor- und Nachteile des .. Tab. 7.2 Vor- und Nachteile des direkten Vertriebs über das Internet. (Quelle: In Anlehnung an Berman und Thelen 2004, S. 149 und Heinemann 2011, S. 36 ff.) Vorteile Nachteile Unternehmenssicht Globale Präsenz/Zugang zu neuen Märkten Direkte Bestellannahme Zeit- und Kostenvorteile Zusätzliche Kunden-/Umsatzpotenziale Gewinnung von Kundendaten Hoher technischer Aufwand Wettbewerb mit bisher branchenfremden Anbietern Fehlendes Know-how bei der Implementierung Nachfragersicht Anywhere- und Anytime-Verfügbarkeit Größere Auswahl und Vergleichbarkeit an Produkten und Angeboten Individuelle Angebote Markttransparenz Fehlender physischer Kontakt mit Produkten Fehlender sozialer Aspekt beim Einkauf Unsicherheit bei der Zahlungsabwicklung Ggf. Mindestbestellwert und zusätzliche Kosten 561 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… direkten Vertriebs über das Internet aus Unternehmens- sowie Kundensicht zusammen. Der besondere Stellenwert des Internets als Vertriebsweg zeigt sich auch darin, dass die E-Commerce Umsätze in Deutschland zwischen 2015 und 2022 um 93 % gestiegen sind (vgl. bevh 2023). Beim Online-Shopping verwenden Nachfrager zunehmend mobile Endgeräte für den Einkauf (vgl. Kotler und Keller 2016, S. 538; Huang et al. 2016, S. 265). 2021 wurden bereits 54 % der E-Commerce Umsätze in Deutschland über das Smartphone erzielt (vgl. IFH Köln 2022). Aus diesem Grund werden Online-Shops auch zunehmend an den Anforderungen mobiler Bestellprozesse ausgerichtet (Stichwort „Mobile First“) (vgl. Sohn et al. 2017, S. 196). Neben der Umsatzgenerierung setzen Hersteller den Direktvertrieb auch zur Erreichung von strategischen Zielen ein. So gilt z. B. die bessere Steuerung der Vertriebsmitarbeiter als ein bedeutender Einflussfaktor für die Wahrnehmung der Marke durch die Nachfrager (vgl. Burmann und Maloney 2006, S. 98 ff.; Maloney 2007). In . Tab. 7.3 werden die verschiedenen Ausgestaltungsformen direkter Vertriebssysteme systematisiert. Zu diesem Zweck werden die beiden Dimensionen „Anbahnung des Kaufes“ und „Art des Abschlusses“ herangezogen. Sowohl die Anbahnung des Kaufes als auch die Art des Abschlusses können dabei persönlich, schriftlich, telefonisch oder mittels elektronischer Medien stattfinden. Die Darstellung zeigt anhand ausgewählter Beispiele die vielfältigen Erscheinungsformen des Direktvertriebes. Einer der bekanntesten Vertreter einer Direktmarketingstrategie ist das Unternehmen Vorwerk. Schon in den dreißiger Jahren nutzte Vorwerk die Möglichkeiten des Direktvertriebes, da der Handel seinerzeit nicht bereit war, den Staubsauger „Kobold“ in das Sortiment aufzunehmen. Vorwerk machte aus der Not eine Tugend, sodass der Ruf der Marke als Qualitätsprodukt heute nicht zuletzt mit dem damals gewählten Direktvertrieb zusammenhängt. Insbesondere die nachfragernahe und fachlich kompetente Produktpräsentation in den Haushalten sowie die strenge, qualitative Auswahl der Außendienstmitarbeiter hat wesentlich zum Imageaufbau der Marke Vorwerk beigetragen. Die Stagnation im stationären Handel und der Machtzuwachs der Händler bringen Hersteller vermehrt dazu, ihre klassischen Vertriebsstrategien zu ändern und näher an den Nachfrager zu rücken (vgl. Zentes und Swoboda 2005, S. 1082). Die sog. Vertikalisierung des Absatzkanals kann je nach Perspektive in eine Vorwärtsoder eine Rückwärtsintegration aufgeteilt werden (vgl. . Abb. 7.4). Bei der Rückwärtsintegration übernimmt der Händler Funktionen eines Herstellers, z. B. durch die Auftragsproduktion von Eigenmarken. Die Hersteller wiederum übernehmen im Rahmen der Vorwärtsintegration distributionspolitische Aufgaben, die traditionell dem Handel zugeschrieben werden (vgl. Ahlert et al. 2020, S. 182). Auch wenn nicht jede Form der Vorwärtsintegration als Direktvertrieb beschrieben werden kann, so ist eine zunehmende Tendenz hin zu direkteren Absatzkanälen zu erkennen. In einer Studie der Boston Consulting Group und des Markenverbandes wurden fünf mögliche Formen der Vorwärtsintegration unterschieden (vgl. The Boston Consulting Group GmbH 2005, S. 11 ff.): 7 Haus-zu-Haus-Verkauf Elektronische Medien Sonstige (z. B. Schaufensterauslage) Gesetzliches Verbot der Neukundenakquisition durch Anruf Verkaufsfilialen Verkaufsfilialen Katalog Katalog Katalog Buchclubs Telefonisch Verkaufsfilialen Haus-zu-Haus-Verkauf Partyverkauf Fahrverkauf Buchclubs Sammelbesteller Schriftlich Schriftlich Verkaufsfilialen Passiv Haus-zu-Haus-Verkauf Partyverkauf Fahrverkauf Abschluss Persönlich Aktiv Persönlich Formen des Direktvertriebes 7 Anbahnung . Tab. 7.3 Telefonverkauf Teleshopping Telefonisch Teleshopping Online-Dienste Internet Telefonverkauf Online-Dienste Internet Elektronische Medien 562 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen 563 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… „Neues“ Geschäftsmodell für Hersteller und Händler ion teg rat Fa c Ou tory tlet s sin Vo rw ärt Ko n sio zesne n Fra chi nse Sh op in Sh op e lich rag ert ev tig ung n fris Bind rante ng e La ief sL r de ne ige ue n fba ktio ion Au rodu rat P eg int rts Hersteller wä ck Rü „Klassisches“ Geschäftsmodell für Hersteller und Händler s de ion isit nten a qu Ak iefer L Eig Fili ene ale n Vertikalisierung des Absatzkanals Händler .. Abb. 7.4 Vertikalisierung im Absatzkanal. (Quelle: In Anlehnung an The Boston Consulting Group GmbH 2005) 55 Shop in Shop/Corners: Einrichtung einer größeren Fläche im Handelsgeschäft mit dem Mobiliar des Herstellers. Warenrisiko und Preisgestaltung verbleiben i. d. R. beim Händler. 55 Franchising: Der Franchisenehmer erhält gegen Gebühr Nutzungsrechte am Geschäftskonzept des Franchisegebers. Eine detaillierte Beschreibung erfolgt im Abschnitt zum Kontraktkonzept (vgl. Ahlert und Ahlert 2010). 55 Konzessionen: Der Hersteller mietet Fläche bei einem Händler und verkauft seine Produkte auf eigene Rechnung. Dabei übernimmt er die Bestands- und Dispositionsverantwortung sowie meistens auch die Personalverantwortung. 55 Factory Outlets (Fabrikverkauf): Verkauf von Retouren und Restposten in meist fabriknahen Lagerhallen. Zunehmend wird das Sortiment von „Factory Outlets“ heute durch normale, aktuelle Ware erweitert, und die Standorte entfernen sich immer weiter vom eigentlichen Produktionsort der Ware. Aufgrund ihrer ursprünglichen Ausrichtung als echter Fabrikverkauf profitieren „Factory Outlets“ bis heute von ihrem Image als „besonders preisgünstig“ (vgl. Becker und Berentzen 2008; Whyatt 2008). 55 Eigene Geschäfte: Aufbau eines eigenen Filialnetzes, z. B. durch die Errichtung von Flagship Stores (z. B. Nike oder Apple), die vor allem auch zur Markeninszenierung eingesetzt werden, um dem Nachfrager ein besonderes emotional-­ symbolisches Markenerlebnis zu ermöglichen. Ferner können in Flagship Stores frühzeitig neue Trends ausprobiert werden, die einem Absatzmittler zu riskant wären. Flagship Stores schaffen häufig die notwendige Attraktivität und Marktpräsenz, um Absatzmittler für den Vertrieb der Marke zu gewinnen (vgl. Moore et al. 2009). 7 564 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen .. Tab. 7.4 Chancen und Risiken der Vorwärtsintegration. (Quelle: In Anlehnung an The Boston Consulting Group GmbH 2005) 7 Chancen Risiken Steigerung der Prozesseffizienz Time to Market (Schnittstellen, Informationsfluss etc.) Kosteneffizienz Stärkere Einflussnahme auf den Markenauftritt am Point of Sale Kontrolle von Verkauf und Service Kontrolle der Markeninszenierung Kontrolle der Warenplatzierung Verbesserung der Preisrealisierung Vereinnahmungen der Handelsmarge Abverkaufssteuerung (Promotions, hochmargige Artikel) Besserer Zugang zum Nachfrager Möglichkeit für Experimente/Sortimentsausdehnung/Innovation Sicherung/Ausbau der Verkaufsoberfläche Unabhängigkeit vom Handel Schnelles Erreichen kritischer Masse in der Fläche Investitionsbedarf Aufbau der Handelskompetenz (in den Bereichen Personal, Systeme und Prozesse) Standorte Ausstattung Strategische Risiken Flexibilitätsverlust auf Absatzseite 7 Interner Anpassungsbedarf (z. B. Prozesse, Supply Chain Systeme) Gefährdung der Unternehmensexistenz bei Umsatzrückgang Operative Risiken Standortsuche, -miete Facility (Gebäude) Management Retail Management Bestandsrisiken Neben den aufgeführten Formen ist insbesondere der herstellereigene Online-­ Shop als eine weitere, zunehmend an Bedeutung gewinnende Form der Vorwärtsintegration herauszustellen. Über Online-Shops können Hersteller ihre Leistungen direkt im Internet zum Verkauf anbieten. Der Prozess der Auftragsabwicklung (das sog. Fulfillment), von der Warenkommissionierung über die Retourenbearbeitung bis hin zu späteren Supportanfragen, kann entweder vom Hersteller selbst übernommen oder teilweise bis vollständig an externe Dienstleister ausgelagert werden. Durch die Vertikalisierung umgeht der Hersteller nachgelagerte Absatzstufen und gewinnt damit eine stärkere Kontrolle über den Absatzweg seiner Produkte, z. B. über die Produkt- und Markenpräsentation am Point of Sale. Die herstellereigene Marketingkonzeption kann dann konsequent über alle Absatzstufen hinweg geplant und durchgesetzt werden. Neben diesem entscheidenden Vorteil existieren einige weitere Chancen im Rahmen der Vorwärtsintegration, die in . Tab. 7.4 dargestellt sind. Demgegenüber stehen nicht unerhebliche Risiken. Insbesondere die hohen Anfangsinvestitionen und der Aufbau von Fixkosten können mittel- bis langfristig die Existenz eines Herstellers bedrohen. Aus Sicht des Competence Based View stellt vor allem die mangelnde Handelskompetenz vieler Hersteller ein hohes Risiko dar. Die notwendige Handelskompetenz nimmt dabei vom Shop-in-Shop-Konzept bis zu den eigenen Geschäften zu. Oft werden indirekte und direkte Vertriebsformen parallel eingesetzt. Um dabei die Effektivität und Effizienz des gesamten Absatzkanalsystems zu sichern, ist eine enge Abstimmung der verschiedenen Absatzkanäle notwendig. 565 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… 7.2.2.3 Mehrkanalvertrieb Die in der Vergangenheit oft zu beobachtende Konzentration auf nur einen Absatzkanal hat sich in den letzten Jahren deutlich abgeschwächt. So nutzen Unternehmen heute immer öfter gleichzeitig mehrere Absatzkanäle (vgl. Wirtz 2022). Mehrkanalvertrieb (engl. Multi Channel Distribution) Unter Mehrkanalvertrieb versteht man den Vertrieb von Produkten und Dienstleistungen über mehrere parallel genutzte Absatzkanäle. Das Themengebiet des Mehrkanalvertriebs ist kein kurzlebiger Trend, sondern wird eine langfristig hohe und wachsende Bedeutung haben (vgl. Thaichon et al. 2022). Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zunächst sind es die veränderten Kauf- und Konsumgewohnheiten auf Nachfragerseite, wie bspw. eine erhöhte Convenience-­ Orientierung oder das Research-Shopping-Phänomen (vgl. Abschn. 2 in 7 Kap. 2), sowie die weiter zunehmende Dynamik der Betriebsformen, die ein Hinwenden zu mehreren gleichzeitig genutzten Vertriebswegen fördern. Hinzu kommt die wachsende Macht des Handels. Insbesondere schwache Herstellermarken haben Probleme, in das Sortiment von Händlern aufgenommen zu werden bzw. im Sortiment zu verbleiben. Zudem entspricht die Präsentation der Ware am Point of Sale immer seltener den Vorstellungen der Hersteller und den Erwartungen der Nachfrager an eine gute Marke (z. B. Präsentation der Markenware in Umverpackungen und Bodennähe). Die Reaktion der Hersteller ist immer öfter die Umgehung des Handels durch die beschriebene Vorwärtsintegration im Absatzkanal. Eine zunehmend beliebte Erscheinungsform des Mehrkanalvertriebs ist die Kombination von Online- und Offline-Absatzkanälen. Ein Beispiel dafür liefert . Abb. 7.5. Der Sportartikelhersteller Adidas nutzt einerseits Offline-Absatzkanäle, wie den indirekten Vertrieb über den stationären Handel (z. B. Foot Locker) und den direkten Vertrieb über eigene Filialen in Form von Flagship-Stores. Hinzu kommt der Verkauf von Restposten über eigene Factory-Outlet-Stores. Andererseits hat das Unternehmen im Zuge der Digitalisierung einzelne Online-Absatzkanäle ergänzt, wiederum indirekt über den Online-Handel (z. B. Amazon) und direkt über einen eigenen Online-Shop sowie über virtuelle Marktplätze. Unternehmen, die sich ausschließlich auf Offline-Absatzkanäle beschränken, werden mit dem Begriff „Brick and Mortar“ umschrieben (vgl. Rajamma et al. 2007, S. 201). Dem gegenüber werden Unternehmen, die ausschließlich das Internet zum Vertrieb ihrer Produkte heranziehen, als „Clicks Only“ beschrieben (vgl. Chaffey und Ellis-Chadwick 2012, S. 236). Unternehmen, die hingegen beide Arten von Absatzkanälen verwenden, fallen in die Kategorie „Bricks and Clicks“ (vgl. Ofek et al. 2011, S. 42). Die Entwicklung zu einem Bricks-and-Clicks-Unternehmen kann aus verschiedenen Richtungen erfolgen, wie in . Abb. 7.6 veranschaulicht wird (vgl. Herhausen et al. 2015, S. 310). Bei einer Offline-Online-Entwicklung werden bestehende Offline-Kanäle durch einen oder mehrere Online-Kanäle ergänzt. Beispiele für eine Absatzkanalerweiterung dieser Art liefern erwartungsgemäß insbesondere diejenigen Unternehmen, die bereits vor der Digitalisierung tätig waren, wie etwa Adidas, H&M oder Saturn. Die gegensätzliche Entwicklung, d. h. eine Erweiterung eines reinen Online-­ 7 566 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen 7 .. Abb. 7.5 Mehrkanalvertrieb am Beispiel Adidas Offline-OnlineEntwicklung „Brick and Mortar“ Transaktionen und Kundenservices sind nur offline möglich „Bricks and clicks“ Mix aus Onlineund OfflineTransaktionen / Kundenservices Online-OfflineEntwicklung „Clicks Only“ Transaktionen und Kundenservices sind nur online möglich .. Abb. 7.6 Entwicklungsrichtungen im Mehrkanalsystem. (Quelle: In Anlehnung an Herhausen et al. 2015, S. 310) 567 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… Vertriebssystems um einen oder mehrere Offline-Kanäle, ist insgesamt seltener anzutreffen. Dennoch lässt sich auch diese Entwicklungsform zunehmend häufiger beobachten, wie etwa im Fall von Zalando oder Mymuesli. Eine Variante der Online-­ Offline-­ Entwicklung, die ebenfalls häufiger zu beobachten ist, besteht in der Ergänzung von sog. Showrooms. Hierbei handelt es sich nicht um klassische Absatzkanäle, sondern um Ausstellungsräume, in denen Produkte den Nachfragern präsentiert werden. Ein Erwerb der Produkte in dem Sinne, dass sie direkt mitgenommen werden können, ist nicht möglich. Stattdessen können Nachfrager Produkte vor Ort zur Auslieferung über den Online-Absatzkanal bestellen (vgl. Heinemann 2023, S. 85 ff.). Durch die Ergänzung von Showrooms können Unternehmen verschiedene Vorteile von Offline-Absatzkanälen realisieren (wie z. B. Nachfragern den physischen Kontakt zu Produkten ermöglichen, neue Kundensegmente gewinnen), ohne jedoch einen weiteren vollständigen Vertriebsweg aufbauen zu müssen. Mit dem Mehrkanalvertrieb werden folgende drei Ziele verfolgt: 55 Ressourceneinsparung (z. B. durch Kostensenkung im Service), 55 Umsatzsteigerung (z. B. durch die Erschließung neuer Zielgruppen) und 55 Steigerung der Customer Experience (z. B. durch Bereitstellung kundennaher und leicht zugänglicher Absatzkanäle). Einsparpotenziale ergeben sich z. B. im Servicebereich (vgl. Sharma und Mehrotra 2007, S. 21). Hier bietet das Internet die Möglichkeit, einen Großteil der Kundenbetreuung online abzuwickeln. Viele Anfragen können bspw. von den Nachfragern durch die Beantwortung der am häufigsten gestellten Fragen (FAQ) selbst geklärt werden. Zudem kann online bestellte Ware direkt in einem Ladengeschäft umgetauscht werden. Die Kosten für aufwändige Retouren können so gesenkt werden (vgl. Bendoly et al. 2005, S. 317). Umsatzsteigerungen lassen sich durch die Erschließung neuer Nachfragersegmente, z. B. durch die zielgruppenindividuelle Ansprache über die verschiedenen Absatzkanäle (vgl. Lemon und Verhoef 2016, S. 80) und die bessere Betreuung existierender Kunden realisieren (vgl. Konuş et al. 2008, S. 398). Insbesondere über das Internet können eine Vielzahl von Informationen über den Nachfrager gewonnen werden, die auch für andere Absatzkanäle wertvoll sind, z. B. für Cross-Selling-­ Angebote in einem Filialgeschäft auf Basis bekannter Käufe der Nachfrager (vgl. Heinemann 2023). Zudem gelten Mehrkanalsysteme als wichtiger Bestandteil eines nachhaltig wirkungsvollen Customer Relationship Managements. Demnach sind Kunden, die verschiedene Absatzkanäle nutzen, für Unternehmen häufig profitabler, da sie i. d. R. mehr einkaufen als solche, die nur einen Kanal nutzen (vgl. Kumar und Venkatesan 2005; Müller-Lankenau et al. 2006; Ansari et al. 2008). Cao und Li (2015) weisen empirisch nach, dass die gleichzeitige Nutzung von mehreren Absatzkanälen einen positiven Einfluss auf den Unternehmensumsatz hat. Durch die Bereitstellung verschiedener Absatzkanäle stehen Nachfragern mehr Kontaktpunkte zur Verfügung, um ihre individuelle Customer Journey nach ihren persönlichen Vorstellungen auszugestalten. Dies wirkt sich schließlich positiv auf die Customer Experience aus, welche der Gesamtbewertung aller Kontaktpunkte entlang der Customer Journey entspricht. Auch nachgelagerte Konstrukte wie die Kundenzufriedenheit und die Loyalität einem Unternehmen gegenüber können durch den Einsatz eines Mehrkanalsystems gesteigert werden (vgl. Danaher et al. 2003; Wallace et al. 2004). Die Customer Experience fällt dabei umso positiver aus, je stär- 7 568 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen ker die einzelnen Absatzkanäle aufeinander abgestimmt sind bzw. je höher der Integrationsgrad ausfällt (vgl. Neslin und Shankar 2009, S. 72). Integrationsgrad Der Integrationsgrad kennzeichnet das Ausmaß der (formalen und inhaltlichen) Verflechtungen zwischen den jeweiligen Absatzkanälen im Sinne eines ganzheitlich konzipierten Mehrkanalsystems (vgl. Schögel 2001, S. 35 f.). 7 Eine Integration kann grundsätzlich auf formaler (bezogen auf die äußere Gestaltung wie z. B. Farben, Begriffe, Markenmerkmale) und inhaltlicher Ebene erfolgen. Die inhaltliche Integration wird u. a. weiter unterschieden in funktionale (bezogen auf die Aufgaben der Kanäle) und instrumentelle Integration (bezogen auf die inhaltliche Vernetzung der Kanäle) (vgl. Schramm-Klein 2003, S. 81). Durch eine umfassende Integration auf den jeweiligen Ebenen haben Nachfrager die Möglichkeit, frei zwischen den einzelnen Absatzkanälen zu wählen. Etwaige Verbundwirkungen zwischen den Kanälen können so einen erhöhten Nutzen für Nachfrager stiften (vgl. Schramm-Klein 2003, S. 82). Dies wäre der Fall, wenn Nachfrager es bevorzugen würden, online bestellte Produkte – zum Beispiel auf dem Nachhauseweg von der Arbeit – in einer Filiale abzuholen („Click and Collect“), anstatt sie sich per Versand zustellen zu lassen (vgl. Venkatesan et al. 2007, S. 128 f.). Im Rahmen der Ausgestaltung eines Mehrkanalsystems bewegen sich ­Unternehmen auf einem Kontinuum zwischen der vollständigen Integration und der vollständigen Separation der Kanäle (vgl. Schramm-Klein 2003, S. 81). In diesem Zusammenhang lassen sich drei wesentliche Integrationsansätze unterscheiden (. Abb. 7.7). Der Multi-Channel-Ansatz ist durch den parallelen, jedoch unabhängigen Einsatz mehrerer Absatzkanäle gekennzeichnet (vgl. Picot-Coupey et al. 2016, S. 339). Zielsetzung ist es dabei, eine Ausrichtung der jeweiligen Absatzkanäle auf bestimmte Zielgruppen zu erreichen. Die Kanäle sind nicht integriert, vielmehr werden sie unabhängig voneinander ausgestaltet. Die Ausgestaltung orientiert sich dabei an den spezifischen Bedürfnissen ihrer jeweiligen Zielgruppen, was letztendlich zu unterschiedlichen Preisen, Sortimenten oder Serviceangeboten zwischen den Kanälen führen kann. Auch die Zugehörigkeit zum gleichen Unternehmen wird teilweise nicht angezeigt (vgl. Schramm-Klein 2003, S. 82). Aus theoretischer Sicht funktioniert der Mehrkanalsysteme Multi-Channel Cross-Channel Omni-Channel Integrationsgrad .. Abb. 7.7 Integrationsansätze im Mehrkanalsystem. (Quelle: In Anlehnung an Beck und Rygl 2015 und Picot-Coupey et al. 2016) 569 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… Ansatz insbesondere dann, wenn sich die avisierten Zielgruppen zwischen den Absatzkanälen nicht überschneiden. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Channel-­ Hopping-Verhaltens und der steigenden Informationstransparenz infolge der Digitalisierung ist eine solche Situation in der Praxis jedoch nur noch selten gegeben. Beim Cross-Channel-Ansatz werden mindestens zwei, jedoch nicht alle Absatzkanäle aufeinander abgestimmt (vgl. Beck und Rygl 2015, S. 174 f.). Die Zielsetzung besteht darin, durch formale und insbesondere inhaltliche Integrationsmaßnahmen etwaige Verbundwirkungen zwischen den jeweiligen Kanälen zu generieren, sodass es zu einem erhöhten Nutzen für Nachfrager kommt (vgl. Schramm-Klein 2003, S. 82). Zum Beispiel könnte eine Integration von Online-Shop und Filialen dazu führen, dass Nachfrager einen in einer Filiale erworbenen Gutschein auch im Online-Shop des Unternehmens einlösen können oder dass ein online bestelltes Produkt auch direkt in einer Filiale umgetauscht werden kann. In der Regel werden bei der Umsetzung des Cross-Channel-Ansatzes die Marketing-Mix-Instrumente über die einzelnen Kanäle hinweg vereinheitlicht (vgl. Schramm-Klein 2003, S. 82), sodass Nachfrager die integrierten Kanäle während ihres Kaufentscheidungsprozesses konfliktfrei miteinander kombinieren können. In dieser Hinsicht berücksichtigt der Cross-Channel-Ansatz Channel-Hopping- oder Research-Shopping-­Verhaltensweisen (vgl. Müller-Lankenau et al. 2006, S. 190), welche im Zeitalter der Digitalisierung stark an Bedeutung gewonnen haben (vgl. Abschn. 2 in 7 Kap. 2). Der Omni-Channel-Ansatz stellt die Extremform der Kanalintegration dar, in der alle Absatzkanäle eines Unternehmens vollständig (d. h. formal und inhaltlich) miteinander verbunden sind. Ziel ist es dabei, das Kanalsystem so auszugestalten, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Kanälen aus Nachfragersicht verschwimmen und das ganzheitliche Erlebnis mit dem Unternehmen in den Vordergrund rückt (vgl. Verhoef et al. 2015, S. 175; Verhoef 2021; Thaichon et al. 2022). Konkret würde das z. B. beinhalten, dass ein über den Online-Shop eines Herstellers erworbenes Produkt über jeden Absatzkanal dieses Herstellers, einschließlich indirekter Vertriebsformen (z. B. stationärer Handel), umgetauscht werden kann. Weiterhin sind bei dem Omni-­ Channel-­ Ansatz die Marketing-Mix-Instrumente über alle Kanäle hinweg aufeinander abgestimmt (vgl. Picot-Coupey et al. 2016, S. 339; vgl. Thaichon et al. 2022). Den dargestellten Chancen des Mehrkanalvertriebes stehen jedoch auch Risiken gegenüber, die sich aus einer nicht ausreichenden Integration der Absatzkanäle ergeben. Unterschiedliche Sortimente oder unterschiedliche Preise in den verschiedenen Absatzkanälen können zur Verwirrung der Nachfrager und damit zu Unzufriedenheit oder Kaufabbrüchen führen (vgl. Heinemann 2008; Wirtz 2022). Organisatorisch ergeben sich z. B. dann Probleme, wenn durch die Führung der Absatzkanäle als Profit Center unternehmensintern ein opportunistisches Verhalten der einzelnen Kanäle gefördert wird. So könnte sich Filialen eines Unternehmens als Konkurrent und nicht als Partner zum Online-Shop sehen und bspw. nicht auf zusätzliche Wareninformationen im Online-Shop hinweisen. Eine Übersicht über die Chancen und Risiken gibt . Tab. 7.5. 7 570 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen .. Tab. 7.5 Chancen und Risiken des Mehrkanalvertriebes. (Quelle: In Anlehnung an Neslin et al. 2006, S. 106; Zhang et al. 2010, S. 171 ff.; Wirtz 2022, S. 75 ff.; Herhausen et al. 2015, S. 4 ff.) 7 Chancen Risiken Umfassende, individuelle und kostengünstige Betreuung vorhandener Kunden Kanalkonflikte reduziert das Vertriebsengagement der Kanäle Multiple Kundenbindung durch ein Netzwerk an Geschäfts- und Servicebeziehungen mit dem Kunden Hoher Koordinationsaufwand Kanalübergreifendes Cross-Selling Komplexitätserhöhung Individuelle Ansprache und Gewinnung neuer Nachfragersegmente Hohe Investitionskosten beim Aufbau Steigerung der Customer Experience durch integrierte Absatzkanäle Fehlende Kompetenzen bei der Kombination von Offlineund Online-Absatzkanälen Schwer zu imitierender Wettbewerbsvorteil (wenn gut abgestimmt/geführt) Unzufriedene Kunden durch unabgestimmte Marketing-­ Mix-­Maßnahmen zwischen Kanälen (z. B. Preis- und Sortimentsunterschiede, keine kanalübergreifende Kundenbetreuung) Erweiterte Möglichkeiten zur identitätskonformen Markenpräsentation Entstehung von Markenimagekonfusion durch fehlende Abstimmung der Absatzkanäle Gewinnung von weiteren Kundendaten Kanal-Kannibalisierung: Verlagerung der Kaufkraft des alten Kanals in den neu etablierten Kanal Schwächen einzelner Kanäle können durch andere Kanäle ausgeglichen werden Zusammenfassend muss ein erfolgreicher Mehrkanalvertrieb somit nicht nur dem marktseitigen Wunsch der Nachfrager nach einer Vielzahl bedürfnis- und situationsgerechter Absatzkanäle erfüllen (Perspektive des Market Based View), sondern zugleich sicherstellen, dass im Unternehmen alle notwendigen Ressourcen und Kompetenzen verfügbar sind, um eine optimale Abstimmung und Führung aller Absatzkanäle zu gewährleisten (Perspektive des Competence Based View). 7.2.3 Kontraktkonzept Mit der Festlegung der horizontalen und vertikalen Struktur der Absatzkanäle ist die grundlegende Konfiguration des Vertriebsbereiches eines Unternehmens festgelegt. Im nächsten Schritt muss die ausgewählte Absatzkanalstruktur weiter konkretisiert werden, wobei das Kontraktkonzept, die Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen zu den Absatzmittlern, im Mittelpunkt steht. 571 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… 7.2.3.1 lassifizierung vertraglicher Beziehungsstrukturen zwischen K Herstellern und Absatzmittlern Die Zusammenarbeit zwischen Herstellern und ihren Absatzmittlern kann grundsätzlich mit oder ohne explizite vertragliche Vereinbarung zwischen den Partnern erfolgen. Seit den 1970er-Jahren lässt sich jedoch ein eindeutiger Trend zu einer vertraglichen Regelung der Beziehungen feststellen. Das Bestreben der Herstellerseite, eine umfassende Einflussnahme im Absatzkanal zu erlangen, hat dabei zur Herausbildung zahlreicher Formen sog. vertraglicher Vertriebssysteme geführt. Vertragliche Vertriebssysteme Vertragliche Vertriebssysteme stellen eine Form der Verhaltensabstimmung zwischen selbstständig bleibenden Industrie- und Handelsunternehmen dar, die auf individualvertraglichen Vereinbarungen basiert (vgl. Ahlert 1981, S. 45 f.). Vertragliche Vertriebssysteme stellen insofern immer zwischenbetriebliche Kooperationen dar. Sie decken ein breites Spektrum alternativer Bindungsformen zwischen den Extrempunkten völlig freier (sog. anarchistischer) Beziehungen zwischen den Systempartnern einerseits und einer vollständigen Bindung, bei Anweisungsvertrieb über herstellereigene Verkaufsorgane, andererseits ab. Liegen bei freien Beziehungen zwischen den Partnern praktisch unbegrenzte Gestaltungsfreiräume der Absatzmittler vor, so nehmen diese im Verlauf immer weiter ab, je näher sich der Systemtyp an einen reinen Anweisungsvertrieb annähert. Analog dazu nehmen die Steuerungsmöglichkeiten des Herstellers zu (Wöllenstein 1996, S. 62). 7.2.3.2 Kommissionsvertrieb Der Kommissionsvertrieb gehört zu den klassischen rechtlichen Ausgestaltungsformen von vertraglichen Vertriebssystemen (vgl. Wirtz 2022, S. 331 f.). Das Wesen des Kommissionsvertriebes wie auch die grundlegenden Rechte und Pflichten der Vertragsparteien sind umfassend gesetzlich geregelt (§§ 383–406 HGB). Demnach sind Kommissionäre nach § 383 HGB Kaufleute, die gewerbsmäßig Waren für Rechnung eines anderen im eigenen Namen kaufen oder verkaufen. Im Einzelnen leiten sich aus dem Gesetzestext die folgenden zentralen Rechte und Pflichten des Herstellers (Kommittent) und Händlers (Kommissionär) ab: 55 Ausführungs- und Sorgfaltspflicht des Kommissionärs, 55 Interessenwahrungspflicht (Konkurrenzausschluss oder Verkauf nach dem Prioritätsprinzip bei mehreren Herstellern), 55 Verpflichtung des Kommissionärs, den Weisungen des Kommittenten Folge zu leisten, 55 Benachrichtigungspflicht des Kommissionärs, 55 Rechenschaftspflicht des Kommissionärs sowie 55 Verpflichtung, den Erlös aus dem Kommissionsgeschäft an den Kommittenten weiterzuleiten. Das Weisungsrecht gegenüber dem Kommissionär begründet für den Hersteller das zentrale Steuerungsinstrument im Absatzkanal. Infolge der erheblichen Einflussmöglichkeiten (insbesondere auch in Form der Preisvorgabe) stellt das Weisungs- 7 572 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen recht die umfassendste Schutzposition für die Durchsetzung der Herstellerinteressen dar, was gleichzeitig jedoch auch Grund zur Kritik aus wettbewerbspolitischer Perspektive ist. 7.2.3.3 Vertriebsbindungs- und Alleinvertriebssysteme Vertriebsbindung Unter einer Vertriebsbindung versteht man allgemein die vertragliche Verpflichtung eines Absatzmittlers zur Einhaltung eines bestimmten, durch den Hersteller definierten Absatzkanals (vgl. Florenz 1991, S. 51). 7 Vertriebsbindungen existieren in mannigfaltigen Erscheinungsformen. Entsprechend ihrem materiellen Inhalt lassen sich drei verschiedene Klassen von Vertriebsbindungen unterscheiden: 55 Vertriebsbindungen räumlicher Art 55 Vertriebsbindungen personeller Art 55 zeitbezogene Vertriebsbindungen Durch Vertriebsbindungen räumlicher Art soll das Aktivitätsfeld von Absatzmittlern auf ein geografisch begrenztes Absatzgebiet beschränkt werden. Das herstellerseitige Ziel derartiger Gebietsbindungen besteht in einer räumlichen Optimierung der Vertriebsnetzdichte bei gleichzeitiger Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher (z. B. Logistikkosten) und konkurrenzbezogener (z. B. Dichte von Konkurrenz-­ Händlernetzen) Restriktionen. Demgegenüber sind Vertriebsbindungen personeller Art auf eine Begrenzung des Absatzes an bestimmte Abnehmerkreise gerichtet. Besondere Bedeutung besitzen derartige Bindungen bei mehrstufig-indirekten Vertriebswegen. Hier kann durch personelle Bindungen ein sog. durchlaufendes Bindungssystem (vgl. Florenz 1991, S. 51) etabliert werden, bei dem der Hersteller auch auf der dritten oder vierten Absatzstufe eine Belieferung zuvor genau spezifizierter Abnehmergruppen durchzusetzen vermag (vgl. Wirtz 2022, S. 334). Zeitliche Vertriebsbindungen betreffen schließlich prozessualzeitliche Aspekte der Warenlieferung und -lagerung innerhalb des Absatzkanals. Typische Beispiele sind Terminklauseln beim Zeitschriftenvertrieb oder die Vorgabe maximaler Lagerzeiten bei verderblichen Waren. Vertriebsbindungs- und Alleinvertriebssysteme unterscheiden sich hinsichtlich der Art und Intensität vereinbarter Bindungen zwischen einem Hersteller und seinen Absatzmittlern. Vertriebsbindungssysteme sind auf eine qualitative Selektion der in den Absatzkanal eingeschalteten Absatzmittler gerichtet und dienen insofern der Umsetzung von selektiven Vertriebskonzepten (vgl. Ahlert 1996, S. 197). Im Mittelpunkt steht hierbei eine dem Marketingkonzept des Herstellers adäquate Händlerauswahl. Diese basiert insbesondere auf personellen Vertriebsbindungen in Gestalt von Händlerselektionsklauseln. 573 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… Typische Selektionsklauseln sind: 55 personelle Händlermerkmale (z. B. Händlerqualifikation, Qualifikation und Anzahl von Mitarbeitern), 55 leistungsprogrammbezogene Merkmale (z. B. Bereitstellung geeigneter Verkaufsund Lagerflächen, Existenz notwendiger Serviceeinrichtungen) sowie 55 finanzielle Merkmale (insbesondere Bonität und Finanzkraft des Händlers). Über die in Vertriebsbindungssystemen vorgenommene qualitative Absatzmittlerselektion hinaus beinhalten Alleinvertriebssysteme zusätzlich eine quantitative Selektion der in den Vertriebsweg eingeschalteten Händler. Alleinvertriebssysteme besitzen daher insbesondere bei Verfolgung von exklusiven Vertriebskonzepten große Bedeutung. Die quantitative Selektion erfolgt insbesondere anhand restriktiver räumlicher Vertriebsbindungen. Der Hersteller beschränkt hierbei den Aktionsradius eines Händlers auf ein genau definiertes Absatzgebiet (Bindung des Absatzmittlers) und sichert dem Händler gleichzeitig für das entsprechende Gebiet eine exklusive Belieferung zu (Eigenbindung des Herstellers). Diesem Vorteil aus Händlersicht stehen allerdings weitere Bindungen entgegen, durch welche die Autonomie des Absatzmittlers eingeschränkt wird. Typisch sind hier vertragliche Verpflichtungen zu Werbung und Marktforschung, aber auch zur Übernahme von Reparatur-, Garantie- und Ersatzteildiensten. Zudem muss sich der Händler vielfach verpflichten, ausschließlich die Erzeugnisse des entsprechenden Herstellers zu vertreiben und auf das Angebot von Konkurrenzerzeugnissen vollständig zu verzichten (Bezugsbindung). Als typische Einsatzfelder von Alleinvertriebssystemen sind zu nennen: 55 Neueinführung risikobehafteter Produkte mit hohen Einführungsaufwendungen der Absatzmittler. 55 Gewährleistung eines gewinnbringenden Absatzpotenzials zur Amortisation der für eine dauerhafte, intensive Marktbearbeitung erforderlichen Investitionen auf Hersteller- und Handelsseite. 55 Erzielung von Effektivitäts- und Effizienzvorteilen durch Konzentration der Verkaufstätigkeit auf wenige, dauerhafte und enge Geschäftsverbindungen. 55 Marktabgrenzung bei regionaler Preisdifferenzierung und als Preisbindungsersatz. Alleinvertriebssysteme waren früher vor allem in der Automobilbranche verbreitet, wobei die Gebietsschutzklauseln zu einer Verhinderung von „Intramarken-­ Wettbewerb“ führten. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert. Einerseits aufgrund der folgenden Probleme eines extensiven Gebietsschutzes: 55 Der Erfolg des Herstellers ist direkt von der Leistungsfähigkeit des Händlers in einem bestimmten Vertragsgebiet abhängig. 55 Wegen des Querlieferungsverbotes in ein anderes Gebiet war ein Nachfrager, der mit dem für seinen Wohnsitz zuständigen Händler unzufrieden war, auch für die Marke verloren. 55 Die Ausweitung der Märkte konnte aus Kapitalmangel einzelner Händler oft nicht erfolgen (z. B. mangelnde Erweiterungsinvestitionen im Reparaturbereich). 55 In empirischen Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass sich innerhalb eines Alleinvertriebssystems verschiedene Betriebstypen entwickeln, z. B. serviceoder preisorientierte Händler. Eine Standardisierung des Marktauftrittes der Händler ist seitens der Hersteller auch in Alleinvertriebssystemen nur begrenzt 7 574 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen möglich. Vielmehr ist eine gezielte Förderung verschiedener Betriebstypen sogar sinnvoll, um den Wünschen der Nachfrager an einen Händler gerecht zu werden (vgl. Wöllenstein 1996, S. 285 ff.). Die dadurch entstehende Heterogenität der Betriebstypen ist schwer vereinbar mit den Markenzielen eines Herstellers, der auf ein konsistentes Auftreten am Markt angewiesen ist. 7 Neben diesen Gründen beschränken rechtliche Veränderungen die Möglichkeiten eines Alleinvertriebssystems in der Automobilbranche. Die am 1. Oktober 2003 ­vollständig in Kraft getretene Kfz- Gruppenfreistellungsverordnung (GVO 1400/02) stärkte die Unabhängigkeit von Automobilhändlern und Werkstätten innerhalb der Europäischen Union (EU). Dadurch sollte der „Intramarken-Wettbewerb“ gestärkt und die Preisharmonisierung gefördert werden. Für die Hersteller bedeutete das einen noch geringeren Einfluss auf das Verhalten der Händler. Seit dem 01.06.2013 hat die neu eingeführte VO 330/2010 die GVO 1400/02 aus dem Jahr 2003 abgelöst. Unter gewissen Voraussetzungen ist nun für die Hersteller auch wieder die Möglichkeit des Ausschließlichkeitsvertriebs durch einen Händler eingeräumt. Heute findet sich der Alleinvertrieb insbesondere noch im Gaststättengewerbe (bspw. Alleinbelieferung einer Gaststätte innerhalb eines Bezirkes mit einer bestimmten Biersorte). 7.2.3.4 Vertragshändler- und Franchisesysteme Vertragshändler- und Franchisesysteme sehen im Vergleich zu den bislang beschriebenen Vertriebssystemen eine noch stärkere Begrenzung der Gestaltungsfreiräume der Absatzmittler vor. Das zentrale Motiv von Herstellern zur Einführung derartiger Vertriebssysteme liegt in der Möglichkeit, die spezifischen Vorteile von Filialsystemen (insbesondere eine vollständige und durchgängige Steuerbarkeit) zu realisieren, ohne aber deren Nachteile (z. B. hoher Kapitalbedarf, Motivationsprobleme) in Kauf nehmen zu müssen. Im Zusammenhang mit Vertragshändler- und Franchisesystemen wird daher auch von Strategien der sog. Quasi-Filialisierung gesprochen. Wie bei den beschriebenen Formen des Alleinvertriebes liegt auch beim Vertragshändlersystem ein auf Dauer gerichteter Vertrag vor. Dabei wird der Vertragshändler in der Weise für den Hersteller tätig, dass er den Kauf bzw. Verkauf der Vertragsware im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durchführt. Gleichzeitig ist er i. d. R. verpflichtet, eine Mindestmenge an Vertragswaren auf Lager zu nehmen und jeden Monat einen Mindestbestand an Erzeugnissen abzunehmen. Ein weiterer – je nach Branche – wesentlicher Vertragsbestandteil ist der Kunden- bzw. Reparaturdienst des Vertragshändlers (z. B. bei technisch komplizierten und wartungsbedürftigen Produkten). In Verbindung damit wird auch eine Schulung der Mitarbeiter (technisches Personal und Verkäufer) vereinbart. Der Vertragshändler ist zur Absatzförderung der Vertragswaren verpflichtet und unterwirft in Erfüllung dieser Verpflichtung die Ausgestaltung seiner absatzpolitischen Instrumente den Interessen des Herstellers (z. B. Sortimentsgestaltung, Werbe- und Verkaufsförderungsaktionen, Rabatte). Durch die Verwendung des Herstellerzeichens im Geschäftsverkehr und durch sein systemkonformes Auftreten am Markt bringt der Vertragshändler seine Zugehörigkeit zum Vertriebsnetz des Herstellers zum Ausdruck, wobei jedoch ein völliger Verzicht auf die Darstellung der eigenen Firma im Geschäftsverkehr (wie bei Franchisesystemen) nicht erfolgt. Weite 575 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… Verbreitung finden Vertragshändlersysteme in der Automobilindustrie. Hier werden die Händlernetze verschiedener Hersteller (z. B. in der Volkswagen-Gruppe) zumeist als Vertragshändlersysteme geführt. Die im Spektrum vertraglicher Vertriebssysteme engste Form vertraglicher Bindungen stellen schließlich Franchiseverträge dar. Franchisesystem Ein Franchisesystem zeichnet sich durch eine kooperative, langfristige, vertraglich umfassend geregelte Beziehung zwischen einem Franchisegeber und einer Vielzahl von ­rechtlich selbstständig bleibenden Franchisenehmern aus. Der Franchisegeber erlaubt dem und verpflichtet den Franchisenehmer, bestimmte Leistungen unter Verwendung von Namen, Warenzeichen und Ausstattung des Franchisegebers an Dritte abzusetzen. Dafür zahlt der Franchisenehmer ein Entgelt, das i. d. R. eine fixe Eintrittsgebühr, die bei etablierten Systemen die Millionengrenze überschreiten kann, umfasst. Daneben sind variable Zahlungen an die Systemzentrale zu entrichten, die normalerweise umsatzabhängig sind (vgl. Preißner 2009). Franchisesysteme haben in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen, weil sie den Herstellern eine weitgehende Durchsetzung ihres Marketingkonzepts bis zum Endverbraucher ermöglichen und oft eine gute Möglichkeit zur Umgehung mächtiger Absatzmittler bieten (vgl. Gillis et al. 2020). Die Anzahl der Franchisenehmer ist in Deutschland zwischen 2012 und 2022 um 28 % gestiegen (Deutscher Franchiseverband 2022). Franchising kann wie folgt definiert werden: Franchising „Franchising ist ein vertikal-kooperativ organisiertes Vertriebssystem rechtlich und finanziell selbständiger Unternehmen auf der Basis eines vertraglichen Dauerschuldverhältnisses, wobei die Systemführerschaft dem Franchisegeber obliegt“ (Esch et al. 2013, S. 355). Grundsätzlich lassen sich drei Grundtypen des Franchisings unterscheiden (vgl. Kotler et al. 2016, S. 594 f.): 55 Herstellergeführtes Einzelhändler-Franchising: Hersteller (insbesondere in der Automobilindustrie) übertragen den Vertrieb an regionale, selbstständige Händlerbetriebe. Dieses Modell wird z. B. von BMW und Shell eingesetzt. 55 Herstellergeführtes Großhändler-Franchising: Der Hersteller beliefert den Großhandel mit Material, maschineller Ausrüstung und Know-how. Die Fertigstellung des Produktes und den Vertrieb an den Einzelhandel übernimmt der Großhandel. Ein typisches Beispiel ist das Unternehmen Coca-Cola, das über die nationalen Zentralen die verschiedenen Sirup-Konzentrate an regionale Abfüllbetriebe liefert. 55 Dienstleistungs-Franchising auf Einzelhandelsstufe: Die bekannteste Form ist die Vergabe von Lizenzen durch den Dienstleistungsanbieter an Einzelhändler, die für den Franchisegeber die Dienstleistung erbringen. Hierzu gehören bspw. die Franchisesysteme McDonald’s, TUI/First und Europcar. 7 576 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen . Tab. 7.6 7 Gegenseitige Leistungen und Pflichten in Franchisesystemen Leistungen/Pflichten des Franchisegebers Leistungen/Pflichten des Franchisenehmers Bereitstellung von Produkt, Firmen- und Markenzeichen Überlassung des System-Know-hows Gewährung von Nutzungsrechten am Systemimage Hilfe beim Betriebsaufbau Werbung, Verkaufsförderung, Aktionen, Sortimentsplanung Laufende Beratung auf allen Unternehmensgebieten Betriebswirtschaftliche Dienstleistungen, Organisationsmittel Laufende Aus- und Weiterbildung der Franchisenehmer Erfahrungsaustausch Belieferung bzw. Nachweis von Einkaufsgelegenheiten zu festgelegten Konditionen Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Systems Gewährung von Gebietsschutzrechten Führung des Geschäfts nach vorgegebenen Richtlinien Verwendung von Marken und Zeichen des Franchisegebers Vorbehaltloser Einsatz für das System Wahrung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Periodische Daten- und Ergebnismeldung Ausschließlicher Leistungsbezug beim Franchisegeber oder bei vorgegebenen Quellen Duldung von Kontrollen und Inspektionen Anerkennung des Weisungsrechts des Franchisegebers Sortimentsbildung und Einhaltung der Systemstandards Inanspruchnahme der Dienstleistungen des Franchisegebers Abführung einer Franchisegebühr (variabel/fix) Franchiseverträge enthalten eine Vielzahl gegenseitiger Leistungen und Pflichten, die sowohl den Marktauftritt des Systems als auch das Verhältnis zwischen der Systemzentrale und den Franchisenehmern regeln. Diese sind in . Tab. 7.6 zusammenfassend dargestellt. Die Duldung von Ergebnis- und Verhaltenskontrollen des Franchisegebers beim Franchisenehmer, die Anerkennung eines Weisungsrechtes des Franchisegebers oder auch die Pflicht zur kontinuierlichen Weitergabe von Marktinformationen und Betriebsergebnissen des Franchisenehmers schränken dessen wirtschaftliche Selbstständigkeit nachhaltig ein, während die rechtliche Selbstständigkeit vollständig erhalten bleibt. Die Existenz eines sämtliche Leistungsbereiche der Absatzmittler umfassenden Vermarktungskonzepts in Verbindung mit einer detaillierten vertraglichen Regelung des Innenverhältnisses der Systempartner machen letztlich das Wesen des Franchisings aus und offenbaren gleichzeitig die zentralen Unterschiede gegenüber den übrigen Formen vertraglicher Vertriebssysteme. Durch das weitestgehend standardisierte Auftreten am Markt nimmt ein Franchisesystem aus Nachfragersicht die Züge eines herstellereigenen Filialsystems an. Die vielfach erforderliche Einbringung des notwendigen Betriebskapitals, bisweilen auch des Ladenlokals durch den Franchisenehmer (i. d. R. als Teil der fixen Eintrittsgebühr), entlastet zugleich den Franchisegeber nachhaltig. Das Systemwachstum erfordert daher aus Sicht der Systemzentrale ein geringeres Investitionsvolumen. Franchisesysteme vermögen daher im Vergleich zu herstellereigenen Filialsystemen ein vielfach höheres Wachstumstempo zu realisieren. Gleichzeitig verbleibt dem Franchisenehmer trotz aller Weisungs- und Kontrollrechte der Systemzentrale die unternehmerische Selbstständigkeit. Im Vergleich zu angestellten Filialleitern besitzen Franchisenehmer dadurch i. d. R. eine höhere 577 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… .. Tab. 7.7 Die 10 größten Franchisesysteme weltweit nach Anzahl der Standorte. (Quelle: Franchise Direkt 2018) Platz Unternehmen Geschäftsfeld Gründungsjahr Herkunftsland Anzahl Standorte weltweit (gerundet) 1 7-Eleven Lebensmittel-­ einzelhandel 1927 USA 60.000 2 Subway Fast Food 1965 USA 45.000 3 McDonald’s Fast Food 1955 USA 36.500 4 Kumon Nachhilfe 1958 Japan 26.000 5 KFC Fast Food 1930 USA 20.000 6 Pizza Hut Fast Food 1958 USA 15.500 7 Burger King Fast Food 1954 USA 15.000 8 Domino’s Pizza Fast Food 1960 USA 13.200 9 Spar Lebensmittel-­ einzelhandel 1932 Niederlande 12.200 10 Dunkin’ Donuts Bäckerei 1950 USA 12.000 Leistungsmotivation, die sich positiv auf die Effizienz des Gesamtsystems auswirkt. . Tab. 7.7 zeigt die größten Franchisesysteme weltweit. Franchise-Systeme sind nur Erfolg versprechend, wenn die Zusammenarbeit zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer klar geregelt ist und die Interessen beider Seiten berücksichtigt werden (vgl. Rahatullah und Raeside 2008, S. 27 f.). Die wesentlichen Erfolgsfaktoren zur Erzielung einer langfristigen Bindung des Franchisenehmers an den Franchisegeber wurden in einer Studie von Leslie und McNeill (2010) untersucht. Es wurden insgesamt zwölf qualitative Tiefeninterviews mit Franchisenehmern von zwei verschiedenen Franchise-Ketten geführt. Im Ergebnis lassen sich sechs wesentliche Erfolgsfaktoren identifizieren, welche die Erwartung des Franchisenehmers hinsichtlich der Markenleistung des Franchisegebers beeinflussen. 55 Wahrgenommener Franchise-Markenwert 55 Kosten des Franchise-Eintritts 55 Finanzielles Ergebnis 55 Wachstum und Überlebensdauer 55 Innovation 55 Persönliche Faktoren Die sechs Erfolgsfaktoren beeinflussen schließlich die Erwartung des Franchisenehmers hinsichtlich der Markenleistung des Franchisegebers. Dies wiederum beeinflusst die Zufriedenheit des Franchisenehmers und sowohl direkt als auch indirekt über die Zufriedenheit die Fortsetzung der Aktivitäten des Franchisenehmers (vgl. 7 578 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen Leslie und McNeill 2010, S. 32). Gelangt ein Franchising-System über die nationalen Grenzen hinaus in den internationalen Kontext, sind noch weitere Kriterien von Belang. Speziell die Standortwahl und die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Zielländer werden hierbei relevant (zur Diskussion der Internationalisierung und neuer Entwicklungen von Franchising-Systemen vgl. Alon 2006; Dant 2008). 7.2.4 7 Stimulierungskonzept Die konkrete Akquisition der zuvor selektierten Absatzmittler unterscheidet sich vom Stimulierungskonzept in den Maßnahmen nur graduell. So kann ein ­händlerfreundliches Rabattsystem sowohl einen Anreiz zur Akquisition darstellen als auch zur Verhaltensbeeinflussung der akquirierten Absatzmittler eingesetzt werden. Differenzierungskriterium zwischen Akquisitions- und Stimulierungskonzept ist zumeist allein der Zeitbezug der Maßnahmen. Während Akquisitionsmaßnahmen regelmäßig auf den Beginn einer Kooperation zwischen Hersteller und Absatzmittler gerichtet und somit zeitpunktbezogen sind, weisen Stimulierungsmaßnahmen einen Zeitraumbezug auf. Die Absatzmittler sollen damit dauerhaft zu einem aus Herstellersicht zielkonformen Handeln bewegt werden. Grundsätzlich muss jedes Unternehmen im Rahmen der Absatzmittlerstimulierung zunächst die Frage nach einer primär auf Absatzmittler (Push-Strategie) oder Endverbraucher (Pull-Strategie) ausgerichteten Vorgehensweise beantworten (vgl. . Tab. 7.8). Bei der Push-Strategie werden den Absatzmittlern vom Hersteller Anreize geboten, die diese zu einer Listung und eigenständigen Förderung der entsprechenden Herstellermarken veranlassen sollen. Es wird versucht, die Marke in die Regale des Handels „hineinzudrücken“. Durch die Präsenz der Marke im Handel und deren besondere, von Händlerseite forcierte Hervorhebung im Vergleich zu den relevanten Konkurrenzprodukten wird letztlich der entscheidende Anstoß für einen Kauf durch den Endverbraucher gegeben. Bei mehrstufigen Absatzkanälen stellt sich weiterhin die Frage, wie das zur Verfügung stehende Budget auf die einzelnen Handelsstufen verteilt werden soll. Grundsätzliche Alternativen bei einem zweistufigen Absatzkanal liegen in einer Mittelkonzentration auf der Großhandelsstufe oder alternativ einer Bündelung der Anreizgewährung auf der Einzelhandelsstufe. . Tab. 7.8 Ansätze für ein Beziehungsmanagement zwischen Hersteller und Handel Pull-Anreize Schaffung einer Profilierung der Marke Schaffung von Nachfragepotenzial Push-Anreize Kooperationsanreize z. B. Hineinverkauf Exklusivität Abverkauf Verkaufsförderungsaktionen (z. B. Promotions) Qualitativ hochwertige Betreuung Efficient Consumer Response Category Management 579 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… Demgegenüber wird bei einer Pull-Strategie der Nachfrager direkt durch die Kommunikationsmaßnahmen des Herstellers angesprochen, die Absatzmittler somit übersprungen („Sprungwerbung“). Der hierdurch angeregte Bedarf führt zur aktiven Nachfrage der Konsumenten beim Handel im Sinne eines Nachfragesoges. Dadurch wiederum sieht sich der Handel, im Idealfall ohne weitere Herstellerinitiative, veranlasst, die Marke im Sortiment zu führen. Die Stimulus-Reaktions-Muster beider Strategiealternativen unterscheiden sich grundlegend voneinander. Insbesondere die Absatzmittlerrolle differiert deutlich, wobei den Absatzmittlern bei der Verfolgung von Push-Strategien eine wesentlich aktivere Rolle innerhalb des Absatzkanals zukommt. In der Unternehmenspraxis stellen sich die Push- und Pull-Strategie indes nicht als alternative Handlungsoptionen dar. Vielmehr sind i. d. R. Kombinationen von absatzmittler- und endverbrauchergerichteten Maßnahmen anzutreffen. Das Entscheidungsproblem bezieht sich somit auf eine optimale Allokation des Marketingbudgets auf Push- und Pull-Maßnahmen. 7.2.5 7.2.5.1 ptimierungsansätze für die integrierte Steuerung O des gesamten Absatzkanalsystems Supply Chain Management Der Begriff „Supply Chain“ kann mit „Lieferkette“ übersetzt werden und bezeichnet den gesamten Wertschöpfungsprozess, den ein Produkt auf dem Weg vom Vorproduktlieferanten über den Endprodukthersteller bis zum Endverbraucher durchläuft. Das „Supply Chain Management“ (SCM) betrachtet diesen Prozess vom Anfang bis zum Ende. Somit beschränkt sich die Betrachtungsweise nicht nur auf unternehmensinterne Prozesse, sondern wird um unternehmensexterne Prozesse erweitert (vgl. Pfohl 2018, S. 337 ff.). Supply Chain Management Supply Chain Management kennzeichnet die internen und netzgerichteten Unternehmensaktivitäten von Versorgung, Entsorgung und Recycling, inklusive der Geldund Informationsflüsse (vgl. Werner 2020, S. 3 ff.). Das SCM ist insoweit umfassender angelegt als das klassische Absatzkanalmanagement, weil es nicht nur die Beziehungen zwischen Endproduktherstellern, deren Absatzmittlern bzw. -helfern und Endverbrauchern gestaltet, sondern zusätzlich auch die Lieferanten der Endprodukthersteller einbezieht. Die Aufgabe des SCM ist die unternehmensübergreifende Optimierung der gesamten Lieferkette. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich Schnittstellen zwischen den Vorproduktlieferanten, dem eigenen Unternehmen, den Absatzmittlern und -helfern sowie den Endverbrauchern verbessern lassen (vgl. Arndt 2021, S. 44 ff.). Dabei werden zwei Oberziele verfolgt: Die bestmögliche Erfüllung der Nachfragerbedürfnisse und die Effizienz des Ressourceneinsatzes für die gesamte Lieferkette. Die konsequente Orientierung am Nachfrager spiegelt sich im Begriff „Supply“ bzw. Lieferung allerdings nicht wider. Dieser impliziert, dass die Impulse vom Lieferanten 7 580 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen Supply Chain Management Beschaffungs- und Lieferantenmanagement Lieferant der Lieferanten Lieferant der Lieferanten Vertrieb und Auftragsabwicklung Lieferant Lieferant Endproduktehersteller Absatzmittler Absatzhelfer Endverbraucher Lieferant Informationsflüsse 7 Materialflüsse Finanzmittelflüsse .. Abb. 7.8 Struktur und Aufgabenbereich des Supply Chain Managements ausgehen. Beim SCM wird der Wertschöpfungsprozess aber vom Endverbraucher angestoßen, z. B. durch die Bestellung eines Kraftfahrzeuges. Deshalb könnte der Begriff „Supply“ durch „Demand“ ersetzt werden (vgl. Arndt 2021, S. 45). Ebenso ist die Bezeichnung und Darstellung einer Supply Chain als (Liefer-) Kette eine starke Vereinfachung der Realität. In der Praxis ist das System weitaus komplexer: Wie . Abb. 7.8 illustriert, sind auf der Beschaffungsseite meistens mehrere Lieferanten vorhanden, die wiederum selbst von Zulieferern bedient werden. Auf der Absatzseite werden in fast allen Unternehmen mehrere Absatzkanäle, Absatzmittler und -helfer eingesetzt, damit das Produkt zum Endverbraucher gelangt. Insgesamt besteht eine Lieferkette also aus einer Vielzahl von Partnern, die in verschiedenen Beziehungen zueinanderstehen, weshalb eher von einem Netzwerk als von einer Kette gesprochen werden müsste (vgl. Arndt 2021, S. 41 ff.). In . Abb. 7.8 wird weiterhin deutlich, dass nicht nur Materialflüsse untersucht und optimiert werden, sondern auch Informations- und Finanzmittelflüsse. Für die Steuerung der Informationsflüsse sind moderne Technologien, insbesondere solche zur automatischen Identifikation (Auto-ID) von Objekten, von besonderer Bedeutung. Zukünftig ist mit einem vermehrten Einsatz moderner Systeme und Technologien zu rechnen, die sowohl der Identifikation von Objekten als auch der Sendungsverfolgung dienen und als Telematiksysteme bezeichnet werden. In der Transportlogistik stehen Tracking und Tracing für die Sendungsverfolgung per Internet. Diese macht den Materialfluss in der Lieferkette für Unternehmen, Lieferanten und Kunden transparent und deckt dadurch Optimierungspotenziale auf (vgl. Wannenwetsch 2010, S. 379 ff.). Noch einen Schritt weiter geht die Technik der Radio Frequency Identification (RFID), die auf Radiowellen basiert. Mit Hilfe von RFID können bspw. zu jederzeit die exakten Bestände am Point of Sale erfasst und automatische Bestellungen initiiert werden. Die Anwendungsgebiete von RFID sind vielfältig und versprechen nicht 581 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… nur bei der Steuerung des Warenflusses, sondern z. B. auch beim Bezahlvorgang am Point of Sale oder beim Erfassen von Kundeninformationen einen erheblichen Nutzenvorteil gegenüber den bisherigen Systemen. Die gewonnenen Informationen lassen sich zudem im Rahmen des CRM oder bei der Neuproduktgestaltung einsetzen (vgl. Bose et al. 2008). Die Optimierung einer Lieferkette ist mit hohen Anfangs- und Folgeinvestitionen verbunden, z. B. durch den Aufbau und die Wartung der beschriebenen IT-­ Infrastruktur. Vor diesem Hintergrund ist die Relevanz der folgenden Erfolgspotenziale des SCM im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, bevor finale Investitionsentscheidungen getroffen werden (vgl. Lucke und Wölfel 2006, S. 99 f.): 55 Reduzierung der Lagerbestände in der gesamten Lieferkette. Dadurch wird weniger Kapital gebunden. 55 Steigerung der Kundenzufriedenheit durch Erhöhung des Lieferserviceniveaus (insbesondere eine Verkürzung der Lieferzeit und eine Erhöhung der Lieferzuverlässigkeit). 55 Vermeidung von Umsatzverlusten durch Fehlartikel („Out of Stock“). 55 Flexible und zeitnahe Anpassungen an Veränderungen der Markt- und Umweltbedingungen. 55 Frühzeitiges Reagieren und damit Beherrschen von Ausnahmesituationen, wie z. B. bei Nachfragespitzen, Störungen in der Produktion oder bei Lieferengpässen der Zulieferunternehmen. 55 Kostenvorteile durch Abstimmung und Synchronisation über die gesamte Lieferkette. Unternehmen, die SCM umgesetzt haben, konnten ihre Lagerbestände signifikant senken (vgl. Kim 2007, S. 323 ff.). Dies ist von besonderer Bedeutung, da der Lagerbestand ein wesentlicher Kostentreiber der Logistik ist. Pfohl (2018, S. 99 ff.) zeigt auf, dass eine Reduzierung des Lagerbestandes einen erheblichen Einfluss auf den RoI (Return on Investment) hat. Zum einen müssen die Kosten für den Aufbau, Betrieb und Erhalt der Lager berücksichtigt werden, zum anderen entstehen Opportunitätskosten durch die Bindung von Kapital. Die Reduzierung der Lagerbestände in der gesamten Lieferkette ist deshalb ein zentrales Ziel des SCM. Um das Ziel der Lagerbestandsreduzierung zu erreichen, wird im Rahmen von SCM das Konzept der Just in Time-Belieferung (JiT) angewendet. JiT bedeutet, die Ware genau zu dem Zeitpunkt zu liefern, zu dem sie der Nachfrager benötigt. Das Konzept wird sowohl in der Beschaffungs- als auch in der Produktionslogistik eingesetzt (vgl. Chan et al. 2010, S. 6293 ff.). 7.2.5.2 Efficient Consumer Response Management (ECR) „Efficient Consumer Response“-Management (ECR), also die Sicherstellung einer effizienten Reaktion auf Konsumentenwünsche, ist ein Managementkonzept aus der Unternehmenspraxis, das in den 1990er-Jahren in den USA entstand (vgl. Lenz 2008, S. 56 ff.). Es beschreibt eine kooperative Partnerschaft zwischen Industrie und Handel, welche die Bedürfnisse des gemeinsamen Kunden „Endverbraucher“ besser befriedigen und Ineffizienzen in der Lieferkette beseitigen soll. Um dies zu erreichen, ist eine unternehmensübergreifende und sehr eng aufeinander abgestimmte Steuerung und Optimierung des Waren- und Informationsflusses zwischen beiden Partnern notwendig (vgl. Ahlert et al. 2020, S. 218 f.). 7 582 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen Efficient Consumer Response Management (ECR) SCM 7 Logistikperspektive (Supply-Side) Nachfragerperspektive (Demand-Side) Managementmodul Efficient Replenishment Managementmodul Efficient Store Assortment Managementmodul Efficient Product Introduction Managementmodul Efficient Promotions Effizienter nachfragegesteuerter Warennachschub Effiziente Sortimentsgestaltung Effiziente Produktneueinführung Effiziente Verkaufsförderung Category Management (CM) Basistechnologien für ECR (ECR Enabling Technologies), z.B. Electronic Data Interchange, Scanner-Kassen .. Abb. 7.9 Grundstruktur des Efficient Consumer Response Managements. (Quelle: In Anlehnung an Zentes und Swoboda 2005, S. 1076) Die Aufgaben und Ziele von ECR sind denen des SCM ähnlich. Allerdings unterscheiden sich die beiden Konzepte hinsichtlich der folgenden Kriterien: 55 ECR fokussiert sich vor allem auf die Prozesse zwischen Hersteller und Absatzmittler, während SCM die gesamte Lieferkette vom ersten Vorproduktlieferanten bis zum Endverbraucher betrachtet. SCM setzt somit wesentlich früher ein als ECR. 55 ECR kann in eine Nachfragerperspektive (Demand-Side) und eine Logistikperspektive (Supply-Side) aufgespalten werden, während SCM sich hauptsächlich auf logistische Fragestellungen konzentriert. . Abb. 7.9 zeigt die Grundstruktur des ECR-Konzepts. Zunächst wird zwischen der Logistik- und der Nachfragerperspektive unterschieden. Jeder Perspektive werden Managementmodule zugeordnet, mit deren Hilfe das Konzept umgesetzt werden kann. Für die Umsetzung der Module sind Basistechnologien notwendig (ECR Enabling Technologies), die einen reibungslosen Informationsfluss sicherstellen sollen. Hierzu zählen bspw. die Erfassung der Abverkaufsdaten durch Scanner-­Kassen oder der elektronische Datenaustausch (Electronic Data Interchange, EDI) zwischen Hersteller und Händler (vgl. Werner 2020, S. 361 ff.). Aus der Logistikperspektive soll durch das Efficient Replenishment ein effizienter, nachfragegesteuerter Warennachschub sichergestellt werden. Ziel ist es, durch die Optimierung der Prozesse zwischen Hersteller und Händler Ressourcen zu sparen (z. B. durch die Reduzierung von Lagerbeständen) und die Nachfragerbedürfnisse besser zu befriedigen (z. B. frischeres Gemüse durch verkürzte Lieferzeiten). Das Efficient Replenishment ist verantwortlich für die Verbesserung der Logistikprozesse von der Produktion der Hersteller über die Lagerung bis zur Belieferung der Verkaufsstellen des Handels (vgl. . Tab. 7.9). Ineffizienzen entstehen in diesem Pro- Efficient Store Assortment Kontinuierliche Sortiments-­ Verbesserung Bedarfsorientierte Warengruppen-­ Einteilung Denken in geschlossenen, warengruppenorientierten Geschäftseinheiten (Category Management) Funktionenübergreifende Organisation Automatische, nachfragegesteuerte Disposition und Produktion (Continuous Replenishment Program) Just-in-Time-Belieferung Cross Docking Bestandsreduktion Schnelle Reaktion auf Verbraucherverhalten Reduzierung der Floprate Gemeinsamer Produktentwicklungsprozess Durchführung gemeinsamer Markttests Efficient Product Introduction Aufgaben der vier ECR-Managementmodule. (Quelle: In Anlehnung an Ahlert et al. 2020, S. 218) Efficient Replenishment . Tab. 7.9 Volle Warenverfügbarkeit zu Promotionbeginn Reduzierung des Handlingaufwandes (z. B. durch spezielle Verpackungen bei Sonderartikeln) Schnelle Reaktion auf Verbraucherverhalten Abstimmung der Verkaufsförderungsmaßnahmen von Händler und Hersteller Efficient Promotion 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… 583 7 584 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen zess durch unternehmensindividuelle Optimierungen, d. h., dass Händler und Hersteller versuchen, ihre Prozesse ohne gegenseitige Abstimmung zu verbessern. Diese Ineffizienzen können nur dann identifiziert und beseitigt werden, wenn die gesamte Lieferkette unternehmensübergreifend betrachtet wird – dies ist die Aufgabe von Efficient Replenishment. Dadurch ergeben sich die drei zentralen Ziele von Efficient Replenishment (vgl. Braun 2002, S. 29 f.): 55 Handlingkosten reduzieren (z. B. Verladen, Auspacken oder Einräumen der Ware) 55 Durchlaufzeiten verringern (hierunter wird die Zeit verstanden, die ein Produkt von der Herstellung bis zur Verfügbarkeit für den Nachfrager am Point of Sale benötigt) 55 Lieferengpässe vermeiden, insbesondere bei stark schwankender Nachfrage (z. B. aufgrund von Promotions) 7 Das wichtigste Grundprinzip des Efficient Replenishments ist das Continuous Replenishment, d. h. die Sicherstellung eines kontinuierlichen, nachfragegesteuerten Warennachschubes (vgl. Corsten und Pötzl 2002, S. 26). Die Produkte werden nicht mehr vom Hersteller in den Handel hineingedrückt (Push-Strategie), sondern auf Basis der getätigten Bestellaufträge und der Bestandsänderungen am Point of Sale vom Hersteller produziert und an den Händler geliefert (Pull-Strategie). Somit wird das Angebot der tatsächlichen Nachfrage angepasst (vgl. Laurent 1996, S. 218). Im Idealfall übernimmt der Hersteller die Verwaltung der Bestandsdaten der gesamten Logistikkette und generiert Bestellungen beim Händler (Vendor Managed Inventory). Dafür müsste der Handel aber hochgradig vertrauensbedürftige Daten an den Hersteller übermitteln, insbesondere die Abverkaufsdaten der Vergangenheit zur Bestimmung des Lagerbestandes sowie die geplanten Abnahmemengen und die geplanten Verkaufsförderungsmaßnahmen zur besseren Bedarfsprognose (vgl. Braun 2002, S. 30 f.). Dies ist aufgrund der oftmals konfliktären Beziehung zwischen Hersteller und Handel heute ein großes Problem. Eine Alternative ist das sog. Co-Managed Inventory, bei dem nur bestimmte Bestellvorgänge an den Hersteller übertragen werden bzw. der Händler das Recht behält, Bestellungen zu ändern oder zu stornieren. Die schwächste Form der Kooperation stellt das Buyer Managed Inventory dar, bei dem die Bestellungen klassisch vom Handel generiert werden. Der Hersteller übernimmt dann nur eine beratende Funktion. Eine ebenfalls bedeutende Rolle im Rahmen des Efficient Replenishments übernimmt das Cross Docking. Beim Cross Docking soll der Zeitraum zwischen Warenanlieferung und Warenauslieferung von den Distributionslägern möglichst kurzgehalten werden, um die Lagerbestände zu reduzieren. Unterschieden wird dabei zwischen der einstufigen und der zweistufigen Kommissionierung (Zusammenstellung der Lieferpaletten für die Filialen). Bei der einstufigen Kommissionierung werden die Paletten bereits vom Hersteller filialgerecht verpackt ans Distributionszentrum geliefert und verladen. Voraussetzung ist, dass der Hersteller filialbezogene Bestellungen erhält. Bei der zweistufigen Kommissionierung wird die Ware im Distributionszentrum kommissioniert und anschließend für den Transport zu den Filialen verladen (vgl. Werner 2020, S. 152 ff.). 585 7.2 · Absatzkanalmanagement zur Realisierung der absatzmittlergerichteten… Aus der Nachfragerperspektive ist das Managementmodul „ Efficient Store Assortment“ von besonderer Relevanz. Ziel ist es, gemeinschaftlich die Handelssortimente den Nachfragerbedürfnissen anzupassen und die Warenplatzierung und – präsentation zu optimieren. Dabei wird die Sortimentsbreite und – tiefe sowie die Produkt- und Markenauswahl den jeweiligen Betriebsformen und -typen sowie den regionalen Besonderheiten angepasst. Die Sortimentskontrolle wird aufgeteilt auf Händler und Hersteller. Die Entscheidungen im Rahmen des Efficient Store Assortments basieren auf dem Austausch von produktbezogenen Marktforschungsinformationen über das Kaufverhalten von Endverbrauchern seitens der Hersteller und den Abverkaufsdaten des Handels. Grundsätzlich sind zwei Varianten denkbar. I. d. R. übernimmt der Hersteller eine beratende Funktion für den Händler, um die Sortimentsanalyse zu verbessern. Der Handel entscheidet über die Umsetzung der Herstellerempfehlungen. Dies ist die sinnvollste Variante, weil die Sortimentsbildung die Kernkompetenz des Händlers darstellt. Insbesondere über das Sortiment ist eine Profilierung gegenüber dem Wettbewerb möglich. Die Entscheidungsgewalt sollte hier beim Händler bleiben. Allerdings fehlen dem Handel oftmals die Ressourcen zur laufenden Kontrolle und Analyse der Sortimente, weshalb eine Teilung der Aufgaben notwendig ist (vgl. Hahne 1998, S. 121 ff.). Die zweite Möglichkeit ist eine komplette Delegation der sortimentspolitischen Entscheidungen an den Hersteller, was aber aus den oben genannten Gründen nur schwer umsetzbar ist. Der Hersteller stünde in einem Interessenskonflikt bei den Listungsentscheidungen, wenn die Sortimentsanalyse eine Auslistung der eigenen Produkte ergeben würde. Eine zentrale Stellung im Rahmen von Efficient Store Assortment übernimmt das Category Management (vgl. Holweg et al. 2009). Das Besondere am Category Management (CM) ist die Betrachtung von Teilsortimenten, sog. Warengruppen (Categories), als strategische Geschäftseinheiten und die Übernahme einer Mitverantwortung für die Warengruppen durch die Hersteller. Eine Warengruppe ist eine abgrenzbare und eigenständig steuerbare Gruppe von Produkten und/oder Dienstleistungen, die aus Sicht der Konsumenten als zusammengehörend betrachtet werden (z. B. Tiefkühlkost). . Abb. 7.10 zeigt eine mögliche Zusammenstellung der Warengruppe „Baby“. Jeder Warengruppe wird eine bestimmte der folgenden vier Rollen zugeteilt: 55 Profilierungssortiment (5 bis 7 % Anteil am Gesamtsortiment). Aufgabe einer Profilierungswarengruppe ist es, den Händler als führend im Vergleich zu seinen Wettbewerbern darzustellen (z. B. besonders hoher Marktanteil). 55 Pflichtsortiment (ca. 55 bis 60 %). Das Pflichtsortiment wird vom Nachfrager am Point of Sale erwartet und soll aufgrund seines hohen Anteils am Gesamtsortiment entscheidend zum Unternehmenserfolg beitragen. 55 Saisonsortiment (15 bis 20 %). Berücksichtigung saisonaler Nachfragerwünsche, z. B. Grill und Gartenprodukte im Sommer. 55 Ergänzungssortiment (15 bis 20 %). Das Ergänzungssortiment soll die Wahrnehmung der Sortimentsbreite und -tiefe des Handelsunternehmens durch den Konsumenten beeinflussen. Dabei werden Produkte angeboten, die der Konsument nicht als Pflichtbestandteil erwartet (z. B. ein exklusiver Wein). 7 586 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen Baby Babykleidung Reinigung Babytücher Öl 7 Babypflege Feucht Öl Baby Sonne Bäder dünn dünn Heilbäder dick dick Klassisch Babyartikel Windeln Allg. Pflege Kauringe Fläschchen Lotionen Cremes Gesicht Puder Schnuller Sonstige Heilsalben Popflege .. Abb. 7.10 Mögliche Zusammenstellung der Warengruppe „Babybedarf“. (Quelle: In enger Anlehnung an Glavanovits und Kotzab 2002, S. 135) Die Gestaltung der Sortimente ist konsequent an den Bedürfnissen der Nachfrager auszurichten (vgl. von der Heydt 1998, S. 105). Jede Warengruppe wird von einem Category Manager als Profit-Center geführt. Somit ist dieser letztendlich für die Maximierung des Deckungsbeitrages seiner Warengruppe verantwortlich. Neben der Sortimentzusammenstellung (hierzu gehört z. B. auch die Produktneueinführung im Rahmen der Efficient Product Introduction) fällt die Steuerung von Verkaufsförderungsmaßnahmen innerhalb der Warengruppe (Efficient Promotion) in das Tätigkeitsgebiet des Category Managers. Damit ist das Aufgabenspektrum eines Category Managers weit größer als das eines klassischen Einkäufers. Diese organisatorisch enge Verzahnung von Einkauf und Vertrieb ist ein zentrales Merkmal des CM. Ebenso die enge Kooperation zwischen Hersteller und Handel: Der Category Manager hat zwar die Entscheidungsgewalt, wird aber i. d. R. inhaltlich unterstützt durch einen Partner aus der Industrie. Dabei wird normalerweise derjenige Hersteller ausgewählt, der den größten Sortimentsanteil in der entsprechenden Warengruppe besitzt der sog. Category Captain (vgl. Fowler und Goh 2012). Eng verzahnt mit der Sortimentsgestaltung ist die Einführung neuer Produkte: Efficient Product Introduction. Die Aufgabe des Managementmoduls Efficient Product Introduction ist die Verbesserung der Produktentwicklung und -neueinführung durch umfassende Berücksichtigung von hersteller- und händlerspezifischem Know-­ how über Warengruppen, Konsumenten und Markttrends. Neben einer Senkung der Kosten für Entwicklung und Produktneueinführung versprechen sich Industrie und Handel eine deutliche Reduzierung der Flop-Rate. Hierbei kann der Hersteller stark vom Informationsvorsprung des Handels profitieren: Durch den Einsatz von Scanner-­Kassen verfügt dieser über genaue Informationen über Abverkaufszahlen und Verbundkäufe. Letztlich soll der Handel frühzeitiger in den Produktent- 587 7.3 · Marketinglogistik wicklungsprozess integriert werden, um seine Ideen, Erfahrungen und Informationen einzubringen (vgl. Chen 2008, S. 71 ff.). Die Abstimmung von Verkaufsförderungsmaßnahmen seitens der Hersteller und Händler ist Aufgabe des vierten Managementmoduls, Efficient Promotion. Neben einer besseren, weil abgestimmten Ansprache des Konsumenten soll vor allem die Logistikkette „beruhigt“ werden, indem sich z. B. der Hersteller durch eine rechtzeitige Ankündigung von Verkaufsförderungsmaßnahmen des Handels auf zu erwartende Nachfragespitzen einstellen kann (vgl. Corsten und Pötzl 2002, S. 87). Eine weitere Möglichkeit zur Reduzierung von Nachfragespitzen ist eine Ablösung von Sonderpreisaktionen zugunsten eines Dauerniedrigpreiskonzeptes, wie es bspw. der Lebensmitteldiscounter ALDI umgesetzt hat. Im Rahmen von Efficient Promotion werden Verkaufsförderungsmaßnahmen von Anfang an gemeinsam geplant, durchgeführt und kontrolliert. 7.3 Marketinglogistik Während dem logistischen System früher lediglich die Aufgabe der physischen Bewegung der Produkte zwischen Hersteller und Endverbraucher zukam, werden heute der Wert- und Informationsaspekt sowie die unternehmensübergreifende Kooperationsperspektive ergänzt. Logistik Demnach umfasst die Logistik den unternehmensübergreifenden Transport und die Lagerung von Rohstoffen, Halb- und Fertigfabrikaten sowie den damit zusammenhängenden Informationen und Werten von Rohstoff- und Vorproduktlieferanten bis zum Endverbraucher (vgl. Pfohl 2018, S. 3 ff.; Ehrmann 2017, S. 25 f.). Dieses erweiterte Begriffsverständnis hat auch im Marketing seinen Niederschlag gefunden. Die nachfolgend dargestellte Marketinglogistik ist vor diesem Hintergrund als Implementierung der zuvor getroffenen Entscheidungen des Absatzkanalmanagements zu verstehen. Diese Implementierungsaufgabe beschränkt sich im Marketing auf die endverbrauchergerechte Gestaltung des Lieferserviceniveaus durch die funktionsübergreifende Koordination aller Aktivitäten innerhalb der Lieferkette inklusive der dazugehörenden Datenströme. Das Primärziel der Marketinglogistik ist es, dem Nachfrager das gewünschte Produkt in richtiger Menge und Sorte, im richtigen Zustand, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort (= Lieferservice) und zu den dafür minimalen Kosten bereitzustellen (vgl. Pfohl 2018). Darüber hinaus lassen sich zwei weitere Zielsetzungen identifizieren. Zum einen die Minimierung der Logistikkosten. Das Ziel besteht in diesem Fall darin, ein bestimmtes Lieferserviceniveau mit Hilfe eines möglichst geringen Kosteneinsatzes zu gewährleisten. Zum anderen haben sich ökologische Zielsetzungen in der Marketinglogistik etabliert. In diesem Fall wird die Verringerung von ökologischen Belastungen in den Stufen der Marketinglogistik angestrebt (vgl. McKinnon et al. 2012). 7 588 7 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen Weiterhin können die distributionspolitischen Entscheidungen der Marketinglogistik in eine strategische und eine operative Komponente unterteilt werden. Im Rahmen der strategischen Marketinglogistik werden alle langfristig erfolgswirksamen Entscheidungen getroffen. Hierbei handelt es sich um Grundsatzentscheidungen über das angestrebte Lieferserviceniveau (vgl. ausführlich Pfohl 2018 S. 61 ff.). Ausgehend von den strategischen Entscheidungen werden im Zuge der operativen Marketinglogistik die räumlichen und zeitlichen Strukturen der Warenverteilung festgelegt. Zum einen übernehmen Distributionslager eine wichtige Rolle. Die zentrale Funktion eines Lagers ist die Aufbewahrung von Waren. Allerdings wird die Funktion des Lagers ergänzt um eine Bewegungsfunktion innerhalb des Lagers (für nähere Ausführungen zu den Funktionen vgl. Ehrmann 2017, S. 401 ff.). Zum anderen sind die Transportwege und –mittel der Waren festzulegen. Hier sind Kosten- und Leistungskriterien zu berücksichtigen. Zu den Kostenkriterien zählen insbesondere die Transportkosten. Auf Seiten der Leistungskriterien sind beispielsweise die Transportzeit, oder aber die Eignung des jeweiligen Transportmittels zu nennen (vgl. Specht und Fritz 2005, S. 149 f.). Für weitere Ausführungen zur Marketinglogistik wird auf entsprechende Lehrbücher verwiesen (vgl. Ehrmann 2017; Pfohl 2018). 7.4 7.4.1 Integrierte Erfolgsmessung in der Distributionspolitik Strategische Erfolgsmessung in der Distributionspolitik Auch die Distributionspolitik leistet einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg (vgl. . Abb. 7.11). Der Input der Distributionspolitik kann aus den Perspektiven des Competence Based View (CBV) und des Market Based View (MBV) analysiert werden. Der MBV beginnt die Untersuchung bei der Attraktivität des Marktes. Im Rahmen der Distributionspolitik ist dies die Attraktivität des Absatzkanals aus Sicht der Endverbraucher. Hier haben insbesondere geänderte Konsumgewohnheiten (z. B. die Convenience-Orientierung) und gesellschaftliche Veränderungen (z. B. mehr Einpersonenhaushalte, längere Arbeitszeiten) neue Anforderungen an die Absatzkanäle gestellt (z. B. längere Öffnungszeiten) und zu einer Attraktivitätsverschiebung bei den Absatzkanälen geführt. Ein Beispiel hierfür ist das Internet, das für die neuen Rahmenbedingungen hervorragende Eigenschaften bietet (jederzeit, an fast jedem Ort nutzbar). Eine weitere Veränderung ist das hybride Nachfragerverhalten in Bezug auf die Wahl des Absatzkanals: Ein Konsument, der beim Kauf von Büchern das Internet präferiert, kann durchaus beim Einkaufen am Wochenende den stationären Buchhandel als Absatzkanal bevorzugen. Als Folge ist es für viele Hersteller sinnvoll, mehrere Absatzkanäle parallel einzusetzen (Mehrkanalvertrieb). Nach der Festlegung der Ziel-Absatzkanäle sind erst strategisch-konstitutive (Selektions- und Kontraktkonzept), dann instrumentelle Entscheidungen (Stimulierungskonzept, SCM und ECR) zu treffen, die schließlich im Rahmen der Marketinglogistik implementiert werden. Daraus ergeben sich finanzielle Implikationen, bspw. durch Investitionen in die IT-Infrastruktur zur Umsetzung von SCM. 589 7.4 · Integrierte Erfolgsmessung in der Distributionspolitik Distributionspolitischer Planungsprozess Output: Marketing Assets Input MBV Marktattraktivität Marktliche Vermögenswerte Analyseperspektive (Absatzkanalattraktivität) Marketing-Mix (Stimulierungskonzept, SCM und ECR) Marketing-Strategie (Selektions- und Kontraktkonzept) Kosten + Investitionen (z.B. SCM-Systeme) CBV Nachfragerbeziehungen Ressourcen + Kompetenzen – Vermeidung von Umsatzverlusten, z.B. durch „Out of Stocks“ – Kundenzufriedenheit, z.B. durch guten Lieferservice – Markenkonformer Lieferservice Gesellschaftliche Vermögenswerte Stakeholderbeziehungen (z.B. Anwohner) Unternehmenswert RoI, Gewinn, EVA, Kapitalrentabilität, etc. – Lärmvermeidung Ökologische Vermögenswerte – Transportmittelwahl – Recycling (z.B. Handelskompetenz) .. Abb. 7.11 Integrierte Erfolgsmessung in der Distributionspolitik Umgekehrt geht der CBV vor: Ausgehend von den aktuell und potenziell vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen werden realisierbare Marketingstrategien und -maßnahmen, zu bearbeitende Märkte (hier: Absatzkanäle) und letztlich Budgetkonsequenzen abgeleitet. Verfügt ein Hersteller z. B. über eine hohe Handelskompetenz, so wäre aus Sicht des CBV die Vorwärtsintegration (z. B. durch die Eröffnung herstellereigener Filialen) eine sinnvolle Strategie. Der Input der Distribution soll primär dazu beitragen, die Nachfragerbeziehung zu stärken und marktliche Vermögenswerte aufzubauen. Hierzu tragen die Leistungen der Distributionspolitik in entscheidendem Maße bei. Zunächst ist eine erfolgreiche Distribution ein Hygienefaktor. Sie ist Voraussetzung dafür, dass der Nachfrager überhaupt in der Lage ist, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu erwerben. Hygienefaktoren haben sofortige Auswirkungen auf den Umsatz und somit den Unternehmenserfolg, z. B. wenn ein Nachfrager – aufgrund eines schlechten Lieferservices – am Point of Sale nicht das gewünschte Produkt kaufen kann („Out of Stock“-Situation) und stattdessen zu einem Konkurrenzprodukt greift. Umgekehrt kann ein guter Lieferservice (besonders frisches Obst durch verkürzte Durchlaufzeiten) zu Kundenzufriedenheit und -bindung führen. Durch die langfristige Bindung erhöht sich nicht nur der Kundenlebenszeitwert (Customer Lifetime Value), sondern auch der Markenwert (Brand Equity). Andererseits kann die Distributionspolitik auch die Marke schwächen, wenn bspw. ein Produkt (z. B. Rolex) über einen nicht zur Marke passenden Absatzkanal (z. B. Internet) oder Absatzmittler (z. B. Discounter) vertrieben wird. 7 590 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen Im Sinne des erweiterten Marketingverständnisses sind im Rahmen der Distributionspolitik nicht nur die Wirkungen auf die Endverbraucher, sondern auf alle Anspruchsgruppen (Stakeholder), die durch die Maßnahmen im weitesten Sinne betroffen sein könnten, zu erfassen. Ziel von Konzepten der „Green Logistics“ und „Sustainable Logistics“ ist es, gesellschaftliche (social assets) und ökologische (ecological assets) Vermögenswerte aufzubauen. Im Rahmen der Distributionspolitik sind Anwohner (z. B. wohnhaft neben einem Distributionslager) ein Beispiel für Stakeholder eines Unternehmens. Gesellschaftliche Vermögenswerte entstehen in diesem Kontext durch die Vermeidung von Lärm. Dies kann bei der Wahl der ­Transportmittel und -wege, aber auch bei der Standortwahl für Läger berücksichtigt werden. Beide Faktoren wirken auch auf die ökologischen Vermögenswerte, z. B. in dem der Kraftstoffverbrauch bei der Wahl der Transportmittel berücksichtigt wird. Ebenfalls können intelligente Recycling-Konzepte zum Aufbau ökologischer Vermögenswerte führen. 7 7.4.2 Operative Erfolgsmessung in der Distributionspolitik Das gesamte Absatzkanalsystem eines Unternehmens und einzelne Absatzkanäle können anhand von Soll-Ist-Vergleichen bewertet werden. Als Sollgrößen können die verfolgten distributionspolitischen Ziele herangezogen werden, wie z. B. Ausmaß der Kooperation bzw. Konfrontation im Absatzkanal, Flexibilität und Image des Absatzkanals oder die Vertriebskosten, die in ein aufeinander abgestimmtes Kennzahlensystem überführt werden sollten. Aufgrund ihrer Informationsfülle und praktischen Handhabbarkeit werden vor allem zwei Kontrollgrößen verwendet (vgl. Reinecke und Janz 2007, S. 324): 55 Lieferserviceniveau 55 Distributionsgrad Das Lieferserviceniveau bemisst den Zielerreichungsgrad des angestrebten Lieferservices und ist damit ein Maß für die Qualität der erbrachten Distributionsleistung. Der Umfang der enthaltenen Informationen in der Größe „Lieferservice“ sowie deren große Bedeutung für den Distributionserfolg untermauern die Relevanz des Lieferserviceniveaus als Kontrollgröße. . Tab. 7.10 zeigt eine Möglichkeit, das Lieferserviceniveau zu messen. Der ungewichtete Distributionsgrad ist ein Maß für die Präsenz des Unternehmens am Markt. Folglich bezieht der Distributionsgrad explizit die Wettbewerbssituation mit ein und spiegelt durch einen Vergleich die distributorische Wettbewerbsposition der Unternehmen wider. Der ungewichtete Distributionsgrad ist definiert als: Distributionsgrad ( ungewichtet ) Anzahl der das Produkt fuhren den PoS = . Anzahl der die entsprechende Warengruppe fuhrenden PoS Der ungewichtete Distributionsgrad vernachlässigt jedoch die unterschiedlichen Wertigkeiten der einzelnen Verkaufsstätten. Dieser Mangel wird durch den gewichteten Distributionsgrad beseitigt. Dazu werden die Verkaufsstätten gemäß einem bestimmten Kriterium, z. B. Umsatz, gewichtet. Wird der Gleichung eine Variable 591 7.4 · Integrierte Erfolgsmessung in der Distributionspolitik . Tab. 7.10 Quantifizierung des Lieferserviceniveaus. (Quelle: In Anlehnung an Weber 2010) Kriterium Quantifizierung Lieferzeit Anzahl Tage Lieferzuverlässigkeit Termin eingehalten Termin nicht eingehalten (Abweichung) Richtige Art Eingehalten Nicht eingehalten (Abweichung) Richtige Menge Eingehalten Nicht eingehalten (Abweichung) Richtiger Zustand Unversehrt Beschädigt (Ausmaß) Lieferbeschaffenheit Lieferflexibilität bzgl. Ware Anzahl Tage vor Auslieferung, an denen Änderungen noch möglich sind bzgl. Auftragserteilung Anzahl Möglichkeiten Mindestabnahmemenge bzgl. Verpackung Anzahl Verpackungsvarianten Anzahl Transportvarianten hinzugefügt, die die unterschiedlichen Gewichtungen der PoS berücksichtigt, wird der ungewichtete Distributionsgrad in den aussagekräftigeren gewichteten Distributionsgrad transformiert. (a ) (b) (c) Distributionsgrad ( gewichtet ) Gesamtumsatz der das Produkt fuhrenden PoS = PoS Gesamtumsatz aller die entsprechende Warengrupppe fuhrenden Distributionsgrad ( gewichtet ) Warengruppenumsatz der das Produkt fuhrenden PoS = PoS Warengruppenumsatz aller die entsprechende Warengruppe fuhrenden Distributionsgrad ( gewichtet ) Absatzmenge der das Produkt fuhrenden PoS = Absatzmenge aller die entsprechende Warengruppe fuhrenden PoS Der gewichtete Distributionsgrad kann unter anderem durch eine Fokussierung der Marketingaktivitäten auf umsatzstarke Vertriebspartner, durch kurzfristige Preiszugeständnisse, durch Schulung der Außendienstmitarbeiter oder die Verstärkung der Endverbraucherwerbung (Pull-Effekt) erhöht werden (vgl. Schneider und Henning 2008, S. 88). Für sich genommen reicht der Distributionsgrad zur Einschätzung der von einem Unternehmen durchgeführten Distributionsaktivitäten nicht aus, weil er keinen Rückschluss auf Rentabilität zulässt. Zur Überwindung dieser Informationslücke kommt eine auf das Absatzkanalsystem ausgerichtete Deckungsbeitragsrechnung zu Anwendung. Durch diese, auch als Absatzsegmentrechnung bezeichnete Methode wird der ökonomische Distributionserfolg sichtbar (vgl. Schögel und Schulten 2006, S. 653) und ein Vergleich der unterschiedlichen Absatzkanäle möglich (vgl. . Tab. 7.11). 7 592 Kapitel 7 · Marketing-Mix: Distributionspolitische Entscheidungen .. Tab. 7.11 Beispiel für eine absatzkanalbezogene Deckungsbeitragsrechnung. (Quelle: Schögel und Schulten 2006, S. 654) Absatzkanal A Absatzkanal B Absatzkanal C Nettoumsatz − Herstellkosten = DB I − Direkt zurechenbare Vertriebskosten = DB II − Lager- und Logistikkosten = DB III 7 Fragen zu Kap. 7 1. 2. 3. 4. 5. Erklären Sie die Begriffe Absatzkanal, Absatzmittler und Absatzhelfer! Welche distributionspolitischen Zielgrößen kennen Sie? Erklären Sie den Begriff „Distributionsgrad“! Erklären Sie die zentralen Konfliktursachen in Absatzsystemen! Nennen Sie – sortiert nach den vier Marketinginstrumenten – mögliche Zieldivergenzen zwischen Hersteller und Handel! 6. Welche grundsätzlichen Entscheidungen sind bei der Festlegung der Absatzkanalstruktur zu treffen? 7. Erklären Sie die Begriffe Betriebsform und Betriebstyp! 8. Erläutern Sie die drei wichtigsten Ausgestaltungsformen der Distributionsintensität! 9. Grenzen Sie die direkte und indirekte Distribution voneinander ab! Wozu würden Sie herstellereigene Filialen zählen? Begründen Sie Ihre Antwort! 10. Was wird unter der Vertikalisierung des Absatzkanals verstanden? Nennen Sie Chancen und Risiken! 11. Erklären Sie den Mehrkanalvertrieb! Gehen Sie dabei auch auf dessen Entstehungsgründe und dessen Chancen und Risiken ein! 12. Was ist der Kommissionsvertrieb? 13. Welche Typen der Vertriebsbindung kennen Sie? 14. Was ist Franchising? Gehen Sie auf die Entwicklung, Bedeutung und konstitutiven Systemmerkmale des Franchising ein! 15. Welche gegenseitigen Leistungen und Pflichten entstehen in Franchisesystemen? 16. Was sind die Unterschiede zwischen einer Push- und Pull-Strategie? 17. Welche monetären und nicht-monetären Anreize zur Absatzmittlerstimulierung kennen Sie? 18. Was ist Supply Chain Management? Gehen Sie auf Ziele und Einsparpotenziale ein! 593 Literatur 19. Welche Auswirkungen hat eine Lagerbestandsreduzierung auf den Unternehmenserfolg? 20. Nennen Sie ein Konzept zur Reduzierung von Lagerbeständen! Erläutern Sie dieses! 21. Erläutern Sie die Grundstruktur des Efficient Consumer Response Management! 22. Was ist Continuous Replenishment? 23. Erläutern Sie das Konzept des Category Managements! 24. Wie können Händler und Hersteller bei der Einführung neuer Produkte kooperieren? Warum sind Kooperationen hier sinnvoll? 25. Welche zentralen Ziele werden im Rahmen der Marketinglogistik ­verfolgt? 26. Welchen Stellenwert hat der Lieferservice im Marketing-Mix? Gehen Sie auf Nachfrage- und Kostenwirkungen ein! 27. Wie können Logistikkosten gesenkt werden? 28. Welche Bedeutung haben ökologische Zielsetzungen im Rahmen der Distributionspolitik? 29. Welchen Entscheidungen werden im Rahmen der Lagerhaltung getroffen? 30. Nennen Sie die Funktionen eines Distributionslagers! 31. Erläutern Sie, was bei der Festlegung des Lagerbestandes berücksichtigt werden muss! 32. Nach welchen Kriterien werden Transportmittel und -wege ausgesucht? 33. Nennen und beschreiben Sie die wichtigsten Messgrößen des Distributionscontrollings! Literatur Ahlert, D. 1981. Vertragliche Vertriebssysteme zwischen Industrie und Handel. Wiesbaden: Gabler. ———. 1996. Distributionspolitik: Das Management des Absatzkanals, 3. Aufl. Stuttgart: Gustav Fischer. Ahlert, D., und M. Ahlert. 2010. Handbuch Franchising und Cooperation: Das Management kooperativer Unternehmensnetzwerke. Frankfurt a. M.: Deutscher Fachverlag. Alon, I. 2006. 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