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Die Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft aus der Sicht des kritischen Rationalismus Poppers

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Die Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft
aus der Sicht des kritischen Rationalismus Poppers
Dr. Johannes C. Kerner
Erlangen, den 19.12.2013
Vorwort zum Konstruktivismus
Wenn einer, der mit Mühe kaum,
gekrochen ist auf einen Baum,
2
Bildquelle: Scan von Wilhelm Busch
Schon meint,
dass er ein Vogel wär,
So irrt sich der.
Wissenschaft vs. Wissenschaft
Aristoteles
 Wenn es einen ersten Menschen gegeben
hat, dann musste er ohne Vater oder Mutter
geboren worden sein, - was der Natur
zuwiderläuft, denn es könnte kein erstes Ei
gegeben haben, um Vögel zu gebären, oder
es hätte einen ersten Vogel geben müssen,
der Eiern den Anfang gab; denn der Vogel
kommt aus einem Ei.
Freeman et al.
 Growing a good egg: Metadynamics
simulations show that the eggshell protein
ovocleidin-17 induces the formation of calcite
crystals from amorphous calcium carbonate
nanoparticles. Multiple spontaneous
crystallization and amorphization events were
simulated; these simulations suggest a
catalytic cycle that explains the role of
ovocleidin-17 in the first stages of eggshell
formation (the picture shows one
intermediate of this cycle).
 Ist das jetzt keine Wissenschaft mehr?
3
Quelle: Freeman, C. et al. (2010), Structural Control of Crystal Nuclei by an Eggshell Protein, in: Angewandte Chemie International Edition, Vol. 49, No. 30, S. 5135-5137
Wissenschaft vs. Praxis
Wissenschaft
Praxis
≠
4
Quellen: Zach Weiner (www.smbc-comics.com); Wulkan (www.wulkan-comics.de)
Einführung: Was ist Wissenschaft?
Wikipedia:
 Wissenschaft ist die Erweiterung des Wissens
durch Forschung, seine Weitergabe durch
Lehre, der gesellschaftliche, historische und
institutionelle Rahmen, in dem dies organisiert
betrieben wird, sowie die Gesamtheit des so
erworbenen Wissens. Forschung ist die
methodische Suche nach neuen
Erkenntnissen sowie ihre systematische
Dokumentation und Veröffentlichung in Form
von wissenschaftlichen Arbeiten. Lehre ist die
Weitergabe der Grundlagen des
wissenschaftlichen Forschens und die
Vermittlung eines Überblicks über das Wissen
eines Forschungsfelds (den sogenannten
aktuellen Stand der Forschung).
Das Bundesverfassungsgericht:
 Alles, was nach Inhalt und Form als
ernsthafter planmäßiger Versuch zur
Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist
 Das methodische Bemühen um Erkenntnis
Der Wissenschaftler (Chalmers):
 [Ich glaube nicht, dass] es eine einzige Kategorie 'Wissenschaft' gibt, dass unterschiedliche Gebiete der Erkenntnis wie Physik,
Biologie, Geschichte, Soziologie usw. entweder unter diese Kategorie fallen oder nicht.
Ich weiß nicht, wie solch eine allgemeine
Charakterisierung von Wissenschaft etabliert
oder verteidigt werden könnte.
5
Quellen: wikipedia.de/Wissenschaft; BVerfG, 1 BvR 424/71 und 325/72; Chalmers, A. F. (1994), Wege der Wissenschaft. Einführung in die Wissenschaftstheorie, Berlin u.a.
Probleme jeder Sozialwissenschaft
Das Erklärungstrilemma
Erklärung
1
• Man misst immer genauer, was
man misst, weiß aber am Ende
nicht mehr genau, was man
eigentlich misst (Validität)
2
• Problematik, speziefizierbare
generelle Aussagen und
andererseits generalisiserbare
spezifische Aussagen zu machen
3
• Tatsache der Wertgebundenheit
sozialwissenschaftlicher Aussagen
vs. Unmöglichkeit konsensfähiger
Wertungen
1
Messproblem
Wissenschaft
6
2
3
Erklärungsproblem
Wertproblem
Wissenschaftstheoretische Grundlagen
Ontologie
Epistemologie
Methodologie

7
 Ontologie meint die die weltanschauliche
Grundposition
 “Gibt es eine Realität?”
 Epistemologie beschreibt den Zugang zur Welt
 „Wie kann ich etwas über die Realität
herausfinden?“
 Methodologie ist die Menge möglicher
Erkenntniswege, die sich aus Ontologie und
Epistemologie ergeben
 „Was muss ich machen?“
Für Popper ist Wissenschaft eine Methode der Erkenntnisgewinnung
Methodologische Grundprobleme
Induktion
Deduktion
 Ist ein wahrheitserweiternder Schluss
 Ist ein wahrheitskonservierender Schluss
 Bedeutet, von Realitätsbeobachtungen
auf wissenschaftlichen Theorien zu
schließen
 Bedeutet, eine allgemeingültige Theorie
aufzustellen und sie an der Realität zu
prüfen
(Menge von)
Einzelaussagen
Axiom
Axiom
Einzelaussage
 „Dieser Schwan ist weiß, jener Schwan
ist weiß“  „Alle Schwäne sind weiß“
8
 „Alle Schwäne sind weiß“
(muss überprüft werden)
Alle Schwäne sind weiß (induktiv)
9
Bildquelle: Daniel Nikolić / Wikimedia Commons
Alle Schwäne sind weiß (deduktiv)
10
Bildquelle: http://www.nerjarob.com/nature/wp-content/uploads/Black-and-White-Swans-sized.jpg
Poppers Problem
Bei der Deduktion wird eine
Behauptung über die
Realität aufgestellt, die sich
empirisch beweisen muss
Bei der Induktion wird eine
Theorie aus Beobachtungen der Realität abgeleitet
(die dann so stehen bleibt)

11
Wo ist der Mehrwert der induktiv gewonnenen Theorie, wenn man sie, damit sie
irgendeinen Mehrwert gegenüber reiner Fiktion aufweist, doch noch überprüfen
müsste? Welche Relevanz hat es, wo die Theorie herkommt?
Der kritische Rationalismus
Ontologie
(weltanschauliche
Grundposition)
Epistemologie
(Zugang
zur Welt)
Methodologie
12
 Es gibt eine Realität.
 Man kann sich irren. Oder Recht haben.
 Deduktion
 Prüfung
Wissenschaft im kritischen Rationalismus
Theorie
falsifizierbar
intersubjektiv
nachvollziehbar
 Wissenschaft benutzt Theorien, um daraus allgemeine Sätze
(Hypothesen) abzuleiten. Diese müssen etwas über die Wirklichkeit
aussagen.
 Dadurch, dass die Hypothesen etwas über die Wirklichkeit aussagen,
haben sie einen empirischen Gehalt und müssen sich dementsprechend
als falsch erweisen können.
 Der Versuch, die Theorie an der Realität zu prüfen, muss von Dritten
wiederholbar sein (und zum gleichen Ergebnis gelangen).
Wissenschaft
13
Zur eigentlichen Frage: Methodik
Theorie
falsifizierbar
 Die Rechtswissenschaft ist
dann eine Wissenschaft,
wenn sie den drei
Anforderungen an eine
Wissenschaft genügt.
Theorie
falsifizierbar
intersubjektiv
nachvollziehbar
14
 Das Postulat, Rechtswissenschaft sei eine
Wissenschaft, ist kaum
begründbar.
 Das gegenteilige Postulat,
die Rechtswissenschaft ist
keine Wissenschaft, ist
hingegen durch ein
einziges Gegenbeispiel zu
widerlegen.
 Arbeitshypothese:
Die Jurisprudenz ist
unwissenschaftlich nach
Poppers Maßstäben.
intersubjektiv
nachvollziehbar
Zur Prüfung der Theorie
 wurden aus der nach dem
Ranking von Gröls/Gröls
unter Rechtswissenschaftlern angesehensten
juristischen Zeitschrift
 die drei Artikel der neuesten
Ausgabe
 im Hinblick auf ihre
Erfüllung der Kriterien
geprüft.
 Es fand sich ein Artikel, der
die Popper‘schen Wissenschaftskriterien erfüllt.
Die Falsifizierung der Hypothese
 Inhaltlich beschäftigt sich Jaeger mit der EinheitspatentVO.
 Er zweifelt, dass die EinheitspatentVO aus patentrechtlicher
Sicht funktionsadäquat ist.
 Er definiert genau, was „funktionsadäquat“ bedeutet: Das
Gesetz ist funktionsadäquat, wenn es Innovation,
Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit stimulieren kann.
Theorie
falsifizierbar
 Anhand konkreter Beispiele zeigt er, dass die
EinheitspatentVO nicht den gesetzten Kriterien entspricht.
 Er beurteilt sie daher als defizitär.
Die Hypothese muss verworfen werden.
Die Rechtswissenschaft ist eine Wissenschaft.
15
intersubjektiv
nachvollziehbar
Schlussbemerkung
 Die Rechtswissenschaft ist eine
Wissenschaft, vor allem dann, wenn sie sich
damit auseinandersetzt, ob und inwiefern
Zielvorstellungen oder Zwecke von
Gesetzen, die in der Realität mit
verschiedenen Auslegungsvarianten einer
Rechtsnorm verbunden werden, mit diesen
Auslegungsvarianten auch tatsächlich kausal
verbunden sind (Albert).
 Die Meinung, dass der kritische
Rationalismus in der Jurisprudenz nicht
angewandt werden kann, ist immer noch
prävalent
16
Siehe: Albert, H. (1993), Rechtswissenschaft als Realwissenschaft. Das Recht als soziale Tatsache und die Aufgabe der Jurisprudenz, Baden-Baden
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