AZN 25.09.2022 Kommunikationsanalyse In der Kurzgeschichte „Ein netter Kerl“, veröffentlicht von Gabriele Wohmann im Jahre 1978, geht es um einen Familiengespräch über einen jungen Mann während des Abendessens. Meine Deutungshypothese ist, dass das Gespräch auf eine ungleichmäßige Kommunikation aufweist aufgrund von Erfahrungsunterschiede. Die Familie, bestehend aus Vater, Mutter und den drei Töchtern Rita, Nanni und Milene die alle am Tisch sitzen, nachdem der „nette Kerl“ bzw. der Manngegangen ist unterhält sich die Familie über ihn. Am Anfang der Geschichte ist Nanni, die Schwester von Rita, Wortführerin und dominiert das Gespräch mit oberflächlichen Aussagen über das Aussehen des Mannes ebenso die Mutter die negativen Äußerungen über das Aussehen und die Gesundheit von sich gibt. Im Gegensatz zur Mutter und der Schwester Nanni, nimmt Milene Ritas Freund in Schutz und der Vater hält sich weitestgehend zurückhält. Nur Rita bemüht sich um positive Aussagen, über die der Rest der Familie aber nur lauthals lacht. Der Wendepunkt der Geschichte ist Ritas Verkündung, dass sie sich mit ihrem Freund verlobt hat, als Nanni Rita fragte, ob der nette Kerl nun öfter käme, bejaht sie Rita und fügt hinzu, dass sie sich mit ihm verlobt hat. Sie konfrontiert ihre Familie mit ihrer herablassenden Bemerkung, indem sie diese wiederholt. Der Vater und die Mutter sind bemüht, ihre Aussagen durch halbherzig nette Worte zu entkräften. Rita ist während des Gespräches, bis sie die Situation auflöst, sehr angespannt, was man an ihrer aufrechten Sitzhaltung und des Festhaltens am Stuhl feststellen kann (vgl. Z. 7f). Sie probiert immer wieder positive Dinge des netten Kerles anzumerken, wie zum Beispiel, dass er mit seiner Mutter zusammenlebt (vgl. Z. 40), weil diese krank ist (vgl. Z. 43f). Sie hält das für sehr fürsorglich, doch es wird von ihrer Familie nicht ernsthaft aufgefasst und führt nur zu weiterem Lachen. Nach einer weiteren fiesen Bemerkung von Nanni erklärt sie, dass sie AZN 25.09.2022 sich mit ihm verlobt hat. Sie konfrontiert die anderen schonungslos mit ihrem Verhalten und Aussagen indem sie diese provokant wiederholt. Sie zwingt sie so zu einer Reaktion und besitzt von dort an die Dominanz ihnen gegenüber. Milene ist die Einzige, die hin und wieder etwas positives, wie „Er hat sowas In sich ruhendes […] Ich find ihn so ganz nett“ (Z. 26ff). Sie macht sich auch nicht zusammen mit der Mutter und Nanni über ihn lustig, was daran liegen könnte, dass sie emotional reifer ist als Nanni und die peinliche Situation für Rita erkennt. Der Vater kommt erst später hinzu. „Er war ja so ängstlich, dass er seine letzte Bahn noch kriegt Sowas von ängstlich.“ (Z. 37ff). Er macht sich über ihn lustig, hält ihn für weich und erkennt nicht, weshalb er Angst hatte, die Bahn zu verpassen. Nicht einmal als Rita daraufhin sagte, dass er mit seiner Mutter zusammenlebt und er sich um sie kümmert, begreift er es und lacht stattdessen nur mit den anderen über ihn. Durch ständige Vergleiche wie „weiche wie ein Molch, wie Schlamm“ (Z.6) vermittelt die Autorin ein schlechtes äußerliches Erscheinungsbild des netten jungen Mannes. Die steigernde Metapher „Rita hielt sich am Sitz fest.“ (Z.5) bis hin zu dem klebrigen Holz unter den Fingerkuppen ( Z.23), weil sie zu fest darauf drückte ( Z.14) veranschaulicht dem Leser wieder wie unglücklich, wütend und missverstanden sie wird. Der Höhepunkt der Kurzgeschichte, die Wiederkehr der Normalität im Gespräch, wird durch die Klimax bestimmt: „Das Lachen schwoll an, türmte sich vor ihr auf, wartete und stürzte sich dann herab, es spülte über sie weg und verbarg sie [...]“ (Z.25-26). Die Kurzgeschichte hat eine neutrale Erzählperspektive, die eine neutral Erzählhaltung hat und die Geschehnisse szenisch darstellt. Sie lässt die Figuren mit Hilfe der direkten Rede sich selbst präsentieren und so können wir uns ohne die Beeinflussung des Erzählers unsere eigene Meinung bilden. Die Geschichte wird aus der Er/Sie-Erzählform mit hauptsächlich direkter Rede erzählt, wobei der Erzähler eher eine Distanz zum Geschehen hat. AZN 25.09.2022 In Kurzgeschichte wird verdeutlicht, wie eine Kommunikationsstörung innerhalb einer Familie entstehen kann, welche sich mithilfe der Kommunikationstheorie nach Watzlawick analysieren lässt. Die erste dieser Grundregeln besagt, dass man nicht nicht kommunizieren kann. Auch in der Kurzgeschichte lässt sich das erste Axiom wiederfinden. Bspw. geht aus der Handlung hervor, dass Rita sich mit den Händen am Tisch festhält“ (Z. 5) und „ihre Fingerkuppen fest ans Holz drückt“ (Z. 15). Mit diesem non-verbalen Verhalten wird für den Leser deutlich, dass Rita sich sichtlich unwohl fühlt, aber dennoch versucht, Haltung gegenüber ihrer Familie zu bewahren. Das zweite Axiom beinhaltet, dass jede Kommunikation einen Inhaltsaspekt und einen besitzt. Auf der sachlichen Ebene werden also die Inhalte mitgeteilt, auf der Beziehungsebene wird kommuniziert, wie diese Inhalte aufzufassen sind. Ein Beispiel hierfür ist das Missverständnis zwischen Rita und ihrer Familie. Rita liebt ihren Verlobten und beschreibt ihn somit z.B. als „weich“, weil sie mit diesem Begriff positive Eigenschaften meint und ihre Familie somit eventuell auf die Verlobung vorbereiten will. Ihre Familie hingegen interpretiert ihre Aussagen falsch, weshalb sie nicht bemerkt, dass sie Rita mit ihren Bemerkungen verletzt. Das Vierte Axiom beschreibt, dass es eine digitale und eine analoge Kommunikation gibt. In der Kurzgeschichte sagt die Mutter, dass sie aufhören sollen, lacht dabei jedoch noch weiter. Sie sagt „Nun aber Schluss“ (Z.49), muss darauf aber lachen, was ihre Aussage entwertet. Das letzte Axiom sagt aus, dass zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe entweder symmetrisch oder komplementär sind, je nachdem ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichgewicht oder Unterschiedlichkeit beruht. In der Kurzgeschichte wird die komplementäre Interaktion dargestellt. Anfangs ist Nanni ihrer Schwester überlegen und Rita nimmt die sekundäre Position ein (Z. 149). Im zweiten Teil ist Rita primär und Nanni sekundär, da sie nun zum Ausdruck bringt, dass sie die Kommentare der Familie nicht toleriert AZN 25.09.2022 und ihren Verlobten liebt. Ich denke, dass dieser Text zeigt, dass es in alltäglichen Situationen viele Missverständnisse gibt und man das Geschehen um sich Drumherum aufmerksam beobachten und Feingefühl für bestimmte Dinge entwickeln sollte. Das Problem hierbei ist meiner Meinung nach das fehlende Feingefühl der Eltern, die Situation zu erkennen und das Gespräch so zu lenken, dass es nicht zu Vorurteilen und abwertenden Aussagen kommt. Ich finde, der Autorin ist hier die Darstellung einer nicht gelingenden Kommunikation gut gelungen, da man sich durch ihren realistischen und alltagsnahen Schreibstil in die Situation hineindenken konnte.