Grundsätzliches zum Aufbau von Analyse und Deutung bei Werken der Bildenden Kunst EINFACHER MERKSATZ: Wer (Künstler, seine Absichten/ soweit bekannt) gestaltet was (Inhalt) wann (zeitlicher Kontext) wie (Gestaltungsmittel) für wen (ggf. historisch-zeitgenössische Rezipienten, Auftraggeber sowie aktuelle Rezipienten=Sie)und ggf. für welchen Ort (öffentlicher Raum: Platz, Park, Innenhof, Inneraum…Kirche: außen - innen, Altar, Seitenkapelle, Nische…?) (und warum (geistesgeschichtlicher Zusammenhang, vgl. Wirkungsabsicht des Künstlers) mit welcher Wirkung (vgl. Rezipient)?) Es gibt kein Patentrezept: JEDE ANALYSE MUSS SICH IHREM GEGENSTAND ANPASSEN, NICHT UMGEKEHRT DER ZU ANALYSIERENDE GEGENSTAND IN EIN SCHEMA GEPRESST WERDEN. EINLEITUNGSSATZ: Angaben/Fakten zum Werk: Künstler, Titel, Gestaltungsmittel/Technik, Jahr, Format, Größe, Standort/Museum, … ggf. Bildgattung (Landschaft, Portrait, …) Hauptthema, -gegenstand, -wirkung, zentrale Werk-/Bildaussage (-> vgl. auch erster Eindruck) BILDERFASSUNG Die sachliche, präzise und GEORDNETE Bestandsaufnahme der wesentlichen Bildelemente (Inhalt)-> Jemandem am Telefon knapp erzählen, was man sieht. Anhaltspunkte für ein geordnetes Vorgehen: a) Vorder-, Mittel-, Hintergrund oder b) in Leserichtung des Bildes oder c) vom Hauptgegenstand/wichtigsten Bildinhalt zu angrenzenden Bildpartien An dieser Stelle sollte noch keine möglicherweise voreilige Deutung des Bildes erfolgen. ANALYSE (VORIKONOGRAPHISCHE BESCHREIBUNG)/INTERPRETATION (IKONOGRAPHISCHE ANALYSE) Auch hier muss der Schreiber ähnlich wie bei der Gedichtinterpretation entscheiden: WELCHES VORGEHEN EIGNET SICH AM BESTEN FÜR MEINEN GEGENSTAND? Es kann sinnvoll sein die analysierende Werkbeschreibung von Formelementen völlig von der Deutung/Interpretation zu trennen. Das strukturiert den Text und verhindert voreilige Schlüsse. Das hat aber den Nachteil, dass man bei der Deutung einiges wiederholen muss, um die Deutungsaussagen zu belegen. Auch birgt es die Gefahr, dass völlig unbedeutende Formelemente ohne Bindung an Inhalt und Wirkung aufgezählt werden. EMPFEHLUNG: wesentliche Formelemente aufeinander beziehen und in ihrer Wirkung darstellen. Das besonders ausführen, was für die Deutung relevant ist. Die Deutung (z.B. von Allegorien) getrennt behandeln. FORMALE ANALYSE (VORIKONOGRAFISCHE BESCHREIBUNG) Formanalyse um der Form willen ist nicht sinnvoll, muss aber in der Vorarbeit als Arbeitsschritt unbedingt erfolgen, weil erst das genaue Hinsehen eine sinnvolle Deutung ermöglicht. Zentrale Frage zur Formanalyse: WELCHE FORMALEN GESTALTUNGSMERKMALE SIND WESENTLICH, MACHEN DAS BESONDERE DIESES WERKS AUS UND SIND ZENTRAL FÜR INHALT/DEUTUNG/WIRKUNG DIESES WERKS? Negativbeispiel: In dem Gedicht kommt 24 mal der Buchstabe a vor. Positivbeispiel: Die Fülle der betonten langen a-Laute [Zitat] (Strophe X, Z.y) unterstreicht das Klagen der verlorenen Seelen, die um Vergebung flehen. Dasselbe gilt analog für Kompositionslinien, Bildbereiche, Farben usw. in bildnerischen Strukturen. IKONOLOGISCHE ANALYSE UND INTERPRETATION Folgt man streng Panofsky erfordert die ikonologische Analyse ein breites Hintergrundwissen von dem Gegenstand zeitgenössischen (und bei der ikonologischen Interpretation auch darüber hinaus) Werken der Literatur, Kunst, Philosophie sowie im Bereich der sozio-kulturellen und historischen Entwicklungen und Traditionen. Im Bereich Schule/ Klausur erfolgt hier meist eine Einordnung in den im Unterricht behandelten Kontext. Eine solche Einordnung kann von der Themenstellung zusätzlich explizit vorgegeben werden (z.B. erläutern Sie den ideellen Gehalt…in der Renaissance …vor dem Hintergrund.../unter Berücksichtigung des Zitats…). Je nach Gegenstand bietet es sich an bestimmte allgemeine zeitgeschichtliche Aspekte vorab zu erläutern und sie dann auf das zu analysierende Werk zu beziehen. Der ikonologische Ansatz kann auch auf die Analyse folgen, darf aber kein leidiges Anhängsel sein, sondern muss inhaltlich konkret mit dem Werk verknüpft werden. REFLEXION/SCHLUSS Eine Analyse/Interpretation hat einen Anfang einen Hauptteil und einen Schluss. Im Schlussteil kann der Schreibende persönlich Stellung beziehen, das Werk kritisch beurteilen. Dies sollte möglichst prägnant formuliert sein und muss mit Argumenten aus der vorausgehenden Deutung und Analyse oder in Bezug auf den Kontext belegt werden: Der Schreiber möchte ernst genommen werden, ggf. überzeugen und beim Leser einen abschließenden guten Eindruck hinterlassen. ZUR ANALYSE FORMALER GESTALTUNGSMITTEL IN DER MALEREI Aufbau des Bildes, Farbigkeit, Licht und Schatten, Formsprache, Räumlichkeit, künstlerische Technik, Beziehung der dargestellten Dinge und Menschen zueinander (->hier zeigt sich schon, dass Form und Inhalt kaum voneinander zu trennen sind), Beziehung zur Umgebung, ggf. Beziehung des Werkes zu seinem Umfeld (z.B. Anordnung der Fresken von Veronese im Saal des Olymp/Villa Barbaro) ASPEKTE: Blickführung Wie wird der Blick des Betrachters im Bild eingefangen und durch das Bild hindurchgeführt? Was im Bild zieht den Blick vornehmlich auf sich? Gibt es mehrerer solcher Blickpunkte zwischen denen das Auge hinund herwechselt? (Skizze der wichtigen Umrisslinien) Deckt sich der Blickpunkt mit dem Hauptthema? Werden bestimmte Inhalte hervorgehoben -> vgl. Planung eines Bildes Linien, Richtungen, Proportionen Gibt es „gedachte“, nachweisbare Linien im Bild? Vorsicht: nicht in das Bild hineinkonstruieren, sondern Offensichtliches sichtbar machen. Richtungen im Bildraum werden von uns als Betrachter im Vergleich zur aufrechten Körperhaltung und zur Waagerechten des Fußbodens erlebt. Wie sind die Größenverhältnisse im Bild? Wie verknüpfen sie sich mit dem Hauptgegenstand? Wie stehen sie im Verhältnis zur Gliederung des Bildraums/ zur Umgebung? Linien, die vom Bildträger bestimmt werden: Hoch/Querformat, Bildgrenzen, Mittelachsen (waagerecht, senkrecht), Schnittpunkt der Diagonale = Bildmittelpunkt, Bildquadrat? Welche Linienführung bestimmt das Bild maßgeblich? Wie verhalten sie sich in Bezug auf die formatabhängigen Linien? Wie ist das Zusammenspiel der Linienführung? Gibt es Wiederholungen? Linien, die der Haltung, Bewegung, Blickrichtung von Figuren/Lebewesen folgen Linien, die durch Gegenstände und ihre Anordnung entstehen Linien, die durch weitere Elemente entstehen: Architektur, Bäume Linien, die in die Tiefe verlaufen/Perspektive Überwiegen gerade oder geschwungene Linien? Mögliche Wirkungen: Senkrechte: Betonung des Straffstehens, Steigens, Aufwärtsstrebens, Stütz-/Trägerfunktion… Waagerechte: Betonung des Hingelagerten, Ruhenden, Grundlinie des Stehenden vgl. auch Format… Schrägen: Bewegung, abgleiten, rollen, anlehnen, abstützen, ausrichten, … Bögen: Dynamik, Schwung, sich wölben, organisch…. Flächenformen/geometrische Formen Gibt es Bereiche in denen die geometrischen Grundformen (Quadrat, Kreis, Dreieck, Rechteck, Ellipse…) verschleiert deutlich werden? Mögliche Wirkungen Runde Formen: weich, organisch, angenehm, schwungvoll, elegant, geschwollen … Eckige Formen: architektonisch, hart, stabil, kalt, … Geschlossene Formen: auf sich bezogen, in sich gekehrt, ruhend, kompakt, schwerfällig Offene Formen: reichen in den Raum, sich entfaltend, aggressiv, unruhig, bewegt…. Durchbrochene Formen Hell – Dunkel vgl. Beleuchtung im Bühnenraum Helligkeiten sind nicht nur von Licht und Schatten bestimmt, sondern zeigen sich auch in der Farblichkeit, z.B. helle Haut, Kleidung, Hauswände,… -> Helligkeitswerte von Farben sind nicht absolut sondern entstehen in Abhängigkeit der sie umgebenden Farbgebung Wo sind ggf. zusammenhängende Formkomplexe in Licht oder Dunkel getaucht? (grobe Skizze in Graustufen) Wie sind die Helligkeiten auf den Bildraum verteilt? Führt der Übergang von hell zu dunkel zu einer plastischen Wirkung? Entsteht durch allmähliche Übergänge von hell zu dunkel eine räumliche Illusion? In welchem Verhältnis stehen Hell-Dunkel-Kontraste zu den Inhalten/den Bildelementen? Welchen Einfluss hat die HellDunkel-Verteilung auf die Gesamtwirkung? (heiter, strahlend, schwermütig, düster, dramatisch…Verschmelzung mit der Grundfläche…) Farben vgl. Farbkreis nach Johannes Itten Gibt es Farben, die zu überwiegen scheinen/ sind sie gleichmäßig verteilt? Treten sie als reine Farben auf? Welche Farben treten in vielen Abstufungen auf, welche nicht? Welche Farben sind gar nicht verwendet worden? Ist ihre Leuchtkraft z.B. durch Beimischung anderer Töne getrübt oder aufgehellt? (Qualitätskontrast) Welcher Farbton scheint den größten Raum einzunehmen, gibt es einen solchen Farbton? Wie verhalten sich die Farben zueinander, wie wirken sie zusammen: Farbe-an-sich-Kontrast, Komplementärkontraste (gelb-violett, rot-grün, blauorange steigern sich gegenseitig in ihrer Wirkung), Farbfamilien/-harmonien Wie liegen die Farben zueinander im Bildraum? Wie sind sie im Bildraum verteilt? Gibt es Abgrenzungen/ Verschmelzungen durch Farbbereiche? Wie verhält sich die Farbgebung zu den einzelnen Formen und zum Inhalt? Wie wirkt sie? (Farbpalette nachmischen) Bei gegenständlichen Bildern: entspricht die Farbgebung der natürlichen Farbe = Lokalfarbe, sind die Töne des Naturvorbilds vereinfacht? gesteigert? besonders herausgearbeitet? Decken sich die Farbgrenzen mit den natürlichen Formen? Wird z.B. durch Verblauung (Sfumato) eine atmosphärische Tiefenwirkung erzielt? Material und Technik: erfordert über das Benennen hinaus differenziertes Fachwissen ->nur echte Kenntnisse einsetzen Deutlich erkennen lässt sich der Pinselduktus/die Art des Farbauftrags z.B. bei Van Gogh oder Paul Signac Komposition Wie fügen sich die Teile zu einem sinnvollen Ganzen? Welche Form-Farbbestände stellen einen Komplex 1. Ordnung dar? Welche großen Formen sind weiter in sich gegliedert? Wodurch wird die Zusammengehörigkeit der Formen erreicht? (Größe, Helligkeit, Farbe, Blickrichtung, Ausrichtung auf eine gemeinsame Linie/ Form (Halbkreis, Dreieck, ….) Wie ist der Hauptgegenstand in den Bildraum eingefügt? (berührt fast überall den Bildrand, klein in der Bildmitte, an den Randzonen, seitlich aus der Mitte herausgerückt,… Wie wurden die weiteren Inhalte (2. bis 4. Ordnung) in den Bildraum eingefügt? Welchen größeren Ordnungen wurden sie möglicherweise zugeordnet? Wie sind Linien, Flächen, Helligkeit und Farben aufeinander bezogen? Wie wurde das Gleichgewicht im Bild ausbalanciert? INHALTLICHE ASPEKTE -Nicht vergessen: Bezug Titel und Inhalt Welche gegenständlichen/figürlichen Inhalte lassen sich erkennen? In welchen Bildbereichen befinden sich welche dargestellten Inhalte? Gibt es eine solche Anordnung? Wird eine Illusion von Raum angedeutet? Welche (Vorder-, Hinter-,Mittelgrund, Landschaft, Innenraum, Perspektive…)? Wie ist der Bildraum angelegt : weit in die Tiefe, flach, hoch, rund, beengt, unendlich…? Gibt es Formen die über den Bildrand hinausragen, vom Betrachter in seiner Vorstellung ergänzt werden müssen? Welche dargestellten Formen werden körperlich-plastisch besonders herausgearbeitet (z.B. die Rehe bei Franz Marc)? Gibt es eine besonders erkennbare stoffliche Beschaffenheit der Inhalte (rau, glatt, glänzend, Seide, Fell, ….)? Wie sind die Lichtverhältnisse im Bild (Lage der Lichtquellen, Sonne, Fenster, Farbe/Stärke/Richtung der Lichtstrahlen/Schatten, Reflexe,…)? Lebewesen Blickrichtung? Wie sind ggf. mehrere Lebewesen aufeinander bezogen? Wird Bewegung vorgetäuscht? Wie? Bewegungslinien? (steigen, fallen, kreisen, …) Erscheint der Körper ruhend, still? Haltung? Welche Gliedmaßen sind gedreht, abgewinkelt….? Wie wird das verdeutlicht ? Wo ruht das Körpergewicht (ggf. ausprobieren)-> Standbein/Spielbein menschliche Figur: Haltung der Arme, Hände (Skizze), Mimik, Gestik ->Wirkung, seelische Gestimmtheit; Wie unterstreicht ggf. Kleidung den Ausdruck, charakterisiert Kleidung den Träger? Verhüllt, enthüllt die Kleidung? Weist die Kleidung ein eigenes rhythmisches Formenspiel, z.B. Faltenwurf, auf? mehrere Figuren: wie sind die Figuren aufeinander bezogen? wie ist deren Haltung zueinander? handelt es sich um ein besonderes Geschehnis? welche Rolle spielt das Beiwerk (Gegenstände, Attribute…) wie ist die Beziehung der Figuren zur Umgebung?