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6,2 Millionen Dollar Banane: Cattelans Kunst-Stunt analysiert

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6,2 Millionen Dollar für eine Banane
Warum uns Cattelans Stunt so
triggert
Foto: Sotheby's
Versteigerung von "Comedian" bei Sotheby's in New York
Text
Daniel Völzke
Datum
21.11.2024
Kunstmarkt
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100 Jahre nachdem Marcel Duchamp ein Urinal
zur Kunst erklärte, kann Maurizio Cattelan mit
einer an die Wand geklebten Banane noch immer
Aufsehen erregen. Der italienische Künstler führt
damit vor, wie wenig die Avantgarde die
Mehrheitsgesellschaft beeinflusst hat
Es gibt da diesen Clown-Trick: Nimm jemanden als
Geisel, indem du ihm eine Banane in den Rücken hältst
und so tust, als wäre es eine Pistole. Maurizio Cattelan
hat genau das 2019 gemacht: mit einer Banane eine
komplette Kunstmesse in Geiselhaft genommen. Auf
der Art Basel/Miami Beach waren damals Kunstwerke
von über 4.000 Künstlerinnen und Künstlern zu
sehen, doch besprochen, beschrieben, fotografiert und
geteilt wurde vor allem eines: Maurizio Cattelans
"Comedian" bei der französischen Galerie Perrotin.
Jetzt wurde eine der drei Editionen bei Sotheby's in
New York für 6,2 Millionen Dollar an den KryptoUnternehmer Justin Sun versteigert – und wieder
fragt sich die ganze Welt: Auf wessen Kosten geht
eigentlich dieser Witz?
Der Witz ist: Es ist gar kein Witz. Das meinte jedenfalls
der Künstler selbst einmal in einem Interview: "Es war
ein aufrichtiger Kommentar und eine Reflexion
darüber, was wir wertschätzen. Auf Kunstmessen
regieren Geschwindigkeit und Geschäft, also sah ich
es so: Wenn ich auf einer Messe sein müsste, könnte
ich eine Banane verkaufen, wie andere ihre Gemälde
verkaufen. Ich könnte innerhalb des Systems spielen,
aber mit meinen Regeln."
Der damals 59-Jährige hatte also drei echte Bananen
in einem Lebensmittelladen der Stadt gekauft und mit
Panzertape an die Wand geklebt. Am Eröffnungstag
der Kunstmesse waren zwei davon schon verkauft –
für je 120.000 Dollar. Das Kunstwerk landete auf den
Titelseiten internationaler Zeitungen, es wurde rauf
und runter geinstagramt, kommentiert und parodiert.
Es brauchte die erhitzte Art-Basel-Atmosphäre
Es ist heute noch beeindruckend, wie Cattelan mit
geringstem Aufwand diesen riesigen Effekt geschaffen
hat. Er benutzte dabei einen Trick: Er ließ die Medien
und das Publikum glauben, er mache sich damit über
den Kunstmarkt lustig, über Leute, die 120.000 Dollar
oder gar 6,2 Millionen für eine Banane ausgegeben.
Dabei geht der Witz auf Kosten derer, die genau
diese Verachtung für die angeblich so verrückte
Gegenwartskunst zur Schau tragen und daraus Artikel
und Posts stricken: Sie machten schließlich die ganze
Arbeit und verhalfen Cattelan zu diesem Coup.
Es ist die Regel, dass Künstlerinnen und Künstler
gefundene Dinge für ein Vielfaches des Materialwertes
anbieten. Die Berliner Künstlerin Karin Sander
etwa hat ebenfalls vor einigen Jahren Bananen an
Wände befestigt und zu Kunst erklärt. Aber es
brauchte offenbar erst die erhitzte Atmosphäre der
angeblich immer ein bisschen oberflächlichen Messe
in Miami mit ihren Promis, High Heels und Blingbling
oder einen disruptiven Kryptounternehmer um daraus
das zu machen, was "Comedian" jetzt geworden ist:
eine weltumspannende Sensation. Ein Skandal.
Dabei hat Cattelan damit nur bewiesen, dass das über
einhundert Jahre alte Prinzip des Readymades noch
funktioniert, dass nämlich erst der Kontext die Kunst
macht und die Kunst paradoxerweise dadurch
Autonomie gewinnt. Seit Marcel Duchamp einen
industriell gefertigten Flaschentrockner (1914) und ein
Urinal (1917) in einem Ausstellungskontext
präsentiert und damit zu Kunst erklärt hat, wurde
dieses Prinzip wieder und wieder angewandt – und
doch verblüfft es offenbar nach wie vor.
Eine Form künstlerischen Upcyclings
Das ist einerseits schön, denn so wirkt der
Zauber immer fort: Immer wieder neu können wir
Alltagsobjekte mit anderen Augen sehen und die
Verwandlung von Banalität in Bedeutung bewundern.
Diese Form von künstlerischem Upcycling, wie man
das Konzept Readymade heute nennen könnte, lehrt
uns eine Wertschätzung für übersehene und
gebrauchte Materialien. Prinzipien, die für
das nachhaltigen Wirtschaften heute gefragt sind. Eine
Banane für 6,2 Millionen Dollar wäre auch eine
Gelegenheit, über Bananen im Supermarkt
nachzudenken, die 30 Cent kosten, obwohl sie vom
anderen Ende der Welt kommen. Ist das nicht das
größere Wunder?
Nur – und das ist die traurige Seite des "Comedian" –
scheinen die Strategien der klassischen Avantgarde
auch nach einem Jahrhundert gar nicht in der
Mehrheitsgesellschaft angekommen. Wie könnte man
sich sonst die Aufregung, ja, Skandalisierung erklären,
die allein auf den hohen Preis für Bananen abzielt? Die
revolutionären Ideen der modernen und die
zeitgenössischen Kunst scheinen nur in jeder
Generation einen kleinen Zirkel von Menschen zu
erreichen.
Das betrifft auch das Missverständnis, Justin Sun habe
diese Millionensumme für ein Stück Obst ausgeben.
Dabei hat er lediglich ein Zertifikat und die Rechte an
der Idee erworben. Die Banane an sich ist
austauschbar. Es ist die Idee, die viral geht, die der
Banane als Kunst Bedeutung verleiht. Sie ist
immateriell und kostet Millionen, wie Justin Suns
Kryptowährung TAN. Die Vorstellung, dass die Idee
das Eigentliche ist und das Objekt nur ein
Belegexemplar, ist mittlerweile etabliert: Sie wurde in
den 60er-Jahren durch die Konzeptkunst eingeführt –
und ist doch offenbar schwerer zu verdauen als eine
matschige Banane.
Daniel Völzke
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