Schriftenreihe des Sfb 605 Sfb-Bericht 1999/1 Ein Beitrag zur Vereinheitlichung der Begriffe bei Kontaktvorgängen in Rad-Schiene-Systemen Klaus Knothe TU Berlin, Institut für Luft- und Raumfahrt, Marchstr. 12, 10587 Berlin Technische Universität Berlin, Sonderforschungsbereich 605 Sekr. C8, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin Tel. (0049-30-)314-22154, Fax (0049-30-)314-72575, e-mail sfb605@tu-berlin.de Homepage http://www.tu-berlin.de/sfbs/sfb605 Vorwort Der nachfolgende Text ist hervorgegangen aus Forschungs- und Lehraktivitaten des Verfassers auf dem Gebiet der Schienenfahrzeugdynamik und der Kontaktmechanik, insbesondere im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 181 (Hochfrequenter Rollkontakt der Fahrzeugrader). Fruhere Fassungen des Textes wurden mit Wissenschaftlern an der TU Berlin sowie an anderen Hochschulen und mit Vertretern der Eisenbahnindustrie sowie der Deutschen Bahn AG diskutiert. Da der Text auch fur die Arbeiten im Sonderforschungsbereich Elementarreibereignisse (ERE) von Bedeutung ist, wird er zunachst in der Schriftenreihe des Sfb 605 vero entlicht. Der Verfasser ist fur jeden kritischen Kommentar, fur jede Anregung und fur jeden erganzenden Hinweis dankbar. Kommentare, Anregungen und Hinweise werden erbeten an die emailAnschrift Klaus.Knothe@tu-berlin.de. Klaus Knothe Berlin, Oktober 1999 I Ein Beitrag zur Vereinheitlichung der Begri e bei Kontaktvorgangen in Rad{Schiene{Systemen Klaus Knothe 11. Oktober 1999 Im folgenden wird versucht, einige der Begri e, die bei Kontaktvorgangen von Rad und Schiene eine Rolle spielen, zu de nieren und teilweise zu problematisieren. Ausgangspunkt ist hierbei eine mathematisch{mechanische Betrachtungsweise. Hinsichtlich theoretischer Einzelheiten wird auf die Bucher von Johnson [1] und Kalker [2] verwiesen. Es wird aber auch versucht, auf Begri e einzugehen, die aus einer u berwiegend technischen Betrachtungsweise herruhren. Eine technische Betrachtungsweise geht im allgemeinen nicht auf die Verhaltnisse in den einzelnen Punkten der Kontakt ache ein. Die bei technischer Betrachtungsweise gepragten Begri e werden im folgenden aus mathematisch{mechanischer Sicht beleuchtet. 1. Die nachfolgend zunachst aufgefuhrten Begri e aus dem Gebiet der Reibung sind u bernommen aus DIN 50 323 [3]. Von Festkorperreibung (oder Trockenreibung in Anlehnung an den englischen Ausdruck dry friction) spricht man beim Rad-Schiene-Kontakt, wenn zwischen den beiden Kontaktpartnern keine Zwischenschichten vorliegen. Ein Sonderfall der Festkorperreibung liegt vor, wenn die Ober ache und insbesondere die Rauheitshugel mit einer Zwischenschicht von nur wenigen Molekullagen bedeckt sind. Handelt es sich hierbei um Reaktionsschichten, so spricht man von Grenzschichtreibung. Bei der Grenzschicht kann es sich aber auch um wenige adsorbierte Molekulschichten einer Flussigkeit handeln [4]. Dieser Fall wird als Grenzreibung bezeichnet. Flussigkeitsreibung1 bezeichnet den Reibungsvorgang mit ussigen Zwischenschichten (Wasser, O l). Die beiden festen Kontaktpartner sind hierbei vollstandig durch eine ussige Zwischenschicht getrennt. Der Begri Mischreibung ist weniger prazise. Er bezeichnet den U bergangsbereich zwischen Festkorperreibung und Flussigkeitsreibung. Es ist beispielsweise denkbar, da die Zwischenschicht nicht die gesamte Kontakt ache bedeckt, sondern da in einzelnen Mikrorauheitshugeln direkter Kontakt zwischen den beiden festen Kontaktpartnern besteht, wahrend an den ubrigen Stellen eine Zwischenschicht die beiden Korper trennt. Beim Kontakt von Rad und Schiene treten vermutlich alle unterschiedlichen Formen der Reibung auf. 2. Reibungszahl2 bezeichnet bei einem Gleitreibungsversuch im Sinne Coulombs das Verhaltnis der Tangentialkraft (Reibkraft) zur Normalkraft. Bei einem Korper, der auf einer 1 Es wird auch der Begri EHL{Reibung (EHL = Elasto{Hydrodynamic{Lubrication) verwendet Die Begri e Reibwert oder ReibungskoeÆzient entsprechen nicht der Norm. Sie sollten nicht verwendet werden. 2 1 Ober ache unter der Wirkung der Normalkraft haftet, mu die Tangentialkraft zunachst die u bertragbare Haftkraft uberwinden, bevor Gleiten einsetzt. Das Verhaltnis von u bertragbarer Haftkraft und Normalkraft wird als Haftreibungszahl 0 bezeichnet. Das Verhaltnis aus Tangentialkraft, die zur Aufrechterhaltung einer Gleitgeschwindigkeit vgleit erforderlich ist, und Normalkraft wird als Gleitreibungszahl bezeichnet. Haftreibungszahl und Gleitreibungszahl hangen von den jeweiligen Bedingungen (Ober achenbescha enheit, Zwischenschichten und deren Eigenschaften, vermutlich auch von der Temperatur) ab. Eine hervorragende Zusammenstellung der verschiedenen Reibmodelle ndet man in der Dissertation von Olsson [5], der selbst auch einen neuen Vorschlag vorlegt. Wir beschranken uns im folgenden auf die bekanntesten Reibmodelle. Im einfachsten Fall ist die Haftreibungszahl 0 gleich der (als konstant angenomme- nen) Gleitreibungszahl , vergl. Bild 1a. Die Haftreibungszahl kann aber auch groer sein als die (wiederum als konstant angenommenen) Gleitreibungszahl (Bild 1b). Schlielich kann die Gleitreibungszahl von der Gleitgeschwindigkeit abhangen (Bild 1c). U blicherweise geht man davon aus, da bei Festkorperreibung von Stahl gegen Stahl die Gleitreibungszahl mit steigender Gleitgeschwindigkeit monoton abfallt. Denkbar ist auch noch, da die Reibungszahl im oben angegebenen Sinn nur fur stationare Reibungsvorgange (d.h. bei annahernd konstanter Gleitgeschwindigkeit) gilt, da hingegen bei schnell veranderlichen Reibungsvorgangen (instationarer Fall) der Gleitreibungsvorgang durch eine Di erentialgleichung mit zusatzlichen inneren Variablen beschrieben wird, vergleiche z.B. [6]. Es wird angenommen, da man die globale Gleitreibungszahl im Sinne Coulombs auf die lokalen Vorgange in der Kontakt ache ubertragen kann. Dies ist nicht selbstverstandlich. Bei einem Gleitreibungsversuch sind bei einem der beiden Kontaktpartner stets die gleichen Ober achenbereiche am Kontakt beteiligt. Diese Ober achenbereiche sind wahrend des gesamten Gleitvorganges Beanspruchungen ausgesetzt. Bei einem Walzreibungsversuch kommen bei beiden Kontaktpartnern stets neue Ober achenbereiche zum Eingri . Die aus der Kontakt ache austretenden Partikel der Ober ache haben bis zum nachsten Eintritt in die Kontakt ache Zeit zur \Erholung"3 . Die U bertragbarkeit der zunachst nur global de nierten Gleitreibungszahl auf lokale Vorgange in der Kontakt ache von Rad und Schiene ist eine unbewiesene Hypothese, die aber in den meisten Kontakttheorien angewendet wird. 3. Die Begri e Walzkontakt oder Rollkontakt werden im gleichen Sinn wie der englische Begri rolling contact verwendet. Walzkontakt (oder Rollkontakt) erfat alle Vorgange bei rotatorischen und translatorischen Relativbewegungen der beiden im Kontakt be ndlichen Korper Rad und Schiene. Als Grenzfalle sind das reine Gleiten beim Durchdrehen oder Blockieren sowie das freie Rollen eingeschlossen, bei dem das unter Radlast rollende Rad weder Brems- noch Antriebsmomenten ausgesetzt ist, auer denjenigen, die den Rollwiderstand ausgleichen [7]. 3 beispielsweise durch Oxidation der aktivierten Ober achen 2 Reibungszahl Reibungszahl Reibungszahl µ0 µ0 a) µ ( vgleit ) µ v gleit v gleit b) c) v gleit Abbildung 1: Reibungszahl als Funktion der Gleitgeschwindigkeit 4. Nicht nur in der technischen sondern teilweise auch in der mechanischen Literatur werden die Begri e Rollreibung und Rollreibungszahl verwendet. Der Begri Rollreibung umfat eine Reihe von Phanomenen, die nichts mit Reibung zu tun haben. Hierzu zahlen beispielsweise Dissipation in Kunststo walzen aufgrund viskoelastischen Materialverhaltens [8], dissipative Vorgange in den Gummiringen von gummiringefederten Radern, in Zwischenlagen, im Schotter oder im Untergrund. Es wird daher empfohlen, anstelle des Begri s Rollreibung den Begri Rollwiderstand zu verwenden. Der Rollwiderstand entspricht einer Zugkraft. Rollwiderstandszahl ist der Quotient aus Rollwiderstand und Normalkraft. 5. Beim Rollkontakt von Rad und Schiene ist die Einfuhrung eines Kontaktpunktes zweckmaig. Zur Ermittlung eines derartigen Kontaktpunktes werden die kontaktnahen Bereiche von Rad und Schiene als starr angenommen, Strukturdeformationen auerhalb des kontaktnahen Bereichs sind hingegen zugelassen. Es wird also zwischen Kontaktdeformationen und Strukturdeformationen unterschieden. Dies bereitet beim Rad{Schiene{Kontakt keine Schwierigkeiten, es ist beim Reifen{Strae{Kontakt hingegen nicht moglich ([9], Kapitel 2 und 3). Der Kontaktpunkt ist unter der zusatzlichen Annahme von stetig di erenzierbaren Oberachen dadurch de niert, da fur die beiden sich im Kontaktpunkt beruhrenden Flachen die Normalen zusammenfallen und es an keiner anderen Stelle zu U berschneidungen kommt. Die Ausbildung von mehr als einem Kontaktpunkt zwischen Rad und Schiene ist moglich, z.B. in der Lauache und in der Flanke. 6. Fur die weiteren Betrachtungen emp ehlt sich die Einfuhrung von Koordinatensytemen. Dies erfolgt z.T. in Analogie zur Fahrzeugdynamiknorm fur Straenfahrzeuge [7]. Das fahrzeugfeste Koordinatensystem (xv ; yv ; zv )4 ist ein rechtwinkliges Koordinatensystem, dessen Ursprung ublicherweise im Fahrzeugschwerpunkt liegt. Die xv Achse ist waagerecht und nach vorn gerichtet und be ndet sich in der Fahrzeuglangsmittelebene. Die yv Achse steht senkrecht auf der Fahrzeuglangsmittelebene und zeigt nach links, die zv Achse zeigt nach oben. Das radsatzbezogene Koordinatensystem (xw ; yw ; zw )5 ist ebenfalls ein rechtwinkliges Rechtssystem, dessen Ursprung im Radsatzschwerpunkt liegt. Dies Koordinatensystem ist nicht vollig radsatzfest, bei Drehungen des Radsatzes um seine Achse bleibt das Koordinatensystem unberuhrt. Im unverschobenen Zustand lie4 5 Der Index v steht fur vehicle. Der Index w steht fur wheelset oder wheel. 3 gen die Achsen des radsatzbezogenen Koordinatensystems (xw ; yw ; zw ) parallel zu den Achsen des fahrzeugfesten Koordinatensystems (xv ; yv ; zv ). Zweckmaig ist ferner die Einfuhrung eines oder mehrerer kontaktpunktfester Koordinatensysteme (; ; ). Die Achse liegt parallel zur radsatzbezogenen xw Achse und zeigt in Rollrichtung; die Achse steht senkrecht auf der Schienenober ache und zeigt damit ins Radinnere; die Achse ist dadurch festgelegt, da (; ; ) ein rechtsdrehendes Koordinatensystem ist. 7. Beim Abwalzen eines Rades auf einer Schiene stimmen die Geschwindigkeiten im radseitigen und im schienenseitigen Kontaktpunkt (~vw und ~vr )6 nicht uberein. Die Relativgeschwindigkeit ~vrel wird auch als Schlupfgeschwindigkeit bezeichnet. In die beiden Geschwindigkeiten (~vw und ~vr ) gehen auer den Starrkorpergeschwindigkeiten des Rades gegebenenfalls auch Geschwindigkeiten aufgrund von elastischen Strukturschwingungen von Rad und Schiene ein. Es gilt beim Rad{Schiene{Kontakt ~ vrel = ~vw (1) ~ vr : In der niederfrequenten Fahrzeugdynamik nimmt man ublicherweise an, da die Schiene unverschieblich ist. Die Schienengeschwindigkeit ~vr wird dann zu Null. Das ist nicht zwingend. In einem mitbewegten Koordinatensystem ergeben sich fur die Schlupfe die gleichen Beziehungen. Die De nition der Relativgeschwindigkeit kann auch verwendet werden, wenn es sich um den Kontakt zweier Rollen 1 und 2 (Rollprufstand) handelt. Dann ist ~ vrel = ~v1 8. Als Schlupf wird die auf eine Referenzgeschwindigkeit schwindigkeit ~vrel de niert. ~ = v~vrel : ref (2) ~ v2 : vref bezogene Relativge(3) Der Schlupf erfat die bezogene Relativgeschwindigkeit im Beruhrpunkt zweier im kontaktnahen Bereich als starr vorausgesetzter Kontaktpartner. Er kann zur besseren Unterscheidung als globaler Schlupf bezeichnet werden. Auf die Bezeichnung Starrkorperschlupf sollte verzichtet werden, da nur die kontaktnahen Bereiche als starr angenommen werden. Die Referenzgeschwindigkeit vref kann man auf verschiedenen Weise wahlen. Kalker legt beispielsweise als Referenzgeschwindigkeit die mittlere Geschwindigkeit = 21 (v0 + 0 r0 ); (4) fest, wobei v0 die Fahrgeschwindigkeit, 0 die Winkelgeschwindigkeit und r0 der Rollradius bei zentrischer Stellung des Radsatzes sind. Beim Kontakt zweier Rollen ist die mittlere Umfangsgeschwindigkeit vm 6 Die Indices w und r stehen fur wheel und rail 4 vm = 12 (v1 + v2 ); (5) wobei v1 und v2 die Umfangsgeschwindigkeiten der beiden Walzen sind. Da die Geschwindigkeiten des rad- bzw. schienenseitigen Kontaktpunktes als ~vw bzw. ~vr bezeichnet wurden, erhalt man fur den Schlupfvektor = ~ vw ~ vr (mechanische De nition): (6) ( + 0 r0 ) Dieser Schlupfvektor ~ enthalt zwei Komponenten: einen Langsschlupf und einen Querschlupf. Ein positiver Langsschlupf ist in Richtung von v0 ( Achse) orientiert, ein positiver Querschlupf in der Tangentialebene des Kontaktpunktes quer zur Schienenlangsrichtung ( Achse). Fur technische Fragestellungen ist es vielfach u blich, als Referenzgeschwindigkeit die Fahrgeschwindigkeit v0 zu wahlen. Dann wird ~ 1 2 v0 ~ = ~vw v ~ vr 0 (technische De ntion): (7) Mit den beiden De nitionen (6) und (7) sind Langsschlupfe beim Bremsvorgang positiv, beim Antriebsvorgang negativ. Die Unterschiede sind bei Schlupfen bis etwa 10% nicht relevant. Man erhalt mit der einen De nition 10%, mit der anderen 10,5% Schlupf. In der Literatur sind auch noch andere Schlupfde nitionen gebrauchlich. Eine Gegenuberstellung ndet sich in [10], S. 152. Fur den Fall reinen Langsschlupfes sollen die Konsequenzen der beiden angegebenen Denitionen erlautert werden: Schlupfde nition nach Kalker vref = 12 (v0 + 0 r0 ) -2 Antreiben mit Durchdrehen technische Schlupfde nition vref = v0 2 -1 Bremsen mit Blockieren Antreiben mit Durchdrehen 1 Bremsen mit Blockieren Langsschlupf und Querschlupf sind aufgrund der De nition dimensionslose Groen. Als dritte Schlupfgroe gibt es den Bohrschlupf. Er ist de niert als das Verhaltnis der Re- lativwinkelgeschwindigkeit um die Flachennormale im Beruhrpunkt zur Referenzgeschwindigkeit vref . Dementsprechend ist die Dimension des Bohrschlupfs 1/Lange. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, da eine Schlupfde nition nur Sinn macht, wenn eine vorherrschende Referenzgeschwindigkeit existiert. Wenn dies nicht der Fall ist (also z.B. beim Anfahren), lat sich auch kein Schlupf de nieren. Eine Schlupfde nition ist auch dann wenig sinnvoll, wenn ein bewegtes Rad gegen seine naturliche Rollrichtung gedreht wird. Die Relativgeschwindigkeit (Schlupfgeschwindigkeit) existiert aber auch in diesen Fallen. 5 9. Wenn man Kontaktdeformationen der beiden am Kontakt beteiligten Korper zulat, dann kommt es um den Beruhrpunkt zur Ausbildung einer Kontakt ache. Es wird hierbei von der Annahme ausgegangen, da die sich ausbildende Kontakt ache eben ist7 . 10. Haften bezeichnet einen lokalen Vorgang, bei dem zwischen zwei sich beruhrenden Materiepartikeln der beiden Korper keine Relativgeschwindigkeit auftritt. Beim Auftreten von lokalen Relativgeschwindigkeiten in Teilen der Kontakt ache spricht man von Gleiten. Die Kontakt ache zweier Korper mit glatter Ober ache lat sich dementsprechend in einen Haftbereich und einen Gleitbereich unterteilen. 11. Im Haftbereich der Kontakt ache treten keine Relativgeschwindigkeiten auf, wohl aber im Gleitbereich. Den zugehorigen Schlupf bezeichnet man zur Unterscheidung vom globalen Schlupf als lokalen Schlupf. Wenn eine Schlupfde nition nicht moglich ist, tritt an die Stelle des lokalen Schlupfes die lokale Relativgeschwindigkeit. Die lokale Relativgeschwindigkeit im Gleitbereich der Kontakt ache und somit auch der lokale Schlupf sind vektorielle Groen. Bremsen v0 Tx Tx r 0 Ω 0 r0 Ω0 v0 - Ω 0 r0 ( positiv) T x ( positiv ) x v 0 > Ω 0 r0 Abbildung 2: Vorzeichende nition beim Langsschlupf und bei der Langsschlupfkraft (Die Normalkraft wurde nicht eingetragen.) 12. In der Kontakt ache kommt es stets zur Ausbildung von Normalspannungen, deren Resultierende die Normalkraft ist. Nennenswerte Tangentialspannungen treten beim 7 Das ist dann der Fall, wenn die Kontaktkrummungsradien sehr viel groer sind als die Kontaktabmessungen. 6 13. 14. 15. 16. 8 Rad{Schiene{Kontakt nur auf, wenn globale Schlupfe vorhanden sind8. Nur diese Tangentialspannungen aufgrund von globalen Schlupfen werden u blicherweise in der Rollkontakttheorie berucksichtigt. Als Schlupfkrafte bezeichnet man die in der Kontakt ache von Rad und Schiene aufgrund der dort vorhandenen Tangentialspannungen ubertragenen resultierenden Krafte und Momente. Es gibt eine Langsschlupfkraft, die in Schienenlangsrichtung wirkt, eine Querschlupfkraft und ein Bohrmoment. Eine Schlupfkraft ist dann positiv, wenn sie auf die Schiene in gleicher Richtung wirkt wie die zugehorige positive Relativgeschwindigkeit. Dementsprechend ist eine Bremskraft eine positive, eine Antriebskraft hingegen eine negative Langsschlupfkraft (Bild 2). Als Schlupfkraft{Schlupf{Beziehungen oder Schlupfkraftfunktion bezeichnet man beim allgemeinen Rollkontaktvorgang die nichtlinearen Beziehungen zwischen Schlupfkraften und Schlupfen wobei zusatzliche Groen als Parameter auftreten konnen. Die Schlupfkraft-Schlupf-Beziehungen lassen sich, von Ausnahmen abgesehen, nur numerisch ermitteln. Als Kraftschlu (oder KraftschlukoeÆzient) bezeichnet man das Verhaltnis von Schlupfkraft zu Normalkraft. Der Kraftschlu ist wie der Schlupf eine dimensionslose Groe. Mit dem Begri Kraftschlu{Schlupf{Beziehungen oder Kraftschlufunktion bezeichnet man die Abhangigkeit des Kraftschlusses von den Schlupfen, wobei naturlich auch hier noch eine Abhangigkeit von zusatzlichen Parametern vorliegen kann. Das Maximum des Langskraftschlusses als Funktion des Langsschlupfes bezeichnen wir als Kraftschlumaximum. Da das Kraftschlumaximum von einer Vielzahl zusatzlicher Parameter abhangt (z.B. Querschlupf, Bohrschlupf, Fahrgeschwindigkeit, Reibungszahl, Lauacheneigenschaften, Fahrgeschwindigkeit), mussen diese Parameter jeweils angegeben werden. Das Kraftschlumaximum ist vor allem bei der Antriebsregelung von Bedeutung. Ein Kraftschlumaximum ist nur dann ausgepragt, wenn die Kraftschlufunktion bei anwachsendem Schlupf zunachst ansteigt und anschlieend wieder abfallt. In den Theorien von Carter/Fromm und Kalker liegt ein derartiges ausgepragtes Maximum der Kraftschlufunktion nicht vor. Die Kraftschlufunktion steigt monoton mit steigendem Schlupf entweder bis zu einem Maximalwert an, der sich dann bei weiterer Steigerung des Schlupfes nicht verandert (Theorie von Carter/Fromm), oder sie nahert sich asymptotisch einem Maximum (Theorie von Kalker). In Bild 3(a) ist der Gleitvorgang mit einer von der Gleitgeschwindigkeit vgleit abhangigen Gleitreibungszahl dargestellt; in Bild 3(b) sind fur Rollvorgange mit unterschiedlichen Fahrgeschwindigkeiten die rechnerisch ermittelten Langskraftschlufunktionen wiedergegeben [11]. Dadurch, da die Langskraftschlufunktion uber dem Schlupf aufgetragen ist, sind zwar die Anfangssteigungen bei allen Kurven gleich, die Kurven gehen bei hohen Schlupfen aber in unterschiedliche asymptotische Kurven uber, die sich aus Bild 3(a) durch Verzerrung ermitteln lassen. Aus Bild 3(b) ist auch deutlich zu erkennen, da sich bei unterschiedlichen Fahrgeschwindigkeiten trotz gleichen Gleitreibungsgesetzes unterschiedliche Kraftschlumaxima ergeben. Das ist anders beim Kontakt von Reifen und Strae 7 µ = T N N T v gleit v gleit T N v0 Ω0 v0 ansteigend Schlupf ν = 2 ( v 0 - Ω0 r 0 ) v 0 + Ω0 r 0 Abbildung 3: Zusammenhange (a) im Fall des Gleitens zwischen Reibungszahl und Gleitgeschwindigkeit vgleit und (b) im Fall des Rollens zwischen Kraftschlu NT und Schlupf mit v0 als Parameter 17. In der technischen Literatur wird teilweise auch noch zwischen Mikrogleiten und Makrogleiten unterschieden. Beide Begri e sind bisher nicht eindeutig de niert. Beim Walzkontakt von Korpern mit glatten Ober achen und fur den Fall der Festkorperreibung lat sich Mikrogleiten dadurch de nieren, da es stets noch Bereiche der Kontakt ache gibt, in denen Haften vorliegt, wahrend beim Makrogleiten die gesamte Kontakt ache gleitet. 18. Ebenfalls in der technischen Literatur werden die Begri e Haftwert und Haftwertgrenze verwendet. Denkbar erscheint eine De nition dahingehend, da es bei Erreichen der Haftwertgrenze zu vollem Gleiten in der Kontakt ache kommt. Die Haftwertgrenze ware dann die Grenze zwischen Makrogleiten und Mikrogleiten. Es handelt sich aber hierbei um einen metechnisch nicht prazise uberprufbaren Sachverhalt. Auch eine De nition dahingehend, da nach U berschreiten der Haftwertgrenze \Schleuder-" oder \Gleitvorgange" einsetzen, ist nicht sinnvoll, da diese De nition eine subjektive Beurteilung enthalt und zudem vom Antriebs- und Bremskonzept abhangt. Es wird daher empfohlen, auf die Begri e Haftwert und Haftwertgrenze zu verzichten. Bei technischer Betrachtungsweise wird das Kraftschlumaximum auch als Reibwert bezeichnet. Es wird ebenfalls empfohlen, auf diesen miverstandlichen Begri zu verzichten. Fur die Ausbildung des Kraftschlumaximums sind aus mathematisch{mechanischer Sicht [11] nicht nur Reibungsvorgange sondern auch elastische Vorgange in den beiden Rollkontaktpartnern verantwortlich. 8 19. Fur viele Aufgaben ist man an linearen Zusammenhangen zwischen Schlupfkraften und Schlupfen interessiert. Die bei einer Linearisierung entstehenden Linearisierungskoefzienten sollen als Schlupfkraftgradienten bzw. Kraftschlugradienten bezeichnet werden. Bei der Bestimmung und Angabe dieser Groen ist zunachst eine Aussage dazu erforderlich, welche Schlupfkraft (Langs-, Querschlupfkraft oder Bohrmoment) linearisiert wird, bezuglich welcher Groe die Linearisierung erfolgt (Langsschlupf, Querschlupf und Bohrschlupf, gegebenenfalls auch bezuglich anderer Kontaktkenngroen wie der Amplitude pz0 der Flachenpressung oder der Kontaktellipsenhalbmesser a und b und schlielich bezuglich der Reibungszahl) und fur welchen Referenzzustand die Linearisierung vorgenommen wird. Die Schlupfkraftgradienten, die entstehen, wenn man die Schlupfkrafte nach den Schlupfen ableitet und als Referenzzustand den schlup reien Zustand wahlt, werden nach einer Normierung ublicherweise als SchlupfkoeÆzienten bezeichnet. Die Bildung hoherer Ableitungen ist nicht zweckmaig, da die Schlupfkraftfunktionen bei Verwendung eines lokalen Coulombschen Reibgesetzes fur bestimmte Referenzzustande nur einmal stetig di erenzierbar sind9. 20. Wir sprechen von stationaren Rollkontaktvorgangen, wenn eine charakteristische Wellenlange L des Bewegungsvorganges existiert und diese sehr viel groer ist als der Kontaktellipsenhalbmesser a in Rollrichtung. Das ist beispielsweise bei Sinuslaufbewegungen, bei denen L mehrere Meter betragt, der Fall. Alle Groen, die den Rollkontaktvorgang bestimmen (Schlupfe, Kontaktellipsenabmessungen) bleiben in einem Abschnitt, der um ein Vielfaches groer ist als die Kontakt ache, nahezu konstant. In diesem Fall kann man mit stationaren Schlupfkraft{Schlupf{Beziehungen arbeiten. 21. Sobald die Wellenlange des Bewegungsvorganges in die Groenordnung des Kontaktellipsenhalbmessers a kommt, ist diese stationare Betrachtungsweise nicht mehr moglich. Man mu berucksichtigen, da sich wahrend des Durchlaufs eines Partikels durch die Kontaktache der globale Schlupf und die Geometrie der Kontakt ache andern. Die nichtlinearen, instationaren Schlupfkraft{Schlupf{Beziehungen lassen sich nur numerisch ermitteln. Im instationaren Fall sind ebenfalls Linearisierungen moglich, so da sich der Begri des Schlupfkraftgradienten auch auf instationare Vorgange ubertragen lat. Man gibt zunachst Referenzschlupfe vor und u berlagert diesen kleine, harmonisch veranderliche Schlupfschwankungen. Es handelt sich also um eine Rechnung im Frequenzbereich. Durch Ableitung der Amplituden der Schlupfkraftschwankungen nach den Amplituden der Schlupfschwankungen (oder anderer Kontaktkenngroen [14]) lassen sich wiederum Schlupfkraftgradienten ermitteln. Da hierbei auch Phasenwinkel auftreten, ergeben sich komplexe Schlupfkraftgradienten. Ausgehend von den komplexen, frequenzabhangigen Schlupfkraft bergang in den Zeitbereich moglich [14]. gradienten ist der U Die Grenze, von der ab eine instationare Betrachtungsweise erforderlich ist, wird nicht einheitlich angegeben. Gro{Thebing [14] gibt an, da man fur La 20 instationar sollte. Kalker (personliche Mitteilung) setzt diese Grenze niedriger, namlich rechnen L 4. In der Straenfahrzeugtechnik wird als Grenze u L blicherweise a 10 angesetzt. a Mit dem Zusammenhang f 9 = Lv oder f = La va Man kann sich dies leicht an den analytischen Beziehungen von Carter/Fromm [12, 13, 1] klar machen. 9 Fahrgeschwindigkeit v [ ms ] 10 20 50 100 100 200 500 1000 0.005 (500) (1000) (2500) (5000) 50 100 250 500 0.01 (250) (500) (1250) (2500) Tabelle 1: Grenzfrequenzen (in Hz) fur eine instationare Betrachtungsweise, abhangig von den Parametern a (Kontaktellipsenhalbmesser) und v (Fahrgeschwindigkeit) a [cm] lat sich fur die beiden angegebenen La Werte und bei Annahme einer Fahrgeschwindigkeit v und eines Kontaktellipsenhalbmessers a eine Grenzfrequenz angeben, bei deren U berschreiten eine instationare Rechnung erforderlich wird. In der nachfolgenden Tabelle 1 sind diese Grenzfrequenzen (in Hz) angegeben, wobei die Grenzfrequenzen fur den Kalkerschen La Wert in Klammern gesetzt sind. Bei ri elauslosenden Schwingungen mit Frequenzen von 500 bis 2000 Hz sollte man in jedem Fall instationar rechnen. Auf das Problem des Kurvenquietschens wird kurz im folgenden Absatz eingegangen. Eine instationare Behandlung ist auch erforderlich beim Anfahrvorgang aus dem Stand, da hierbei weder eine vorherrschend Referenzgeschwindigkeit existiert noch eine charakteristische Wellenlange. 22. Roll-slip-Vorgange sind beim Rollkontakt das Entsprechende wie stick-slip-Vorgange beim Gleiten. Zu Roll-slip kann es kommen, wenn eine Kraftschlufunktion vorliegt, die bei steigendem Schlupf zunachst ansteigt, nach Erreichen eines Kraftschlumaximums aber wieder abfallt, und wenn zusatzlich der Schlupf so gro ist, da der Arbeitspunkt hinter dem Kraftschlumaximum liegt. Derartige Roll-slip-Vorgange sind die Grundlage von selbsterregten Schwingungen, die zur Ausbildung von Schlupfwellen auf den Innenschienen enger Bogen fuhren; sie sind auch verantwortlich fur Reibschwingungen, an denen der Antriebsstrang von elektrischen Triebfahrzeugen beteiligt ist. Da in beiden Fallen die Wellenlangen hinreichend gro sind, kann eine stationare Kontaktmechanik eingesetzt werden. Beim Kurvenquietschen sind die Wellenlangen so klein, da instationare, nichtlineare kontaktmechanische Beziehungen erforderlich werden. Im Extremfall ist denkbar, da es nur in Teilen der Kontakt ache zu Stick-slip kommt. Es handelt sich dann um lokale Stickslip-Vorgange. Roll-slip-Vorgange sind demgegenuber globale Stick-slip-Vorgange. Literatur [1] K.L. Johnson. Contact Mechanics. Cambridge University Press, Cambridge, 1985. [2] J. J. Kalker. Three Dimensional Elastic Bodies in Rolling Contact. Kluwer Academic Publishers, Dortrecht e.a., 1990. [3] DIN 50323, Teil 3. Tribologie - Reibung. 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