Stefan aus der Wiesche Franz Joos Hrsg. Handbuch Dampfturbinen Grundlagen, Konstruktion, Betrieb Handbuch Dampfturbinen Stefan aus der Wiesche Franz Joos (Hrsg.) Handbuch Dampfturbinen Grundlagen, Konstruktion, Betrieb Herausgeber Stefan aus der Wiesche Fachhochschule Münster Steinfurt, Deutschland ISBN 978-3-658-20629-1 https://doi.org/10.1007/978-3-658-20630-7 Franz Joos Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg Hamburg, Deutschland ISBN 978-3-658-20630-7 (eBook) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichenund Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Vorwort Vor rund einhundert Jahren konnte man die Gesamtheit des damaligen Dampfturbinenbaus noch in einem monumentalen Werk zusammenfassen, wie es A. Stodola in seinem Klassiker „Die Dampfturbinen“ (4. Auflage, Springer-Verlag, Berlin, 1910) gelungen ist. Eine solche vollständige Darstellung in nur einem Buch ist heute nicht mehr möglich, da in den letzten Jahrzehnten im Dampfturbinenbau eine enorme Erweiterung des Kenntnisstandes und der konstruktiven Ausführungen erfolgte. Bemerkenswert ist, dass speziell seit den 1990er-Jahren eine fast sprunghafte Weiterentwicklung einsetzte, die man nach einem Wort von W. Ulm (VGB PowerTech 83 (2003), 1) als eine weitgehend unbemerkte technologische Revolution bezeichnen könnte. Die modernen Dampfturbinen von heute werden – vereinfacht ausgedrückt – anders konstruiert und gefertigt als ihre erfolgreichen Vorgängerinnen von einst. Diese technologische Revolution blieb einer breiten Öffentlichkeit – aber auch einem großen Kreis von Fachleuten – verborgen, weil sie nur sehr begrenzt in der Literatur außerhalb von Fachkonferenzen und Fachzeitschriften behandelt wurde. Die Mehrzahl der englisch- und deutschsprachigen Bücher über Dampfturbinen wurden vor 1990 geschrieben. Auch die derzeit verbreitete Fachliteratur, wie beispielsweise die VGB-Fachkunde „Dampf- und Gasturbinen“ (VGB PowerTech, Essen), spiegeln meist nur den Stand der späten 1980er-Jahre wider. Infolgedessen erschien es den Herausgebern und Autoren des vorliegenden Buches und dem Verlag geboten, ein aktuelles Handbuch über Dampfturbinen zu verfassen, was einer größeren Leserschaft wieder eine Orientierung über diesen nach wie vor wichtigen Bereich des Maschinenbaus ermöglicht. Wie wichtig eine zeitgemäße Darstellung von Dampfturbinen ist, vermitteln die in den USA erschienene kurze Zusammenfassung von H. Termuehlen („100 Years of Power Plant Development: Focus on Steam and Gas Turbines as Prime Movers“, ASME Press, 2001) und die beiden ausführlichen Monographien „Steam Turbines for Modern FossilFuel Power Plants“ (Fairmont Press, 2007) und „Wet-Steam Turbines for Nuclear Power Plants“ (PennWell, 2005) von A. S. Leyzerovich. In diesen Fachbüchern wird der enorme Fortschritt der letzten Jahrzehnte im Dampfturbinenbau anschaulich dargestellt. Im Unterschied zu diesen Werken soll das hier vorliegende Handbuch aber nicht nur über moderne Entwicklungen informieren, sondern auch die allgemeinen physikalischen und konstruktiven Grundlagen des Dampfturbinenbaus für einen weiten Kreis von interessierten Lesern vermitteln. Dieser Grundidee folgend, befassen sich nach einer qualitativen Übersicht die V VI Vorwort ersten Kapitel mit den thermodynamischen, strömungstechnischen und rotordynamischen Grundlagen. Auch die immer wichtiger werdende Thematik der Zweiphasenströmung in Nassdampfdampfstufen wird in diesem Buch in Form eines eigenen Kapitels ausführlich behandelt. Im gesamten Buch werden an verschiedenen Stellen moderne rechnergestützte Auslegungs- und Entwicklungsverfahren aufgeführt, wobei die heute im Dampfturbinenbau unverzichtbaren numerischen Strömungssimulationen (Computational Fluid Dynamics (CFD)) darüber hinaus auch in einem separaten Kapitel vorgestellt werden. Ein Großteil dieses Handbuches befasst sich mit den vielfältigen konstruktiven Aspekten des Dampfturbinenbaus und der enormen Fülle an Ausführungsbeispielen. Inhaltlich folgen die entsprechenden Kapitel dem Dampfpfad, d. h. beginnend mit den Einlassorganen werden entlang der Hauptströmung die einzelnen Komponenten der Dampfturbinen bis hin zum Kondensator und Rückkühlwerk beschrieben. Die Ausführungsbeispiele und Anwendungen der Gesamtmaschinen erfolgen in separaten Kapiteln, die auch alle wichtigen Kraftwerkseinsätze abdecken. Die überwältigende Mehrzahl der Dampfturbinen wird in fossil befeuerten Kraftwerken oder in Kernkraftwerken eingesetzt, aber auch die geound solarthermischen Dampfkraftwerke werden in diesem Buch als Beispiele für umweltfreundliche Dampfkraftprozesse näher behandelt. Der Einsatz der Dampfturbine als Schiffsantrieb wurde aber wegen der heute sehr geringen Bedeutung in diesem Handbuch weitgehend ausgelassen. Der letzte Teil der Kapitel befassen sich mit den verschiedenen Aspekten des Betriebs von Dampfturbinen, wie Regelung und Vermeidung von Störungen, oder Abnahme- und Betriebsversuche. Bei der Abfassung der einzelnen Kapitel wurde darauf hingearbeitet, dass diese möglichst auch für sich alleine schon gut lesbare Einheiten darstellen. Die eventuell im Text und im Bildmaterial auftretenden kleinen inhaltlichen Überschneidungen wurden im Sinne einer besseren Lesbarkeit bewusst in Kauf genommen. Größere inhaltliche Wiederholungen wurden aber vermieden, so dass in Einzelfällen Rückgriffe auf andere Kapitel für Leser hilfreich sein mögen. Auch wurde in den einzelnen Kapiteln darauf geachtet, dass als Formelsymbole möglichst die in den jeweiligen Fachgebieten übliche Nomenklatur verwendet wurde. Dies führt zwar zu einer teilweisen Mehrfachbelegung der Symbole, doch sollten dadurch keine größeren Schwierigkeiten auftreten, da die jeweilige Bedeutung immer aus dem Zusammenhang klar hervorgeht. In das Buch ist das Wissen eingeflossen, das die Autoren während ihrer Hochschulund Industrietätigkeit über viele Jahre hinweg im Bereich der Dampfturbinen erworben haben. Dieses Buch konnte aber auch nur geschrieben werden, weil die Autoren in Gesprächen mit vielen Experten aus Industrie und Hochschule wichtige Erfahrungen über ihren persönlichen Arbeitsbereich hinaus sammeln durften. Diesen Experten und ihren Firmen und Hochschulen, die das vorliegende Buch unterstützten, gilt der gemeinsame Dank der Autoren. Besonders sei an dieser Stelle die Unterstützung durch den VGB und seinen Experten erwähnt. Dieses Handbuch konnte nur durch das Interesse und die Unterstützung des Verlages, und ganz besonders durch Herrn Zipsner und Frau Zander (Springer-Vieweg-Verlag) erscheinen. Wir alle hoffen, dass dieses Handbuch eine gute Aufnahme findet. Vorwort VII Bei der viel Sorgfalt erfordernden Bearbeitung der Manuskripte und Abbildungen dieses Buches wurden wir von unseren Mitarbeitenden großartig unterstützt. Ohne sie wäre das hier vorliegende Buch in dieser Form nicht entstanden. Die Herausgeber möchten an dieser Stelle den besonderen Einsatz von Martina Gerds hervorheben, die auch vor den eher unangenehmen Aufgaben der Literaturverzeichniserstellung und der Kontrolle der Nomenklatur nicht zurückschreckte. Weiterhin möchten wir die vielfältige administrative und zeichnerische Unterstützung (in alphabetischer Reihenfolge) durch Karsten Hasselmann, Maximilian Passmann, Felix Reinker, Reiner Schönfeld, Stephan Uhkötter und Robert Wagner nicht unerwähnt lassen. Stefan aus der Wiesche Franz Joos Oktober 2017 Einheiten und wichtige Formelzeichen Einheiten In diesem Buch werden die Einheiten im SI-System mit den Grundeinheiten Länge Masse Zeit Temperatur m (Meter) kg (Kilogramm) s (Sekunde) K (Kelvin) verwendet. Für die Angabe der (absoluten) Temperatur wird im SI-System das Kelvin (K) verwendet. In Größengleichungen darf das ebenfalls gebräuchliche Grad Celsius (ı C) stets durch Kelvin ersetzt werden. Aus den Basiseinheiten können kohärent die Einheiten für alle übrigen verwendeten mechanischen und wärmetechnischen Größen abgeleitet werden. Die Einheiten von häufig verwendeten Größen lassen sich nach den nachfolgenden Beziehungen angegeben: Kraft Druck Energie/Arbeit Leistung spezifische Enthalpie 1 N D 1 kg m=s2 1 Pa D 1 N=m2 und 1 bar D 105 Pa 2 1 J D 1 N m D 1 Ws D 1 kg m2 =s 1 W D 1 J=s D N m=s 2 1 J=kg D 1 m2 =s Wärmemengen tragen dieselbe Einheit wie Energie und Arbeit (J). Bei Wärmeströmen (Watt) wird oft durch einen Index auf den thermischen Charakter hingewiesen (z. B. MWth ). Die Umrechnung der älteren Wärmeeinheit „Kalorie“ (cal) erfolgt gemäß 1 cal D 4;1855 J bzw. 1 kcal D 4;1855 kJ IX X Einheiten und wichtige Formelzeichen In der angelsächsischen Literatur werden neben den SI-Einheiten auch nicht-metrische Einheiten verwendet. Die Umrechnung der wichtigsten Einheiten kann gemäß der nachfolgenden Tab. 1 erfolgen. Tab. 1 Umrechnung von Einheiten Größe Länge Masse Temperatur Druck Energie Leistung SI-Einheit cm kg ı C kPa kJ kW Umrechnung (British oder Imperial Units) 1 inch D 2,54 cm 1 lb D 0,4536 kg .ı F 32/=1;8 1 psi D 6,895 kPa 1 Btu D 1,055 kJ 1 hp D 0,7457 kW Wichtige Formelzeichen Nachfolgend werden die in diesem Buch häufig gebrauchten Buchstabensymbole und ihre Einheiten aufgeführt. Hierbei wurde angestrebt, die in der Praxis gebräuchlichen Konventionen zu beachten. Beispielsweise wird die spezifische Gaskonstante in der Literatur meist mit dem Buchstaben R bezeichnet, der auch für die Angabe von Radien verwendet wird. Ebenso ist es im Turbomaschinenbau üblich, die Umfangsgeschwindigkeit mit u zu bezeichnen, was in der Thermodynamik oft die spezifische innere Energie bezeichnet. Daher werden die Buchstabensymbole in den einzelnen Kapiteln dieses Buches teilweise mehrfach gebraucht. Aus dem jeweiligen Zusammenhang im Text wird die jeweilige Bedeutung allerdings hervorgehen und sollte daher zu keinen praktischen Schwierigkeiten führen. Formelzeichen, die in der nachfolgende Liste nicht enthalten sind, gehen aus der Erläuterung im Text hervor. Lateinische Formelzeichen a a a a A A A at aS An B Schallgeschwindigkeit Beschleunigung dimensionslose Winkelbeschleunigung Flankentiefe eines Risses Fläche bzw. Strömungsquerschnitt Übertragerfläche Korrekturfaktor spezifische Turbinenarbeit Hebelarm der Krafteinleitung Integrationskonstante Dauer m/s m/s2 – m m2 m2 – J/kg m – s Einheiten und wichtige Formelzeichen b b b b B bL bij Bn c c c C C C C cp cT cv Cb Cc Cf Cm Ca d D D d d D D D e e E E E e e E E EP eS spezifische Anergie axiale Sehnenlänge Lagerbreite Rippenbreite Lagerbreite Stellgliedparameter Dämpfungseintrag Integrationskonstante Strömungsgeschwindigkeit spezifische Wärmekapazität Steifigkeit Konstante Konstante Korrekturfunktion (HEI) Steifigkeitsmatrix spezifische isobare Wärmekapazität Torsionssteifigkeit spezifische isochore Wärmekapazität Vorlastgröße Cunningham-Faktor Korrekturfunktionen (HEI) Vorlastgröße Kapillar-Zahl Durchmesser (Wellenzapfen) Durchmesser Diffusionskoeffizient Durchmesser spezifischer Dampfverbrauch Durchmesser Dämpfungsmaß verallgemeinerte Dämpfungsmatrix Exzentrizität Regelabweichung (normiert, im Zeitbereich) Energie Elastizitätsmodul Regelabweichung (normiert) spezifische Exergie spezifische Energie E-Modul Energie Exergiestrom Imperfektion, Unwuchtgröße XI J/kg m m m m – – – m/s J/(kg K) N/m – m – N/m J/(kg K) N m/rad J/(kg K) m – – m – m m m2 /s m kg/kWh m – N s/m m – J Pa – J/kg J/kg Pa J W m XII e0 e* EZ f* f f F F fM Fm Fp ft FT g G g G G G G h h H H h h H H H H H hF Ho Hu h i I j j J j+ k Einheiten und wichtige Formelzeichen Exzentrizität (Thomas-Kraft) Verlagerung Eindickzahl Reibwertkennzahl Frequenz Reibungsfaktor Kraft Korrekturfaktor Korrekturfunktion (HEI) bruchmechanischer Formfaktor Beiwert Korrekturfunktion (HEI) Beiwert Gütegrad Übertragungsfunktion (normiert) Erdbeschleunigung Gewichtskraft Gibbs’sche freie Energie Schubmodul Turbulenzfaktoren Nachgiebigkeit (h D 1=c) spezifische Enthalpie dimensionslose Filmhöhe Thermodiffusionskoeffizient spezifische Enthalpie Spaltabstand Enthalpie Schaufellänge (Höhe) Höhe spezifische Totalenthalpie Nachgiebigkeitsmatrix Flanschhöhe oberer Heizwert unterer Heizwert spezifisches Enthalpiegefälle Anstellwinkel (Inzidenz) Tropfenbildungsrate imaginäre Einheit spezifische Dissipationsenergie Keimbildungsrate Depositionsrate Dämpfungskonstante m m – – Hz – N – – – – – – – – m/s2 N J Pa – m/N J/kg – m2 /s J/kg m J m m J/kg m/N m J/kg J/kg J/kg ı – – J/kg 1/(m3 s) – N s/m Einheiten und wichtige Formelzeichen k k k k K K K K K K K K K kB KG Kp ksp Kn KT L l l l L L L Le Li Lu m m m m M M M m P Mm MU Ma N N dimensionsloser Faktor spezifische turbulente kinetische Energie Wärmedurchgangskoeffizient Umrechnungsfaktor Konstante für Spaltverluste Geschwindigkeitsbeiwert Verjüngungsfaktor Vergrößerungsfaktor Konzentrationsfaktor Festigkeitskennwert Koeffizient (Einbaukennlinie) Reglerkonstante (normiert) bruchmechanischer Spannungsintensitätsfaktor Boltzmann-Konstante Kühlgrenzabstand Druckverlustkoeffizient Spalterregungssteifigkeit Knudsen-Zahl Kosten Lagerabstand Länge Sehnenlänge Schaufelhöhe spezifische latente Wärme, Umwandlungsenthalpie Schaufellänge Länge Lewis-Zahl spezifische innere Arbeit spezifische Umfangsarbeit Rippenkenngröße Masse Vorlast (preload, Lager) Exponent (Einbaukennlinie) Moment Massenstrom Massenmatrix Massenstrom Molmasse Umfangsmachzahl Mach-Zahl Anzahl Exponent XIII – J/kg W/(m2 K) – – – – – – Pa – – Pa/m1=2 J/K J/K – N/m – EURO m m m m J/kg m m – J/kg J/kg 1/m kg – – Nm kg/s kg kg/s kg/mol – – – – XIV N n n n n np nq nS nbtf Ne Nu NTU Oh p p p P P pK Pr psat PV q q q q q Q Q qc q qP QP qP S R r r r R R ra rh Einheiten und wichtige Formelzeichen Lastspielzahl Drehzahl Anzahl Polytropenexponent Anzahl von Rohren Polytropenexponent spezifische Drehzahl Anzahl der Starts Modellparameter für die Tropfenbildungsrate Newton-Zahl Nusselt-Zahl Zahl der Übertragungseinheiten (number of transfer units) Ohnesorge-Zahl spezifische Tragkraft Druck spezifische Lagerbelastung, Flächenpressung Leistung Polanzahl Kondensatordruck Prandtl-Zahl Sättigungsdruck (Dampfdruckkurve) Ventilatorleistung Kondensationskoeffizient spezifische Wärmemenge verallgemeinerter Freiheitsgrad Pressung bruchmechanischer Exponent Durchflussfunktion Volumenstrom Verdampfungskoeffizient mittlere Pressung Wärmestromdichte Wärmestrom Strahlungsdichte Reaktionsgrad Reaktionsgrad Radius (komplexe) Auslenkung Radius spezifische Gaskonstante Außenradius Nabenradius (hub) – 1/s – – – – 1/s – – – – – – N/cm2 Pa N/mm2 W – Pa – Pa W – J/kg m Pa – – m3 /s – Pa W/m2 W W/m2 – – m m m J/(kg K) m m Einheiten und wichtige Formelzeichen ri rm rt Rf Rh RH Rm Rp Re Re S s s s s s s s S S S S Sc So So* Sr St T T t t t t T T u U u u U U Innenradius Mittelradius Spitzenradius (tip) Foulingwiderstand Rahmentoleranz Wärmerückgewinnungsfaktor universelle Gaskonstante Festigkeitskennwert Reynolds-Zahl Reynolds-Zahl Solarkonstante spezifische Entropie Teilung spezifische Entropie Teilung Sehnenlänge Wandstärke Lagerspiel Entropie Übersättigungsverhältnis Ablagerungsrate Sicherheitsbeiwert Schmidt-Zahl Sommerfeld-Zahl bezogene Sommerfeld-Zahl Strouhal-Zahl Stokes-Zahl Reglerzeitkonstanten (normiert) Betriebsdauer Zeit Teilung Dicke Temperatur Temperatur Drehmoment Ausgangsgröße (normiert, im Zeitbereich) Ausgangsgröße (normiert) Umfangsgeschwindigkeit Stellgliedparameter Umfangsgeschwindigkeit Unwucht XV m m m m2 K/kW – – J/(mol K) Pa – – W/m2 J/(kg K) m J/(kg K) m m m m J/K – – – – – – – – – h s m m ı C K Nm – – m/s – m/s kg m/s XVI U un v v v V V Vx VP W w w w w W Wb We X X x x x x X x x* Y y y y Y YP z Z Z Z Z Z ZM Einheiten und wichtige Formelzeichen Geschwindigkeit Eigenfunktion der Biegeschwingung spezifisches Volumen Relativgeschwindigkeit Verschwächungsfaktor Volumen Vergrößerungsfaktor Messspiel Volumenstrom Führungsgröße (normiert) Relativgeschwindigkeit spezifische Arbeit statische Durchbiegung des Rotors spezifischer Wärmeverbrauch Arbeit Widerstandsmoment Weber-Zahl Dampfnässe Prozessgröße (allgemein) Dampfanteil Koordinate Wasserbeladung der Luft Messwerte (allgemein) Druckmittelbeiwert Vektor der Freiheitsgrade Strömungsgasgehalt Regelgröße (normiert) Koordinate Dampfnässe spezifische Strömungsarbeit spezifische Stutzenarbeit Totaldruckkoeffizient Koordinate bzw. Höhe Stufenanzahl Kompressibilitätsfaktor Spalt Zweifel-Zahl Kühlzonenbreite Muldenanzahl m/s m m3 /kg m/s – m3 – – m3 /s – m/s J/kg m – J m4 – – – – m kg/kg – bar mm h/kg m – – m – J/kg J/kg – m – – m – K – Einheiten und wichtige Formelzeichen XVII Griechische Formelzeichen ˛ ˛ ˛ ˛ ˛ ˛n ˇ ˇ ˇ ˇn ˇT ˇx j ı ı ı ı hv " " " " " " DE sp A C E Schaufelwinkel Wärmeübergangskoeffizient Verlustkoeffizient Absorptionsgrad Verhältnis der Enthalpiegefälle Entwicklungskoeffizient Schaufelwinkel Massenanteil, Feuchtegehalt thermischer Ausdehnungskoeffizient Entwicklungskoeffizient thermischer Ausdehnungskoeffizient Stoffübergangskoeffizient Rauheit Winkel Gewichtsanteil Gewichtungsfaktor Massenwachstumsrate Spalt bzw. Spiel Durchmesser-Zahl Integrationskonstante (Winkel) Ablenkung Gefälle Verdampfungsenthalpie Teilbeaufschlagungsfaktor Volumenverhältnis der flüssigen Phase Exzentrizität Dehnung Effektivität Emissionsgrad Verlustkoeffizient Reibungskoeffizient exergetischer Wirkungsgrad des Dampferzeugerteils Spaltverlustkoeffizient dynamische Viskosität Wirkungsgrad Modifikationsfaktor Verhältnis von Kreisfrequenzen Ausnutzungsgrad des Abhitzekessels Carnot-Faktor (gleich Carnot-Wirkungsgrad) Eigenbedarf ı W/(m2 K) – – – – ı – 1/K – 1/K kg/(m2 s) m ı – – – m – rad ı J/kg J/kg – – m – – – – – – – Pa s – – – – – – XVIII K sT th u # z ‚ ‚a ‚p B S ' ' ' Einheiten und wichtige Formelzeichen Kessel-Wirkungsgrad isentroper Turbinenwirkungsgrad thermischer Wirkungsgrad Umfangswirkungsgrad einer Stufe Temperatur Massenträgheitsmoment nicht-isothermer Korrekturfaktor Umfangswinkel Zenitwinkel Trägheitsmoment axiales Trägheitsmoment polares Trägheitsmoment Isentropenexponent Rotorschlankheitsgrad Wärmeleitfähigkeit Wellenlänge Reibbeiwert Massenstromanteil Durchfluss-Zahl, Schluck-Zahl dynamische Viskosität dimensionsloses Verhältnis kinematische Viskosität normierte Drehzahl Querkontraktionszahl Staffelwinkel Durchflussfunktion Druckverhältnis Dichte Verformung Reflexionsgrad Spannung Lauf-Zahl, Schnellläufigkeit Oberflächenspannung Zeitstandfestigkeit Stefan-Boltzmann-Konstante Schubspannung Zeitskala, Relaxationszeit Zeitkonstante Transmissionsgrad Durchfluss-Zahl Winkel relative Luftfeuchte Winkel – – – – ı C kg m2 – rad ı kg m2 kg m2 kg m2 – – W/(m K) m – – – Pa s – m2 /s – – ı – – kg/m3 m – Pa – kg/s2 Pa W/(m2 K4 ) Pa s s – – rad – rad Einheiten und wichtige Formelzeichen ˚ ! ! ! ! ˝ dimensionsloses Temperaturverhältnis Durchflussziffer bzw. -Zahl Durchsatzfunktion Formfunktion (FEM) relative Exzentrizität Lastziffer Modellparameter Winkelgeschwindigkeit Kenngröße für Heizkraftwerke Eigenkreisfrequenz Winkelgeschwindigkeit (Rotor) XIX – – – – – – – rad/s – – rad/s Indizes Indizes, wenn sie in der obigen Auflistung nicht schon aufgeführt sind, werden vorwiegend mit folgender Bedeutung gebraucht: 0 0 0 1 2 1 * * C o1 a ab aus B cr d, D DT E E eff ein f FD g gg Referenz, Umgebung Leitradeintritt Nennbetrieb Laufradeintritt Laufradaustritt Unendlich, außen, Umgebung Kritisch Nennbetrieb Dimensionslos Totalzustand 1 außen Abdampf Austretend Brennstoff Kritisch Dampf Dampfturbine Entnahme bzw. Anzapfstelle Einspritzmenge effektiv eintretend Film (Kondensation) Frischdampf Gewicht Gegenlauf XX gl Gr ges GT h HD het hom hyd ik i k K K KM KW kr L L LA LB LE LE m max min n R R red ref rev RG s S sat Sp t T th th tot Einheiten und wichtige Formelzeichen Gleichlauf Grenze gesamt Gasturbine horizontal Hochdruck heterogen homogen hydraulisch Zustandsänderung von Zustand i nach k innen Kontaktlinie Kondensator Kühlung Kühlmedium Kühlwasser kritisch Lager Luft Laufrad Lagerbock Leitrad leading edge (Vorderkante) mittel maximal minimal Mode n Radraum Rotor reduziert Referenz reversibel Rauchgas isentrop Schwerpunkt Sättigung Spalt technisch Turbine theoretisch thermisch total Einheiten und wichtige Formelzeichen v V V W W ZÜ vertikal Vorwärmung Verlust Welle Wasser Zwischenüberhitzung Wichtige Abkürzungen und Akronyme AM CC CFD CSP DKW DWR FEM GuD HD HP IP ISCC LP MD NCG ND NPP ORC RANS SDV SC SPP SWR USC Air Mass Combined Cycle Computational Fluid Dynamics (numerische Strömungsmechanik) Concentrated Solar Power Dampfkraftwerk Druckwasserreaktor Finite-Element-Methode Gas- und Dampf Hochdruck (vergleiche HP high pressure) High Pressure Intermediate Pressure Integrated Solar Combined Cycle Low Pressure Mitteldruck (vergleiche IP intermediate pressure) Non-Condensing Gas (nicht-kondensierbare Gas) Niederdruck (vergleiche LP low pressure) Nuclear Power Plant Organic Rankine Cycle Reynolds-Averaged Navier Stokes spezifischer Dampfverbrauch Super-Critical (überkritisch) Steam Power Plant Siedewasserreaktor Ultra Supercritical (ultra-überkritisch) XXI Inhaltsverzeichnis 1 2 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan aus der Wiesche 1.1 Dampfturbinen und die Struktur technologischer Umwälzungen 1.2 Historische Entwicklung und Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Klassifizierung von Dampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Einige Angaben zur weltweiten Dampfturbinenindustrie . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen . . . . . . . . . . Matthias Neef und Stefan aus der Wiesche 2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Vorläufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Kolbendampfmaschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Dampfkraftprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Erste Betrachtung zur Dimensionierung . . . . . . . . . 2.2 Stufen und Beschaufelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Aufbau einer Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Axiale und radiale Bauweise . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Einführung von Gleichdruck- und Überdruckbauweise 2.2.4 Gleichdruck- oder Aktionsstufen (Kammerbauweise) . 2.2.5 Überdruck- oder Reaktionsstufen (Trommelbauweise) 2.2.6 Mehrstufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7 Vergleich von Gleichdruck- und Überdruckturbinen . . 2.3 Aufbau von Dampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Gehäuse mit Dampfein- und -austritt . . . . . . . . . . . 2.3.2 Rotor und Beschaufelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Lagerung und Kupplungsflansch (Wellenstränge) . . . 2.3.4 Wellendichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Gehäuseaufteilung und Mehrflutigkeit . . . . . . . . . . 2.4 Klassifizierung von Dampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Heiß- und Sattdampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . ..... . . . . . 2 4 17 21 26 ....... 27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 28 31 32 33 36 36 37 38 40 43 44 47 51 52 53 54 55 57 61 62 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII XXIV Inhaltsverzeichnis 2.4.2 Kondensations- und Gegendruck- sowie Entnahmeturbinen 2.4.3 Verwendungszweck und Einsatzbereich . . . . . . . . . . . . 2.5 Radialturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Zentripetalturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Ljungström-Turbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Vergleich der Dampfturbine mit anderen Strömungsmaschinen . . 2.6.1 Peripherie und Nebenkomponenten . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Thermodynamisches Gefälle und Leistungsdichte . . . . . . 2.6.3 Dampf- und Gasturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 4 . . . . . . . . . . 63 67 69 70 72 77 77 78 79 83 ..... 85 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan aus der Wiesche 3.1 Geschlossene Kreisprozesse für Wärmekraftanlagen . . . . . . . . 3.2 Einfacher Clausius-Rankine-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Thermodynamisches Verhalten in der Turbomaschine . . . . . . . 3.3.1 Bestimmung der Zustandsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Idealer Dampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Berechnung der Schallgeschwindigkeit von Dampf . . . . 3.3.4 Wirkungsgrade und Wärmerückgewinn . . . . . . . . . . . 3.4 Exergetische Analyse des einfachen Clausius-Rankine-Prozesses 3.5 Maßnahmen zur Steigerung des thermischen Wirkungsgrades . . 3.5.1 Erhöhung des Frischdampfzustandes . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Zwischenüberhitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Regenerative Speisewasservorwärmung . . . . . . . . . . . 3.6 Großkraftwerke auf Basis von Kohle . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Dampfkrafttechnische Auslegung von Kernkraftwerken . . . . . . 3.8 Kombinierte Gas- und Dampfkraftprozesse . . . . . . . . . . . . . 3.9 Dampfkraftprozesse mit Kraft-Wärme-Kopplung . . . . . . . . . . 3.9.1 Kenngrößen für Kraft-Wärme-Kopplungen . . . . . . . . . 3.9.2 Mehrstufige Vorwärmsäulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.3 Kraft-Wärme-Kopplung bei Großkraftwerken . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen . . . . . . . Franz Joos 4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Kennzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Ähnlichkeitstheorie, dimensionslose Kennzahlen 4.2.2 Spezielle Kennzahlen der Strömungsmaschinen . 4.2.3 Mach-Zahl-Ähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Gasdynamische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 88 92 93 95 96 98 101 104 104 106 110 116 119 121 127 128 129 130 131 . . . . . . . . . . 133 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 133 134 136 145 147 Inhaltsverzeichnis XXV 4.3 Hauptgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Definition der Strömungsgeschwindigkeiten . . . . . . . . . 4.3.2 Kontinuitätsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Energieerhaltung, die spezifische Umfangsarbeit Lu . . . . 4.3.4 Definition der Wirkungsgrade . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Energieumsatz im Laufrad, der Drallerhaltungssatz . . . . . 4.4 Verluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Übersicht über verbreitete Korrelationen zur Abschätzung der Verluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Profilverluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Entropieerzeugung der Profilumströmung einer Kaskade . . 4.5 Durchsatzkurve der Turbine, Betriebskennlinie . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Darstellung im Kennfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Theorie der Turbinenstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Leitrad der Turbine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2 Laufrad der Turbine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.3 Vollständige Turbinenstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Turbinenwirkungsgrade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.1 Umfangswirkungsgrad einer Turbine . . . . . . . . . . . . . . 4.7.2 Gesamter Wirkungsgrad der Turbine . . . . . . . . . . . . . . 4.8 Betriebs- und Regelverhalten der Turbine . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.1 Turbinen mit variabler Drehzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.2 Turbinen mit konstanter Drehzahl . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9 Dampfkegelgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.10 Betriebspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Modellierung der Zweiphasenströmung . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Joos und Niklas Neupert 5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Nässeverluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Eindimensionale Berechnung der kondensierenden Strömung in Niederdruckturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Unterkühlung, spontane Kondensation . . . . . . . . . . . 5.3.2 Kondensationsmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Homogenes Kondensationsmodell . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Heterogene Modellbildung der Kondensation . . . . . . . 5.3.5 Nicht-Gleichgewichtsmodell heterogener Kondensation 5.4 Tropfen-Wand-Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Ablagerung feinen Nebels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Filmbildung bei Nebelströmung . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Aufprall einzelner Tropfen auf eine Wand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 149 150 151 154 155 158 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 162 163 166 166 168 168 170 174 175 175 176 178 179 183 188 190 191 . . . . . . 193 . . . . . . 193 . . . . . . 194 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 200 202 203 205 205 209 209 212 215 XXVI Inhaltsverzeichnis 5.4.4 Modellierung des Tropfenaufschlages auf eine feste Wand . 5.4.5 Einwirkung der Tropfen auf die Schaufeloberfläche . . . . . 5.5 Beschreibung des Wandfilms bei Tropfenaufprall . . . . . . . . . . . 5.6 Zerstäubung an der Hinterkante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.1 Primärzerfall, Hinterkantendesintegration . . . . . . . . . . . 5.6.2 Sekundärzerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 7 . . . . . . . . . . . . . . . . Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Willinger und Thomas Polklas 6.1 Thermodynamische Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Strömungsberechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Grundlagen der numerischen Strömungsberechnung . . . . . . 6.2.2 1D-Mittelschnittrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 2D-Meridianschnittrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 2D-Profilentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.5 Radiale Auffädelung der 2D-Profile . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 3D-RANS-Rechnungen (Reynolds-Averaged Navier Stokes) . . . . . 6.3.1 Detailfragen zum Thema Beschaufelung . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Einströmgehäuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Strömung in und nach Anzapfungen . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Strömung nach Dampfzu- und Dampfrückführungen . . . . . . 6.3.5 Strömung in Abdampfdiffusoren und Abdampfgehäusen . . . . 6.4 2D- oder 3D-URANS-Rechnungen (Unsteady RANS) . . . . . . . . . 6.4.1 Regelventildiffusoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Rotierende Ablösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Teilbeaufschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Stator/Rotor-Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.5 Hinterkantenablösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.6 Turbulenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rotordynamische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan aus der Wiesche 7.1 Übersicht und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Grundlegende Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Dämpfungsfreier Laval-Läufer in starren Lagern ohne Kreiselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Verallgemeinerung auf drehsymmetrische Rotoren . . . . . . . . . . . . . . . . 222 223 226 227 228 232 234 241 . . 249 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 255 255 261 262 269 276 280 280 282 283 283 284 286 288 288 289 290 291 292 292 . . . . . . . . . 299 . . . . . . . . . 300 . . . . . . . . . 304 . . . . . . . . . 304 . . . . . . . . . 307 Inhaltsverzeichnis 8 XXVII 7.2.3 Besonderheiten bei nicht-drehsymmetrischen Rotoren (unrunde Wellen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Laval-Läufer mit äußerer und innerer Dämpfung . . . . . . . . . . . 7.2.5 Resonanzdurchfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.6 Einfluss der Kreiselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Berücksichtigung der Lagerung und des Fundaments . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Läufer in elastischen Lagern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Besonderheiten bei Gleitlagern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 „Oil whirl“ und „Oil whip“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Rotordynamische Sonderprobleme für Dampfturbinen . . . . . . . . . . . 7.4.1 Spalterregung – Thomas-Kräfte (Dampfanfachung) . . . . . . . . . 7.4.2 Dichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.3 Angerissene Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.4 Explizite Berücksichtigung des Fundaments . . . . . . . . . . . . . 7.5 Modellbildung und Analyseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.1 Klassische Verfahren zur Bestimmung der kritischen Drehzahlen 7.5.2 Methode der Finiten Elemente (FEM) . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.3 Modellierung von Dampfturbinenrotoren . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Typische Fragestellungen für die Auslegung von Dampfturbinen . . . . . 7.6.1 Biegelinie und Ausrichtung des Wellenstrangs . . . . . . . . . . . . 7.6.2 Berechnung der Lateralschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.3 Laufstabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.4 Torsionsschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 310 313 315 318 322 324 327 328 329 332 333 334 334 334 336 338 340 340 341 343 344 348 348 Ventile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Joos und Thomas Polklas 8.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Strömungstechnische Grundlagen . . . . . . . 8.2.1 Ähnlichkeitsbetrachtung . . . . . . . . . 8.2.2 Die Ausflussfunktion . . . . . . . . . . . 8.2.3 Druckverlust . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Kennlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.5 Strömungsablösungen . . . . . . . . . . 8.3 Aufbau der Regel- und Schnellschlussventile 8.3.1 Anordnung der Drosseleinheit . . . . . 8.3.2 Aufbau des Schnellschlussventils . . . 8.3.3 Aufbau des Regelventils . . . . . . . . . 8.3.4 Absperrklappen . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Betrieb von Regelventilen . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Anfahr- und Abfahrverhalten . . . . . . 351 351 352 353 355 357 361 366 366 372 374 376 378 378 . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVIII Inhaltsverzeichnis 8.4.2 Vibrationen, Fluid-Strukturinteraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 380 8.4.3 Betrieb des Schnellschlussventils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 9 10 Beschaufelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan aus der Wiesche 9.1 Übersicht und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Gitterbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.3 Aufbau von Stufen und Reaktionsgrad . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.4 Quasi-Repetierstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Strömungstechnische Auslegung der Beschaufelung . . . . . . . . . . . 9.2.1 Vorläufige Abschätzung der Hauptabmessungen (preliminary design) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Hauptauslegung mit 1D-Mittelschnittverfahren . . . . . . . . . . 9.2.3 Verlustmodelle und Verlustberechnungen . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Räumliche Betrachtung der Strömung . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.5 Schaufelprofile im Dampfturbinenbau . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.6 Teilungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Strukturmechanische Auslegung der Beschaufelung . . . . . . . . . . . 9.3.1 Schaufelbeanspruchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Zusammenhang mit der Austrittsfläche von Niederdruckstufen 9.3.3 Schaufelschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Befestigung der Beschaufelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Nassdampfstufen und Entwässerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.1 Erosionsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2 Entwässerungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Standardisierung der Dampfturbinenbeschaufelung . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wellen und Gehäuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan aus der Wiesche 10.1 Übersicht und Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Werkstoffe für Dampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Klassische Werkstoffe und deren Verhalten . . . . . . . 10.2.2 Werkstoffe für über– und ultra-überkritische Prozesse 10.3 Wellen für Dampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.1 Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.3 Festigkeitsauslegung für zylindrische Rotoren . . . . . 10.3.4 Auswuchten und Schleuderprobe . . . . . . . . . . . . . 10.4 Axialschub und Schubausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 . . . . . . . . . . . . 396 396 401 402 404 406 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 410 411 416 419 423 424 424 426 428 434 437 437 439 443 447 . . . . . . . 449 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 452 453 456 460 460 462 468 471 472 Inhaltsverzeichnis 10.5 Kupplungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6 Wellendreheinrichtungen und Turbinengetriebe . . . . . . . 10.6.1 Wellendreheinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.2 Turbinengetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7 Gehäuse für Dampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7.1 Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7.2 Einfache Berechnungsgleichungen für Gehäuse . . 10.7.3 Hochdruck-Teilturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7.4 Mitteldruck-Teilturbinen und kombinierte Gehäuse 10.7.5 Niederdruck-Teilturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7.6 Gehäusekonzepte und Kombinationsmöglichkeiten 10.7.7 Turbinenentwässerungssystem . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 XXIX . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan aus der Wiesche 11.1 Übersicht und Klassifizierung von Labyrinthdichtungen . . . . . . . . . 11.1.1 Physikalisches Prinzip und Grundaufbau . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Klassifizierung und Ausführungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Anordnung der Spitzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.4 Richtwerte für die Gestaltung der Labyrinthe . . . . . . . . . . . . 11.1.5 Systeme mit Sperrdampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Strömungstechnische Analyse von Labyrinthdichtungen . . . . . . . . . 11.2.1 Klassische gasdynamische Stromfadentheorie (Fanno-Kurve) . . 11.2.2 Klassische Näherungsverfahren (Stodola) . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Theoretisch-empirische Bestimmung der Leckage . . . . . . . . . 11.2.4 Numerische Berechnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Rotordynamische Aspekte von Strömungen durch Dichtungen . . . . . 11.3.1 Rotordynamische Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2 Ermittlung der rotordynamischen Koeffizienten . . . . . . . . . . 11.3.3 Übersicht der Berechnungsverfahren (Bulk-Flow- und CFD-Ansätze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.4 Grundzüge des Bulk-Flow-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.5 Grundzüge von CFD-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.6 Strömungsbedingte Instabilitäten bei Dampfturbinendichtungen 11.4 Modell des sanft anstreifenden Rotors (Spiralen) . . . . . . . . . . . . . . 11.4.1 Thermo-elastisches Modell nach Kellenberger . . . . . . . . . . . 11.4.2 Diskussion der Modellgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Bürstendichtungen für Dampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.1 Aufbau von Bürstendichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.2 Verhalten von Bürstendichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 477 478 481 482 482 484 488 492 492 493 497 498 . 501 . . . . . . . . . . . . . . 502 502 503 506 507 508 510 510 513 515 518 518 518 521 . . . . . . . . . . 522 523 525 528 532 533 536 538 538 539 XXX 12 13 14 Inhaltsverzeichnis 11.5.3 Einsatz von Bürstendichtungen im Dampfturbinenbau 11.5.4 Untersuchung von Bürstendichtungen . . . . . . . . . . 11.6 Lamellendichtungen (leaf seals) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7 Abrasive Dichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abströmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Polklas 12.1 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Bauarten . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Diffusor . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Einflussfaktoren . . . . . . . . 12.4 Dampfdom . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Axiale Abströmung . . . . . . 12.4.2 Radiale Abströmung . . . . . 12.5 Betriebsweisen – Volllast – Teillast Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 543 545 547 548 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Industriedampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Polklas 13.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Baukastensystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Baureihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Baukästen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.3 Beschaufelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.4 Gehäuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Schaltungsvarianten von Industrie-Dampfturbinen 13.4 Regelwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 552 553 556 557 557 559 562 565 . . . . . . . . . . . . . . 567 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dampfturbinen für fossil befeuerte Großkraftwerke . . . . . . . . . . . . . Stefan aus der Wiesche 14.1 Kraftwerkstechnische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.1 Entwicklung von Dampfkraftwerken mit Kohlefeuerung . . . . . 14.1.2 Aufbau eines kohlebefeuerten Großkraftwerks . . . . . . . . . . . 14.1.3 Derzeitig realisierter Stand der Technik . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Festlegung der Hauptabmessungen und Grundkonzeption . . . . . . . . 14.2.1 Thermodynamische Konzeption des Kraftwerks . . . . . . . . . . 14.2.2 Konzeption der Dampfturbine (Kondensationsdampfkraftwerk) 14.2.3 Grenzleistung von Dampfturbinen und Wellenanordnung . . . . 14.2.4 Besonderheiten bei Heizkraftwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Konstruktionsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.1 Übersicht und Grundaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 569 572 573 573 577 588 594 594 . 595 . . . . . . . . . . . 596 597 599 602 607 607 609 615 620 621 621 Inhaltsverzeichnis XXXI 14.3.2 Erzielbare Wirkungsgrade und Verlustanalyse . . . . . . . . . . 14.3.3 Verteilung des Reaktionsgrades und Wirkungsgradsteigerung . 14.3.4 Hochdruck-Teilturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.5 Mitteldruck-Teilturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.6 Niederdruck-Teilturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Aufstellung und Turbinenfundamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 16 . . . . . . . 625 628 631 634 636 638 643 Dampfturbinen für kombinierte Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan aus der Wiesche 15.1 Kombinierte Kraftwerksprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.1 Thermodynamische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.2 Klassifizierung von kombinierten Kraftwerksprozessen . . . . . . 15.2 Kombinierte Gas- und Dampfkraftwerke mit Abhitzekessel . . . . . . . . 15.2.1 Anlagenkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.2 Wirkungsgrad und Gasturbinenprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.3 Gasturbinen für kombinierte Großkraftwerke . . . . . . . . . . . . . 15.2.4 Aufbau von kombinierten Kraftwerken und deren Wellenstränge . 15.3 Dampfturbinen für kombinierte Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.1 Vergleich der Dampfparameter und der Leistungsklassen . . . . . 15.3.2 Modularer Aufbau und Standardisierung . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.3 Bauformen und Gehäuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.4 Fehlende Anzapfung und Speisewasservorwärmung . . . . . . . . 15.3.5 Limitierende Endnässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.6 Schnelle Anfahrzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4 Dampfturbinen für Prozesse mit Wärmeauskopplung . . . . . . . . . . . . 15.4.1 Klassische Gasturbinenschaltungen mit Kraft-Wärme-Kopplung . 15.4.2 Moderne Kombikraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung (CC-CHP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4.3 Konstruktive Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5 Repowering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.6 Kombiprozesse mit integrierter Kohlevergasung (IGCC) . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 Dampfturbinen für Kernkraftwerke . . . . . . . . . . Stefan aus der Wiesche 16.1 Reaktortypen und Prozesse für Kernkraftwerke . 16.1.1 Klassifizierung von Kernkraftwerken . . . 16.1.2 Druckwasserreaktoren (DWR bzw. PWR) 16.1.3 Siedewasserreaktoren (SWR bzw. BWR) 16.1.4 CANDU-Reaktoren . . . . . . . . . . . . . 16.1.5 RBMK-Reaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 646 648 652 652 655 660 661 666 666 668 669 677 680 681 681 682 683 684 686 689 691 . . . . . . . . . . . . . . . 693 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693 694 695 697 698 699 XXXII Inhaltsverzeichnis 16.1.6 Schnelle Brutreaktoren (SBR) . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.7 Gasgekühlte Reaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.8 Hochtemperaturreaktoren (HTR) . . . . . . . . . . . . . . 16.2 Sattdampfprozesse für Leichtwasser-Kernkraftwerke . . . . . . 16.2.1 Frischdampfzustände und Expansionsverläufe . . . . . . 16.2.2 Thermische Wirkungsgrade . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.3 Einfluss der Nässe und Wasserabscheidung . . . . . . . . 16.3 Kernkraftwerksturbinen: Allgemeiner Konstruktionsüberblick . 16.3.1 Drehzahl und Grundaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.2 Abmessungen und Gewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.3 Beschaufelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.4 Wellen und Gehäuse der Teilturbinen . . . . . . . . . . . . 16.3.5 Besonderheiten bei Dichtungen . . . . . . . . . . . . . . . 16.4 Besonderheiten im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.1 Teillastverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.2 Überdrehzahlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nutzung regenerativer Energieträger durch Dampfturbinenprozesse Stefan aus der Wiesche 17.1 Geothermische Primärenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2 Dampfkraftprozesse für die Nutzung geothermischer Energie . . . . 17.2.1 Direkte Dampfentspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.2 Trockene Dampfentspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.3 Entspannungsverdampfung (Flash) . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.4 Einsatz eines Dampfumformers (Binäranlagen) . . . . . . . . 17.2.5 Hot-Dry-Rock-Verfahren (HDR) . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.6 Thermodynamische Bewertung und Wirkungsgrade . . . . . . 17.2.7 Wirtschaftliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Dampfturbinen für geothermische Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . 17.3.1 Konfigurationen und Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.2 Reaktionsgrad der Stufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.3 Beschaufelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.4 Dichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.5 Korrosion und Werkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.6 Entwässerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.7 Weitere Konstruktionsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4 Grundlagen der Solarthermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4.1 Wärmetechnische Grundlagen der Solarstrahlung . . . . . . . 17.4.2 Absorber mit Konzentrationsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5 Konzepte für solarthermische Dampfkraftwerke . . . . . . . . . . . . 17.5.1 Grundkonzepte und Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699 700 700 701 702 705 706 710 711 717 719 726 730 731 731 733 734 . . . 737 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 740 741 742 742 745 746 747 749 750 751 753 756 758 759 759 760 762 764 766 768 769 Inhaltsverzeichnis XXXIII 17.5.2 Farmkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5.3 Gesamtwirkungsgrade . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6 Dampfturbinen für solarthermische Kraftwerke . . . . . . 17.6.1 Besondere solarthermische Anforderungen . . . . 17.6.2 Entspannungsverläufe und Frischdampfparameter 17.6.3 Ausführungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6.4 Minimierung der Anfahrzeiten . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dampfturbinenumleitstationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bertram Gögelein 18.1 Anwendungsbereiche für Umleitstationen . . . . . . . . . . . . . . 18.2 Anforderungen und allgemeine technische Merkmale . . . . . . . 18.2.1 Sicherheitskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.2 Druckreduzierung und Schallentwicklung . . . . . . . . . . 18.2.3 Varianten der Druckreduzierung . . . . . . . . . . . . . . . . 18.3 Heißdampfkühlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.3.1 Integrierte Einspritzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.3.2 Nachgeschaltete Druckzerstäubung . . . . . . . . . . . . . . 18.3.3 Tropfenzerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.4 Weitere technische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.4.1 Sitzdichtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.4.2 Packungen im Hochtemperaturbereich . . . . . . . . . . . . 18.4.3 Reaktionszeiten (Antriebe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.5 Berechnungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.5.1 Ideales Gasdynamisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . 18.5.2 Vereinfachte Berechnung des Strömungsquerschnitts . . . 18.5.3 Bestimmung der Einspritzmenge . . . . . . . . . . . . . . . 18.5.4 Einsatz von numerischen Strömungssimulationen (CFD) . 18.6 Regelungstechnische Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleitlager für Dampfturbinen . . . . . . . . . . . Stefan Verstege und Stefan aus der Wiesche 19.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2 Strömungsmechanische Grundlagen . . . . . 19.2.1 Viskosität von Schmierstoffen . . . . 19.2.2 Strömungsvorgänge im Schmierspalt 19.3 Gleitlagertypen und Bauformen . . . . . . . 19.3.1 Hydrodynamische Axialgleitlager . . 19.3.2 Hydrodynamische Radialgleitlager . 19.3.3 Verlagerungsbahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773 776 777 777 778 780 783 785 . . . . . 787 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787 790 790 792 795 797 798 799 802 803 803 804 805 805 806 807 808 809 811 813 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 815 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 816 818 819 820 824 825 826 830 XXXIV Inhaltsverzeichnis 19.3.4 Turbulente Strömungszustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.3.5 Hydrostatische Gleitlager (Druckölentlastung) . . . . . . . . 19.4 Auslegungskriterien und Betriebsparameter . . . . . . . . . . . . . . 19.4.1 Statische Lagerkenngrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.4.2 Dynamische Lagerkenngrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.5 Berechnungsverfahren für Gleitlager . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.5.1 Berechnungsprogramme für Lager mit hoher Energiedichte 19.5.2 Berechnungsbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.5.3 CFD-Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.6 Lagerwerkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.7 Lagerung von Dampfturbinen und konstruktiver Aufbau . . . . . . 19.7.1 Lagerkonzept von großen Turbosträngen . . . . . . . . . . . 19.7.2 Radiallager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.7.3 Axiallager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.7.4 Lageraufnahme und Lagerböcke . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.7.5 Überwachung der Lagerschalentemperatur . . . . . . . . . . 19.7.6 Ölversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kondensatoren und Rückkühlwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan aus der Wiesche 20.1 Übersicht und allgemeine Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.1.1 Klassifizierung von Kondensatoren und Rückkühlwerken . . . 20.1.2 Funktionen und Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2 Kondensator- und Niederdruckteilturbinenauslegung . . . . . . . . . . 20.3 Aufbau und Ausführung von Kondensatoren . . . . . . . . . . . . . . . . 20.3.1 Anordnung von Turbine und wassergekühlte Oberflächenkondensatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.3.2 Aufbau von wassergekühlten Oberflächenkondensatoren . . . . 20.3.3 Direkte luftgekühlte Kondensatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.3.4 Misch- oder Einspritzkondensatoren . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4 Wärmetechnische Auslegung von Kondensatoren . . . . . . . . . . . . . 20.4.1 Klassische vereinfachte Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . 20.4.2 Temperaturverläufe in einem realen Kondensator . . . . . . . . 20.4.3 Auslegung gemäß HEI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4.4 Firmeninterne Auslegungsverfahren und CFD-Ansätze . . . . . 20.4.5 Luftgekühlte Kondensatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4.6 Druckverlustbestimmung für wassergekühlte Kondensatoren . 20.5 Verdunstungskühlsysteme und Nasskühltürme . . . . . . . . . . . . . . 20.5.1 Aufbau von Kühltürmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.2 Konstruktion und Kühlturmmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.3 Grundlagen der Verdunstungskühlung . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.4 Übergangskoeffizienten, Einbaukennlinien und Druckverluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831 833 833 834 834 836 837 837 839 842 844 846 849 852 854 854 855 858 . . 861 . . . . . . . . . . 862 862 865 868 871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 871 873 877 879 880 880 884 886 887 888 890 891 891 894 895 900 Inhaltsverzeichnis XXXV 20.5.5 Kennfelder von Kühltürmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 901 20.6 Auslegung des Wärmeabfuhrsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 903 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 906 21 22 Regelung der Dampfturbine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan aus der Wiesche 21.1 Aufgaben der Regelung einer Dampfturbine . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.1.1 Allgemeine regelungstechnische Bezeichnungen und Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.1.2 Regelkreise für Dampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.1.3 Ablöseschaltung der Dampfturbinenregelung . . . . . . . . . . . . . 21.2 Regeleinrichtungen für Dampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2.1 Drehzahlregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2.2 Gegendruckregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2.3 Regelung einer Dampfkraftanlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.3 Regelungsverfahren für Dampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.3.1 Übersicht und Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.3.2 Verhalten unter geänderten Betriebsbedingungen . . . . . . . . . . 21.4 Drosselregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5 Düsengruppenregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5.1 Grundaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5.2 Bestimmung der Betriebspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5.3 Konstruktive Schwierigkeiten bei Düsengruppenregelungen . . . . 21.6 Teillastverbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.6.1 Teillastverbrauch von Kondensationsdampfturbinen . . . . . . . . . 21.6.2 Teillastverbrauch von Entnahme-Dampfturbinen . . . . . . . . . . . 21.6.3 Turbinen mit verstellbaren Leitschaufeln . . . . . . . . . . . . . . . 21.7 Dynamik und Entwurf der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.7.1 Turbosatz ohne Zwischenüberhitzung im Inselbetrieb . . . . . . . . 21.7.2 Turbosatz ohne Zwischenüberhitzung am Netz . . . . . . . . . . . . 21.7.3 Turbosatz mit Zwischenüberhitzung am Netz . . . . . . . . . . . . . 21.7.4 Vereinfachungen für Dampfturbosätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.7.5 Reglerentwürfe für Dampfturbinen im Frequenzbereich . . . . . . 21.7.6 Modellbasierte Verfahren und zukünftige Entwicklungen . . . . . 21.8 Kraftwerkstechnische Maßnahmen zur Verbesserung der Regeldynamik Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betrieb von Dampfturbinen . . . . . Martin Heinen 22.1 Einsatz der Dampfturbinen . . . 22.1.1 Kraftwerksdampfturbinen 22.1.2 Industriedampfturbinen . 909 909 910 913 917 918 919 921 921 924 924 927 931 934 935 936 938 942 942 944 945 947 947 948 948 949 951 954 955 958 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 959 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 965 XXXVI 23 Inhaltsverzeichnis 22.1.3 Dampfturbinen in GuD-Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2 Kraftwerksbetrieb und Bedienung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2.1 An- und Abfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2.2 Leistungsbetrieb (für Kraftwerksturbinen) . . . . . . . . . . 22.2.3 Abfahren der Dampfturbine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.3 Anfahren von Industriedampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.4 Stillstandsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.5 Hilfs- und Nebenanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.5.1 Kondensationsanlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.5.2 Evakuierungsanlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.5.3 Öl- und Flüssigkeitsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . 22.5.4 Sperr-, Heiz- und Kühldampfsystem . . . . . . . . . . . . . 22.6 Brand- und Umweltgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.7 Betrieb von kombinierten Gas- und Dampfkraftwerken . . . . . . 22.7.1 Regelung des kombinierten Gas- und Dampfkraftwerks . 22.7.2 Anfahren von kombinierten Gas- und Dampfkraftwerken 22.7.3 Lastbetrieb/Teillastbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.7.4 Sonstige Betriebsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.7.5 Abfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instandhaltung (Revisionen und Vermeiden von Störungen) Martin Heinen 23.1 Verfügbarkeit und Nichtverfügbarkeit . . . . . . . . . . . . . 23.2 Instandhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.1 Wartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.2 Inspektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.3 Instandsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2.4 Verbesserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.3 Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.3.1 Äquivalente Betriebsstundenzahl . . . . . . . . . . . 23.3.2 Revisionsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.3.3 Zukünftige Revisionsstrategie . . . . . . . . . . . . . 23.4 Prüfverfahren an Dampfturbosatzbauteilen für Revisionen 23.5 Schäden und Störungen bei Dampfturbinen . . . . . . . . . 23.5.1 Armaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.5.2 Turbinenbeschaufelung . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.5.3 Turbinenlager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.5.4 Laufunruhe bei Dampfturbinen . . . . . . . . . . . . 23.5.5 Rissbildung an Turbinengehäusen . . . . . . . . . . . 23.5.6 Schadenserfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 966 . 966 . 972 . 984 . 999 .1000 .1001 .1002 .1002 .1004 .1005 .1008 .1010 .1011 .1012 .1015 .1018 .1020 .1021 .1022 . . . . . . . . .1023 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1024 .1028 .1028 .1029 .1029 .1030 .1031 .1032 .1033 .1040 .1041 .1046 .1048 .1053 .1062 .1068 .1074 .1076 .1076 Inhaltsverzeichnis 24 Abnahme- und Betriebsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan aus der Wiesche 24.1 Übersicht und Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.1.1 Normen und Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.1.2 Versuche und zeitlicher Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.2 Bewertungs- und Messgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.2.1 Spezifischer Dampf- und Wärmeverbrauch . . . . . . . . . 24.2.2 Innerer Turbinenwirkungsgrad und Messungen . . . . . . . 24.2.3 Bestimmung von Leistung, Drehmoment und Drehzahl . 24.3 Messgeräte und Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.3.1 Anforderungen an die Messgeräte . . . . . . . . . . . . . . . 24.3.2 Bedingungen für Prozessparameter . . . . . . . . . . . . . . 24.3.3 Einstellungen an der Dampfturbine für Abnahmeversuche 24.3.4 Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.3.5 Problematik bei Sattdampfturbinen . . . . . . . . . . . . . . 24.4 Auswertung und Umrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.4.1 Auswertung und Bestimmung des Messspiels . . . . . . . 24.4.2 Enthalpie und Enthalpiedifferenzen . . . . . . . . . . . . . . 24.4.3 Umrechnung und Vergleich mit zugesicherten Werten . . 24.4.4 Berücksichtigung der Alterung . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.5 Betriebsversuche und Wirkungsgradveränderungen . . . . . . . . 24.5.1 Wirkungsgradveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.5.2 Rechnergestützte thermodynamische Diagnose . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVII . . . . .1079 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1079 .1080 .1081 .1082 .1084 .1084 .1089 .1090 .1090 .1091 .1092 .1093 .1093 .1094 .1094 .1096 .1096 .1099 .1099 .1099 .1102 .1103 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1105 Verzeichnis der Autoren Dipl.-Ing. Bertram Gögelein BOMAFA GmbH, Bochum, Deutschland Dr.-Ing. Martin Heinen RWE Power AG, Essen, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Franz Joos Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg, Hamburg, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Matthias Neef Fachhochschule Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland Dr.-Ing. Niklas Neupert Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg, Hamburg, Deutschland Dr.-Ing. Thomas Polklas MAN Energy Solutions, Oberhausen, Deutschland Dr.-Ing. Stefan Verstege Gleitlagertechnik GmbH, Essen, Deutschland Prof. Dr.-Ing. habil. Stefan aus der Wiesche Fachhochschule Münster, Steinfurt, Deutschland Ao. Univ. Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Reinhard Willinger Technische Universität Wien, Wien, Österreich XXXIX 1 Einführung Stefan aus der Wiesche Die industrielle Revolution im 18. und frühen 19. Jahrhundert wäre ohne die Erfindung der Dampfmaschine nicht denkbar gewesen. Heute ist die moderne Welt auf eine sichere und flächendeckende elektrische Energieversorgung angewiesen. Die Elektrifizierung prägte das 20. Jahrhundert, aber die Energiefrage zählt schon jetzt zu den zentralen Fragen des 21. Jahrhunderts, weil der Schutz von Umwelt und Klima zu einem weltweiten Anliegen geworden sind. Heute werden mehr als zwei Drittel des weltweiten Stroms mit Hilfe von Dampfturbinen erzeugt. Zudem sind Dampfturbinen in der verfahrenstechnischen und petrochemischen Industrie unverzichtbare Kraftmaschinen für den Antrieb von Pumpen und Kompressoren. Trotz der Veränderungen auf dem Energiemarkt werden Dampfturbinen noch auf viele Jahrzehnte das Rückgrat der Industrie und Stromwirtschaft bleiben. In Abb. 1.1 ist ein moderner Dampfturbosatz in einem Heizkraftwerk abgebildet. Die in Abb. 1.1 gezeigte Anlage liefert eine elektrische Leistung von über 350 MW. Neben der elektrischen Leistung kann ein Heizkraftwerk auch Prozess- und Heizwärme an Verbraucher abgegeben, so dass die Brennstoffausnutzung gegenüber einem reinen Kraftbetrieb noch einmal deutlich erhöht wird. Obgleich die Arbeitsweise der Dampfturbine dem Prinzip nach schon in der Antike entdeckt worden ist, wurden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ersten brauchbaren Dampfturbinen gebaut. Sie hat nach ihrer Erfindung sehr schnell die ältere Kolbendampfmaschine als Wärmekraftmaschine abgelöst. Die Dampfturbine ist nach der Art der Energieumsetzung eine Strömungsmaschine und kann enorme Massendurchsätze verarbeiten, was auf sehr große Einheitenleistungen führt. Die Entwicklung der Dampfturbine setzte die Verfügbarkeit von hochwertigen Werkstoffen und eine sehr präzise Fertigung voraus. Zudem müssen moderne Auslegungsverfahren angewandt werden. Diese Aspekte führten dazu, dass der Dampfturbinenbau S. aus der Wiesche () Fachhochschule Münster Steinfurt, Deutschland E-Mail: wiesche@fh-muenster.de © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. aus der Wiesche, F. Joos (Hrsg.), Handbuch Dampfturbinen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20630-7_1 1 2 S. aus der Wiesche Abb. 1.1 Dampfturbosatz des Heizkraftwerks Altbach (Pressebild Siemens AG) allgemein als Hochtechnologiesektor angesehen wird. Unter dem Eindruck der Veränderungen in der Energiewirtschaft hat sich dieses Bild aber in der Öffentlichkeit seit einigen Jahren teilweise verschoben. Oberflächlich betrachtet wirken Dampfturbinen heute auf viele Menschen eher als Relikte der „old economy“, die durch alternative Verfahren langfristig abgelöst werden. Eine solche verkürzte Sicht verkennt aber die noch auf Jahrzehnte unverzichtbare Rolle, die diese Kraftmaschine spielen wird. Sie berücksichtigt auch nicht, dass die Dampfturbine keinesfalls eine „statische“ Maschine ist. Sie hat in ihrer Entwicklungsgeschichte einen enormen Aufstieg und einen unvergleichbaren Fortschritt erlebt. Bemerkenswerterweise ist diese Entwicklung längst noch nicht abgeschlossen. In der folgenden Einführung werden einige allgemeinere Informationen zur historischen Entwicklung der Dampfturbine und zur Dampfturbinenindustrie gegeben. Diese zeigen eindrucksvoll, dass die Dampfturbine längst noch nicht „ausentwickelt“ ist, sondern dass sie trotz ihres hohen Entwicklungsstandes noch eine ausgezeichnete Zukunft vor sich hat. 1.1 Dampfturbinen und die Struktur technologischer Umwälzungen Technologische Umwälzungen oder die Entwicklung von Innovationen und neuen Konzepten kann man stark vereinfachend meist in drei Phasen einteilen. Dieses Beschreibungsmodell ist in Abb. 1.2 anhand des zeitlichen Verlaufes einer ausgewählten technischen Kenngröße schematisch dargestellt. In Abb. 1.2 kann als Kenngröße eine repräsentative bzw. wichtige technische Eigenschaft, wie die Leistung oder der Wirkungsgrad einer Maschine, verwendet werden. Nach ihrer Erfindung oder Entdeckung (Punkt A in Abb. 1.2) gestaltet sich in der ersten Phase meist der Fortschritt einer Innovation langsam. Man spricht oft auch von „Kinderkrankheiten“, die erst in einem mühsamen Entwicklungs- und Forschungsprozess überwunden werden müssen. Meist ist in dieser Phase die neue Entwicklung technisch gesehen noch den bereits etablierten 1 Einführung 3 Abb. 1.2 Typischer Entwicklungsverlauf einer technischen Innovation Abb. 1.3 Schematischer Entwicklungsverlauf der Dampfturbine Verfahren oder Konzepten unterlegen. Nach dieser schwierigen ersten Phase erreicht man im Falle des Erfolges eine zweite Phase, die durch einen stetigen und rasanten Fortschritt gekennzeichnet ist. In der zweiten Phase werden die älteren Konkurrenzverfahren meist sehr schnell überwunden (Punkt B). Aufgrund des Fortschrittes und des scheinbar grenzenlosen Wachstums stellt sich in der Gesellschaft oder der Branche dann auch oft ein über-optimistisches Bild ein. Nach Durchlaufen der zweiten Phase tritt irgendwann eine deutliche Abschwächung des Fortschrittes und der Entwicklungsgeschwindigkeit ein (Punkt C). Verbesserungen und Erhöhungen der Kenngrößen können zwar noch erzielt werden, aber der Aufwand hierfür wird immer größer. Es zeichnet sich eine Art „Ausentwicklung“ oder „Sättigung“ (Punkt D) in dieser Phase ab. Spätestens jetzt wendet sich die betroffene Branche neuen Konzepten oder Alternativen verstärkt zu. Die Entwicklung der Dampfturbine weicht von dem oben beschriebenen allgemeinen Modell in doppelter Hinsicht ab. Man kann vielmehr den in Abb. 1.3 gezeigten Verlauf annehmen. Nach ihrer Erfindung im Jahre 1883 bzw. 1884 durch den Schweden Gustav Patrik de Laval (1845 bis 1913) bzw. den Briten Charles Algernon Parsons (1854 bis 1931) setzte fast unmittelbar ein von den Zeitgenossen bestaunter rasanter Fortschritt ein. In sehr kurzer Zeit wurde die damals bewährte und weitentwickelte Kolbendampfmaschine 4 S. aus der Wiesche technisch überholt und verdrängt. Die Dampfturbine hat praktisch die in Abb. 1.2 dargestellte erste Phase übersprungen. Der anschließende fast 100 Jahre andauernde stetige Fortschritt führte dazu, dass um 1990 fast 80 % des weltweiten Stroms durch Dampfturbinen erzeugt worden ist. In Übereinstimmung mit der allgemeinen Erfahrung stellte sich um ca. 1990 ein sehr stabiler Entwicklungsstand für die Dampfturbine ein. Zu dieser Zeit verbesserten sich die Wirkungsgrade der Dampfkraftwerke und der Turbinen nicht mehr wesentlich [LEY2007]. Nach dem in Abb. 1.2 gezeigtem Schema hätte man also nur noch mit kleinen Verbesserungen im Dampfturbinenbau rechnen dürfen. Umso erstaunlicher ist es, dass etwa in der Mitte der 1990er-Jahre ein zweiter Entwicklungs- und Innovationsschub im Dampfturbinenbau einsetzte, der sonderbarerweise von der Mehrheit der Menschen schlichtweg bis heute übersehen worden ist. W. Ulm spricht deshalb auch treffend von einer „weitgehend unbemerkten Revolution“, die im Dampfturbinenbau einsetzte [ULM2003]. Statt einer wie in Abb. 1.2 dargestellten dritten Phase haben sich die Dampfturbinen technologisch rasant weiterentwickelt, siehe Abb. 1.3. Es ist nicht zuletzt dieser Fortschritt, der es den Autoren dieses Buches notwendig erscheinen ließ, eine entsprechende moderne Gesamtdarstellung von Dampfturbinen vorzulegen. 1.2 Historische Entwicklung und Übersicht Die oben erwähnte allgemeine Entwicklungsgeschichte wird im Folgenden durch einige Beispiele illustriert. Die den Beispielen zugrundeliegenden physikalischen und technischen Einzelheiten werden in den späteren Kapiteln noch detailliert behandelt, aber für eine erste Einführung sollte die nachfolgende Diskussion für sich schon verständlich sein. Eine sehr gute Darstellung über die historische Entwicklung der Dampfturbinen kann auch dem Buch von Termuehlen [TER2001] entnommen werden. Umfassende Informationen zum modernen technologischen Stand von großen Dampfturbinen bieten die Bücher [LEY2005] und [LEY2007] von Leyzerovich. Die ersten brauchbaren Dampfturbinen wurden 1883 von de Laval und 1884 von Parsons fast zeitgleich gebaut. Die spätere Entwicklungsgeschichte des Dampfturbinenbaus ist durch beide Erfinder bereits in ihren ersten Konstruktionen maßgeblich angelegt worden. De Laval wählte als Bauform die später als Gleichdruck- oder Aktionsstufe bekannt gewordene Bauform, während Parsons die vielstufige Überdruck- bzw. Reaktionsbauweise einführte (siehe Kap. 2). In Abb. 1.4 ist die einstufige Laval-Turbine gezeigt und in Abb. 1.5 ist Parsons erste mehrstufige Turbine dargestellt. De Laval konstruierte seine Dampfturbine bewusst für eine sehr hohe Drehzahl. Er umging auf diese Weise das rotordynamische Problem von Schwingungen bzw. sog. kritischen Drehzahlen durch den von ihm angenommenen Selbstzentrierungseffekt (siehe Kap. 7). Als Konsequenz wurde von ihm eine schlanke, elastische Welle eingesetzt. Die Beschaufelung seiner Turbine war auf einer Radscheibe befestigt, deren Profil durch die Forderung nach einer günstigen Spannungsverteilung unter der Fliehkraftbelastung bestimmt war. Mit Hilfe von konvergent-divergent zulaufenden Düsen erzeugte er eine Überschallströmung im Leitap- 1 Einführung 5 Abb. 1.4 Die Laval-Turbine von 1883 (aufgeschnittenes Exponat des deutschen Museums in München [WIK2016]) Abb. 1.5 Die Parsons-Turbine von 1884 [WIK2016] parat, so dass hohen Umdrehungszahlen im Bereich von 50.000 min1 für seine Turbinen resultierten. Der Erfolg seiner Maschine führte dazu, dass man heute auch von einer LavalDüse für diese Bauform spricht. Tatsächlich hatte de Laval diese Düsenform von Körting übernommen, der 1873 erstmals einen Dampfstrahlapparat mit einer Überschalldüse betrieben hatte. 6 S. aus der Wiesche Die Leistung der ersten Laval-Turbine bewegte sich im Bereich von 22 kW. Die Umfangsgeschwindigkeit betrug 390 m/s. Später wurden auch verbesserte Ausführungen im Bereich bis zu 370 kW gebaut. Für praktische Anwendungen war der Einsatz eines Getriebes zur Reduzierung der Drehzahlen erforderlich. Während das Druckgefälle des Frischdampfes in der Laval-Turbine in nur einer Stufe abgebaut wurde, wählte Parsons eine vielstufige Expansion. Dies konnte durch Hintereinanderschalten von Leit- und Laufschaufeln, die auf einem trommelförmigen Rotor angebracht waren, realisiert werden. Die Drehzahl der mit einem Durchmesser von nur 74 mm sehr kleinen Parsons-Turbine in Abb. 1.5 war deutlich geringer (17.000 min1 ), aber es konnte eine Leistung von 7,5 kW aus dieser kompakten Maschine gewonnen werden. Die hohe Leistungsdichte faszinierte unmittelbar die Zeitgenossen. Wegen des geringen thermischen Wirkungsgrades von nur 1,6 % sprach man scherzhaft über Parsons „No. 1“ auch von einem „steam eater“. Fünf Jahre später wies Parsons „No. 2“ bereits einen thermischen Wirkungsgrad von 6 % und eine Leistung von 75 kW auf. Im Jahre 1891 wurden 100 kW bei einem thermischen Wirkungsgrad von 8,3 % erzielt und 1903 lieferte Parsons eine Dampfturbine mit 5 MW bei einem thermischen Wirkungsgrad von über 20 % aus. Nach einer spektakulären Demonstration der Leistung seiner Dampfturbinen bei einer Flottenparade 1897 wurde die Dampfturbine zum bevorzugten Antrieb großer Schiffe. Dieser Anwendungsfall brachte dem in Anfang befindlichen Dampfturbinenbau einen starken Schub. Die Dampfturbine verdrängte als Schiffsantrieb sehr schnell die Kolbendampfmaschinen. Ein Beispiel für einen solchen Schiffsantrieb zeigt Abb. 1.6. Bei der in Abb. 1.6 gezeigten Dampfturbine handelt es sich um eine Maschine mit einer Leistung von 2800 PS bei 600 min1 . Bei der Verwendung der Dampfturbine als Schiffsantrieb liegt das Problem allgemein darin, dass die Schiffspropellerdrehzahlen relativ niedrig liegen, aber die Dampfturbine als thermische Turbomaschine in kompakter Bauweise auf relativ hohe Drehzahlen führt (siehe Kap. 4). Infolgedessen müssen aufwendige Getriebe oder Wandler (z. B. Bauart Föttinger [STO1910]) eingesetzt werden. Bei der in Abb. 1.6 gezeigten Schiffsdampfturbine wurde eine relativ niedrige Dampfturbinendrehzahl durch die Verwendung von großen Durchmessern der Laufscheiben, auf denen kleine Schaufeln für die Energieumsetzung befestigt waren, ermöglicht. Konzeptionell und wirtschaftlich ist es allerdings unbefriedigend, eine an sich kompakte Kraftmaschine nur wegen der Reduzierung der Drehzahlen geometrisch aufskalieren zu müssen. Der Dampf strömte bei der in Abb. 1.6 gezeigten Ausführung von rechts nach links. Er passierte zunächst 5 Stufen, die als sog. Curtisräder (siehe Kap. 2) ausgeführt waren. Anschließend wurde der Dampf in 21 Stufen, die auf einem trommelförmigen Rotor aufgebracht waren, auf einen niedrigen Kondensatordruck entspannt. Die Umfangsgeschwindigkeit betrug rund 72 m/s an den Schaufeln. In den ersten Jahren lag der Markt für Dampfturbinen tatsächlich stark im Schiffsbau. So umfasste um 1910 das klassische Buch von Stodola [STO1910] praktisch alle Aspekte des Dampfturbinenbaus. Damals stellten die Schiffsdampfturbinen noch die Mehrheit der besprochenen Konstruktionen. Diese Position haben Dampfturbinen allerdings im fortgeschrittenen 20. Jahrhundert an die Großdieselmotoren verloren. So führte 1956 beispielsweise Kearton [KEA1956] in 1 Einführung 7 Abb. 1.6 Schnittzeichnung einer Schiffsdampfturbine um 1910 der AEG, Berlin [STO1910] seinem ausführlichen Lehrbuch über Dampfturbinen die Schiffsantriebe nur noch an zweiter Stelle auf. Aus heutiger Sicht spielen Schiffsdampfturbinen für die gesamte Dampfturbinenindustrie nur noch eine unwesentliche Rolle und werden daher in dieser Darstellung nicht mehr weiter vertieft. Um 1910 wurde die Zukunft der Dampfturbine auch in der damals im Aufstreben befindlichen Elektrizitätswirtschaft gesehen. Hier wirkte sich die Erfindung des zweipoligen Synchron-Turbogenerators 1901 durch Brown Boveri besonders positiv aus [BOH1985]. Die relativ hohen Drehzahlen der Dampfturbine im Bereich mehrerer 1000 min1 machen im Schiffsbau immer den Einsatz von aufwendigen Getrieben und Wandlern notwendig, aber sie sind ideal für den Antrieb von Turbogeneratoren. Da der Strombedarf ab 1900 in den Industrieländern ein rasantes Wachstum erfuhr, wurden die Einheitenleistungen der Dampfturbosätze stetig erhöht. Dies ist anhand der in Tab. 1.1 aufgeführten Zahlen demonstriert. Von Parsons wurde 1913 eine zweigehäusige 25 MW-Turbine übergeben. Diese wies 64 Hochdruckstufen und im doppelflutigen Niederdruckteil 2 mal 24 Niederdruckstufen auf. Zu dieser Zeit lieferten sich die großen Turbinenhersteller einen Kampf um die leistungsstärkste Dampfturbine. Da es gleichzeitig einen rasanten Fortschritt auch im Kesselbau gab, konnten die Anlagenbauer diesen Wettbewerb unterstützen. Aufgrund des schnell wachsenden Strombedarfs in den Industrieländern entstanden immer leistungsstär- 8 S. aus der Wiesche Tab. 1.1 Entwicklung der Leistung von Dampfturbosätzen (Angaben aus [BOH1985]) Jahr Üblicher Leistungsbereich 1883/84 1896 1902 1926 1950 1957 1961 1967 Wenige kW Wenige kW 200 bis 400 kW 10 bis 50 MW 50 bis 100 MW 150 bis 320 MW 150 bis 320 MW 300 bis 600 MW Größte Einheitenleistung Europa (50 Hz) 220 kW (de Laval) 1470 kW (Parsons) 3000 kW 85 MW 110 MW 250 MW 600 MW Größte Einheitenleistung USA (60 Hz) 160 MW (Hellgate) 150 MW 550 MW (Widows Creek) 950 MW (Bull Run) 1300 MW (Cumberland) kere und effizientere Dampfkraftwerke. Einige dieser Rekord-Kraftwerke sind in Tab. 1.1 mit ihren Namen aufgeführt. Es handelt sich bei den in Tab. 1.1 aufgeführten Beispielen ausschließlich um fossil befeuerte Kraftwerke. In den späten 1950er traten Kernkraftwerke hinzu. Dies führte insbesondere zwischen 1970 bis 1980 zu einem rasanten Anstieg der entsprechenden Einheitenleistungen, was anhand des Verlaufes in Abb. 1.7 illustriert ist. Bei fossil befeuerten Dampfkraftwerken schwächte sich der Anstieg der Einheitenleistungen nach einer sehr stürmischen Entwicklung ab 1930 etwas ab. Nach 1975 beobachtete man keine signifikante Erhöhung der Einheitenleistung bei fossil befeuerten Dampfturbosätzen. Diese Stabilisierung liegt an der wirtschaftlichen Optimierung des Kraftwerkes. Die Degression der spezifischen Anlagenkosten schwächt sich bei rund 800 MW soweit ab, dass für einen Investor kein wesentlicher Vorteil aus einer größeren Blockleistung resultiert. Prinzipiell werden zwar Dampfturbosätze bis 1800 MW angeboten [LEY2007], aber der Markt für diese Großausführungen ist in vielen Ländern heute als eher schwierig anzusehen. Die modernen Fortschritte im Dampfturbinenbau liegen vor allem im Bereich der Wirkungsgrade und der Verbesserung des Teillastverhaltens. Weil in den 1960er-Jahren bereits schon ein hoher Entwicklungsstand erreicht war, konnten die Einheitenleistungen der Kernkraftwerksturbinen sehr schnell innerhalb von Abb. 1.7 Steigerung der Einheitenleistungen von Dampfturbosätzen (nach Angaben aus [TER2001]) 1 Einführung 9 10 Jahren vervielfacht werden. Bei einem Kernkraftwerk ist der Effekt der Kostendegression entscheidender. Wirtschaftlich werden seit den 1980er-Jahren vergleichsweise große Blockleistungen (um 1300 MW) betrieben. Die Tendenz zu höheren Blockleistungen bei Kernkraftwerken setzte sich fort. So werden moderne Kernkraftwerke (z. B. das europäische EPR-System) mit Dampfturbosätzen über 1600 MW Leistung konzipiert (siehe Kap. 16). Daneben gibt es aber heute auch eine Bewegung hin zu modularen Reaktorkonzepten mit deutlich kleineren Leistungen (im Bereich weniger 100 MW). Es wird sich zeigen, inwieweit für diese Kernkraftwerke zukünftig ein Markt besteht. Die Erhöhung der Einheitenleistung im Dampfturbinenbau führt aber nicht zwangsläufig zu längeren Wellensträngen. Tatsächlich wurden durch Konstruktionsfortschritte und technologische Weiterentwicklungen die Abmessungen der Dampfturbinen bei gleicher Leistung deutlich reduziert. Dies ist anhand der in Abb. 1.8 gezeigten Konstruktionen illustriert. Alle drei dort gezeigten Dampfturbosätze liegen zwischen 30 bis 60 MW Nennleistung. Der in Abb. 1.8a abgebildete mehrgehäusige Wellenstrang von 1920 weist einen einflutigen Hochdruck- und einen einflutigen Mitteldruck- sowie einen dreiflutigen Niederdruckteil auf. Die erforderliche Länge konnte bei dem 1954 gebauten zweigehäusigen Turbosatz (Abb. 1.8b) bereits deutlich reduziert werden. Ab ca. 1980 sind in dieser Leistungsklasse eingehäusige Ausführungen üblich (Abb. 1.8c). Heute können Dampfturbinen bis zu einer Nennleistung von bis zu 250 MW mit nur einem Gehäuse ausgeführt werden. Bei größeren Leistungen müssen mehrgehäusige Wellenstränge gewählt werden, was in Abb. 1.9 gezeigt ist. Das in Abb. 1.9 gezeigte Modell einer 1300 MW-Sattdampfturbine zeigt die charakteristischen Merkmale der heutigen Dampfturbosätze für den Einsatz in einem Kernkraftwerk. Die Eintrittsturbine ist zweiflutig ausgeführt, ebenso wie die drei Niederdruckteilturbinen. In einem heutigen Kernkraftwerk sind die Frischdampfparameter im Vergleich zu einem fossil befeuerten Dampfkraftwerk nur moderat (60 bar und 270 ı C im Vergleich zu über 240 bar und fast 600 ı C), so dass für die Erzielung der Leistung sehr große Dampfdurchsätze erforderlich sind. Um die großen Durchsätze verarbeiten zu können, werden entsprechend dimensionierte Strömungsquerschnitte benötigt. Dies führte zu der Entwicklung von sehr langen Schaufeln für die Endstufen der Dampfturbinen. Neben den klassischen kohlebefeuerten Dampfkraftwerken und den Kernkraftwerken trat später im 20. Jahrhundert die Klasse der gasbefeuerten kombinierten Gas- und Dampfkraftwerke hinzu (im Deutschen auch bekannt unter der von Siemens geschützten Bezeichnung GuD). Diese Art von thermischen Kraftwerken wurde ab ca. 1990 durch die enormen Fortschritte im Bereich des Gasturbinenbaus besonders attraktiv. Sie stellen derzeit die am schnellsten wachsende Kraftwerksklasse weltweit dar. In vielen Ländern, wie etwa in den USA, haben kombinierte Gas- und Dampfkraftwerke die klassischen Dampfkraftwerke fast vollständig im Neubaumarkt verdrängt. Auch wenn bei einem kombinierten Gas- und Dampfkraftwerk rund zwei Drittel der elektrischen Nennleistung durch die Gasturbine aufgebracht wird, so sind die insgesamt dort installierten Dampfturbinenleistungen dennoch beachtlich. Dies ist anhand der in Tab. 1.2 aufgeführten Zahlen aus dem Jahre 2007 demonstriert. Nach wie vor stellen 10 S. aus der Wiesche Abb. 1.8 Längsschnitte im gleichen Maßstab von Dampfturbosätzen mit 30 bis 60 MW Leistung von 1920 (a), 1954 (b) bis 1980 (c) [BOH1985] Kohlekraftwerke das Rückgrat der weltweiten Energieversorgung dar (rund 30 % der weltweit installierten Kapazität), dicht gefolgt von Gasturbinen in kombinierten und einfachen Kraftwerksprozessen (rund 20 % der weltweiten Kraftwerkskapazitäten). Alleine die installierte Leistung der in kombinierten Gas- und Dampfkraftwerken eingesetzten Dampfturbinen überstieg 2007 die installierte Leistung erneuerbarer Energieträger deutlich. Betrachtet man den tatsächlich in Kraftwerken erzeugten Strom, so wird die Bedeutung der Dampfturbine für die elektrische Energieversorgung noch deutlicher. Derzeit werden rund 40 % des weltweiten Stroms in Kohlekraftwerken erzeugt und zu über 10 % in kombinierten Gas- und Dampfkraftwerken. Dampfturbosätze in Kernkraftwerken erzeugen rund 15 % des weltweiten Stroms. Hinzu kommen noch öl- oder gasbefeuerte 1 Einführung 11 Abb. 1.9 Modell einer Sattdampfturbine für den Einsatz in einem Kernkraftwerk mit 1300 MWLeistung und 1500 U/min1 (Bauart KWU für Kernkraftwerk Biblis) sowie geothermisch und solarthermisch betriebene Dampfkraftwerke. Zusammen ergibt sich ein Anteil von über 60 % zugunsten der Dampfturbinen. Neben den derzeit installierten Kraftwerkskapazitäten ist auch ein Blick auf das Alter der Anlagen für die zukünftige Marktentwicklung relevant. Nach einer Studie der IEA aus dem Jahre 2010 [IEA2010] liegt das Alter der Dampfkraftwerke (Kohle und Kernkraft) in den OECD-Ländern zwischen 20 und 40 Jahren. Dieses relativ hohe Durchschnittsalter zieht einen gewaltigen Bedarf an Ersatzkapazitäten bis zum Jahre 2035 nach sich. Der in Abb. 1.3 dargestellte Fortschritt im Dampfturbinenbau ab Mitte der 1990er-Jahre berührte nicht die maximale Einheitenleistung, sondern bezieht sich im Wesentlichen auf die Anhebung der Wirkungsgrade und der Verbesserung des Betriebsverhaltens. Aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus bestand nach 1990 kein deutlicher Kundenwunsch mehr, die Blockleistungen von fossil befeuerten Dampfkraftwerken zu erhöhen. Stattdessen wurden die Wirkungsgrade sowohl der Dampfkraftwerke als auch der Turbinen Gegenstand des Fortschrittes. Wie in den Grundlagen der Thermodynamik (siehe Kap. 3) gezeigt, verbessert sich der thermische Wirkungsgrad einer Wärmekraftmaschine mit einem Anheben des Temperaturniveaus bei der Wärmezufuhr. Dies bedeutet für Dampfkraftwerke, dass die Temperaturen, aber auch die Drücke des Frischdampfes erhöht werden müssen, um den Kraftwerkswirkungsgrad thermodynamisch zu verbessern. Zusätzlich wirkt sich die Erhöhung des Turbinenwirkungsgrades 12 S. aus der Wiesche Tab. 1.2 Weltweit installierte Kraftwerkskapazitäten 2007 (Angaben aus [KEH2009]) Kraftmaschine Dampfturbinen Dampfturbine Gasturbine Gasturbine Hydraulische Turbine Dieselmotor Sonstige Erneuerbare Kraftwerk bzw. Energiequelle Dampfkraftwerk: Kohle Dampfkraftwerk: Gas Dampfkraftwerk: Öl Dampfkraftwerk: Geothermie, Solar, andere Kernkraftwerk Kombiniertes Gas- und Dampfkraftwerk Kombiniertes Gas- und Dampfkraftwerk Einfacher Prozess ohne Dampf Wasserkraftwerke Öl Wind, Photovoltaik, Meeresströmungen Leistung [GW] 1400 300 330 70 395 220 610 310 920 150 105 ebenfalls direkt auf den resultierenden Kraftwerkswirkungsgrad aus. Dies erfordert eine strömungstechnische Optimierung und eine Verringerung der Spalt- und Leckageverluste der Turbine. Weitere Verbesserungen des Kraftwerkwirkungsgrades können durch eine Senkung der Eigenverbräuche (Pumpen, Gebläse, Kohlemühlen) erzielt werden. Nach anfänglichen Pionieranlagen, die mit höheren Dampfzuständen in den 1960er-Jahren arbeiteten [ENG1994], schwenkte die Mehrzahl der Kraftwerksbauer für viele Jahre auf ein wirtschaftlich-thermodynamisches Optimum von rund 540 ı C und etwa 190 bar für fossil befeuerte Großkraftwerke ein. Der Grund hierfür ist vor allem in dem Einsatz von noch relativ preiswerten Werkstoffen in diesem Bereich für den Kessel und die Turbine zu sehen [BOH1985]. Nicht zuletzt wegen der höheren Bedeutung von Umweltaspekten und Verbrauchsfragen bildete sich in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften aber das Bedürfnis nach effizienteren Kraftwerken aus. Dementsprechend stellten sich auch für die Industrie neue technologische Herausforderungen, die mit der Konstruktion und der Optimierung von Turbinen für hohe Dampfzustände direkt zusammenhängen. In diesem Zusammenhang ist vorab eine begriffliche Klärung sinnvoll. Bekanntlich liegt der kritische Punkt bei Wasser bei 221 bar und 374 ı C. Man spricht daher auch von einem unterkritischen Prozess, wenn die Frischdampfdrücke unterhalb dieses Wertes liegen. Bei höheren Dampfdrücken spricht man von einem überkritischen (supercritical) Prozess. Neben dieser eindeutigen, rein thermodynamischen Unterscheidung ist aber in der Kraftwerkstechnik der Begriff „ultra-überkritisch (ultra-supercritical USC)“ zur Charakterisierung von Dampfprozessen, die mit Drücken über 300 bar (4350 psi) arbeiten, üblich. Typischerweise weisen diese Prozesse dann auch Temperaturen im Bereich von 593 ı C (1100 ı F) oder höher auf. Manchmal wird der Begriff USC aber auch für Turbinen und Dampfkraftwerke verwendet, die mit Temperaturen über 593 ı C arbeiten. Viele dieser Anlagen weisen allerdings maximale Dampfdrücke von deutlich unter 300 bar auf. Im Sinne der ursprünglichen Begriffsverwendung, die sich rein auf die eingesetzten Dampfdrücke bezog, dürfte man diese Anlagen daher eigentlich nicht als ultra-überkritisch (USC) bezeichnen [LEY2007]. Dennoch wird dies in der Praxis häufig gemacht, da der Begriff 1 Einführung 13 Tab. 1.3 Zwischen 1992 und 2002 installierte überkritische und ultra-überkritische Dampfkraftwerkskapazitäten (Angaben aus [LUB2003]) Land Japan Korea China Russland Deutschland Dänemark Australien USA Sonstige Einheitenanzahl 25 24 18 4 13 4 4 – 11 Leistung [GW] 20,1 13,5 11,6 2,7 9,4 1,8 1,7 – 5,8 Turbinenhersteller Hitachi, MHI, Toshiba, Siemens GE Siemens, LMZ, MHI, ABB LMZ Siemens, ABB Siemens, ABB, Ansaldo Toshiba, Ansaldo – Siemens, MHI, LMZ, Alstom ultra-überkritisch im Grunde genommen eine willkürliche Festlegung ist und sich nur an der eigentlich unbedeutenden Frage nach einem „runden Wert“ für den Druck orientiert. Da aber Dampfkraftanlagen mit hohen Temperaturen überkritisch ausgeführt werden und technologisch anspruchsvoll sind, wird bisweilen die Verwendung des Begriffs ultraüberkritisch ausgedehnt. Zwischen 1992 bis 2005 wurden erhebliche Kapazitäten von über- und ultra-überkritischen Dampfkraftwerken weltweit in Betrieb genommen. Entsprechende Zahlen sind in Tab. 1.3 aufgeschlüsselt für einzelne Länder nach einer Übersicht [LUB2003] zusammengetragen. Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas und Koreas spiegelt sich in diesen Daten ebenso wider, wie die Verschiebung des US-Marktes hin zu Gaskraftwerken. Am Beispiel der skandinavischen Kraftwerksentwicklung kann sehr gut der mit höheren Dampfparametern zusammenhängende technologische Fortschritt illustriert werden. In Tab. 1.4 sind hierzu einige repräsentative Daten für zwei hocheffiziente moderne dänische Dampfkraftwerke zusammengestellt. Die Verbesserung des Wirkungsgrades der modernen skandinavischen Dampfkraftwerke ist zudem in Abb. 1.10 graphisch dargestellt. Als Ausgangslage sind in Abb. 1.10 britische Dampfkraftwerke aufgeführt, die kurz vor Inbetriebnahme der skandinavischen Kraftwerke fertiggestellt worden waren. Bis 1990 wurden praktisch nur unterkritische Dampfkraftwerke nach Stand der damaligen Technik in Betrieb genommen. Die Steigerung des Kraftwerkswirkungsgrades blieb bis 1990 dementsprechend auch überschaubar. Ab 1990 setzten die skandinavischen Betreiber auf moderne überkritische Prozesse, die eine drastische Verbesserung der Wirkungsgrade und eine starke Reduzierung der Brennstoffverbräuche ermöglichten. Ursprünglich war auch die Errichtung eines hocheffizienten 700 ı C-Kraftwerks mit fast 55 % Wirkungsgrad in Skandinavien anvisiert (sog. Projekt „Thermie 700“), aber dieses ambitionierte Projekt wurde später aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verworfen [LEY2007]. Im Dampfkraftwerk „Skærbæek 3“ wurde das eher seltene Konzept der doppelten Zwischenüberhitzung (ZÜ) angewendet (siehe auch Kap. 3). Baugleich mit diesem Kraftwerk ist der zeitgleich in Betrieb genommene Block „Nordjyllandsværket 3“. 14 S. aus der Wiesche Tab. 1.4 Daten von ausgewählten modernen dänische Dampfkraftwerken (Angaben aus [LEY2007]) Daten Nennleistung Dampfdruck Frischdampftemperatur Zwischenüberhitzungstemperatur Temperatur nach 2. Zwischenüberhitzung Kraftwerkswirkungsgrad Betriebsbeginn Turbinenhersteller Bemerkung Einheit MW bar ı C ı C ı C % Jahr – – Skærbæek 3 410 290 582 580 580 47 1997–8 Alstom Doppelte ZÜ Avedøre 2 535 300 580 600 – 48 2001 Ansaldo USC-Kraftwerk Abb. 1.10 Entwicklung der Wirkungsgrade skandinavischer Dampfkraftwerke (Angaben aus [WEL2000]) Das spätere USC-Kraftwerk „Avedøre 2“ verzichtete auf das aufwendige Anlagenschema der doppelten Zwischenüberhitzung. Dieses Kraftwerk kann neben der elektrischen Leistung noch bis zu 620 MW an thermischer Leistung auskoppeln (Kraft-WärmeKopplung). Es besticht durch seinen einmalig hohen Wirkungsgrad. Bei Verwendung von Gas anstelle von Kohle im flexiblen Kesselsystem wurde ein Wert von 49,5 % berichtet [NOP2003], was bis heute (2018) den Weltrekord für reine Dampfkraftwerke darstellt. Ein solches Niveau konnte nur durch den Einsatz moderner Turbinen mit einer strömungsoptimierten dreidimensionalen Beschaufelung erzielt werden. Der Vergleich mit dem derzeitigen weltweiten Mittelwert von nur 33 bis 35 % für Dampfkraftwerke macht den enormen Fortschritt deutlich, der in den letzten Jahren im Dampfturbinenbau fast unbemerkt von der Öffentlichkeit erzielt worden ist. In Abb. 1.11 ist ein aktueller Dampfturbosatz für ein fossil befeuertes Großkraftwerk für bis 900 MW Blockleistung dargestellt. Der Einsatz dieser Turbinen führt auf Kraftwerkswirkungsgrade von deutlich über 45 %, was die Senkung des CO2 -Ausstoßes um fast ein Drittel gegenüber dem Weltdurchschnitt bedeutet. 1 Einführung 15 Abb. 1.11 Moderner Dampfturbosatz großer Leistung für höhere Dampfparameter (Siemens AG) Der Einsatz von Dampfturbinen erstreckt sich nicht nur auf den Einsatz in fossil befeuerten Großkraftwerken oder in Kernkraftwerken. Auch für regenerative Energieträger werden Dampfturbinen erfolgreich eingesetzt (siehe Kap. 17). In Abb. 1.12 ist der beschaufelte Läufer einer Dampfturbine für den Einsatz in einem solarthermischen Kraftwerk gezeigt. Bei dieser Kraftwerksklasse liefert die solare Strahlung die Wärmequelle. Die Sonnenstrahlung wird dabei konzentriert und zur Erzeugung von Dampf verwendet. Dieser Dampf kann dann in einer Dampfturbine entspannt werden. Es handelt sich daher bei solarthermischen Kraftwerken um eine erprobte und zuverlässige Technologie. Speziell in den sonnenreichen Gegenden der Erde stellt sie eine attraktive, umweltfreundliche Alternative zu fossil befeuerten Kraftwerken dar. Es lassen sich darüber hinaus auch hybride Kraftwerkskonzepte realisieren, bei der ein Teil der Wärme durch die Sonne aufgebracht wird. Der in Abb. 1.12 gezeigte Läufer wurde in eine Dampfturbine mit einer Einheitenleistung von brutto 125 MW für das solarthermische Kraftwerk „Shams 1“ in Abu Dabi im Jahre 2011 eingebaut. Die gesamte Dampfturbine wiegt rund 220 t. Ein weiteres Anwendungsgebiet von Dampfturbinen für die Nutzung von regenerativen Energieträgern ist durch geothermische Kraftwerke gegeben. Bei dieser Klasse von Anlagen werden die an bestimmten Stellen der Erde natürlich vorkommenden Dampf- oder Heißwasserressourcen energetisch ausgenutzt. Das erste geothermische Dampfkraftwerk mit einem Turbinenprozess ging bereits 1912 mit einer Leistung von 250 kW in Larderello (Italien) in Betrieb. Vier Jahre später wurden bereits drei weitere Einheiten mit jeweils 2,5 MW Leistung installiert. Dampfturbinen für solar- und geothermische Kraftwerke weisen meist moderate Leistungen von 30 bis 100 MW auf. Sie sind daher gut vergleichbar mit Industriedampftur- 16 S. aus der Wiesche Abb. 1.12 Läufer einer Dampfturbine für den Einsatz in einem solarthermischen Kraftwerk (MAN) binen, die in kleineren Kraftwerken oder Industrieanlagen als Kraftmaschinen dienen. In der petrochemischen und verfahrenstechnischen Industrie wird diese Klasse von Dampfturbinen stark eingesetzt. Ein besonderer Vorteil entsteht, wenn neben der Antriebsleistung auch Prozessdampf für die Industrieanlage benötigt wird. Es bietet sich dann der Einsatz von EntnahmeDampfturbinen an, bei denen Prozess- und Heizdampf definiert ausgekoppelt werden kann. Ein entsprechendes Ausführungsbeispiel zeigt Abb. 1.13. Charakteristisch für Entnahme-Dampfturbinen sind die Entnahmeventile. Diese Art von kombinierter Nutzung von Kraft und Wärme stellt meist das ressourcenschonendste Anlagenkonzept dar. Industriedampfturbinen können auch für den Direktantrieb von Arbeitsmaschinen eingesetzt werden. In diesem Fall können sie direkt als Kraftmaschine an die anzutreibende Arbeitsmaschine (z. B. einen Kompressor oder eine Pumpe) angeflanscht werden. Bei der in Abb. 1.13 dargestellten Industriedampfturbine liegt die Einheitenleistung im Bereich von bis 150 MW. Die maximale Leistung von Industriedampfturbinen bewegt sich meist im Bereich bis zu 100 MW. Größere Ausführungen bis 200 MW sind eher selten im Einsatz. Die untere Leistungsgrenze, bis zu der Dampfturbinen wirtschaftlich eingesetzt werden können, liegt bei wenigen MW. In Sonderfällen können auch noch sehr kleine Dampfturbinen mit einigen kW eingesetzt werden. Ein entsprechendes Ausführungsbeispiel für eine Dampfturbine kleiner Leistung (bis 12 MW) zeigt Abb. 1.14. Dampfturbinen 1 Einführung 17 Abb. 1.13 EntnahmeDampfturbine für den Einsatz in Industrieanlagen (Siemens AG) Abb. 1.14 Dampfturbine kleiner Leistung für den Antrieb einer Arbeitsmaschine (Siemens AG) mit Leistungen unter 1 MW stellen heute eher Ausnahmen dar. Im niedrigen Leistungsbereich können sich Dampfturbinen üblicherweise nicht gegenüber elektrischen Antrieben oder Verbrennungskraftmaschinen durchsetzen. 1.3 Klassifizierung von Dampfturbinen Dampfturbinen können nach ihrem Verwendungszweck und ihrer Größe klassifiziert werden. Daneben sind als Klassifizierungsschema auch Bauformen möglich, doch diese Aspekte werden in Kap. 2 detaillierter behandelt. In Abb. 1.15 ist eine entsprechende Klassifizierung von Dampfturbinen nach Art ihres Einsatzes und ihrer Größe gezeigt. Allgemein lassen sich Dampfturbinen – wie auch Gasturbinen – in stationäre und mobile Einheiten unterteilen. Im Falle von Gasturbinen sind die beiden Marktanteile (stationäre Gasturbinen und Gasturbinen für Flugtriebwerke) relativ ausgeglichen (mit einem 18 S. aus der Wiesche Abb. 1.15 Klassifizierung von Dampfturbinen nach ihrem Verwendungszweck und ihrer Größe größeren Marktgewicht auf Seiten der Flugtriebwerke). Im Gegensatz hierzu ist bei Dampfturbinen der Anteil der mobilen Anwendungen sehr viel geringer. Er besteht praktisch nur aus wenigen Schiffsdampfturbinen. In der Anfangszeit der Dampfturbinenindustrie waren die Schiffsantriebe vom Umfang her noch mit den stationären Anwendungen vergleichbar. Nach Einführung der Großdieselmotoren hat sich die Bedeutung von Dampfturbinen im Schiffsbau aber auf nur noch wenige Sonderanwendungen reduziert. Die Schiffsdampfturbinen können in die Turbinen für fossil befeuerte Kessel (konventioneller Schiffsantrieb) oder in Sattdampfturbinen für Nuklearantrieb unterteilt werden. Nur wenige große Flugzeugträger und Atomunterseeboote weisen einen Nuklearantrieb auf. In der zivilen Schifffahrt hat sich dieser nicht durchsetzen können. Die einzigen zivilen Schiffe mit Nuklearantrieb sind einige Eisbrecher. Auch kann bei modernen Flugzeugträgerprojekten wieder eine Hinwendung zu fossilen Antrieben (Gasturbinen bzw. Großdieselmotoren) beobachtet werden. Die Dampfturbine als Schiffsantrieb ist erst ab einer Wellenleistung von rund 50 MW wirtschaftlich interessant. Die stationären Dampfturbinen stellen die überwältigende Anzahl von Ausführungen dar. Allgemein üblich ist ihre Unterteilung in Dampfturbosätze großer Leistung und Industriedampfturbinen. Daneben gibt es noch Mini- bzw. Mikro-Dampfturbinen. Diese können auch in mobilen Anwendungen (z. B. in Schiffen) eingesetzt werden. Diese Art 1 Einführung 19 Abb. 1.16 Typische Expansionsverläufe von fossil befeuerten Dampfkraftwerken (strichpunktiert), kombinierten Gas- und Dampfkraftwerken (punktiert) und Kernkraftwerken (gestrichelt) im h,sDiagramm von miniaturisierten Dampfturbinen können bei Vorliegen eines übergeordneten Dampfversorgungsnetzes als lokale oder dezentrale Antriebseinheiten verwendet werden. Bereits um 1900 wurden diese sehr kleinen Dampfturbinen gebaut. Die kleinsten realisierten Ausführungen bewegten sich im Leistungsbereich von 0,5 bis ca. 5 kW [TER2001]. Durch die fortschreitende Elektrifizierung wurden diese Kraftmaschinen aber zunehmend durch elektrische Antriebe verdrängt. Die großen Dampfturbosätze werden heute in Anwendungen für fossil befeuerte Dampfkraftwerke, für kombinierte Gas- und Dampfkraftwerke und für Sattdampfprozesse in Leichtwasser-Reaktor-Kernkraftwerke unterteilt. Diese Unterteilung folgt bereits schon aus den unterschiedlichen Frischdampfparametern, die diesen Dampfturbinenklassen zugrundeliegen. In Abb. 1.16 ist dies anhand der drei Expansionsverläufe im h,s-Diagramm gezeigt. Bei einem fossil befeuerten Dampfkraftwerk (DKW) wird meist ein Prozess mit einer einfachen Zwischenüberhitzung gewählt. die Frischdampfdrücke liegen im Bereich um 200 bar und die Temperaturen bei über 540 ı C. Bis auf die letzten Stufen der Niederdruckteilturbinen verlaufen die Entspannungen im überhitzten Dampf- 20 S. aus der Wiesche bereich in Abb. 1.16. Bei einem kombinierten Gas- und Dampfkraftwerk (GuD) wird die Wärme für den unterliegenden Dampfkraftprozess mit Hilfe eines Abhitzekessels aus dem Abgas des oberliegenden Gasturbinenprozesses gewonnen. Da die Abgastemperaturen von modernen Gasturbinen im Bereich 500 bis 600 ı C liegen, können zwar ähnlich hohe Frischdampftemperaturen wie bei fossil befeuerten reinen Dampfkraftwerken erreicht werden, aber die maximalen Dampfdrücke liegen deutlich niedriger. Typisch sind Dampfdrücke zwischen 50 bis 100 bar. Bei Kernkraftwerken (KKW) findet man heute fast nur noch Leichtwasser-Reaktoren (siehe Kap. 16). Aufgrund ihres Aufbaus (Druckoder Siedewasser-Reaktor) sind die maximal erreichbaren Frischdampfdrücke auf 50 bis 70 bar und die maximal erreichbaren Frischdampftemperaturen auf etwa 320 ı C begrenzt. Diese niedrigen bzw. moderaten Dampfparameter führen bei gleichzeitig großen Dampfdurchsätzen zu einer eigenen Bauform. Da die Turbinenentspannung fast vollständig im Nassdampfgebiet erfolgt, ist auch der Begriff Sattdampfturbine üblich. Konstruktiv unterscheiden sich daher diese drei Klassen signifikant voneinander. Auch sind zusätzliche technische Maßnahmen zur Reduzierung der Nässe im Turbinenpfad bei Kernkraftwerken erforderlich. Abdampfzustände (Kondensatordruck und Endnässe) sind bei den in Abb. 1.16 aufgeführten Kraftwerkstypen vergleichbar. Mit dem Begriff Industriedampfturbine wird eine sehr große Klasse von Ausführungen im Leistungsbereich bis etwa 200 MW bezeichnet. Der Begriff bezog sich ursprünglich auf den Haupteinsatz dieser Dampfturbinen als Antriebe und Kraftmaschinen in großen Industriekomplexen. Heute werden aber auch Anwendungen in kommunalen oder mittleren Kraftwerken in dieser Leistungsklasse als Industriedampfturbinen bezeichnet. Diese Dampfturbinen können ebenfalls in kombinierten Gas- und Dampfkraftwerken eingesetzt werden, so dass die Unterteilung in Kraftwerks- und Industriedampfturbinen nicht streng ist. Zu den Industriedampfturbinen zählen auch Entnahmedampfturbinen für die Bereitstellung von Prozessdampf. Eine gewisse Sonderrolle nehmen Dampfturbinen für geothermische und solarthermische Kraftwerke ein. Von ihrer Leistung und ihrem Grundaufbau muss man Dampfturbinen für solarthermische Anlagen eindeutig zu den Industriedampfturbinen zählen. Ihre Einbindung in solarthermische Kraftwerke führen aber zu gewissen konstruktiven Modifikationen, so dass man bisweilen diese Beispiele auch unter einer eigenen Klasse zusammenfasst. Dampfturbinen für geothermische Anlagen lassen sich ebenfalls als modifizierte Industriedampfturbinen auffassen. Allerdings weisen geothermische Dampfkraftprozesse gegenüber den anderen Kraftwerken deutliche Unterschiede hinsichtlich der Dampfqualität auf, so dass die Modifikationen bei geothermischen Anwendungen meist erheblicher sind. Dies wird in einem späteren Kap. 17 noch detailliert dargelegt. Man kann daher zu Recht von einer eigenen Klasse von geothermischen Dampfturbinen zu sprechen. Meist handelt es sich dabei um Sattdampfturbinen, was eine Folge der üblicherweise niedrigen Frischdampfparameter der natürlichen geothermischen Ressourcen ist. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass Dampfturbinen oft anders, als ursprünglich für sie vorgesehen, eingesetzt werden. So wurden in den letzten Jahrzehnten viele nicht mehr benötigten Schiffsdampfturbinen als Turbinen für kommunale oder städ- 1 Einführung 21 tische Kraftwerke stationär eingesetzt und damit wiederverwendet. Auch sind die Grenzen zwischen Kraftwerks- und Industriedampfturbinen nicht immer eindeutig zu ziehen. Insofern dient Abb. 1.15 eher der besseren Orientierung und stellt kein absolut strenges Klassifizierungsschema dar. 1.4 Einige Angaben zur weltweiten Dampfturbinenindustrie Die Entwicklung der Dampfturbinenindustrie kann in einige charakteristische Abschnitte unterteilt werden. Unmittelbar nach ihrer Erfindung konstruierten in den industrialisierten Ländern viele Unternehmen Dampfturbinen. Nur noch wenige dieser frühen Anbieter sind bis heute im Markt aktiv tätig, wie beispielsweise General Electric (GE, USA). Die meisten dieser Unternehmen sind entweder von erfolgreicheren Firmen übernommen worden, oder sie sind vom Markt verschwunden. Einen vollständigen Überblick über den Stand um 1910 bietet das Buch von Stodola [STO1910]. Insgesamt sind dort rund 30 Unternehmen aufgeführt, die stationäre Dampfturbinen verschiedenster Bauformen anboten. Dazu kamen noch Unternehmen aus dem Schiffsbau sowie Firmen, die zu dieser Zeit erst in das Dampfturbinengeschäft einstiegen. Zu beachten ist, dass damals sämtliche Unternehmen aus Europa oder den USA stammten. Erst Jahre später traten japanische Konzerne hinzu. Da die ersten Dampfturbinen noch vergleichsweise kleine und oftmals einfach konstruierte Maschinen waren, konnten sich neben großen Konzernen auch deutlich kleinere Firmen in den ersten Jahrzehnten im Dampfturbinenmarkt betätigen. Auch haben einige Pioniere der Dampfturbinenentwicklung eigene Unternehmen gegründet, wie Parsons oder Rateau. Durch die fortschreitende Professionalisierung des Marktes setze allerdings schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein deutlicher Konsolidierungsprozess ein. Diese Tendenz ist bis heute für die Dampfturbinenindustrie bestimmend. So ist die Entwicklung der Dampfturbinenindustrie vor allem durch einen immer weiterschreitenden Prozess des Verschmelzens und des Übernehmens von Firmen gekennzeichnet. Heute gibt es weltweit nur noch eine relativ kleine Anzahl von unabhängigen Unternehmen in der Dampfturbinenindustrie. Anhand der Firmenzusammenschlüsse und Fusionen der europäischen und US-amerikanischen Firmen kann dieser Prozess verdeutlicht werden. In Abb. 1.17 ist dieser Prozess für die Hersteller von Dampfturbinen großer Leistung schematisch dargestellt. Zu einem der frühen Unternehmen der Dampfturbinenindustrie zählt GE. Es ist heute weltweit der nach Umsatz führende Konzern im Energiesektor. In Frankreich, Großbritannien und Deutschland gab es zunächst eine starke Tendenz hin zu nationalen Zusammenschlüssen. So schlossen sich Rateau, CEM und SACM in Frankreich dem Industriekonzern Alsthom an. In Großbritannien bildeten AEI und English Electric das britische Unternehmen GEC. Der klassische englische Hersteller Parsons wurde später von Siemens übernommen. Bereits vor 1910 stellte BBC in der Schweiz Dampfturbinen in Lizenz von Parsons her. Dieses Unternehmen expandierte in den weiteren Jahren sehr erfolgreich. In Mannheim entstand zudem eine juristisch eigenständige deutsche BBC. BBC 22 S. aus der Wiesche Abb. 1.17 Konsolidierungsprozess der europäischen und US-amerikanischen Hersteller von Dampfturbinen großer Leistung schloss sich 1988 mit der schwedischen Firma ASEA, die auch die Turbinengeschäfte der schwedischen Unternehmen STAL-Laval sowie Ljungström aufgenommen hatte, zu ABB zusammen. Die Turbinen- und Kraftwerksgeschäfte wurden in der ABB Kraftwerkstechnik zusammengefasst. Diese Gruppe bildete in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den zwischenzeitlich größten Hersteller von Dampfturbosätzen. Aufgrund der Verschärfung des internationalen Marktes mussten sich die nationalen Hersteller zu größeren Konzernen und Verbünden zusammenschließen. In Deutschland entstand u. a. durch die jeweiligen Geschäftsfelder von Siemens und AEG die Kraftwerkunion (KWU), zu der noch weitere Unternehmen gehörten. Später wurde der Begriff KWU zu einem Synonym für Siemens. Alsthom und GEC schlossen sich zum Gemeinschaftsunternehmen GEC Alsthom zusammen, was den fünften Platz unter den weltweiten Dampfturbinenherstellern einnahm. Da ABB die Kraftwerkssparte in den 1990er-Jahren nicht mehr als langfristig attraktiv ansah, wurde eine Fusion von ABB Kraftwerkstechnik und GEC Alsthom angestrebt. Aus dieser Fusion 1999 entstand der damals größte Hersteller von Dampfturbinen zunächst als Joint-Venture, danach als Unternehmen Alstom. Auch MAN Energie (nicht zu verwechseln mit der MAN Energy Solutions Gruppe, die im Wesentlichen aus GHH entstand) trat diesem Konzern bei. Siemens übernahm in dieser Zeit das US-Unternehmen Westinghouse, das viele Jahrzehnte lang der amerikanische 1 Einführung 23 Gegenspieler zu GE war. Zudem wurde das Traditionsunternehmen Parsons von Siemens integriert, so dass um 2000 in der westlichen Welt fast alle Dampfturbinen großer Leistung von GE, Siemens und Alstom sowie einem japanischen Trio (Mitsubishi Heavy Industry MHI, Hitachi und Toshiba) angeboten worden sind. Hinzu traten noch kleinere Firmen wie Skoda Energy oder Ansaldo, die geringere Marktanteile aufwiesen. Weltweit waren ebenfalls noch ehemals sowjetische Industriekonzerne wie LMZ (in der deutschen Transkription als Leningrader Metallwerk LMS bekannt) aktiv. Durch den Eintritt von China als ein führendes Industrieland und durch die Verschiebung des Dampfturbinenmarktes hat sich seit 2000 die Situation unter den großen Herstellern nochmals dramatisch verändert (siehe insbesondere auch die nachfolgend noch aufgeführten Umsatzzahlen). Im Jahre 2015/16 entstand durch die Übernahme der Energiesparte von Alstom durch GE der derzeit größte Marktteilnehmer. Siemens wiederum baute seine Energiesparte durch die Übernahme des US-Unternehmens Dresser-Rand sowie weiteren kleineren Firmen aus. In Japan schlossen sich MHI und Hitachi in der Turbinen- und Kraftwerksparte eng zusammen, so dass es auch dort zu einem Konsolidierungsprozess gekommen ist. Die ehemals sowjetischen Unternehmen sind zu einem russischen Konzern (JSZ mit LMZ) zusammengefasst. Skoda Energy ist Teil vom asiatischen Doosan-Konzern geworden. Es kann erwartet werden, dass sich der Konzentrationsprozess von Firmen und die damit zusammenhängenden Übernahmen in der Dampfturbinen- und Kraftwerksindustrie zukünftig weiter fortsetzen werden. Neben den oben genannten großen Konzernen gibt es nur noch wenige kleinere unabhängige Hersteller, wie Elliot (aus den USA), Ansaldo Energia in Italien oder MAN Energy Solutions in Deutschland. Ansaldo Energia stellt dabei insofern eine Ausnahme dar, als dass dieses Unternehmen neben Industriedampfturbinen auch große Dampfturbosätze herstellt. Zudem verstärkte 2015/16 Ansaldo Energia durch die Übernahme der Gasturbinensparte von Alstom sein Engagement im wichtigen Markt der kombinierten Gas- und Dampfkraftwerke. Wie die nachfolgend aufgeführten Umsatz- und Wachstumszahlen zeigen, ist dieses Segment aktuell von großer Bedeutung. Der mit Abstand größte Markt für Dampfturbinen liegt derzeit in China. Chinesische Hersteller produzieren aktuell mehr Dampfturbinen, als alle anderen Hersteller zusammen. Teilweise handelt es sich um Lizenzbau, teilweise wurden mit westlichen Herstellern Gemeinschaftunternehmungen gegründet. Aufgrund der Wachstumszahlen in Indien treten auch verstärkt indische Unternehmen und Beteiligungen hinzu. Nach Ansicht von Frost & Sullivan [FRO2016] wird mittelfristig eine weitere „signifikante Konsolidierung“ innerhalb der globalen Industrie erwartet. Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass es heute nur noch relativ wenige unabhängige Hersteller von Dampfturbinen gibt, obgleich dieser Markt insgesamt gesehen immer gewachsen ist und noch weiter expandieren wird. Ein Grund für diesen Konsolidierungsprozess ist auch in dem hohen Aufwand für Entwicklung und Fertigung von Dampfturbinen zu sehen. Die damit verbundenen Belastungen und wirtschaftlichen Vorausleistungen können nur noch innerhalb von größeren Konzernstrukturen getragen werden. Es ist insofern auch kein Zufall, dass die gleichen Konzerne (GE, 24 S. aus der Wiesche Tab. 1.5 Umsatzzahlen und Marktdaten für die Turbinenindustrie (weltweit) Marktsegment Globaler Dampfturbinenmarkta Globaler Dampfturbinenmarkta Dampfturbinenmarkt APAC-Region (Asien-Pazifik)a Dampfturbinenmarkt China und Indiena Dampfturbinenherstellung Chinab Dampfturbinenherstellung Chinab Dampfturbinenherstellung Chinab Globaler Turbinenmarkt (Gas, Dampf, Hydro, Wind, sonstige)c Globaler Gasturbinenmarkt (stationäre Gasturbinen)d Globaler Gasturbinenmarkt (zivile Flugtriebwerke)d Jahr Umsatz (in Mrd. USD) 2011 12,1 2014 14,8 2011 9,3 (entsprechend 77 %) 2011 7,3 (entsprechend 60 %) 2008 3,7 2011 5,7 2014 8,3 2013 135,7 2013 2013 15,0 27,5 a Quelle: Lucintel (Dez. 2012) bzw. Markets and Markts Quelle: Statista (2015) c Quelle: Transparency Market Research (2015) d Quelle: ASME b Siemens, Mitsubishi-Hitachi sowie zukünftig eventuell auch Ansaldo Energia) ebenfalls den Markt für schwere Kraftwerksgasturbinen dominieren. Einige aktuelle Umsatzzahlen sind in Tab. 1.5 für die Turbinenindustrie mit einem Schwerpunkt auf die Dampfturbinenhersteller nach verschiedenen Quellen zusammengestellt. Geringfügige Unterschiede können sich bei Aufstellungen dieser Art aufgrund der leicht unterschiedlichen Währungsreferenzen ergeben. Gemessen am Umsatz der gesamten Turbinenindustrie (Dampf, Gas, Hydro, Wind, sonstige) machen Dampfturbinen nur rund ein Zehntel aus. Dieser Anteil ist etwas geringer als der Markt für stationäre Gasturbinen. Der größte Marktanteil entfällt auf Gasturbinen für Flugzeugantriebe. Daneben stellen Windräder ein ebenfalls stark wachsendes Segment weltweit dar. Die APAC-Region, d. h. der Asien-Pazifik-Raum, stellt mit rund 77 % den wichtigsten Dampfturbinenmarkt dar. Hierbei entfällt der mit Abstand größte Anteil auf China. 60 % aller Dampfturbinen werden derzeit an Kunden in China und Indien verkauft. China ist aktuell nicht nur der wichtigste, sondern auch der am schnellsten wachsende Dampfturbinenmarkt. Dies wird durch die in Tab. 1.5 aufgeführten Umsatzzahlen für in China hergestellte Dampfturbinen klar demonstriert. Wie Tab. 1.5 zu entnehmen ist, wächst insgesamt gesehen der globale Dampfturbinenmarkt. Entsprechende Wachstumszahlen sind in Tab. 1.6 weiter aufgeführt. Verglichen mit dem Gasturbinenmarkt wird allerdings von einem etwas geringerem Wachstum für die nächsten Jahre ausgegangen. Zudem findet das Wachstum für Dampfturbinen nicht gleichmäßig statt, sondern es dominieren das Segment für kombinierte Gas- und Dampfkraftwerke bzw. der lokale chinesisch-indische Markt. Im Bereich der kombinierten Gas- und Dampfkraftwerke werden Wachstumszahlen von über 8 % vorhergesagt. Zu beachten ist auch, dass in den westlichen Ländern aktuell praktisch nur noch 1 Einführung 25 Tab. 1.6 Wachstumszahlen für die Dampfturbinenindustrie (globaler Kraftwerksmarkt) Marktsegment Globaler Turbinenmarkt (alle)b Globaler Dampfturbinenmarkta Globaler Dampfturbinenmarkta Dampfturbinenmarkt APAC-Region (Asien-Pazifik)a Turbinen für kombinierte Gas- und Dampfkraftwerkea a b Zeitraum 2013 bis 2020 2011 2014 bis 2020 2011 2015 Wachstum CAGR [%] 4,9 (Vorhersage) 2,4 3,0 bis 4,4 (Vorhersage) 3,0 8,1 Quelle: Lucintel (Dez. 2012), technavio Quelle: Transparency Market Research (2015) Tab. 1.7 Vorhergesagte Marktanteile der Hersteller von Dampfturbinen für kombinierte Gas- und Dampfkraftwerke im Zeitraum von 2016 bis 2029 (weltweit) Hersteller GE (zusammen mit Alstom) Davon Alstom Siemens Japanische Hersteller (zusammen) Davon Hitachi Davon Fuji Electric Davon Toshiba Davon MHI JSZ und LMZ (Russland) Doosan Skoda (Korea, Tschechien) Ansaldo Energia (Italien) MAN (Deutschland) Elliot (USA) Marktanteil [%] 31,0 7,7 15,2 27,1 8,7 6,6 6,0 5,8 10,5 7,9 2,4 1,3 0,7 Kumulierter Umsatz (Mrd. USD) 43,7 23,6 42,0 Quelle: Forecast International (2015) kombinierte Gas- und Dampfkraftwerke und kaum noch reine Dampfkraftwerke verkauft werden. In Tab. 1.7 sind die nach einer Studie erwarteten Anteile der Dampfturbinenhersteller für den wichtigen Markt der kombinierten Gas und Dampfkraftwerke aufgeführt. Wie zu erwarten, dominieren hierbei die großen Konzerne, die neben den Dampfturbinen auch Kraftwerksgasturbinen bzw. Kraftwerkskomponenten anbieten. Der in Tab. 1.7 vorhergesagte Anteil von Ansaldo berücksichtigt nur sehr konservativ die Möglichkeiten, die sich durch die Übernahme der Gasturbinensparte von Alstom ergeben haben. Der Konsolidierungsprozess und die Übernahme von Firmen hat nicht nur eine hohe kaufmännische Bedeutung, sondern führt auch zu einer Verstärkung des Baukastenoder Plattformkonzeptes in der Konstruktion von Dampfturbinen. Durch die Übernahme von früher unabhängigen Herstellern und deren Integration in Konzernstrukturen ergeben 26 S. aus der Wiesche sich zwangsläufig Doppelungen im Produktportfolio. Eine Lösung für diese aus Kostengesichtspunkten nachteilige Situation ist durch eine verstärkte Standardisierung gegeben. Primär dient die Standardisierung von Konstruktionsprozessen und Bauteilen der Kostenreduktion. Aufgrund des großen Wettbewerbs und der scharfen Marktanforderungen unternehmen alle Hersteller von Dampfturbinen große Anstrengungen auf diesem Gebiet. Literatur [BOH1985] Bohn, T. (Hrsg.): Konzeption und Aufbau von Dampfkraftwerken. Handbuchreihe Energie, Bd. 5. Technischer Verlag Resch, Köln (1985) [ENG1994] Engelke, W., Termuehlen, H.: Turbines for High Steam Parameters. In: Moore, W.G. (Hrsg.) Advances in Steam Turbine Technology for the Power Generation Industry PWR, Bd. 26, ASME, New York (1994) [FRO2016] Frost & Sullivan: Global Gas und Steam Turbine Market, Forecast to 2025. San Antonio (2016) [IEA2010] IEA (International Energy Agency): World Energy Outlook 2010, Paris, (2010). [KEA1956] Kearton, W.J.: Steam Turbine Theory and Practice, 7. Aufl. Pitman, London (1956) [KEH2009] Kehlhofer, R., Hannemann, F., Stirnimann, F., Rukes, B.: Combined-Cycle Gas & Steam Turbine Power Plants. PennWell Books, Tulsa (2009) [LEY2005] Leyzerovich, A.S.: Wet Steam Turbines for Nuclear Power Plants. PennWell TBooks, Tulsa (2005) [LEY2007] Leyzerovich, A.S.: Steam Turbines for Modern Fossil Fuel Power Plants. Fairmont Press, Lilburn (2007) [LUB2003] Luby, P.: Supercritical Systems. Lat Power Syst. 23, 27–32 (2003) [NOP2003] Noppenau, H.: Concept and First Operating Experience with Avedøre, 2. Vgb Powertech 83, 88–91 (2003) [STO1910] Stodola, A.: Die Dampfturbinen, 4. Aufl. Springer, Berlin (1910) [TER2001] Termuehlen, H.: 100 Years of Power Plant Development. ASME Press, New York (2001) [ULM2003] Ulm, W.: VGB PowerTech 83, Issue 1 (2003) [WEL2000] Weldorf, G.: Vertical tubes improve supercritical systems. Lat Power Syst. 20, 31–41 (2000) [WIK2016] www.wikipedia.de, Bildmaterial (2016) 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen Matthias Neef und Stefan aus der Wiesche In diesem Kapitel werden der grundlegende Aufbau und die Wirkungsweise von Dampfturbinen in Form einer Übersichtsdarstellung vorgestellt. Im weiteren Verlauf dieses Buchs werden die verschiedenen physikalischen und konstruktiven Einzelheiten noch ausführlich behandelt, so dass das hier vorliegende Kapitel als technische Einführung dient. Eine Ausnahme bildet der Abschnitt über die Radialdampfturbine, die heute praktisch nicht mehr gebaut wird. Dieses interessante, allerdings derzeit historisch abgeschlossene Konzept wird kompakt in diesem Kapitel vorgestellt und im weiteren Verlauf dieses Buches nicht mehr weiter betrachtet. Im Laufe der Zeit wurden viele verschiedene Dampfturbinentypen und Konzepte entwickelt. Manche dieser Dampfturbinentypen haben sich weltweit durchgesetzt, andere blieben eher technische Exoten oder wurden sogar ganz aufgegeben. Für den Anfänger ist es angesichts der vielfältigen Ausführungen und Konzepte oftmals schwierig, die Orientierung zu behalten. Das hier vorliegende Kapitel soll hierzu eine Hilfe sein. Besondere Vorkenntnisse werden nicht vorausgesetzt, und es wird eine eher auf das Grundverständnis abzielende beschreibende Argumentation gewählt. Auf die Darstellung tieferer mathematischer und physikalischer Zusammenhänge wird an dieser Stelle bewusst verzichtet und auf die nachfolgenden Kapitel verwiesen. M. Neef () Hochschule Düsseldorf Düsseldorf, Deutschland E-Mail: matthias.neef@hs-duesseldorf.de S. aus der Wiesche Fachhochschule Münster Steinfurt, Deutschland E-Mail: wiesche@fh-muenster.de © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. aus der Wiesche, F. Joos (Hrsg.), Handbuch Dampfturbinen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20630-7_2 27 28 M. Neef und S. aus der Wiesche Abb. 2.1 Eingelegter Läufer für eine Industriedampfturbine (MAN) 2.1 Einleitung Dampfturbinen gehören zu den thermischen Turbomaschinen. Das gemeinsame Kennzeichen von Turbomaschinen ist die Umwandlung von Energie in stetig durchströmten Schaufelrädern [MÜL1978]. Zu den besonderen Merkmalen der Dampfturbinen zählen daher ihre Läufer, d. h. die beschaufelten Wellen. In Abb. 2.1 wird dies anhand einer mehrschaligen Industriedampfturbine gezeigt, deren oberes Gehäuseteil zusammen mit den oberen Leitschaufelträgern entfernt wurde. Der Energieumsatz erfolgt in einer Dampfturbine indirekt. Die im Arbeitsfluid gespeicherte thermische Energie wird zunächst in kinetische Energie umgewandelt und diese in rotierenden Schaufeln auf eine Welle übertragen. Die grundlegende Wirkungsweise lässt sich in weiten Zügen auch am Beispiel der Wasserturbinen verstehen. Diese zählen zu den sog. hydraulischen Turbomaschinen, bei denen die Dichteänderung bzw. die thermischen Eigenschaften des Arbeitsfluids einen vernachlässigbaren Einfluss haben [DIX2010]. Bei den thermischen Turbomaschinen kommen noch die thermodynamisch-strömungstechnischen Effekte hinzu, so dass die Beschreibung dieser Klasse von Strömungsmaschinen insgesamt anspruchsvoller ist. Da die thermische Energie von hochgespanntem Dampf oder heißem Gas um ein Vielfaches größer ist, als bei Wasser- oder Windströmungen, lassen sich thermische Turbomaschinen mit einer beeindruckenden Leistungsdichte bauen. Das heißt, große Wellenleistungen können mit vergleichsweise kleinen bzw. kompakt gebauten Einheiten realisiert werden. 2.1.1 Vorläufer Die Ausnutzung von Wasser- und Windkraft wird seit dem Altertum praktiziert. Bemerkenswert mit Blick auf die Geschichte der Dampfturbine ist hierbei insbesondere die in Abb. 2.2a abgebildete Dampfkugel, die Heron von Alexandria im 1. Jahrhundert n. Chr. entwickelte. Zu deren Betrieb kommt erhitzter, unter Überdruck stehender Wasserdampf 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen a 29 b D D L L K K K: Kessel D: Düse L: Laufrad D L D L K K Herons Dampfball /Aeolpile Heron von Alexandria, ca. 1. Jhdt. Vollständiger Druckabbau im Läufer: Überdruckprinzip Ausnutzung des Rückstoßes Reaktionsprinzip Brancas Rad (ca. 1629) Giovanni Branca, 1571–1645 Vollständiger Druckabbau vor dem Läufer (kein Druckabbau im Läufer) Gleichdruckprinzip Ausnutzung der Impulsänderung (Umlenkung): Aktionsprinzip Abb. 2.2 Herons Dampfball (a) und Brancas Rad (b) zum Einsatz. Wasser wird dazu in einem Behälter (K) durch ein Feuer erhitzt und durch die Aufhängung in das Innere der drehbar gelagerten Kugel (L) geleitet. Aus der Kugel kann der Dampf durch zwei Düsen (D) ausströmen, die den Dampf tangential zur Kugeloberfläche ablassen. Durch den entstehenden Rückstoß wird die Kugel in eine Drehbewegung versetzt. Wie bei der heutigen Dampfturbine wird hier die thermische Energie des Dampfs in den Austrittsdüsen in kinetische Energie umgewandelt, auch wenn diese nicht für eine technische Anwendung nutzbar gemacht wird. Zur Anwendung kommt hier das Reaktions- oder Überdruckprinzip, auf dessen Definition und Bedeutung noch näher eingegangen wird (siehe Abschn. 2.2.3). Eine Trennung in feste Düsen oder Leitapparate und rotierende Laufräder gab es bei der Drehkugel noch nicht. Dieses Konzept wurde nach heutigem Wissen zuerst im Jahre 1629 im Buch „Le machine“ von Giovanni Branca vorgestellt. Abb. 2.2b zeigt eine Reproduktion des dampfbeaufschlagten Laufrads von Branca. Bei dieser Maschine wird Dampf 30 M. Neef und S. aus der Wiesche in einem externen Kessel (K) erzeugt und in einer Düse (D) expandiert. Der so erzeugte schnelle Dampfstrahl wird auf ein rotierendes Schaufelrad (L) gelenkt und versetzt dieses in Drehung. Anders als seine antiken Vorgänger dachte Branca bereits in seinem Entwurf daran, dass sein Dampfrad als Kraftmaschine nutzbare Arbeit für den Menschen erledigen sollte. Diese Idee ist durch das maschinell angetriebene Stößelwerk in Abb. 2.2b oben illustriert. Obwohl Brancas Dampfrad nach heutigem Wissen in der dargestellten Form nie realisiert worden ist, enthält es bereits alle wesentlichen Konstruktionsmerkmale der modernen Dampfturbinen. Der Dampf wird in einem externen Kessel erzeugt und auf die eigentliche Kraftmaschine, die Dampfturbine, geleitet. Dort findet die Umwandlung der thermischen Energie des Dampfes zunächst durch Expansion in einer Düse statt. Diese erzeugt eine hohe kinetische Energie, die gerichtet auf das Laufrad einwirkt. Die Düse stellt also die Vorform der heutigen Leitapparate bzw. Leitschaufeln dar. Die Welle selbst wird durch die Umlenkung des Dampfes in einem stetig durchströmten, beschaufelten Laufrad angetrieben, das nach dem Gleichdruck- bzw. Aktionsprinzip arbeitet (siehe Abschn. 2.2.3). Zudem skizzierte Branca bereits den Einsatz eines Getriebes, siehe Abb. 2.3, Abb. 2.3 Brancas Dampfrad mit aufwendigem Getriebe zur Unterstützung menschlicher Arbeit 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 31 welches bei modernen Industriedampfturbinen oder Schiffsdampfturbinen zur Reduzierung der Drehzahl eingesetzt wird. Das in Abb. 2.2b illustrierte Grundprinzip ist überraschend einfach; und man kann sich daher fragen, warum die Realisierung der ersten funktionstüchtigen Dampfturbinen erst sehr viel später, nämlich im Jahre 1883 bzw. 1884 (siehe Kap. 1) gelang. 2.1.2 Kolbendampfmaschine Historisch gesehen wurde die Dampfkraft ab dem 18. Jahrhundert zunächst ausschließlich in Form der Kolbendampfmaschinen technisch genutzt. Eine solche ist in Abb. 2.4 einschließlich des Kurbeltriebwerks und des Schwungrades gezeigt. Es handelt sich hierbei um eine Ausführung von James Watt, der die zu seiner Zeit bereits im Betrieb befindliche Niederdruckdampfmaschine von Newcomen massiv verbesserte [MAT1901]. Diese Verbesserungen waren so eindrucksvoll, dass James Watt fälschlicherweise oft als der Erfinder der Dampfmaschine bezeichnet wird. Bei der in Abb. 2.4 gezeigten Konstruktion wird die Kolbenbewegung durch den in den Zylinder einströmenden Dampf ausgelöst. Über ein Kurbeltriebwerk wird aus der oszillatorischen Bewegung eine rotatorische erzeugt. Da die Kolbenmaschine periodisch arbeitet, dient ein Schwungrad zur Glättung der Drehzahlschwankungen. Von James Watt stammt auch die Idee, einen doppeltwirkenden Abb. 2.4 Frühe Kolbendampfmaschine von James Watt (1736–1819) 32 M. Neef und S. aus der Wiesche Zylinder zu verwenden. Ebenfalls fügte Watt einen Kondensator an den Abdampfstutzen, so dass Abdampfdrücke unterhalb des Umgebungsdrucks möglich wurden. Dieser Ansatz ermöglichte die Ausführung von geschlossenen Dampfkraftanlagen, die wegen des günstigeren Druckverhältnisses zwischen Frisch- und Abdampf einen höheren Wirkungsgrad als die offene Prozessführung gestatten. Das Prinzip wurde später für Dampfturbinen übernommen und ist zum Standard geworden, weshalb im Folgenden der geschlossene Dampfkraftprozess eingeführt werden soll. 2.1.3 Dampfkraftprozess Beim Dampfkraftprozess handelt es sich um einen Kreisprozess, bei dem das Arbeitsfluid zwar Umwandlungen (Vorwärmung, Verdampfung, Überhitzung, Entspannung, Kondensation, Drucksteigerungen) durchläuft, aber im stationären Betrieb immer wieder an seinen Ausgangszustand zurückkehrt. Man spricht auch von einem geschlossenen Prozess. Der offene Dampfkraftprozess, bei dem der Abdampf in die Umgebung entlassen wird und neues Speisewasser nachgeführt werden muss, wurde im größeren Maßstab nur bei den durch Kolbenmaschinen angetriebenen Dampflokomotiven verwendet. Ein geschlossener Dampfkraftprozess ist als vereinfachter Wärmeschaltplan in Abb. 2.5 gezeigt. Dieser ist in der Literatur auch als Clausius-Rankine-Prozess bekannt. Prinzipiell kann als Kraftmaschine eine Turbine oder eine Kolbendampfmaschine eingesetzt werden. Der Kreisprozess in Abb. 2.5 besteht neben der Kraftmaschine noch aus einem Kondensator, wo die Abwärme an die Umgebung übertragen wird, einer Förderpumpe, um den Druck nach der Entspannung wieder auf den Frischdampfdruck zu erhöhen, und einem Kessel (Dampferzeuger), wo die Wärme dem Prozess zugeführt wird. Die umfangreichen thermodynamischen Beziehungen und Anlagenvarianten des Dampfkraftprozesses werden noch detailliert in Kap. 3 behandelt. Reale Ausführungen von Dampfkraftprozessen weisen noch weitere, in Abb. 2.5 nicht dargestellte, Komponenten auf, die in späteren Kapiteln noch erläutert werden. Abb. 2.5 Wärmschaltplan des einfachen Dampfkraftprozesses (Clausius-RankineProzess) Wärmezufuhr Turbine Kessel Nutz arbeit Kondensator Wärmeabfuhr Pumpe Pumpenarbeit 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 33 Im Rahmen dieser Einführung soll zunächst aber wieder die oben bereits gestellte Frage aufgegriffen werden, warum erst die maschinendynamisch viel anspruchsvollere Kolbendampfmaschine anstelle der einfachen Dampfturbine realisiert worden ist. 2.1.4 Erste Betrachtung zur Dimensionierung Um zu verstehen, warum die Realisierung der ersten Dampfturbinen erst spät gegen Ende des 19. Jahrhunderts möglich wurde, ist es instruktiv, noch einmal das sehr einfache Grundprinzip von Brancas Rad zu analysieren. Der Dampf strömt aus der Düse mit der Geschwindigkeit c und trifft auf das Schaufelrad. Dieses bewegt sich mit einer Umfangsgeschwindigkeit u. In Abb. 2.6 sind für verschiedene Verhältnisse von u und c die jeweiligen dynamischen Auswirkungen grafisch verdeutlicht. In Abb. 2.6a steht das Laufrad still. In diesem Fall wirkt zwar eine große Strömungskraft F auf die Schaufel, dennoch wird in diesem Fall keine Leistung P vom Laufrad an die Welle übertragen. Die Leistung ergibt sich erst aus dem Produkt von Kraft und Umfangsgeschwindigkeit (P D F u), letztere beträgt bei stehender Welle jedoch u D 0. Weist das Laufrad eine Geschwindigkeit u > 0 auf, so reduziert sich zwar die Kraft F, aber es kann nun eine nutzbare Leistung vom Dampf auf die Welle übertragen werden. In Abb. 2.6b und Abb. 2.6c sind die Fälle für u D c=4 und u D c=2 dargestellt, bei denen eine entsprechende Leistung P abgegeben wird. Wenn aber das Laufrad genau die Geschwindigkeit des Dampfstrahls hat (u D c), so kann wiederum keine Leistung P abgegeben werden, weil dann offensichtlich die vom Dampf auf das Laufrad übertragene Kraft F D 0 wird, Abb. 2.6d. Die obige Argumentation gilt für das hier gezeigte Gleichdruckprinzip, bei dem im Laufrad kein Druck abgebaut wird. Das ist bei dem in Abb. 2.2b bzw. Abb. 2.3 gezeigten Dampfrad oder auch beim klassischen Wasserrad der Fall. Möchte man die Leistung P maximieren, existiert ein optimales Geschwindigkeitsverhältnis u=c zwischen den beiden Grenzfällen u D 0 und u D c. Dies ist schematisch in Abb. 2.7 gezeigt. Für die betrachtete Gleichdruckanordnung liegt das leistungsoptimale Geschwindigkeitsverhältnis bei u=c D 1=2. Ziel der Auslegung der Dampfturbine ist es, genau dieses Geschwindigkeitsverhältnis für die jeweilige Bauart zu ermitteln und im Betrieb zumindest näherungsweise zu erfüllen. Im vorliegenden Fall des in Abb. 2.6 gezeigten Prinzips kann man durch eine Impulsbetrachtung beweisen [BLO2009], dass das optimale Geschwindigkeitsverhältnis genau zwischen den beiden Grenzfällen, nämlich für u D c=2 (siehe Abb. 2.6c) angenommen wird. Dann weist die Rückströmung praktisch eine verschwindende Geschwindigkeit auf, so dass die kinetische Energie des Dampfstrahls maximal in Wellenarbeit umgewandelt werden kann. Die vom Dampfrad abgegebene Leistung P als Funktion des Geschwindigkeitsverhältnisses u=c ist in Abb. 2.7 in Diagrammform dargestellt. Man erkennt das Maximum der abgegebenen Leistung P bei einem Geschwindigkeitsverhältnis von u D c=2. 34 Abb. 2.6 Zur Analyse des Grundprinzips des dampfbeaufschlagten Laufrads (Prinzip Dampfrad oder auch Wasserrad, kein Druckabbau im bewegten Laufrad) M. Neef und S. aus der Wiesche a b c d Abb. 2.7 Leistung als Funktion des Geschwindigkeitsverhältnisses für das in Abb. 2.6 gezeigte Dampfrad Abb. 2.8 Entspannung in einer Düse vom Zustand 0 zum Zustand 1 Aufgrund des oben dargestellten Zusammenhangs zwischen der Leistung P und den Geschwindigkeiten u und c kann die enorme konstruktive Herausforderung, die die Realisierung einer Dampfturbine zunächst darstellte, abgeleitet werden. Hierzu ist es allerdings erforderlich, die Größenordnungen der Geschwindigkeit c des ausströmenden Dampfs zu kennen. Diese kann mit Hilfe einer einfachen Energiebilanz aus den Zuständen vor und nach der Düse ermittelt werden. In Abb. 2.8 ist eine solche Betrachtung illustriert. Bei Eintritt (0) in die Düse weise der Dampf die (geringe) Geschwindigkeit c0 auf, die durch Entspannung vom Eintrittsdruck p0 auf den Enddruck p1 auf c1 erhöht wird. Man findet, dass sich bei dieser Entspannung im Allgemeinen auch die Temperaturen von t0 auf t1 ändern. 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 35 Der thermische Energieinhalt des Dampfs kann durch die spezifische Enthalpie h ausgedrückt werden, was im nachfolgenden Kap. 3 noch ausführlich behandelt wird. Die Energiebilanz für die in Abb. 2.8 gezeigte Konfiguration lautet unter Vernachlässigung von Wärmeverlusten [MÜL1978, DIX2010] und unter Vernachlässigung der potentiellen Energie 1 1 (2.1) h0 C c02 D h1 C c12 : 2 2 Durch Umstellung von Gl. 2.2 kann man die Austrittsgeschwindigkeit zu q p (2.2) c1 D 2.h0 h1 / C c02 2.h0 h1 / bestimmen. Im Falle von geringen Eintrittsgeschwindigkeiten c0 hängt die Austrittsgeschwindigkeit der Düse praktisch nur von der Differenz h0 h1 der spezifischen Enthalpie ab. Diese Größe wird im Dampfturbinenbau oft auch als (Enthalpie-) oder Wärmegefälle bezeichnet. Die Werte der spezifischen Enthalpie h hängen vom Druck p und der Temperatur t ab. Die genauen Zusammenhänge und die Möglichkeiten, diese Werte zu bestimmen, werden noch in Kap. 3 ausführlich diskutiert. An dieser Stelle genügt es, die typische Größenordnung der spezifischen Enthalpiedifferenzen h0 h1 zu kennen, die selbst für Niederdrucksysteme (bis ca. 2 bar) im Bereich von 20 kJ/kg und mehr liegt. Das bedeutet, dass die Austrittsgeschwindigkeit c1 Werte von 200 m/s und höher annimmt. Wählt man das optimale Geschwindigkeitsverhältnis u D c=2, so folgen zwangsweise beachtliche Umfangsgeschwindigkeiten von u D 100 m/s und mehr. Da diese Geschwindigkeit der Schaufeln der Umfangsgeschwindigkeit uDR! DR2 n (2.3) für ein Rad mit dem Radius R und der Drehzahl n entspricht, kann man direkt den typischen Drehzahlbereich n von Dampfturbinen ableiten. Nimmt man einen Radius R in der Größenordnung von 0,1 m an, so ergeben sich Maschinendrehzahlen von über 9000 min1 . Diese Werte waren erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts konstruktiv beherrschbar. Mit der damaligen Fertigungstechnik und Auswuchttechnik war man zur Zeit der Kolbendampfmaschine weit davon entfernt, solche hochtourigen Turbomaschinen realisieren zu können. Selbst eine extreme Vergrößerung der Laufraddurchmesser würde wegen der damit zunehmenden konstruktiven Schwierigkeiten die Herausforderungen der hohen Drehzahlen und der hohen Strömungsgeschwindigkeiten in der Dampfturbine nur verschieben. Tatsächlich werden bei höheren Drücken und Dampftemperaturen noch wesentlich größere Strömungs- und Umfangsgeschwindigkeiten erreicht. Man kann aufgrund einer solchen allgemeinen Überlegung direkt einsehen, warum die Dampfturbine (wie auch die Gasturbine) eine relativ „junge“ Kraftmaschine darstellt, die erst lange nach den ersten Kolbenkraftmaschinen einschließlich der Otto- und Dieselmotoren zum Einsatz kommen konnte. Weitere Einzelheiten zu den Anfängen des Dampfturbinenbaus können dem Buch [STO1910] von Stodola entnommen werden, das bis heute als Klassiker für die Anfänge und Grundlagen zum Dampfturbinenbau gilt. 36 M. Neef und S. aus der Wiesche 2.2 Stufen und Beschaufelung In Form eines dampfbeaufschlagten, offenen Laufrads nach Art von Abb. 2.2b bzw. Abb. 2.3 wurden Dampfturbinen nie gebaut. Wesentlich günstiger für die Energieumsetzung sind andere Bauweisen, die in diesem Unterkapitel kurz vorgestellt werden. Weitere strömungstechnische Einzelheiten können Kap. 4 entnommen werden. 2.2.1 Aufbau einer Stufe Für die Energieumsetzung im Laufrad sind wie in Abschn. 2.1 diskutiert, die Geschwindigkeitsverhältnisse der Strömung und des Laufrads (Umfangsgeschwindigkeit) relevant. Bei einer Dampfturbine wird die auf das Laufrad gerichtete Strömung in einem Leitapparat (Düse) durch einen Entspannungsprozess erzeugt. Dies ist schematisch in Abb. 2.9 gezeigt. Der Leitapparat ist im Gegensatz zum rotierenden Laufrad feststehend. Man spricht auch von Stator und Rotor (Läufer) bei einer Turbomaschine. Für die Konstruktion der Dampfturbine ist das Zusammenwirken von Leit- und Laufrad entscheidend. Bei einem Windrad beispielsweise entfällt der Leitapparat, da der zuströmende Wind bereits die erforderliche Eintrittsgeschwindigkeit für den Rotor hat. Thermische Turbomaschinen weisen eine feste Paarung von Leitapparat und Laufrad auf. Abb. 2.9 Aufbau einer Turbinenstufe am Beispiel einer Laval-Turbine (a) und einer ÜberdruckTurbine gemäß Parsons (b) 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 37 Konstruktiv werden die Leitapparate als Schaufelgitter bzw. Düsenkränze am Gehäuse der Turbine befestigt und die Laufschaufeln an Kränzen bzw. Rädern des Rotors. Ein zusammenwirkendes Leit- und Laufradgitter bezeichnet man als Stufe (Englisch: stage). Thermische Turbomaschinen sind oft aus vielen Stufen aufgebaut, aber es gibt für kleine Leistungsklassen auch die einstufige Bauweise. Eine solche wurde 1883 von de Laval für die erste Dampfturbine der Welt (siehe Kap. 1 und Abb. 2.9a) ausgeführt. Parsons wählte 1884 die mehrstufige Bauweise bereits für seine erste Turbine. 2.2.2 Axiale und radiale Bauweise In einer Stufe können die feststehenden und die rotierenden Schaufelgitter in axialer oder in radialer Richtung durchströmt werden. Die für Turbinen denkbaren axialen und radialen Bauformen sind in Abb. 2.10 vereinfacht dargestellt. Bei Dampfturbinen dominiert eindeutig die axiale Bauweise (Abb. 2.10a), bei der die Leit- und Laufschaufeln überwiegend in axialer Richtung durchströmt werden. Streng genommen weist das Strömungsfeld in jeder axialen Stufe auch einen gewissen Anteil nicht-axialer Geschwindigkeitskomponenten auf, doch kann dieser meist zugunsten der Hauptrichtung vernachlässigt werden. Neben der axialen Bauweise gibt es auch die radiale Bauweise, bei der die Durchströmung hauptsächlich in radialer Richtung erfolgt. Im Dampfturbinenbau wurden in der Abb. 2.10 Bauformen für Turbinen: a Axial-Turbine, b radiale Ljungström-Turbine und c radiale Turbine (Zentripetal-Turbine). La Laufrad, Le Leitrad, ! Winkelgeschwindigkeit der Welle 38 M. Neef und S. aus der Wiesche Vergangenheit in kleinerer Stückzahl auch radiale Turbinen gebaut (Abb. 2.10b und c), die in diesem Kapitel weiter unten noch näher diskutiert werden. Neben der in Abb. 2.10b gezeigten radialen Bauweise, die als Ljungström-Turbine bekannt ist, gibt es auch die in Abb. 2.10c gezeigte Zentripetalform, bei der das Arbeitsfluid radial einströmt und dann axial austritt. Diese Bauweise ist für kleine Gasturbinen, wie beispielsweise für Turbolader im Kraftfahrzeugeinsatz, verbreitet [DIX2010], doch wurde sie bei Dampfturbinen nur sehr selten eingesetzt. Die größeren Durchsätze und damit auch Leistungen lassen sich mit axialen Turbinen mit höheren Wirkungsgraden als in Zentripetalturbinen erzielen. Da Dampfturbinen überwiegend in einem größeren Leistungsbereich arbeiten, ist das nahezu vollständige Fehlen der einfachen Radialbauweise (Abb. 2.10c) im Dampfturbinenbau leicht erklärbar. Die Ljungström-Turbine wies trotz ihres wesentlich anspruchsvolleren Grundaufbaus gegenüber der axialen Bauweise manche Vorteile auf, so dass sie tatsächlich vereinzelt gebaut wurde. Derzeit gibt es aber keinen Hersteller mehr, der eine solche Turbine aktuell anbietet. Im weiteren Verlauf dieses Buchs wird daher hauptsächlich nur noch die Axialturbine betrachtet, und die Diskussion der Radialturbine beschränkt sich auf das entsprechende Unterkapitel 2.5. 2.2.3 Einführung von Gleichdruck- und Überdruckbauweise Sowohl bei Brancas Dampfrad (siehe Abb. 2.2b und Abb. 2.3) als auch bei der ersten Dampfturbine von de Laval (siehe Kap. 1 bzw. Abb. 2.9a) wird der eintretende Dampf ausschließlich in der Düse bzw. im Leitgitter entspannt. Durch die Expansion wird am Austritt aus dem Leitgitter die Geschwindigkeit massiv erhöht. Im Laufrad findet die Energieumsetzung auf die Welle statt. Wie in Abb. 2.11a gezeigt, findet in der Gleichdruckstufe kein weiterer Druckabbau im Laufrad statt. Man bezeichnet dies als Gleichdruckbauweise, da vor und nach dem Laufrad kein nennenswerter Druckunterschied auftritt. Dies kann durch Beibehalten der Strömungsquerschnitte entlang des Laufradkanals erreicht werden. Streng genommen ist bei realen Ausführungen ein kleiner Druckunterschied zur Überwindung von Strömungsverlusten vorhanden. Dieser ist aber gegenüber dem Druckunterschied im Leitapparat vernachlässigbar, so dass sich die nicht ganz korrekte Bezeichnung „Gleichdruckstufe“ im technischen Sprachgebrauch erhalten hat. Korrekterweise müsste man eher von einer sog. „Schwachreaktionsstufe“ sprechen, was im Anschluss an Kap. 4 noch verständlich wird. Es gibt neben der Gleichdruckbauweise traditionell noch die Überdruckbauweise, die in Abb. 2.11b gezeigt ist und weiter unten behandelt wird. Für diese hat sich auch die Bezeichnung Reaktionsturbine bzw. Reaktionsstufe eingebürgert, obgleich man streng genommen von Aktions-Reaktions-Turbinen sprechen müsste (siehe Kap. 4). In einer Überdruckstufe findet die Expansion in Leit- und Laufschaufeln statt, d. h. ein Druckabbau liegt auch im Laufrad vor. Bei der auf Parsons 1884 zurückgehende klassische Überdruckbauweise wird in Leit- und Laufschaufeln das gleiche Druckverhältnis verarbeitet, so dass ein symmetrischer Aufbau von Leit- und Laufschaufeln resultiert. Ein 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 39 Abb. 2.11 Entspannungsverlauf (Druck p bzw. Geschwindigkeit v) in einer Gleichdruckstufe (a) und in einer Überdruckstufe (b) solcher Entspannungsverlauf ist schematisch in Abb. 2.11b dargestellt. Neben der Bezeichnung Gleichdruck- und Überdruckbauweise ist auch das Begriffspaar Aktions- und Reaktionsturbine gebräuchlich. Die Verwendung der Begriffe „Aktion (impulse)“ und „Reaktion (reaction)“ sind streng genommen nicht ganz frei von Schwierigkeiten, was bereits früh [STO1910] bemerkt worden ist. Dennoch haben sich diese Begriffe fest in der Dampfturbinenindustrie und Literatur etabliert. Man kann ihre Verwendung anhand der Impulsübertragung im Laufrad erklären (siehe Abb. 2.12). Bei einer Gleichdruckstufe findet der Impulsübertrag von der Strömung maßgeblich durch einen Richtungswechsel, also durch eine Stoß- oder Aktionswirkung statt. Bei der Überdruckstufe wird auch im Laufrad Druck abgebaut, so dass eine Reaktionswirkung der beschleunigten (und umgelenkten) Strömung resultiert. Herons Dampfkugel (Abb. 2.2a) stellt so gesehen das Extrem der vollständigen Expansion im Laufrad dar. Diese Möglichkeit kommt aber bei Dampfturbinen in der auch in Abb. 2.12b symbolisch dargestellten Reinform nicht zum Einsatz. Historisch bestand fast hundert Jahre lang ein Streit und Wettbewerb um die „bessere“ Bauweise. Die Hersteller bevorzugten traditionell immer nur eine Bauweise für die Stufen ihrer Dampfturbinen. Als Grund kann der sehr hohe Aufwand bei der Entwicklung eines neuen Schaufelprofils angegeben werden. Gerade zu Zeiten, wo keine Rechnerunterstützung bei der strömungstechnischen und strukturdynamischen Auslegung sowie der Fertigung verfügbar waren, barg die Entwicklung von neuen Schaufeln für jeden Hersteller immer ein enormes wirtschaftliches Risiko. Traditionell verbesserten daher die Hersteller evolutionär ihre erprobten Konstruktionen. Im europäischen Markt wurden mehrheitlich Überdruckstufen gewählt, während im US-amerikanischen Markt häufiger die Gleich- 40 M. Neef und S. aus der Wiesche a b Gleichdruck- bzw. Aktionsprinzip Überdruck- bzw. Reaktionsprinzip Abb. 2.12 Gleichdruck- bzw. Überdruckprinzip (a) und Aktions- bzw. Reaktionsprinzip (b) [VGB1983] druckstufen bevorzugt wurden. Vereinzelt wurde auch von einem „Glaubenskrieg“ der beiden Richtungen des Dampfturbinenbaus gesprochen. In den Kapiteln dieses Buches wird dieser traditionelle Gegensatz noch oft thematisiert werden, da er einschneidende Konsequenzen für die Auslegung, Konstruktion und Fertigung der Gesamtmaschinen nach sich zieht. Zu Beginn und bis weit in die 1970er-Jahre wurden die Gleichdruck- und Überdruckstufen daher auch oftmals getrennt in Lehrbüchern [STO1910, RÖM1972, DIE1980] behandelt. Rein physikalisch gesehen gibt es für diese strikte Trennung keinen Grund, was beispielsweise von Traupel in seiner Darstellung [TRA1966] betont worden ist. Im Zuge der noch in späteren Kapiteln zu besprechenden modernen Auslegungs-, Entwicklungsund Fertigungsverfahren wurde ab den 1990er-Jahren dieser traditionelle Gegensatz technisch überwunden. Dennoch ist es selbst heute noch für das Verständnis der installierten und im Betrieb befindlichen Einheiten wichtig, beide Bauweisen unterscheiden zu können. Trotz der modernen Angleichungstendenzen haben sich gewisse Konstruktionsmerkmale und Eigenschaften dieser beiden Bauweisen bei den Herstellern bis auf den heutigen Tag erhalten und sind für den sicheren und effizienten Betrieb der Maschinen von großer Bedeutung. 2.2.4 Gleichdruck- oder Aktionsstufen (Kammerbauweise) Charakteristisch für die Gleichdruckstufe ist das Fehlen eines nennenswerten Druckunterschieds zwischen dem Ein- und Austritt des Laufrades. Die Energieumsetzung im Laufrad 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 41 findet praktisch nur durch die Umlenkung der Strömung bei gleichbleibender Relativgeschwindigkeit (jw1 j D jw2 j) statt, so dass die Laufschaufeln einer Gleichdruckstufe auch große Umlenkwinkel aufweisen. Klassisch gleichen sie halbmondartigen Profilen. Der Verlauf von Druck und Geschwindigkeit und der Zusammenhang mit den Schaufelprofilen sind in Abb. 2.13 für eine Gleichdruckstufe dargestellt. Die Gleichdruckstufe ist die einfachste Art, den Druck des Arbeitsfluids in eine hohe Strömungsgeschwindigkeit umzusetzen und in Kräfte auf Laufschaufeln zu überführen. Der Dampf tritt mit einer (kleinen) Eintrittsgeschwindigkeit c0 in die Stufe ein und wird in den Leitschaufeln auf die hohe Geschwindigkeit c1 beschleunigt. Wie weiter oben bereits diskutiert, entspricht diese idealerweise rund dem doppelten Betrag der Umfangsgeschwindigkeit u der Laufschaufeln. Die Laufschaufeln lenken den Dampf um. Aus Sicht der bewegten Laufschaufeln (Relativsystem) strömt der Dampf mit der Relativgeschwindigkeit w1 auf die Laufschaufeln zu und verlässt diese bei reiner Umlenkung mit der – betragsmäßig identischen – Relativgeschwindigkeit w2 . Vom festen Bezugssystem aus gesehen beträgt die Abströmgeschwindigkeit c2 . Absolut gesehen kommt es durch die Umlenkung und damit Impulsänderung in den Laufschaufeln zu einem Unterschied cu der Umfangskomponenten der Strömungsgeschwindigkeiten c. Diese Differenz in der Umfangskomponente der Absolutgeschwindigkeit zwischen Laufrad-Ein- und -austritt ist ein Maß für den Energieumsatz der Stufe (siehe Eulergleichung in Kap. 4). Diese kinematischen Verhältnisse sind in Form von Geschwindigkeitsdreiecken in Abb. 2.13 ebenfalls dargestellt. Da die Geschwindigkeiten Vektorgrößen sind, stehen die Relativ- und Absolutgeschwindigkeiten w und c mit der Umfangsgeschwindigkeit u in einem vektoriellen Zusammenhang, d. h. sie bilden vor und nach den Laufschaufeln geschlossene Dreiecke. Aus historischen Gründen ist im Strömungsmaschinenbau die Verwendung von Vektorsymbolen für die Geschwindigkeiten c, u und w nicht üblich. Es wird stattdessen mit den Beträgen und den jeweiligen Komponenten gerechnet. Die Verwendung von Geschwindigkeitsdreiecken wird noch in Kap. 4 näher ausgeführt. Diese Beschreibungsform bildet seit Euler die Grundlage für die Beschreibung von Turbomaschinen [DIX2010]. Durch die Profile der Schaufeln kann man nun die Richtungen bzw. die Winkel der Strömung festlegen. Da bei der Gleichdruckstufe im Laufrad eine große Umlenkung der Relativgeschwindigkeit auf einen hohen Impulsübertrag und damit auf eine große Leistung führt, sind üblicherweise die Laufschaufeln sehr stark umlenkend. Die Gleichdruckstufe wird immer in Kammerbauweise gebaut. Diese Kammerbauweise ist in Abb. 2.13 anhand eines Schnittbilds verdeutlicht. Die Laufschaufeln sind auf rotierenden Scheiben befestigt. In diesem Zusammenhang findet sich daher auch häufig der Begriff der Scheibenbauweise, obwohl dieser nicht den Turbinentyp sondern die Konstruktion des Rotors charakterisiert. Die Welle einer Gleichdruckturbine, auf der die Scheiben aufgesetzt sind, ist aufgrund der Kammern immer relativ schlank. Die Leitschaufeln sind am Gehäuse befestigt. Da sie den Dampf sehr stark beschleunigen, sind die axialen Abmessungen der Leitschaufeln oft beachtlich gegenüber den Laufschaufeln. Diese erlaubt eine gute Strömungsführung für die starke 42 M. Neef und S. aus der Wiesche Abb. 2.13 Wirkungsweise einer Gleichdruckstufe mit u=c1 1=2 Umlenkung einerseits, andererseits aber auch einen beigesteifen Aufbau des Leitkranzes zum Abbau des Druckgefälles andererseits. Da ein großer Druckunterschied zwischen dem Ein- und Austritt der Leitschaufeln anliegt, treten hierbei Leckageverluste auf. Als Leckageverluste bezeichnet man den Dampf, der an der Beschaufelung vorbei strömt und somit nicht zur Energieumsetzung beiträgt. Da der Spalt zwischen Gehäuse und Läufer nicht unendlich klein ausgeführt werden kann, muss zumindest der Rotordurchmesser gering gehalten werden, um die Durchtrittsfläche für den Leckagemassenstrom möglichst klein zu halten. Daher wird die Dichtung zwischen Leitschaufeln und Rotor auf sog. Zwischenböden durchgeführt, wodurch zwischen den Rotorscheiben mit den Laufschaufeln Kammern entstehen. Für den Läufer spricht man daher auch von Scheiben- bzw. Kammerbauweise. Da kein (nennenswerter) Druckunterschied über die Laufschaufeln anliegt, sind die Leckage- oder Spaltverluste bei den Laufschaufeln in einer Gleichdruckstufe deutlich geringer. Wegen des Aufbaus aus Scheiben und Zwischenböden spricht man auch von Radkammern. Obgleich die Energieumsetzung (Gleichdruck- bzw. Aktionsbauweise) zunächst nur strömungstechnische Zusammenhänge betrifft, führt sie – wie man in Abb. 2.13 sieht – zu einschneidenden konstruktiven Verhältnissen für die gesamte Dampfturbine. Anhand der Leitschaufeln mit Zwischenböden und der Radscheiben kann man daher leicht Gleichdruckstufen identifizieren. 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 43 2.2.5 Überdruck- oder Reaktionsstufen (Trommelbauweise) Bei der Überdruckstufe wird traditionell in Leit- und Laufschaufeln das jeweils gleiche Druckverhältnis verarbeitet, so dass ein symmetrischer Aufbau der Schaufeln resultiert. Dies ist in Abb. 2.14 dargestellt. Wegen der gleichen Aufteilung des Druckgefälles sind auch die Geschwindigkeitsdreiecke symmetrisch. Lediglich die Absolut- und Relativgeschwindigkeiten sind zwischen Ein- und Austritt vertauscht. Die Energieumsetzung erfolgt im Laufrad durch Umlenkung und zusätzlichen Druckabbau. Die Expansion kann durch Gestaltung der Strömungsquerschnitte der Laufschaufelkanäle nach Art einer Düse erzwungen werden. Liegen für Leit- und Laufschaufeln jeweils gleiche Schaufelgitter (Profile) vor, so beschleunigt sich im Leitrad die absolute Geschwindigkeit c und im Laufrad die relative Geschwindigkeit w in gleicher Weise. Wegen der zweifachen Expansion könnte man vermuten, dass in einer Überdruckstufe wesentlich mehr Energie als in einer Gleichdruckstufe umgesetzt werden könnte. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Die strömungstechnische Analyse (Kap. 4) zeigt, dass die Überdruckstufe mit wesentlich kleineren Geschwindigkeiten c arbeitet, so dass sie tatsächlich nur rund die Hälfte der Energieumsetzung wie eine vergleichbare Gleichdruckstufe aufweist. Das geringere Geschwindigkeitsniveau in einer Überdruckstufe und die gegenüber einer Gleichdruckstufe geringere Umlenkung im Laufrad wirken sich positiv hinsichtlich des Wirkungsgrads aus. Beispielsweise nehmen Abb. 2.14 Wirkungsweise einer Überdruckstufe mit u=c1 1 44 M. Neef und S. aus der Wiesche die Strömungsverluste (Reibungsverluste) mit dem Quadrat der Geschwindigkeit zu, so dass bei einer Überdruckstufe tendenziell geringere Verluste als in einer Gleichdruckstufe zu erwarten sind. Da über die Leit- und Laufschaufeln praktisch gleich große Druckdifferenzen wirken, sind die Spaltverluste für beide vergleichbar. Es bietet sich für die Überdruckstufe neben einer symmetrischen Schaufelprofilierung auch eine weitgehende symmetrische Stufenbauweise an. Dies vereinfacht die Konstruktion, eine symmetrische Aufteilung des Druckgefälles ist jedoch aus strömungsmechanischer Sicht nicht zwingend erforderlich. Bei modernen Reaktionsturbinen mit variabler Schaufelgestaltung wird daher auch von der hälftigen Aufteilung des Druckgefälles in einer Stufe abgewichen, wenn dadurch der Gesamtwirkungsgrad der Turbine verbessert werden kann. Aufgrund des großen Druckunterschiedes über das Laufrad ist eine Scheibenbauweise wegen des entsprechenden Schubs auf den Rotor nicht sinnvoll. Infolgedessen werden Überdruckstufen traditionell nur in Verbindung der in Abb. 2.14 gezeigten Trommelbauweise ausgeführt. Bei dieser sitzen die Laufschaufeln auf dem trommelförmig ausgeführten Rotor. Die Radialspalte werden bei Leit- und Laufschaufeln durch berührungslose Labyrinthdichtungen versehen. In einfachen Konstruktionen verzichtet man auch auf diese Möglichkeit, die Spaltverluste durch Schaufeldeckbänder zu reduzieren, und setzt freie Schaufelenden ein. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die reine Reaktionsturbine nicht gebaut wird. Eine solche Maschine wäre – wie schon gesagt – beispielsweise Herons Ball gewesen. Bei einer reinen Reaktionsturbine findet der Druckabbau ausschließlich im Laufrad statt. Vergleicht man dies mit der traditionellen Überdruck- oder Reaktionsturbine, dann wird deutlich, dass man streng genommen die traditionelle Überdruckturbine besser als Aktions-Reaktions-Turbine (impulse-reaction turbine) bezeichnen müsste. Bemerkenswerterweise bemühte sich Parsons gegen Ende seines Lebens um die Realisierung einer reinen Reaktionsturbine, doch sind diesbezüglich keine Erfolge erzielt worden [KEA1922]. 2.2.6 Mehrstufigkeit Die Dampfturbine von de Laval war als eine einstufige Gleichdruckturbine ausgeführt worden. Diese Bauweise ist bis heute für sehr kleine Leistungen und mäßigen Ansprüchen an den Wirkungsgrad gebräuchlich. Liegen höhere Frischdampfdrücke und -temperaturen an, so ist die Entspannung in nur einer Stufe nicht mehr sinnvoll oder sogar unmöglich. Naheliegend ist daher die wiederholte Anwendung der Stufe, d. h. die Ausführung als mehrstufige Turbine. In diesem Fall findet die Entspannung entlang des Dampfpfads in der Turbine in verschiedenen Druckstufen statt. Im Englischen spricht man daher auch von pressure-compounded turbines [KEA1956]. Mehrstufige Gleichdruckturbinen wurden von A. Rateau (1863 bis 1930) und H. Zoelly (1862 bis 1937) im Anschluss an de Laval gebaut. Parsons wählte für seine erste Überdruckturbine von Anfang an die Mehrstufigkeit. 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 45 Abb. 2.15 Teilbeaufschlagte einstufige (a) und vollbeaufschlagte mehrstufige (b) Turbine (hinsichtlich des Druckabbaus). Le: Leitrad; La: Laufrad In Abb. 2.15 ist das Prinzip der Mehrstufigkeit hinsichtlich des Druckabbaus schematisch dargestellt. Die einstufige Bauform findet man praktisch nur bei Gleichdruckturbinen, die sich allerdings ebenfalls mehrstufig bauen lassen. Oft wird der Leitapparat auch in Form eines Düsenkranzes mit Teilbeaufschlagung der Laufschaufeln ausgeführt. In Abb. 2.15a ist eine einstufige Gleichdruckturbine mit Teilbeaufschlagung skizziert. Die mehrstufige Turbine kann als Gleich- oder Überdruckturbine konzipiert sein, Abb. 2.15b. Spätestens nach der ersten Stufe werden die übrigen Stufen vollbeaufschlagt sein, d. h. alle Schaufelkanäle entlang des Umfangs des Laufrades werden durchströmt. Die Teilbeaufschlagung der ersten Stufe über einzelne Leitdüsen ist prinzipiell möglich, aber dann nur als Gleichdruckstufe. Bei einer Überdruckstufe würde es an den nicht beaufschlagten Kreissegmenten aufgrund des Druckunterschieds zu einer Ausgleichsströmung kommen. Aus diesem Grund können nur Gleichdruckstufen mit Teilbeaufschlagung ausgeführt werden, nicht aber Überdruckstufen. In Abb. 2.15b sind alle Stufen mit Vollbeaufschlagung dargestellt. Besonders früher wurde eine gesonderte erste Stufe mit Teilbeaufschlagung oft für Turbinen als sog. Regelstufe eingesetzt. Näheres hierzu kann auch dem Kap. 21 über die Regelung von Dampfturbinen entnommen werden. Das Laufrad einer Gleichdruckstufe ist auch als A-Rad (wegen A von Aktionsstufe) bekannt. Neben der Druckabstufung ist auch eine Abstufung hinsichtlich der Geschwindigkeit gebräuchlich (velocity-compounded). Ein solches Konzept ist in Abb. 2.16 anhand einer sog. Curtis-Stufe gezeigt. Diese Konstruktion geht auf C. Curtis (1860–1953) zurück, der die Turbine von de Laval durch Aufspaltung der Laufradbeschaufelung und Einführung eines Zwischenleitrades erweiterte. Bei einer Curtis-Stufe findet der Druckabbau praktisch nur in der Düse statt. Über den gesamten Laufschaufelkranz liegen annähernd gleiche Druckverhältnisse vor, so dass die Curtis-Stufe auch zu den Gleichdruckturbinen gehört. Im Gegensatz zur einfachen Gleichdruckstufe nach de Laval wird aber in der Curtis-Stufe nach der ersten Umlenkung in der ersten Laufschaufelreihe durch Einfügen eines Leitkranzes eine zweite Umlenkung vorgenommen. Der Energieumsatz in der Stufe wird damit über eine Geschwindigkeitsabstufung aufgeteilt. Prinzipiell lässt sich das Prinzip der Curtis-Stufe noch fortsetzen, so dass auf einer Radscheibe nicht zwei, sondern noch mehr Laufschaufelrei- 46 M. Neef und S. aus der Wiesche Abb. 2.16 Aufbau und Entspannungsverlauf für eine Curtis-Stufe [VGB1983] hen angebracht werden. In der Praxis bietet aber eine solche Bauweise gegenüber der einfachen Curtis-Stufe kaum Vorteile. Curtis-Stufen werden für kleine Dampfturbinen oder auch als Regelstufe von größeren mehrstufigen Turbinen verwendet (C-Räder). In ihnen können relativ große Druckgefälle verarbeitet werden, doch sind die Stufenwirkungsgrade wegen der vielfachen Umlenkung nicht besonders hoch. Bei einer kombinierten Druck-Geschwindigkeits-Stufung (pressure-velocity-compounded) schließen sich mehrere Curtis-Stufen hintereinander. Ein entsprechendes Ausführungsbeispiel stellt die in Abb. 1.6 gezeigte frühe Schiffsdampfturbine dar. Prinzipiell kann eine solche Turbine 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 47 ein recht großes Gefälle in wenigen Stufen abbauen und umsetzten, aber die resultierenden Wirkungsgrade sind wegen der nur mäßigen Stufenwirkungsgrade der einzelnen CurtisStufen deutlich schlechter als bei einer konventionellen mehrstufigen Turbine. Zudem ist der Bauaufwand für die einzelnen Curtis-Stufen beträchtlich. Aus diesem Grunde hat sich mehrstufige Curtis-Bauweise daher nicht weiter durchgesetzt und wurde aufgegeben. 2.2.7 Vergleich von Gleichdruck- und Überdruckturbinen Grundsätzlich können Dampfturbinen sowohl in Kammer- als auch in Trommelbauweise konstruiert werden. Lange Zeit bevorzugten Hersteller immer nur einen Typ, so dass am Markt die beiden Bauweisen in einem scharfen Konkurrenzkampf standen. In Abb. 2.17 sind typische Dampfturbinen in Kammerbauweise (mit Gleichdruckstufen) dargestellt. Der Frischdampf tritt über ein Ventil in die Düse der ersten Stufe von links nach rechts in Abb. 2.17a ein. Die erste Stufe ist als Regelstufe mit einem zweikränzigen Curtis-Rad ausgeführt. Die nachfolgenden Stufen sind alle als Gleichdruckstufen mit Zwischenböden konstruiert. In Abb. 2.17a sind die Stufen in zwei Gruppen mit jeweils unterschiedlichen Durchmessern für die Laufschaufelkränze eingeteilt. Bemerkenswert ist auch die stetige Zunahme des Strömungsquerschnittes entlang des Dampfpfades. Dies ist erforderlich, da mit der Entspannung des Dampfes auch eine große Zunahme des spezifischen Volumens v einhergeht. Um die Abströmgeschwindigkeiten der einzelnen Stufen nicht erhöhen zu müssen, werden daher die Querschnitte entlang der Expansion vergrößert. In Abb. 2.17b ist eine moderne Ausführung für bis zu 40 MW mit axialer Abströmung in den Kondensator gezeigt. Bei diesem Beispiel sind alle Stufen als Gleichdruckstufen ausgeführt und auf dem Einsatz einer Curtis-Stufe wurde verzichtet. In Abb. 2.18 ist zum Vergleich eine entsprechende Dampfturbine in Überdruckbauweise dargestellt. Der Läufer besteht in diesem Fall aus einer Trommel, auf der die Laufschaufeln montiert sind. Die erste Stufe in Abb. 2.18 ist wieder als Regelstufe in Gleichdruckbauweise ausgeführt. Über die Düsengruppen kann die Turbine geregelt werden. Aus Sicherheitsgründen ist ein Sicherheits-(Schnellschluss)-Ventil zu Beginn des Dampfpfads eingebaut. Im Falle eines plötzlichen Lastabwurfs würde die Turbine ohne Schnellschluss in Bruchteilen einer Sekunde auf eine versagenskritische Überdrehzahl beschleunigt werden, weil die bremsende Wirkung an der Kupplung fehlen würde. Auch bei dem in Abb. 2.18 gezeigtem Beispiel nimmt der Strömungsquerschnitt des Dampfpfads ebenfalls mit der Expansion zu. Die einzelne Gleichdruckstufe ist wegen der Zwischenböden und Laufräder konstruktiv aufwendiger als die einfache Überdruckstufe. Da aber rund das doppelte Gefälle in einer Gleichdruckstufe verarbeitet werden kann, benötigen Gleichdruckturbine nur etwa die Hälfte der Stufen einer vergleichbaren Überdruckturbine. Wegen der höheren konstruktiven Aufwände sind Gleichdruckturbinen im Bereich höherer Einheitenleistungen dennoch ebenso lang wie vergleichbare Überdruckturbinen. Die Gleichdruckstufe weist gegenüber der Überdruckstufe höhere Strömungsverluste in der Beschaufelung auf. Durch aufwendi- 48 M. Neef und S. aus der Wiesche Abb. 2.17 Beispiele für Gleichdruckturbinen in Kammerbauweise. a Ältere Ausführung (Bauart AEG, aus [TRA1966]). b Moderne Ausführung für bis zu 40 MW (Bauart GE) 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 49 Abb. 2.18 Beispiel für eine Überdruckturbine in Trommelbauweise: Einströmung a und Längsschnitt b (Bauart Siemens). Erklärungen: a hydraulischer Stellantrieb des Sicherheitsventils, b Sicherheitsventil, c Regelventile, d Regelventilantriebe, e Kanäle zu den FrischdampfDüsengruppen, f Laufrad der Regelstufe, g Überlastventil, h Druckausgleichskolben, i Traglager des Läufers, k Axialdrucklager, l Leitschaufelträger ge Dichtungen können aber die Spaltverluste reduziert werden. Für kleine Schaufellängen, bei denen die Radialspalte relativ gesehen groß sind, weist die Gleichdruckstufe daher gegenüber der Überdruckstufe einen Vorteil hinsichtlich der Spaltverluste auf. Für preiswerte, kleinere Dampfturbinen bietet sich somit die Verwendung von Gleichdruckstufen an. Im Falle von größeren Dampfturbinen fallen meist die Strömungswirkungsgrade stärker ins Gewicht, so dass ein tendenzieller Vorteil für Überdruckstufen resultiert. In diesem Fall nehmen wegen der größeren Abmessungen die Spaltverluste relativ gesehen ab. Prinzipiell können aber auch Dampfturbosätze sehr großer Leistung als Gleichdruckturbinen ausgeführt werden, doch erhöht sich dann der konstruktive Aufwand für die Stufen, um ähnlich hohe Wirkungsgrade wie bei der Überdruckstufe zu erzielen. Weltweit hat sich daher für große Kraftwerksdampfturbinen die Trommelbauweise stärker verbreitet (siehe 50 M. Neef und S. aus der Wiesche Tab. 2.1 Gegenüberstellung der klassischen Bauarten für Dampfturbinen (nach [VGB1983]) Gleichdruckturbine Aktionsturbine (engl. Impulse turbine) Überdruckturbine Reaktionsturbine (engl. Reaction turbine) Leitrad (Düsen) Gesamtes Energiegefälle der Stufe wird in kinetiNur ein Teil des Energiegefälles der Stufe sche Energie umgesetzt wird in kinetische Energie umgesetzt (der Rest im Laufrad) Teilbeaufschlagung möglich Volle Beaufschlagung erforderlich Dampfkanalquerschnitt nimmt vom Eintritt zum Dampfkanalquerschnitt nimmt vom EinAustritt ab tritt zum Austritt leicht ab Laufrad Kein Druckabbau von Laufradeintritt zu -austritt Druckabbau von Laufradeintritt zu -austritt Dadurch theoretisch kein Axialschub auf Läufer Dadurch Axialschub auf Läufer, Ausgleich (in der Praxis wg. Druckverlusten dennoch zu benotwendig achten) Dampf wird umgelenkt und ein Teil des Dampf wird lediglich umgelenkt Stufengefälles wird in kinetische Energie umgesetzt Dampfkanal mit etwa gleichbleibendem Querschnitt Dampfkanal mit verengtem Querschnitt von Eintritt zu Austritt (Düsenwirkung auch im Laufrad) Bauweise Läufer in Kammerbauweise Läufer in Trommelbauweise Zwischenböden keine Zwischenböden Geringer Dampfverlust im Radialspalt der SchauGrößere Dampfverluste im Radialspalt der feln, Dampfverlust an den Zwischenböden Schaufeln, jedoch keine Zwischenböden Ausgleichkolben für den Schubausgleich Verarbeitung eines größeren Wärmegefälles je Stufe Jede Stufe kann nur ein kleines Wärmemöglich, dadurch aber schlechterer Stufenwirkungs- gefälle verarbeiten grad Daher große Stufenanzahl Daher geringere Stufenanzahl (jedoch kein Unterschied zur Baulänge und Turbinenwirkungsgrad gegenüber Überdruckturbinen) Kap. 14 und 16). Interessanterweise gleichen sich aber diese beiden Bauweisen aufgrund von optimierten Auslegungs- und modernen Fertigungsverfahren seit einigen Jahren immer mehr an. Bei modernen Dampfturbinen kann man daher zunehmend weniger von Gleichdruck- oder Überdruckbauweisen sprechen. Eine zusammenfassende Gegenüberstellung der Unterschiede zwischen klassischer Gleichdruck- und Überdruckturbine sowie der daraus resultierenden Konstruktionsmerkmale zeigt Tab. 2.1 in Anlehnung an [VGB1983]. 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 2.3 51 Aufbau von Dampfturbinen Der prinzipielle Aufbau einer Dampfturbine kann anhand des in Abb. 2.19 gezeigten Ausführungsbeispiels einer Industriedampfturbine erläutert werden. In Abb. 2.19 ist das obere Gehäuseteil während der Montage entfernt worden, so dass man einen guten Einblick in die Maschine gewinnt. Der Rotor mit seiner Beschaufelung wird durch zwei Lager gestützt. Bei der in Abb. 2.19 gezeigten Turbine wird der Dampf bis auf einen sehr niedrigen Druck im Kondensator entspannt. Für sehr niedrige Drücke nimmt das spezifische Volumen v des Abdampfs sehr große Werte an, so dass ein großer Strömungsquerschnitt für die Verarbeitung des Volumenstroms am Austritt erforderlich ist. Man erkennt die starke Zunahme des Volumenstroms mit fortschreitender Expansion in Abb. 2.19 an den langen Schaufeln der Endstufe sowie an dem sich anschließenden großen Abströmraum. Im Vergleich zu den Endstufen sind die Schaufeln der ersten Stufen relativ klein, da dort wegen des hohen eintretenden Dampfdrucks der Volumenstrom nur moderate Werte annimmt. In Abb. 2.19 ist zu erkennen, dass der Rotor einen großen Schubausgleichskolben hat (siehe Kap. 11). Dieser ist bei einer Überdruckbeschaufelung erforderlich, damit die Lagerbelastung in axialer Richtung nicht zu hoch wird. Wenn ein Druckunterschied zwischen dem Laufschaufelein- und -austritt vorliegt, tritt ein entsprechender Schub für den Läufer auf. Bei einer Überdruckturbine muss zum Schubausgleich ein Ausgleichskolben vorgesehen werden. Der Schub bei einer Gleichdruckturbine ist deutlich kleiner, da keine nennenswerte Druckdifferenz zwischen den Laufrädern herrscht. Für die reine Gleich- Abb. 2.19 Blick auf eine Industriedampfturbine in Überdruckbauweise für Kondensationsbetrieb mit geöffnetem oberen Gehäuseteil und abgenommenen oberen Leitschaufelträgern (Werkbild MAN) 52 M. Neef und S. aus der Wiesche druckturbine würde der Schub verschwinden. Bei einer Gleichdruckstufe werden aber bei den Laufscheiben meist Ausgleichsbohrungen vorgesehen, da dynamisch wegen der in den Kammern rotierenden Scheiben Druckunterscheide aufgrund der Strömung resultieren. Jede Dampfturbine besteht grundsätzlich aus den folgenden Bauteilen bzw. Komponenten: Gehäuse (manchmal mehrschalig) Dampfeintritt (geregelt durch Ventile) Dampfaustritt (Abdampfstutzen) Rotor (Läufer, Welle) Beschaufelung Lagerung Dichtungen Kupplungsflansch. Diese Bauteile und Komponenten werden nachfolgend kurz erläutert werden. Einzelheiten hierzu folgen in den einzelnen Fachkapiteln. 2.3.1 Gehäuse mit Dampfein- und -austritt Das Gehäuse stellt den feststehenden Teil der Dampfturbine dar. Es ist in der Regel aus Stahl gefertigt. Im Inneren wirken hohe Druck- und Temperaturbelastungen, für die das Gehäuse ausgelegt sein muss. Das Gehäuse bei einer Dampfturbine weist üblicherweise recht große Wandstärken auf. Eine Ausnahme hiervon bilden nur die NiederdruckTurbinen, bei denen auch vergleichsweise leichte Gehäuse zum Einsatz kommen. Die in Abb. 2.19 gezeigte horizontale Trennung (Teilfuge) ist bei Dampfturbinen sehr weit verbreitet. Sie gestattet eine leichte Montage und Demontage der Maschine. Nachteilig ist aber, dass wegen der großen mechanischen Belastungen die Teilfuge sehr massiv ausgeführt sein muss und gleichzeitig zum Erreichen hoher Dichtigkeit sehr genau gearbeitet sein muss. Eine Materialanhäufung kann speziell während des Anfahrens der Maschine zu beträchtlichen Wärmespannungen führen. Neben der horizontalen Trennung ist auch das sog. Topfgehäuse bekannt, das noch in nachfolgenden Kap. 10 und 14 speziell für Hochdruckteilturbinen großer Leistung besprochen wird. Die Gehäuse sind in der Regel nach außen gut thermisch isoliert, um Wärmeverluste in die Umgebung zu minimieren und damit Turbinenwirkungsgrade zu maximieren. Man kann daher die Expansionsverläufe in einer Turbine entlang des Dampfpfads zur Berechnung des Idealverhaltens näherungsweise als adiabatisch, d. h. ohne Wärmeverlust, ansehen. Diese Annahme vereinfacht die thermodynamisch-strömungstechnische Analyse ganz erheblich. 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 53 Abb. 2.20 Gehäuse einer Industriedampfturbine im Leistungsbereich von 100 MW (Werkbild MAN) Die Dampfein- und -austritte sind fest mit dem Gehäuse verbunden. Sie stellen Hauptanschlussflansche der Turbine dar und müssen einen ausreichenden Strömungsquerschnitt zur Aufnahme des Dampfvolumenstroms aufweisen. Neben dem Frischdampf- und Abdampfstutzen können noch weitere Stutzen für die Entnahme von Dampf oder für die Anzapfung im Verlauf des Dampfpfades vorhanden sein. In Abb. 2.20 ist das Oberteil eines Gehäuses einer Industriedampfturbine im Leistungsbereich um 100 MW während der Fertigung gezeigt. Man erkennt in Abb. 2.20 rechts im Bild die beiden Dampfeintritte. Zusammen mit dem Unterteil strömt der Dampf bei einer solchen Ausführung durch insgesamt vier Einströmöffnungen weitestgehend symmetrisch in die Turbine ein. Der Dampfaustritt erfolgt bei der in Abb. 2.20 gezeigten Konstruktion horizontal. Diese Bauweise wird bei ebenerdig positionierten Kondensatoren zur Niederschlagung des Abdampfs gewählt. Die klassische unterflurige Anordnung des Kondensators führt auf einen Abdampfstutzen auf der Gehäuseunterseite, was in Abb. 2.19 der Fall ist. 2.3.2 Rotor und Beschaufelung Der unbeschaufelte Rotor wird bei einer Dampfturbine Welle genannt. Die beschaufelte Welle wird als Läufer bezeichnet. Der Rotor trägt bei einer Dampfturbine die Laufschaufeln. Die Leitschaufeln sind am Gehäuse befestigt bzw. sie werden über Leitschaufelträger mit dem Gehäuse fest verbunden. Rotoren von Dampfturbinen bestehen in der Regel aus Stahl. Oft werden sie als Großschmiedeteile gefertigt. In Abb. 2.21 ist ein vollständig beschaufelter Rotor einer Industriedampfturbine gezeigt. Die Befestigung der Laufschaufeln während der Fertigung erfolgt manuell, was in Abb. 2.22 illustriert ist. Das Einlegen eines Rotors in das Gehäuse zeigt Abb. 2.23. 54 M. Neef und S. aus der Wiesche Abb. 2.21 Beschaufelter Rotor einer Industriedampfturbine in Überdruckbauweise (Werkbild MAN) Abb. 2.22 Beschaufelung eines Dampfturbinenrotors während der Fertigung (Werkbild MAN) 2.3.3 Lagerung und Kupplungsflansch (Wellenstränge) Die Lagerung des Rotors erfolgt bei Dampfturbinen praktisch ausschließlich über Gleitlager (siehe Kap. 19). Man unterscheidet zwischen Radial- und Axiallager. Die Radiallager tragen den Rotor, während das Axiallager den Schub aufnimmt und den Rotor in axialer Richtung definiert. Für einen Rotor ist ein Axiallager erforderlich, das meist zusammen mit einem Radiallager als kombiniertes Axial-Radial-Lager ausgeführt wird. Werden mehrere Rotoren zusammengekuppelt, so spricht man auch von einem Wellenstrang. Bei einer im Betrieb befindlichen Dampfturbine liegt immer ein Wellenstrang vor, da neben dem Dampfturbinenrotor mindestens noch eine Arbeitsmaschine bzw. ein Generator angekuppelt werden muss. Bei größeren Dampfturbinen unterteilt man den Dampfpfad in mehrere Gehäuse bzw. Teilrotoren, so dass rotordynamisch anspruchsvolle Dampfturbosätze resultieren. Die Kupplungsflansche dienen der Verbindung der Dampfturbine mit 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 55 Abb. 2.23 Einlegen eines Rotors in das untere Turbinengehäuse mit Leitschaufelträgern (Werkbild MAN) weiteren Rotoren. Sie müssen ausreichend dimensioniert sein, um die großen Momente und Lastwechsel ertragen zu können. Die Kupplungsflansche sind immer mitrotierende Bestandteile der Welle. Für den Betrieb der Dampfturbinen kommt dem Verhalten der Lager und ihre rotordynamischen Eigenschaften große Bedeutung zu. Auch wenn bei einer Turbomaschine wesentlich einfachere maschinendynamische Verhältnisse als bei einer Kolbenmaschine vorliegen, ist die Rotordynamik von erheblicher Bedeutung für die Konstruktion und Auslegung einer Dampfturbine. Neben der thermodynamisch-strömungstechnischen Auslegung muss daher auch immer eine rotordynamische Untersuchung durchgeführt werden. 2.3.4 Wellendichtung Bei einer Dampfturbine müssen an mehreren Stellen Dichtungen zum Einsatz kommen. Da im Inneren auf der Hochdruckseite des Dampfpfads ein recht großer Druck bezüglich der Umgebung besteht, muss man eine Abdichtung zur Reduzierung des entsprechenden Dampf-Leckagestroms nach außen an der betreffenden Wellenseite vorgesehen sein. Auf 56 M. Neef und S. aus der Wiesche der Niederdruckseite herrscht bei einer Kondensationsturbine ein Unterdruck bezüglich der Umgebung, so dass an dieser Stelle eine Abdichtung zur Vermeidung eines Lufteinbruchs erfolgen muss. Ein solcher Lufteinbruch würde in kurzer Zeit zur Korrosion der dampfbeaufschlagten Bauteile und damit zur Zerstörung der Dampfturbine führen. Neben diesen beiden primären Wellenabdichtungen werden entlang des Dampfpfads meist noch sekundäre Abdichtungen wegen der unvermeidlichen Radialspalte zwischen den rotierenden und feststehenden Teilen ausgeführt. Dichtelemente können sowohl Bestandteil des Stators als auch des Rotors sein. In der Anfangszeit der Dampfturbinen wurden Stopfbuchsen zur primären Abdichtung verwendet. Dieses Konzept erwies sich als nicht praktikabel und es kommen heute in der Regel berührungslose Labyrinthdichtungen zum Einsatz. Die Bezeichnung Stopfbuchse hat sich aber bis heute in der Sprachweise erhalten. In Abb. 2.24 ist eine solche Abdichtung basierend auf einer Labyrinthdichtung schematisch gezeigt. Das Grundprinzip einer solchen berührungslosen Dichtung beruht auf der wiederholten Drosselung und Dissipation des Spaltstromes durch die Drosselstellen, die meist als scharfe Dichtungsbänder eingestemmt sind. Da auch eine solche Dichtung ein kleines Spiel ı aufweist, kann eine absolut vollständige Abdichtung bei einer hochtourigen Dampfturbine nicht erreicht werden. Die Dichtwirkung von Labyrinthdichtungen wird durch das Konzept des Sperrdampfs unterstützt. Auf diese Weise kann auch ein unerwünschter Lufteinbruch auf der Niederdruckseite der Welle vermieden werden. Das Prinzip des Sperrdampfs wird in Kap. 11 erläutert. Neben dieser klassischen Konstruktion von Labyrinthdichtungen werden heute auch weitere innovative Dichtungskonzepte für Dampfturbinen eingesetzt und erprobt. Diese Thematik wird im entsprechenden Fachkap. 11 ausführlich behandelt. Das in Abb. 2.26 gezeigte berührungslose Labyrinth bleibt aber trotz aller modernen Entwicklungen immer noch Kernelement der Dichtungen im Dampfturbinenbau. Abb. 2.24 Schema einer Labyrinthdichtung für eine Welle mit dem Durchmesser d und Spaltweite (ı) Dichtung 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 57 Abb. 2.25 Kondensations-Dampfturbine mit schematischer Einteilung in Hochdruck-, Mitteldruckund Niederdruck-Teilturbinen 2.3.5 Gehäuseaufteilung und Mehrflutigkeit Mit der Erhöhung der Frischdampfparameter wird auch das in einer Dampfturbine zu verarbeitende thermodynamische Gesamtgefälle h immer weiter gesteigert, so dass mit dem strömungstechnisch begrenzten Stufengefälle hSt schließlich sehr hohe Stufenanzahlen resultieren. Mit der Zeit konnten diese Stufen nicht mehr alle in einem Gehäuse untergebracht werden, da ansonsten die Läufer wegen ihrer Länge rotordynamisch nicht mehr beherrschbar gewesen wären. Aus diesem Grunde mussten im Dampfturbinenbau schon relativ früh mehrgehäusige Wellenstränge eingeführt werden, mit denen die Aufteilungen der Gesamtmaschine in Teilturbinen vorgenommen werden konnte (Abb. 2.25). Bei Gasturbinen ist die mehrgehäusige Bauweise heute nicht mehr üblich. Lediglich in der Anfangszeit des Gasturbinenbaus wurden vergleichbare Konstruktionen vereinzelt ausgeführt. Im Dampfturbinenbau lässt sich die mehrgehäusige Bauweise ab einer bestimmten Wellenleistung, die sich historisch immer weiter nach oben verschoben hat, nicht vermeiden. In Abb. 2.26 ist der Aufbau von ein- und mehrgehäusigen Dampfturbinen schematisch dargestellt. Durch die enorme Zunahme des spezifischen Volumens v während der Expansion des Dampfes müssen in einer Dampfturbine großer Leistung in den Endstufen sehr große Volumenströme verarbeitet werden. Um die erforderlichen Austrittsflächen bereitzustellen, werden die ND-Teile von Großausführungen daher doppel- bzw. mehrflutig ausgeführt. Dies bedeutet, dass sich der Strömungspfad nach der Einströmung auf zwei oder mehr Strömungspfade innerhalb eines Gehäuses aufteilt. Bei der doppelflutige Anordnung können zwei Strömungspfade symmetrisch bzw. spiegelverkehrt angeordnet werden, so dass sich evtl. entstehende Axialschübe in der Beschaufelung gegenseitig aufheben und auf einen Schubausgleich verzichtet werden kann. Bei fossil-befeuerten Großkraftwerken, die mit hohen Frischdampfparametern arbeiten, überwiegt die Aufteilung in Hochdruck-, 58 M. Neef und S. aus der Wiesche Abb. 2.26 Aufbau von ein- und mehrgehäusigen Dampfturbinen (aus [VGB1983]) Mitteldruck- und Niederdruck-Teilturbinen. Eine solche Aufteilung ist schematisch in Abb. 2.25 bzw. 2.26 gezeigt. Der Hochdruck-Teil (HD) ist wie der Mitteldruck-Teil (MD) einflutig in Abb. 2.25 ausgeführt, d. h. der Dampf strömt durch jeweils einen Abströmquerschnitt (eine Flut). Für den Niederdruck-Teil ist in Abb. 2.25 aber eine doppelflutige Bauweise gewählt, da wegen der niedrigen Abdampfdrücke die Volumenströme so groß geworden sind, dass eine einflutige Bauweise hier nicht mehr umsetzbar wäre. Je nach Ausführung und Größe müssen bei manchen Turbinen auch die Mitteldruck-Teilturbinen bereits doppelflutig ausgeführt werden. Auch ist die Aufteilung der Niederdruck-Teile in mehrere Gehäuse für Dampfturbosätze großer Leistung üblich. Die Einwellenanordnung, bei der alle Rotoren einen gemeinsamen Wellenstrang bilden, ist die mit Abstand meist gebaute Form bei Dampfturbinen. Nur bei sehr großen Leistungen bietet sich neben dieser Grundform eine Mehrwellenanordnung an, bei der der Turbinenprozess auf mehrere Wellenstränge aufgeteilt wird und für jede Welle ein eigener Generator benötigt wird. Eine solche Anordnung ist in Abb. 2.27 gezeigt. Man spricht auch von einer Cross-compound-Anordnung, da der Dampfpfad von der einen 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 59 Abb. 2.27 Cross-compound-Anordnung für einen Dampfturbosatz großer Leistung: Längsschnitte (a) und Gesamtansicht (b) einschließlich der Generatoren und der Erregermaschinen (Bauart MHI) Welle mit Hilfe von Überströmleitungen auf die Teilturbinen der anderen Welle geleitet wird. Bei der in Abb. 2.27 gezeigten Turbogruppe wird eine elektrische Leistung von insgesamt 1000 MW durch die beiden Generatoren erzeugt. Die Gehäuse folgen der Aufteilung HD (high pressure HP), MD (intermediate pressure IP) und ND (low pressure LP). Wegen des großen Dampfdurchsatzes und des damit zusammenhängenden Volumenstroms sind sämtliche Teilturbinen doppelflutig mit zentralen Einströmpartien ausgeführt. Die Niederdruck-Teilturbine ist vierflutig und besteht aus zwei symmetrischen Gehäusen. Die Aufteilung in separate Gehäuse für die HD-, MD und ND-Teile ist nicht zwingend. Die Kombination von Stufengruppen in ein gemeinsames Gehäuse ist je nach Größe und Ausführung verbreitet. Eine solche kombinierte HD-MD-Teilturbine für einen Dampfturbosatz von 600 MW ist in Abb. 2.28 anhand eines Längsschnittes dargestellt. 60 M. Neef und S. aus der Wiesche Abb. 2.28 Kombinierte HD-MD-Teilturbine für einen Dampfturbosatz von 600 MW Leistung (Bauart ABB) Der Frischdampf strömt in diesem Fall zentral ein und wird im HD-Teil entspannt. Nach der Expansion im HD-Teil wird der Dampf in den Zwischenüberhitzer geführt und im anschließenden MD-Teil auf den Eintrittsdruck der in Abb. 2.28 nicht dargestellten ND-Turbinen entspannt. Aufgrund der Zwischenüberhitzung und mit Blick auf den Schub dieser Überdruckturbine ist aber die in Abb. 2.28 gewählte komplexerer Dampfführung vorteilhafter. Liegen nur moderate Frischdampfparameter vor, so genügt meist eine Aufteilung in einen Eintritts- und einen Niederdruck-Teil. Eine solche Aufteilung ist beispielsweise für Kernkraftwerksturbinen üblich. Trotz der sehr großen Leistungen dieser Dampfturbosätze weisen die Turbinen in Kernkraftwerken nur eine Eintrittsturbine (Hochdruck) und einen mehrflutigen Niederdruck-Teil auf. Diese Bauweise hat sich bei Kernkraftwerksturbinen weltweit bei allen Herstellern durchgesetzt und wird detailliert in Kap. 16 besprochen. Ein Ausführungsbeispiel einer Kernkraftwerksturbine mit einer doppelflutigen Eintrittsturbine (HD) und einem sechsflutigen Niederdruckteil (ND) ist in Abb. 1.9 gezeigt. 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 61 2.4 Klassifizierung von Dampfturbinen Die Klassifikation von Dampfturbinen kann nach vielfältigen und verschiedenen Gesichtspunkten und Merkmalen erfolgen. Eine gute Übersicht bietet hierzu die Norm DIN 4304, nach der das in Abb. 2.29 gezeigte Klassifikationsschema erstellt worden ist und die auch in der VGB-Fachkunde [VGB1983] verwendet wird. Hinsichtlich der Durchflussrichtung können Turbomaschinen allgemein in axiale, radiale oder gemischte radial-axiale Bauweisen unterteilt werden. Bei großen Dampfturbinen werden heute nur noch axiale Maschinen gebaut. Die Radialturbinen stellen einen derzeit abgeschlossenen Nebenzweig des Dampfturbinenbaus dar und werden nachfolgend noch separat diskutiert. Traditionell werden Dampfturbinen bezüglich des verwendeten Arbeitsverfahrens in Gleichdruck- und Überdruck-Turbinen (bzw. Aktions- und Reaktionsturbinen) unterschieden. Es gibt auch Maschinen, bei denen einzelne Stufengruppen entweder als Gleichdruck- oder als Überdruckstufen ausgeführt sind. Die Gleichdruckstufe ist durch eine Kammerbauweise charakterisiert während die Überdruckstufe traditionell in Verbindung mit der Trommelbauweise ausgeführt wird. Bei der Überdruckstufe werden für Leit- und Laufschaufeln symmetrische Profile verwendet. Diese traditionelle Aufteilung verliert heute allerdings an Wert, da Stufen mit sog. variabler Reaktion ausgeführt werden. Bei diesen Stufen kann man nicht mehr von einer reinen Gleich- oder Überdruckbauweise sprechen, sondern entlang der Schaufelhöhe liegen unterschiedliche Strömungsverhältnisse vor. Diese wurde bereits seit vielen Jahrzehnten bei den sehr langen Endstufen der Niederdruckturbinen praktiziert. Bei diesen Stufen konnten die radialen Strömungsbei- Abb. 2.29 Klassifikationsschema für Dampfturbinen nach DIN 4304 62 M. Neef und S. aus der Wiesche träge wegen der großen Abmessungen und der damit zusammenhängenden Unterschiede zwischen Schaufelfuß und Schaufelspitze nicht vernachlässigt werden. 2.4.1 Heiß- und Sattdampfturbinen Die Klassifizierung nach dem Dampfzustand führt auf eine Einteilung in Heißdampf- und Sattdampfturbinen. Bei einer Sattdampfturbine liegt der Frischdampfzustand praktisch auf der Sattdampflinie, d. h. es liegt gesättigter Dampf mit einem Dampfanteil um x D 1 vor. Durch die Entspannung in der Turbine auf einen niedrigeren Druck p nimmt der Nässeanteil y D 1 x im Dampfpfad immer weiter zu. Die Expansion verläuft bei einer Sattdampfturbine überwiegend im Nassdampfbereich, es muss daher mit Tropfenbildung und ungünstig auf die Schaufeln auftreffendem flüssigen Wasser in der Turbine gerechnet werden. Dies wirkt sich nachteilig auf Wirkungsgrad und Lebensdauer der Turbine aus. Dazu kommt, dass thermodynamisch bei Sattdampfturbinen zwangsläufig nur moderate bis niedrige Gefälle verarbeitet werden können, da die Frischdampftemperaturen innerhalb oder in der Nähe des Nassdampfgebietes liegen und für Wasser damit auf deutlich unter 374 ı C begrenzt sind. Dies wirkt sich negativ auf den thermischen Wirkungsgrad des gesamten Dampfkraftprozesses aus, für den nach Carnot (siehe Kap. 3) immer hohe Temperaturen bei Wärmezufuhr anzustreben sind. Bei einem Heißdampfprozess wird der im Kessel erzeugte Dampf überhitzt, so dass der Frischdampfzustand durch Heißdampf charakterisiert wird. Thermodynamisch können durch die Überhitzung wesentlich größere Gefälle und thermische Wirkungsgrade erreicht werden. Zudem verläuft die Expansion in einer Heißdampfturbine weitgehend nur im überhitzten Dampfgebiet, was vorteilhaft hinsichtlich der Turbinenwirkungsgrade und der Lebensdauer ist. Auch ist die Auslegung von Stufen, die durch ein gasförmiges Arbeitsfluid durchströmt werden, wesentlich einfacher, als die Behandlung von Mehrphasenprozessen, die detailliert in Kap. 5 behandelt werden. Lediglich die Expansion in den Endstufen können auch bei einer Heißdampfturbine in das Nassdampfgebiet auf einen Dampfanteil unter 100 % führen. Diese beiden Prozesse können sehr anschaulich in einem h,s-Diagramm nach Art von Abb. 2.30 veranschaulicht werden. Die Expansion in der Turbine verläuft jeweils von Zustand 1 nach 2. Der Verlauf H entspricht einem Heißdampfprozess, der mit relativ hohen Frischdampfparametern beginnt. Verlauf S stellt einen einfachen Sattdampfprozess dar. Man erkennt unmittelbar, dass das Gefälle h D h1 h2 bei einem Heißdampfprozess wesentlich größer als bei einem Sattdampfprozess ist. Die Thermodynamik der Dampfkraftprozesse wird in Kap. 3 weiter diskutiert. An dieser Stelle sei angemerkt, dass fast alle Kernkraftwerksturbinen als Sattdampfturbinen ausgeführt sind. Wegen der moderaten Maximaltemperaturen der Dampfkraftprozesse der Kernkraftwerke von rund 320 ı C lässt sich dies nicht vermeiden. Bei fossil befeuerten Dampfkraftwerken werden immer Heißdampfprozesse angestrebt. 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 63 Abb. 2.30 Veranschaulichung der Expansion in einer Heißdampfturbine H und einer Sattdampfturbine S im h,sDiagramm 2.4.2 Kondensations- und Gegendruck- sowie Entnahmeturbinen Neben der Unterscheidung nach dem thermodynamischen Zustand des Frischdampfs ist eine Klassifizierung nach der Herkunft bzw. Erzeugung des Dampfs ebenfalls möglich, je nach dem ob diese z. B. mit Frischdampf, Prozess-Abdampf oder Speicherdampf betrieben wird. Diese Klassifizierung ist eher von der Prozessbetrachtung und vom Standpunkt der Betriebsführung her relevant. Sie betrifft nur indirekt die thermodynamischströmungstechnische Auslegung der Dampfturbine. Im Gegensatz dazu führt die Dampfabführung auf einschneidende konstruktive Merkmale für Dampfturbinen. Im Kondensationsbetrieb wird der Abdampf in einem Kondensator bei sehr niedrigem Kondensatordruck pK (Vakuum) niedergeschlagen. Diese Betriebsweise gestattet eine maximale Ausnutzung des zur Verfügung stehenden thermodynamischen Gefälles durch die Dampfturbine. Für den Kondensationsbetrieb ist eine niedrige Kühlmitteltemperatur tK erforderlich. Dies liegt an der Kopplung von Temperatur und Druck über die Dampfdruckkurve des Arbeitsfluids. Liegt eine hohe Kühlmitteltemperatur vor (z. B. 40 ı C), so können nur moderate Vakua im Kondensator erzeugt werden (in diesem Fall unter Berücksichtigung von Verlusten etwa 100 mbar). Andererseits kann der Abwärmestrom energetisch nicht mehr weiter genutzt werden, wenn das Temperaturniveau tK nur gering über der Umgebungstemperatur liegt. Soll noch ein zusätzlicher Verbraucher mit Wärme versorgt werden (Heiz- oder Prozesswärme), so liegt es nahe, die Entspannung nur bis auf die gewünschte Heiztemperatur und damit auf ein höheres Druckniveau pG durchzuführen. Man spricht in diesem Fall auch von einem Gegendruckbetrieb. Aus dem Heizkondensator kann dann die Abwärme bei einem wesentlich höheren Temperaturniveau tG für einen Verbraucher ausgekoppelt werden. Bei einer solchen Schaltung erzeugt der Dampfkraftprozess nicht nur Leistung (elektrischen Strom), sondern auch noch Nutzwärme. Dieses Prinzip ist auch als KraftWärme-Kopplung (KWK) bekannt. Diese beiden Prinzipien sind anhand der vereinfachten Wärmeschaltpläne in Abb. 2.31 illustriert. Bei einem Gegendruckbetrieb übernimmt der Wärmeverbraucher die Rolle des Rückkühlwerks für den Kondensator. Ohne einen 64 M. Neef und S. aus der Wiesche a b Qnutz Qab tK ≈ tUmg tG > tUmg Abb. 2.31 Wärmeschaltbild einer Kondensationsturbine (a) und einer Gegendruckturbine (b) Abb. 2.32 Wärmeschaltplan einer Gegendruckturbine mit direkter Abdampfnutzung (nach [MÜL1978]) entsprechenden Wärmeverbrauch kann der Gegendruckbetrieb nicht aufrechterhalten werden. Bei Industrieanlagen, die Prozessdampf benötigen, wird im Gegensatz zu Abb. 2.31b eine etwas andere Schaltung für den Gegendruckbetrieb gewählt, die in Abb. 2.32 anhand eines Wärmeschaltplans dargestellt ist. Die Entspannung des Dampfs findet von Zustand 1 nach 4 in der Gegendruckturbine statt. Der im Zustand 4 vorliegende Abdampf wird auf Dampfverbraucher geleitet und das anfallende Kondensat 5 über die Kondensatpumpe in den Speisewasserbehälter gefördert. Ein kleiner Dampfstrom wird direkt auf den Speisewasserbehälter zur Vorwärmung und zur Entgasung geleitet. Wegen der Entspannung auf einen relativ hohen Gegendruck bleibt das spezifische Volumen v des Abdampfs im Vergleich zum Kondensationsbetrieb relativ niedrig. Infolgedessen können die Austrittsquerschnitte bei einer Gegendruckturbine klein bleiben, so dass nur eine moderate Zunahme der Schaufellängen und Durchmesser entlang des 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 65 Dampfpfades erfolgt. Dies stellt das markante konstruktive Merkmal von Gegendruckturbinen dar. Es führt auf kompakte, kleine und daher auch preiswerte Einheiten. Tatsächlich ist nicht so sehr die Leistung, sondern der Abdampfzustand für die Kosten einer Dampfturbine relevant [TER2001]. Bei niedrigen Abdampfdrücken müssen große – und damit auch teure – Konstruktionen gewählt werden. Dies ist anhand der beiden in Abb. 2.33 gezeigten Industriedampfturbinen vergleichbarer Leistung illustriert. Der deutlich höhere Bauaufwand der Kondensationsturbine aufgrund der massiven Zunahme der Schaufellängen gegenüber der sehr kompakten Gegendruckturbine kann aus Abb. 2.33 gut abgelesen werden. Das Prinzip der Gegendruckturbine kann durch das Nachschalten eines Kondensationsteils konzeptionell in einen Entnahmebetrieb überführt werden. Ein entsprechender Wärmschaltplan mit einer solchen Entnahme-Kondensationsturbine ist in Abb. 2.34 dargestellt. Die erste Stufengruppe entspannt den Frischdampf (1) auf einen Gegendruck (2), bei dem ein Teil des Dampfs der Expansion entnommen und einem Verbraucher zugeführt wird. Der restliche Dampf wird im Kondensationsteil vom Zustand 2 auf einen niedrigen Kondensatordruck (4) entspannt. Man spricht bei einer Dampfturbine immer dann von einer Entnahme, wenn ein Teil des Dampfs aus dem eigentlichen Expansionsprozess entzogen und einem Wärmeverbraucher zugeführt wird, wobei eine Regelung des Entnahmedrucks vorliegt. Das Entnahmeventil ist in Abb. 2.34 allerdings nicht explizit symbolisiert. Die Entnahme ist von der Anzapfung zu unterscheiden. Bei der Anzapfung wird zwar auch ein Teilmassenstrom aus dem Expansionspfad entnommen, aber zur regenerativen Speisewasservorwärmung (siehe Kap. 3) im Dampfkraftprozess energetisch genutzt. Dieses Verfahren dient zur Wirkungsgradsteigerung von Dampfkraftprozessen. Es wird immer dann angewendet, wenn der Wirkungsgrad des Dampfkraftprozesses im Vordergrund steht. Da bei solchen Ausführungen in der Regel eine relativ stabile Situation hinsichtlich der Dampfdrücke vorliegt, kann bei einer Anzapfung auf ein Entnahmeventil zur Druckregelung verzichtet werden. In Abb. 2.34 ist neben der Entnahme auch eine Anzapfung (aus dem ND-Teil) gezeigt. a b Abb. 2.33 Vergleich einer Kondensationsturbine (a) und einer Gegendruckturbine (b) vergleichbarer Leistung (Werkbild MAN) 66 M. Neef und S. aus der Wiesche Abb. 2.34 Wärmschaltplan einer Entnahme-Kondensationsturbine (nach [MÜL1978]) Abb. 2.35 Entnahme-Kondensationsturbine (Bauart Siemens). Nur die ersten und letzten Schaufeln sind für die beiden Überdruck-Stufengruppen abgebildet Bei Entnahme-Turbinen stellen die Entnahmeventile charakteristische Konstruktionsmerkmale dar. Eine solche Turbine ist in Abb. 2.35 im Schnitt gezeigt. Zwischen der Hochdruck-Stufengruppe und dem Kondensationsteil sind das Entnahmeventil und die zugehörigen Entnahmekanäle gut zu erkennen. Neben der Bauart der EntnahmeKondensationsturbinen kann man anstelle des Kondensationsteils auch eine Stufengruppe, die auf einen höheren Gegendruck entspannt, nachschalten. Man spricht dann von einer Entnahme-Gegendruckturbine. In diesem Fall nehmen auch in der letzten Stufengruppe die Schaufellängen nur moderat zu. Bei einer Entnahme-Kondensationsturbine, wie sie in Abb. 2.35 dargestellt ist, kann man hingegen in der letzten Stufengruppe die charakteristische massive Zunahme der Schaufellänge erkennen. 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 67 Die Wahl und Auslegung der Gegendruck- oder Entnahmeturbinen erfolgt individuell für den jeweiligen Standort und die dort gegebenen Anforderungen. Ziel ist immer eine Optimierung der Gesamtenergiekosten. Diese setzen sich aus den Kosten für die Erzeugung von Leistung („Kraft“) und Prozessdampf („Wärme“) zusammen. Die Installation einer Gegendruckturbine kann sich auch bei relativ kleinen Dampfmengen für den Betreiber lohnen. In diesem Fall sind die eingesetzten Dampfturbinen sehr kompakt und können bei einer anderen Drehzahl als mit Netzfrequenz betrieben werden. Es wird dann über ein Getriebe der Generator angekuppelt. Prinzipiell lassen sich Entnahme- oder Gegendruckturbinen auch in großen Leistungsklassen bis hin zu Heizkraftwerken mit über 500 MW Nennleistung ausführen. Diese Schaltungen und die Besonderheiten bei der Entnahme werden in Kap. 13 noch behandelt. Vorschaltturbinen gemäß Einteilung nach DIN 4304 (siehe Abb. 2.29) sind Gegendruckturbinen, die auf ein vorhandenes Gegendruckdampfnetz arbeiten, von dem nachgeschaltete Turbinen (sog. Nachschaltturbinen) betrieben werden. Die Nachschaltturbinen sind meist als Kondensationsturbinen ausgeführt. Die Vorschaltturbinen arbeiten mit relativ hohen Frischdampfparametern. Vorschaltturbinen können auch in größeren Industriedampfnetzen sowie in Kraftwerken eingesetzt werden. Nach einer Vorschaltturbine kann sich eine Zwischenüberhitzung des Dampfs zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit anschließen. 2.4.3 Verwendungszweck und Einsatzbereich Dampfturbinen können als Kraftmaschinen in unterschiedlichen Anwendungen verwendet werden, doch haben sich zwei große Einsatzgebiete herausgebildet, nämlich der Bereich der Kraftwerksturbinen und der Industrieturbinen. Die Grenze zwischen diesen beiden Klassen verläuft nicht immer eindeutig, doch lassen sich die folgenden Merkmale generell unterscheiden. Kraftwerksturbinen dienen der Erzeugung von elektrischem Strom und werden in der Regel von größeren Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) betrieben. Da hohe Wirkungsgrade und eine maximale Ausnutzung des thermodynamischen Gefälles angestrebt werden, kommen hier Kondensationsturbinen zum Einsatz, die mit möglichst niedrigen Abdampfdrücken arbeiten. Wirtschaftlich lassen sich im Kraftwerkseinsatz größere Leistungseinheiten betreiben. Der Leistungsbereich bewegt sich zwischen rund 100 MW bis über 1000 MW. Es kommen meist mehrgehäusige Ausführungen zum Einsatz (siehe Abb. 2.26). Oft wird die Aufteilung in HD-, MD- und ND-Teilturbinen gewählt. Meist werden thermodynamische Maßnahmen zur Verbesserung des Wirkungsgrades, wie die regenerative Speisewasservorwärmung oder Zwischenüberhitzung des Dampfes, eingesetzt. Die Drehzahl der Kraftwerksturbinen liegt in der Regel durch direkte Kopplung von Dampfturbosatz und Generator über die Netzfrequenz fest (50 bzw. 60 Hz oder 16 2/3 Hz im Sonderfall Bahnstrom). Eine Ausnahme bildet der Bahnstrom, der mit einer Netzfrequenz von 16 2/3 Hz arbeitet und z. T. in eigenen Kraftwerken erzeugt wird [STE1988]. 68 M. Neef und S. aus der Wiesche Der Begriff Industrieturbine rührt vom Einsatz von Dampfturbinen für die Bereitstellung von Strom und ggf. Wärme und/oder Prozessdampf in größeren Industriekomplexen. Er ist insofern irreführend, als dass Industriedampfturbinen auch von Versorgungsunternehmen außerhalb von Industrieanlagen genutzt werden. Er bezeichnet Dampfturbinen in einer elektrischen Leistungsklasse bis rund 100 MW, aber gelegentlich werden auch Einheiten bis 200 MW gebaut. Bei Industrieturbinen findet man eine sehr große Vielzahl von individuellen Ausführungen, die vom reinen Kondensationsbetrieb über den Gegendruckbetrieb bis hin zu Entnahme-Turbinen führen. Oft steht die Bereitstellung von Prozessund Heizwärme für den Industriebetrieb im Vordergrund, so dass meist deutlich geringere Frischdampfparameter bzw. thermodynamische Gefälle als in Kraftwerksturbinen verarbeitet werden. Auch wird in der Regel auf das aufwendige Konzept der Zwischenüberhitzung bei Industrieturbinen wegen des hohen baulichen Aufwands verzichtet. Die Drehzahlen von kleinen Industrieturbinen liegen meist höher als die Netzfrequenz, so dass zur Kopplung mit einem Generator Getriebe zum Einsatz kommen. Die Industrieturbine wird in vielen Fällen jedoch auch als Direktantrieb für andere Aggregate wie z. B. Kompressoren verwendet. Die eingehäusige Bauweise und ein einflutiger Dampfpfad werden bei Industrieturbinen fast immer gewählt. Die Regelung der Industrieturbinen kann über die Drehzahl oder Leistung, aber auch über den Entnahmedruck bzw. über die Dampfmengen erfolgen. Der Betrieb im Inselnetz oder parallel zu einem Verbundnetz ist möglich. Industriedampfturbinen können auch direkt als Antriebsmaschinen für größere Arbeitsmaschinen, wie Pumpen oder Kompressoren, eingesetzt werden. Es entfällt dann die Ankupplung an einen Generator. Neben den Kraftwerks- und Industrieturbinen werden Dampfturbinen auch noch als Antrieb für Schiffe eingesetzt. Historisch stellte dies in den Anfangstagen des Dampfturbinenbaus nach dem spektakulären Erfolg von Parsons Versuchsschiff „Turbinia“ zunächst den wichtigsten Markt dar, doch wurden Dampfturbinen rasch von Dieselmotoren als bevorzugter Schiffsantrieb abgelöst. Heute werden nur noch sehr vereinzelt größere Schiffe von Dampfturbinen angetrieben. Erst ab einer sehr großen Wellenleistung von 50 MW und mehr kann sich bei einem Schiff die Investition in eine Kesselanlage lohnen. Zudem kommt, dass der hohe Wirkungsgrad von über 50 % eines modernen Großdieselmotors durch keinen Dampfkraftprozess erreicht wird. Die Mehrzahl der in der Vergangenheit gebauten Schiffsdampfturbinen wird an Land in Industrieanlagen oder kleineren kommunalen Kraftwerken eingesetzt. Weitere Informationen über Schiffsdampfturbinen können der Literatur [DIE1980, KEA1956] entnommen werden. Eine Besonderheit bei Schiffsdampfturbinen liegt darin, dass neben der Hauptturbine noch eine separate Rückwärtsturbine vorgesehen werden muss. Im Gegensatz zu einer Kolbenmaschine liegt die Drehrichtung bei einer Turbine aufgrund der Beschaufelung fest. Da früher im Schiffsbau ausschließlich nur starre Propeller verwendet worden sind, mussten daher leistungsschwächere Rückwärtsturbinen für das Manövrieren des Schiffs eingebaut werden. Versuchsweise wurden nach einem Vorschlag aus dem Jahre 1907 Dampfturbinen in den 1920er bis 1930er-Jahren auch im Lokomotivbau erprobt, doch konnten sie sich hier gegenüber den Kolbendampfmaschinen nicht durchsetzen. Bei der Verwendung als Lo- 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 69 Abb. 2.36 Versuchslok mit Dampfturbine (Krupp-Zoelly-Turbinenlokomotive T18-1001 mit Kondensationstender, um 1930) komotivantrieb erwiesen sich die hohen Drehzahlen der Dampfturbinen als nachteilig. Zudem konnte weder technisch noch wirtschaftlich Vorteile gegenüber den etablierten Dampflokomotiven herausgearbeitet werden. Da die Dampflokomotiven zu dieser Zeit ohnehin schon von anderen Antrieben (E-Lok, Diesel-Lok) abgelöst wurden, blieb diese Entwicklungsphase auch folgenlos für die Eisenbahntechnik. In Abb. 2.36 ist eine deutsche Versuchslok (um 1930) mit Dampfturbinenantrieb abgebildet. Die Lokomotive besaß eine sechsstufige Vorwärts- und eine dreistufige Rückwärtsturbine. Aufgrund der hohen Anforderungen an das Arbeitsfluid wurde ein Kondensationstender eingesetzt, d. h. im Gegensatz zur klassischen Dampflok lag bei der in Abb. 2.26 gezeigten Turbinenlokomotive ein geschlossener Prozess vor. Die Turbinen sind quer zum Kessel angeordnet. Das Konzept der Treibräder mit Schubstangen wurde durch ein Getriebe den Erfordernissen der Turbine angepasst. 2.5 Radialturbinen Die überwältigende Mehrzahl aller Dampfturbinen ist als axiale Strömungsmaschine ausgeführt. Die axiale Bauweise ist prädestiniert für die Mehrstufigkeit, die bei einer zentrifugalen Turbine nur mit sehr hohen Umlenkverlusten zwischen den Radialstufen erzielt werden könnte. Aus diesem Grund werden mehrstufige Radialturbinen auch im Gasturbinenbau praktisch nicht eingesetzt. Lediglich in einstufiger Bauweise, d. h. bei kleinen Leistungseinheiten und Durchsätzen, bieten Radialturbinen Vorteile. Dies wird bei Gasturbinen beispielsweise bei Abgasturboladern ausgenutzt. Bei Dampfturbinen wurden nur in wenigen Ausnahmen Zentripetalturbinen ausgeführt. Der Hauptgrund besteht in den vergleichsweise hohen Durchsätzen, die selbst bei den kleinen Leistungseinheiten (10 bis 1000 kW) eine axiale Bauweise gestatten. Eine etwas größere Bedeutung hat die sog. Ljungström-Turbine erlangt, die 1912 einen radikalen 70 M. Neef und S. aus der Wiesche Wechsel im Turbinenbau markierte. Tatsächlich wurden mehrere größere Einheiten als Ljungström-Turbinen in der Vergangenheit erfolgreich gebaut und betrieben. Zudem weist die Ljungström-Turbine einige bemerkenswerte konstruktive Merkmale auf, die nachfolgend diskutiert werden. Allerdings zeigt sich, dass die Vorteile der Ljungström-Turbine gegenüber den konventionellen Axialturbinen nicht ausschlaggebend sind, so dass heute kein einziger Hersteller mehr eine solche Dampfturbine baut. 2.5.1 Zentripetalturbinen Bei der einfachen radialen Turbine strömt das Arbeitsfluid radial ein und tritt axial aus dem Laufrad aus. Diese Bauform und die zugrundeliegenden strömungstechnischen Zusammenhänge werden ausführlich in Lehrbüchern, z. B. [DIX2010], beschrieben. In Abb. 2.37 ist schematisch eine Zentripetalturbine gezeigt. Der Turbineneintrittszustand ist durch den Index 0 in Abb. 2.37 bezeichnet. In einem Leitapparat wird die Zuströmung für das beschaufelte Laufrad (Index 1) erzeugt. Der Austrittszustand ist durch den Index 2 gekennzeichnet. Gemäß der Eulerschen Hauptgleichung [DIX2010] (siehe auch Kap. 4) ergibt sich durch die unterschiedlichen Umfangsgeschwindigkeiten an Laufrad-Ein- und -Austritt ein positiver Beitrag zum Betrag der spezifischen Turbinenarbeit, wenn die Turbine radial von außen nach innen durchströmt wird (u1 > u2 ). Dies stellt daher die natürliche Strömungsrichtung einer solchen Stufe dar. In dieser Form wird sie im Abgasturbolader vielfach eingesetzt. Streng genommen wird eine Zentripetal-Turbine nicht rein radial, sondern eher diagonal durchströmt, so dass man besser von einer Radial-Axial-Turbine sprechen sollte. Bei Dampfturbinen nimmt das spezifische Volumen v massiv zu, so dass der erforderliche Austrittsquerschnitt (Ebene 2 in Abb. 2.37) vergleichsweise groß sein muss. Wegen der geometrischen Beschränkungen der Innenkreisfläche ergeben sich hier für Dampf direkt massive Einschränkungen. Es können nur vergleichsweise moderate Druckgefälle in einer solchen einfachen Zentripetalturbine verarbeitet werden. Diese Problematik tritt bei einer Axialstufe in dieser ausgeprägten Form nicht auf. Infolgedessen wurde die einfache Zentripetaldampfturbine daher nur sehr selten gebaut. Ein entsprechendes Ausführungs- Abb. 2.37 Schematische Darstellung einer Zentripetalturbine 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 71 Abb. 2.38 Schnitt durch eine Zentripetalturbine mit Curtis-Stufe (Bauart KKK) beispiel für eine Zentripetalturbine zeigt Abb. 2.38. Es handelt sich hierbei um ein Laufrad mit einer Curtis-Stufe. Die Beschaufelung besteht aus einem Düsenkranz (Leitapparat) und den radial von außen nach innen durchströmten beiden Laufschaufelkränzen. Die Umlenkschaufeln befinden sich zwischen diesen beiden Kränzen und sind am Gehäuse befestigt. Die Dampfturbine in Abb. 2.38 ist als Gegendruckturbine konzipiert, um das Problem der Volumenstromzunahme zu umgehen. Es kann ein vergleichsweises großes Gefälle in der eingesetzten Curtis-Stufe verarbeitet werden. Im Kondensationsbetrieb wäre eine solche Radialbauweise nicht ausführbar. Die Turbine kann im Leistungsbereich von 250 kW bis sogar 7000 kW arbeiten. Der Rotor der in Abb. 2.38 dargestellten Turbine ist in Abb. 2.39 gezeigt. Die Drehzahlen liegen wegen der kompakten Bauweise recht hoch (bis über 30.000 min1 ), was aber wegen der kleinen Radien auf nur moderate Umfangsgeschwindigkeiten im Bereich unter 200 m/s führt. Die kurze Lagerdistanz des Rotors unterstützt das rotordynamische Verhalten. Trotz der strukturmechanischen Vorteile hat sich diese Bauweise wegen der höheren Kosten aber nicht weiter durchsetzen können. 72 M. Neef und S. aus der Wiesche Abb. 2.39 Rotor einer Zentripetalturbine mit Curtis-Stufe (Bauart KKK) 2.5.2 Ljungström-Turbinen Eine völlig eigene Klasse von Turbine stellt die erstmalig 1912 von den Brüdern Birger und Frederik Ljungström vorgestellte radiale Bauweise dar, die heute als LjunströmTurbine bekannt ist. Sie ist tatsächlich – im Gegensatz zu den konventionellen Zentriptalturbinen – eine Radialturbine. Der grundlegende Aufbau der Ljungström-Turbine ist in Abb. 2.40 gezeigt. In der einläufigen Bauweise sind die Leitschaufeln an einer festen Gehäusewand und die Laufschaufeln an einer rotierenden Laufscheibe befestigt. Der Dampf strömt in diesem Fall radial von innen nach außen, wodurch der Strömungsquerschnitt zunimmt, wie es auch die Zunahme des Volumenstroms mit fortschreitender Expansion verlangt. Der aus der Eulerschen Hauptgleichung herrührende energetische Nachteil, gegen die Zentripetalkraft zu strömen (siehe Kap. 4), ist wegen der kleinen radialen Unterschiede zwischen Laufschaufelein- und -austritt nicht gravierend. Trotz der rein radialen Durchströmung kann die Beschaufelung wie bei einer Axialstufe ausgelegt werden. Abb. 2.40 Aufbau einer a einläufigen Radialturbine und b einer gegenläufigen Ljungström-Turbine 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 73 Abb. 2.41 Schnitt durch eine gegenläufige Ljungström-Turbine mit 5000 kW Leistung (Bauart Rush) aus [KEA1956] Eine weitere Steigerung gegenüber den konventionellen axialen Turbinen ergibt sich, wenn man auch die „Leit“-Schaufeln auf einer gegenläufig rotierenden Scheibe befestigt, so dass die in Abb. 2.40b gezeigte gegenläufige Ljungström-Turbine resultiert. In diesem Fall gibt es keine festen Leitschaufeln mehr, sondern bei gleichen Abmessungen tritt eine Verdoppelung der relativen Umfangsgeschwindigkeiten auf. Legt man die Beschaufelung nach Art einer Überdruckstufe aus, so lässt sich in einer solchen Turbinenstufe ein vierfach höheres Gefälle als in einer vergleichbaren Axialstufe verarbeiten. Selbst gegenüber einer axialen Gleichdruckstufe weist die gegenläufige Ljungström-Turbinenstufe noch den doppelten Energieumsatz auf. Die gegenläufige Ljungström-Turbine zeichnet sich daher durch eine sehr geringe Stufenanzahl und eine kompakte Bauweise aus. Ihre thermodynamische und strömungstechnische Theorie wird ausführlich von Kearton [KEA1956] beschrieben. Ein frühes Ausführungsbeispiel einer solchen Turbine mit einer Leistung von 5000 kW ist in Abb. 2.41 gezeigt. In Abb. 2.41 strömt der Dampf durch eine Zufuhrleitung von innen nach außen. Zunächst wird eine Hochdruck-Stufengruppe passiert. Anschließend findet die weitere Expansion in einer äußeren Niederdruck-Stufengruppe statt. Trotz der geometrischen Flächenzunahme muss hier eine Vergrößerung der Abströmquerschnitte durch Anbringen von Schaufeln in Zwischentragringen vorgenommen werden. Da die in Abb. 2.41 gezeigte Ma- 74 M. Neef und S. aus der Wiesche Abb. 2.42 Schnitt durch eine gegenläufige Ljungström-Turbine mit doppelflutiger axialer Endstufe für 2,5 MW bei 3000 min1 (Ausführung MAN) schine relativ klein ist, konnte trotz der Fliehkraftbelastungen die radiale Durchströmung für alle Stufen beibehalten werden. Für größere Leistungen bzw. Abmessungen stößt die Ljungström-Turbine in ihrer Reinform allerdings an konstruktive Grenzen. In diesen Fällen wurden gemischte Ausführungen mit radialen Hochdruckstufen und axialen Endstufen realisiert. Ein entsprechendes Beispiel zeigt Abb. 2.42. Offensichtlich verliert sich bei einer solchen gemischten Bauweise der ursprüngliche konzeptionelle Vorteil der Ljungström-Turbine. Es wurden tatsächlich Großturbinen bis 250 MW in dieser Art mit axialen Niederdruckstufen ausgeführt, die aber nur noch den Hochdruckteil als radiale Stufen ausgebildet hatten. Die größte in dieser Form je gebaute Turbine zeigt Abb. 2.43. Es handelt sich hierbei um eine Kraftwerksturbine, die vor allem zur Spitzenlastabdeckung eingesetzt wurde. Da der radiale Hochdruckteil als gegenläufige Ljungström-Turbine sehr kompakt gebaut werden kann, ergeben sich nur geringe Materialanhäufungen und daher auch recht kurze Anfahrzeiten. Bei einer entsprechenden axialen HD-Turbine müssen große Wandstärken vorgesehen werden. Dadurch ergeben sich Einschränkungen beim schnellen Hochfahren der Turbine, da ansonsten in den dickwandigen Bauteilen die Wärmespannungen versagenskritisch werden. Diesen Nachteil kann die Ljungström-Turbine minimieren. Wie das Beispiel in Abb. 2.43 zeigt, kann man bei einer solchen Großausführungen nur noch schwer von einer „Radialturbine“ sprechen. Da im Spitzenlasteinsatz die 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 75 Abb. 2.43 Schnitt durch eine gegenläufige Ljungström-Turbine mit doppelflutiger axialer Niederdruckbeschaufelung für den Spitzenlasteinsatz und einer Nennleistung von 250 MW (Bauart Stal-Laval) Betriebszeiten recht kurz sind, kommt den Investitionskosten eine hohe wirtschaftliche Bedeutung zu. Diesbezüglich wiesen Gasturbinen gegenüber den aufwendigen Dampfkraftprozessen immer einen deutlichen Kostenvorteil auf, so dass die Nischenanwendung von Ljungström-Dampfturbinen als Spitzenlastmaschinen in der Kraftwerkstechnik nicht mehr weiter verfolgt worden ist. Radialturbinen wurden um 1950 auch als Vorschaltturbinen für die Verarbeitung von Dampf bei hohen Frischdampfparametern eingesetzt. Zu dieser Zeit stellten die Druckund Temperaturbeanspruchungen ernste Probleme für die Konstruktion und Fertigung von größeren Gehäusen dar. Man entschied sich daher in Einzelfällen für die kompakte Radialbauweise. Neben der einfachen Ljungström-Turbine mit ihrer einen Hauptströmungsrichtung wurden auch kompliziertere Strömungsführungen von außen nach innen und dann wieder nach außen usw. gewählt. In Abb. 2.44 ist eine Vorschaltturbine aus dem Jahre 1951 für hohe Dampftemperaturen gezeigt. Es handelt sich hierbei um eine Vorschaltturbine einer größeren Industrieanlage, bei der ein für die damalige Zeit sehr hoher Frischdampfzustand von 146 bar und 600 ı C verarbeitet wurde. Die Strömungsführung folgt hierbei einer W-Form. Die einzelnen Stufengruppen sind nach Art der LjungströmTurbine ausgeführt. Das Gehäuse der in Abb. 2.44 gezeigten Vorschaltturbine ist als Topfgehäuse konstruiert. Das Topfgehäuse hat gegenüber der axialen Trennung den Vorteil, dass die Flansche geringer beansprucht werden und dass deshalb auf eine übergroße Mas- 76 M. Neef und S. aus der Wiesche Abb. 2.44 Schnitt durch die Radial-Turbine „Leverkusen 2“ von 1951 in einem Topfgehäuse für hohe Frischdampfzustände mit 146 bar und 600 ı C (Bauart Siemens AG) senanhäufung an der Teilfuge verzichtet werden kann. Später wurden Topfgehäuse auch für größere axiale Hochdruck-Turbinen ausführbar, so dass die Notwendigkeit, eine radiale Bauweise zu wählen, entfiel. Eine weitere Diskussion der Gehäusebauformen findet sich in Kap. 10. Wegen der damaligen fertigungstechnischen Beschränkungen konnten für hohe Frischdampfparameter nur mit großer Mühe konventionelle Axialturbinen gebaut werden. Durch die weiteren Fortschritte im Dampfturbinenbau wurde die Wahl von Radialturbinen für den Hochdruckteil unnötig. Ein Beispiel für einen älteren Dampfturbosatz aus den 1930erJahren mit einer Hochdruckturbine, die noch in Radialbauweise ausgeführt wurde, zeigt Abb. 2.45. Bei dieser Ausführung handelt es sich um einen Dampfturbosatz von 50 MW Nennleistung und 3000 min1 . Die Mitteldruck- und Niederdruckteile sind in einer klassischen axialen Trommelbauweise ausgeführt. Aus heutiger Sicht wäre alleine schon eine mehrgehäusige Bauweise bei einer Leistung von 50 MW ungewöhnlich. Aufgrund der erhöhten Bauaufwände ergeben sich mehrere gravierende Nachteile für gegenläufige Turbinen. Zum einen werden zwei Generatoren für die Mehrwellenturbinen benötigt. Dies ist auch zur Synchronisation der beiden gegenläufigen Wellen erforderlich. Liegt kein Verbundnetz mit einer zwingenden Frequenz vor, so bereiten die beiden unabhängigen Wellen betriebliche Schwierigkeiten. Verzichtet man auf die gegenläufige Ausführung und wählt man eine einläufige Variante, dann reduziert sich der Bauaufwand für die Stufen nur unwesentlich, aber die Kompaktheit des Konzeptes geht verloren. Insgesamt lassen sich radiale Stufen bzw. Beschaufelungen nur bis zu einer gewissen Grenze aufgrund der Fliehkraftbelastungen und der Biegebeanspruchungen realisieren. Für lange Schaufeln wären die Biegeverformungen zu hoch. Konstruktiv können die Schaufeln dann nur noch unter Verwendung von zusätzlich stützenden Bindeelementen verwendet 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 77 Abb. 2.45 Schnitt durch einen älteren Dampfturbosatz von 50 MW mit einer Hochdruckturbine in Radialbauweise mit Topfgehäuse (Bauart Siemens AG) werden. Dies schränkt die maximal zulässige Größe der Laufscheiben ein. Zudem kann keine Gleichdruckbeschaufelung verwendet werden, so dass Ljungström-Turbinen immer nach Art der klassischen Überdruckbauweise mit symmetrischen Schaufeln ausgeführt worden sind. Bei großen Leistungen müssen axiale Endstufen verwendet werden, was die Vorteile der Radialbauweise aufhebt. Es ist daher eher fraglich, ob es in Zukunft noch zu einer Wiederbelebung der Ljungström-Turbinen kommt. In ihrer Hochphase (um 1950) wurden Radialturbinen von mehreren Firmen, darunter Stal-Laval, MAN, Rush und Siemens, hergestellt. 2.6 Vergleich der Dampfturbine mit anderen Strömungsmaschinen Grundsätzlich stehen Dampfturbinen immer in einem Wettbewerb mit anderen Kraftmaschinen. Am Markt setzt sich die der Anwendung besser angepasste Art immer durch, so dass es instruktiv ist, die Dampfturbine mit anderen Strömungsmaschinen zu vergleichen. Dieser Vergleich ist immer nur eine Momentaufnahme. In der Vergangenheit haben sich die Gewichte zwischen den Kraftmaschinen immer wieder verschoben. Veränderungen sind auch für die Zukunft zu erwarten, doch lassen sich auf Basis der zugrundeliegenden physikalischen Mechanismen einige allgemein gültige Aussagen treffen. 2.6.1 Peripherie und Nebenkomponenten Dampfturbinen sind immer nur Teil eines übergeordneten Dampfkraftprozesses. Dieser benötigt, wie Abb. 2.5 zeigt, immer den Einsatz von relativ aufwendigen Komponenten, 78 M. Neef und S. aus der Wiesche wie Dampferzeuger (Kessel) oder Rückkühlwerke. Zudem muss ein hoher Aufwand in der Bereitstellung des Speisewassers betrieben werden. Im Gegensatz hierzu beinhalten Gasturbinen praktisch den gesamten Kreisprozess und können daher mit einem Minimum an Investitionskosten und Bauaufwand betrieben werden [SAR2015]. Allerdings sind Gasturbinen auf relativ hochwertige Brennstoffe angewiesen, so dass die Kosten für Gasturbinenkraftwerke maßgeblich von den Brennstoffpreisen bestimmt werden. Wasserkraftwerke, also hydraulische Turbinen, kommen ebenso ohne Nebenkomponenten aus, können aber im größeren Maßstab nur unter Inkaufnahme von gravierenden Umwelteingriffen (Stausee) betrieben werden. Die Nutzung von Wasserkraftwerken ist zudem auf geographisch vorgegebene Standorte beschränkt. 2.6.2 Thermodynamisches Gefälle und Leistungsdichte Hinsichtlich der Leistungsdichte unterscheiden sich die Strömungsmaschinen sehr stark, was direkt mit dem jeweils nutzbaren thermodynamischen Gefälle zusammenhängt. Die allgemeine Energiebilanz für einen Fließprozess lautet ohne Zu- oder Abfuhr von Wärme 1 1 h1 C c12 C g z1 D h2 C c22 C g z2 : 2 2 (2.4) Bei thermischen Turbomaschinen dominiert der thermische Energiebeitrag, der über die spezifische Enthalpie h ausgedrückt wird. Wegen der höheren Strömungsgeschwindigkeiten c müssen bei einer genauen Betrachtung die kinetischen Energiebeiträge berücksichtigt werden. Bei thermischen Turbomaschinen können die potentiellen Energiebeiträge gz vernachlässigt werden. Sie sind für Wasserkraftwerke wichtig. Bei Windkraftanlagen sind nur die kinetischen Energien relevant. Nimmt man typische Werte für die thermischen, kinetischen und potentiellen Energiebeiträge an, so ergeben sich die in Tab. 2.2 aufgeführten Anhaltswerte für die nutzbaren Gefälle der verschiedenen Strömungsmaschinen. Offensichtlich liegen die thermodynamischen Gefälle bei thermischen Turbomaschinen um mehrere Größenordnungen über denen der hydraulischen Strömungsmaschinen. Moderne Dampfkraftanlagen, die mit extrem hohen Frischdampfparametern und niedrigen Kondensatordrücken arbeiten, gestatten sogar noch höhere Werte. Auf Seiten der Gasturbinen sind die Gefälle durch die maximalen Turbineneintrittstemperaturen begrenzt. Diese liegen heute in der Größenordnung um 1500 ı C mit nur noch geringen Steigerungsmöglichkeiten. Die Leistung einer Strömungsmaschine kann vereinfacht unter Berücksichtigung des thermodynamischen Gefälles, des Wirkungsgrads und des Massendurchsatzes mit Hilfe von P D m P h (2.5) 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 79 Tab. 2.2 Nutzbare thermodynamische Gefälle für Strömungskraftmaschinen Strömungsmaschine Dampfturbine Gasturbine Wasserkraftwerk Windkraftanlage Gefälle h [kJ/kg] 1000 bis 1500 500 bis 900 0,1 bis 20 0,2 Bemerkung Wärmegefälle bei hohen Frischdampfzuständen Wärmegefälle bei modernen Gasturbinen Entspricht Höhenunterschied, Höchstwert mit Pelton-Turbine unter Ausnutzung von rund 2000 m Höhenunterschied Entspricht typischen Windströmungen Tab. 2.3 Typische Leistungen von einzelnen Strömungskraftmaschinen auf einer Welle Strömungsmaschine Dampfturbine Gasturbine Wasserkraftwerk Windkraftanlage Leistung [MW] Bis knapp 2000 Bis etwa 500 Bis 800 1 bis etwa 10 Bemerkung Turbosätze für Großkraftwerke Gasturbinen in Schwerbauweise Großausführung Großausführung ermittelt werden. Der Massenstrom hängt mit der Fläche A und der Dichte des Arbeitsfluids und der Strömungsgeschwindigkeit c m P D Ac (2.6) zusammen. Um große Leistungen zu erzielen, gibt es daher die Möglichkeit, hohe thermodynamische Gefälle und/oder große Durchsätze zu verarbeiten. Typische Werte für Leistungen von Strömungsmaschinen sind in Tab. 2.3 aufgeführt. Die größten Leistungen lassen sich mit Dampfturbosätzen für Großkraftwerke erzielen. Im Bereich von Kernkraftwerken sind Leistungen um 1300 MW typisch. Bei fossil befeuerten Dampfkraftwerken ergibt sich aus wirtschaftlichen Gründen eine Grenze von rund 800 bis 1000 MW. Die modernen Gasturbinen in Schwerbauweise können Nutzleistungen bis knapp 500 MW im einfachen Betrieb abgeben. Durch Kombination mit einem Dampfkraftprozess lassen sich insgesamt mehr als 600 MW erzielen. Bei den hydraulischen Turbinen der Wasserkraftwerke ergeben sich die hohen Leistungen aufgrund der großen Massendurchsätze wegen der hohen Dichte des Wassers. Im Falle von Windkraftanlagen können Leistungen bis einige MW durch Anlagen mit sehr langen Rotorblättern erzeugt werden. Hier ist noch mit einem weiteren, moderaten Fortschritt zu rechnen. Als zukünftige praktikable Grenze kann derzeit rund 10 MW für Windkraftanlagen abgeschätzt werden. 2.6.3 Dampf- und Gasturbinen Anhand der in den obigen Tabellen aufgeführten Werte kann eine gewisse Nähe von Gasund Dampfturbinen abgeleitet werden. Beide gehören zur Klasse der thermischen Turbo- 80 a M. Neef und S. aus der Wiesche b Abb. 2.46 Zweigehäusige, einwellige Gasturbinenanlage in Schwerbauweise aus dem Jahre 1965 mit 65 MW Nutzleistung. a Verdichter, b Turbine (Bauart Siemens AG) maschinen und fallen durch ihre große Leistungsdichte auf. Die wechselseitige Beziehung zwischen diesen beiden Strömungsmaschinen ist historisch gesehen ebenfalls von Interesse und sagt viel über die in rund hundert Jahren erzielten technologischen Fortschritte und Veränderungen am Markt aus. Ähnlich wie die Dampfturbine lässt sich die Idee einer Gasturbine zwar auch weit zurückverfolgen, aber die ersten erfolgreichen Gasturbinen moderner Bauweise wurden erst 1939, also deutlich später als die Dampfturbinen, realisiert [LEC2010]. Bereits im ersten Jahr teilte sich die weitere Entwicklung der Gasturbine in zwei unterschiedliche Zweige auf, nämlich die der Flugantriebe und die der stationären Anlagen in Schwerbauweise. Die ersten Gasturbinen in Schwerbauweise wurden direkt von den damals bereits ausgereiften Dampfturbinenkonstruktionen abgeleitet. Dieser Konstruktionsansatz wurde bis weit in die 1970er-Jahre noch bei vielen Herstellern angewandt. Ein Beispiel für eine solche, direkt von Dampfturbinen abgeleitete Gasturbine mit zwei Gehäusen und aus heutiger Sicht sehr vielen Turbinenstufen zeigt Abb. 2.46. Bei den viel leichteren, dezentralen Flugantrieben musste von Anfang an ein von Dampfturbinen unabhängiger Konstruktionsansatz gewählt werden. Die Gasturbinen in Schwerbauweise wurden von den europäischen Herstellern bevorzugt mit außerhalb der Wellenachse liegenden separaten Brennkammern, sog. Silo-Brennkammern versehen. Da bei den früheren Gasturbinen in Schwerbauweise auf Kühlungstechnologien nicht zurückgegriffen werden konnte, lagen die maximal zulässigen Gasturbineneintrittstemperaturen im Bereich von 650 bis 850 ı C. Die thermischen Wirkungsgrade der zugehörigen Gasturbinenprozesse lagen mit 15 bis 25 % deutlich unter denen der damaligen Dampfkraftwerke. Es verwundert daher nicht, dass man noch Mitte der 1970er-Jahre in weitverbreiteten Lehrbüchern Aussagen, wie „die Gasturbine allein zu betrachten ist wenig sinnvoll“ [DIE1974], finden konnte. Der Einsatzbereich der Gasturbinen im Kraftwerksbereich beschränkte sich auf Anlagen zur Spitzenlastabdeckung oder als Kraftmaschine für Sonderanwendungen bzw. in kleinen Inselnetzen. 2 Aufbau und Wirkungsweise von Dampfturbinen 81 Abb. 2.47 Moderne Gasturbine in Schwerbauweise mit rund 450 MW Nutzleistung im einfachen Prozess (Werkbild Siemens AG) Diese Situation änderte sich massiv in den 1990er-Jahren, wo große Fortschritte im Bereich der Gasturbinen erzielt wurden. In diese Zeit fällt zwar auch eine „unbemerkte“ Revolution des Dampfturbinenbaus, aber der Entwicklungssprung bei Gasturbinen fiel noch deutlicher aus. Dies lag vor allem an der Einführung von effizienten Kühltechnologien und modernen Auslegungsverfahren für Verdichter- und Turbinenbeschaufelungen, die aus dem Gebiet der Flugantriebe übernommen worden sind. In gewisser Weise ist es daher berechtigt zu sagen, dass der Fortschritt in den zivilen Gasturbinen maßgeblich über die Militärhaushalte subventioniert worden ist [DOL2001]. Die Hersteller ohne eigene Geschäftsaktivitäten im Bereich der Militärflugtriebwerke mussten in dieser Zeit Kooperationen und Partnerschaften mit einschlägigen Firmen schließen. In dieser Zeit kam es zu einem in der Öffentlichkeit in der Form nicht wahrgenommenen Wissens- und Technologietransfer. Gleichzeit veränderte sich der Energiemarkt durch Deregulierungen, verschärfte Umweltanforderungen und ein neues Investitionsverhalten, was den Bau von Dampfkraftwerken wirtschaftlich unter Druck setzte. Da die Gasturbinenindustrie leistungsstarke und effiziente Anlagen anbieten konnte, kam es in dieser Zeit zu einer bis heute anhalten Verschiebung des Marktes. In Abb. 2.47 ist eine moderne Gasturbine in Schwerbaueise abgebildet, die fast 450 MW Nutzleistung im einfachen Prozess bei einem thermischen Wirkungsgrad von über 40 % abgeben kann. In Tab. 2.4 sind die beiden Turbomaschinen bzw. die zugrundeliegenden Großkraftwerksprozesse miteinander verglichen. Beide Anlagentypen werden für Betriebszeiten im Bereich von über 150.000 Betriebsstunden ausgelegt. Man kann in Tab. 2.4 die Vorund Nachteile der beiden Kraftmaschinen ablesen. Aus thermodynamischer Sicht (siehe Kap. 3) liegt ein großer Vorteil des Dampfkraftprozesses in den niedrigen Kondensatortemperaturen. Bei der Gasturbine im einfachen Prozess fallen hingegen hohe Abgasverluste an. Umgekehrt ist die relativ hohe Temperatur bei der Wärmezufuhr in der Gasturbi- 82 M. Neef und S. aus der Wiesche Tab. 2.4 Vergleich von modernen Dampf- und Gasturbinen für den Kraftwerksbetrieb bzw. der zugehörigen Kraftwerksprozessen Max. Druck des Arbeitsfluids Max. Temperatur des Arbeitsfluids Enddruck Endtemperaturniveau Anzahl Turbinenstufen Gehäuseanzahl Leistung Thermischer Wirkungsgrad Brennstoffkosten (qualitativ) Spez. Investitionskosten (qualitativ) Einheit bar ı C bar ı C – – MW % – – Dampfturbine 200 bis ca. 300 530 bis 630 (bis) 0,03 20 20 bis 40 2 bis 6 (HD, MD, ND) 500 bis 1000 40 bis 48 (DKW-Prozess) Niedrig Hoch Gasturbine 20 (Sondertyp bis 40) 1000 bis 1500 1,0 500 bis 650 4 bis 5 1 200 bis 550 40 (einfacher Prozess) Hoch Gering Abb. 2.48 Entwicklung von maximalen Kraftwerkswirkungsgraden mit Entwicklungssprüngen durch Einführung von Prozessverbesserungen (nach Angaben von Siemens AG) ne thermodynamisch ein Vorteil, wohingegen bei einem Dampfkraftprozess nur deutlich niedrigere Frischdampftemperaturen realisiert werden können. In ihrer Verbindung als kombiniertes Gas- und Dampfkraftwerk ergibt sich eine Prozessführung mit den höchsten Wirkungsgraden (über 60 %). In dieser Kombination ergänzen sich die Vor- und Nachteile der beiden Einzelprozesse (siehe Kap. 15). Die meisten Gasturbinen großer Leistung werden daher in kombinierten Prozessen betrieben. Der Dampfturbinenmarkt hat sich stark zugunsten der kombinierten Kraftwerksprozesse verschoben, was schon in Kap. 1 anhand von Wirtschaftsdaten diskutiert worden ist. Literatur 83 Abb. 2.48 zeigt einen Überblick über die Entwicklung von maximalen Kraftwerkswirkungsgraden für Großkraftwerke, bei denen Dampfturbinen zum Einsatz kommen, für die vergangenen Jahrzehnte. Durch die Einführung der regenerativen Speisewasservorwärmung (Kap. 3) konnten um 1920 die Wirkungsgrade der Dampfkraftwerke signifikant erhöht werden. Ähnliche Verbesserungen wurden durch die Einführung von höheren Frischdampfparametern sowie durch die Zwischenüberhitzung des Dampfes erzielt. Seit den 1960er-Jahren traten Kernkraftwerke als besondere Form von Dampfkraftwerken (Kap. 16) hinzu. Seit den 1990er-Jahren setzten sich kombinierte Gas- und Dampfkraftwerke am Markt immer mehr durch. Trotz der Zunahme der Bedeutung von Gasturbinen bleibt die Dampfturbine noch auf absehbare Zeit eine unverzichtbare Kraftmaschine für die Stromversorgung und als Antrieb für viele Industriezweige. Technologisch entwickelt sich die Dampfturbine ebenfalls weiter, wobei speziell die Anpassungen an veränderte Marktanforderungen, wie erhöhter Teillastbetrieb oder rasche Anfahrzeiten heute im Vordergrund stehen. Literatur [BLO2009] Bloch, H.-P., Singh, M.P.: Steam Turbines, 2. Aufl. McGraw-Hill, New York (2009) [BOH1985] Bohn, T. (Hrsg.): Konzeption und Aufbau von Dampfkraftwerken. Handbuchreihe Energie, Bd. 5. Technischer Verlag Resch, Köln (1985) [DIE1974] Dietzel, F.: Gasturbinen. Vogel-Verlag, Würzburg (1974) [DIE1980] Dietzel, F.: Dampfturbinen, Berechnung-Konstruktion-Teillast- und BetriebsverhaltenKondensation, 3. Aufl. Hanser, München (1980) [DIX2010] Dixon, S.L., Hall, C.A.: Fluid Mechanics and Thermodynamics of Turbomachinery, 6. Aufl. Butterworth-Heinemann, Burlington (2010) [DOL2001] Dolezal, R.: Kombinierte Gas- und Dampfkraftwerke. Springer, Berlin (2001) [KEA1922] Kearton, W.J.: Steam Turbine Theory and Practice. Pitman, London (1922) [KEA1956] Kearton, W.J.: Steam Turbine Theory and Practice, 7. Aufl. Pitman, London (1956) [LEC2010] Lechner, C., Seume, J. (Hrsg.): Stationäre Gasturbinen, 2. Aufl. Springer-VDI, Berlin (2010) [MAT1901] Matschoss, K.: Geschichte der Dampfmaschine. Springer, Berlin (1901) [MÜL1978] Müller, K.J.: Thermische Turbomaschinen. Springer, Wien (1978) [RÖM1972] Römer, H.W.: Dampfturbinen. Girardet, Essen (1972) [SAR2015] Saravanamuttoo, H., Cohen, H., Rogers, G.F.C.: Gas Turbine Theory, 5. Aufl. Pearson (2015) [STE1988] STEAG AG (Hrsg.): Strom aus Steinkohle. Springer, Berlin (1988) [STO1910] Stodola, A.: Die Dampfturbinen, 4. Aufl. Springer, Berlin (1910) [TER2001] Termuehlen, H.: 100 Years of Power Plant Development. ASME Press, New York (2001) [THO1985] Thomas, H.-J.: Thermische Kraftanlagen, 2. Aufl. Springer, Berlin (1985) [TRA1966] Traupel, W.: Thermische Turbomaschinen, 2. Aufl. Bd. 1. Springer, Berlin (1966) [VGB1983] VGB Power Tech e. V. (Hrsg.): Fachkunde für den Kraftwerksbetrieb: Dampf- und Gasturbinen. VGB, Essen (1983) 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse Stefan aus der Wiesche Dampfturbinen sind immer Teil von übergeordneten Wärmekraftanlagen, bei denen Wasser als Arbeitsfluid in einem geschlossenen Kreisprozess eingesetzt wird. Generell kann die Auslegung von Dampfturbinen nicht ohne eine detaillierte Betrachtung des thermodynamischen Gesamtprozesses erfolgen. In diesem Kapitel werden die erforderlichen thermodynamischen Grundlagen der Dampfkraftprozesse behandelt. Hierfür wird zunächst der einfache Clausius-Rankine-Prozess als elementarer Vergleichsprozess für Dampfkraftanlagen vorgestellt. Bereits an diesem einfachen Kreisprozess lassen sich wesentliche Zusammenhänge, die auch für komplexere Anlagen gelten, erklären. Da bei der Analyse der Kreisprozesse und für die Auslegung der Turbinen eine genaue Kenntnis des thermodynamischen Verhaltens von Wasser bzw. Wasserdampf unerlässlich ist, werden in diesem Kapitel ebenfalls entsprechenden Grundlagen kurz diskutiert. Hierbei zeigt sich, dass das Konzept des idealen Dampfes noch immer für das Verständnis der strömungstechnischen Verhältnisse bei Turbinen hilfreich ist. Im Anschluss an diese allgemeinen Grundlagen werden geeignete thermodynamische Maßnahmen zur Erhöhung des thermischen Wirkungsgrads von Dampfkraftprozessen vorgestellt. Vor allem die exergetische Analyse ist geeignet, ein korrektes Bild von den Verbesserungspotentialen der Kreisprozesse zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund können dann repräsentative Beispiele von ausgewählten Dampfkraftprozessen diskutiert werden. 3.1 Geschlossene Kreisprozesse für Wärmekraftanlagen Bei einem geschlossenen Kreisprozess durchläuft ein Arbeitsfluid eine Folge von thermodynamischen Zustandsänderungen, bei denen es in seinen Anfangszustand immer wieder zurückkehrt. Bei den einzelnen Zustandsänderungen von den Zuständen i nach k treten in S. aus der Wiesche () Fachhochschule Münster Steinfurt, Deutschland E-Mail: wiesche@fh-muenster.de © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. aus der Wiesche, F. Joos (Hrsg.), Handbuch Dampfturbinen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20630-7_3 85 86 S. aus der Wiesche der Regel Wärmeströme auf. Im Falle eines Überschusses der Wärmeströme resultiert aus dem Kreisprozess eine abgegebene Nutzleistung P , die man aufgrund des 1. Hauptsatzes der Thermodynamik aus der Bilanzgleichung X X ˇ ˇ (3.1) QP ik D QP zu ˇQP ab ˇ P D Pik D erhält [BAE1996]. In diesem Fall bildet der Kreisprozess die thermodynamische Grundlage der entsprechenden Wärmekraftmaschine. Der Begriff Wärmekraftanlage umfasst die noch zum Betrieb der Wärmekraftmaschine notwendigen Komponenten und Einrichtungen. Häufig wird dieser Begriff auf stationäre Einrichtungen bezogen, bei großtechnischen Ausführungen spricht man auch von thermischen Kraftwerken [THO1985]. Durch Bezug der Nutzleistung (P ) auf den Massenstrom m P des Arbeitsfluids wird die spezifische technische Nutzarbeit X X P D wtik D qik (3.2) wt D P =m des Kreisprozesses eingeführt. Es gilt hierbei für die Teiländerungen (siehe beispielsweise [BAE1996]) 1 2 (3.3) ck ci2 C g .zk zi / wtik D yik C jik C 2 mit der spezifischen Strömungsarbeit Zk yik D v dp (3.4) i und der spezifischen Dissipationsenergie jik für die Zustandsänderung von i nach k. Bemerkenswerterweise enthält der Ausdruck Gl. 3.3 keine kalorischen Größen, wie spezifische Wärmemengen qik oder Enthalpiedifferenzen hk hi . Bei thermischen Kraftanlagen wird der Beitrag der potentiellen Energie in Gl. 3.3 in der Regel vernachlässigt. Bei höheren Strömungsgeschwindigkeiten c müssen die kinetischen Energiebeiträge bei den Teilprozessen berücksichtigt werden. Über den gesamten Kreisprozess bilanziert, heben sie sich diese auf, so dass man für die spezifische technische Arbeit des Kreisprozesses die Bilanzgleichung I X X yik C jik D v dp C j (3.5) wt D erhält. Aufgrund der Beziehung I T ds D X qik C X jik (3.6) kann man alternativ zu Gl. 3.5 für die spezifische technische Arbeit des Kreisprozesses I auch (3.7) wt D T ds C j 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 87 Abb. 3.1 Rechtsläufiger Kreisprozess im p,v-Diagramm (a) und im T,s-Diagramm (b) schreiben. Trägt man den Kreisprozess graphisch in einem p,v- bzw. T,s-Diagramm als geschlossenen Kurvenzug dar, was in Abb. 3.1 dargestellt ist, dann bedeuten Gl. 3.5 und 3.7, dass die Beträge der eingeschlossenen Flächen (d. h. die Rundintegrale) stets größer sind als die gewonnene Nutzarbeit. Nur für den reversiblen Kreisprozess mit j D 0 stellt die eingeschlossene Fläche direkt die Nutzarbeit dar. Aufgrund der Vorzeichenkonvention handelt es sich bei Wärmekraftmaschinen um rechtsläufige Kreisprozesse. Bezeichnen bei einem Kreisprozess qzu und qab die zu- und abgeführten spezifischen Wärmemengen, so ergibt sich nach dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik der thermische Wirkungsgrad th D 1 jqab j : jqzu j (3.8) Aus dem 2. Hauptsatz kann mathematisch aufgrund des Mittelwertsatzes stets eine Beziehung Z qD T ds D Tm s (3.9) mit einer bestimmten Mitteltemperatur Tm der Wärmemengenänderung erhalten werden. Wendet man dies an, so folgt aus Gl. 3.8 unmittelbar th D 1 Tm;ab jsab j : Tm;zu jszu j (3.10) Gl. 3.10 zeigt, dass für den thermischen Wirkungsgrad eines Kreisprozesses das Verhältnis Tm;ab =Tm;zu der mittleren Temperaturen, bei denen die Wärme ab- bzw. zugeführt wird, maßgeblich ist. Der Vorteil von möglichst hohen oberen mittleren Temperaturen Tm;zu sowie eines niedrigen Niveaus Tm;ab für eine Wärmekraftmaschine ist somit eine direkte Folge des 2. Hauptsatzes. 88 S. aus der Wiesche Unter den Kreisprozessen spielt der sog. Carnot-Prozess eine besondere Rolle, da er als thermodynamisches Ideal den höchsten thermischen Wirkungsgrad th D wtrev T0 D1 D C .T0 =T /; qzu T (3.11) der nur vom Verhältnis der oberen Prozesstemperatur T und der unteren Prozesstemperatur T0 abhängt, aufweist. Eine theoretische Realisierung des Carnot-Prozesses besteht aus zwei isothermen und zwei isentropen Zustandsänderungen, die auf eine Rechteckfläche im T,s-Diagramm führen. Eine direkte praktische Bedeutung besitzt der Carnot-Prozess nicht, aber er zeigt an, dass bei der Auslegung von thermischen Kraftanlagen eine möglichst hohe Temperatur T der Wärmezufuhr sowie eine möglichst niedrige Temperatur der Wärmeabfuhr (T0 ) thermodynamisch günstig sind. Weiterhin drückt er formal die nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik resultierende grundsätzliche Beschränkung des thermischen Wirkungsgrades aller Wärmekraftanlagen aus. Für reale Kreisprozesse ergeben sich aufgrund der unvermeidbaren Irreversibilitäten allerdings wesentlich geringere thermische Wirkungsgrade. Auch ist zu beachten, dass die prozessbedingte Wärmezufuhr und Abfuhr nicht vollständig isotherm – wie beim Carnot-Prozess angenommen – erfolgen kann. 3.2 Einfacher Clausius-Rankine-Prozess Mit Gasen können die für den Carnot-Prozess erforderlichen isothermen Zustandsänderungen praktisch nicht realisiert werden, aber unter Einbeziehung von Verdampfungs- und Kondensationsprozessen lassen sich diese für geeignete Arbeitsfluid zumindest teilweise annähern. Genau dies ist die Grundidee des sog. einfachen Clausius-Rankine-Prozesses, bei dem unter Berücksichtigung des Zweiphasengebietes die Wärmeabfuhr in einem Kondensator nahezu isotherm erfolgen kann. Der zugehörige Wärmeschaltplan dieses Kreisprozesses ist in Abb. 3.2 dargestellt. Das Arbeitsfluid wird durch die Kondensatund Kesselspeisepumpe nach Austritt aus dem Kondensator auf das gewünschte obere Druckniveau gefördert. Im einfachen Idealprozess tritt es mit diesem Druck in den Dampferzeuger ein und wird dort isobar erwärmt, verdampft und überhitzt. Der überhitzte Dampf wird zur Turbine geleitet und dort adiabat entspannt, wodurch die Nutzarbeit Abb. 3.2 Wärmeschaltplan des einfachen ClausiusRankine-Prozesses 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 89 Abb. 3.3 Verlauf des einfachen Clausius-Rankine-Prozesses im T,s-Diagramm. a Unterkritischer Dampfkraftprozess b Sattdampfprozess c Überkritischer Dampfkraftprozess bzw. die Turbinenleistung resultiert. Anschließend wird der Abdampf im Kondensator niedergeschlagen und der Kreisprozess ist geschlossen. Neben den Komponenten für den einfachen Clausius-Rankine-Prozess sind in Abb. 3.2 auch relevante Zustandspunkte eingetragen, die in Abb. 3.3 in der schematischen Darstellung des Prozesses im T,s-Diagramm angegeben sind. Liegt das obere Druckniveau p2 unter dem kritischen Druck pcr des Arbeitsfluids, so spricht man von unterkritischen Prozessen, bei denen eine ausgeprägte Verdampfung mit isothermer Wärmezufuhr stattfindet. Wird der gesättigte Dampf nach Austritt aus dem Verdampfer überhitzt, so ergibt sich ein Heißdampfprozess. Verzichtet man auf die Überhitzung, so resultiert ein Sattdampfprozess. Liegt das obere Druckniveau über dem kritischen Druck, so spricht man von überkritischen Prozessen, bei denen ein stetiger Übergang von der flüssigen in die dampfförmige Phase auftritt. Für reversible Zustandsänderungen in Turbinen und Pumpen würden die mit dem Index s gekennzeichneten isentropen Zustandspunkte angenommen. In der Realität führen die Reibungsverluste in den Strömungsmaschinen zu Entropieerhöhungen. Für Wasser würden bei einer maßstäblichen Darstellung die Punkte 0 und 1 bzw. 1 s zeichnerisch praktisch zusammenfallen. Der Clausius-Rankine-Prozess kann prinzipiell mit vielen Stoffen als Arbeitsfluid realisiert werden. Für großtechnische Anwendungen hat sich allerdings in der Praxis nur Wasser durchsetzen können. Der Grund für diese Bevorzugung von Wasser als Arbeitsfluid ist in den besonderen thermodynamischen Eigenschaften sowie in der Tatsache, dass Wasser ein preiswerter und absolut ungefährlicher Stoff ist, begründet. Für Anlagen kleinerer Leistung werden auch organische Fluide eingesetzt, was auf sog. ORC-Anlagen (ORC: Organic Rankine Cycle) führt. Bei der Wahl von organischen Arbeitsfluiden werden in der Regel relativ niedrige Temperaturniveaus ausgenutzt, was beispielsweise für Abwärmenutzung oder solarthermische Anwendungen interessant ist [PAT1983]. In der Vergangenheit wurden nach einem frühen Vorschlag zwischen 1917 bis 1948 insgesamt auch sieben Anlagen mit Quecksilber als Arbeitsfluid gebaut, deren letzte noch bis 1968 betrieben wurde [WAR1966]. Die Wahl dieses Arbeitsfluids für hohe Temperaturen bei niedrigen Dampfdrücken erwies sich allerdings als technisch und wirtschaftlich nicht 90 S. aus der Wiesche beherrschbar [STR2009]. Ebenso wenig konnte sich bislang ein kombinierter DampfkraftProzess mit Kalium als Arbeitsfluid etablieren [LOJ1989]. Im Weiteren werden daher in diesem Buch nur noch Prozesse und Turbinen mit Wasser als Arbeitsfluid betrachtet. Im Englischen unterscheidet man diesbezüglich auch sprachlich streng zwischen „steam turbines“ (mit Wasserdampf als Arbeitsfluid) und den übrigen Dampfkraftturbinen („vapor“ bzw. „vapour turbines“). Diese sprachliche Unterscheidung ist insofern glücklich, weil sich das strömungstechnisch-thermodynamische Verhalten von ORC-Turbinen aufgrund des besonderen Stoffverhaltens der organischen Arbeitsfluide signifikant von konventionellen Dampfturbinen unterscheidet [MAC2017]. Bei der vereinfachten thermodynamischen Analyse des Clausius-Rankine-Prozesses werden üblicherweise die kinetischen Energiebeiträge bei den Zustandsänderungen vernachlässigt und man kann die relevanten Zustandsänderungen mit Hilfe der spezifischen Enthalpie h formulieren. So findet man mit den Bezeichnungen aus Abb. 3.3 für die zugeführte spezifische Wärmemenge (3.12) qzu D h2 h1 und für die spezifische Turbinenarbeit jwT j D h2 h3 ; (3.13) was vereinfachend auf den thermischen Wirkungsgrad th D h2 h3 jwT j D qzu h2 h1 (3.14) für den einfachen Clausius-Rankine-Prozess führt. Bei Vergleich mit den Darstellungen der meisten Lehrbücher der Thermodynamik (z. B. [BAE1996]) fällt auf, dass in Gl. 3.14 der Anteil der Speisewasserpumpe wP D h1 h0 bei der Ermittlung des thermischen Wirkungsgrades vernachlässigt wurde. Dies kann mit dem bei Dampfkraftprozessen auftretenden enormen Unterschied zwischen Turbinen- und Pumpenarbeit begründet werden. Weiterhin wird in der Kraftwerkstechnik üblicherweise der Aufwand für die Speisewasserpumpe mit den übrigen Aufwänden für die erforderlichen Anlagenkomponenten (z. B. Förderbänder, Kohlemühlen, Gebläse) integral zum Eigenbedarf zusammengezählt und durch einen entsprechenden Eigenbedarfsfaktor E bei der Ermittlung des Kraftwerkswirkungsgrades berücksichtigt [STR2009, TER2001]. Bei einer idealen verlustfreien Turbine würde die Expansion isentrop verlaufen, was in Abb. 3.4 anhand des gestrichelten Verlaufs vom Frischdampfzustand 2 auf den isentropen Entspannungspunkt 3 s im h,s-Diagramm schematisch dargestellt ist. Die tatsächliche Entspannung in der Turbine verläuft von 2 nach 3. Das Verhältnis sT D h2 h3 h23 D h2 h3s h23s (3.15) 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 91 Abb. 3.4 Zustandsänderungen beim einfachen Clausius-Rankine-Prozess im h,s-Diagramm zwischen dem tatsächlichen und dem isentropen Enthalpiegefälle wird auch als isentroper Turbinenwirkungsgrad bezeichnet. Dieser lag bei den frühen Dampfturbinen im Bereich von rund 60 % und erreicht bei modernen Kraftwerksdampfturbinen heute Werte von über 90 % (siehe Kap. 14). Mit Blick auf den Carnot-Prozess weist der Clausius-Rankine-Prozess den Vorteil einer isothermen Wärmeabfuhr bei der Kondensation auf. Bei der Wärmeabfuhr im Kondensator wird real aufgrund der endlichen Wärmeübertragung eine geringe Temperaturdifferenz T D T0 Tu zwischen der Kondensattemperatur T0 und der äußeren Umgebungstemperatur Tu auftreten. Im Gegensatz zum Carnot-Prozess findet allerdings beim ClausiusRankine-Prozess die Wärmezufuhr nicht vollständig isotherm statt, sondern es muss eine geeignete thermodynamische Mitteltemperatur Tm D h2 h1 jq12 j D s2 s1 s2 s1 (3.16) für die Wärmezufuhr eingeführt werden. Diese thermodynamische Mitteltemperatur kann bei der Berechnung des zugehörigen Carnot-Faktors C D C .Tu =Tm ) verwendet werden. Der so berechnete Wirkungsgrad entspricht dem thermischen Wirkungsgrad des idealen, reversiblen Clausius-Rankine-Prozesses. In Abb. 3.5 ist die Lage der thermodynamischen Mitteltemperatur Tm und der Prozesstemperaturen T1 und T2 schematisch im T; s-Diagramm eingetragen. Man erkennt, dass aufgrund des Verlaufs der Isobaren und des Zweiphasengebietes die thermodynamische Mitteltemperatur Tm deutlich unter der maximalen Temperatur T2 des Frischdampfes für den in Abb. 3.5 abgebildeten Heißdampfprozess liegt. Dies stellt tatsächlich die Schwäche des einfachen Clausius-RankineProzesses aus thermodynamischer Sicht dar. Aufgrund der üblicherweise nur moderaten Werte für die thermodynamische Mitteltemperatur der Wärmezufuhr bleibt der so erzielbare maximale thermische Wirkungsgrad des einfachen Clausius-Rankine-Prozesses selbst bei Anheben der Maximaltemperatur bzw. der Frischdampfparameter moderat und kann praktisch nur Werte von kaum über 92 S. aus der Wiesche 2 T2 K.P. Temperatur T [K] Abb. 3.5 Thermodynamische Mitteltemperatur der Wärmezufuhr beim einfachen Clausius-Rankine-Prozess Tm T1 T0 Tu 1 3 0 s1 s2 Spezifische Entropie s [J/(kg K)] 30 % erreichen. Andererseits besteht die große Stärke des Dampfkraftprozesses aus thermodynamischer Sicht darin, dass recht tiefe Temperaturen der Wärmeabfuhr realisierbar sind. Bis auf die relativ geringe Temperaturdifferenz D T0 Tu der Wärmeübertragung im Kondensator kann diese sehr nahe an die äußere Umgebungstemperatur bzw. auf die Kühlmitteltemperatur Tu gebracht werden. 3.3 Thermodynamisches Verhalten in der Turbomaschine Für die thermodynamische Analyse und Auslegung wird eine genaue Kenntnis des thermodynamischen Verhaltens des Arbeitsfluids in den Komponenten des Kreisprozesses benötigt. Anstelle von Gl. 3.3 wird für die Diskussion von Strömungsmaschinen meist die allgemeine Form wt C q D h2 h1 C 1 2 c2 c12 C g .z2 z1 / 2 (3.17) der Energiebilanz als Ausgangspunkt gewählt. Bei thermischen Turbomaschinen wird der potentielle Energieanteil vernachlässigt und eine adiabate Zustandsänderung, d. h. q D 0, angenommen. Man erhält dann die technische Arbeit direkt als Differenz 1 2 1 2 (3.18) wt D h2 C c2 h1 C c1 2 2 der Totalenthalpien der Zustände 1 und 2. Gl. 3.18 kann auch auf den Leit- und Laufschaufelkranz separat angewendet werden. Im Falle der Zustandsänderung im Leitapparat reduziert sich wegen wt D 0 die Energiebilanz Gl. 3.18 auf die Konstanz der Totalenthalpien. Der Entspannungsverlauf in einer Turbine ist schematisch im h,s-Diagramm in Abb. 3.6 gezeigt. Prinzipiell müssen die kinetischen Energiebeiträge bei der Analyse 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 93 Abb. 3.6 Schematischer Verlauf der Entspannung in einer Turbine im h,s-Diagramm der Zustandsänderung wie in Abb. 3.6 dargestellt, berücksichtigt werden, aber bei überschlägigen thermodynamischen Abschätzungen verzichtet man gelegentlich darauf. In jedem Fall ist eine genaue Kenntnis der thermodynamischen Zustandsgrößen wie Enthalpie h, Druck p oder Temperatur T sowie des spezifischen Volumens v für die Auslegung der Turbomaschine notwendig. 3.3.1 Bestimmung der Zustandsgrößen Für die Bestimmung der thermodynamischen Zustandsgrößen wird für die hier betrachteten Dampfkraftprozesse und Dampfturbinen auf die bekannten Dampftafeln verwiesen [WAG2008]. In diesen findet man beispielsweise im Gebiet des überhitzten Dampfes die Werte der spezifischen Enthalpie h der spezifischen Entropie s und des spezifischen Volumens v als Funktion von Druck p und Temperatur T vertafelt. Für das Zweiphasengebiet sind die entsprechenden Sättigungszustände relevant. Da es bei den verschiedenen Fassungen der Dampftafeln zu kleinen Abweichungen hinsichtlich der angegebenen Werte der Zustandsgrößen kommen kann, werden in der Kraftwerkstechnik immer vertraglich die zu verwendenden Dampftafelformulierungen vereinbart. Für die Veranschaulichung der Dampfkraftprozesse bieten sich entsprechende Diagramme, von den die T,s- und h,sDiagramme die wichtigsten sind, an. In Abb. 3.7 ist ein für Dampfturbinenprozesse relevanter Auszug aus dem h,s-Diagramm für Wasserdampf wiedergegeben. Die Darstellung der Dampfkraftprozesse im p,v-Diagramm (Indikatordiagramm) ist wegen des erheblichen Unterschiedes der spezifischen Volumina der flüssigen und der dampfförmigen Phase sowie wegen der starken Volumenzunahme während der Expansion maßstäblich nicht möglich. Diese Form der Darstellung findet man daher nur bei Skizzen, die prinzipielle Beziehungen illustrieren sollen. Für grundsätzliche Betrachtungen und Gesamtprozessdarstellungen hat sich stattdessen das übersichtlichere T; s-Diagramm bewährt. Mit einer akzeptablen zeichnerischen Genauigkeit lassen sich die Dampfturbinenprozesse maßstäblich in einem entsprechenden Ausschnitt des h; s-Diagrammes (siehe 94 S. aus der Wiesche Abb. 3.7 h,s-Diagramm für Wasserdampf mit Angabe von Isobaren und Isothermen sowie Kurven gleichen Dampfgehaltes x (Auszug aus den VDI-Dampftafeln von E. Schmidt, Springer-Verlag 1969) auch Abb. 3.7) darstellen. Heute sind neben diesen klassischen Hilfsmitteln auch leistungsstarke numerische Berechnungsprogramme für die Auswertung der Zustandsgleichungen allgemein verfügbar. Um die heutigen Genauigkeitsansprüche zu erfüllen, werden in der Praxis die Zustandsgrößen sowie die thermophysikalischen Stoffwerte und Transportkoeffizienten, wie Viskosität und Wärmeleitfähigkeit, rechnergestützt ermittelt. 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 95 3.3.2 Idealer Dampf Mit Blick auf die modernen rechnergestützten Verfahren hat das früher im Dampfturbinenbau weit verbreitete Konzept des idealen Dampfes zwar an praktischer Bedeutung verloren, dennoch ist es geeignet, wesentliche strömungstechnische Zusammenhänge besonders bei der Stufenauslegung zu verdeutlichen [TRA1966]. Formal lässt sich mit Hilfe des Kompressibilitätsfaktors Z, der wiederum eine Funktion der Zustandsgrößen ist, für jeden Dampf eine thermische Zustandsgleichung pv D ZRT (3.19) formulieren. Man kann den Kompressibilitätsfaktor Z auch als Maß für die Abweichung vom Idealgasverhalten, für das streng Z D 1 gelten müsste, auffassen. Ein Stoff wird dann als idealer Dampf bezeichnet, wenn neben der Erfüllung von Gl. 3.19 für eine isentrope Zustandsänderung die bekannte Gleichung pv D konstant (3.20) mit einem geeigneten Isentropenexponenten gilt und wenn der Kompressibilitätsfaktor Z nur eine Funktion der Entropie s ist, d. h. wenn gilt Z D Z.s/: (3.21) Die Erfüllung der Bedingungen Gl. 3.19 und 3.20 ist noch für eine relativ große Klasse von Fluiden gegeben, aber Beziehung Gl. 3.21 wird wenn überhaupt nur von überhitztem Wasserdampf und Ammoniak näherungsweise erfüllt. Nassdampf oder organische Stoffe zeigen deutliche Abweichungen vom Idealdampfverhalten. Die Abhängigkeit des Kompressibilitätsfaktors Z als Funktion der Temperatur ist für einige Isobaren und Isentropen in Abb. 3.8 für Wasser dargestellt. Die Bedingung Gl. 3.21 wird nach Abb. 3.8 näherungsweise für niedrige Drücke erfüllt. Man erkennt in Abb. 3.8, dass überhitzter Wasserdampf zwar sehr stark vom Idealgasverhalten abweicht, aber immer noch näherungsweise als idealer Dampf aufgrund des horizontalen Verlaufs von Z.s/ angesehen werden kann. Als wichtige Folge von Gl. 3.20 kann daher auch für einen idealen Dampf ein Isentropenexponent definiert werden, der für einen hinreichend kleinen Zustandsbereich näherungsweise als konstant angenommen werden kann. Gilt zudem die Beziehung Gl. 3.21, so können mathematisch auch für einen idealen Dampf wesentliche Formelzusammenhänge, die aus der Thermodynamik und Strömungsmechanik für ideale Gase bekannt sind, übertragen werden [TRA1966]. So erhält man unter diesen Bedingungen beispielsweise auch für einen idealen Dampf die von der isentropen Expansion vom Zustand p1 und v1 auf p2 eines idealen Gases bekannte Beziehung .1/= ! p2 p1 v1 1 (3.22) h12s D 1 p1 96 S. aus der Wiesche Abb. 3.8 Kompressibilitätsfaktor Z für Wasserdampf [TRA1966] für die spezifische Enthalpiedifferenz h12s . Analog können weitere gasdynamischen Beziehungen auch für einen idealen Dampf umgeschrieben werden, was beispielsweise von Traupel [TRA1952, TRA1966] ausführlich beschrieben ist. Lediglich bei Vorliegen von dominanten Wärmeleitungseffekten ergeben sich formale Unterschiede bei den strömungsdynamischen Grundgleichungen für ideale Dämpfe und Gase [TRA1952]. Im Dampfturbinenbau spielen aber Wärmeleitungseffekte bei der strömungstechnischen Auslegung einer Turbine eine eher untergeordnete Rolle. Der Wert der Einführung des idealen Dampfes liegt aus heutiger Sicht vor allem darin, dass die strömungstechnischen und gasdynamischen Zusammenhänge für Gasturbinen und Verdichter zumindest konzeptionell auch auf Heißdampfteile von Dampfturbinen übertragen werden können. Weiterhin können gasdynamische Untersuchungen, die unter der Voraussetzung eines idealen Gases durchgeführt werden, leicht auf den idealen Dampf übertragen werden. So können beispielsweise mit einem Schaufelgitterwindkanal, der mit Luft unter atmosphärischen Bedingungen arbeitet, ebenfalls relevante Versuchsergebnisse für die Auslegung der Beschaufelung von Dampfturbinen gewonnen werden [DIX2010]. Um allerdings die heutigen hohen Genauigkeitsansprüche bei Prozessrechnungen für Dampfturbinen zu erfüllen, sollten dagegen präzisere numerische Berechnungen der thermodynamischen Zustandsgrößen auf Basis der Dampftafeln bzw. der zugrundeliegenden Zustandsgleichungen durchgeführt werden. 3.3.3 Berechnung der Schallgeschwindigkeit von Dampf Strömungstechnisch spielt allgemein die Mach-Zahl Ma D c=cS mit der Schallgeschwindigkeit cS eine ausgezeichnete Rolle (siehe Kap. 4). Für die Auslegung von Dampfturbi- 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 97 nenstufen ist daher auch eine Berechnung der Schallgeschwindigkeit von Dampf wichtig. Die Schallgeschwindigkeit kann thermodynamisch als Ausbreitungsgeschwindigkeit kleiner Druckstörungen gemäß s ˇ @p ˇˇ (3.23) cS D @ ˇ s aufgefasst werden. Für einphasige Zustände (z. B. überhitzter Dampf) kann die Schallgeschwindigkeit mit Hilfe der Zustandsgleichungen bzw. der Dampftafeln eindeutig berechnet werden. Zur Umgehung der nach Gl. 3.23 erforderlichen Ausführung der partiellen Ableitung bei konstanter Entropie s wird für überhitzten Dampf oft auf die Beziehung cS D p pv bzw. cS D p RT (3.24) zurückgegriffen. Gl. 3.24 ist streng nur für ein ideales Gas erfüllt, aber kann näherungsweise auch für einen idealen Dampf (siehe Abschn. 3.3.2) verwendet werden. Für Nassdampf ist die Bestimmung der Schallgeschwindigkeit konzeptionell problematisch, da im Falle von zweiphasigen Zuständen keine thermodynamisch eindeutige Definition der Schallgeschwindigkeit als Zustandsgröße möglich ist. Dies liegt daran, dass für die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Druckstörungen nicht mehr nur die thermophysikalischen Eigenschaften der beiden Phasen (flüssig und dampfförmig), sondern auch deren Verteilungen relevant sind. Bei gleichen Dampfanteilen x verhalten sich Dämpfe mit wenigen großen Tropfen anders als Dämpfe mit vielen kleinen Tröpfchen. Bei Nassdampfströmungen in Dampfturbinen liegt meist ein homogenes Zweiphasenmedium mit sehr feinen Tropfen, deren Durchmesser wenige Prozent eines Mikrometers betragen, vor. Für diesen Grenzfall kann eine thermodynamische Schallgeschwindigkeit cS bzw. ein Isentropenexponent gemäß einer von Sytschew hergeleiteten Beziehung s dp cS D v dT pT cV0 .1 x/ C cV00 x bzw. D v 0 .1 C x/ C v 00 x ˇ0 ˇ00 @v ˇ @v ˇ p.1 x/ @p ˇ C x @p ˇ s (3.25) s angegeben werden [DEJ1973]. In Gl. 3.25 wird die flüssige Phase wie gewohnt mit einem und die dampfförmige Phase mit zwei Strichen gekennzeichnet. Nach dem thermodynamischen Modell Gl. 3.25 sind die isochoren spezifischen Wärmekapazitäten cV der beiden Phasen für die Schallgeschwindigkeit cS relevant. Die thermodynamische Schallgeschwindigkeit Gl. 3.25 berücksichtigt allerdings nicht die Abweichungen von der adiabaten Zustandsänderung infolge der Reibungswärme zwischen den beiden Phasen. Betrachtet man das homogene Zweiphasengebiet als ein elastisches Medium, so kann für die Schallgeschwindigkeit der Ausdruck s cS D dp c0 dx 1 C 1x x c 00 (3.26) 98 S. aus der Wiesche mit den Geschwindigkeiten c 0 und c 00 der beiden Phasen abgeleitet werden [DEJ1973]. Wenn die Tropfendurchmesser so groß sind, dass sie der Schwingungen der Dampfphase nicht mehr folgen können, reduziert sich Gl. 3.26 wegen c 0 =c 00 D 0 auf die Schallgeschwindigkeit der Dampfphase. Für sehr kleine Tropfen liegen ausgeglichene Geschwindigkeitsverhältnisse vor, so dass sich die Vorhersagen der Schallgeschwindigkeit nach beiden Modelle Gl. 3.25 und 3.26 tendenziell angleichen. Das rein thermodynamische Modell Gl. 3.25 führt allerdings zu systematisch niedrigeren Schallgeschwindigkeiten über den gesamten Dampfanteil x für eine konstante Temperatur T. Nimmt man für den Nassdampf eine polytrope Zustandsänderung p dp D nP d (3.27) mit dem Polytropenexponenten nP an, so führt Gl. 3.26 auf die Näherungsbeziehung p nP pv cS D q : 0 x C .1 x/ cc00 (3.28) Für einen gesättigten Dampf (x D 1) führt Gl. 3.28 auf eine analoge Beziehung wie für ein ideales Gas (siehe Gl. 3.24). Für eine weitergehende Diskussion der konzeptionell anspruchsvollen Beschreibung von Nassdampfströmungen sei auf das Buch [DEJ1973] verwiesen. 3.3.4 Wirkungsgrade und Wärmerückgewinn In der Literatur existiert eine Vielzahl von Definitionen für den Wirkungsgrad einer Dampfturbine. Der isentrope Turbinenwirkungsgrad sT für die Entspannung von 1 nach 2 (siehe auch Abb. 3.6) ist nach Gl. 3.15 ausschließlich über die Werte der spezifischen Enthalpie h1 , h2 und h2s definiert. Diese Definition berücksichtigt nicht die kinetischen Energiebeiträge und ist daher nur für einfache Prozessrechnungen und Abschätzungen für thermische Turbomaschinen geeignet. Es gibt für die in Abb. 3.6 schematisch dargestellte Entspannung prinzipiell zwei Möglichkeiten, den inneren Wirkungsgrad einer Turbine zu definieren. Falls die kinetische Austrittsenergie nach der Turbine (Zustand 2) sinnvoll genutzt wird (etwa durch nachfolgende Turbinenstufen), so kann der innere Wirkungsgrad auf Basis der beiden Totalzustände gemäß h1 C 12 c12 h2 C 12 c22 tt D 2 h1 C 12 c12 h2s C 12 c2s (3.29) definiert werden, was im Englischen auch als total-to-total efficiency bekannt ist [DIX2010]. Meist wird bei dieser Definition zusätzlich noch die Gleichheit von c2 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 99 und c2s vereinfachend unterstellt. Kann die austretende kinetische Energie nicht mehr genutzt werden, wie etwa bei der Endstufe einer Kondensationsdampfturbine, so ist für die Beschreibung des Verlustes die Definition ts D h1 C 12 c12 h2 C 12 c22 h1 C 12 c12 h2s ; (3.30) die auch als total-to-static efficiency bekannt ist, sinnvoller. Offensichtlich gilt ts tt . Neben den bislang eingeführten isentropen Wirkungsgraden sT , tt und ts ist für die strömungstechnische Beschreibung von Turbinen noch der sog. polytrope Wirkungsgrad p gebräuchlich. Formal kann dieser unter der Annahme einer polytropen Entspannung, die durch einen Polytropenexponenten np beschrieben wird [WET2014], aus dem isentropen Wirkungsgrad abgeleitet werden. Es gilt dann unter Annahme des idealen Gasgesetzes und Gl. 3.15 zunächst auch sT D h2 h3 1 .p2 =p1 /.np 1/=np D : h2 h3s 1 .p2 =p1 /.1/= (3.31) Betrachtet man nun ein infinitesimal kleines Druckverhältnis p2 =p1 , so ergibt die Regel von de l’Hospital np 1 : (3.32) p D plim sT D 2 !1 np 1 p 1 Dieser durch Gl. 3.32 eingeführte polytrope Ausdruck p kann als der Wirkungsgrad einer sehr kleinen Stufe einer mehrstufigen Turbine angesehen werden. Er beschreibt daher die strömungstechnische Qualität einer Turbine. Nimmt man für eine mehrstufige Turbine einen konstanten Wert für den polytropen Wirkungsgrad p für jede Stufe an, so folgt aus Gl. 3.32, dass der isentrope Turbinenwirkungsgrad sT größer als der polytrope ist. Diese wichtige Beziehung, die hier zunächst nur für das ideale Gas hergeleitet worden ist, bleibt auch bei Übertragung auf Dampfturbinen erhalten. Formal liegt dies an der Divergenz der Isobaren im h,s-Diagramm und auf den dadurch resultierenden Wärmerückgewinn. Dieser Zusammenhang kann anhand von Abb. 3.9 graphisch veranschaulicht werden. Es wird dort schematisch der Entspannungsverlauf in einer mehrstufigen Turbine von 1 nach 2 dargestellt. Neben den Eintritts- und Austrittszuständen ist in Abb. 3.9 auch der Verlauf der Entspannung in den einzelnen Turbinenstufen skizziert. Für jede dieser Stufe kann die Entspannung durch einen polytropen Wirkungsgrad p als isentropen Turbinenstufenwirkungsgrad angenähert werden. Aufgrund der Divergenz der Isobaren findet man für den sog. Wärmerückgewinnungsfaktor .h1 hxs / C .hx hys / C : : : (3.33) RH D h1 h2s stets einen Wert RH > 1, da die Summe der isentropen Stufengefälle größer als das isentrope Turbinengefälle im h,s-Diagramm ist. Für Dampfturbinen findet man typischerweise 100 S. aus der Wiesche Abb. 3.9 Entspannungsverlauf in einer mehrstufigen Turbine im h; s-Diagramm Werte von 1,03 bis 1,08 für den Wärmerückgewinnungsfaktor RH . Physikalisch kommt durch RH > 1 zum Ausdruck, dass die Erhitzung des Arbeitsfluids aufgrund der Dissipation in einer Stufe als Wärmezufuhr in einer nachfolgenden Stufe wiedergewonnen werden kann. Unter Beachtung von Gl. 3.33 und der Annahme von p als isentropen Turbinenstufenwirkungsgrad folgt die allgemeine Beziehung sT D RH p ; (3.34) die unmittelbar zeigt, dass bei einer Turbine aufgrund der Wärmerückgewinnung der isentrope Turbinenwirkungsgrad stets höher als der polytrope Wirkungsgrad ist. Nach den obigen Ausführungen zum Wärmerückgewinnungsfaktor wird weiterhin deutlich, dass dissipative Verluste am Anfang der Turbinenexpansion weniger schädlich als am Ende sind. Die Dissipationsenergie vergrößert die Arbeitsfähigkeit des Arbeitsfluids für nachfolgende Stufen, so dass man einen Teil des Verlustes wieder zurückgewinnt. Aus diesem Grunde wirken sich niedrigere Stufenwirkungsgrade bei Hochdruckteilen von vielstufigen Dampfturbinen wesentlich geringer aus, als Verluste in den Endstufen. An dieser Stelle sei noch auf eine weitverbreitete Fehlinterpretation hingewiesen. Häufig wird in der Literatur der Stufenwirkungsgrad mit dem Polytropenwirkungsgrad identifiziert und gefolgert, dass aufgrund des Wärmerückgewinns eine hohe Stufenanzahl grundsätzlich thermodynamisch günstiger ist als eine kleine. Dies ist allerdings durch die obigen Ausführungen nicht streng begründbar, da die Verluste nicht stufenweise auftreten, sondern stetig. Tatsächlich muss die Wahl der Bilanzräume innerhalb der Expansion nicht mit der konstruktiv vorliegenden Aufteilung in Stufen zusammenfallen, was beispielsweise von Traupel [TRA1966] berücksichtigt wird. Die manchmal in der Literatur eingeführten Korrekturfaktoren des Wärmerückgewinns, die die Stufenanzahl berücksichtigen sollen, sind daher missverständlich. Der Vorteil der kleinen Stufengefälle hängt tatsächlich mit günstigeren strömungstechnischen Verlustverhältnissen zusammen und nicht mit dem thermodynamischen Wärmerückgewinn. 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 101 3.4 Exergetische Analyse des einfachen Clausius-Rankine-Prozesses Der thermische Wirkungsgrad th eines Kreisprozesses ist zwar von seiner Definition her ein geeignetes Maß für die Umwandlung eines eingesetzten Wärmestroms in Nutzleistung, aber er führt oft auch auf ein unzureichendes Bild der Verbesserungspotentiale einer Wärmekraftanlage. Hierfür bietet sich stattdessen die exergetische Analyse an, die auf dem Begriff der „Exergie“ (oder technische Arbeitsfähigkeit) basiert. Im Dampfturbinenbau wurde die Bedeutung dieser Größe bereits sehr früh von Stodola erkannt [STO1910]. Während die energetische Definition des thermischen Wirkungsgrads th nur den 1. Hauptsatz der Thermodynamik berücksichtigt, drückt sich im Begriff der spezifischen Exergie e aus, dass selbst in idealen Wärmekraftanlagen aufgrund des 2. Hauptsatzes Beschränkungen für die Umwandlung von Energieformen vorliegen. So kann die Zustandsgröße Energie sinnvoll in einen zumindest prinzipiell uneingeschränkt umwandelbaren Anteil, die Exergie, und einen nicht mehr weiter umwandelbaren Anteil, die Anergie, aufgeteilt werden. Für die Exergie besteht im Gegensatz zur Energie kein Erhaltungssatz, vielmehr werten irreversible Vorgänge die Energie thermodynamisch ab, so dass in verlustbehafteten Prozessen aus Exergie Anergie wird. In dieser Asymmetrie drückt sich der Inhalt des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik aus. Zu beachten ist allerdings, dass die Größen Exergie und Anergie von einem zu wählenden Bezugszustand, der üblicherweise gleich dem Umgebungszustand gesetzt wird, abhängen. Dies liegt daran, dass nur aufgrund von thermodynamischen Ungleichgewichten (mechanisch, thermisch, chemisch) Zustandsänderungen ablaufen können. Umgekehrt kann man die Exergie eines thermodynamischen Systems auch als die theoretisch minimale Energie, die zur Erzeugung dieses Systems aus der Umgebung in der Umgebung erforderlich ist, interpretieren [BOH1982]. Die aus einem Wärmstrom QP mit der Temperatur T maximal erzielbare reversible Leistung (Prev ) ist durch den Carnot-Faktor Tu P Q D C .Tu =T /QP Prev D 1 (3.35) T in Abhängigkeit der anliegenden Umgebungstemperatur Tu gegeben. Dies bedeutet, dass Wärmeströme bei hohen Temperaturniveaus bezüglich der Umgebungstemperatur thermodynamisch wertvoller sind, als Wärmeströme mit nur mäßigem Temperaturabstand zur Umgebung, da erstere zumindest prinzipiell noch in einer idealen Wärmekraftanlage in Nutzleistung umwandelbar wären. Im Allgemeinen treten bei Zustandsänderungen von 1 nach 2 die Wärmeströme nicht bei einer fest definierten Temperatur T auf, so dass in solchen Fällen die zugehörige thermodynamische Mitteltemperatur Tm in Gl. 3.35 zu verwenden ist. Da die Nutzleistung (Prev ) prinzipiell beliebig umwandelbar ist, definiert Gl. 3.35 auch den zu einem Wärmestrom zugehörigen Exergiestrom. Die spezifische Exergie e eines Stoffstromes mit der mittleren Geschwindigkeit c kann unter Berücksichtigung des Umgebungszustandes (Index u) aus den Zustandsgrößen gemäß 1 e D h hu Tu .s su / C c 2 2 (3.36) 102 S. aus der Wiesche bestimmt werden. Häufig wird der kinetische Energiebeitrag bei der Ermittlung der Exergie vernachlässigt, was bei höheren Strömungsgeschwindigkeiten allerdings fehlerhaft ist. Die Bestimmung des Exergieinhaltes eines Brennstoffs ist formal anspruchsvoll, da auch noch der chemische Ungleichgewichtszustand des unverbrannten Brennstoffes zu seiner Umgebung mit berücksichtigt werden muss. In der Praxis wird die spezifische Exergie eB des Brennstoffs meist mit dem unteren Heizwert Hu identifiziert, was streng genommen nicht korrekt ist. Tatsächlich liegt das Verhältnis eB =Hu für typische Brennstoffe im Bereich um 1,05 und bezogen auf den oberen Heizwert Ho zwischen 1,00 bis 1,02 [BAE1996]. Der große Unterschied zwischen der energetischen und der exergetischen Analyse der Wirkungsgrade kann bereits am Beispiel einer einfachen Dampfkraftanlage, die mit einem brennstoffversorgten Dampferzeuger arbeitet, verständlich gemacht werden. Bezogen auf den eingesetzten Brennstoffmassenstrom und dem unteren Heizwert Hu kann der resultierende Gesamtwirkungsgrad der Anlage durch D jP j m P B Hu (3.37) ausgedrückt werden. Er wird für reale Anlagen typischerweise Werte zwischen 0,25 und 0,45 annehmen. Häufig wird anstelle des Wirkungsgrades auch der Kehrwert von Gl. 3.37 als Wärmeverbrauch (in kJ/kWh) angegeben. Hierbei entspricht D 0;40 dem Wärmeverbrauch von 9000 kJ/kWh. Bei der Verbrennung und im Dampferzeuger wird allerdings nicht der gesamte chemische Energieinhalt des Brennstoffs auf das Arbeitsfluid des Kreisprozesses übertragen, sondern nur der dort erzeugte Wärmestrom, so dass man den Gesamtwirkungsgrad auch in einen thermischen Wirkungsgrad th des Kreisprozesses und einen energetischen Kesselwirkungsgrad K gemäß D QP zu jP j D K th m P B Hu QP zu (3.38) aufteilen kann. Bei heutigen Anlagen liegt der Kesselwirkungsgrad bei Werten bis über K D 0;92, was auf die geringen energetischen Verluste im Dampferzeuger hinweist. Andererseits ist der Kesselwirkungsgrad wegen der unvermeidlichen parasitären Wärmeverluste und der Kamintemperaturen um 100–150 ı C stets kleiner als 1. Man kann den thermischen Wirkungsgrad th D jP j jwT j jhj jhs j jhj D D D D sth sT P q q qzu jhs j Qzu zu zu (3.39) des Dampfkraftprozesses als Produkt des thermischen Wirkungsgrad sth des Kreisprozesses mit einer isentrop arbeitenden idealen Turbine und dem isentropen Turbinenwirkungsgrad sT darstellen, so dass sich energetisch die einfache Wirkungsgradkette D K sth sT (3.40) 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 103 ergibt. In diesem Bild würden die Verluste bei der Wärmeübertragung und der Verbrennung im Kessel aufgrund des hohen Wertes von K als recht klein erscheinen. Weiterhin würde die strömungstechnische Qualität der Dampfturbine durch hohe Werte von sT ausgedrückt werden. Aus energetischer Sicht würden die Verluste durch die nur moderaten Werte des thermischen Wirkungsgrades sth des idealen, reversibel Kreisprozesses verursacht. Dem entspricht, dass bei moderaten Werten des thermischen Wirkungsgrades sth sehr große Abwärmeströme durch die Kühlanlagen als „Verlust“ abgeführt werden müssen. Aus exergetischer Sicht ergibt sich hingegen ein völlig anderes Bild. Zunächst einmal wird bereits schon durch die irreversible Verbrennung, die auf die mittlere Rauchgastemperatur TmRG im Wärmeerzeuger führt, die Brennstoffexergie abgewertet. Der exergetische Wirkungsgrad WE des Wärmeerzeugers lautet daher WE D EP RG EP RG QP zu Hu Hu D D C .Tu =TmRG /K P m P B eb P B H u eB eB Qzu m (3.41) Auch wenn die mittlere Temperatur des Rauchgases TmRG im Wärmeerzeuger bezüglich der Umgebungstemperatur Tu recht hoch ist, führt der Carnot-Faktor in Gl. 3.41 dennoch zu Werten von WE unter 1. Das Arbeitsfluid nimmt die Wärme im Dampferzeuger bei einer kleineren mittleren Temperatur Tm auf, so dass man für den exergetischen Wirkungsgrad EP zu c .Tu =Tm / D DE D (3.42) c .Tu =TmRG / EP RG des Dampferzeugerteils ebenfalls einen Wert unter 1 erhält. Die Wärmekraftmaschine hat den exergetischen Wirkungsgrad WKM D th jP j jP j QP zu D D ; P P P C .Tu =Tm / Ezu Qzu Ezu (3.43) so dass sich der exergetische Gesamtwirkungsgrad der Anlage als Produkt D jP j D WE DE WKM m P B eB (3.44) ergibt. In der exergetischen Analyse erscheinen die Verluste bei der Energieumwandlung an ganz anderer Stelle als in der energetischen Betrachtung. Durch die irreversible Verbrennung, die auf die mittlere Rauchgastemperatur TmRG führt, findet bereits eine deutliche exergetische Abwertung des Brennstoffs im Wärmeerzeuger statt. Durch die deutlich geringere mittlere Temperatur Tm des Arbeitsfluids des Kreisprozesses gegenüber der mittleren Rauchgastemperatur TmRG wird im Dampferzeuger nochmals der Wärmstrom exergetisch massiv abgewertet, so dass sich mit den Irreversibilitäten im thermodynamischen Kreisprozess der exergetische Gesamtwirkungsgrad ergibt. Allerdings erscheint in 104 S. aus der Wiesche diesem exergetischen Bild der energetisch große Abwärmestrom nicht mehr als dominanter Verlust, da aufgrund der geringen Abwärmetemperatur T0 der Exergiestrom der Abwärme gering ist. Exergetisch gesehen sind also Wärme- und Dampferzeuger die problematischen Elemente des Dampfkraftprozesses, wo hingegen die Abwärmeströme bei der „kalten Seite“ des Prozesses energetisch lediglich einen Ballast darstellen, der durch die vorangegangenen irreversiblen Umwandlungen verursacht worden ist. Die geringen Exergieverluste bei der Wärmeabfuhr im Kondensator können eher als Vorteil des Dampfkraftprozesses gegenüber anderen Vergleichsprozessen, wie etwa dem einfachen Gasturbinenprozess angesehen werden. Umgekehrt bieten moderne Gasturbinenprozesse mit ihren hohen oberen Prozesstemperaturen und der inneren Verbrennung auf der „heißen Seite“ exergetische Vorteile gegenüber dem Dampfkraftprozess, da für diese die thermodynamische Mitteltemperatur der Wärmezufuhr deutlich höher liegen kann. Die Kombination eines Gasturbinen- und eines nachgelagerten Dampfkraftprozesses verbindet die exergetischen Vorteile der beiden einfachen Prozesse und kompensiert deren inhärente exergetischen Nachteile (siehe Kap. 15). 3.5 Maßnahmen zur Steigerung des thermischen Wirkungsgrades Aus thermodynamischer Sicht bestehen Maßnahmen zur Steigerung des thermischen Wirkungsgrades th des Dampfkraftprozesses darin, die thermodynamische Mitteltemperatur Tm der Wärmezufuhr zu erhöhen und die mittlere Temperatur der Wärmeabfuhr zu minimieren. Letztere hängt von der Umgebungstemperatur Tu bzw. der Temperatur des verfügbaren Kühlmediums ab, was thermodynamisch die untere Grenze des Prozesses definiert. Tatsächlich müssen allerdings im Kondensator und in der Rückkühlanlage noch weitere Verluste und endliche Temperaturdifferenzen bei der Wärmeübertragung berücksichtigt werden, so dass die tatsächlich erzielbare untere Prozesstemperaturen bzw. die damit zusammenhängenden Kondensatordrücke pK höhere Werte annehmen. Zudem ist zu beachten, dass für die Dampfturbinen der Aufwand und daher auch der Preis stark vom Abdampfzustand abhängen, worauf noch in einem späteren Kapitel ausführlich eingegangen wird. Bevor die Optimierung des „kalten Endes“ des Dampfkraftprozesses behandelt wird, werden in diesem Kapitel die aufgrund der vorangegangenen exergetischen Analyse folgenden Maßnahmen zur Erhöhung der thermodynamischen Mitteltemperatur Tm der Wärmezufuhr diskutiert. 3.5.1 Erhöhung des Frischdampfzustandes Die thermodynamisch naheliegende Erhöhung des Frischdampfzustandes wurde historisch schon recht früh im Dampfturbinenbau und in der Kraftwerkstechnik verfolgt. Die frühen Dampfkraftanlagen arbeiteten nach dem einfachen Clausius-Rankine-Prozess, wo- 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 105 Abb. 3.10 Auswirkung des Frischdampfdruckes auf den Abdampfzustand beim einfachen Clausius-RankineProzess bei zunächst nur recht geringe Frischdampfdrücke pFD und Frischdampftemperaturen tFD möglich waren. Diese lagen zu Beginn um 1910 bei rund pFD D 10 bar und tFD D 230 ı C, was auf thermische Wirkungsgrade des zugehörigen reversiblen Clausius-Rankine-Prozesses von etwa sth D 34 % führt. Zusammen mit den damaligen geringen isentropen Turbinenwirkungsgraden von rund sT D 60 % ergab dies thermische Wirkungsgrade gemäß Gl. 3.33 von nur th D 20 %. Unter Berücksichtigung der damaligen Kesselwirkungsgrade und des Eigenbedarfs der Anlagen resultierten Netto-Kraftwerkswirkungsgrade von lediglich D 15 % [TER2001, STO1910]. Durch werkstofftechnische und konstruktive Fortschritte konnten die Frischdampfzustände angehoben werden, was auf höhere Gesamtwirkungsgrade führte. Bis etwa 1925 wurde der einfache Clausius-Rankine-Prozess bei stetig gesteigerten Frischdampfzuständen als Anlagenkonzept beibehalten. Thermodynamisch ist dieses einfache Anlagenkonzept allerdings stark limitiert, was man leicht anhand von schematischen Prozessverläufen in einem T,s-Diagramm nach Art von Abb. 3.10 nachvollziehen kann. Nicht zuletzt aus werkstofftechnischer Sicht gibt es für die Maximaltemperatur T2 eine obere Grenze, die in Abb. 3.10 schematisch für die drei dargestellten Prozessverläufe als Gerade im T,s-Diagramm eingetragen ist. Der Kondensatordruck bzw. die untere Prozesstemperatur T0 ist ebenfalls als Grenze eingetragen. Bei der maßstäblichen Darstellung fallen in Abb. 3.10 die Punkte 0 und 1 zusammen. In Abb. 3.10 wird ebenfalls der Einfluss des Frischdampfdruckes auf den Prozessverlauf und insbesondere auf den Dampfanteil x3 des Abdampfzustandes verdeutlicht. Für hohe Maximaltemperaturen T2 bietet sich bezüglich des thermischen Wirkungsgrades des Kreisprozesses die Wahl von hohen, ggf. überkritischen Drücken pFD an, allerdings nimmt mit wachsenden Frischdampfdrücken auch die Endnässe (1 x3 ) nach der Expansion in der Dampfturbine immer weiter zu. Dieser Sachverhalt begrenzt das Steigerungspotential des einfachen Clausius-Rankine-Prozess in der Praxis. Bei zu hohen Werten der Endnässe (1 x3 ) tritt in der Turbine durch die Kondensation des Abdampfes nämlich das Problem des Tropfenschlags auf, was neben einer Abnahme des Turbinenwirkungsgra- 106 S. aus der Wiesche des vor allem zu einer Erosion der Beschaufelung führt. Als typischer Richtwert für den Dampfanteil x3 , der nicht unterschritten werden sollte, kann x3 D 0;90 angenommen werden; bei modernen Kraftwerksprozessen werden Werte bis herunter zu x3 D 0;84 als Untergrenze genannt [KEH2009]. Für Kondensationsdampfturbinen, die mit niedrigen Abdampfdrücken nach dem einfachen Clausius-Rankine-Prozess arbeiten, ergeben sich daher als wirtschaftlich sinnvolle Frischdampfdrücke Werte von maximal rund pFD D 50 bar. Historisch wurde bereits 1951 eine extreme Frischdampftemperatur von tFD D 600 ı C (bei einem Druck von rund pFD D 146 bar) für eine Dampfturbine gewählt. Diese und die nachfolgenden Dampfturbinen, die mit Frischdampfdrücken bis zu pFD D 275 bar arbeiteten, wurden allerdings als Vorschaltturbinen in verfahrenstechnischen Anlagen eingesetzt, so dass sie nicht der oben erläuterten Einschränkung unterlagen [ENG1994]. Allerdings kam diese Entwicklung bis 1960 zunächst zum Stillstand, da ab Temperaturen von rund 550 ı C der Einsatz von austenitischen Stählen zu wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Anlagenkosten führte. 3.5.2 Zwischenüberhitzung Eine Möglichkeit, das Problem der Endnässe zu umgehen und gleichzeitig auch den thermischen Wirkungsgrad des Dampfkraftprozesses zu erhöhen, bietet die Maßnahme der Zwischenüberhitzung des Dampfes nach der Expansion im Hochdruck-Teil (HD) des Dampfturbosatzes. Das grundsätzliche Anlagenschema ist in Abb. 3.11 dargestellt. Der entsprechende Prozessverlauf mit den relevanten Zustandsänderungen ist in Abb. 3.12 schematisch gezeigt. Die thermodynamische Mitteltemperatur Tm des einfachen Prozesses nach Gl. 3.16 wird bei der Prozessführung mit Zwischenüberhitzung durch den Ausdruck Tm D h2 h1 C h4 h3 s2 s1 C s4 s3 (3.45) ersetzt, der zu einer Erhöhung bezüglich des einfachen Prozesses führt, wenn die thermodynamische Mitteltemperatur der Zwischenüberhitzung (ZÜ) TmZÜ D h4 h3 s4 s3 (3.46) möglichst hoch ist. Bei der Prozessführung mit Zwischenüberhitzung verschiebt sich in jedem Fall der Abdampfzustand zu geringeren Endnässen (1 x5 ) was aus konstruktiver Sicht vorteilhaft ist und insgesamt die Wahl höherer Frischdampfparameter bezüglich des einfachen ClausiusRankine-Prozesses gestattet. Bei optimaler Auslegung des Zwischendruckes pZÜ , bei dem im Zwischenüberhitzer Wärme zugeführt wird, kann sich der thermische Wirkungsgrad um einige Prozentpunkte erhöhen. Allerdings ist zu beachten, dass aus anlagentechnischer 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 107 Abb. 3.11 Schaltbild einer Dampfkraftanlage mit Zwischenüberhitzung Abb. 3.12 Zustandsänderungen beim Prozess mit Zwischenüberhitzung Sicht das Konzept der Zwischenüberhitzung recht aufwendig ist, da nach dem HD-Teil der teilentspannte Dampf in den Kessel zurückgeführt werden muss. Aus diesem Grund wird das Konzept der Zwischenüberhitzung erst ab einer bestimmten Nennleistung des Dampfkraftwerks wirtschaftlich sinnvoll, die im Bereich 80 bis 100 MW liegt. Die Wahl des optimalen Wertes TmZÜ der Zwischenüberhitzung und des Zwischenüberhitzungsdrucks pZÜ ist zunächst einmal nicht-trivial und kann aus aufwendigen Optimierungsrechnungen erfolgen. Gebräuchlich ist für eine erste Abschätzung eine Näherungsbeziehung, die aus der exergetischen Beziehung Tm D TK 1 th (3.47) zwischen der Mitteltemperatur Tm , der Kondensatortemperatur TK und dem thermischen Wirkungsgrad th folgt. Der thermische Wirkungsgrad th des Gesamtprozesses ist zwar unbekannt, und die Beziehung Gl. 3.47 könnte nur iterativ ausgewertet werden, aber in der Praxis kann hierfür auch der Wert des Grundprozesses aufgrund des „flachen“ Optimums verwendet werden. Es folgt dann unmittelbar die häufig erwähnte Näherungsbeziehung 108 S. aus der Wiesche Abb. 3.13 Historische Entwicklung der technisch realisierbaren Frischdampfparameter bei großen Dampfkraftwerken (nach Angaben aus [TER2001]) T3 D Tm . Weitere Angaben zur Auslegung der Zwischenüberhitzung kann der Literatur [BOH1985] entnommen werden. Die Einführung der Zwischenüberhitzung um 1925 in der Kraftwerkstechnik ermöglichte eine deutliche Steigerung der Frischdampfparameter, was in Abb. 3.13 anhand der historischen Entwicklungskurven für die technisch realisierbaren Frischdampfparameter von fossil befeuerten Dampfkraftwerken veranschaulicht ist. Mit Einführung der Zwischenüberhitzung konnten die Beschränkungen des einfachen Clausius-Rankine-Prozesses für Kondensationsdampfturbinen überwunden werden, was sich in Abb. 3.13 als erste abrupte Steigerung bei den Frischdampfdrücken zeigt. Die nachfolgende Entwicklung verlief aufgrund der kesselbaulichen Einschränkungen zunächst langsamer und die Frischdampfdrücke konnten signifikant erst nach 1950 durch die Einführung des Zwangdurchlauf-Kessels auf überkritische Werte gesteigert werden. Historisch wurde 1960 mit dem Kraftwerk Eddystone (Station #1) ein lange Zeit gültiger Höhepunkt dieser Entwicklung hin zu extremen überkritischen Dampfzuständen erreicht. Dieses Kraftwerk arbeitete als Auslegungsdaten mit einem Frischdampfdruck von 345 bar (5000 psig) und einer Frischdampftemperatur von 649 ı C (1200 ı F) [SIL2003]. Aufgrund der extremen Dampfparameter wurde anstelle der einfachen Zwischenüberhitzung eine doppelte Zwischenüberhitzung eingesetzt, um den Abdampfzustand auf technisch beherrschbare Endnässen zu begrenzen. Das vereinfachte Wärmeschaltbild von Eddystone #1 ist in Abb. 3.14 gezeigt. Auffallend ist neben der doppelten Zwischenüberhitzung auch die Druckstufung des Turbosatzes. Die eingesetzte HöchstdruckEintrittsdampfturbine (super pressure turbine SP) des Kraftwerks Eddystone mit ihrem doppelten kugelförmigen Gehäuse ist in Abb. 3.15 gezeigt. Es folgte dieser in einer Tandem-Aufstellung die HHD- (very high pressure), die HD- (high pressure), sowie die mehrflutigen MD- (intermediate pressure) und ND-Turbinen (low pressure). Die Drehzahl der Hochdruckturbinen betrug 3600 min1 , was der 60 HZ-Netzfrequenz in den 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 109 Abb. 3.14 Vereinfachtes Wärmeschaltbild des Kraftwerks Eddystone #1 mit doppelter Zwischenüberhitzung und extremen Dampfparametern (aus [GUB1959]) USA entspricht. Eddystone #1 war ursprünglich für eine Nennleistung von 325 MW und einen Wärmeverbrauch von 8230 Btu/kWh ausgelegt, was einem Netto-Wirkungsgrad von D 41;5 % entspricht. Real wurde als Bestwert D 40 % bei einer Leistung von 331 MW erzielt. Zur damaligen Zeit lagen die größeren unterkritischen Dampfkraftwerke auch nur in diesem Leistungsbereich, so dass Eddystone #1 als das wohl ambitionierteste Kraftwerksprojekt seiner Zeit angesehen werden kann. Später wurden die Dampfparameter reduziert, als sich einerseits werkstofftechnische Grenzen im Betrieb zeigten und andererseits deutlich geringere Brennstoffkosten, als bei der Konzeption erwartet, die ursprüngliche Kalkulation entwertete. In einer größeren Revision wurde 1995 der SP-Rotor ausgetauscht. Eddystone #1 ging erst 2011 vom Netz. Der Einsatz von extremen Dampfparametern und mehrfachen Überhitzungen wurde zu Beginn der 1960er-Jahre rasch aufgegeben, da die hohen Investitionskosten solcher Anlagen bei relativ niedrigen Brennstoffkosten nicht mehr vertretbar waren. Erst in den 1990er-Jahren wurden wieder vor allem aus Gründen der Emissionsreduzierung verstärkt Anstrengungen unternommen, überkritische Dampfparameter zur Wirkungsgradsteigerung zu wählen (siehe Kap. 14). 110 S. aus der Wiesche Abb. 3.15 HöchstdruckEintrittsdampfturbine des Kraftwerks Eddystone #1 für ultra-überkritische Dampfparameter (345 bar/649 ı C). Aufgrund der extremen Belastungen wurde das äußere Turbinengehäuse kugelförmig konstruiert 3.5.3 Regenerative Speisewasservorwärmung Aus thermodynamischer Sicht kann die Erhöhung der mittleren Temperatur der Wärmezufuhr für den Dampfkraftprozess auch realisiert werden, indem man die Temperatur TV des in den Kessel eintretenden Speisewassers durch Vorwärmung erhöht. Ein entsprechendes Anlagenschema für einen Dampfkraftprozess mit einer regenerativen Speisewasservorwärmung ist in Abb. 3.16 gezeigt. Der zugehörige Prozessverlauf ist im T,s-Diagramm in Abb. 3.17 dargestellt. Der Frischdampfmassenstrom betrage m. P An der Stelle E wird der Teildampfstrom m P beim Anzapfdruck pE der Turbine entnommen und zur Vorwärmung des eintretenden Speisewassermassenstroms .1 /m P verwendet. Der Anzapfdampf nimmt an der weiteren Expansion in der Turbine nicht mehr teil. Der Nachteil der dadurch verminderten Nutzarbeit des Kreisprozesses muss sorgfältig gegen den exergetischen Vorteil der regenerativen Speisewasservorwärmung abgewogen werden. Die sich so anstelle des einfachen Clausius-Rankine-Prozesses ergebende thermodynamische Mitteltemperatur h2 hV (3.48) TmV D s2 sV 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 111 Abb. 3.16 Schaltbild einer Dampfkraftanlage mit einem Speisewasservorwärmer des Prozesses mit regenerativer Speisewasservorwärmung liegt über der des einfachen Prozesses (siehe Gl. 3.16). Dadurch ergibt sich exergetisch ein Vorteil, der sich in einem höheren thermischen Wirkungsgrad des Kreisprozesses mit regenerativer Vorwärmung ausdrückt. Weil nur noch ein Teilmassenstrom in der Turbine nach der Anzapfung an der Stelle E expandiert, sinkt die spezifische Nutzarbeit, aber der thermische Wirkungsgrad des Prozesses erhöht sich. Man spricht daher auch von einer Carnotisierung des Prozesses. Der Einsatz der regenerativen Speisewasservorwärmung ist anlagentechnisch relativ einfach und wurde daher seit seiner Einführung in den 1920er-Jahren zum Stand der Technik. Historisch wurde er bereits 1890 von Sauvage und Cotteril empfohlen und als thermodynamisch vorteilhaft 1897 von Ancona nachgewiesen [STO1910]. Der exergetische Vorteil der Aufwärmung des kalten Speisewassers durch einen Teil des Dampfes kann in Abb. 3.17 anhand der eingezeichneten spezifischen Anergiedifferenz bV b1 , die Abb. 3.17 Zustandsänderungen beim Prozess mit regenerativer Speisewasservorwärmung 112 S. aus der Wiesche als Fläche im T; s-Diagramm unter der Umgebungstemperatur Tu erscheint, und der oberhalb als Fläche dargestellten Exergiedifferenz eV e1 veranschaulicht werden. Durch die regenerative Vorwärmung von 1 nach V spart man den exergetisch hohen Brennstoffeinsatz ein, der aufgrund der geringen Speisewasserwassertemperatur zu einem großen Teil nur eine Anergieerhöhung bedeuten würde. Auf diese Weise kann sich der exergetische Wirkungsgrad WE DE H u e2 eV Hu D K D K eB h2 hV eB Tu 1 TmV (3.49) des Dampferzeugers verbessern. Da allerdings in der Vorwärmeinheit Wärme bei einer endlichen Temperaturdifferenz übertragen wird, resultiert durch diese Irreversibilität im Kreisprozess allerdings wieder eine Verschlechterung des exergetischen Wirkungsgrades. Es gibt also für den Prozess mit einer Vorwärmeinheit eine optimale Wahl der Vorwärmtemperatur TV . Wärmt man das Speisewasser stärker auf, dann würde sich zwar der exergetische Wirkungsgrad Gl. 3.42 des Dampferzeugers weiter erhöhen, aber durch die stärkere Zunahme der Verluste bei der Wärmeübertragung würde der Gesamtwirkungsgrad der Anlage wieder sinken. Diese Verschlechterung kann durch den Einsatz mehrerer Vorwärmstufen reduziert werden, da dann deutlich geringere Temperaturdifferenzen und somit auch niedrigere exergetische Verluste vorliegen. In einem solchen Fall werden an verschiedenen Stellen Dampfströme für eine druckgestufte Kette von Vorwärmeinheiten aus der Turbine angezapft. Für eine repräsentative Dampfkraftanlage mit einfacher Zwischenüberhitzung und einer Leistungsgröße von ca. 300 MW ist die relative Verbesserung th =th des thermischen Wirkungsgrades als Funktion der gewählten Speisewasserendtemperatur TV und in Abhängigkeit von der Anzahl n der Vorwärmstufen graphisch in Abb. 3.18 dargestellt. Qualitativ kann der in Abb. 3.18 dargestellte Verlauf auch auf andere Anlagen übertragen werden. Die relative Verbesserung des thermischen Wirkungsgrades nimmt zwar mit der Anzahl n der Vorwärmstufen zu, jedoch wird dieser Zuwachs immer schwächer und strebt schließlich einem Grenzwert zu. Für eine gegebene endliche Anzahl n ergibt sich auch bei der mehrstufigen Vorwärmung eine optimale Vorwärmtemperatur, die man aber bei relativ hohen Anzahlen n > 8 in Abb. 3.18 noch nicht erreicht hat. Die optimale Abstufung der einzelnen Anzapfdrücke ist relativ aufwendig und geschieht mit Hilfe von rechnergestützten Simulationsprogrammen [EPP2012]. Für eine überschlägige Auslegung kann auf die Näherungsbeziehung TE2 TEn TFD D D ::: D TE1 TE3 TK (3.50) für Vorwärmer mit konstantem Massenstrom bzw. auf TFD TE1 D TE1 TE2 D : : : D TEn TK (3.51) 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 113 Abb. 3.18 Verbesserung der thermischen Wirkungsgrades durch die mehrstufige regenerative Speisewasservorwärmung (nach [STR2009]) Abb. 3.19 Temperaturverlauf in einem Oberflächenvorwärmer nach Art von Abb. 3.16 T . T5 (pe ) . . TE TV . . TF T1 0 h1 hv h bei gestuften Massenströmen zurückgegriffen werden. Als Grenzfall für eine sehr hohe Anzahl n von Vorwärmeinheiten ergibt sich die als n D 1 in Abb. 3.18 dargestellte stetige ideale Anzapfung ohne Temperaturdifferenzen bei der Wärmeübertragung. Man erkennt, dass bereits n D 8 diesem thermodynamischen Ideal sehr nahe kommt, so dass aufgrund des Bauaufwandes und der Anlagenführung in der Praxis die Zahl n D 10 für Grundlastkraftwerke nicht überschritten wird. Für Mittel- oder Spitzenlastkraftwerke werden wegen des Investitionsaufwandes üblicherweise weniger Vorwärmstufen eingebaut. Es gibt verschiedene Bauformen für die Vorwärmeinheiten [TRA1966]. Bei dem in Abb. 3.16 gewählten Oberflächenvorwärmer gibt der entnommene Dampfstrom seinen Energieinhalt im Wärmetauscher ab, was prinzipiell auf die in Abb. 3.19 gezeigten Temperaturverläufe führt. Das eintretende Speisewasser wärmt sich dabei näherungsweise isobar von T1 auf TV auf. Der Anzapfdampfmassenstrom kühlt sich nach der Kondensation auf den nahe bei T1 liegenden Wert TF ab. Durch eine Drosselung von pE auf p0 wird dieser dann vor dem Wärmetauscher dem Kondensatmassenstrom wieder zugemischt. Aus der Energiebilanz P E hF / m.h P V h1 / D m.h (3.52) 114 S. aus der Wiesche Abb. 3.20 Dampfkraftprozess mit Mischvorwärmer: a Wärmeschaltbild, b Prozessverlauf im T,sDiagramm (Ausschnitt) des adiabat angenommen Vorwärmers kann nach Vorgabe des Anzapfdruckes und des Speisewasserzustandes der erforderliche Massenstromanteil bestimmt werden. Der anlagentechnische Vorteil dieser Bauform liegt darin, dass keine weitere Vorwärmpumpe benötigt wird. Prinzipiell kann der Oberflächenvorwärmer auch mit einer zusätzlichen Vorwärmpumpe für den Anzapfmassenstrom versehen werden, was aufgrund der geringen Anzapfmassenströme nur einen begrenzten Mehraufwand erfordert, aber thermodynamisch etwas günstigere Temperaturdifferenzen ermöglicht. Bei einer anderen Bauform, dem Mischvorwärmer wird der angezapfte Dampf direkt mit dem Speisewasser vermischt, was thermodynamisch am günstigsten ist. Ein einfacher Dampfkraftprozess mit einem Mischvorwärmer ist in Abb. 3.20 gezeigt. Der Anzapfdampf aus der Turbine wird direkt mit dem von der Kondensatpumpe KP gefördertem Kondensatmassenstrom isobar vermischt und auf nahezu siedendes Wasser erwärmt. In der anschließenden Kesselspeisepumpe KSP wird das vorgewärmte Wasser dem Dampferzeuger zugeführt. In der Praxis wird als Eintrittszustand der Kesselspeisepumpe kein exakt gesättigter Zustand gewählt, da es dort ansonsten zu schweren Kavitationsschäden (Dampfblasenbildung) kommen könnte. Dies kann durch ein auch aus anlagentechnischer Sicht günstiges Platzieren des Speisewasserbehälters in einer größeren Höhe erreicht werden (Ausnutzung des geodätischen Drucks). Für überschlägige thermodynamische Auslegungen wird dieser Unterschied aber oft vernachlässigt. Für jeden Mischvorwärmer muss allerdings im Prozess eine Pumpe, die auf den vollen Massenstrom ausgelegt ist, verwendet werden. Würde man daher eine Kette aus Mischvorwärmern aufbauen, dann würden zusätzlich zur Kondensat- und Speisewasserpumpe weitere Pumpen für den vollen Kondensatmassenstrom nach jedem Mischvorwärmer erforderlich sein. Neben den hohen Investitionskosten ist vor allem der Nachteil schwerwiegend, dass es im Falle des Versagens auch nur einer dieser Pumpen zum Stillstand der gesamten Dampfkraftanlage kommen würde. Im Sinn der Verfügbarkeit werden Kondensat- und Speisewasserpumpen redundant ausgelegt, was allerdings bei Ausdehnung auf weitere Pumpen zu einer deutlichen Erhöhung der Kosten ohne eine wesentliche Erhöhung der Verfügbarkeit führen würde. 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 115 Aus diesem Grunde wird in der Praxis neben einer Kette von Oberflächenvorwärmern stets nur ein Mischvorwärmer in einer Dampfkraftanlage verwendet, der konstruktiv meist zudem auch als Speisewasserbehälter und Entgaser ausgeführt ist. Auch Anlagen, die als einfacher Prozess ausgelegt werden, enthalten üblicherweise einen Mischvorwärmer als Entgaser und Speisewasserbehälter. Bei der einstufigen Speisewasservorwärmung lässt sich unter der vereinfachenden Annahme, dass die spezifische dem Anzapfdampf zu entziehende Wärmemenge gleich der entsprechenden Kondensatorwärmemenge sei, auch ein geschlossener Ausdruck für die Abhängigkeit des thermischen Wirkungsgrades als Funktion des Anzapfanteils herleiten. Man findet nach einigen Umformungen 1 0 V 0 D 0 0 .0 / 1 .2 0 / (3.53) wobei 0 der thermische Wirkungsgrad ohne Vorwärmung ( D 0) und V den Kreisprozess mit Vorwärmung darstellt. Der optimale Anzapfanteil ergibt sich unter diesen Annahmen nach Gl. 3.53 zu jopt D 0 2 0 (3.54) Werden höhere Anzapfanteile als nach Gl. 3.54 gewählt, so nimmt die Erhöhung des Wirkungsgrades durch die Anzapfung wieder ab. Nach Gl. 3.53 kann es bei wesentlich höheren Anzapfmengen sogar zu einer Verschlechterung des thermischen Wirkungsgrades durch die Anzapfung kommen. In der Regel werden bei großen Dampfkraftwerken mehrere Vorwärmstufen eingesetzt, deren einzelne Anzapfanteile im Bereich jeweils 3–6 % des Frischdampfmassenstroms betragen. Zusammen strömt daher nur rund 60 % des Frischdampfmassenstroms durch die letzte Stufe eines großen Kondensationskraftwerks mit regenerativer Speisewasservorwärmung. Dies entlastet konstruktiv die Endstufenauslegung für die NiederdruckDampfturbinen, da die Zunahme des Volumenstroms aufgrund des stark angewachsenen spezifischen Volumens v des Abdampfes durch eine Verringerung des Massenstroms teilweise kompensiert werden kann. Der Gesamtwirkungsgrad eines Kraftwerks ist stets Gegenstand der Optimierung. Für die regenerative Vorwärmung bedeutet dies, dass bei einer hohen Anzahl n von Vorwärmeinheiten der thermische Wirkungsgrad des Kreisprozesses th bei Realisierung einer relativ hohen Kesseleintrittstemperatur TV optimal wird. Das führt allerdings für einen fossil befeuerten Kessel dazu, dass sich das Rauchgas nicht mehr als bis zu dieser relativ hohen Temperatur abkühlen kann. Für den Wärmeerzeuger würde dies entsprechend hohe Kaminverluste nach sich ziehen, die den Gesamtwirkungsgrad des Kraftwerkes wieder reduzieren würden. In diesem Fall wird das Rauchgas daher energetisch zur Vorwärmung der eintretenden Verbrennungsluft verwendet, damit für das Gesamtsystem tatsächlich eine optimale Auslegung resultiert. 116 S. aus der Wiesche Die Vorwärmung der eintretenden Luft vor der Verbrennung durch das Rauchgas kann bei einem kombinierten Gas- und Dampfkraftprozess nicht durchgeführt werden, da die Wärmezufuhr in der Brennkammer der Gasturbine erfolgt und hier eine weitere Vorwärmung der Luft sehr nachteilig für den Gasturbinenprozess ist [SAR2015]. Aus diesem Grund resultiert für einen unbefeuerten Abhitzekessel eines kombinierten Kraftwerksprozesses durch eine forcierte regenerative Speisewasservorwärmung kein Vorteil. Diese Art von Dampfkraftprozessen arbeitet daher nur mit einer minimalen Vorwärmung, die meist für Entgasungszwecke im Bereich von rund 60 ı C durchgeführt wird [KEH2009]. Auf die entsprechende Prozessführung bei kombinierten Gas- und Dampfkraftprozessen wird nachfolgenden noch näher eingegangen. 3.6 Großkraftwerke auf Basis von Kohle Das grundsätzliche Anlagenschema eines klassischen Kohlekraftwerks ist in Abb. 3.21 anhand eines vereinfachten Wärmeschaltplans für eine typische konservative Ausführung dargestellt. Als wirkungsgradsteigernde Maßnahmen kann die einfache Zwischenüberhitzung sowie die Wahl von 7 Oberflächenvorwärmeinheiten aus Abb. 3.21 abgelesen werden. Der Speisewasserbehälter mit Entgaserfunktion ist als Mischvorwärmer zwischen den Niederdruck- und den Hochdruckvorwärmeinheiten geschaltet. In Abb. 3.21 sind ausgewählten Prozessparameter und insbesondere die Frischdampfzustände eingetragen. Der thermische Wirkungsgrad des Dampfkraftprozesses beträgt bei dem in Abb. 3.21 gezeigten Beispiel D 41 %. Kraftwerke nach Art des in Abb. 3.21 gezeigten Beispiels sind seit den 1950er-Jahren verfügbar und repräsentativ für die Mehrzahl der weltweit eingesetzten Kohlekraftwerke. Längere Zeit blieben bei Großkraftwerken aus Wirtschaftlichkeitsgründen die Frischdampfparameter im Bereich von tFD D 530 ı C und pFD D 200 bar begrenzt, was auf Netto-Wirkungsgrade um D 36–38 % führt [STE1988]. Durch eine Vielzahl von Fortschritten konnten die Wirkungsgrade der modernen Kohlekraftwerke signifikant im Laufe der Jahrzehnte erhöht werden. In Abb. 3.22 sind die Verbesserungen des Nettowirkungsgrades aufgrund von einzelnen technischen Maßnahmen in ihrer Größenordnung graphisch veranschaulicht. Die Senkung des Luftüberschusses bei der Verbrennung führt zu einer Erhöhung der mittleren Rauchgastemperatur, die sich exergetisch positiv auswirkt. Ebenso wirkt sich eine Senkung der Kamintemperatur von 130 auf 120 ı C günstig aus. Ein sehr großes Potential weist die Erhöhung der Frischdampfzustände auf. Durch den Einsatz von teureren Werkstoffen werden heute für ausgewählte Anlagen wieder fortgeschrittenere Temperaturen im Bereich von 600 ı C und überkritische Drücke gewählt [LEY2007]. Diese Anlagen weisen teilweise anstelle der einfachen, die doppelte Zwischenüberhitzung auf, was auch bezüglich der Endnässe vorteilhaft ist. Hauptgrund für diese Entwicklung zu effizienteren Kraftwerken ist die CO2 -Problematik, die einen nicht unerheblichen politischen Druck auf die Betreiber von Kohlekraftwerken ausübt. Die Absenkung des 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 117 Abb. 3.21 Wärmeschaltplan für ein klassisches Kohlekraftwerk (aus Schulungsunterlagen des VGB) Kondensatordruckes am „kalten Ende“ des Dampfkraftprozesses von pK D 0;065 bar auf Werte bis zu pK D 0;03 bar, was einer Sättigungstemperatur von tK D 24 ı C entspricht, wirkt sich sehr stark auf den Wirkungsgrad aus. Diese Maßnahme formuliert allerdings hohe Ansprüche an den Kondensator und an die Rückkühlanlage. Zudem erhöht sich bei diesen niedrigen Dampfdrücken der in den Endstufen der Dampfturbine zu verarbeitenden Volumenstrom massiv, was auf technische Herausforderungen für den Dampfturbinenbau führt. Andererseits zeigt sich bei der Analyse des 118 S. aus der Wiesche Abb. 3.22 Auswirkung der Maßnahme zur Erhöhung des Netto-Wirkungsgrades eines Kohlekraftwerks (nach Angaben aus [TER2001]) „kalten Endes“ von bestehenden Dampfkraftwerken, dass häufig hier noch interessante Optimierungsreserven liegen können [STE1988]. In Tab. 3.1 sind die technischen Daten eines modernen Braunkohlekraftwerkes (Braunkohle mit optimierte Anlagentechnik BoA) zusammengefasst, die den Stand der Technik aus dem Jahre 2000 repräsentiert. Die heute verfügbaren und erprobten Maßnahmen zur Erhöhung der Netto-Wirkungsgrade von Kohlekraftwerken gestatten Werte von über D 45 % bezogen auf den unteren Heizwert. Prinzipiell würden zukünftige Kraftwerke, die mit 700 ı C-Temperaturen arbeiten, sogar Wirkungsgrade in der Größenordnung von 50 % aufweisen können [LEY2007]. Ob allerdings solche Kraftwerke aufgrund ihrer hohen Investitionskosten wirtschaftlich rentabel betrieben werden könnten, ist derzeit eher fraglich. Anderseits würde eine solche fortschrittliche Kohleverstromung ein bislang ungenutztes hohes Potential zur Reduzierung des CO2 -Ausstoßes ausnutzen. Eine Orientierung, welches Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkungsgrad für ein kohlebefeuertes Kraftwerk derzeit marktfähig ist, kann das im Jahre 2013 fertiggestellte US-Kraftwerk „John W. Turk, Jr.“ geben. Dieses 600-MW-Kraftwerk arbeitet mit einem Dampfzustand vor dem HD-Turbineneintritt von 3500 psig und 1110 ı F (241 bar und 599 ı C) und einer einfachen Zwischenüberhitzung mit 736 psig und 1125 ı F (51 bar und 607 ı C), was im Sommer bei einem Kondensatordruck von pK D 3;15 inch Hg (107 mbar) einen Netto-Kraftwerkswirkungsgrad von D 39–40 % ermöglicht [PEL2013]. Der zunächst einmal relativ hoch erscheinende Kondensatordruck ergibt sich aus der eingesetzten Rückkühlanlage und den Standortbedingungen. 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 119 Tab. 3.1 Technische Daten eines modernen Braunkohlekraftwerkes Prozessparameter Anlagenschema Dampfparameter Dampferzeuger Feuerungsleistung Dampferzeuger Wärmeleistung Dampferzeuger Nutzleistung Turbosatz Elektrische Klemmenleistung Abgegebene elektrische Leistung Elektrischer Eigenbedarf Turbospeisepumpenleistung Netto-Wirkungsgrad Daten Einfache Zwischenüberhitzung Turbosatz: HD–MD–ND (6-flutig) 4 ND-Vorwärmer, 2 HD-Vorwärmer (tV D 270 ıC) pFD D 260 bar und tFD D 550 ıC pZÜ D 46;5 bar und tFD D 580 ıC Kondensatordruck pK D 0;0342 bar (x D 0;884) Kesseleintrittsdruck 311,2 bar Braunkohle mit Hu D 9700 kJ/kg Luftzahl D 1;15 Kesselwirkungsgrad K D 92;6 % Dampfmassenstrom 3334 t/h 1732 MW 1600 MW 894,3 MW 880,0 MW 835,4 MW 44,6 MW 26,6 MW 42,8 % (entspricht Wärmebedarf 8416,4 kJ/kWh) 3.7 Dampfkrafttechnische Auslegung von Kernkraftwerken Die Auslegung der Dampfkraftprozesse bei Kernkraftwerken unterscheidet sich deutlich von denen der fossil befeuerten Anlagen. Grund hierfür sind die bei den heute dominierenden Leichtwasserreaktoren auftretenden Frischdampfzustände, die im Bereich von 50 bis 70 bar und Temperaturen um 320 ı C liegen [STR2009, SMI1976]. Man spricht daher auch von Sattdampfprozessen, da die entsprechenden Expansionsverläufe in den Turbinen größtenteils nahe der Sättigungslinie im Nassdampfgebiet verlaufen. Dies führt neben dem Problem der Nässe in den Turbinenstufen unmittelbar zu nur mäßigen thermodynamischen Mitteltemperaturen, was die Begrenzung der thermischen Wirkungsgrade von Leichtwasser-Kernkraftwerken auf Werte zwischen D 33–36 % erklärt. Anhand des in Abb. 3.23 gezeigten Vergleichs der Prozessverläufe im T,s-Diagramm können leicht die wesentlichen dampfkrafttechnischen Unterschiede zwischen einem typischen unterkritischen fossilen Dampfkraftprozess und einem Kernkraftwerksprozess verdeutlicht werden. Bei einem fossil befeuerten Dampfkraftprozess liegen die Frischdampfzustände wesentlich höher als bei einem Leichtwasserreaktor-Kernkraftwerk. Das Konzept der einfachen Zwischenüberhitzung führt bei einem fossil befeuerten Kraftwerk aufgrund der höheren thermodynamischen Mitteltemperatur TmZÜ der Zwischenüberhitzung gegenüber der Mitteltemperatur TmHD des Hochdruck-Teilprozesses zu einer Erhöhung des thermischen Wirkungsgrades. 120 S. aus der Wiesche Abb. 3.23 Vergleich der Prozessführungen: a fossil befeuert und b Leichtwasserreaktor-Kraftwerk Bei dem in Abb. 3.23 gezeigten Prozessverlauf für einen Sattdampfprozess eines Kernkraftwerkes führt die Zwischenüberhitzung sogar zu einer leichten Verschlechterung des thermischen Wirkungsgrades, da diese die Mitteltemperatur der Wärmeaufnahme leicht absenkt. Sie wird aufgrund ihres sekundären Vorteils, nämlich der Vermeidung von unvertretbar hohen Werten der Dampfnässe, angewendet [BOH1985]. Die Prozessführung bei einem Leichtwasserreaktor-Kernkraftwerk erfordert während des Expansionsverlaufes Maßnahmen zur Wasserabscheidung, um Werte von 10 % Nässe nicht zu überschreiten. Hierfür wird neben einer mechanischen Entwässerung auch die Zwischenüberhitzung verwendet. Um das zweimalige Führen von Dampf durch Reaktorsicherheitsbehälter zu vermeiden, findet die Zwischenüberhitzung des teilexpandierten Dampfes bei Kernkraftwerken mit einem Teil des Frischdampfes in einem Wärmeübertrager statt. Der damit verbundene Exergieverlust muss sorgfältig mit den anlagentechnischen Vorteilen abgewogen werden. Der nur mäßige thermische Wirkungsgrad und vor allem die hohen spezifischen Anlagenkosten führen dazu, dass die Wirtschaftlichkeit eines Kernkraftwerkes nur bei verhältnismäßig großen Nennleistungen im Bereich von 1300 MW gegeben ist. Ein vereinfachter Wärmeschaltplan eines Kernkraftwerks mit Druckwasserreaktor ist in Abb. 3.24 gezeigt. Der Reaktor hat eine thermische Leistung von über 3700 MWth , und wird durch den Primärkreislauf gekühlt. In einem Dampferzeuger wird der Wärmestrom auf den Sekundärkreislauf, der mit Frischdampf von rund 54 bar arbeitet, übertragen. Zwischen den HDund ND-Teilturbinen findet eine Zwischenüberhitzung und eine Wasserabscheidung statt. Auch beim Kernkraftwerksprozess kann der thermische Wirkungsgrad durch Anwendung der mehrstufigen regenerativen Vorwärmung erhöht werden. 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 121 Abb. 3.24 Vereinfachter Wärmeschaltplan eines 1300 MW-Kernkraftwerks mit Druckwasserreaktor (Angaben entsprechen dem Kernkraftwerk Biblis B) 3.8 Kombinierte Gas- und Dampfkraftprozesse Die Kombination eines Gasturbinenprozesses (topping cycle) mit einem nachgelagerten Dampfkraftprozess (bottoming cycle), der seine Wärme durch einen Abhitzekessel erhält, ist aus thermodynamischer Sicht geeignet, die exergetischen Nachteile der beiden Einzelprozesse mit ihren Vorteilen zu kompensieren. Der vereinfachte Wärmeschaltplan einer solchen Anlage ist in Abb. 3.25 schematisch dargestellt. Die hohe Exergie des Abgases der Gasturbine, dessen Temperatur bei typischen Ausführungen im Bereich von 500 bis 650 ı C liegt, kann für die Erzeugung von attraktiven Frischdampfzuständen im Abhitzekessel effizient genutzt werden. Umgekehrt besteht die Abwärme des nachgelagerten Dampfkraftprozesses aufgrund der geringen Kondensatordrücke praktisch nur aus Anergie, so dass zusammen mit dem hohen Temperaturniveau bei der Wärmeaufnahme in der Gasturbine der Gesamtwirkungsgrad der kombinierten Gas- und Dampfkraftanlage sehr attraktiv werden kann. Der hohe thermische Wirkungsgrad des kombinierten Prozesses kann leicht anhand der nachfolgenden Analyse begründet werden. Der thermische Wir- 122 S. aus der Wiesche Abb. 3.25 Vereinfachter Wärmeschaltplan einer kombinierten Gas- und Dampfkraftanlage kungsgrad des kombinierten Prozesses ergibt sich aus den beiden Nutzleistung für die Gasturbine und den Dampfkraftprozess sowie dem eingesetzten Brennstoffstrom gemäß GTCDT D jPGT j C jPDT j : m P B;GT Hu;GT C m P B;DT Hu;DT (3.55) In Gl. 3.55 wurde explizit die Möglichkeit einer Zusatzfeuerung für den Dampfkraftprozess berücksichtigt. Den Anteil der Zusatzfeuerung kann durch den Faktor bD m P B;DT Hu;DT m P B;GT Hu;GT (3.56) erfasst werden, der das Verhältnis der zugeführten Wärmeleistung aufgrund der Zusatzfeuerung und der Gasturbine darstellt. Der Fall b D 0 entspricht einem Abhitzekessel ohne Zusatzfeuerung. Die thermischen Wirkungsgrade der beiden Einzelprozesse sind jeweils durch GT D jPGT j m P B;GT Hu;GT (3.57) DT D jPDT j QP zu;DT (3.58) 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 123 gegeben. Als Ausnutzungsgrad A des Abhitzekessels definiert man das Verhältnis A D QP zu;DT P A .hA .tA / hA .t0 // QP zu;DT C m : (3.59) Die Abgastemperatur tA beim Kaminaustritt liegt zur Vermeidung von Korrosion im Bereich von 70 bis 100 ı C. Eine Leistungsbilanz unter Einbeziehung der obigen Beziehungen ergibt für die Gasturbine mit Abhitzekessel P B;DT Hu;DT D jPGT j C QP zu;DT C m P A .hA .tA / hA .t0 //; m P B;GT Hu;GT C m (3.60) woraus nach Umformungen für den thermischen Wirkungsgrad des kombinierten Prozesses GTCDT D A DT C GT .1 A DT / 1Cb (3.61) folgt. Thermodynamisch verringert die Zusatzfeuerung den thermischen Wirkungsgrad der kombinierten Anlage, so dass man bei Großkraftwerken heute oft b D 0 wählt, woraus aus Gl. 3.61 die häufig verwendete Beziehung GTCDT D GT C A DT .1 GT / (3.62) resultiert. Der thermische Wirkungsgrad des kombinierten Prozesses liegt über dem des einfachen Gasturbinenprozesses und des Clausius-Rankine-Prozesses. Aufgrund der Ausnutzung im Abhitzekessel und der von den Abgaszuständen abhängenden Beziehungen für den thermischen Wirkungsgrad DT des Dampfkraftprozesses gibt es ein Optimum, was man nicht durch eine bloße Maximierung des Gasturbinenwirkungsgrades GT erreicht. Bei der Konzeption eines kombinierten Gas- und Dampfturbinenkraftwerks steht die Optimierung des Gesamtwirkungsgrades im Vordergrund, woraus sich die Anforderungen an die Einzelprozesse sowie den Abhitzekessel ergeben. Aufgrund der hohen Wirkungsgrade und der wirtschaftlichen Vorteile haben sich in der Vergangenheit kombinierte Gas- und Dampfkraftprozesse weltweit seit den 1990er-Jahren massiv bei Neubauprojekten durchsetzen können [KEH2009]. Anlagentechnisch spricht man bei dem in Abb. 3.25 gezeigten Dampfkraftprozess auch von einem Eindruck-Prozess, der im Wesentlichen einem einfachen Clausius-RankineProzess entspricht. Bei kombinierten Kraftwerksprozessen wird auf die forcierte Anwendung der regenerativen Speisewasservorwärmung verzichtet, da eine starke Anhebung der Kesseleintrittstemperatur die Kaminverluste im Abhitzekessel vergrößern würde. Im Gegensatz zu einem rein fossil befeuerten Dampfkraftwerk kann dieser Verlust nicht durch 124 S. aus der Wiesche eine Vorwärmung der Lufteintrittstemperatur kompensiert werden. Die in Abb. 3.25 gezeigte Anzapfung dient maßgeblich der Entgasung im Speisewasserbehälter. Dessen Temperaturniveau liegt üblicherweise bei rund 60 ı C, was somit auch der Kesseleintrittstemperatur entspricht. Die Vermeidung der regenerativen Speisewasservorwärmung bei kombinierten Gas- und Dampfkraftwerken kann auch direkt mit Gl. 3.55 begründet werden. Eine Maximierung der Leistung PDT des Dampfkraftprozesses wirkt sich positiv auf den Gesamtwirkungsgrad aus, was nur durch eine Vermeidung von Anzapfdampfströmen erfüllt werden kann. Aufgrund der hohen Abgastemperaturen der Gasturbinen können für den nachfolgenden Dampfkraftprozess Frischdampftemperaturen erreicht werden, die in der Größenordnung von reinen fossil-befeuerten Dampfkraftwerken liegen. Man wählt aber bei einem kombinierten Dampfkraftprozess deutlich niedrigere Frischdampfdrücke. Dies liegt daran, dass sich bei hohen Frischdampfdrücken zwar der Teilwirkungsgrad DT verbessern kann, aber insgesamt für den Gesamtwirkungsgrad des kombinierten Eindruck-Prozesses aufgrund der schlechteren exergetischen Ausnutzung im Abhitzekessel eine Verschlechterung resultiert. Näheres hierzu kann der Literatur [KEH2009, DOL2001, BOY2010] entnommen werden. Eine Verbesserung des Wirkungsgrades des kombinierten Prozesses kann durch die Wahl eines Mehrdruck-Prozesses für die Dampfkraftanlage ermöglicht werden. Ein Beispiel für einen Dreidruck-Prozess zeigt der in Abb. 3.26 gezeigte Wärmeschaltplan. Bei diesem Dreidruck-Prozess wird der Dampfturbine Dampfmassenströme bei drei verschiedenen Drücken zugeführt. Der Dampfmassenstrom nimmt bei einem solchen Prozess mit der Entspannung zu, im Gegensatz zu den Prozessen mit regenerativer Speisewasservorwärmung und entsprechenden Anzapfstellen. Die Wahl von drei Drücken hilft, die exergetische Ausnutzung des Gasturbinenabgases im Abhitzekessel zu erhöhen. Zu beachten ist aber, dass bei diesem Beispiel die zusätzlichen Dampfmassenströme relativ klein im Vergleich zum Hochdruckdampf sind. Die dadurch möglichen Verbesserungen des Gesamtwirkungsgrades des kombinierten Kraftwerks müssen sorgfältig mit der Erhöhung der Anlagenkomplexität und des Investitionsaufwandes abgewogen werden. In der Praxis macht es daher keinen Sinn, mehr als drei Drücke zu wählen. Auch sind die resultierenden Wirkungsgradverbesserungen des Dreidruck-Prozesses ohne Zwischenüberhitzung, wie er in Abb. 3.26 gezeigt ist, bezüglich eines Zweidruck-Prozesses nur marginal. Eine signifikante Verbesserung kann bei Wahl eines Dreidruck-Prozesses mit Zwischenüberhitzung realisiert werden. Ein Beispiel für einen entsprechenden Wärmeschaltplan zeigt Abb. 3.27. Das Konzept des Dreidruck-Prozesses ist hier durch eine volle Zwischenüberhitzung erweitert worden. Bei Mehrdruck-Prozessen ergeben sich im Entspannungsverlauf in der Dampfturbine im T,s-Diagramm qualitative Unterschiede im Vergleich zu denen von klassischen Kohlekraftwerken. Hintergrund hierfür ist das Vermeiden der regenerativen Speisewasservorwärmung bei einem nachgeschalteten Dampfkraftprozess und die Wahl von mehreren Druckstufen im Abhitzekessel. Zudem unterscheidet man bei Mehrdruck-Prozessen die volle Zwischenüberhitzung (Abb. 3.27) von der milden Zwischenüberhitzung, wie sie bei einem Mehrdruckprozess 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 125 Abb. 3.26 Wärmeschaltplan einer kombinierten Gas- und Dampfkraftanlage mit einem Dreidruck-Prozess ohne Zwischenüberhitzung ohne Zwischenüberhitzung auftritt (Abb. 3.26). Die beiden Arten der Zwischenüberhitzung bei einem Dreidruck-Prozess sind anhand von Entspannungsverläufen im T,sDiagramm schematisch in Abb. 3.28 vergleichend dargestellt. In Abb. 3.28 stellt Teil a den Fall der milden Zwischenüberhitzung dar, wie er beim Dreidruck-Prozess von Abb. 3.26 aufgrund der Zumischung des Mitteldruckdampfes (MD) auftritt. Die Zumischung des Niederdruckdampfes (ND) bei rund 5 bar führt zu einem Verschieben des Niederdruckexpansionsanfangs. Die milde Zwischenüberhitzung hat zwar einen positiven Effekt auf die resultierende Endnässe, da allerdings bei dem in Abb. 3.26 gezeigten Dreidruckprozess kein Niederdruck-Überhitzer vorhanden ist, wird dieser Vorteil im Niederdruckteil wieder relativiert. Die in Abb. 3.28 in Teil b gezeigte volle Zwischenüberhitzung führt zu einer signifikanten Verringerung der Endnässe, was ebenfalls als Vorteil des in Abb. 3.27 gezeigten Anlagenschemas gewertet werden kann. 126 S. aus der Wiesche Abb. 3.27 Wärmeschaltplan einer kombinierten Gas- und Dampfkraftanlage mit einem Dreidruck-Prozess mit Zwischenüberhitzung Abb. 3.28 Zwischenüberhitzung bei Dampfkraftprozessen in kombinierten Gas- und Dampfkraftwerken: a Milde Zwischenüberhitzung b Volle Zwischenüberhitzung bei einem Dreidruck-Prozess 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 127 3.9 Dampfkraftprozesse mit Kraft-Wärme-Kopplung Bei der Erzeugung elektrischer Energie durch Wärmekraftmaschinen fallen aufgrund der begrenzten thermischen Wirkungsgrade große Abwärmeströme an, die durch Rückkühlwerke aufwendig in die Umgebung abgeführt werden müssen. Bei einem ausschließlich auf die Erzeugung von elektrischer Leistung ausgelegten Kraftwerk ist diese Abwärme aber exergetisch wertlos und stellt einen reinen Ballast dar. Sehr häufig werden aber neben elektrischer Energie auch Heiz- oder Prozesswärmeströme von Verbrauchern angefordert, so dass es konzeptionell nahe liegt, die Abwärme einer Wärmekraftmaschine hierfür zu nutzen. Ein Kraftwerk, das gleichzeitig elektrische Energie und Nutzwärme erzeugt, wird Heizkraftwerk genannt. Die gleichzeitige Erzeugung der beiden Energieformen bezeichnet man auch als Kraft-Wärme-Kopplung. Zur Maximierung des thermischen Wirkungsgrades wird bei Kondensationsdampfkraftwerken eine Minimierung des Kondensatordruckes und somit auch der Abdampftemperatur angestrebt. Abwärmeströme, deren Temperaturniveau nahe bei der Umgebungstemperatur liegen, weisen praktisch nur Anergie auf und können nicht sinnvoll genutzt werden. Andererseits kann der Abdampfdruck bewusst höher gewählt werden, so dass die Abwärme bei einem für Heiz- und Prozesswärmeanwendungen attraktiven Temperaturniveau erfolgen kann. In diesem Fall spricht man anstelle von einer Kondensationsdampfturbine auch von einer Gegendruckdampfturbine. Bei dieser findet nach der Überhitzung nur eine Teilentspannung statt, was konstruktiv für die Dampfturbine aufgrund der deutlich geringeren Volumenströme in den Endstufen ebenfalls vorteilhaft ist. Eine weitere Möglichkeit, aus einem Dampfkraftprozess Nutzwärme bzw. Prozessdampf zu gewinnen, ist durch den Einsatz von Entnahmedampfturbinen möglich. Bei diesen wird der Bedarf des Heizkreislaufs durch eine geregelte Dampfentnahme gedeckt. Der Restdampf wird in den nachfolgenden Turbinenstufen entspannt. Die Heizwärmeauskopplung kann bei einer Entnahmedampfturbine mit Hilfe von Heizkondensatoren erfolgen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Vorwärmern der regenerativen Speisewasservorwärmung haben. Im letzteren Fall dient aber der Anzapfdampf der Erhöhung des thermischen Wirkungsgrades des Kraftwerkes und wird exergetisch im Dampfkraftprozess genutzt. Im Gegensatz hierzu reduziert die Entnahme von Dampf für Bereitstellung von Nutzwärme den elektrischen Wirkungsgrad. Die drei Grundformen von einfachen Dampfkraftprozessen sind in Abb. 3.29 anhand ihrer zugehörigen Wärmeschaltbilder gezeigt. In Abb. 3.29 ist in Teil a der einfache Clausius-Rankine-Prozess ohne Restwärmenutzung dargestellt. Bei der Entnahmedampfturbine (Abb. 3.29, Teil b) kann für einen Verbraucher direkt Prozessdampf ausgekoppelt werden. Wird nur Nutzwärme benötigt, so kann in einem Heizkondensator der Entnahmedampf exergetisch verwertet werden. Bei der in Teil c gezeigten Gegendruckdampfturbine hängt der Gegendruck vom gewünschten Temperaturniveau im Heizkreislauf ab. Diese Anlagenform ist früher häufiger eingesetzt worden. Heute wird sie eher vermieden, da üblicherweise das Verbrauchsverhalten bezüglich elektrischer Energie und Wärme nicht konstant ist. 128 S. aus der Wiesche Abb. 3.29 Gegenüberstellung von einfachen Dampfkraftprozessen. a Kondensationsdampfturbine, b Entnahmedampfturbine, c Gegendruckdampfturbine Bei wechselnden Anforderungen bieten Entnahmedampfturbinen Vorteile bezüglich ihrer Wirkungsgrade und der Flexibilität. Andererseits können Gegendruckdampfturbinen im Vergleich zu Kondensationsdampfturbinen relativ preiswert gebaut werden, da die teuren Endstufen entfallen [TER2001]. Entnahmedampfturbinen besitzen im Gegensatz zu Kondensationsdampfturbinen noch ein Regelventil für den Entnahmedampf. Bei der regenerativen Speisewasservorwärmung spricht man von einer Anzapfung (im Gegensatz zu einer Entnahme), weil hierfür keine Druckregelung erforderlich ist. Zu beachten ist, dass im anschließenden Niederdruckteil die Entnahmedampfturbine nicht ventilieren darf, da dies zu unzulässigen Erwärmungen bis hin zum Anschmelzen des Materials führen kann (siehe Kap. 13). Die Niedertruckteile einer Entnahmedampfturbine können für den Kondensations- oder den Gegendruckbetrieb ausgelegt werden. In Abb. 3.29b wurde eine Entnahme-Kondensationsdampfturbine gezeigt. In diesem Fall müssen wegen des reduzierten Abdampfmassenstroms die Strömungsquerschnitte im Turbinenaustrittsbereich nicht so stark zunehmen, wie bei reinen Kondensationsdampfturbinen (siehe Abb. 3.29a). 3.9.1 Kenngrößen für Kraft-Wärme-Kopplungen Heizkraftwerke liefern zwei Produkte, nämlich elektrische Energie und Nutzwärme. Aus diesem Grunde reicht für ihre Charakterisierung die Angabe einer Kenngröße nicht aus. Eine häufig verwendete Kenngröße ist der Nutzungsfaktor ˇ ˇ jPel j C ˇQP N ˇ ; (3.63) !N D m P Br Hu der nicht mit einem thermischen Wirkungsgrad verwechselt werden darf, da in der Definition Gl. 3.63 zwei exergetisch unterschiedliche Größen im Zähler mit einander ver- 3 Thermodynamik der Dampfkraftprozesse 129 bunden sind. Es können in Heizkraftwerken leicht Nutzungsfaktoren von deutlich über 80 % realisiert werden. Neben dem Nutzungsfaktor kann die Stromausbeute !el D jPel j ; m P Br Hu (3.64) verwendet werden. Diese entspricht formal zwar einem thermischen Wirkungsgrad, aber für Heizkraftwerke ist dies Angabe alleine nicht sinnvoll. Die Stromzahl jPel j !Dˇ ˇ ˇQP N ˇ (3.65) kann ebenfalls als Kenngröße für Heizkraftwerke herangezogen werden. In den USA ist die sog. PURPA Efficiency !PURPA ˇ ˇ jPel j C 12 ˇQP N ˇ D m P Br Hu (3.66) gebräuchlich, bei der der Nutzwärmestrom gegenüber der elektrischen Leistung durch den Faktor 1=2 formal abgewertet ist [BOY2010]. Als formale Grenzfälle ergeben sich aus den obigen Definitionen direkt die Beziehungen für das reine Kraftwerk bzw. Heizwerk. Die Bewertung der Fernwärme unterliegt in Deutschland einem aufwendigen Regelwerk, auf das an dieser Stelle nur hingewiesen werden soll. 3.9.2 Mehrstufige Vorwärmsäulen Bei einem klassischen Heizkraftwerk ist der dominierende Anwendungsfall meist die Bereitstellung von Heißwasser. Zur Reduzierung von exergetischen Verlusten aufgrund der endlichen Temperaturdifferenz setzt man hierfür bevorzugt mehrstufige Vorwärmsäulen ein, deren Prinzip in Abb. 3.30 anhand eines Beispiels mit drei Stufen veranschaulicht ist. Der gesamte Frischdampfmassenstrom m P F teilt sich dabei in die drei Teilmassenströme P E2 und m P G auf. In den Vorwärmstufen wird das eintretende Prozesswasser insgem P E1 , m samt von der Rücklauftemperatur tR auf die Vorlauftemperatur tV erwärmt. Dampfseitig liegt in den Vorwärmstufen die zu den Drücken entsprechenden Sättigungstemperaturen an. Für eine vorgegebene Gesamtwärmeabgabe QP H müssen die einzelnen Temperaturstufen Ti der Vorwärmsäulen anhand einer exergetischen Optimierung ermittelt werden. Hierfür ist die Minimierung des Gesamtexergiestroms des abgeführten Wärmestroms EP Q D QP H X i Tu qi 1 Ti (3.67) 130 S. aus der Wiesche Abb. 3.30 Klassisches Heizkraftwerk mit mehrstufiger Vorwärmsäule: Wärmeschaltbild (a) und Temperaturverlauf (b) maßgeblich. In Gl. 3.67 bezeichnet qi den i-ten Anteil des Wärmestroms. Es gilt für die Anteile die Normierungsbedingung X qi D 1: (3.68) i Nimmt man eine für alle Stufen i konstante Grädigkeit T für die Wärmeübertragung vom Dampf auf das Prozesswasser an, so ergibt die Minimierung von Gl. 3.61 unter Beachtung der Nebenbedingungen die einfache Relation T2 Tn T1 D D ::: D : T0 T1 Tn1 (3.69) Über die Dampfdruckkurve können nach der Bestimmung der Temperaturstufen Ti direkt die zugehörigen Drucke pi ermittelt werden. Mit den Bezeichnungen Tn D TV C T und T0 D TR C T gilt aufgrund von Gl. 3.69 auch mit der Anzahl n der Vorwärmstufen Ti D Ti 1 Tn T0 1=n : (3.70) 3.9.3 Kraft-Wärme-Kopplung bei Großkraftwerken Besteht ein hoher Bedarf an Prozesswärme, so bietet sich eine großtechnische Ausführung eines Heizkraftwerkes an. Im Gegensatz zu den kleineren Ausführungen nutzt man bei großtechnischen Ausführungen die Vorwärmstufen des Dampfkreislaufs auch für die Auskopplung der Prozesswärme. Dies ist anhand eines Ausführungsbeispiels in Abb. 3.31 illustriert. Heizkraftwerke dieser Art können sehr flexibel auf sich verändernde Leistungs- bzw. Wärmestromanforderungen reagieren. Das in Abb. 3.31 gezeigte Heizkraftwerk hat im Falle der reinen Stromerzeugung eine Nennleistung von 390 MW (elektrisch), die auf 360 MW (elektrisch) Literatur 131 Abb. 3.31 Schaltschema eines größeren Heizkraftwerks zur Auskopplung von Fernwärme und Prozessdampf (aus [KUG1990]) bei gleichzeitiger Abgabe einer thermischen Wärmeleistung von 295 MW sinkt. Es wird Fernwärme auf zwei Fernwärmeschienen angeboten (rechts in Abb. 3.31 gezeigt). Daneben stellt die in Abb. 3.31 gezeigte Anlage auch Prozessdampf bei 4 bar bereit. Literatur [BAE1996] Baehr, H.D.: Thermodynamik, 9. Aufl. Springer, Berlin (1996) [BOH1982] Bohn, T. (Hrsg.): Grundlagen der Energie- und Kraftwerkstechnik. Handbuchreihe Energie, Bd. 1. Technischer Verlag Resch, Köln (1985) [BOH1985] Bohn, T. (Hrsg.): Konzeption und Aufbau von Dampfkraftwerken. Handbuchreihe Energie, Bd. 5. Technischer Verlag Resch, Köln (1985) [BOY2010] Boyce, M.P.: Handbook for Cogeneration and Combined Cycle Power Plants, 2. Aufl. 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Oft stellt sich die Aufgabe, eine bestehende Turbine weiter zu entwickeln oder aber grundlegende Versuche in einem anderen Maßstab durchzuführen. Die Übertragung der Ergebnisse auf die endgültige Ausführung erfolgt dann unter Zuhilfenahme der Ähnlichkeitstheorie über dimensionslose Kennzahlen. Stellenweise haben sich aber auch historisch begründete dimensionsbehaftete Darstellungen erhalten. Einleitend sollen die gängigsten Darstellungen zusammengestellt werden. 4.2 Kennzahlen Die komplexen, mehrdimensionalen Strömungszustände der Strömungsmaschinen lassen sich zur Auslegung der Maschinen nicht genügend genau theoretisch erfassen. Deshalb sind in der Regel Modellversuche erforderlich. Die Übertragung der in Modellversuchen gewonnenen Erkenntnisse bzw. die Erkenntnisse bekannter Ausführungen auf das Original, aber auch die Vorschrift, unter welchen geometrischen und strömungstechnischen Verhältnissen die Versuche durchzuführen sind, wird anhand von ÄhnlichkeitsbetrachtunF. Joos () Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg Hamburg, Deutschland E-Mail: joos@hsu-hh.de © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. aus der Wiesche, F. Joos (Hrsg.), Handbuch Dampfturbinen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20630-7_4 133 134 F. Joos gen bewerkstelligt. Die Modellgesetze der Ähnlichkeitstheorie bilden somit die Grundlage für das umfangreiche Versuchswesen. 4.2.1 Ähnlichkeitstheorie, dimensionslose Kennzahlen Um zwei Strömungsvorgänge einer Strömungsmaschine miteinander vergleichen zu können, müssen folgende Bedingungen bestmöglich erfüllt sein: Geometrische Ähnlichkeit Die zu vergleichenden Strömungsräume müssen hinsichtlich ihrer Längen-, Flächen-, und Raumabmessungen, sowie hinsichtlich der Oberflächenbeschaffenheit geometrisch ähnlich sein. In Tab. 4.1 sind die Bedingungen für die geometrische Ähnlichkeit zusammengefasst. Physikalische Ähnlichkeit Die zu vergleichenden Strömungen müssen hinsichtlich der auftretenden Geschwindigkeiten, Beschleunigungen, Kräfte und Stoffeigenschaften physikalisch ähnlich sein, siehe Tab. 4.2. Tab. 4.1 Geometrische Ähnlichkeit Strömung 1 Längen l1 Flächen A1 Volumina V1 Mittlere Rauigkeit k1 Geometrisch ähnlich, falls z. B.: Strömung 2 l2 A2 V2 k2 A1 A2 D l12 l22 ; V1 V2 D l13 k1 ; l23 k2 D l1 l2 Tab. 4.2 Physikalische Ähnlichkeit Strömung 1 Geschwindigkeit w1 Beschleunigung a1 Masse m1 Zeitskala 1 Kraft F1 Dichte 1 Dyn. Viskosität 1 Kin. Viskosität 1 Wärmekapazität cp1 Wärmeleitfähigkeit 1 Frequenz, Drehzahl f1 , n1 Physikalisch ähnlich, falls z. B.: Strömung 2 w2 a2 m2 2 F2 2 2 2 cp2 2 f2 , n2 a1 a2 D w1 2 a1 1 w2 ; a2 D w12 l2 m1 ; m2 l1 w22 D 1 V1 2 V2 D 1 l13 2 l23 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 135 Dimensionslose Kennzahlen Die Verknüpfung der einzelnen geometrischen und physikalischen Größen der zu vergleichenden Strömungen geschieht üblicherweise mittels dimensionsloser Kennzahlen. Diese Kennzahlen können auf folgenden Wegen hergeleitet werden: Verhältnis der relevanten physikalischen Phänomene An einer Strömung greifen im Allgemeinen Druckkräfte Fp , Trägheitskräfte Fa und Reibungskräfte FR an. Soll zwischen zwei Strömungen physikalische Ähnlichkeit bestehen, so muss das Verhältnis dieser Kräfte gleich sein: Fp1 Fa1 FR1 D D : Fp2 Fa2 FR2 (4.1) Wegen des Kräftegleichgewichtes, sind die drei Kräfte linear abhängig, so dass es genügt, wenn das Verhältnis zweier Kräfte gleich ist. Mit der Reibungskraft dwx (4.2) FR D A D A dy ergibt sich die proportionale Abhängigkeit FR A w l2 l w l l w: (4.3) Die Trägheitskraft Fa lässt sich ausdrücken durch Fa D m a D V a l 3 w2 l : (4.4) Durch Einsetzen der Kräfte aus Gl. 4.3 und 4.4 in Gl. 4.1, kürzen und umschreiben ergibt sich: l1 w1 l2 w2 D : (4.5) 1 Der so gewonnene Ausdruck lw v 2 stellt die dimensionslose Reynolds-Zahl (Re) dar Re D l w Reynolds-Zahl: (4.6) Auf analoge Weise erhält man die Sr D w l f (4.7) Strouhal-Zahl zur Beschreibung periodischer Phänomene, die Ma D c a (4.8) 136 F. Joos Mach-Zahl zur Beschreibung der Kompressibilität sowie die Ne D 2 E w2 A (4.9) Nernst-Zahl zur Beschreibung einer spezifischen Energie in Bezug zur kinetischen Energie: anhand einer Dimensionsanalyse, -Theorem: Auf die umfassende Theorie der Dimensionsanalyse soll hier nicht näher eingegangen werden, es sei u. a. auf [SPU1992] verwiesen. über die Herleitung der dimensionslosen Differentialgleichungen: Werden die das Problem beschreibenden Differentialgleichungen aufgestellt und entsprechend dimensionslos skaliert, so ergeben sich als dimensionslose Koeffizienten die Kennzahlen. 4.2.2 Spezielle Kennzahlen der Strömungsmaschinen Neben den bereits erwähnten Kennzahlen werden im Strömungsmaschinenbau historisch begründete, spezielle Formulierungen der dimensionslosen Kennzahlen verwendet. Reaktionsgrad r Der Reaktionsgrad kennzeichnet die Überdruckverteilung einer Stufe (d. h. Lauf- und Leitrad) der thermischen Turbomaschine. Er ist definiert als rD Laufrad Enthalpiedifferenz : Stufen Enthalpiedifferenz (4.10) Das Verhältnis der im Laufrad umgesetzten statischen isentropen Enthalpiedifferenz (h00s ) zu derjenigen der gesamten Stufe (h00s C h0s ) wird als isentroper Reaktionsgrad bezeichnet und ist durch h00s (4.11) rs D h0s C h00s definiert (vgl. Abb. 4.1 bzw. 4.2). Er lässt sich bei konstanter Wärmekapazität näherungsweise auch an Hand der Temperaturen (mit der Annahme T1 T1s ) schreiben rs D T2s T1 ; T2s T0 (4.12) falls cp D const. angenommen werden kann. Unterschieden werden Gleichdruck- (rs D 0) und Reaktionsturbinen (rs > 0). Die Bezeichnung stammt aus dem älteren Dampfturbinenbau. Hier kannte man nur zwei Stufentypen. Die Bauart mit rs D 0 wurde Aktions- oder Gleichdruckturbine genannt, da hier der Druck vor und hinter dem Laufrad gleich ist (wegen p2 =p1 D 1 folgt h00s D 0). 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 137 Abb. 4.1 h,s-Diagramm einer Turbinenstufe Daneben gab es die Reaktions- oder Überdruckstufe mit rs D 0;5, bei der in Lauf- und Leitrad das gleiche statische Gefälle abgebaut wird. Bei ihr ist der Druck vor dem Laufrad größer als hinter dem Laufrad, was zu der Namensgebung führte. Diese Einteilung ist allerdings nur bei ausschließlicher Betrachtung des Mittenschnitts gültig; bei den heutigen Turbinenstufen treten bei langen Schaufeln Reaktionsgradänderungen zwischen rs 0 (am Fuß) bis rs D 0;8 (am Kopf) auf. Natürlich wären auch bei den älteren Turbinen mit kurzen Schaufeln andere Reaktionsgrade als 0 oder 0,5 möglich gewesen; man hat sich aber meist auf diese beiden Typen beschränkt, weil man sich von rs D 0 kleine Spaltverluste (p2 D p1 ) und von rs D 0;5 (w2 c1 ) einen guten Umfangswirkungsgrad erhoffte. Bildet man formal wie in Gl. 4.11 das Verhältnis der wirklichen (verlustbehafteten, polytropen) Enthalpiedifferenzen, so erhält man den sogenannten „kinematischen“ Reaktionsgrad h00 : (4.13) rk D 0 h C h00 Unter Beachtung der Zusammenhänge, ersichtlich aus der Abb. 4.1 der Turbinenstufe c12 c2 D h0 C 0 ; 2 2 d. h. (4.14) h0 D c02 c12 2 2 (4.15) h0 D c02 c12 ; 2 2 (4.16) und 138 F. Joos d. h. h00 D w12 w22 u2 u2 C 2 1; 2 2 2 2 (4.17) kann man allgemein hierfür setzen rk D C w22 w12 C u21 u22 : C c12 c02 C w22 w12 C u21 u22 (4.18) Betrachten wir jetzt den häufig vorkommenden Fall der rein axial durchströmten Turbinenstufe und setzen außerdem voraus, dass die Axialgeschwindigkeit beim Durchgang durch das Gitter konstant bleibt und die Zuströmgeschwindigkeit c0 gleich der Abströmgeschwindigkeit c2 ist, d. h. dass folgende Bedingungen erfüllt sind: u1 D u2 ; cz1 D cz2 D wz1 D wz2 D cm1 D cm2 ; c0 D c2 ; (4.19) so lässt sich Gl. 4.18 vereinfachen zu rk D w22 w12 c12 c22 C w22 w12 : (4.20) Wie man sieht wird rk D 0, wenn jw2 j D jw1 j ist, also im Laufrad keine Beschleunigung stattfindet. Dann ist jedoch nicht exakt h00s D 0, sondern es liegt ein relativ kleines Druckgefälle am Laufrad an, eben gerade so viel, um die Strömungsverluste, die durch w2 00 D w22 beschrieben werden, auszugleichen. Trotzdem wird eine derartige Auslegung 2s als Gleichdruckstufe bezeichnet, obgleich sie eigentlich als Schwachreaktionsstufe gelten müsste. Der Nenner in Gl. 4.20 entspricht bis auf den Faktor 1/2 der Umfangsarbeit Lu der Axialturbine. Nach Abb. 4.2, das den Geschwindigkeitsplan einer mittleren Axialstufe 2 . Daraus folgt mit der Euler’schen Hauptgleichung (Turbine) zeigt, ist w 2 D wu2 C wm 1 2 c2 c12 C w12 w22 ; Lu D u .cu2 cu1 / D 2 2 2 wu2 wu1 .wu2 C wu1 / .wu2 wu1 / rk D D 2 u .cu2 cu1 / 2 u .cu2 cu1 / (4.21) (4.22) und nach Abb. 4.2 mit .cu1 cu2 / D .wu1 wu2 / rk D .wu2 C wu1 / w1u D 2u u (axiale Turbinenstufe) (4.23) w1 ist eine Geschwindigkeit, die in der Tragflügeltheorie von Bedeutung ist. Hier dient Gl. 4.23 gleichzeitig als Definitionsgleichung für w1u und damit analog für w1 . 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 139 Abb. 4.2 Geschwindigkeitsdiagramm der Turbinenstufe Die Definition der Strömungsgeschwindigkeiten ist in Abschn. 4.3.1 zusammengestellt. Die Winkel des Leitrades werden mit ˛, die des Laufrades mit ˇ bezeichnet. Wie Abb. 4.2 zeigt, kann die Geschwindigkeit w1u direkt aus dem Geschwindigkeitsplan entnommen werden. Gl. 4.23 gilt nur unter den getroffenen Voraussetzungen der axialen Turbinenstufe. Gl. 4.19, erlaubt aber dann eine sehr anschauliche Deutung. Treffen die Annahmen für eine Verdichterstufe zu, gilt Gl. 4.23 entsprechend. Als Definitionsgleichung für den kinematischen Reaktionsgrad gilt allgemein Gl. 4.13. Turbinen werden in der Regel als Gegendruckturbinen mit einem Reaktionsgrad um 0,5 ausgelegt. Bei langen Schaufeln kann der Reaktionsgrad an der Schaufelspitze auch gegen 0,8 gehen (Abb. 4.3a). Niedere Reaktionsgrade gegen 0 kommen hauptsächlich in Regelstufen zur Anwendung. Die Auswirkung des Reaktionsgrades auf das Expansionsschema und auf das Geschwindigkeitsdreieck bei Turbinenstufen ist in Abb. 4.3 zusammengestellt. Typische ausgeführte Werte des Reaktionsgrades sind [SIG1993]: rD0 reiner Gleichdruck (Wasser-, Dampfturbinen) r < 0;3 etwa Gleichdruck r > 0;3 Überdruck Pumpen: 0;5 < r < 1 Turbinen: 0;3 < r < 0;8 Sonderfälle: r >1 140 F. Joos Abb. 4.3 Beschaufelungen von Axialturbinen verschiedener Reaktionsgrade Druckzahl ‰ Die den dynamischen Zustand kennzeichnende Kennzahl wird entsprechend umgeformt: Ne D E=A spezifische Energie D W 2 w =2 kinetische Energie (4.24) Für die spezifische Energie werden unterschiedliche Definitionen angewandt, u. a. hs (bei thermischen Turbomaschinen) bzw. die innere Arbeit Li , wobei sowohl statische als auch totale Größen (hs tot , hs ) gebräuchlich sind; die typische Geschwindigkeit lässt sich durch die Umfangsgeschwindigkeit u ersetzen. Man erhält somit die Druckzahl ‰ ‰D 2 =Li = 2 =Li = D 2 2 u2 n D22 bzw. ‰D =hs = u2 2 : (4.25) (4.26) Bei der Benutzung der Druckzahl zur Übernahme von Versuchswerten und Kennfeldern ist immer auf die betreffende Festlegung der Umfangsgeschwindigkeit u und der spezifischen Energie zu achten, da in der Literatur keine einheitliche Definition verwendet wird. Die Druckzahl ‰ ist das Verhältnis zwischen entnommener Strömungsenergie und Umfangsgeschwindigkeit. Sie sollte ein Maximum erreichen, da bei kleiner Drehzahl 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 141 Tab. 4.3 Richtwerte für Turbinen Typ rk Gleichdruck 0,05 0,25 Überdruck 0,5 Curtis (2-kränzig) ZentripetalTurbine 0,05 (0,15) 0,4 0,5 ' 0,40 0,45 (1,20) 0,30 0,40 (1,20) 0,40 (0,90) 0,30 0,65 4 6 2 3 16 24 2,4 3,2 sin ˛1 sin ˇ2 0,20 0,25 (0,70) 0,24 0,35 (0,70) 0,20 0,25 0,25 0,45 0,30 0,40 0,25 0,35 (0,70) 0,65 0,80 Durchmesser Bezugsfläche für die Bildung von u d2m d2m h2 d2m d2m h2 d2 d2m h2 d1 d1 h1 möglichst viel Energie aus der Strömung abgeführt werden soll. Sie gibt jedoch keine Aussage über die Aufteilung der Energie am Laufradaustritt in Druck- bzw. kinetische Energie. Diese Aussage wird durch den Reaktionsgrad getroffen. Typische ausgeführte Werte für die nach Gl. 4.26 definierte Druckzahl sind in Tab. 4.3 aufgeführt. Durchflusszahl ' Die Sr-Zahl stellt das Verhältnis zweier Geschwindigkeiten dar: Sr D typ. Geschwindigkeit 1 w D : l f typ. Geschwindigkeit 2 (4.27) Mit der Umfangsgeschwindigkeit u und der Meridiangeschwindigkeit cm ergibt sich die ursprüngliche Durchflusszahl '0 D cm : u (4.28) Da die Meridiangeschwindigkeit in Abhängigkeit vom Volumenstrom und des Querschnitts ausgedrückt werden kann, lässt sich für die Durchflusszahl ' schreiben: 'D VP : uA (4.29) Die Durchflusszahl ' ist ein Maß des durch das Laufrad durchgesetzten Volumenstromes, in Abhängigkeit der Winkelgeschwindigkeit ! D 2 n. Dabei soll bei einer konstanten Winkelgeschwindigkeit ein Maximum an Volumenstrom durchgesetzt werden. Die Durchflusszahl soll somit möglichst groß gewählt werden. Oft werden der eintretende Volumenstrom V1 und die Konditionen am Austritt u2 , A2 als Referenzwerte verwendet. In Tab. 4.3 sind einige Richtwerte für die Kennzahlen sowie für weitere Größen für Turbinen zusammengestellt. 142 F. Joos Leistungszahl (Lieferzahl) Die Leistung einer Strömungsmaschine ist proportional zum Massenstrom und zur spezifischen Umfangsarbeit. Da der Volumenstrom proportional zur Durchflusszahl und die spezifische Stutzenarbeit proportional zur Druckzahl sind, kann auch die Leistung durch eine Leistungsanzahl dimensionslos ausgedrückt werden. Zusätzlich wird der Wirkungsgrad berücksichtigt. D ' D' ‰ Arbeitsmaschinen bzw. (4.30) Kraftmaschinen (Turbine): (4.31) Setzt man für die Durchflusszahl ' den in Gl. 4.29 und für die Druckzahl den in Gl. 4.25 definierten Ausdruck in Gl. 4.31 ein und definiert die Leistung der Arbeitsmaschine P D VP Y Fl , wie es insbesondere bei der Beschreibung von hydrodynamischen Getrieben üblich ist, so kann die Leistungszahl , auch Lieferzahl genannt, für beide Maschinenarten nach Gl. 4.32 geschrieben werden D 8P 8P D 3 : U 3 D 2 Fl n D 5 4 Fl (4.32) Die Leistungszahl (bzw. Lieferzahl) ist das Produkt der Druckzahl und der Durchflusszahl. Beide sollten wie oben erwähnt einen Maximalwert anstreben, daraus ergibt sich die Forderung, dass die Leistungszahl ebenfalls ein Maximum anstreben soll. Zu beachten ist die unterschiedliche Definition im Strömungsgetriebebau. Schnellläufigkeit Durch Auflösen der Gl. 4.26 und Gl. 4.29 nach dem Durchmesser D und anschließendem Gleichsetzen der beiden Beziehungen, ergibt sich: 1 1 4 VP 3 .2 hs / 2 D 2 : (4.33) 1 1 1 3 ' 3 n3 n 2 Durch Auflösen nach der Drehzahl n, erhält man: 3 1 .2 hs / 4 ' 2 1 : nD 3 1 1 4 2 4 VP 2 1 Für den Ausdruck ' 2 = eingeführt: 3 4 (4.34) wird eine dimensionslose Kennzahl, die Schnellläufigkeit p 1 D '2 3 4 Dn VP .2hs / 3 4 2 p : (4.35) Die Schnellläufigkeit ist das Verhältnis des Volumenstroms zur umgesetzten Energie. Sie sollte möglichst groß werden, um bei geringer Energiezufuhr möglichst viel Volumen durchzusetzen. 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 143 Neben der Schnellläufigkeit ist vor allem bei Kreiselpumpen noch der ältere Begriff der spez. Drehzahl nq im Gebrauch. Die spezifische Drehzahl nq ist die Drehzahl einer geometrisch ähnlichen Maschine mit dem Volumenstrom 1 m3 /s und Förderhöhe von 1 m nq D n p VP (4.36) H 3=4 zwischen der Schnellläufigkeit und der spezifischen Drehzahl nq besteht der Zusammenhang nq : 157;8 D (4.37) Durchmesserzahl ı Ähnlich wie bei der Laufzahl erhält man hier durch Auflösen der Gl. 4.26 und 4.29 nach der Drehzahl n und Gleichsetzen der beiden Formeln die folgende Gleichung: 1 .2hs / 2 D 1 2 D 2 4 VP : ' D3 (4.38) Durch Auflösen der Gl. 4.28 nach dem Durchmesser D ergibt sich folgende Schreibweise: 1 2 pP V .2 hs / 4 DDp Für den Quotienten 1 4 1 4 1 : '2 (4.39) 1 =' 2 wird die dimensionslose Durchmesserzahl ı gesetzt: ıD 1 4 1 '2 s DD 4 2hs VP 2 r 4 : (4.40) Die Durchmesserzahl ı sollte ein Minimum anstreben, da bei geringer Energieumsetzung ein Maximum an Volumen durchgesetzt werden soll. Die in der Literatur angegebenen Werte der Laufzahl , spezifischen Drehzahl nq und der Durchmesserzahl ı beziehen sich normalerweise auf den Auslegungszustand, d. h. den Optimalzustand der Maschine. Sie geben deshalb die Betriebsdaten mit dem optimalen Wirkungsgrad wieder. Eine Zusammenfassung der Kennzahlen enthält Tab. 4.4. Aufwerteformeln Die angegebenen Kennzahlen geben eine Aussage über die physikalische bzw. geometrische Ähnlichkeit zweier Ausführungen. Eine häufig noch interessierende Umrechnung ist die Abschätzung der Leistung bzw. des Wirkungsgrades zweier Maschinen bzw. zweier Betriebszustände einer Maschine. 144 F. Joos Tab. 4.4 Zusammenfassung der gebräuchlichsten Kennzahlen (hs je nach Definition totale oder statische Größe) Name Druckzahl Gleichung s D 2h u2 Beziehung zwischen den Kennzahlen D 21ı 2 2 D Laufzahl 'D Durchflusszahl Schluckzahl D Leistungszahl D Wirkungsgrad Kraftmaschine D Wirkungsgrad Arbeitsmaschine D p u 2hs VP uA P pV A 2hs Lu u22 P mh P s mh P s P q p ıDD Durchmesserzahl D Schnellläufigkeit 4 2 p D p1 D p' 'D D D 2hs VP2 2n VP .2hs /3=4 ıD ıD ' ' 1 ı 3 D 3 ı5 D 1 3 ı5 1=4 ' 1=2 ı 1=2 3=4 Physikalische Phänomene, die nicht in den angegebenen Kennzahlen beschrieben werden, wie beispielsweise die Dicke der Grenzschicht und der Einfluss der Wandrauigkeit führen dazu, dass selbst bei Einhaltung der Ähnlichkeit weder die Leistung, teilweise ausgedrückt durch den Minderleistungsfaktor , noch der innere Wirkungsgrad i von einem Modell auf die Ausführung übertragen werden kann, wenn sich die geometrischen Abmessungen stark unterscheiden. Diese Abhängigkeiten werden in der Regel durch Re-Zahl abhängige Aufwerteformeln beschrieben. Üblich sind u. a. Potenzansätze P1 Da P2 b c l1 n1 Re1 d :::: l2 n2 Re2 (4.41) Von besonderer Bedeutung sind Aufwerteformeln für die Hochrechnung der Wirkungsgrade von Modellmaschinen auf die Originalausführung. Für alle Maschinenarten, Maschinengrößen und geometrischen Radformen gleichermaßen gültige Aufwerteformeln können nicht bestimmt werden. Bei der Aufwertung von in Modellversuchen ermittelten Wirkungsgraden muss deshalb die speziell anzuwendende Aufwerteformel zwischen dem Maschinenlieferer und Kunden abgestimmt werden. Da sie auch zur Abschätzung von Garantiewerten für Leistung und Wirkunsgrad dienen und stark maschinenspezifisch sind, werden sie im Allgemeinen nicht publiziert. Die Charakteristiken von Turbomaschinen mit mehreren Stufen werden durch Überlagerung der Charakteristiken der Stufen gewonnen. Bei gleichen Umfangsgeschwindigkeiten kann die Leistungszahl durch Addition berechnet werden. An sich ist es möglich, auch die Maschinencharakteristiken durch Einsetzen der entsprechenden Größen an der Maschine mit ', , zu beschreiben. Zur Unterscheidung von Stufencharakteristiken werden die Größen ', , , bei Anwendung für die gesamte Maschine überstrichen. Da bei mehrstufigen Maschinen die Kompressibilität aber nicht mehr zu vernachlässigen ist, 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 145 fallen die Linien verschiedener Drehzahlen nicht mehr zusammen, sie liegen aber unübersichtlich dicht beieinander. Es empfiehlt sich deshalb, die Charakteristiken als Funktion von Ma2u aufzutragen, wobei Mau D u=a die sogenannte Umfangsmachzahl ist, gebildet mit der Umfangsgeschwindigkeit u. 4.2.3 Mach-Zahl-Ähnlichkeit Da der Drehzahleinfluss im Allgemeinen nicht eliminiert werden kann, ist die Anwendung der Machzahl-Ähnlichkeit für Durchsatz und Drehzahl konsequenter. Damit kann eine ähnliche Darstellung der Kennlinien für kompressible Arbeitsmittel erreicht werden. Im Einzelnen wird folgende Normierung durchgeführt, wobei dimensionsbehaftete Kennzahlen entstehen. Dimensionslos werden diese Kennzahlen durch die Normierung auf einen Referenzwert. Zugrundegelegt werden die Bedingungen des idealen Gases. Der Durchsatz wird durch eine Axialmachzahl cax a (4.42) mRT P pA (4.43) Maax D mit der Axialgeschwindigkeit cax D und der Schallgeschwindigkeit aD p RT (4.44) dargestellt. In den Gleichungen bedeuten m P den Massendurchsatz und A die durchströmte Querschnittsfläche. Aus Gl. 4.42 bis 4.44 ergibt sich Maax D mRT P p : p A RT (4.45) Für R, , A konstant ergibt sich m P red p m P T D p (reduzierter Massenstrom): (4.46) R, , A konstant bedeutet: gleiches Arbeitsmittel in einem Temperaturbereich, konstant und gleicher Durchtrittsfläche. Durch Beziehen auf die Auslegungsdaten im Nennpunkt m P red N p m P N TN D pN (4.47) 146 F. Joos erhält man den relativen reduzierten Massenstrom D m P red : m P red N (4.48) Die Drehzahl wird durch die Umfangsmachzahl Mau D u a (4.49) ausgedrückt. Darin ist u die Umfangsgeschwindigkeit uDr ! D2 nr (4.50) mit dem Radius r und der Winkelgeschwindigkeit !. Es ergibt sich Mau D 2r n p : 60 RT (4.51) Für r, R und konstant wird wieder n Mau nred D p T (reduzierte Drehzahl): (4.52) Durch Beziehen auf die Auslegungsdaten nN nred N D p TN (4.53) erhält man die relative reduzierte Drehzahl v D nred : nred N (4.54) Traupel [TRA2001a] wählt statt der Temperatur T die Normalenthalpie (j D h bezogen auf T0 D 0 K). Damit sind die Kennzahlen und auch für idealen Dampf anwendbar. Kennfelder mit den Größen m P red und nred bzw. und bezeichnet man als „machähnliche Kennfelder“. Bei der Einzelstufe besteht zwischen der Durchflusszahl ' , dem reduzierten Massenstrom und der relativen Drehzahl die Beziehung ' D : (4.55) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 147 Zusammenstellung der aerodynamisch reduzierten Kenngrößen (Ma-Zahl-Ähnlichkeit) reduzierter Massenstrom m P red p m P T1tot D p1tot (4.56) reduzierte Drehzahl nred D p n T1tot (4.57) Totaldruckverhältnis 1 D p2tot p1tot (4.58) reduzierte spezifische Arbeit Hs T (4.59) P p T1tot p1tot (4.60) Leistungskennwert reduzierte Strömungsgeschwindigkeit p c T1tot (4.61) Die Ähnlichkeitszahlen m P red , nred , werden allgemein angewendet (s. oben). Die gilt auch für den Wirkungsgrad , als eine bedeutsame Kennzahl des Energiewandlungsprozesses. 4.2.4 Gasdynamische Funktionen Bei kompressiblen Strömungen, wie sie in den thermischen Strömungsmaschinen auftreten, kann die Bernoulli-Gleichung als Energiegleichung bei Ma > 0;3 aufgrund des Einflusses der Kompressibilität nicht angewandt werden. Geht man von der EulerFormulierung der stationären Energiegleichung aus c 1 dp dc D dx dx (4.62) 148 F. Joos und vernachlässigt die Gravitation, so ergibt die Integration über den Weg x für isentrope Bedingungen und ideales Gas die Beziehung p a2 1 2 1 c C D c2 C D const: 2 1 2 1 (4.63) p mit dem Isentropenexponenten und der Schallgeschwindigkeit a D R T . Da der p Ausdruck 1 D h die spezifische Enthalpie darstellt, ist ersichtlich, dass unter der Annahme der Isentropie die Totalenthalpie konstant bleibt htot D const: (4.64) Dies führt letztendlich dazu, alle totalen Größen einer verlustlosen Strömung als konstant zu betrachten. Damit können die einzelnen Zustandsgrößen der stationären, kompressiblen, verlustlosen Strömung einfach als Verhältnisse, den gasdynamischen Funktionen, angegeben werden. Das Temperaturverhältnis TT0 ergibt sich in Abhängigkeit von der MaZahl zu T0 1 D1C Ma2 T 2 das Dichteverhältnis 0 zu 0 D T0 T Letztendlich ergibt sich auch das p0 D p 4.3 (4.65) T0 T 1 1 p0 p 1 1 1 D 1C : Ma2 2 (4.66) aus der Isentropenbeziehung zu 1 1 1 1 1 D 1C : Ma2 2 (4.67) Hauptgleichungen Die thermodynamischen Zustände und die strömungsmechanischen Bedingungen der Strömungsmaschinen können aus den bekannten Bilanzen Kontinuitätsgleichung, Energieerhaltungsgleichung und Impuls- bzw. Drallerhaltungssatz berechnet werden. 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 149 4.3.1 Definition der Strömungsgeschwindigkeiten Für die Bilanzgrenzen werden die bei der Behandlung von thermischen Strömungsmaschinen verbreiteten Bezeichnungen von [TRA2001a] übernommen, siehe Abb. 4.4. Bezugsebene 1 ist immer der Eintritt in das Laufrad; die weitere Nummerierung erfolgt in Strömungsrichtung. Bezogen auf das Vorzeichen wird die in der Thermodynamik übliche Konvention übernommen. R 2 Die Zustandsänderung verläuft immer vom Zustand 1 zum Zustand 2, d. h. z. B. h12 D 1 dh D h2 h1 . Diese Schreibweise ergibt, dass die Energieänderung des Gases betrachtet wird; eine Energiezufuhr (Verdichter) ergibt ein positives, eine Energieabfuhr (Turbine) ein negatives Vorzeichen. Da eine Stufe einer Strömungsmaschine, bestehend aus Lauf- und Leitrad, aus ruhenden und rotierenden Bauteilen besteht, entsteht die Notwendigkeit, je nach dem interessierenden Phänomen, ein ruhendes bzw. ein rotierendes Koordinatensystem zu betrachten. So bedeuten: uE die Umfangsgeschwindigkeit, d. h. die Rotationsgeschwindigkeit des Laufrades; uDr ! DD n (4.68) (r Radius; D Durchmesser; n Drehzahl; ! D 2 n Kreisfrequenz); cE die Absolutgeschwindigkeit der Strömung im ruhenden System w E die Relativgeschwindigkeit der Strömung; sie tritt nur im rotierenden System auf. Das Fluid bewegt sich relativ zu der Beschaufelung mit der Geschwindigkeit w. E Abb. 4.4 Bilanzgrenzen und Geschwindigkeitsdiagramm der Kraftmaschine (Axialmaschine); 0 Leitradeintritt; 1 Laufradeintritt gleichzeitig Leitradaustritt; 2 Laufradaustritt 150 F. Joos Die Absolutgeschwindigkeit des Fluids cE erhält man durch Vektoraddition der Umfangsgeschwindigkeit uE mit der relativen Strömungsgeschwindigkeit w E cE D uE C w: E (4.69) Das Vorzeichen ist jeweils in Strömungs- (axial und radial) und Umfangsrichtung positiv. Bei der Kraftmaschine (Turbine) liegt das Fluid am Eintritt unter erhöhtem Druck vor, der zugunsten der Beschleunigung des Fluides abgebaut werden soll. In Abb. 4.4 sind die in einer Stufe, bestehend aus Leit- und Laufrad, auftretenden Geschwindigkeiten skizziert. Die Strömungskräfte der stark beschleunigten Strömung werden ausgenutzt, um mechanische Energie auf das Laufrad zu übertragen. Das Fluid wird somit ausgehend vom Zustand 0 auf die Eintrittsgeschwindigkeit im Laufrad cE1 beschleunigt (Abb. 4.4). Von der Strömung wird Energie auf das Laufrad übertragen. Entsprechend ist der Betrag der Austrittsgeschwindigkeit cE2 niedriger als der Betrag der Eintrittsgeschwindigkeit cE1 . 4.3.2 Kontinuitätsgleichung Die Änderung der im System befindlichen Masse entspricht der Differenz zwischen einund austretendem Massenstrom (siehe Abb. 4.5) X X d m./ m P ein : D m P aus d (4.70) Bei stationärem Betrieb, der im Folgenden vor allem betrachtet werden soll, ist der zeitlich durch die Maschine strömende Massenstrom des Arbeitsmediums m P D m konstant. m P D VP D c A D const: (4.71) A ist die senkrecht zur Geschwindigkeit c stehende, durchströmte Bezugsfläche. Bei inkompressiblen, stationären Strömungen (Ma < 0;3) gilt aufgrund von D const.: VP D c A D const: Abb. 4.5 Massenbilanz, Kontinuitätsgleichung (inkompressible Strömungen): (4.72) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 151 4.3.3 Energieerhaltung, die spezifische Umfangsarbeit Lu Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik, die Energiebilanz kompressibler Fluide bei offenen Systemen, lautet: dH C dEkin C dEpot D ıQ C ıWi : (4.73) Die zu- bzw. abgeführte Wärme Q und die zu- bzw. abgeführte innere Arbeit Wi wird im Fluid als Enthalpie H, als kinetische Energie Ekin und als potentielle Energie Epot aufgenommen bzw. abgegeben. Unter der Annahme, dass im Allgemeinen in idealen thermischen Turbomaschinen keine Wärme ausgetauscht wird: ıQ D 0 und die Änderung der potentiellen Energie bei Gasen gegenüber den Änderungen der kinedH C dEkin tischen Energie und der Enthalpie vernachlässigt werden kann, dEpot ergibt sich die Energiebilanz zu dH C dEkin D ıWi (4.74) bzw. dividiert durch die Massen, in spezifischen Größen: dh C dekin D ıwi ohne Verluste und Wärmetausch (isentrop) (4.75) In Gl. 4.75 wurde die innere Arbeit wi D wt C wDiss ; (4.76) die sich aus der technischen Arbeit wt und der dissipierten Energie wDiss zusammensetzt, durch die technische Arbeit ersetzt. Die dissipativen Verluste werden in einem zweiten Schritt über die Wirkungsgrade bzw. für Abschätzungen über Beziehungen, die durch die Verwendung der Annahme, dass sich das Arbeitsmedium wie ein ideales Gas verhält, über die Polytrope berücksichtigt. Genauere Rechnungen erfordern die Beschreibung des Arbeitsmediums als reales Gas, d. h. die Temperaturabhängigkeit beispielsweise der Wärmekapazitäten sowie der Einfluss der Feuchte müssen berücksichtigt werden. Die Lösung der Energiebilanz für reale Gase ist in der Regel unter Einbezug aller Phänomene in den numerischen Prozessmodellen implementiert. Unter der Annahme, dass sich das Arbeitsmedium wie ein ideales Gas verhält, lassen sich analytisch einfache Beziehungen herleiten, die zur ersten Abschätzung verwendet werden können. Die Energiebilanz der verlustlosen, adiabaten (isentropen) Turbine lautet somit unter stationären Bedingungen: h2s h1 C 1 2 c2s c12 D wt12s 2 (isentrope Entspannung): (4.77) 152 F. Joos Unter Berücksichtigung der Schaufelverluste ergibt sich h2 h1 C 1 2 c c12 D wt12 D Lu 2 2 (Entspannung mit Verlusten): (4.78) Die Arbeit wird vom Fluid an den Rotor übertragen, weshalb sie unter Berücksichtigung der Schaufelverluste auch als Umfangsarbeit Lu bezeichnet wird. Im Allgemeinen wird die Enthalpiedifferenz h12 bei realen Gasen aus h,s-Diagrammen entnommen. Ausgehend vom Zustand 1 (p1 , h1 , T1 ) wird das Fluid isentrop (s D const:) auf den Zustand 2 (p2 , h2s , T2s ) bzw. polytrop auf (p2 , h2 , T2 ) entspannt. Bei dieser Notierung geht man davon aus, dass die Entspannung immer auf denselben Austrittsdruck p2 erfolgt. Je nach den auftretenden Verlusten ist jedoch eine unterschiedliche Umfangsarbeit Lu D h2 h1 C 1=2 .c22 c12 / zu gewinnen, bzw. es werden unterschiedliche Austrittstemperaturen T2 erreicht. Die isentrop erreichten Zustände werden deshalb mit dem zusätzlichen Index s (h2s , T2s ) gekennzeichnet. Die vom Fluid abgegebene Arbeit, bei thermischen Turbomaschinen als techn. Arbeit wt12 bezeichnet, berechnet sich aus der Enthalpiedifferenz nach Gl. 4.76 bzw. 4.77. Das h,s-Diagramm der Turbine ist in Abb. 4.6 dargestellt. Oft werden zur Berücksichtigung der kinetischen Energie in der Energiegleichung die Beziehungen der inkompressiblen Fluide (Ma < 0;3) verwendet. Wie bei der Definition des Totaldruckes ptot , der sich aus der Summe aus statischem Druck und dynamischem Druck pdyn D =2 c 2 zusammensetzt, ptot D pstat C =2 c 2 (4.79) wird bei der Beschreibung der thermischen Turbomaschinen auch die Enthalpie definiert. Die Totalenthalpie htot setzt sich aus einem statischen Anteil h und einem dynamischen Abb. 4.6 h,s-Diagramm bei isentroper Entspannung 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 153 Anteil 1=2 c 2 zusammen htot D h C 1=2 c 2 : (4.80) Entsprechend lässt sich dann mit der kalorischen Zustandsgleichung der Enthalpie h D cp T eine Totaltemperatur Ttot definieren, die sich aus einem statischen Anteil T und einem dynamischen Anteil 1=.2 cp / c 2 zusammensetzt, Ttot D T C 1 c2 : 2 cp (4.81) Bei den thermischen Strömungsmaschinen treten zum Teil erhebliche Geschwindigkeiten cE bzw. w E auf, so dass die dynamischen Anteile nicht vernachlässigt werden können. Maßgebend ist die jeweilige Geschwindigkeit relativ zur Kanalwand, d. h., die Absolutgeschwindigkeit cE im Leit- bzw. die Relativgeschwindigkeit w E im Laufrad. Eine genaue Beschreibung der kompressiblen Strömung geht davon aus, dass die Totalgröße durch Energieübertragung aus einer irreversiblen Verzögerung der kinetischen Energie entstanden ist und somit durch eine isentrope Zustandsänderung aus der statischen Größe zu erhalten ist. Hinweis: Im Allgemeinen beschreiben die Zustandsgrößen der thermodynamischen Beziehungen Totalgrößen, da sie den Ruhezustand der Gase betrachten. Durch den Übergang in ein bewegtes Koordinatensystem bei der Einführung der statischen Größen muss jedoch die Bewegungsenergie separat in der Energiegleichung aufgenommen werden, so dass zwischen totalen und statischen Größen unterschieden werden muss. Ob die Änderung der kinetischen Energie gegenüber der Änderung der inneren Energie bzw. der Enthalpie vernachlässigt werden kann, ist in jedem Anwendungsfall zu prüfen. Die thermodynamische Definition der Totalgröße geht davon aus, dass die statische Größe isentrop durch quasi innere Arbeitszufuhr in der Größe der Änderung der kinetischen Energie in die Totalgröße überführt wird. Das heißt, die Zustandsgrößen können mittels einer Isentropen berechnet werden, bei den Prozessgrößen ist die Änderung der kinetischen Energie zu berücksichtigen. Um die Zusammenhänge auch analytisch zu diskutieren, kann mit guter Näherung davon ausgegangen werden, dass sich die Luft, wie auch überhitzter Dampf wie ein ideales Gas mit der Zustandsgleichung p D R T verhält. Es gilt somit für die isentrope Verdichtung h2s h1 D cp .T2s T1 / (gilt nur für die Isentrope); 1 p2 ; T2s D T1 p1 cp cv D R; cp D : cv (4.82) (4.83) (4.84) (4.85) 154 F. Joos Falls der Dampf als reales Gas mit Hilfe der Ansätze für ideales Gas berechnet werden soll, wird die Temperaturabhängigkeit der Wärmekapazität oft durch eine mittlere Wärmekapazität berücksichtigt. In diesem Fall muss der Isentropenexponent unbedingt angepasst werden, so dass der 1. Hauptsatz der Thermodynamik erfüllt ist; dies erfordert die Erfüllung der Gleichung D cp .T / cp .T / D ; cv .T / cp .T / R (4.86) da sonst große Fehler entstehen. Der Fehler, der mit ungenauen gemittelten Werten entsteht, die obige Gleichung erfüllen, bleibt tolerierbar. Die dem Fluid verlustfrei zugeführte Enthalpie, d. h. die isentrope technische Arbeit wt12s lässt sich somit berechnen zu " h2tot_s h1tot h2tot_s h1tot h2tot_s h1tot # 1 p2tot D cp T1tot 1 D wt12s ; p1tot " # 1 p2tot D 1 D wt12s ; R T1tot 1 p1tot " # 1 p2tot p1tot D 1 D wt12s : 1 1tot p1tot (4.87) (4.88) (4.89) Hinweis: Bei der Berechnung der Zustandsänderung von Zustandsgrößen können die aus der Thermodynamik bereitgestellten Beziehungen sowohl für statische als auch für totale Größen verwendet werden. Wichtig ist lediglich, dass für den zu beschreibenden Zustand konsequent statische oder totale Größen eingesetzt werden. Erst die Zuordnung zur techn. Arbeit wt oder zur Umfangsarbeit legt den Bezug zu den Totalgrößen fest, da wt bzw. Lu auf die totalen Zustandsbedingungen definiert sind. Da der Druck p2 < p1 ist, ergibt sich eine negative Enthalpiedifferenz; das negative Vorzeichen bedeutet entsprechend der üblichen Vorzeichenvereinbarung der Thermodynamik, dass das Arbeitsfluid die Energie abgibt, d. h. dass diese Arbeit an der Welle genutzt werden kann. Teilweise wird in der Literatur über Strömungsmaschinen bei der Turbine das Vorzeichen umgekehrt, so dass die Turbinenarbeit positiv wird. 4.3.4 Definition der Wirkungsgrade Der Wirkungsgrad einer Kraftmaschine (Turbine) wird definiert als: D Leistungsabgabe der Welle ; Leistungsabgabe der verlustlosen Maschine (4.90) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 155 Abb. 4.7 h,s-Diagramm der Turbine somit ergibt sich der isentrope Wirkungsgrad der Turbine: s D wt12 h2tot h1tot htot D D : htot_s h2tot_s h1tot htot_s (4.91) Die polytrope Entspannung ist in Abb. 4.7 skizziert. Bei der Turbine kann im verlustbehafteten Fall (polytrop) aufgrund von Verlusten weniger Arbeit Lu gewonnen werden, als das Fluid bei der Entspannung auf denselben Druck p2tot isentrop abgibt. Der polytrope Wirkungsgrad p ergibt sich somit zu [TRA2001a]: p D w12real : htot_s (4.92) In der Literatur sind noch mehrere unterschiedliche Definitionen des Wirkungsgrades zu finden (siehe [TRA2001a, SIG1993]). Bei einem Vergleich von Wirkungsgraden muss auf die verwendeten Definitionen geachtet werden. Nähere Diskussionen erfolgen bei der Theorie der Stufe. 4.3.5 Energieumsatz im Laufrad, der Drallerhaltungssatz Die Energieumsetzung findet bei den Strömungsmaschinen im Laufrad statt. Die Kraftwirkungen beruhen einerseits auf der Umlenkung der Strömung und andererseits auf der Beschleunigung des Fluids durch die Gestaltung der Strömungsquerschnitte. Zur Beschreibung der Strömungskinematik im Laufrad benutzt man die bereits dargestellten Geschwindigkeitspläne, insbesondere am Ein- und Austritt der Beschaufelung. 156 F. Joos Der Energieumsatz der idealisierten Strömung im Laufrad einer Strömungsmaschine wird nach der von Leonhard Euler 1754 aufgestellten allgemeinen StrömungsmaschinenHauptgleichung berechnet. Folgende Annahmen werden getroffen, damit der Drallerhaltungssatz analytisch gelöst werden kann: der Strömungsvorgang ist reibungsfrei die Strömung verläuft schaufelkongruent alle Stromfäden haben die gleiche Form der Einfluss der Schwere wird vernachlässigt die Strömung ist stationär. Ausgehend vom Drallerhaltungssatz lässt sich bei Kenntnis der Geschwindigkeiten uE , cE und w E die Umfangsarbeit Lu berechnen. Das Moment am Umfang ergibt sich aus dem Impuls zu: M Dm P .cu2 r2 cu1 r1 /: (4.93) Hierbei sind cu1 bzw. cu2 die Umfangskomponenten der Absolutgeschwindigkeit am Laufradein- (Index 1) bzw. -austritt (Index 2). Die über die Beschaufelung der Welle an das Laufrad abgegebene (bzw. bei der Turbine aufgenommene) (Umfangs-) Leistung Pu beträgt: Pu D M !: (4.94) Andererseits ergibt sich die theoretische Laufradleistung aus dem Energieumsatz P Lu : Pu D m (4.95) Unter der spez. Umfangsarbeit Lu versteht man, wie bereits erwähnt, die Arbeit, die dem Fluid entzogen wurde, unter Berücksichtigung der Schaufelverluste. Durch Gleichsetzen der Gl. 4.94 mit 4.95 mit dem Moment M nach Gl. 4.93 ergibt sich P Lu m P .cu2 r2 cu1 r1 / ! D m (4.96) bzw. durch den Massenstrom m P dividiert Lu D .cu2 r2 cu1 r1 / !: (4.97) Unter Berücksichtigung, dass r ! D u ist, erhält man letztendlich die Euler’sche Strömungsmaschinen-Hauptgleichung Lu D .cu2 u2 cu1 u1 / : (4.98) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 157 Für eine drallfreie Abströmung, cu2 D 0 vereinfacht sich die Euler’sche Strömungsmaschinen-Hauptgleichung der Turbine zu Lu D cu1 u1 (bei drallfreier Abströmung): (4.99) Bei Axialturbinen können die Umfangsgeschwindigkeiten am Ein- und Austritt ebenfalls gleich gesetzt werden u1 D u2 D u, so dass die Euler’sche StrömungsmaschinenHauptgleichung für axiale Turbinen Lu D .cu2 cu1 / u (axiale Maschinen) (4.100) bzw. bei drallfreier Abströmung Lu D cu1 u (axiale Maschinen, drallfreie Abströmung) (4.101) lautet. Hier ist erkennbar, dass die Arbeitsübertragung der Turbine durch eine Reduktion der eintretenden Umfangskomponente der Absolutgeschwindigkeiten erfolgt. Die Anordnung der Geschwindigkeitsvektoren am Laufradein- und -austritt der Turbine ist aus Abb. 4.8 ersichtlich. Die Definition der Winkel ˇ1 und ˛2 ist so gewählt, dass sich Außenwinkel ergeben. Die Umfangsgeschwindigkeiten ux (die Abhängigkeit von der axialen Lage wird hier mit dem Index x gekennzeichnet, später jedoch weggelassen) sind wiederum abhängig vom jeweiligen Radius rx u x D rx ! (4.102) was im Folgenden jedoch nicht behandelt werden soll. Im Axialschnitt ist der Strömungskanal zu sehen. Die Hauptströmrichtung in diesem Schnitt wird als Meridianrichtung verstanden. Die Meridianfläche ist demnach die durchströmte Fläche senkreckt zur Meridiangeschwindigkeit. Die Meridiangeschwindigkeit cEm errechnet sich aus der Kontinuitätsgleichung zu cm1 D VP1 A1 am Laufradeintritt (4.103) am Laufradaustritt: (4.104) bzw. cm2 D VP2 A2 Die Umfangskomponente der Absolutgeschwindigkeit am Eintritt cu1 berücksichtigt die im Fluid enthaltene Leistung, die ans Laufrad übertragen werden soll: cu2 u2 Lu (Turbine), bzw. u1 Lu D (bei drallfreier Abströmung): u1 cu1 D (4.105) cu1 (4.106) 158 F. Joos Abb. 4.8 Vektordiagramm der axialen Turbinenstufe, Definition der Richtungen und Winkel der Turbine Am Laufradaustritt wird bei der Turbine in der Regel im Auslegungspunkt mit drallfreier Abströmung gerechnet: cu2 D 0 drallfreie Abströmung: (4.107) Muss ein Austrittsdrall berücksichtigt werden, so ist aus der Drallstärke die Umfangskomponente bekannt. Die Austrittsgeschwindigkeit cE2 kann analog zur Eintrittsgeschwindigkeit cE1 berechnet werden. Zwischen der absoluten Strömungsgeschwindigkeit des Fluids cE und der Umfangsgeschwindigkeit des Laufrades uE besteht der Zusammenhang (Abb. 4.8) cm1 ; (4.108) tan ˇ1 D u1 C cu1 cm2 cm2 D (4.109) tan ˇ2 D cu2 C u2 cu2 u2 bzw. tan ˇ2 D cm2 u2 bei drallfreier Abströmung: (4.110) 4.4 Verluste Zur Optimierung einer Beschaufelung und des Wirkungsgrades einer Dampfturbine ist es unerlässlich, die verschiedenen Verlustmechanismen und deren Größenordnungen zu kennen. Insbesondere bei den ersten Schritten der Auslegung des Dampfpfades ist die Ab- 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 159 schätzung der zu erwartenden Verluste von besonderer Bedeutung. Deswegen wurden seit geraumer Zeit die unterschiedlichsten Modelle zur Abschätzung der Verluste publiziert. Vergleicht man diese, so erkennt man fundamentale Abweichungen in den Prognosen, da sie in der Regel an einer bestimmten Geometrie validiert wurden. Ältere, etablierte Modelle können die Verluste heutiger Profile nur ungenügend beschreiben, da diese einerseits auf dreidimensionaler Auslegung beruhen und andererseits neuere Auslegungsregeln beispielsweise Front- oder Aft-loading zugrunde legen. Neue Korrelationen abzuleiten, ist aufgrund der Vielfalt der numerisch erzeugten Geometrie aussichtslos. So bietet sich die Vorgehensweise an, grundlegende Erkenntnisse der Verlustmechanismen zu beschreiben und im speziellen entsprechende numerische Modellierungen anzuwenden und an relevanten Beispielen zu validieren. Die beschleunigte Strömung der Turbinen ist nicht so kritisch bezüglich von Ablösungen wie die verzögerte, druckaufbauende Strömung von Verdichtern. Durch eine eventuell auftretende lokale Überschallströmung ergibt sich zwar kein hoher zusätzlicher Totaldruckverlust, dennoch ist der auftretende Verlust stark von der Ma-Zahl abhängig. In Abhängigkeit der Strömungsbedingungen werden Verlustbeiwerte definiert, mit denen die Druckverluste abgeschätzt werden können D 1 : (4.111) Falls die Verlustbeiwerte bekannt sind, lässt sich der Wirkungsgrad abschätzen: D 1 : (4.112) Die Verlustbeiwerte werden für die unterschiedlichen Verluste der Strömungsmaschine angegeben. Der Profilverlust ist definiert zu: P D .Ekin /Austritt ; .Ekin C EP /Eintritt (4.113) d. h. es ergeben sich die Definitionen nach Abb. 4.9. Für Turbinengitter wird üblicherweise der Verlust über der Abström-Machzahl aufgetragen, da die Abström-Machzahl der höhere und damit kritische Wert ist. Die kritische Abström-Machzahl beträgt für Beschleunigungsgitter etwa 0,8. Bei üblichen Gittern, die nicht speziell für hohe Geschwindigkeiten ausgelegt sind, steigt der Verlust im transsonischen Gebiet (teilweise Überschall, teilweise Unterschall im Schaufelkanal) bis zum Fünffachen und mehr an. In Abhängigkeit der Ma-Zahl sinkt der Druckverlustbeiwert im Unterschallbereich aufgrund der stark turbulenten Strömungsgrenzschicht ab (Abb. 4.10). Die Abhängigkeit von der Ma-Zahl ist jedoch weit geringer als bei den Verdichtern. Im Bereich um Ma2 D 1 steigen die Verluste stark an, um dann im Überschallbereich wieder abzufallen, allerdings auf ein höheres Niveau als im Unterschallbereich. Entsprechend dem Minimum im Verlauf, ist der Betrieb bei Abström-Ma-Zahlen um Ma2 D 0;6 0;8 mit den niedrigsten Profilverlusten verbunden. Zur Beschreibung der Leistungsfähigkeit und der Wirkungsgrade ist die Erfassung diverser Strömungsverluste, ausgedrückt über Verlustbeiwerte (i ) erforderlich. Der 160 F. Joos Abb. 4.9 Einfluss der An- und Abströmgeschwindigkeit (Ma1;2 -Zahl) auf die Profilverluste einer axialen Turbinenstufe (nach [BOH1998]) Abb. 4.10 Profilverlust eines axialen Turbinenprofils in Abhängigkeit der AbströmMa-Zahl (nach [BOH1998]) Profilverlust (P ) wird im Allgemeinen über Messungen bzw. Rechnungen an ebenen Kaskaden bestimmt. Für die komplette Stufe muss er durch Randverluste (R ) und Verluste durch konstruktive Maßnahmen (K ), wie Binde- und Dämpfungsdrähte, Zuschärfungen und Fertigungstoleranzen ergänzt werden. Die weiteren Verluste sind die unvermeidlichen Spaltverluste (Sp ), die Radreibungsverluste (RR ) sowie eventuell auftretende Ventilations- (V ) und Bremsverluste. 4.4.1 Übersicht über verbreitete Korrelationen zur Abschätzung der Verluste Bereits seit den 1950er-Jahren wurden unterschiedliche Verlustkorrelationen publiziert, deren Entwicklung von Cheon et al. (2016) in Abb. 4.11 zusammengestellt wurden. Eines der frühesten weit verbreiteten Verlustmodelle für axiale Turbinen wurde von [AIN1951] publiziert. Es basiert auf der Annahme, dass die Verluste weder von der Ma-Zahl abhängig sind, noch durch den Anströmwinkel beeinflusst werden. [CHE2016] gehen davon 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 161 Tab. 4.5 Vergleich der Genauigkeit verschiedener Verlustkorrelationen nach [CHE2016] AMa DCb KOc CCd a Test Turbine Datasets British ARC R&M 2974 Rolls-Royce Turbinen Pratt&Whitney Aircraft Turbines Electric-AEI Turbinen (ALSTOM) Größere Anzahl von Turbinentests 16 Turbinen 33 Turbinen Über 100 Kaskadentests, einige Luftturbinentests Vorhersagegenauigkeit ˙2;0 % ˙2;0 % ˙1;5 % ˙1;25 % [AIN1951], b [DUN1970], c [KAC1982], d [CRA1970] Abb. 4.11 Trend der Verlustmodelle (nach [CHE2016]) aus, dass der Gasmassenstrom mit einer Genauigkeit von 3 % und der Wirkungsgrad von 2 % berechnet werden können, siehe Tab. 4.5. Bei ihren Untersuchungen von Flugtriebwerksturbinen fanden [DUN1970] eine zufriedenstellende Übereinstimmung für große Fluggasturbinen aber eine signifikante Abweichung für kleinere Turbinen. Deshalb führten sie eine Ma- und Re-Zahl Korrektur für supersonische Bedingungen ein und gaben eine Genauigkeit von 2 % für die Berechnung des Wirkungsgrades über einen weiten Bereich der Abmessungen und Betriebsbedingungen an. Diese Korrelationen wurden durch [KAC1982] durch die Berücksichtigung der Kompressibilität und von Stoßwellen erweitert, so dass nunmehr für einen weiten Bereich 162 F. Joos der axialen Turbinen mit konventioneller Belastung die Genauigkeit der Berechnung des Wirkungsgrades von 1,5 % angegeben wird. Nach [CHE1987] überschätzt das Modell nach [CRA1970] die Profilverluste seiner Kaskadenmessungen, weswegen er einen Korrekturfaktor in Abhängigkeit des Umlenkwinkels vorschlägt. Zusätzlich wird eine einfache Korrelation für die Anströmverluste unter Berücksichtigung der Anströmung und des Blattwinkels angegeben. Das angepasste Modell wurde sowohl von GE nach [COT2007] als auch von ALSTOM nach [HES2003], jeweils auf die spezielle Geometrie angepasst, erfolgreich auf Hoch- und Mitteldruckturbinen angewandt. Basierend auf Enthalpieverlusten leitete [TRA1966] eine Korrelation her, die er an eigenen Messdaten validierte. [ZEH1980] erweiterte das Model unter Berücksichtigung des Anströmwinkels, um Teillastbedingungen besser erfassen zu können. Später ergänzte [PET1995] den Einfluss der radialen Verteilung der Sekundärströmung auf die Verluste. Bis in die 1990er-Jahre wurden über Druck- und Temperaturmessungen verschiedenste Verlustkorrelationen publiziert, die jeweils an bestimmten Profilen unter individuellen Betriebsbedingungen validiert wurden. Die spezifische Gültigkeit zeigt sich u. a. daran, dass die Korrelation für andere Zustände teilweise um den Faktor 50 bis 90 % korrigiert werden mussten. Deshalb wird zunehmend versucht, die Verluste über numerische Berechnungen des Strömungsfeldes einer spezifischen Betriebsbedingung eines spezifischen Profils zu erfassen. Unter Zuhilfenahme der Möglichkeit, das Strömungsfeld mittels numerischer Methoden detaillierter beschreiben zu können, beschrieb [DEN1993] die Verlustentstehung durch die auftretende Entropieproduktion. [COU2010] modifizierten das Modell Dentons, indem sie das ursprünglich angenommene ideale Geschwindigkeitsprofil durch ein dreidimensional berechnetes Strömungsfeld ersetzten. Somit konnte nicht nur die Profilbelastung sondern die dreidimensionale Ausgestaltung des Blattes berücksichtigt werden. In einer analysierenden Studie wandten [CHE2016] die Entropieerzeugungsmethode auf eine zweidimensionale Blattgeometrie an, um die Verluste einer Kaskade zu klassifizieren und mit den eindimensionalen Modellen zu vergleichen. 4.4.2 Profilverluste Der hauptsächliche Verlust einer Dampfturbine setzt sich aus den Anteilen des Profilverlustes (PL), der Verluste der Sekundärströmungen (SL) sowie der Leckageverluste (LL) zusammen (Abb. 4.12). Der Profilverlust, der in etwa 1/4 bis 1/3 des gesamten Verlustes beschreibt, resultiert vor allem aus den Reibungsverlusten an den Schaufeloberflächen. Er wird stark durch die Völligkeit (Solidity) der Schaufel beeinflusst, Abb. 4.13. Wird die Völligkeit reduziert, erhöht sich die Belastung des Profils, so dass der negative Druckgradient auf der Saugseite ansteigt. Dies kann zu Ablösungen mit erhöhten Verlusten führen. Ist andererseits jedoch mit höherer Völligkeit die Teilung kleiner, so kommt es zu höheren Wandreibungsverlusten aufgrund der vermehrten benetzten Oberfläche. So ist die Völligkeit letztendlich ein Optimum aus Fertigungskosten, Spannung und Dynamik. 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 163 Abb. 4.12 Typische aerodynamische Verluste (nach [CHE2016]) Abb. 4.13 Profilverlust in Abhängigkeit der Schaufelvölligkeit [STE1973] 4.4.3 Entropieerzeugung der Profilumströmung einer Kaskade Die Profilverluste einer Beschaufelung können in die drei Gruppen: viskose Reibung an den benetzten Oberflächen, Mischprozesse in den Nachläufen, Nicht-Gleichgewichts Phänomene des Dampfes und Verdichtungsstöße unterteilt werden. Sie können letztendlich als Entropieerzeugungsprozesse identifiziert und dargestellt werden, da in numerischen Verfahren im Gegensatz zu Messungen der lokale und momentane Wert der Entropie zur Beurteilung der Profilgüte zur Verfügung steht. Die Reibungsverluste der Profilgrenzschichten (bp ) stellen neben den Umlenkungsverlusten die Basis der Profilverluste dar. Die Ausbildung der Wandgrenzschichten hängt stark von der Re-Zahl sowie der Oberflächenrauigkeit ab. Durch die viskose Dissipation, sowohl in Wandgrenzschichten als auch in freien Grenzschichten, wird Entropie erzeugt, die besonders in den Scherschichten des Profilnachlaufs hohe Werte annehmen kann. Sie 164 F. Joos wird durch den Verlust des Nachlaufes te berücksichtigt. Wird vorwiegend der Profilverlust betrachtet, so wird oft angenommen, dass unter Auslegungsbedingungen kein Verlust durch Fehlanströmung (inc ) zu berücksichtigen ist. Bei transsonischer bzw. supersonischer Umströmung des Profils tritt aufgrund der Wärmeleitung und der hochviskosen Normalspannungen über den Verdichtungsstoß eine Entropieerhöhung auf, die sich als irreversible Absenkung der Ma-Zahl, durch einen schlagartigen Druck- und Temperaturanstieg sowie einer Geschwindigkeitsreduktion über den Stoß, berücksichtigt durch sh , bemerkbar macht. Der Verlustkoeffizient ergibt sich somit bei stoßfreier Strömung (Ma < 0;8) zu: p D XRe bp C te C mc C sh (4.114) bzw. unter Vernachlässigung der Verluste durch Fehlanströmung (inc ) zu: p D XRe bp C te W (4.115) [CHE2016] korrelieren den Profilverlustkoeffizienten aufgrund von experimentellen und numerischen Ergebnissen an einer linearen Kaskade zu bp hloss D c22 1 bp 2 Zs 1 1 D 2 Cd t sin ˛2f p:s: 2 Zs 1 1 D 2 Cd t sin ˛2f p:s: 2 0 0 cp:s: c2 3 Ma t;p:s: Mat;2 s:s: dsp:s: C 2 3 s:s: dsp:s: C 2 cs:s: c2 ! 3 dss:s: Ma t;s:s: Mat;2 3 ! dss:s: : (4.116) Die isentrope Ma-Zahl der Druck- und Saugseite des Profils kann durch eine berechnete oder gemessene Druckverteilung bestimmt werden (Gl. 4.111), wobei Mat die Ma-Zahl bezogen auf den Ruhezustand bedeutet und unter Zuhilfenahme der Gl. 4.118 und 4.119 bestimmt werden kann v u 1 ! u 2 plokal clokal t D 1 ; (4.117) Malokal D alokal 1 pt1 p:s: 2 s:s: 2 Ma t;p:s: Mat;2 Ma t;s:s: Mat;2 3 D 3 D Map:s: Ma2 Mas:s: Ma2 3 1 1 1 Ma2p:s: 2 1 Ma22 2 23.1/ 2.1/ ; 23.1/ 2.1/ 23.1/ Ma2s:s: 2.1/ 1 1 2 23.1/ : 2 2.1/ Ma 1 1 2 2 (4.118) 3 (4.119) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen Tab. 4.6 Koeffizienten zur Berechnung der Re-Zahl Korrektur XRe nach [CHE2016] C1 C2 C3 165 Re ( 105 0;369685 4,000000 0,431364 Re > 105 0;145942 5,301030 0,000000 Die benötigten Konditionen an der Profiloberfläche stehen bei Verwendung eines bekannten Profils, aber auch bei der numerischen Berechnung zur Verfügung. Zusätzlich muss der Einfluss der Oberflächenrauigkeit, wie auch der Re-Zahl, korrigiert werden. In [SCH1979] sowie [DEN1993] sind Korrelationen des Widerstandsbeiwertes zu finden. [CHE2016] empfehlen in erster Näherung den Wert CD D 0;002. Als Re-Korrektur XRe geben [CHE2016] für XRe D 10f.Re/ ; f .Re/ D C1 Œlog 10.Re/ C2 C C3 ; 0;37 4 ks Xks=cl D 2;6 e cl 2;13: (4.120) (4.121) (4.122) mit der Blattlänge cl (chord length) sowie den Koeffizienten der Tab. 4.6 an. Für Xks=c > XRe ist XRe D Xks=cl zu setzen. Viele Korrelationen beschreiben die Verluste des Nachlaufs. Sie werden in Abhängigkeit der An- und Abströmwinkel ˛1 , ˛2 sowie der Verhältnisse aus der Dicke der Hinterkante te zum engsten Querschnittsabstand to , te =to bzw. der Dicke der Hinterkante te zur Teilung t, te =t publiziert, u. a. von [TRA1966, CRA1970, KAC1982] sowie [AUN2006]. [CHE2016] zeigen im Vergleich zu Messwerten und numerischen Rechnungen, dass die einzelnen Korrelationen stark streuen und schlagen eine vereinfachte Korrelation 2 2 te te C 0;04 te D 0;5 to to (4.123) mit dem engsten Kanalabstand to vor. Die vereinfachten Korrelationen zur Berechnung der Verluste einer ebenen Kaskade nach [CHE2016] geben deren Messwerte, wie auch die numerisch gewonnenen Werte, gut wieder und können zur ersten Abschätzung der erwarteten Profilverluste dienen. Zudem treten Verluste durch die Schaufelversperrungen des Strömungsquerschnittes, erfasst durch den Verengungsfaktor k, durch Sekundärströmungen, die die Umfangsgeschwindigkeit der Absolutgeschwindigkeit am Austritt c2u verringern, erfasst durch den Minderleistungsfaktor , durch Reibungsverluste in allen Bauteilen, durch Fehlanströmungen außerhalb der Auslegungsbedingungen, die sogenannten Stoßverluste am Laufund Leitschaufeleintritt auf. Auf die detaillierte Darstellung dieser Verluste soll auf die umfangreiche einschlägige Literatur verwiesen werden (u. a. [TRA2001a]). 166 4.5 F. Joos Durchsatzkurve der Turbine, Betriebskennlinie Da der Durchsatz der Turbine letztendlich vom engsten Querschnitt des Leitrades bestimmt wird, wird die Kennlinie der Turbine in erster Näherung durch die Ausflusskurve kompressibler Fluide bestimmt. Bis zu einem gewissen Druckverhältnis steigt der Durchsatz mit steigendem Druckverhältnis an und nähert sich dann dem kritischen Durchsatz (Abb. 4.14), ab dem der Volumenstrom konstant bleibt, bzw. der Massenstrom ansteigt, wenn der Druck vor dem Leitgitter erhöht wird. Eine Erhöhung der Druckdifferenz durch Absenken des Gegendruckes bewirkt einen konstanten Massen- und Volumenstrom. Der durchgesetzte Massenstrom berechnet sich bis zum Maximum nach m P th D Aa p 2i pi (4.124) mit der gasabhängigen Ausflussfunktion v " 2 C1 # u u pa pa : Dt 1 pi pi (4.125) Der Index a bedeutet hinter bzw. i vor der Blende. Die Durchtrittsfläche Aa berücksichtigt evtl. vorhandene Strahleinschnürung und Reibungseffekte; sie stellt den Effektivwert dar. 4.5.1 Darstellung im Kennfeld Um die Ma-Zahl-Ähnlichkeit auszunutzen, wird im Turbinenkennfeld (Abb. 4.15, 4.16) der reduzierte Massendurchsatz mred bzw. der Turbinenwirkunsgrad T über dem Totaldruckverhältnis 34tot aufgetragen. Als Scharparameter dient die reduzierte Drehzahl Abb. 4.14 Schema des Durchflussverhaltens einer Turbine beim Absenken des Gegendruckes pa 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 167 Abb. 4.15 Kennfeld einer Axialturbine (nach [HAG1982]) Index: 1 Turbineneintritt, 2 Turbinenaustritt Abb. 4.16 Wirkungsgrad einer axialen Turbine (nach [HAG1982]) Index: 1 Turbineneintritt, 2 Turbinenaustritt p n= T3tot bezogen auf die Totaltemperatur am Turbineneintritt. Ab dem kritischen Druckverhältnis tritt im engsten Querschnitt, in der Regel im 1. Leitrad, Schallgeschwindigkeit auf (Abb. 4.15). Die Turbine erreicht ihre Stopfgrenze. Ein höherer reduzierter Durchsatz ist nicht realisierbar. Die Turbinenkennlinie ist in dem weiteren Bereich, der in der Regel den Betriebsbereich darstellt, vom Druckverhältnis und von der Drehzahl unabhängig. Der Wirkungsgrad hingegen hängt sowohl vom Druckverhältnis als auch von der p Drehzahl ab (Abb. 4.16), m P T3tot =p3tot rel . Die Verläufe des reduzierten Massenstromes (Abb. 4.15) sowie des Wirkungsgrades (Abb. 4.16) lassen aufgrund ihrer Spreizung der Kurven erkennen, dass bei den Turbinenkennfeldern die Ma-Zahl-Ähnlichkeit nur beschränkt gilt, so dass die Abhängigkeit von der reduzierten Drehzahl berücksichtigt werden muss. Um die in Abb. 4.16 stark zusammenfallenden Kennlinien im Kennfeld zu spreizen, wird oft, insbesondere in der Gasturbinenliteratur die auf die absolute Temperatur bezogene spezifische Enthalpie über dem Produkt aus reduziertem Massenstrom und reduzierter Drehzahl aufgetragen (Abb. 4.17). Auch Darstellungen, bei denen die nichtbezogene Enthalpie auf der Ordinate aufgetragen wird, sind üblich. 168 F. Joos Abb. 4.17 Turbinenkennfeld (nach [HAG1982]) 4.6 Theorie der Turbinenstufe Eine Turbinenstufe setzt sich immer aus einem Leitrad, in dem der Druck in kinetische Energie umgewandelt wird und einem Laufrad, das durch Umlenkung und je nach Reaktionsgrad durch zusätzliche Beschleunigung Arbeit auf die Welle überträgt, zusammen. Im Folgenden sollen die beschreibenden Größen des Leitrades mit (0 ), die des Laufrades mit (00 ) bezeichnet werden. 4.6.1 Leitrad der Turbine Da im Leitrad weder Arbeit noch Wärme von außen übertragen wird, vereinfacht sich die Energiebilanz vom Leitradeintritt (0) zum Leitradaustritt (1) zu h01tot D h1 h0 C 1 2 c1 c02 D 0 2 (4.126) bzw. h0 C c02 c2 D h1 C 1 : 2 2 (4.127) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 169 Die Summe htot D h C c2 2 (4.128) wurde bereits als Totalenthalpie eingeführt. Sie bleibt beim Durchtritt durch das Leitrad konstant, so dass hier h0tot D h1tot (4.129) gegeben ist. Abb. 4.18 veranschaulicht diesen Sachverhalt im h,s-Diagramm. Setzt man für die Enthalpiedifferenz zwischen den Punkten 0 und 1 im Leitrad h01 D h0 D h1 h0 ; (4.130) so erhält man für die Austrittsgeschwindigkeit c2 c12 D h0 C 0 : 2 2 (4.131) Wäre eine verlustlose Expansion vom Punkt 0 mit dem Druck p0 auf den Gegendruck p1 möglich, so würde hierbei, da adiabate Strömung vorausgesetzt wird, die Entropie konstant bleiben. Die Enthalpiedifferenz für diese isentrope Zustandsänderung wäre h0s D h1s h0 (4.132) und damit die Austrittsgeschwindigkeit aus dem Leitrad bei verlustloser Zustandsänderung 2 c1s c2 D h0s C 0 : 2 2 Abb. 4.18 h,s-Diagramm des Turbinenleitrades (4.133) 170 F. Joos Der bei der wirklichen Zustandsänderung auftretende Verlust wird als die Differenz zwischen den Bewegungsenergien am Leitradaustritt beim verlustlosen und bei verlustbehafteten Fall definiert zu 2 c c2 (4.134) h0V D 1s 1 ; 2 2 was sich als Differenz zweier Strecken direkt aus dem h,s-Diagramm abgreifen lässt. Die statische isentrope Enthalpiedifferenz h0s des Leitrades ergibt sich aus der Summe aus tatsächlicher Enthalpiedifferenz h0 und der Verluste h0V h0s D h0 C h0V : (4.135) Da bei der Turbine sowohl h0s als auch h0 negativ sind, ist auch der Verlust h0V negativ zu setzen (s. Gl. 4.134). Zur Beschreibung der Enthalpieverluste wird der Leitradwirkungsgrad 0 eingeführt 0 D 0 D h1 h0tot ; h1s h0tot 2 c1s 2 C h0V 2 c1s 2 (4.136) D c12 2 2 c1s 2 D c12 : 2 c1s (4.137) Sind der Leitradwirkungsgrad 0 und außerdem die Ausgangwerte p0 , h0 und c0 für den Ausgangspunkt bekannt, so lässt sich bei gegebenem Austrittsdruck p1 die Austrittsgeschwindigkeit c1 berechnen. Man bestimmt h0s D h1s h0 z. B. aus der isentropen Enthalpiedifferenz " 1 # p1 0 1 ; (4.138) hs D cp T0 p0 oder aus einem h,s-Diagramm und erhält damit die Geschwindigkeit c1 aus Gl. 4.137 und Gl. 4.138 zu c02 c12 0 0 D hs C : (4.139) 2 2 4.6.2 Laufrad der Turbine Durch das Laufrad der Turbine wird dem Arbeitsmittel Energie entzogen. Die abgegebene Umfangsarbeit berechnet sich zu Lu D Pu D ! r2 cu2 ! r1 cu1 D u2 cu2 u1 cu1 : m P (4.140) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 171 Die Definition der Geschwindigkeiten ist Abb. 4.8 zu entnehmen. Aus den Geschwindigkeitsdreiecken liest man für die Umfangskomponenten der Absolutgeschwindigkeiten ab cu1 D c1 cos ˛1 ; cu2 D c2 cos ˛2 : (4.141) Die Relativgeschwindigkeiten w1 und w2 lassen sich durch Anwendung des Kosinussatzes auf die beiden Geschwindigkeitsdreiecke durch die Absolut- und Umfangsgeschwindigkeiten ausdrücken: cu1 w12 D c12 C u21 ‚ …„ ƒ 2u1 c1 cos ˛1 w22 D c22 C u22 2u2 c2 cos.180 C ˛2 / : „ ƒ‚ … (4.142) cu2 Setzt man die Gl. 4.141 in die Gl. 4.142 ein, so ergibt sich u1 cu1 D 1 2 c1 C u21 w12 ; 2 u2 cu2 D 1 2 c2 C u22 w22 : 2 (4.143) Damit erhält man mit Gl. 4.140 die Beziehung Lu D 1 2 c2 c12 C w12 w22 C u22 u21 ; 2 (4.144) die ebenfalls als (Euler’sche) Turbinenhauptgleichung bezeichnet wird. Die Umfangsarbeit besitzt ein negatives Vorzeichen Lu > 0, d. h. die Arbeit wird dem Fluid entzogen. Der Betrag der Umfangsarbeit =Lu = wird groß für c1 > c2 sowie für u1 > u2 , d. h. Radialmaschinen werden am besten von außen nach innen durchströmt, während bei reinen Axialmaschinen die Umfangsgeschwindigkeit konstant ist u1 D u2 . Außerdem ist es notwendig, dass die relative Austrittsgeschwindigkeit aus dem Laufrad möglichst hoch ist im Vergleich zur relativen Eintrittsgeschwindigkeit w2 > w1 , so dass ein großer Austrittsimpuls aus dem Laufrad zur Verfügung steht. Die Energiebilanz am Laufrad liefert Lu D h2 h1 C 1 2 c2 c12 D h2tot h1tot : 2 (4.145) Aus Gl. 4.145 ist ersichtlich, dass sich die Umfangsarbeit Lu auf die Totalwerte bezieht, d. h. sowohl die Änderung der Enthalpie als auch die Änderung der kinetischen Energie 172 F. Joos beinhaltet, während die statische Enthalpie lediglich auf die statischen Werte bezogen wird und somit die Änderung der inneren Energie (bzw. Enthalpie) des Fluids beschreibt. Durch Vergleich von Gl. 4.144 und 4.145 erhält man die Beziehung h1 C w12 u21 w 2 u2 D h2 C 2 2 ; 2 2 2 2 (4.146) die in ihrem formalen Aufbau der Gl. 4.127 für das Leitrad entspricht. Analog zur Gesamtenthalpie htot kann man für das Laufrad die sogenannte Rothalpie htot htot D h C w 2 u2 2 2 (Rothalpie) (4.147) einführen. Die Rothalpie bleibt beim Durchtritt durch das bewegte Laufrad konstant. Als Rothal2 2 E C uE pie ergibt sich für das Leitrad die Totalenthalpie htot D h C w2 u2 mit cE D w htot D h C c2 : 2 (4.148) Abb. 4.19 zeigt die Zustandsänderung in einem Turbinenlaufrad, d. h. in einem Beschleunigungsgitter. Mit der Enthalpiedifferenz h00 D h2 h1 (4.149) erhält man aus Gl. 4.146 die relative Austrittsgeschwindigkeit aus dem Laufrad w2 u2 u2 w22 D h00 C 1 C 2 1 : 2 2 2 2 (4.150) Für den verlustlosen Fall ist die isentrope Enthalpiedifferenz h00s D h2s h1 (4.151) und damit die Austrittsgeschwindigkeit bei verlustloser Strömung 2 w2 u2 u2 w2s D h00s C 1 C 2 1 : 2 2 2 2 (4.152) Der aufgetretene Verlust hV kann somit aus h00s D h00 C h00V (4.153) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 173 Abb. 4.19 Zustandsänderung im Turbinenlaufrad zu h00V D h00s h00 (4.154) berechnet werden (vgl. h,s-Diagramm, vgl. Abb. 4.19) h00V D 2 w22 w2s : 2 (4.155) Analog zu Gl. 4.137 kann damit ein Laufradwirkungsgrad 00 00 D w22 2 w2s (4.156) definiert werden. Aus Gl. 4.152 und 4.156 erhält man die Austrittsgeschwindigkeit w2 im Relativsystem des verlustbehafteten Laufrades zu w22 w12 u22 u21 00 00 D hs C C : 2 2 2 2 (4.157) 174 F. Joos Abb. 4.20 h,s-Diagramm einer Turbinenstufe Der Winkel ˇ2 ist durch die Gestalt der Laufschaufeln festgelegt. Mit der Umfangsgeschwindigkeit uE 2 ist das Geschwindigkeitsdreieck bestimmt und damit auch die Austrittsgeschwindigkeit cE2 im Absolutsystem. 4.6.3 Vollständige Turbinenstufe Die h,s-Diagramme für das Leitrad (Abb. 4.18) und das Laufrad (Abb. 4.19) sind in Abb. 4.20 zu einem Diagramm der Zustandsänderungen in einer Turbinenstufe zusammengezeichnet. Der Übersichtlichkeit wegen wurden die Werte für 1=2 .w22 u22 / für das Laufrad nicht mit übernommen. Dafür wurde am Laufradaustritt bei h2 die Austrittsgeschwindigkeit c2 mit angetragen. Aus den Gl. 4.144 und 4.145 erkennt man, dass auch die Umfangsarbeit Lu als Strecke in das Diagramm eingetragen werden kann. Unter Beachtung, dass h D h0 C h00 ist, folgt aus den Gl. 4.127 und 4.145 für die Umfangsarbeit Lu D h2tot h0tot D h2tot h1tot (4.158) bzw. Lu D h02 C 1 2 1 2 c2 c02 D h0012 C c2 c12 2 2 (4.159) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 175 Die spezifische Umfangsarbeit lässt sich also sowohl aus einer Energiebilanz über die gesamte Stufe, als auch aus einer Bilanz über das Laufrad allein berechnen. 4.7 Turbinenwirkungsgrade Ergänzend zur Definition der Wirkungsgrade der Thermodynamik ist es notwendig, turbinen- bzw. stufenbezogenen Wirkungsgrade zu definieren, die die Wirkungsgrade der Gitter zusammenfassen. 4.7.1 Umfangswirkungsgrad einer Turbine Für die Verluste in der Stufe wurden bisher die Leitrad- und Laufradwirkungsgrade 0 und 00 eingeführt. Sind sie bekannt, so lässt sich mit den Geschwindigkeiten die Umfangsarbeit Lu der Stufe berechnen. Damit können dann Wirkungsgrade am „Umfang der Stufe“ definiert werden. Vergleicht man die am Umfang geleistete Arbeit Lu mit derjenigen der verlustfrei arbeitenden Stufe, die vom gleichen Anfangszustand auf den gleichen Enddruck expandiert und bei der außerdem die Eintrittsgeschwindigkeit c0 und die Austrittsgeschwindigkeit c2 so groß wie bei der wirklichen, verlustbehafteten Stufe sind, so erhält man den Umfangswirkungsgrad u , falls eine weitere Stufe nachfolgt zu h C 12 c22 c02 Lu D 2 : u D hs C 12 c22 c02 hs C 12 c2s c02 (4.160) Es wird im Rahmen der Genauigkeit angenommen, dass c2s c2 gesetzt werden kann. Diese Definition ist dann zweckmäßig, wenn der betrachteten Stufe eine weitere Stufe unmittelbar nachfolgt, so dass die Austrittsenergie c22 =2 nicht als Verlust betrachtet werden muss (Hinweis: h < 0). Sie steht der nächsten Stufe als Eintrittsenergie wieder zur Verfügung. Muss hingegen an der letzten Stufe einer Turbine oder bei einer einstufigen Turbine, die Austrittsenergie als Verlust angesehen werden, so ist eine andere Definition des Umfangswirkungsgrades sinnvoll. Man vergleicht dann die Umfangsarbeit Lu mit der Arbeit, die man bei isentroper Entspannung vom Ausgangsdruck p0 mit der Eintrittsgeschwindigkeit c0 auf den Enddruck p2 gewinnen könnte. Für diesen maximalen Arbeitsgewinn müsste auch die Austrittsenergie c22 =2 noch in mechanische Energie umgesetzt werden, d. h. es müsste c2 D 0 erreicht werden. Da dieser Wirkungsgrad außer für die letzte Stufe auch sinnvoll für die gesamte Bilanz einer Maschine verwendet werden kann, soll er mit dem Index g gekennzeichnet werden: ug D Lu hs c02 2 D h C 1 2 2 c2 c02 hs c02 2 (mit Austrittsverlusten): (4.161) 176 F. Joos Abb. 4.21 Zur Definition des Umfangswirkungsgrades U der Turbine Wie aus Abb. 4.21 ersichtlich ist, gilt U > Ug . Somit ergibt sich für eine mittlere Stufe einer mehrstufigen Turbine ohne Berücksichtigung der Austrittsverluste: u D Lu ; a (4.162) bzw. für eine Einzelstufe mit Berücksichtigung der Austrittsverluste: ug D Lu : b (4.163) In Abb. 4.21 sind die für die beiden Definitionen des Umfangswirkungsgrades erforderlichen Größen im h,s-Diagramm erläutert. 4.7.2 Gesamter Wirkungsgrad der Turbine Neben den durch den Umfangswirkungsgrad u (bzw. durch die Beschaufelungswirkungsgrade 0 und 00 ) erfassten Verlusten tritt noch eine Reihe weiterer Verluste auf, die bei der Turbine die gewinnbare Wellenleistung vermindern. An den konstruktiv unvermeidlichen Spalten zwischen Laufschaufelende und Gehäuse und zwischen Leitschaufelenden und Läufer entstehen Spaltverluste L0Sp und L00Sp . Bei diesen Verlusten handelt es sich einmal um einen Mengenverlust (Leckverlust) und zum anderen um einen Sekundärverlust dadurch, dass die in ungewünschter Richtung fließende Spaltströmung die reguläre Strömung durch das Gitter stört. An den Seitenwänden von Radscheiben und an Deckbändern, die die Schaufelenden als umlaufende Ringe verbinden, tritt der Radreibungsverlust LR auf. Die Fehlanströmung infolge des schlechten Folgevermögens von auftretenden Wassertröpfchen insbesondere in den Endstufen führt auf den Nässeverlust LN . Für die Turbine erhält man unter Beachtung dieser zusätzlichen Verluste die innere Arbeit Li aus der Umfangsarbeit Lu zu Li D Lu C L0Sp C L00Sp C LR C LN : (4.164) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 177 Abb. 4.22 h,s-Diagramm einer Turbine Dabei sind L0Sp und L00Sp die Spaltverluste durch die Leit- und Laufradspalte, LR der Reibungsverlust positiv. Addiert zur negativen spezifischen Umfangsarbeit ergibt sich die betragsmäßig kleinere, negative spezifische innere Arbeit. Alle Verluste sind wie Li und Lu auf die Masseneinheit bezogen. Analog zu den Gl. 4.161 und 4.162 lassen sich innere Wirkungsgrade i und ig definieren. Ist die Austrittsenergie kein Verlust, so ist i D =Li = Li D 2 2 =hs = C 12 c02 c2s hs C 12 c2s c02 (ohne Austrittsverluste): (4.165) Wird die Austrittsenergie als Verlust betrachtet, so benutzt man zweckmäßig ig D Li hs c02 2 (mit Austrittsverlusten): (4.166) Die Gl. 4.165 und 4.166 lassen sich genauso wie für eine Stufe auch für die gesamte Maschine verwenden, wenn man Li für alle Stufen summiert und hs aus den Zuständen vor und hinter der Maschine berechnet. Dann sind c0 und c2 die entsprechenden Geschwindigkeiten am Ein- und Austritt der Maschine, die mit cE und cA benannt seien. Abb. 4.22 veranschaulicht die Zustandsänderung in einer Turbine. Bei adiabater Strömung bewirken die in Gl. 4.164 angeschriebenen Verluste eine Erhöhung der Entropie. Die an der Welle verfügbare Arbeit Li muss nach dem Energiesatz die Differenz der tatsächlichen Gesamtenthalpien vor und hinter der Maschine sein (Abb. 4.22). Aus Druck- und Temperaturmessungen vor und hinter der Maschine erhält man die Zustandspunkte E (Eintritt) und Aw (Index w: wirklicher Zustand am Austritt). Der Zustandspunkt A ist fiktiv und nur rechnerisch unter Benutzung von 0 und 00 zu ermitteln. Damit ist auch der innere Wirkungsgrad der Maschine direkt aus Messgrößen 178 F. Joos (pE , tE , cE und pAw , TAw , cAw ) zu berechnen, wobei insbesondere bei der Temperatur TA auf eine hohe Messgenauigkeit zu achten ist und Verfälschungen durch Wärmeleitung und Wärmestrahlung unbedingt vermieden werden müssen. In der Praxis vernachlässigt man oft den Unterschied zwischen Ein- und Austrittsgeschwindigkeit, womit aus Gl. 4.165 mit den Bezeichnungen von Abb. 4.22 folgt i hw : hs (4.167) Die effektive Kupplungsarbeit LK der Turbine erhält man aus der inneren Arbeit Li durch Abzug der mechanischen Verluste Lm : =LK = D =Li = =Lm =: (4.168) Um die mechanischen Verluste zu erfassen, wird ein mechanischer Wirkungsgrad m D =LK = =Li = =Lm = D =Li = =Li = (4.169) definiert. Damit erhält man den Kupplungswirkungsgrad zu K D i m (4.170) wobei i entsprechend den oben angegebenen Möglichkeiten definiert ist. Bei den Turbinen besteht ein Zusammenhang zwischen der spezifischen Umfangsarbeit Lu und der inneren Arbeit Li , wie aus dem h,s-Diagramm (Abb. 4.22) leicht hergeleitet werden kann: htot_s D 4.8 Li Lu D : i u (4.171) Betriebs- und Regelverhalten der Turbine Bisher wurde das Verhalten der Turbinen nur in einem Betriebspunkt betrachtet. Der Betriebspunkt ist dadurch gekennzeichnet, dass hier alle Strömungswinkel mit den Schaufelwinkeln übereinstimmen. Da dies der Punkt ist, für den die Maschine ausgelegt ist, wird dieser Punkt auch als Auslegepunkt (Design Point, DP) bezeichnet. Im Betrieb besteht aber oft die Forderung, dass sich die Maschine einem variablen Prozess anpassen können muss, beispielweise wenn der Leistungsbedarf einer Arbeitsmaschine zeitlich variiert. Es ist gerade ein Vorteil der Strömungsmaschinen, dass sie in einem weiten Bereich auch außerhalb des Auslegungspunktes ohne Schwierigkeiten betrieben werden können. 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 179 Wie im Folgenden gezeigt wird, ergeben sich bei vom Auslegungspunkt abweichenden Betriebspunkten Änderungen der Schaufelanströmgeschwindigkeiten und -richtungen, sowohl für Leitals auch für Laufräder. Sofern die Strömungsgeschwindigkeiten unter der Schallgeschwindigkeit bleiben, ist jedoch die Abströmrichtung aus den Schaufelgittern über einen weiten Bereich unabhängig von den Zuströmbedingungen. Als Beschleunigungsgitter können Turbinengitter dabei erhebliche Fehlanströmungen bis etwa 40ı und mehr aufnehmen. Im Rahmen der folgenden Überlegungen wird davon ausgegangen, dass die Anströmwinkel noch im möglichen Arbeitsbereich liegen und die Abströmwinkel gleich den Werten im Auslegungspunkt bleiben. Durch die Fehlanströmung des Profils werden allerdings die von der Schaufel verursachten Strömungsverluste („Profilverluste“) vergrößert, was aber bei den folgenden grundlegenden Überlegungen in der Regel vernachlässigt wird. Je nach Einsatzgebiet und Arbeitsfluid wurden unterschiedliche Regelkonzepte zur Leistungsanpassung der Turbine entwickelt. Ist die Drehzahl der Turbine nicht festgelegt, wie dies bei Antriebsturbinen von Verdichtern der Fall ist, so wird in der Regel die Drehzahl über ein Leistungsgleichgewicht von Turbine und Verdichter definiert. Die Drehzahl von Kraftwerksturbinen hingegen wird durch die Last, die häufig die Netzfrequenz darstellt, festgelegt. In diesem Fall muss die Leistung über den Durchsatz bzw. über die Turbineneintrittstemperatur angepasst werden. Bei Dampfturbinen haben sich zusätzlich die Regelung des Eintrittsdruckes (Gleitdruckregelung) und des Durchsatzes (Stufengruppenregelung) durchgesetzt, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Diese Regelungskonzepte sind im entsprechenden Kapitel detailliert beschrieben. 4.8.1 Turbinen mit variabler Drehzahl Werden die Turbinen zum Antrieb von Arbeitsmaschinen wie beispielsweise als Verdichteroder Pumpenantrieb eingesetzt, so muss die Drehzahl der Turbine den Anforderungen des Verbrauchers angepasst werden. Es können sich also bei fest ausgeprägtem Massenstrom je nach Widerstand der Antriebsmaschine durchaus unterschiedliche Drehzahlen ergeben. Im nachstehenden Geschwindigkeitsdreieck (Abb. 4.23) sind die Änderungen eingetragen, die sich bei einer Erhöhung der Drehzahl von n auf n ergeben. Da die Querschnittsflächen und in erster Näherung auch der Massenstrom bei der Änderung der Drehzahl nicht verändert werden A D const.; m P D const: ) cm D wm D const.; (4.172) müssen bei vernachlässigbarer Dichteänderung die axialen bzw. die meridionalen Geschwindigkeiten cm konstant bleiben. 180 F. Joos Abb. 4.23 Geschwindigkeitsdreieck der Turbine bei Drehzahländerung Zur Konstruktion der nun entstandenen Geschwindigkeitsdreiecke wird von folgenden Annahmen ausgegangen: die Abströmung erfolge weiterhin schaufelkongruent, d. h. die Abströmwinkel ˛1 und ˇ2 bleiben erhalten, die Meridiankomponente cm ändert sich nicht. Da der Abströmwinkel aus dem Leitrad erhalten bleibt, ist c1 identisch mit c1 ˛1 D const. ) c1 D c1 : (4.173) Wegen der von u1 auf u1 erhöhten Umfangsgeschwindigkeit ist w1 sowohl in Betrag als auch in der Richtung verändert, d. h. das Laufrad wird nicht entsprechend den Auslegungsbedingungen angeströmt. Da der Abströmwinkel des Laufrades erhalten bleibt, ist aus Kontinuitätsgründen w2 identisch mit w2 ˇ2 D const. ) w2 D w2 : (4.174) Durch die Vektoraddition ergibt sich dann ein in Betrag und Richtung vom Betrieb bei Nenndrehzahl abweichendes c2 . Somit ist auch mit einer Fehlanströmung des nachfolgenden Leitrades zu rechnen. Unter den genannten Voraussetzungen ergibt sich eine Abnahme die betragsmäßig gleich der Zunahme von u auf u ist, denn w2 und w2 von cu2 auf cu2 liegen parallel. Bei einem kinematischen Reaktionsgrad von rk D 0;5 gilt im Auslegungspunkt (bei ˛2 D ˇ1 D 90ı ) cu2 0; cu1 u; Lu u2 : (4.175) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 181 Abb. 4.24 Drehmoment bei Drehzahländerung Bei einer Drehzahländerung auf n ergibt sich unter Beachtung, dass gilt cu2 0: cu2 Š u u; cu1 Š u; Lu Š u cu1 cu2 D Q u .2u u / : (4.176) Damit ist mit u D 2 nr 2uu u2 2n Lu D D Lu u2 n n n 2 : (4.177) Die Umfangsarbeit ändert sich mit dem Quadrat der Drehzahl. Für die abgegebene Leistung ergibt sich mit P u Pu D mL L n Pu D u D2 Pu Lu n (4.178) 2 n n : (4.179) Die Leistung ändert sich wie die Umfangsarbeit mit dem Quadrat der Drehzahl. Für das abgegebene Moment (P D M!) erhält man Pu Pu ; ; M 2 n 2 n n P n M D u D2 : M Pu n n M (4.180) (4.181) Es ergibt sich also der in Abb. 4.24 dargestellte lineare Zusammenhang zwischen dem abgegebenen Moment und der Drehzahl, wobei das Moment mit steigender Drehzahl abnimmt. Zumindest für Maschinen mit niedriger Stufenanzahl ist dieser Zusammenhang auch für das Moment an der Kupplung im Versuch messbar. Ausgehend vom rechtwinkligen Geschwindigkeitsdreieck im Auslegungspunkt für den Reaktionsgrad rk D 0;5 wird das Moment bei festgehaltener Welle („Stillstandsmoment“) doppelt so groß wie das Moment im Auslegungspunkt. Dies wird beispielsweise 182 F. Joos Abb. 4.25 Umfangsarbeit bei Drehzahländerung als Anfahrmoment ausgenutzt. Die Drehzahl erreicht die doppelte Nenndrehzahl, wenn das abgegebene Moment Null ist („Durchgangsdrehzahl“). Inwieweit die Maschine mechanisch in der Lage ist, bei diesen möglichen Extrempunkten der Momentenkennlinie betrieben zu werden, ist von der Konstruktion abhängig. Zumindest bei thermischen Maschinen muss die Durchgangsdrehzahl durch Sicherheitsvorkehrungen vermieden werden, da die Laufschaufeln der hohen Belastung infolge der doppelten Umfangsgeschwindigkeit nicht gewachsen sind. Wertet man Gl. 4.177 für die Umfangsarbeit aus (Abb. 4.25), dann erhält man in der Nähe des Auslegungspunktes nur eine sehr geringe Abhängigkeit zwischen Umfangsarbeit und Drehzahl. Eine Drehzahländerung um ˙20 % ergibt eine Abnahme von Lu um ca. 4 %. Somit hat bei einer Turbine auch eine größere Drehzahländerung praktisch keinen Einfluss auf die Abhängigkeit zwischen Massenstrom (Durchsatz) und Eintrittsdruck. Die Erfahrung zeigt, dass das im Folgenden noch vorgestellte Dampfkegelgesetz auch noch bei merklicher Änderung der Drehzahl gilt. Das vollständige Momentenkennfeld (Abb. 4.26), das die Abhängigkeit von Drehzahl und Massenstrom angibt, kann mit der Definition des Moments (Gl. 4.179 und 4.181) punktweise konstruiert werden. Es kann aber auch direkt aus dem Geschwindigkeitsdreieck gewonnen werden: M D r m.c P u2 cu1 /; 1 1 m P D ; cu1 D cm tan ˛1 A tan ˛1 1 1 cm m P m P cu2 D u Du D 2 rn : tan ˇ2 A tan ˇ2 A tan ˇ2 (4.182) Daraus folgt 1 1 C M D tan ˛1 tan ˇ2 r 2 P m P C 2 r 2 mn: A (4.183) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 183 Abb. 4.26 Drehmoment bei Durchsatz- und Drehzahländerung einer Turbine Da r und A durch die Konstruktion festgelegt und die Abströmwinkel aus den Gittern konstant sind, hat diese Gleichung für D const: die Form P 2 C K2 mn: P M D K1 m (4.184) Für das Stillstandsmoment M0 gilt (n D 0) M0 D M0 m P m P 2 : (4.185) Für die Durchgangsdrehzahl gilt (M D 0): n0 m P D : n0 m P (4.186) Da bei dieser Herleitung keine Voraussetzungen hinsichtlich des Reaktionsgrades gemacht wurden, gilt diese allgemein für Turbinenstufen unter der Voraussetzung und D const. 4.8.2 Turbinen mit konstanter Drehzahl Kraftwerksdampfturbinen werden mit konstanter Drehzahl, in der Regel mit der Netzfrequenz, betrieben. Zur Leistungsregelung wird somit der Massenstrom bzw. der Eintrittsdruck herangezogen. In Abb. 4.27 sind der Schaufelplan und das Geschwindigkeitsdreieck einer Arbeitsturbine im Auslegungspunkt dargestellt. Dabei soll es sich um eine mittlere Stufe handeln. Durch die Drehzahlregelung wird der Massenstrom bei angeforderter Teillast von m P auf m P reduziert. Entsprechend dieser Änderung verringert sich der in die Maschine eintretende Volumenstrom. Wird die Änderung der Dichte hierbei vernachlässigt, so sinkt der 184 F. Joos Abb. 4.27 Schaufelplan und Geschwindigkeitsdreieck einer Turbine im Auslegungspunkt Volumenstrom im Verhältnis des Massenstromes. Da sich die Durchtrittsflächen durch die Maschine nicht ändern, müssen sich die axialen Komponenten der Geschwindigkeiten im gleichen Verhältnis verringern. Die Meridiankomponente cm vermindert sich auf cm im Geschwindigkeitsdreieck von Abb. 4.28, da ˛1 als Abströmwinkel des Leitrades nach den vorstehenden Ausführungen erhalten bleibt und die axiale Komponente cz bestimmt. Damit ergibt sich auch die Relativgeschwindigkeit w1 , wobei sowohl Betrag als auch Richtung vom Auslegungspunkt abweichen, die Laufschaufeln werden also nicht entsprechend ihrer Auslegung, die ja dem Winkel ˇ1 entspricht, angeströmt. Wie eingangs ausgesagt, wird dennoch der Abströmwinkel ˇ2 D ˇ2 erreicht und mit der durch die Kontinuität vorgegebenen Axialkomponente ist w2 festgelegt. Somit ergibt sich auch ein in Betrag und Richtung vom Auslegepunkt abweichendes c2 , das der nächsten Stufe als Eintrittsgeschwindigkeit in das Leitrad aufgeprägt wird. Da die der betrachteten Stufe vorangehende Stufe die gleichen Eigenschaften hat wie diese, wird auch für die betrachtete Stufe c0 D c2 sein. Das so entstandene Geschwindigkeitsdreieck unterscheidet sich sehr vom Auslegungspunkt. Die geometrische Ähnlichkeit ist nicht gegeben, so dass mit vom Auslegepunkt abweichenden Kennzahlen ', , rk etc. gerechnet werden muss. Eine wesentliche Änderung haben die Umfangskomponenten der Absolutgeschwindig kleiner geworden ist, ist cu2 gewachsen, so dass die Differenz keiten erfahren: während cu1 cu2 cu D cu1 (4.187) prozentual stärker gesunken ist als der Massenstrom. Damit ist auch der Betrag der auf die Schaufeln übertragenen Umfangsarbeit =Lu = D =u cu = (4.188) gesunken. Da die Umfangsarbeit mit dem abgebauten isentropen Enthalpiegefälle über den Umfangswirkungsgrad verbunden ist und sich dieser nicht allzu gravierend ändert, sinkt hs im gleichen Maße, was wiederum mit der Isentropenbeziehung (Gl. 4.106) in ein Stufendruckverhältnis p2s =p0 umzurechnen ist. Im Ergebnis wird also das abgebaute 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 185 Abb. 4.28 Geschwindigkeiten einer Turbine bei Teillast bei Durchsatzabsenkung Druckgefälle mit abnehmendem Massenstrom sinken. Analog wird für einen vergrößerten Massendurchsatz ein höheres Druckgefälle nötig sein. Es besteht also ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Massendurchsatz und dem verarbeiteten Druckgefälle. Ein formelmäßiger Zusammenhang lässt sich jedoch nur näherungsweise angeben. Zum einen ändern sich die Wirkungsgrade der Beschaufelung und damit der Umfangswirkungsgrad. Wegen des geänderten Druckabbaues entspricht die Volumenzunahme beim Durchströmen der Maschine nicht der Querschnittsänderung, was von Stufe zu Stufe unterschiedliche Axialgeschwindigkeiten zur Folge hat. Sofern – wie bei Kraftwerksdampfturbinen üblich – der Enddruck durch einen Kondensator in engen Grenzen festgelegt ist, arbeitet die erste Stufe der Turbine in einem anderen Teillastpunkt als die letzte und damit kann die Änderung des Druckverhältnisses nicht einfach aus dem Verhalten einer Stufe berechnet werden. Daher wird dieser Zusammenhang zwischen Druckverhältnis und Massendurchsatz gegebenenfalls als Kennlinie im Versuch bestimmt oder, sofern errechnet, im Versuch validiert. Die Abhängigkeit der Umfangsarbeit und der Leistung vom Durchsatz kann unter vereinfachenden Maßnahmen dargestellt werden. Bei einem Reaktionsgrad rk D 0;5 gilt für die einzelne mittlere Stufen bei drallfreier An- und Abströmung der Stufe entsprechend Abb. 4.29 überschlägig ˇ1 D 90ı ; ˛2 D 90ı ; cu1 Š u; Abb. 4.29 Geschwindigkeitsdreieck eines Überdruckturbinenlaufrades mit r D 0;5 und drallfreier Abströmung 186 F. Joos Abb. 4.30 Geschwindigkeitsdreieck eines Überdruckturbinenlaufrades mit rk D 0;5 und drallfreier Abströmung bei Änderung der Meridiangeschwindigkeit cu2 Š 0; Lu Š u .cu2 cu1 / D u2 : (4.189) Bei einer Änderung des Massenstroms m P < m, P d. h. cm < cm ergibt sich bei Vernachlässigung der Kompressibilität m P : A D const. D cm Bei geänderten Betriebsbedingungen gilt entsprechend den Voraussetzungen, dass jeweils die Abströmwinkel aus Leit- und Laufrad (˛1 , ˇ2 ) konstant bleiben, während sich der jeweilige Anströmwinkel (˛2 , ˇ1 ) entsprechend den Meridiangeschwindigkeiten ändert. Dies bedeutet, dass sich aufgrund der geänderten Umlenkung auch die Umfangskomponente der Absolutgeschwindigkeit und somit die umgesetzte spezifische Arbeit ändert (s. Abb. 4.30). cu1 / bei geändertem MassenGesucht ist die spezifische Umfangsarbeit Lu D u .cu2 strom. Da der Abströmwinkel ˛1 konstant bleibt, gilt tan ˛1 D cm1 c D m1 cu1 cu1 d. h cm1 cu1 D cm1 cu1 (4.190) über die Kontinuitätsgleichung gilt 1 cm1 c D const. D D m1 A m P m P d. h cm1 m P D cm1 m P (4.191) durch Gleichsetzen erhält man D cu1 m P m P cu1 D u: m P m P (4.192) 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 187 Aus dem Geschwindigkeitsdreieck Abb. 4.30 ist wu2 u D cu2 (4.193) zu entnehmen. Für den Abströmwinkel ˇ2 aus dem Laufrad gilt entsprechend: tan ˇ2 D wm2 cm2 w D D m2 : wu2 u wu2 (4.194) wu2 ergibt sich hieraus analog zu cu1 zu w2u D u wm2 m P D uP : wm2 m P (4.195) und damit Lu berechnet werden Jetzt kann cu2 m P m P uDu 1 ; m P m P m P m P cu1 D u2 Lu D u cu2 1C : m P m P cu2 Du (4.196) (4.197) Mit Gl. 4.189 wird daraus m P Lu D2 1; Lu m P 2 m P m P Lu m P m P m P Pu D D 2 1 D2 : Pu mL P u m P m P m P m P (4.198) (4.199) Das bedeutet, dass die abgegebene Leistung und damit auch in etwa die an der Kupplung abgreifbare Leistung überproportional mit dem Massenstrom abnimmt (Abb. 4.31). Abb. 4.31 Umfangsarbeit und Leistung der Turbine bei Durchsatzänderung 188 F. Joos 4.9 Dampfkegelgesetz Nur für einstufige Maschinen kann der Zusammenhang zwischen Druckabbau und Massenstrom aus dem Geschwindigkeitsdreieck der Stufe unter der Annahme konstanter Wirkungsgrade bestimmt werden. Für vielstufige Turbinen wurde von Stodola [STO1922] schon recht früh ein solcher Zusammenhang für Dampfturbinen experimentell gefunden, der später auch theoretisch hergeleitet wurde [TRA2001a]. Demnach gilt v 2 u p2 u u1 p1 p1 u m P D 2 t m P p1 1 pp21 (Dampfkegelgesetz); (4.200) wobei m, P p1 und p2 einen Referenzzustand bestimmen, etwa den Auslegungspunkt. Aus obiger Gleichung lassen sich die folgenden Darstellungen gewinnen: Bei vorgegebenem konstanten Turbinenaustrittsdruck (p2 D const.) ergibt sich die folgende Abhängigkeit zwischen m P und p1 (Abb. 4.32) Ist der Turbineneintrittsdruck fest vorgegeben (p1 D const.) ergibt sich die folgende Abhängigkeit zwischen m P und p2 (Abb. 4.33). Für einen vorgegebenen festen Durchsatz (m P D const.) ergibt sich die Zuordnung von p1 und p2 , Abb. 4.34. Werden diese drei Bilder in eine Darstellung zusammengefasst, ergibt sich bei geeigneter Maßstabswahl die folgende Darstellung, weswegen die Gl. 4.199 auch als Dampfkegelgesetz bezeichnet wird, da sie die Mantelfläche eines Kegels beschreibt, Abb. 4.35. Trotz des einfachen Aufbaues können die Betriebsdaten mit dem Dampfkegelgesetz recht genau bestimmt werden, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind: das Druckgefälle p2 =p1 ist auf viele Stufen aufgeteilt, die Turbineneintrittstemperatur ist konstant. Abb. 4.32 Veränderung des Eintrittsdruckes/Ausflussfunktion 4 Strömungstechnische Grundlagen der Turbinen 189 Sofern der Enddruck festgelegt ist, z. B. durch den Umgebungszustand, wird sich der Eintrittsdruck in die Turbine entsprechend dem Massendurchsatz ändern. Abb. 4.33 Veränderung des Eintrittsdruckes/Ausflussfunktion Abb. 4.34 Abhängigkeit zwischen Ein- und Austrittsdruck Abb. 4.35 Dampfkegel 190 4.10 F. Joos Betriebspunkt Wird die Turbine als Antrieb für eine Arbeitsmaschine, z. B. zum Antrieb einer Pumpe verwandt, ist die Frage interessant, welche Drehzahl sich dann einstellt. Um dies beantworten zu können, muss bekannt sein, welches Antriebsmoment von der Arbeitsmaschine benötigt wird. In Abb. 4.36 ist näherungsweise der Verlauf des erforderlichen Antriebsmomentes eines Verbrauchers aufgetragen. Wird bei stillstehender Welle die Turbine mit dem Massenstrom m P beaufschlagt, ist das abgegebene Moment höher als das Stillstandsmoment R der anzutreibenden Maschine. Der Momentenüberschuss ( D r 2 d m Massenträgheitsmoment) MT MA D d! dt (4.201) beschleunigt die Anlage. Mit zunehmender Drehzahl sinkt das von der Turbine abgegebene Moment, wenn der Massenstrom konstant bleibt. Das Gegenmoment der Antriebswelle steigt jedoch mit wachsender Drehzahl. Solange MT > MA (4.202) wird die Drehzahl zunehmen. Bei MT D MA ist der Beschleunigungsvorgang beendet. Eine höhere Drehzahl kann nicht erreicht werden, da dann das Gegenmoment höher wird als das von der Turbine aufgebrachte Moment, was eine Verzögerung der Drehzahl bewirkt. Für die vorgegebenen Kennlinien von Turbine und Arbeitsmaschine ergibt sich also nur ein einziger Betriebspunkt. Sollen verschiedene Betriebspunkte, d. h. verschiedene Drehzahlen gefahren werden, ist dies nur über eine Veränderung des Massenstromes möglich. Verändert sich durch einen äußeren Umstand die Widerstandslinie, z. B. bei Anforderung einer höheren Leistung, von a nach a0 (Abb. 4.37), dann wird sich die Drehzahl (und Geschwindigkeit) Abb. 4.36 Betriebspunkt aus erforderlichem Antriebsmoment und Turbinenkennlinie Literatur 191 Abb. 4.37 Änderung des Betriebspunktes bei Änderung der Last bzw. der Maschinenkennlinie ebenfalls ändern, etwa von B nach B 0 , was auch nur durch eine Änderung des Massenstromes kompensiert werden kann, etwa durch Steigerung von b auf b 0 , so dass sich der neue Arbeitspunkt C 0 einstellt. Beim Antrieb von Arbeitsmaschinen soll oft die Drehzahl konstant gehalten werden, auch wenn sich das Gegenmoment – die Last – ändert, (z. B. bei Stromaggregraten). Dann muss über eine Veränderung des Massenstromes das Turbinenmoment dem wechselnden erforderlichen Antriebsmoment angepasst werden. In der Praxis wird dies dann von Regeleinrichtungen übernommen, die auf die Abweichung vom Drehzahlsollwert mit einer korrigierenden Änderung des Dampfstroms reagieren. 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Nahezu die Hälfte der Verluste einer Niederdruckturbine entsteht aufgrund der Kondensation. Die Ausscheidung von Wasser aus der gasförmigen Phase erfolgt in der Regel entweder an kühleren Oberflächen oder im Fluid durch Tropfenbildung. Prinzipiell stehen in geführten Strömungen die Schaufeloberflächen oder Gehäusewände zur Kondensation zur Verfügung. Aufgrund der geringen Temperaturdifferenzen unter stationären Betriebsbedingungen ist der Wärmeübergang allerdings gering, so dass von einer zur Berandung adiabaten Strömung ausgegangen werden kann. Somit ist die Kondensation an den strömungsführenden, festen Oberflächen von keiner oder nur von untergeordneter Bedeutung. Stets dominiert die Kondensation im Fluid in Form von Tropfen. Eine optimierte Auslegung der Niederdruckturbine kann nur unter Berücksichtigung der aus unterkühlten Bedingungen kondensierten Tröpfchen und deren Interaktion mit der Beschaufelung erfolgen. F. Joos () Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg Hamburg, Deutschland E-Mail: joos@hsu-hh.de N. Neupert Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg Hamburg, Deutschland E-Mail: neupert@hsu-hh.de © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. aus der Wiesche, F. Joos (Hrsg.), Handbuch Dampfturbinen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20630-7_5 193 194 F. Joos und N. Neupert 5.2 Nässeverluste Die Entspannung der letzten Turbinenstufen führt in das Nassdampfgebiet. Eine zu hohe Feuchtigkeit reduziert nicht nur den Wirkungsgrad, sondern schädigt die Oberflächen durch Erosion. Bereits 1912 stellte Baumann [BAU1912] bzw. [BAU1921] fest, dass je Prozent Dampfnässe der Wirkungsgrad der Dampfturbine um ein Prozent abnimmt. Der Wirkungsgrad einer mehrstufigen Turbine ist über den Quotienten der Enthalpiedifferenzen der realen zur isentropen Entspannung definiert. Während die Eintrittsbedingungen des überhitzten Dampfes aus Temperatur- und Druckmessungen berechnet werden können, kann die Enthalpie am Austritt aufgrund der Expansion ins Nassdampfgebiet nicht über die Temperatur und den Druck alleine bestimmt werden (Abb. 5.1). Deswegen wird die Enthalpiedifferenz im Allgemeinen über die am Generator abgegebene Leistung P PGen , vermindert um die Lagerreibungsverluste LLager sowie über den Dampfdurchsatz m bestimmt ges D .jPGen jLLager / hin hout m P D hin houts hin hout s (5.1) Die charakteristischen Verluste einer Niederdruckturbine sind der Auslassverlust und der Nässeverlust. Unter anderem deswegen wird die Dampfnässe in den Endstufen möglichst geringgehalten [TAN2012]. Als dominierende Phänomene, die zum Nässeverlust führen, werden angesehen [KAW2011]: Thermodynamische Verluste durch den Phasenwechsel des Dampfes. Zusätzliche Profilverluste entstehen durch die Druckänderung, hervorgerufen durch das Freiwerden latenter Kondensationswärme. Verluste der Übersättigung und der Kondensation werden ebenfalls zu den thermodynamischen Verlusten gezählt. Auch die thermodynamischen Nicht-Gleichgewichtsprozesse bei der Kondensation tragen zu den Nässeverlusten bei. Die nicht nutzbare kinetische Energie der Tropfen, die mit zu niederem Eintrittswinkel auf die Laufschaufeln gelangen oder sich an den Wänden ablagern, führt ebenfalls zu Verlusten. Profilverluste entstehen durch erhöhte Druckverluste und erhöhter Rauigkeit am benetzten Profil. Aufgrund der Versperrung des feien Querschnittes durch Tropfen und Wandfilme sind die Profilverluste schwieriger zu berechnen als die anderen Nässeverluste. Der Energieverbrauch der Zerstäubung des Wandfilmes an Hinterkante sowie Schaufelspitze und der Beschleunigung der entstehenden Tropfen führt ebenfalls zu Verlusten. Das Einfangen größerer Tropfen auf der Saugseite des Rotors bremst den Rotor ab. Unter Pumpverlusten versteht man das radiale Auszentrifugieren des abgelagerten Wasserfilms. 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 195 Abb. 5.1 Entspannung der mehrstufigen Niederdruckturbine in das Nassdampfgebiet Die Nässeverluste der Dampfturbine zu beschreiben, erfordert somit die Beachtung verschiedenster Phänomene, wie sie in Abb. 5.2 zusammengestellt sind. Tritt unterkühlter Dampf in die Turbinenstufe ein (Abb. 5.2), so findet an der sogenannten Wilson-Linie (I), auf die später noch eingegangen werden wird, spontane Kondensation statt. In der Regel beginnt die spontane Kondensation in der Drosselebene des Stators. An dieser Stelle entstehen die meisten thermodynamischen Verluste. Messungen von [WAL1985] in der Endstufe einer 500-MW-Turbine ergaben Tropfendurchmesser kleiner als 0,1 m. Für Tropfen bis zu Durchmesser kleiner als 1 m kann von einem vollständigen Folgevermögen ausgegangen werden [SNO1981]. Die meisten Tropfen entstehen beim Durchgang durch die Endstufe der Niederdruckturbine (II, II’). Aufgrund der hydrophilen Oberfläche des Schaufelwerkstoffes bilden sich nach dem Aufprall der Tropfen Wasserfilme. Deren Bewegung erfolgt vorwiegend durch die Scherkräfte der Dampfströmung sowie durch die Zentrifugalkräfte des Rotors. Manche Wasserfilme gelangen als Strähnen zum Kondensator (IV) aber der größte Anteil des Filmes wird an der Hinterkante in größere Tropfen zerstäubt (III’). Die Beschleunigung der großen Tropfen durch den vorbeiströmenden Dampf führt zu einer Sekundärzerstäubung mit entsprechenden Strömungsverlusten des Dampfes (V). Manche Tropfen treffen auf die Vorderkante der folgenden Schaufeln, manche gelangen an die Profiloberfläche (VI). Die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen der Flüssigkeit und dem Dampf führt zudem zu Impulsverlusten. Die größeren Tropfen allerdings werden an den Hinterkanten der vorangehenden Schaufeln erzeugt. In Gebieten mit geringer Dampfnässe und kleinen Tropfendurchmessern um 0,1 m kann von einem perfekten Folgevermögen ausgegangen und die Dichte des Nassdampfes über den Wassergehalt berechnet werden. Mit steigender Dampfnässe, bei Tropfen größer als 10 m, muss allerdings mit einer relevanten Geschwindigkeitsabweichung der Tropfen zur Dampfströmung gerechnet werden. Aufgrund der Impulsübertragung vom Fluid auf die Tropfen während des Beschleunigungsvorganges im Gitter reduziert sich die erzielbare Dampfgeschwindigkeit merklich. Dies führt zu einer Fehlanströmung einerseits der gasförmigen Phase aber insbesondere der Tropfen, 196 F. Joos und N. Neupert Abb. 5.2 Typische Nässeverlustmechanismen der Nassdampfströmung einer Niederdruckturbine; I Wilson-Linie, II Niederdruckturbine, III Hinterkantenzerstäubung, IV zum Kondensator, V Tropfenzerfall im Nachlauf, VI Profiloberfläche (nach [SAS2013]) was durch die erwähnten Nässeverluste erfasst wird. Diese Fehlanströmung macht sich besonders in der letzten Stufe der Niederdruckturbine aufgrund der dort herrschenden relativ hohen Dampfnässe bemerkbar. Der Einfluss der Dampfnässe kann über den auf den Auslegungswert bezogenen Massenstromkoeffizienten m P bzw. normiert norm D (5.2) D m P DP ref beschrieben werden. Der Massenstrom berechnet sich aus den real vorliegenden, gemessenen Daten zu ZTip Aan c2 gemessen sin ˛D m P D dr (5.3) vgemessen Nabe 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 197 bzw. aus der Auslegung ZTip m P DP D Aan c2 DP sin ˛geom dr vDP (5.4) Nabe mit dem spezifischen Volumen v, der durchströmten Ringfläche Aan sowie den entsprechenden Auslegungsgrößen mit dem Index DP. Mit vorhandener Dampfnässe wird der Massenstromkoeffizient > 1. [KAW2011] zeigten experimentell am Austritt eines Leitrades an einer mehrstufigen Niederdruckturbine die Möglichkeit des Nachweises der Dampfnässe mit dem Massenstromkoeffizienten anhand von lokalen Messungen mit Fünflochsonden. Die Nässeverluste lassen sich auf thermodynamische und kinematische Relaxationsvorgänge, die typisch für Zweiphasenströmungen sind, zurückführen. Die thermodynamischen Relaxationsverluste entstehen während der Tropfenentstehung sowie während des anschließenden Tropfenwachstums unter Nicht-Sättigungsbedingungen. Der absolute Dissipationsverlust Pdiss für ein betrachtetes Volumen kann wie folgt bestimmt werden, indem basierend auf dem Entropiestrom der abzuführende Wärmestrom durch die latente Wärme (L) und den kondensierenden Massenstrom ersetzt und mit einer mittleren Temperatur multipliziert wird Z 1 1 1 P c=d L (5.5) m Tm dV: Pdiss D Vol Tc Td Vol Ein weiterer Verlust entsteht durch die Dissipation zwischen den Phasen die aufgrund der unterschiedlichen Trägheit wegen stark verschiedener Dichten eine Relativgeschwindigkeit aufweisen. Die kinematischen Relaxationsverluste, auch als Schleppverluste bezeichnet, können nach [STA2012] unter Beachtung der Widerstandskraft FDS , die an N einzelnen Tropfen bei einer gewissen Geschwindigkeitsdifferenz zwischen der Tropfengeschwindigkeit cd und der Dampfgeschwindigkeit cc wirkt, folgendermaßen berechnet werden: Z Z N 1 1 FDS .cd cc / dV: (5.6) SPkin Tm dV D Pkin D Vol Vol Tm Vol Vol Andererseits lassen sich die Nässeverluste unter Berücksichtigung der Verlustmechanismen aufteilen in Bremsverluste (Pb ), in Beschleunigungsverluste (Pa ) und Pumpverluste (Pp ). Treffen große Tropfen aus dem Nachlauf des Stators auf die Laufschaufel, müssen diese auf Umfangsgeschwindigkeit beschleunigt werden. Die hierdurch hervorgerufenen Bremsverluste Pb ergeben sich aus Pb D N X i m P di ui c i (5.7) 198 F. Joos und N. Neupert mit dem Massenstrom der Tropfen, der Umfangsgeschwindigkeit ui sowie der Relativgeschwindigkeit ci zwischen Tropfen und Wand sowie der Tropfenanzahl N. Die an der Hinterkante zerstäubten großen Tropfen müssen in der Dampfströmung beschleunigt werden und führen auf den Beschleunigungsverlust Pa Pa D X1 i 2 m P d i ci2 (5.8) mit der Tropfengeschwindigkeit an der Vorderkante der Laufschaufel ci . Das auf der Laufschaufel abgelagerte Wasser wird aufgrund der Zentrifugalkraft des Festkörperwirbels der Schaufel radial nach außen beschleunigt. Die hierzu aufzuwendende Pumpenleistung PP reduziert die gewonnene Leistung um Pp D X i 1 m P d i u2TipRotor u2Rotor i 2 (5.9) mit der Geschwindigkeit des Rotors an der Blattspitze uTipRotor und der Geschwindigkeit des Rotors am Ort des Tropfenaufschlags uRotor i . Der Dampfverlustkoeffizient errechnet sich zu ˛D Pm m P X .hin hout s / (5.10) aus dem Nässeverlust Pm und der Dampfnässe am Turbinenaustritt X. Vor allem unter Teillastbedingungen kann es zu Rückströmungen von Nassdampf in die letzte Laufreihe kommen, wie beispielhaft aus der Berechnung der Stromlinien ersichtlich ist (Abb. 5.3), was sich auf die Berechnung der Nässeverluste Pm auswirkt, da der hierdurch entstehende zusätzliche Verlust im Dissipationsverlust PDiss nicht erfasst ist. Abb. 5.3 Berechnete Stromlinien der letzten Stufe einer Niederdruckturbine unter Teillastbedingungen (nach [TSU2012]) 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 199 Setzt sich die vorhandene Nässe aus großen Tropfen zusammen (grobe Nässe), ist die Oberfläche eines Tropfens bezogen auf das konstante Volumen gering. Dies reduziert den Wärmeübergang, der für den Transport der Kondensationswärme der Nassdampfströmung in Niederdruck-Dampfturbinen an die unterkühlte Strömung maßgeblich ist und führt zu höheren Unterkühlungen. In Gl. 5.5 ist dieser Effekt sowohl im kondensierenden Massenstrom als auch in der Differenz der reziproken Temperaturen enthalten. Offensichtlicher ist der Einfluss der Tropfengröße auf die Schleppverluste, denn die Reibkraft bzw. der Widerstandskoeffizient ist eine Funktion der Partikel-Reynoldszahl, in die der Tropfendurchmesser direkt eingeht. Im Durchmesserbereich von 0,1 bis 0,5 m steigen die thermodynamischen Verluste an, da bei grober Nässezusammensetzung ein sekundärer Nukleationsprozess provoziert wird, der mit hohen Unterkühlungen und somit hohen thermodynamischen Verlusten einhergeht. Die Nässeverluste können bei einem Nässeanteil von 8 bis 12 % am Austritt der Turbine zwischen 2 und 6 % der abgegebenen Leistung der letzten Stufe betragen. Für eine zweite Stufe, in der üblicherweise erstmals Nässe entsteht, liegt der Verlustanteil bezogen auf die Stufenarbeit bei 2,6 %. Die kinematischen Verluste sowie die Bremsverluste spielen eine untergeordnete Rolle [STA2012]. Die Studie zeigt, dass eine Reduzierung der Nässeverluste durch eine Verminderung der Unterkühlung zu erzielen ist, da die dann entstehenden kleineren Tropfen einen erheblich besseren Wärmeübergang bewirken. Die zuverlässige Berechnung der Nässeverluste ist eines der Ziele bei der Entwicklung der numerischen Modelle der Nichtgleichgewichtskondensation, wie sie in den folgenden Kapiteln näher zusammengestellt sind und u. a. in [GER2002, WHI1996, BAK2005a, BAK2005b, GER2008, WRO2009, NIK2009, YAM2010] und [WRO2009] beschrieben werden. [MOR2012a, MOR2012b] modellierten die homogene Kondensation und das Tropfenwachstum nach [GER2008] (s. Gl. 5.34 bis 5.36), wobei die gebildete spezifische Tropfenanzahl nach Gl. 5.34 formuliert wurde. Das Tropfenwachstum wurde entsprechend dem Modell (s. Gl. 5.34) in Abhängigkeit der Tropfenmasse md D f .Nu/, Nu D f .Kn/ in den CFD Code ANSYS CFX implementiert. Als vereinfachende Annahmen wurde die Temperatur im Tropfen als konstant angenommen und der Schlupf zu Null gesetzt. Die Studie ergab, dass zur Bestimmung der Nässeverluste, wie auch der Dampfnässe, die Nichtgleichgewichtsbedingungen berücksichtigt werden müssen. In der folgenden Laufschaufelreihe treffen die Tropfen dann mit hoher Relativgeschwindigkeit auf die rotierenden Schaufeln auf. Durch die hierbei entstehende Erosion kommt es zu Wirkungsgradverlusten [HEY1992, MOO1968]. 200 5.3 F. Joos und N. Neupert Eindimensionale Berechnung der kondensierenden Strömung in Niederdruckturbinen Zur Abschätzung der Nässeverluste gibt eine eindimensionale Berechnung der kondensierenden Strömung die benötigten Basisdaten. Hierzu müssen die Tropfenbildung, das Tropfenwachstum, die Tropfen-Wand Interaktion sowie die Bewegung des Wandfilmes sowie die Zerstäubung an der Hinterkante des Profils beschrieben werden. Kondensation mit feiner Tropfenbildung mit Durchmessern weit unter 1 m setzt ein, wenn durch den Enthalpieabfall die Sättigungslinie unterschritten wird [YOU1988a]. Ein Teil der sich bildenden Tropfen lagert sich auf den Profiloberflächen ab und bildet einen Film, der einerseits durch die Scherkräfte des Dampfes und andererseits durch die Zentrifugalkräfte des Rotors angetrieben wird. Die Zerstäubung dieses Filmes durch Aufreißen bzw. an der Hinterkante erzeugt größere Topfen im Durchmesserbereich von 10 bis 100 m [YOU1988b], die zu Erosion an folgenden Schaufeln führen können. Eine grobe Abschätzung der Verluste dieser komplexen Vorgänge nach [BAU1912] besagt, dass pro Stufe jedes Prozent an Feuchtezuwachs den Wirkungsgrad um ein Prozentpunkt reduziert, ohne dass jedoch auf die spezifischen Phänomene näher eingegangen wird [PET2011], so dass auch keine Hinweise zur Verbesserung abzuleiten sind. Hierzu sind detaillierte, möglichst dreidimensionale Betrachtungen erforderlich. Zu einem gewissen Grad können auch eindimensionale Modelle eingesetzt werden, wie sie von [FEN2012] in einen numerischen Durchfluss-Code implementiert und an Messergebnissen validiert wurden. 5.3.1 Unterkühlung, spontane Kondensation Im Laufe der raschen Expansion scheidet sich beim Unterschreiten des Taupunkts nicht sofort Flüssigkeit aus, wie im Gleichgewicht erwartet würde, sondern der Dampf unterkühlt. Der instabile Zustand des unterkühlten Dampfs kann durch dasselbe Zustandsgesetz beschrieben werden, das oberhalb der Grenzkurve gilt. Der Zustand der Unterkühlung hat die Tendenz in den Gleichgewichtszustand überzugehen. Es entstehen Keime mit einem sogenannten kritischen Radius r [TRA1988] r D 2 l p g ln psp.T / (5.11) mit dem der Temperatur T zugeordnete Siededruck ps .T /. Die Keimbildungsintensität J, als Anzahl der Keime pro 1/m3 s, beträgt s g2 2 4 r 2 exp J (5.12) Mm3 l 3 kB T kB bezeichnet die Boltzmann-Konstante, L die Verdampfungsenthalpie, Mm die Molekülmasse, g , l die Dichten des Dampfes respektive flüssigen Wassers und die Oberflä- 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 201 Abb. 5.4 Kritischer Tropfenradius r und Keimbildungsintensität J (nach [TRA1988]) chenspannung. In Abb. 5.4 sind der kritische Tropfenradius r sowie die Keimbildungsintensität dargestellt. Die spontane Kondensation stellt ab dem sogenannten Wilson-Punkt den Gleichgewichtszustand nur annähernd her, da die freiwerdende Verdampfungswärme über einen Temperaturgradienten vom Tropfen in den Dampf übertragen werden muss. Die Restunterkühlung kann über die Temperaturdifferenz T beschrieben werden zu 4 P L l c r 2 ˛ T D m 4 r3 dT : 3 dt (5.13) Die spezifische übertragene Wärmeleistung (linker Term) entspricht der freigesetzten latenten Wärme (L) sowie der Enthalpieabnahme des Tropfens. Der Phasenwechsel von Dampf zu Wasser in den Dampfturbinen erfolgt hauptsächlich durch homogene Tropfenbildung und dem Nichtgleichgewichtsprozess der spontanen Kondensation. Diese Phänomene müssen bei einer Modellierung sorgfältig erfasst werden. Zusätzlich dienen Salzkristalle der Wasseraufbereitung als Kondensationskeime. Da neben dem Wirkungsgradabfall vor allem die Tropfenerosion für die Lebensdauer der Beschaufelung bestimmend ist, besteht starkes Interesse daran, sowohl die Tropfenbildung als auch die Interaktion mit der Beschaufelung numerisch berechnen zu können. Hier kommen vor allem Euler-Verfahren zur Beschreibung des homogenen Strömungsfeldes sowie der homogenen Tropfenbildung zum Einsatz, die die Randbedingung für die Lagrange-Beschreibung von einzelnen, größeren Tropfen liefern (z. B. [LEE2003]). Die Berechnung der Impulsverluste durch den Schlupf zwischen Tropfen und Dampfströmung basiert bei [GER2002, GER2008] auf einer Euler-Lagrange-Beschreibung. Allerdings besteht eine gewisse Schwierigkeit, dass aufgrund der Kopplungsbedingung der einzelnen Gitter über Mischebenen Strähnen und Unstetigkeit ausgemischt und nicht be- 202 F. Joos und N. Neupert rücksichtigt werden, so dass die korrekte Berechnung von Verlusten aufwendig ist, da diese Berechnung die Kenntnis der Tropfenverteilung voraussetzt. Hierzu muss das Strömungsverhalten der Tropfen von der Kondensation, über eventuelle Kollision und Zerstäubung über mehrere Stufen hinweg verfolgt werden. Einen derartigen Algorithmus entwickelten [SAS2013] zur Beschreibung der Nassdampfströmung durch eine mehrstufige Niederdruckturbine. 5.3.2 Kondensationsmodellierung Die homogene Kondensation kann wie das Strömungsfeld im Euler’schen System berechnet werden. Verschiedene Theorien wurden publiziert. Die klassische homogene Kondensation eines unterkühlten Dampfes bei Abwesenheit von Kondensationskeimen geht nach [FRE1946] von einer Tropfenbildungsrate von qc I D 1C g2 l ! s 2 MM3 e 2 43kr T B (5.14) aus. Hierbei sind qc der Verdampfungskoeffizient, Mm die Molekülmasse, die Oberflächenspannung, l die Dichte der Flüssigkeit und kB die Boltzmann-Konstante. Der nicht-isotherme Korrekturkoeffizient berechnet sich nach [YOU1992] zu hlg hlg 2 . 1/ 0;5 : (5.15) D C1 RT RT Die Massenwachstumsrate aufgrund spontanem Kondensieren der klassischen homogenen Tropfenbildungstheorie ergibt sich nach [ISH1995] mit dem Modifikationsfaktor aus der Masse der Tröpfchen mit dem kritischen Durchmesser r und dem Tropfenwachstum zu D 4 3 l I r 3 C 4 l r 2 @r : @t (5.16) Der mittlere Tropfenradius r wird aus der Energiebilanz nach Gl. 5.19 mit dem kritischen Kelvin-Helmholtz-Radius r 2 r D (5.17) l R T ln S und dem Übersättigungsverhältnis des Dampfdruckes pD zum Sättigungsdruck nach [YOU1992] pD SD (5.18) pSättigung .T / bestimmt. Zwei Phänomene beschreiben den Kondensationsprozess des Dampfes. Einerseits wird das Tropfenwachstum durch den Massetransfer von der gasförmigen zur 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 203 flüssigen Phase, andererseits wird der Energieinhalt durch den Wärmetransport beschrieben [ISH1995]. Somit kann das Tropfenwachstum nach [YOU1982] durch @r pD p D @t hlg l 2 RT C1 cp .Td T / 2 (5.19) mit der Tropfentemperatur Td dargestellt werden. Unter der Annahme, dass der Massenanteil des Kondensats ˇ vernachlässigbar sei (ˇ < 0;1), ergibt sich nach [ISH1995] für den Druck des Dampfes p D R T .1 ˇ/ (5.20) mit der Schallgeschwindigkeit a2 D cpm p cpm .1 ˇ/ R (5.21) Die spezifische Wärmekapazität der Mischung cpm ergibt sich aus dem massegewichteten arithmetischen Mittel der einzelnen Wärmekapazitäten des Dampfes und des Wassers. Die Implementierung der Kondensation im Euler-Verfahren kann auf zwei verschiedene Arten erfolgen. Einerseits können separate Bilanzgleichungen für die beiden Phasen genommen werden, so dass für jede Phase ihr Geschwindigkeitsfeld berechnet werden kann. Die beiden Phasen sind miteinander gekoppelt. Detaillierte Turbulenzmodelle für Zwei-Phasenströmungen können eingesetzt werden [GER2004] und [MAQ2009]. Andererseits kann unter der Annahme, dass kein Geschwindigkeitsunterschied zwischen den Phasen besteht, ein gemeinsamer Satz der Bilanzgleichungen für die Mischung angesetzt werden. Dieser Ansatz wird im Allgemeinen als gekoppelter Ansatz (coupled approach) bezeichnet [SEN2002, SIM2005, WRO2009] und [ZHU2013]. Der vereinfachte Ansatz führt auf brauchbare Ergebnisse, da die Durchmesser der Tropfen der Kondensation in einem Bereich unter 2 m sind, die durchwegs ein gutes Folgevermögen aufweisen. Die Temperatur der Tropfen hängt stark vom Tropfendurchmesser ab, so dass eine Energiegleichung ersetzt werden kann und der Zustand der Mischung durch ihre Dichte, ihre innere Energie sowie ihren Feuchtegehalt eindeutig beschrieben wird. Die Trennung des konvektiven Flusses nach der Flux-Difference-Splitting-Methode (Roe FDS) wurde von [MEI2006] auf die Kondensation bei Zweiphasenproblemen unter der Annahme des idealen Gases und konstanter Wasser- bzw. Dampfwerte übertragen. [ZHU2013] erweiterten diesen Ansatz auf reale Wasser- bzw. Dampfwerte. 5.3.3 Homogenes Kondensationsmodell Die Kondensation und Keimbildung kann nach einem Ansatz von [TRA1988], wie sie im vorangehenden Abschn. 5.3.1 dargestellt wurde, erfasst werden. 204 F. Joos und N. Neupert Solange die Tropfendurchmesser kleiner als 1 m sind, wird von einem idealen Folgevermögen ausgegangen. Für größere Tropfen ist ein Widerstandsgesetz zu berücksichtigen. Die Quellterme der Energieerhaltung und der Momente der Radiusgleichungen des Tropfens [ZHU2013] werden nach [BAK2005a, BAK2005b] durch den kritischen Radius r , durch der modifizierten Keimbildungsintensität J von Traupel Gl. 5.12 als Tropfenbildungsrate qC J D 1C 2 Mm3 12 s Tg 4 exp 1 3 r 2 kB Tg (5.22) mit der molekularen Masse des Wassers Mm und durch das Wachstum der Tropfenradien mit der Wachstumsrate rP D Tl Tg 1 g l r C 1;89 .1 v/ l= Pr hlg (5.23) die aus der Wärmeübertragung hergeleitet ist [YOU1992], sowie durch die Verteilungsfunktion der Tropfen f .r/ beschrieben [ZHU2013]. Der Index l bedeutet flüssig, g gasförmig und s gesättigt. hlg ist die Verdampfungsenthalpie im Gleichgewicht. qC berücksichtigt den Kondensationskoeffizienten, l die molekulare freie Weglänge nach Gl. 5.27. Die Abhängigkeit der Tropfentemperatur vom Radius ergibt sich nach [GYA1963] zu Tl D Ts .p/ Ts .p/ Tg r : r (5.24) Der Modifikationsfaktor berechnet sich aus D hfg 2 . 1/ . C 1/ R Tg der kritische Radius zu r D hfg 1 ; R Tg 2 2 Ts : l hlg T (5.25) (5.26) Mit der Unterkühlungstemperatur T nach Gl. 5.13, der Dichte des gesättigten Dampfes s , sowie der latenten Verdampfungsenthalpie hlg und der Boltzmann-Konstanten kB . Zusätzlich benötigt werden die thermische Leitfähigkeit des Dampfes g , die molekulare freie Weglänge l p (5.27) l D 1;5 g R Tg ; die Prandtl-Zahl des Dampfes Pr, sowie (1 v), das sich als halbempirische Funktion aus Rg Tg 2 qc C 1 cpg Ts vD ˇ 0;5 (5.28) hlg 2 qc 2 hlg ergibt. Der empirische Faktor ˇ liegt typischerweise zwischen 0 und 5. 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 205 5.3.4 Heterogene Modellbildung der Kondensation Ein heterogenes Kondensationsmodell wurde von [STA2005] eingeführt. Als Kondensationskeim wird angenommen, dass Salzpartikel mit vorgegebenem Radius und Konzentration unmittelbar nach Durchqueren der Dampfsättigungslinie gebildet werden und sich der Dampf an diesen Partikeln niederschlägt. Alle Tropfen innerhalb einer finiten Volumenzelle sollen den gleichen Radius haben. Das homogene Tropfenwachstumsmodell kann somit direkt übertragen werden, um die Wachstumsrate der heterogenen Tropfen zu bestimmen. Der Feuchtegehalt berechnet sich aus ˇhet D 4 3 3 3 rini ; l Nhet rhet (5.29) der Radius am Tropfen ergibt sich zu rhet D 3 ˇhet 3 C rini .4 l Nhet / 13 (5.30) und damit der Quellterm Shet D 4 2 rhet rPhet l Nhet : (5.31) Der Radius der auf den Salzpartikeln aufbauenden Tropfen ist rhet , die Salzpartikelkonzentration Nhet und rini der Ausgangsradius der Salzpartikel sowie l die Dichte des Wassers. Als Kondensationskeime dienen vor allem die festen Verunreinigungen des überhitzten Dampfes bestehend aus organischen und anorganischen Bestandteilen. Hauptsächlich kommen NaCl, Na2 SO4 und Natriumazetate in Betracht [BEL1999]. Aufgrund der höheren Konzentration ist das NaCl der bedeutendste Keim. Die Konzentration an Na soll unter 5 gNa =kgDampf , Cl unter 3 gCl =kgDampf sowie NaCl unter 5 gNaCl =kgDampf liegen. Diese Konzentrationen bewirken eine merkliche Keimbildung wenn berücksichtigt wird, dass je gNaCl =kgDampf theoretisch eine molekulare Konzentration von etwa 1;03 1016 Molekülen/kgDampf vorliegt. Messungen liegen im Bereich von 1;9 109 bis 2;5 109 Partikel/kgDampf [KOL2014]. 5.3.5 Nicht-Gleichgewichtsmodell heterogener Kondensation Sowohl die Verzugszeit von der Unterkühlung bis zur Auskondensation als auch die Frage, inwieweit bereits Kondensationskeime vorhanden sind, die die Zeit von der Übersättigung zur Kondensation maßgeblich bestimmen, sind für die Modellierung der Kondensation in Dampfturbinenstufen von entscheidender Bedeutung. Als weitere Unbekannte kommt die Modellierung des Wärme- und Stoffübergangs bei vorhandenen Keimen hinzu. So 206 F. Joos und N. Neupert beschreiben [MOR2012a, MOR2012b] den heterogenen Kondensationsvorgang mit Tropfenwachstum über thermische Nicht-Gleichgewichtsmodelle. Das Verhalten einer Dampfströmung in der Niederdruckturbine kann nicht adäquat mit den idealisierten Annahmen des thermischen Gleichgewichts beschrieben werden. Die plötzliche Expansion unter die Sättigungslinie bewirkt Temperaturen im Dampf, die deutlich unter der Sättigungstemperatur liegen, was auch für den Druck zutrifft, der ebenfalls lokal unter dem Sättigungsdruck zu liegen kommt. Unter diesen Bedingungen sind zur Beschreibung der Kondensation sowohl Modelle notwendig, die die Kondensationskeimbildung, wie auch das Tropfenwachstum beschreiben. Hierzu ist der Wärme- und Stofftransport zwischen Keim und Trägerfluid wesentlich [WHI2008]. Ein fundamentaler Ansatz besteht in einer statistischen Betrachtung anhand der Becker-Döring-Gleichungen [BEC1935]. Allerdings ist der numerische Aufwand derzeit für eine technische Anwendung noch zu hoch [PUT2012]. Deswegen werden in der Regel Kondensationsmodelle zugrundegelegt, die von Bildungsraten einzelner Tröpfchen ausgehen, wie beispielsweise [GER2008] und [BAK2005a, BAK2005b]. Das Vorgehen entspricht quasi einer Ordnungsreduzierung der Becker-Döring-Gleichung. Problematisch bei der Reduzierung der Ordnung ist die Bestimmung des kritischen Radius, der in der Regel aus Gleichgewichtsbedingungen hergeleitet wird. Während [PUT2012] den kritischen Radius aus Störungsrechnungen des Gleichgewichts herleiten, legen [BAK2005a, BAK2005b] und [KAL2006] die Freie Gibbs’sche Energie zugrunde. Unter der Annahme eines Keimmodells kann das Tropfenwachstum mit homogenen wie auch heterogenen Modellen beschrieben werden. Allerdings sind die in Dampfturbinen auftretenden Feuchtegehalte sowie die Tropfendurchmesser und Verteilungen aufgrund der schwierigen Messmöglichkeit kaum bekannt [KOL2012]. Die Tropfendurchmesser liegen bei der Keimbildung im Bereich von 104 bis 103 m bzw. bis zu 0,1 bis 1,0 m. Aufgrund fehlender Daten werden numerische Modelle oft mit Parametern versehen, die eine Adaption an Messergebnisse konkreter Anwendungen erlauben [MOO1973, WHI1996] und [MOR2013]. Wie oben dargestellt, beschreibt die klassische Kondensationstheorie die Übersättigung durch eine lokale Unterkühlungstemperatur Tsc D Ts .p/ TC (5.32) mit der Sättigungstemperatur Ts .p/ bei einem Druck p und der Temperatur der kontinuierlichen Dampfphase TC . Die Unterkühlung quantifiziert das treibende Temperaturgefälle für den Wärmetransport QP vom Tropfen in Richtung der Dampfströmung. Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik lässt sich eine Entropieproduktionsrate definieren: QP QP SPth D Tg Td 0 (5.33) 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 207 wobei Ts .ps / Td angenommen werden kann. Der irreversible Prozess wird demnach vom frei werdenden Wärmestrom, der durch die Kondensatmenge und die latente Wärme vorgegeben ist und den vorherrschenden Temperaturen bestimmt. Bei Erreichen einer kritischen Unterkühlungstemperatur fällt ein kritisches Ensemble von Molekülen in die flüssige Phase aus und bildet Tröpfchen mit dem kritischen Durchmesser. Sind erst einmal derart Kondensationskeime entstanden, wachsen sie durch Kondensation an der Oberfläche. Die Unterkühlung wird hierdurch durch das Freisetzen der latenten Kondensationswärme schnell zur Gleichgewichtstemperatur mit der Konsequenz ausgeglichen, dass die maximale Unterkühlung am Ort der einsetzenden Keimbildung besteht. Der Ort maximaler Unterkühlung wird als Wilson-Linie bzw. Wilson-Oberfläche bezeichnet. Nach der klassischen Keimbildungstheorie [GER2008, BAK2005a, BAK2005b, GYA1976] sowie [YOU1982] ergibt sich die Keimbildungsintensität J als Keimbildungsrate wie oben dargestellt zu qc ! J D 1C 2 m3 12 c csat 4 r 2 exp d 3 kB Tc (5.34) Ergänzt um den Modellparameter !, um den Einfluss der Tropfenbildung auf die Zweiphasenströmung zu berücksichtigen. Der kritische Radius r r D 2 .nbtf / d GC (5.35) wird, wie von [MOO1973] und [GER2008] vorgeschlagen, mit einem Modellparameter (nbtf ) angepasst, um den Effekt der Keimbildung auf den Tropfendurchmesser und die Tropfenanzahldichte zu berücksichtigen. ist die Oberflächenspannung, rd die Dichte des Tropfens und Gc die Gibbs’sche Freie Energie der kontinuierlichen Phase, die aus der Zustandsgleichung der kontinuierlichen Phase berechnet werden kann. Der Index c bezeichnet die kontinuierliche Phase. Mit diesen beiden eingeführten Parametern kann die Position der Wilson-Linie sowie die Tropfenanzahl korrigiert werden. Der Korrekturfaktor der Oberflächenspannung (nbtf ) im homogenen Kondensationsquellterm ist der einzige Parameter der angepasst werden muss. Die Sensitivität dieses Faktors wurde an einigen dokumentierten Beispielen überprüft [ATH2011]. Bei einer Düsenströmung führte die Erhöhung des nbtf -Wertes von 0,7 auf 1,0 zu einer Verzögerung der Kondensation um 60 mm und zu einer Erhöhung der Unterkühlung um 20 %. [MOR2012a, MOR2012b] schlagen in ihrer Studie einen nbtf -Wert von 0,85 vor. Nachdem die Keimbildung festgelegt ist, ergibt sich die Tropfenanzahldichte zu @Nd C r Nd uE c D J; @t (5.36) 208 F. Joos und N. Neupert mit uE c als Geschwindigkeitsfeld der kontinuierlichen Phase. Der Massenbildungsterm der kontinuierlichen Dampfphase ergibt sich aus m P d D ˛c d 4 3 r 3 J (5.37) mit dem Volumenanteil der Dampfphase ˛c . Das Tropfenwachstum wird unter der Annahme modelliert, dass die Temperatur im Tropfen homogen ist [GER2008]. Somit ergibt sich aus der Energieerhaltung an der Tropfenoberfläche die Verbindung zwischen Wärme- und Massentransport zu md D qP C hC hd (5.38) mit der Wärmezufuhr an der Tropfenoberfläche qPC D c 2 rd Nuc .TS Tc / : (5.39) Hierbei bezeichnen C die Wärmeleitfähigkeit der kontinuierlichen Phase, rd den Tropfendurchmesser und TS die Oberflächentemperatur sowie TC die Temperatur der kontinuierlichen Phase r (5.40) TS D Ts .p/ ŒTs .p/ Tc : rd Für den kritischen Radius wird in diesem Fall der Parameter .nbtf / D 1 zu eins gesetzt [MOR2013]. [GER2008] modifizierte die von [GYA1976] angegebene Nu-Zahl zu Nuc D 2 1 C 3;18 Kn (5.41) mit der Knudsen-Zahl Kn. [YOU1982] erweiterte die Korrelation zu Nuc D mit 1 1C2Kn 2 C 3;78 .1 #/ Kn Pr C1 R Ts .p/ 2 qc R Ts .p/ #D ˛ 0;5 hc hd 2 qc 1 2 .hc hd / (5.42) (5.43) und der Prandtl-Zahl Pr der Dampfphase. Der Kondensationskoeffizient qc wird oft zu eins gesetzt. Die erweiterte Nu-Gleichung basiert auf einem Zwei-Schichten-Übertragungsmodell, bei der die Dampfschicht in Oberflächennähe (Index j) durch den freien molekularen Transport bestimmt wird, während die äußere Schicht (Index e) durch die Kontinuumstheorie beschrieben wird. Die Trennfläche dieser beiden Schichten liegt freie Molekülweglängen von der Oberfläche entfernt. 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 209 Durch den Parameter ˛ wird die Differenz zwischen Verdampfung und Kondensation nach [YOU1982] über das Verhältnis des Kondensationskoeffizienten Qc zum Verdampfungskoeffizienten Qe beschrieben zu TS Tj Qc D1C˛ : Qe Ts .p/ (5.44) Unter Gleichgewichtsbedingungen wird TS D Tj , so dass der Quotient zu eins wird. Die von [YOU1982] eingeführten Parameter variieren in der Literatur für zwischen 0 und 2 sowie ˛ zwischen 0 und 9. Obige Beziehung der Nu-Zahl von [GER2008] entspricht den Werten Qc D Qe D 1, ˛ D 0. Nach [YOU1982] wird die Tropfenwachstumsrate bei einer Pr-Zahl D 0;95 um ca. 25 % unterschätzt. Der relative Fehler der Nuc -Zahl beträgt etwa 30 %, falls der Parameter bei einer Kn D 2 und D 2 vernachlässigt wird [MOR2013]. 5.4 Tropfen-Wand-Interaktion Bei der Tropfen-Wand-Interaktion ist zu unterscheiden, ob lediglich feiner Nebel vorhanden ist, der sich an die Oberflächen ablagert oder aber ob bereits größere Einzeltropfen, die beispielsweise von vorangehenden Schaufeln abtropfen, die Wand beaufschlagen. 5.4.1 Ablagerung feinen Nebels Die Ablagerung des feinen Wassernebels auf die Schaufeloberfläche wird durch die Phänomene der molekularen sowie der thermischen und turbulenten Diffusion, der Gravitation und der Massenträgheit bestimmt. Der relative Einfluss der einzelnen Faktoren kann über eine einfache Abschätzung für den Fall der kondensierenden Strömung durch ein Turbinengitter untersucht werden, indem die charakteristischen Geschwindigkeiten abgeschätzt werden (Tab. 5.1). Mit dem Cunningham-Faktor Cc , der kinematischen Viskosität vg der gasförmigen Phase und dem Thermodiffusionskoeffizienten H. Der Index ly markiert die Diffusion der Flüssigkeit (l) in y-Richtung, D den molekularen Diffusionskoeffizienten und L eine charakteristische Länge. Tab. 5.1 Charakteristische Geschwindigkeiten der Tropfenablagerung nach [FEN2012] Phänomen Schwerkraft Thermodiffusion Charakteristische Geschwindigkeit c cgrav D g C v H cThermodiffusion D cT g ddyT Turbulente Diffusion cturb:Diff D Molekulare Diffusion cDiff D D L d u02 ly d 2y 210 F. Joos und N. Neupert Die Relaxationszeit der Tropfen () zur Beschreibung des Einflusses der Schwerkraft ergibt sich nach [YOU1988b] zu d 2 l Cc D (5.45) 18 g bzw. in dimensionsloser Darstellung C D g u2 (5.46) mit der Geschwindigkeit der Reibungsgrenzschicht u . Die Diffusion aufgrund des Temperaturgradienten in Richtung des kühleren Gebietes, die sogenannte thermische Diffusion, kann nach [TAL1980] durch den Thermodiffusionskoeffizienten 2;34 . r C 2;18 Kn/ (5.47) H D .1 C 3;42 Kn/ .1 C 2 r C 4;36 Kn/ Q mit der Knudsen-Zahl Kn D 2dl beschrieben werden ( r Wärmeleitungsverhältnis, lQ mittlere freie Weglänge, d Tropfendurchmesser). Die turbulente Diffusion kann über die turbulente Schwankungsgeschwindigkeit der Tropfen in y-Richtung nach [GUH1997] und [YOU1997] zu u02 ly bestimmt werden. Die Beschreibung des molekularen Diffusionskoeffizienten beschränkt sich aufgrund der sehr dünnen Schicht auf die Brown’sche Molekularbewegung nach [ZAI1995] auf DD kB T Cc 3 gd (5.48) mit der Boltzmann-Konstanten kB und der dynamischen Viskosität der gasförmigen Phase g. Nach der Studie von [FEN2012] beträgt die dimensionslose Relaxationszeit C für Tropfendurchmesser kleiner d < 2 m in etwa 200 (Abb. 5.5). Unter diesen Bedingungen ist die turbulente Diffusion um Größenordnungen die dominante Geschwindigkeit Abb. 5.5 Anfängliche Relaxationszeit C unter den typischen Bedingungen einer Niederdruckstufe (T D 330 K, p D 0;02 MPa) und einer Hochdruckstufe (T D 500 K, p D 2;6 MPa) nach [FEN2012] 5 a Modellierung der Zweiphasenströmung 211 b Abb. 5.6 Charakteristische Geschwindigkeiten c unter den typischen Bedingungen einer Niederdruckstufe (T D 330 K, p D 0;02 MPa) (a) und einer Hochdruckstufe (T D 500 K, p D 2;6 MPa) (b) nach [FEN2012] (Abb. 5.6). Ihre Berücksichtigung genügt somit neben der Trägheit, um den Tropfenniederschlag zu beschreiben. [ZAI1995] berücksichtigt dementsprechend den Beitrag der molekularen Diffusion in Abhängigkeit der Schmidt-Zahl (Sc) sowie der turbulenten Diffusion durch die Depositionsrate 3 0;115 Sc 4 C 2;5 104 C2;5 : (5.49) jC D 1 C 103 C2;5 Nach [GYA1962] erfolgt die Ablagerung von Tropfen einerseits an der Profilvorderkante (Index LE), die durch einen Zylinder beschrieben werden kann und andererseits auf der Druckseite, während Ablagerungen auf der Saugseite in erster Näherung zu vernachlässigen sind. Auf einer umströmten Zylinderoberfläche lagert sich demnach der Anteil der Tropfen 2 RLE (5.50) FLE D C p ab. Die Ablagerungseffektivität C besitzt für niedere Re-Zahlen der Umströmung (bezogen auf die Relativgeschwindigkeit), wie sie unter Dampfturbinenbedingungen bei kleinen Tropfendurchmessern typischerweise auftreten, lediglich eine Abhängigkeit von der cg Stokes-Zahl St D 2RLE . Dies wird in Abb. 5.7 verdeutlicht. Aufgrund der feinen Tröpfchen ist die Ablagerungsrate auch auf der Druckseite vernachlässigbar gering [FEN2012]. Allerdings verändert die Trägheit die umfangsmäßige Wasserverteilung beim Durchströmen eines Gitters, indem die Konzentration in der Nähe der Druckseite zu-, in der Nähe der Saugseite entsprechend abnimmt. 212 F. Joos und N. Neupert Abb. 5.7 Ablagerungseffektivität C eines Zylinders in Abhängigkeit von der St-Zahl nach Angaben von [GYA1962, YOU1988b, FEN2012] 5.4.2 Filmbildung bei Nebelströmung Die einfachste Annahme zur Filmbildung ist, dass die abgelagerte Wassermenge einen durchgehenden Film der Dicke h und der Geschwindigkeit cEFilm bildet. Die Filmdicke h und die Filmgeschwindigkeit cEFilm lassen sich aus der Kontinuitätsgleichung und der Impulserhaltung unter Berücksichtigung der Trägheit, der Scherkräfte sowie der Wandreibung nach [FOU1998] im Zylinderkoordinatensystem (Index cyl) bestimmen zu @h C rh cEFilm D Sh C Sh cyl @t E @M E cFilm D SM C SM cyl C rM @t Kontinuitätsgleichung Impulserhaltung (5.51) E D h cEFilm . mit M Der Quellterm der Kontinuitätsgleichung ergibt sich aus der Ablagerungsrate, die als Anzahl der abgelagerten Tropfen pro Fläche und Zeiteinheit definiert ist. Diese Ablagerungsrate legt einen Volumenstrom und damit bei gegebener Oberfläche eine Filmhöhe fest. Unter der Annahme, dass die gesamte auftreffende Masse auf der Oberfläche haftet, ergibt sich der Quellterm zu 1 jC " u C „ ƒ‚ … 2 Sh D turbulente Diffusion ıLE FLE m P " A … „ LE ƒ‚ (5.52) Ablagerung an der Vorderkante mit dem ersten Summanden als Depositionsrate aufgrund der turbulenten Diffusion und dem zweiten Summanden als Ablagerung auf der Vorderkante, gesteuert durch ) ( ıLE D 1 an der Vorderkante 0 an den anderen Flächen des Profils : (5.53) 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 213 Die Oberfläche der Vorderkante wird durch ALE festgelegt, m P ist der Massenstrom der Dampfströmung eines Strömungskanals des Gitters und " das Volumenverhältnis der flüssigen Phase. Der Faktor 1/2 der Ablagerungsrate an der Vorderkante folgt aus der Annahme, dass die abgelagerte Menge sich jeweils gleichmäßig auf die Saug- und Druckseite verteilt. Bis auf die Schergeschwindigkeit u können die benötigten Größen aus einer eindimensionalen Berechnung der Strömung durch das Gitter bereitgestellt werden. Die Schergeschwindigkeit kann über die Korrelation der glatten ebenen Platte von [SCH1968] bestimmt werden 1;15 cg (5.54) u D p 2 log 10RegX 0;56 2 Die RegX -Zahl ist auf die Lauflänge des Filmes, gemessen ab der Vorderkante definiert. Der Quellterm der Impulsbilanz SM ergibt sich aus den Kräften, die auf den Film einwirken, wie die Gravitation, die Reibung der Grenzschicht, sowie die aerodynamischen Kräfte aufgrund des Schubs durch die Geschwindigkeitsdifferenz und den Druckgradienten, der allerdings nach [WIL2006] vernachlässigbar ist. Die Schubspannungen der Flüssigkeitsoberfläche zur gasförmigen Dampfströmung g bzw. der Flüssigkeitsoberfläche zur Wand b ergeben sich zu g cEg cEl cEg cEl 2 g cEl cEb Eb D fb cEl cEb 2 Eg D fg (5.55) mit den Indices l (liquid), g (gas), b (blade). Nach [IHN1977] lässt sich der Reibungsfaktor fg zwischen Gas und Flüssigkeit bestimmen zu .1 C 0;025 Rel / (5.56) fg D 7 104 C 0;0625 Re0;32 g Die zu erwartende Filmdicke beträgt wenige zehn bis hundert m [HAM1981], so dass die Filmströmung als laminar angenommen werden kann und dementsprechend der Reibungsfaktor zwischen Liquid und Oberfläche zu fb D ˛ Rel (5.57) bestimmbar ist. ˛ ist eine Konstante, die nach [FEN2012] mit dem Wert ˛ D 24 die beste Übereinstimmung mit Messungen lieferte (s. Abb. 5.8). Rel basiert auf der Filmdicke und Filmgeschwindigkeit. Eg 3 l Eb D cEl : (5.58) h 2 214 F. Joos und N. Neupert Abb. 5.8 Filmdicke in Abhängigkeit der Dampfgeschwindigkeit einer Flüssigkeitsrate von 3,75 cm3 /min/cm, T D 325 K, p D 0;02 MPa nach [FEN2012] Durch das zylindrische Bezugssystem ergeben sich die zusätzlichen Quellterme h cFilm r r 2 2 h cFilm x cFilm r h cFilm r cFilm D : r r Sh cyl D SM cyl (5.59) Das Gleichungssystem erlaubt die Berechnung der Filmdicke sowie der axialen und radialen Komponenten der Geschwindigkeiten unter der Annahme, dass der Film der Oberfläche ablösungsfrei folgt. Die Schaufeloberfläche kann durch die Skelettlinie vorgegeben werden, so dass die axiale Geschwindigkeitskomponente aus der Meridianströmung und der Umfangsgeschwindigkeit der Schaufel bestimmt werden können. Sie ergeben sich nach [FEN2012] zu ( cb D 0 für Statoren : (5.60) cFilm D cFilm X tan.ˇ/ C cb mit cb D ! r für Rotoren Unter der Annahme, dass die Temperatur des Filmes der Sättigungstemperatur des statischen Druckes der Umströmung entspricht, braucht die Energiegleichung nicht formuliert werden. Das Modell der Filmbildung wird an experimentellen Ergebnissen von [HAM1975] validiert, die einen dünnen Wasserfilm auf einer dampfüberströmten Platte unter den Betriebsbedingungen einer Niederdruckturbine untersuchten. Der Dampfstrom wurde im Geschwindigkeitsbereich von 50 bis 400 m/s bei einer Temperatur von 325 K und einem Druck von 0,02 MPa aufgegeben. Der Filmleger setzte 3,75 cm3 /min/cm Wasser mit einer Temperatur von T D 325 K durch. Sowohl die Formulierung der Schubspannungen nach Gl. 5.58 als auch nach Gl. 5.55 wurden mit den Ergebnissen verglichen. Wird die Schubspannung der Blattoberfläche b aus der Schubspannung der Flüssigkeit l berechnet Gl. 5.58, so ergibt sich eine gute Übereinstimmung mit dem theoretischen Verlauf von [HAM1975], der allerdings um den 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 215 Faktor 2 bis 3 von den Messungen abweicht, während die Formulierung nach Gl. 5.55 eine gute Übereinstimmung mit den Messergebnissen zeigt (Abb. 5.8). Der Koeffizient ˛ wurde hierbei auf den Wert ˛ D 24 gesetzt. 5.4.3 Aufprall einzelner Tropfen auf eine Wand Das Verhalten von Sprays bei einer Kollision mit festen Oberflächen ist ein für viele technische Anwendungen relevantes Themengebiet, das jedoch aufgrund seiner Komplexität bisher noch nicht zuverlässig berechnet werden kann [URB2009, GOM2009, EIS2011]. Die Kollisionen der einzelnen Tropfen finden sowohl an der Beschaufelung als auch an Nabe und Gehäuse statt. Die Komplexität des Tropfenaufpralls hängt in entscheidender Weise davon ab, ob die Oberfläche bereits durch die Flüssigkeit benetzt ist, da bei einer benetzten Oberfläche von einer bekannten Oberflächenstruktur ausgegangen werden kann, während trockene Oberflächen im Allgemeinen eine unbekannte Rauheitsstruktur aufweisen. Ein Überblick über die Einflussgrößen des Tropfenaufpralls und Modellansätze zur Berechnung beider Fälle werden in [YAR2006] gegeben. Der Tropfenaufprall auf dicke Oberflächenfilme (hFilm =d > 1) ist für die Strömung der Niederdruckturbine nicht von großer Relevanz. Ihm wird im Folgenden nicht weiter nachgegangen. Die Dimensionsanalyse liefert die beschreibenden Kennzahlen für den Tropfenaufprall: WeA D d dd u2d ; ReA D d dd ud ; d StA D L : d dd ud (5.61) Die Weber-Zahl We beschreibt das Verhältnis von kinetischer Energie zur Oberflächenenergie des Tropfens, die Reynolds-Zahl Re das Verhältnis der Trägheitskräfte zu den Scherkräften innerhalb des Tropfens und die Stokes-Zahl St das Verhältnis der charakteristischen Zeiten des umgebenden Gases und des Tropfens. Eine weitere wichtige Kennzahl des Tropfenaufpralls stellt die Ohnesorge-Zahl Oh dar d : Oh D p d dd (5.62) Beim senkrechten Aufprall eines sphärischen Tropfens auf eine trockene, ebene und glatte Oberfläche mit der Geschwindigkeit ud ist die zuerst eintretende Berührung zentral und punktförmig. Anschließend bildet sich eine kreisförmige Kontaktlinie aus, die sich mit einer geometrisch bestimmbaren Geschwindigkeit vk ausbreitet: vk D ud ; tan ˇ (5.63) hierbei ist ˇ der Kontaktwinkel tangential zur Tropfenoberfläche. Zum Zeitpunkt des Kontaktes wird eine Druckwelle in den Tropfen reflektiert, die sich mit der Geschwindigkeit 216 F. Joos und N. Neupert Abb. 5.9 Zeitlicher Verlauf des Tropfenaufpralls auf eine feste, trockene Oberfläche nach [REI1993] us im Tropfen ausbreitet. Der weitere Verlauf des Aufpralls ist nach [REI1993] in Abb. 5.9 schematisch dargestellt. 1. In der ersten Phase (1) ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Kontaktkreises vk größer als die der Schockwelle q vk > u2s C u2d (5.64) Es tritt eine Deformation der Flüssigkeit in Form einer Kompression im Kontaktbereich auf, wobei der übrige Teil des Tropfens noch unbeeinflusst bleibt. 2. Die vom Kontaktpunkt ausgehende Schockwelle erreicht zum kritischen Zeitpunkt (2) die langsamer werdende Kontaktlinie mit q vk < u2s C u2d (5.65) an der der kritische Kontaktwinkel ˇk D arcsin uuds gebildet wird. 3. Nach diesem Zeitpunkt löst sich die Schockwelle von der Aufpralloberfläche ab, wodurch die Flüssigkeit aufgrund des Druckgradienten aus dem Tropfen nach außen getrieben wird (3). Die Stärke der Schockwelle ist mit der sogenannten Waterhammer-Equation pwh D d al ud (5.66) abschätzbar, die sich aus der eindimensionalen Lösung des Tropfenaufpralls ergibt. al bezeichnet die Schallgeschwindigkeit in der Flüssigkeit. Eine zweidimensionale Berechnung in [HEY1969] zeigt, dass die erreichbaren Spitzendrücke an der Kontaktlinie für Aufprall Machzahlen zwischen 0;03 < Maw < 0;3 mindestens einen Wert von 3pwh erreichen. Diese hohen Druckspitzen sind für die erosive Wirkung des Tropfenaufpralls verantwortlich. Eine Erweiterung dieser Modelle wird 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 217 in [LES1983] vorgestellt, die neben der Kompressibilität des Tropfens auch die des festen Materials in Betracht zieht. Hierdurch ergeben sich größere kritische Kontaktwinkel, deren Übereinstimmung mit experimentellen Ergebnissen besser ist. Ähnliche theoretische Untersuchungen wurden von [SUR1989] durchgeführt, die ebenfalls eine Abhängigkeit des kritischen Kontaktwinkels von der Elastizität des Materials der festen Oberfläche aufzeigten. Für einen schrägen Aufprall des Tropfens ergibt sich ein verschobenes Druckprofil an der Stelle des Kontaktes, wie [FAD1988] für Aufprallwinkel bis 60ı zeigen konnten. Die bis zum Erreichen des kritischen Kontaktwinkels stattfindenden Vorgänge werden auch als kinematische Phase bezeichnet. In [RIO2002] wurde experimentell nachgewiesen, dass die Benetzungseigenschaften der Oberfläche in dieser Phase keine Rolle spielen. Das Aufprallverhalten kann hier vollständig durch Tropfendurchmesser und -geschwindigkeit beschrieben werden. Mit der dimensionslosen Zeit A D t uddd < 0;1 wird demnach die Dauer der kinematischen Phase quantifiziert. Neue theoretische Untersuchungen von [MAN2010] ziehen das Kompressionsverhalten der Gasschicht zwischen Tropfen und Aufpralloberfläche mit in Betracht und identifizierten einen Parameterbereich, in dem kein Kontakt von Flüssigkeit und fester Oberfläche zustande kommt. Dieses Szenario tritt vornehmlich bei kleinen Aufprallgeschwindigkeiten und Tropfendurchmessern auf und wird durch die Oberflächenspannung der Flüssig8 2 keit dominiert. Der Übergang zum viskos dominierten Verhalten findet bei dd StA9 WeA 3 109 m statt. Die Entwicklung des Tropfens in der Ausbreitungsphase, in der die Flüssigkeit aus dem Tropfen getrieben wird, ist von der Weber- und der Reynoldszahl, so wie der Rauigkeitsstruktur der Oberfläche abhängig [RIO2002]. Dabei ist nicht nur die Rauigkeitstiefe, sondern vielmehr die gesamte Topologie der Oberfläche entscheidend. Im weiteren Verlauf des Aufpralls sind folgende Entwicklungen möglich [YAR2006]: 1. Deposition: Die Flüssigkeit des Tropfens breitet sich kreisförmig von der Aufprallstelle als Film auf der Oberfläche aus und zieht sich anschließend getrieben von der Oberflächenspannung zu einem Gleichgewichtszustand der Kräfte zusammen. 2. Prompt Splash: Ein geringer Anteil des Tropfenvolumens wird beim Aufprall in Form kleiner Tropfen in die Umgebung geschleudert, während das restliche Volumen durch Deposition an der Oberfläche verbleibt. 3. Corona Splash: Der beim Aufprall ausgetriebene Flüssigkeitsfilm löst von der Oberfläche ab und bildet eine trichterförmige Krone, an deren Rand sogenannte Finger entstehen. An den Spitzen der Finger lösen sich schließlich kleine Tropfen ab. 4. Receding Break-up: Nach maximaler Ausdehnung des Flüssigkeitsfilmes durch Deposition zieht sich dieser unter Wirkung kapillarer Kräfte mit der Bildung von Fingern zurück. Diese zerfallen in kleinere, an der Oberfläche haftende Tropfen. 5. Partial Rebound: Nach der Deposition reicht die noch nicht dissipierte kinetische Energie aus, um die Flüssigkeit an der Aufprallstelle von der Oberfläche zu heben. Dabei 218 F. Joos und N. Neupert löst sich aus der aufsteigenden Säule ein Tropfen heraus, während sich das restliche Material auf der Oberfläche zum Erreichen des Gleichgewichtszustandes ausbreitet. 6. Rebound: Nach der Deposition reicht die kinetische Energie aus, um die gesamte Flüssigkeit wieder von der Oberfläche abzulösen. Dabei wird die Tropfenform vollständig wiederhergestellt. Die Szenarien 4–6 finden bei geringen Aufprall-Weberzahlen und schlechter Benetzungsfähigkeit der Oberfläche statt. Daher sind sie für eine tropfenbeladene Niederdruckturbinenströmung von untergeordneter Bedeutung. Für die relevanten Szenarien 1–3 sind verschiedene Versuche unternommen worden, das Auftreten der Deposition mit Hilfe der dimensionslosen Aufprallkennzahlen vom Splashing zu differenzieren. In [MUN1996] wird ein Grenzfaktor für das Splashing eingeführt: KM D We0;5 A Re0;25 A D d3 dd3 u5d d2 d 0;25 (5.67) mit KM < 57;7 deposition, KM 57;7 prompt splash. Eine Grenze für das Auftreten von corona splashing wird in diesem Zusammenhang nicht angegeben. Die Abhängigkeit der Splashing-Grenze von der Rauigkeitsstruktur der Oberfläche wird in qualitativer Weise aufgeführt. Demnach führen kleine Rauigkeiten dd zu einer Unterdrückung des Splashings, während große RauigT D 2 RddT keiten den Tropfenzerfall verstärken. Die wesentlichen Ergebnisse der experimentellen Untersuchung sind: Hohe Oberflächenrauigkeit verstärkt den Zerfall des auftreffenden Tropfens. Ist die Rauigkeit von derselben Größenordnung wie der Tropfendurchmesser, führt dies zum chaotischen Zerfall des Tropfens. Ein schräger Tropfenaufprall bis 60ı hat keinen Einfluss auf die Gültigkeit des kritischen KM -Faktors. Die Geschwindigkeiten der Sekundärtropfen hängen allein von der Geschwindigkeit des Primärtropfens ab. Mit steigendem KM -Faktor steigt die Zahl der Sekundärtropfen exponentiell an. Eine Untersuchung der Abhängigkeit der Splashing-Grenze von der Oberflächenrauigkeit findet sich in [STO1981]. Hier konnte gezeigt werden, dass bei kleinerer Oberflächenrauigkeit die Splashing-Grenze zu höheren Aufprallgeschwindigkeiten verschoben wird. Eine Einordnung der von [STO1981, COG1995] und [MUN1996] gemessenen SplashingGrenze bezüglich der Rauigkeit der Oberfläche, wie bereits auch von [COS1997] vorgenommen, ist in Abb. 5.10 dargestellt. Wird eine Rauigkeit von D 0;01 überschritten, 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 219 Abb. 5.10 Gemessene Splashing-Grenzen in Abhängigkeit der Oberflächenrauigkeit nach [COS1997] so zeigen die Messungen die von [MUN1996] angegebene konstante Splashing-Grenze (KM D 57;7). Ein vereinfachtes Kriterium konnte von [WAL2006] gefunden werden, p in dem die Grenze für das Splashing über die Kapillar-Zahl Ca mit dem Grenzwert Ca D 0;35 definiert wurde. Diese reduziert die Einflussparameter auf die Aufprallgeschwindigkeit, die Viskosität und die Oberflächenspannung: Ca D d ud : (5.68) Der Tropfenaufprall im Strömungsfeld der Turbine bewegt sich durch die geringen Tropfendurchmesser der Größenordnung 10 m im Bereich der von der Rauigkeit unbeeinflussten Splashing-Grenze. Trotz der hohen lokalen Geschwindigkeiten von Ma > 1 kann die Splashing-Grenze jedoch durch flache Aufprallwinkel auf dem Profil unterschritten werden. Experimente von [XU2005] wiesen die Existenz eines kritischen Umgebungsdruckes für das Auftreten von Splashing nach. Durch Absenken des Umgebungsdruckes war es möglich, das Splashing vollständig zu unterdrücken. Die Mechanismen der Interaktion des Splashingvorganges mit dem umgebenden Gas konnte allerdings noch nicht aufgeklärt werden. Die Ergebnisse von [XU2005] zeigen des Weiteren, dass der kritische Druck des Splashings bei Aufprallgeschwindigkeiten von weniger als 2 m/s stark ansteigt. Es ist 220 F. Joos und N. Neupert also anzunehmen, dass charakteristische Geschwindigkeitsbereiche existieren, in denen der Aufprallvorgang von verschiedenen Einflussgrößen des Gases dominiert wird. Mit der Abhängigkeit des Aufprallvorgangs von dem thermodynamischen Zustand des Gases ist auch der Einfluss der Kompressibilität bei Aufprallgeschwindigkeiten von Ma > 0;3 wahrscheinlich. Die von [MAN2010] gefundenen Zusammenhänge in Abhängigkeit des Zustandes vor dem Aufprall des Tropfens erwiesen sich für geringe Aufprallgeschwindigkeiten als vollständig unabhängig vom Umgebungsdruck. Die Vorgänge bei höheren Aufprallgeschwindigkeiten sowie die frühe Phase der Tropfenausbreitung auf der Oberfläche sind Gegenstand aktueller Forschung. Es wird in Betracht gezogen, dass Einschlüsse des umgebenden Gases zwischen Flüssigkeit und fester Oberfläche einen Einfluss auf das Ablösen des Filmes haben [REI2008]. Der Tropfenaufprall auf einen dünnen Wasserfilm der Höhe H D h=dd < 1 ist im Wesentlichen durch die Interaktion des aufprallenden Tropfens mit der ruhenden Flüssigkeit zu beschreiben. Die Rauigkeitsstruktur der Oberfläche ist hier von untergeordneter Bedeutung. Der charakteristische Ablauf des Aufpralls ist durch die Beteiligung des flüssigen Materials auf der Oberfläche bestimmt. Die induzierte Unstetigkeit im Geschwindigkeitsfeld der Flüssigkeit führt bei ausreichend großer Aufprallenergie zur Ausbildung einer Krone, die senkrecht auf dem Film steht. In dieser Krone entstehen durch Instabilitäten Finger, an denen sich Sekundärtropfen ablösen. Als Grenzwertkriterium für den Sekundärzerfall wird analog zum trockenen Aufprall ein Splashing-Faktor definiert 0;4 KF D We0;8 A ReA (5.69) der von [COS1997] wie folgt angegeben wird: KF;krit D 2:100 C 5:880 H 1;44 ; (5.70) für 0;1 < H < 1; Oh > 7 103 . Für dünnere Filmdicken gehen die Vorgänge in den Aufprall auf trockene Oberflächen über. Ein vereinfachtes Kriterium für das Splashing aus dünnen Filmen (hFilm =d < 1) p wird von [WAL2006] mit WeA > 20 angegeben. Im überwiegenden Teil der technischen Anwendung findet der Tropfenaufprall mit dispersen Sprays statt. Im Unterschied zum Einzeltropfenaufprall können hier auch Interaktionen zwischen Tropfen auf der Oberfläche auftreten. Somit sind die tatsächlich auftretenden Vorgänge als partiell benetzter Aufprall zu beschreiben. Eine experimentell gut zu erfassende Annäherung kann durch den Aufprall einer Tropfenkette realisiert werden. Hier treffen die Tropfen auf einen teilweise vorhandenen Film der vorlaufenden Tropfen. Mit einem solchen Aufbau konnten [YAR1995] eine kritische Geschwindigkeit für den Sekundärzerfall in Abhängigkeit der Aufprallfrequenz fA finden: 38 1 fA 1 8 : (5.71) ud;krit D 18 4 d d 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 221 Die Charakterisierung der Durchmesser- und Geschwindigkeitsverteilung der Sekundärtropfen des Aufpralls eines Sprays gelang [ROI2006]. Durch eine umfangreiche numerische und experimentelle Untersuchung wurde eine Korrelation für das Verhältnis vom primären zum sekundären Volumenstrom gefunden: VPprim VPsek D 0;005 KF2;25 Re0;5 0;0011 VP D A ud VPprim ! : (5.72) 0;4 In diesem Fall des Splashing eines Sprays gilt der Splashingfaktor KF D We0;8 A ReA . Die angegebene Korrelation unterliegt der Einschränkung, dass die Gültigkeit nur für VP < 0;5 nachgewiesen wurde. Des Weiteren wurde eine Strömung im umgebenden Gas ausgeschlossen. Das Verhältnis der kinetischen Energien von Primär- und Sekundärspray wurde innerhalb dieses Gültigkeitsbereichs mit E D 0;36 1;1 P angegeben. Dabei enthält V die kinetische Energie die Oberflächenenergie. Mit Hilfe dieser Korrelationen ist zumindest eine Abschätzung des auf der Oberfläche verbleibenden Anteils des Sprays und der Geschwindigkeit der Sekundärtropfen möglich. Wird die Aufprallfläche von der Gasströmung umströmt, so wird der nach dem Aufprall des Tropfens auf der Oberfläche verbleibende Anteil der Flüssigkeit durch Scherkräfte bewegt. Die Bewegung der Flüssigkeit ist abgesehen von ihren Stoffeigenschaften auch von der Benetzungsfähigkeit der Oberfläche abhängig. Diese wird über den Kontaktwinkel im Ruhezustand charakterisiert. Wie bereits in Abschn. 5.4 der Ablagerung feinen Nebels dargestellt, kann die Bewegung der Flüssigkeit analog mit der Bewegung der Kontaktlinie gleichgesetzt werden und mit dem dynamischen Kontaktwinkel in der Bewegung in Zusammenhang gebracht werden. In der Kontinuumsmechanik führt diese Bewegung aufgrund der geltenden Haftbedingung zu einer Singularität in der Kräfteverteilung. Aus diesem Grund werden für die mathematische Beschreibung dieser Vorgänge Ansätze aus der Molekulardynamik sowie kombinierte Ansätze beider Bereiche angewandt [BLA2006]. Die charakteristischen Kennzahlen der Oberflächenbewegung sind die Kapillarzahl und die Reynoldszahl: Calf D L u1 ; Relf D u1 h L : L (5.73) Hier ist h die Dicke des Filmes, der durch die Tropfen gebildet wird und u1 die Schergeschwindigkeit, die durch u1 D u.h/ abgeschätzt werden kann. Durch Welf D Calf Relf ist eine Reduktion der Vorgänge auf einen Parameter möglich. Numerische Untersuchungen von [DIM1997] sowie [SCH1999] befassen sich mit der Tropfenverformung und -bewegung bei kleinen Reynolds- und Kapillarzahlen. Allerdings konnten aus den gewonnenen Ergebnissen keine Modelle für die Bewegungsgeschwindigkeit der Flüssigkeit auf der Oberfläche abgeleitet werden, die eine Kenntnis des dynamischen Kontaktwinkels nicht voraussetzen. 222 5.4.4 F. Joos und N. Neupert Modellierung des Tropfenaufschlages auf eine feste Wand Die Interaktion der Tropfen mit der Wand führt nicht nur zu einer Filmbildung der Flüssigkeit, sondern auch zu einer mechanischen Belastung der Wand selbst. [HAN2012] berechneten den Einfluss des Tropfenaufschlages auf eine deformierbare feste Oberfläche mit Hilfe eines Euler-Lagrange-Verfahrens. Die feste Oberfläche wurde mit einer Finiten-Elementen-Methode nach Lagrange formuliert, die der Bewegung der Oberfläche bei moderaten Spannungen folgen kann, während das Strömungsfeld im Fluid über die Euler’sche Formulierung simuliert wird. Die Koppelung der beiden Netze erfolgt beim Auftreten einer Deformation über eine Kraft, die von der Steifheit der Kontaktfläche und deren Ausbeulung abhängt. Zudem wird eine künstliche Grenzschichtviskosität nach [WIL1980] eingeführt, um die Unstetigkeit der Stoßwelle in einen kontinuierlichen Übergang zu verschmieren. Die benötigten Materialdaten für das Dampfturbinenmaterial Cr12WMoV, das ideal bilinear isotrop aushärtet, werden von [WIL1980] und [MEY1994] entsprechend Tab. 5.2 angegeben. Das Realgasverhalten der Luft kann durch p D . 1/ Ei 0 (5.74) beschrieben werden. Die Standarddichte beträgt 0 D 1;205 kg=m3 , die dynamische Viskosität D 1;81 105 Pa s; Ei bezeichnet die auf das Volumen bezogene innere Energie. Wasser unter Kompression kann über die Mie-Gruneisen-Beziehung nach [LIU2002] modelliert werden 0 al2 1 C 1 20 a2 2 (5.75) pDh i2 C .0 C a / Ei 2 3 1 .S1 1/ S2 C1 S3 . C1/2 unter Expansion zu p D 0 al2 C .0 C a / E: (5.76) Die Standarddichte des Wassers wird zu 0 D 998;2 kg/m3 , die dynamische Viskosität zu D 1;002 103 Pa s gegeben. Hierbei bedeutet hier D 0 1. S1 , S2 und S3 sind die Tab. 5.2 Materialdaten für Cr12WMoV nach [WIL1980] und [MEY1994] Dichte Elastizitätsmodul E (Young Modulus) Poisson Zahl (E/2 G 1) Zugfestigkeit (Yield Strength) Steigung der Zugfestigkeit (Tangent Modulus) Druckwellengeschwindigkeit G Schubmodul 7850 kg/m3 211,8 GPa 0,3 700 MPa 7,06 GPa 4570 m/s 5 Modellierung der Zweiphasenströmung Tab. 5.3 Materialdaten für Wasser nach [LIU2002] und [STE1987] al 0 a S1 S2 S3 223 1480 m/s 0,5 0 2,56 1;986 0,2268 Koeffizienten der Steigung der Differenz aus Stoßgeschwindigkeit und Tropfengeschwindigkeit. Die restlichen Materialdaten nach [LIU2002] und [STE1987] sind in Tab. 5.3 zusammengestellt. Ei bezeichnet hier die auf das Volumen bezogene innere Energie des Wassers. Typischerweise liegt der Tropfendurchmesser um 0,2 m, die Fluggeschwindigkeit in der Luft bei ca. 500 m/s, wobei die Blattspitzengeschwindigkeit bei 750 m/s liegt [AHM2009a]. [HAN2012] berechnen für diese Bedingungen Druckspitzen von bis zu 11.800 MPa. Sowohl das Druckfeld im aufprallenden Tropfen als auch die Ausbreitung der Kontaktfläche sind in einem plausiblen Bereich vergleichbar mit Messergebnissen von [ROC1979]. Das Bild der Deformation der festen Oberfläche ergibt, dass sowohl die Druckspitze beim Aufprall als auch die sich ausbreitenden radialen Strähnen zur Schädigung des Materials und zur Erosion beitragen. 5.4.5 Einwirkung der Tropfen auf die Schaufeloberfläche Die Tropfenbildung in den letzten Stufen einer Kondensationsturbine führt naturgemäß auf eine Interaktion der mit hoher Geschwindigkeit auf die Oberfläche treffenden Tropfen, was zu Erosionserscheinungen führt. Durch die hierbei entstehende Erosion kommt es zu Schaufelschäden [SPR1976]. Schon in den 1960er-Jahren wurde in verschiedenen experimentellen Studien untersucht, welche Rolle der Tropfenschlag bei thermohydraulischen Strömungsmaschinen hinsichtlich Erosionsschädigung spielt [BOW1961, HAN1966] sowie [SMI1966]. Begleitend zu den experimentellen Arbeiten wurden kontinuumsmechanische Modelle zur numerischen Untersuchung der Erosion eingesetzt [CAM2007, CUP2005, HEY1992, WAN2008] sowie [WOY1999]. Schädigungssimulationen werden heutzutage auf makroskopischer Ebene [SAM2008] sowie auf mikroskopischer Ebene [DRA2005] durchgeführt. Sie erlauben es, sowohl spröden als auch duktilen Rissfortschritt mit lokalen und nichtlokalen Schädigungsmodellen oder mit Kohäsivzonenmodellen zu berechnen [SCH2005]. Auf atomarer Ebene kann die Erosion mit Hilfe der Monte-Carlo(MC)-Methode simuliert werden [STE1993]. Es liegen auch Modelle zur Simulation der Rissbildung bei wiederholter Impact-Belastung vor [WAW1993]. Die Modellierung der Tropfenschlagerosion an Turbinenschaufeln ist skalenübergreifend bisher nicht simuliert worden. 224 F. Joos und N. Neupert Abb. 5.11 Auftreffen eines kugelförmigen Tropfens auf eine ebene, feste Oberfläche [HAL2002] simulierten den Aufprall eines Wassertropfens von 100 m Durchmesser mit einer Geschwindigkeit von 500 m/s. Sie konnten zeigen, dass beim Aufschlag Schockwellen innerhalb des Tropfens entstehen, die seitliche Jetting-Eruptionen mit Geschwindigkeiten von über 1000 m/s hervorrufen. Auf der Kontaktfläche ergeben sich kurz nach dem Aufprall Drücke über 109 Pa. Die Autoren betonen, dass die Kompressibilität des Fluids bei der Modellierung des Tropfenaufpralls nicht vernachlässigt werden darf. Die Schädigung der Oberfläche wird durch lokale Druckspitzen im Tropfen hervorgerufen, die bei hohen Auftreffgeschwindigkeiten Werte über 10.000 bar annehmen können. Die auftretenden Drücke bei einem sogenannten Wasserschlag nehmen nach [COO1928] Werte um (5.77) p D l al c0 an. Hierbei bezeichnet l die Dichte der Flüssigkeit, al deren Schallgeschwindigkeit (in Wasser bei t0 D 20 ı C beträgt al D 1480 m/s) und c0 die Auftreffgeschwindigkeit. Das Auftreffen des Tropfens auf der Oberfläche löst nach [HEY1968] eine Druckwelle mit der Druckspitze l al c0 s cs (5.78) pD l aStoßwelle C s cs mit s respektive cs der Dichte, bzw. der Schallgeschwindigkeit des Schaufelmaterials. Beim Auftreffen des als kugelförmig angenommenen Tropfens senkrecht zu einer ebenen Oberfläche breitet sich vom Berührungspunkt eine Stoßwelle mit dem Radius der Kontaktfläche Re und dem Kontaktwinkel ˇ, die nach dem Prinzip von Huygens konstruiert werden kann, aus (Abb. 5.11). Der komprimierte Anteil des aufschlagenden Tropfens, der schraffiert dargestellt ist, wird durch die Stoßwelle, deren Steigung am Auftreffrand ebenfalls durch den Winkel ˇ beschrieben wird, vom restlichen Fluid abgetrennt. Nach einer zweidimensionalen Abschätzung von [HEY1969] beträgt die auftretende Druckspitze unter Berücksichtigung der Stoßwelle unmittelbar hinter der Kontaktfläche im mittleren Geschwindigkeitsbereich pSpitze D 3 a c (s. Gl. 5.77). 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 225 Unter den getroffenen Annahmen ist insbesondere zu hinterfragen, inwieweit der Kontaktwinkel mit der Zeit ansteigt. So berücksichtigt [LES1981] die detaillierte Druckverteilung im anfänglich kompressiblen Fluidteil. Für kleine Auftreff-Ma-Zahlen sind die Ergebnisse mit den Aussagen von [HEY1969] kompatibel. Die Kontaktfläche wächst schneller als die Geschwindigkeit der Stoßwelle im Liquid zu Beginn des Aufschlages. Aus geometrischen Überlegungen ergibt sich aus Abb. 5.11 eine Geschwindigkeit des Kontaktradius zu ce D al ctg .ˇ/ ; (5.79) so dass sich diese Geschwindigkeit mit wachsendem Kontaktwinkel reduziert. Für eine feste Oberfläche entspricht die Geschwindigkeit der Stoßwelle der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Kontaktfläche für sin ˇ D al aStoßwelle : (5.80) Somit ergibt sich für die anfängliche kompressible Phase ein maximaler Radius Rmax D R c0 : aStoßwelle (5.81) Durch Messungen der Drücke nach dem Aufschlag fanden [ROC1979] in Übereinstimmung mit der Theorie Werte im Bereich um pSpitze D 2;5 l al c0 . Sie fanden zudem, dass die Ausbildung der Strahlen im Vergleich zur theoretischen Vorhersage später eintrat. Die eingesetzte piezoelektrische Keramik mit einer Kantenlänge von 0,3 mm bei einer Tropfengröße von 5 mm bewirkte allerdings eine relativ grobe Auflösung der anfänglichen Benetzungsfläche. Um die Auflösung zu verbessern, verwendeten [FIE1989] für ein ebenes Experiment Gel zur Visualisierung der Stoßwelle und der sich ausbildenden radialen Strahlen. Sie fanden, dass mit zunehmender Elastizität der Oberfläche eine Verzögerung der Strahlbildung auftrat. Durch den Aufschlag eines mit Überschallgeschwindigkeit einfallenden Tropfens zeigte sich aufgrund der extrem hohen Scherkräfte eine linsenförmige Verformung der Oberfläche, wie [BOW1961] experimentell nachweisen konnten. Erste numerische Studien zum Aufprall eines mit hoher Geschwindigkeit anfliegenden Tropfens auf eine feste Oberfläche verdeutlichen dieses Phänomen. Allerdings konnte die Ausbreitungszeit der Flüssigkeitsstrahlen nicht adäquat nachvollzogen werden [HAL2002]. Unter Berücksichtigung der Deformation der festen Oberfläche führten [HAN2012] sowie [AQU2006] numerische Untersuchungen durch, um die Ausbildung der Druckspitzen sowie die Ausbreitung der Stoßwelle zu berechnen. 226 5.5 F. Joos und N. Neupert Beschreibung des Wandfilms bei Tropfenaufprall Der Niederschlag mit Filmbildung eines feinen Nebels wurde in Abschn. 5.4.1 dargestellt. Im Folgenden soll die Filmbildung basierend auf der Ablagerung einzelner Tropfen dargestellt werden. Größere Tropfen werden im Allgemeinen als Einzeltropfen im Lagrange-System verfolgt, da die auftretenden Kräfte über ein Widerstandsgesetz einfacher zu implementieren sind, was den Nachteil des zusätzlich erforderlichen Koordinatensystems aufwiegt. Die auf die Tropfen wirkenden Kräfte (Abb. 5.2) werden jeweils lokal berechnet. Da die Anzahl der Tropfen so hoch ist, dass sie nicht alle berechnet werden können, werden entweder in mehreren folgenden Rechnungen die Trajektorien von Einzeltropfen betrachtet, bis sich eine statistische Aussage ergibt, oder aber die Eigenschaften der Tropfen werden in Tropfenklassen zusammengefasst (Abb. 5.12). Der äquivalente Tropfendurchmesser Dd errechnet sich aus der Masse der Flüssigkeit vor dem Wandkontakt (Abb. 5.12). Auf der Wand ergibt er sich aus einer adäquaten Filmdicke h, während er nach Verlassen der Wand aus einem Zerstäubungsgesetz hergeleitet werden kann. Die Anzahl der Tropfenklassen kann über die zeitabhängige Verteilung der Feuchte bestimmt werden m dcd D FDS C FDU C Fzentrifugal C FCoriolis : dt (5.82) Mit der Widerstandskraft FDS , FDS D 1 CD A v jcd j cd : 2 (5.83) Für große Beschleunigungen der Tropfen muss die Trägheitskraft FDU berücksichtigt werden dc 1 d FDU D v Dd3 : (5.84) 2 6 dt a b c Abb. 5.12 Schema von drei Phasen einer Tropfenklasse mit zugehöriger Definition der Durchmesser 5 Modellierung der Zweiphasenströmung Die Zentrifugalkraft Fzentrifugal und die Corioliskraft FCoriolis können werden zu 0 0 B Fzentrifugal C FCoriolis D @ md ! 2 x2 C 2 md ! cdz md ! 2 x3 2 md ! cdy 227 zusammengefasst 1 C A: (5.85) Treffen Tropfen auf die Wand, so muss an sich unterschieden werden, ob sie zurückprallen, in feine Tröpfchen zerstäuben (Splashing), wobei ein Teil auf der Wand abgelagert bleibt oder aber insgesamt auf der Wand abgelagert werden (s. Absch. 5.4.2). Die auf der Wand abgelagerte Flüssigkeit bildet aufgrund der hydrophilen Eigenschaft des Schaufelmaterials einen Wasserfilm. Je nach den auftretenden Scherkräften ergibt sich eine glatte oder wellige, instabile Oberfläche, die nur schwer zu beschreiben ist. [HAM1981] zeigt das Filmaufreißen in Abhängigkeit der Außenströmung und der Filmdicke mit Hilfe einer Stabilitätsanalyse, während [ELG2001, SAB2004] die Fingerbildung über eine Energiebilanz beschreiben, allerdings am Beispiel von Rieselfilmen die durch die Gravitation stärker beeinflusst werden als durch die Scherströmung. Vereinfacht lässt sich nach [SAS2013] das Kräftegleichgewicht des Wasserfilms zu m 1 dcd D FDS C FDU C Fzentrifugal C FCoriolis C FReibung dt 2 (5.86) formulieren. Die Dicke des Filmes hängt vom Massenstrom des Dampfes, von der Feuchte, vom Material der Beschaufelung und noch weiteren Faktoren ab. Sie ist nur schwer zu beschreiben. [SAS2013] nehmen deshalb an, dass sich die abgelagerte Flüssigkeit als Kugeln mit dem Durchmesser der Filmhöhe auf der Wand bewegen. Die Filmdicke h wird zu 100 m angenommen. Somit kann die treibende Widerstandskraft nach obiger Gleichung berechnet werden. Die Reibungskraft FReibung FReibung D kf cl AKontakt (5.87) ergibt sich aus der Geschwindigkeit der Tropfen auf der Wand und deren Kontaktfläche Akontakt . Der Reibungskoeffizient wird zu kf D 0;05 angenommen. 5.6 Zerstäubung an der Hinterkante Der Wasserfilm wird auf der Schaufeloberfläche durch die Dampfströmung und durch das Zentrifugalfeld an die Hinterkante bzw. an die Schaufelspitze getrieben und dort im Scherfeld der Strömung der Druck- und Saugseite zerwellt und zerstäubt (Abb. 5.13). 228 F. Joos und N. Neupert Abb. 5.13 Zerstäubung eines Wasserfilmes an der Hinterkante Somit sind neben der Filmbildung und Filmbewegung der Zerwellungsvorgang (2) sowie der primäre (3) und sekundäre Tropfenzerfall (4) zu beschreiben. 5.6.1 Primärzerfall, Hinterkantendesintegration Beim Zerwellen kommt es durch eine Erhöhung der Ausströmgeschwindigkeit zur Bildung transversaler wellenförmiger Schwingungen im Strahl. Es entstehen Flüssigkeitsfäden, die durch Oberflächenspannungen abgeschnürt werden und anschließend zu Tropfen zerfallen. Dieser Zerfallsvorgang wird durch den Kapillardruck, den Staudruck und durch viskose Schubspannungen beeinflusst [WAL1990]. Da die Relativgeschwindigkeit zwischen Umgebungsgas und Fluid einen bedeutenden Einfluss auf die Tropfenbildung aufweist, wird der Bereich des Zerwellens auch als windinduzierter Strahlzerfall bezeichnet. Beim Zerwellen werden sinusförmige Wellen gedämpft, axialsymmetrische Störungen hingegen verstärkt. Auf der Schaufeloberfläche abgelagertes Wasser wird als Film oder Strähne durch die Luftströmung bzw. beim Rotor zusätzlich durch die Zentrifugalkraft zur Hinterkante bzw. Schaufelspitze getrieben, wo es in größere Tropfen zerstäubt wird. Die Desintegration wird üblicherweise in zwei Abschnitte unterteilt. Zunächst bildet sich bei dem Abfluss von der Hinterkante ein durchgängiger Film, aus dem aufgrund von kleinen Störungen einzelne Ligamente entstehen. Diese zerfallen in einem ersten Schritt zu relativ großen Primärtropfen. Aufgrund der hohen Relativgeschwindigkeit zerfallen diese – wie im folgenden Kapitel dargestellt – weiter zu kleineren Sekundärtropfen. Grundlegende Betrachtungen können dem Handbook of Atomization and Sprays [ASH2011] und dem Werk von Lefebvre [LEF1989] entnommen werden. Allgemein kann bei der primären Zerstäubung unterschieden werden, ob eine umliegende Strömung vorherrscht und ob die Zerstäubung eines Strahls oder eines Filmes vorliegt. Im vorliegenden Fall kann davon ausgegangen werden, dass der Film auf der Druckseite deutlich dicker im Vergleich zu den Strähnen der Saugseite ist und somit die Desintegration dominiert. Ein Ansatz die Desintegration des Wasserfilms an der Hinterkante der Schaufel zu modellieren, folgt der Annahme, dass Kelvin-Helmholtz-Instabilitäten zugrunde 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 229 liegen [LEF1989]. Die Instabilität des abfließenden Films wird dabei unter einer Stabilitätsbetrachtung betrachtet. Nach Lefebvre [LEF1989] ergibt sich für die dominierende Wellenlänge der Störung die Wellenzahl kD Unter der Vereinfachung, dass L geschrieben werden: 2 L G .uG uL /2 3 .L C G / (5.88) G kann für die dominante Wellenlänge der Störung KH D 3 G .uG uL /2 (5.89) In dieser Gleichung ist zu erkennen, dass die Wellenlänge der Störung eine Funktion der Differenz der Strömungsgeschwindigkeiten ist. Unter der Annahme, dass direkt in der Grenzfläche Haftbedingungen herrschen, verschwindet diese. Es muss daher in realistischen Anwendungen eine Alternative gefunden werden, um den Einfluss der umliegenden Gasströmung richtig abbilden zu können. [MAR2009] zeigen, dass der Einfluss der Wellenbildung auf dem Film und weiterhin die Desintegration von der Grenzschichtdicke der Gasströmung abhängen, sobald gilt Weı .L =G / > 1, wobei Weı auf der Grenzschichtdicke der umliegenden Strömung basiert. Für einen koaxialen Zerstäuber konnten die Autoren eine gute experimentelle Übereinstimmung unter dieser Annahme finden. Dabei wurde die dominante Wellenzahl von k 1;5p L =G =ıW gefunden. Sowohl [GEP2013] als [ECK2013] konnten diese Beziehung für Airblast-Zerstäuber experimentell bestätigen. Für die Abschätzung der Grenzschichtdicke verwenden [GEP2010] Korrelationen nach Blasius [WHI1991] für laminare Grenzschichten und in folgenden Arbeiten bei einer Zuströmung höherer Turbulenz eine Abschätzung der turbulenten Grenzschicht über ıXedge D 0;16lchar=Re1=7 . Des Weiteren kann nach den Exp perimenten von [VIL1998] die Frequenz der Wellen mit f .uc =ı/p G =L uG G =L abgeschätzt werden kann. Mit der Grenzschichtdicke ergibt sich somit für eine Abschätzung der Frequenz: fHK;des 0;331 G uG .Re/1=2 lchar L (5.90) Unter der Annahme, dass jede an jeder Hinterkante ankommende Welle zu der Formierung von Tropfen führt, könnte mit der Formel Gl. 5.90 die Frequenz der Tropfendesintegration abgeschätzt werden. Nimmt man an, dass der Film in einem durchgängigen, zylindrischen Ligament von der 2 =4 D .VP =b/=f , Hinterkante strömt, so ergibt sich aus der Massenbilanz für dieses Dlig P wobei Dlig der Ligamentdurchmesser, V der Volumenstrom des Films und b die Breite des 230 F. Joos und N. Neupert betrachteten Films repräsentiert. Da die Kräfte orthogonal zur Strömung in erster Näherung als klein angenommen werden können, ist der Zerfall des Ligaments von kapillaren Kräften dominiert und es tritt ein Rayleigh-Zerfall ein. Nach [RAY1878] kann die dominierende Wellenlänge über lig D 4508Dlig angenommen werden. Unter der Annahme, dass nur ein einzelner Tropfen aus dem Ligament entsteht kann der Durchmesser dieses Primärtropfens berechnet werden s VP =b Lc G 1=2 1=4 Re : (5.91) DHK;prim 3;769 u L Da die so entstehenden Tropfendurchmesser bei den vorliegenden Randbedingungen im Bereich von mehreren hundert Mikrometern liegen und die Relativgeschwindigkeiten sehr hoch sind, zerfallen diese Primärtropfen sehr schnell weiter zu kleineren Tropfen. Somit ist eine theoretische Beschreibung der Hinterkantendesintegration gegeben. Im Vergleich der analytischen Herleitung und den experimentellen Untersuchungen bietet es sich jedoch häufig an, Korrelationen zu benutzen, da nicht alle Einflüsse in analytische Modelle integriert werden können und die jeweiligen Annahmen nicht zwangsläufig auf den Anwendungsfall zutreffen. [GEP2010] zeigen zum Beispiel, dass ein linearer Zusammenhang zwischen der gemessenen und der vorhergesagten Frequenz nach Formel Gl. 5.90 besteht, jedoch eine Konstante von C D 1;45 angenommen werden muss. Um die wichtigsten Einflüsse hervorzuheben, soll hier beispielhaft eine Korrelation gezeigt werden. Aufgrund der geometrischen Ähnlichkeit des experimentellen Aufbaus, werden die Korrelationen von [GEP2013] herangezogen. Die Frequenz der Tropfenentstehung wird zu der Strouhal-Zahl der Form Srf;breakup D fbreakup h=uG überführt. Für diese wurde von [GEP2013] die folgende Formel entwickelt: Srf;breakup D 3;7 10 3 G uG ıXedge G 10;13 0 B @q 0;51 L L ıXedge C A .VP =b/ uG ıXedge G u2G ıXedge !0;72 !0;14 L 0;55 G 0;14 D 3;7 103 Re0;51 We0;72 Oh0;13 VPL;norm "0;55 :: ı ı ı (5.92) Anhand der Darstellungsform in entdimensionierten Größen lassen sich die Einflüsse auf die Strouhal-Zahl leicht erkennen. Im Hinblick auf den Absolutwert des Exponenten dominieren die Reynolds- und Weber-Zahl – hier gebildet mit der turbulenten Grenzschichtdicke an der Hinterkante ıXedge – sowie das Dichteverhältnis der Fluide. Von untergeordnetem Einfluss ist der Volumenstrom des Wassers. Es lässt sich also ableiten, dass eine größere Überströmungsgeschwindigkeit zu einer höheren Frequenz der Hinterkantendesintegration führt. Eine Erhöhung des Wasservolumenstroms erhöht ebenso 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 231 die Ablösefrequenz jedoch in einem deutlich geringeren Maße. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird im Folgenden auf eine ausführliche Schreibweise verzichtet und die Korrelationen werden lediglich in ihrer entdimensionierten Form dargestellt. Für das Tropfenspektrum im Nahfeld der Kante ist die folgende Korrelation gegeben: D32 D 4;96 Re0;17 We0;17 We0;013 ı ı ı ıXedge tedge ıXedge !0;46 : (5.93) Ebenso wie in Gl. 5.92 lässt sich hier der Einfluss der Überströmungsgeschwindigkeit in Form der Reynolds- und Weber-Zahl feststellen. Eine höhere Geschwindigkeit sorgt hierbei für einen kleineren D32 des entstehenden Sprays. Ebenso besitzt die Reynolds-Zahl indirekt einen Einfluss auf die Grenzschichtdicke an der Hinterkante ıXedge und somit sorgt die höhere Reynolds-Zahl ebenso für eine kleinere Grenzschichtdicke und somit für einen stärkeren Einfluss der aerodynamischen Kräfte auf das Ligament. Weiterhin beachtenswert ist, dass der Volumenstrom des Wassers nicht in der Gleichung vorkommt, jedoch die entdimensionierte Hinterkantendicke tedge =ıXedge . Dies wird auf die Beobachtung zurückgeführt, dass sich an der Hinterkante ein Reservoir aus Wasser bildet, das ab einer gewissen Größe von der Strömung weggetragen wird. Daher ist die Größe des Reservoirs lediglich abhängig von der Größe des von der umliegenden Gasstömung abgeschatteten Gebietes, was im Wesentlichen durch die Dicke der Hinterkante und die Dicke der Grenzschicht bestimmt wird. Eine Erhöhung des Filmvolumenstromes sorgt im Gegensatz dazu nicht für eine Vergrößerung dieses Totwassergebietes, sondern für eine schnellere „Befüllung“, was wiederum in der Erhöhung der Frequenz in Gl. 5.92 zu sehen ist. Für die Geschwindigkeit der entstehenden Tropfen wird die folgende Korrelation angegeben !0;8 tedge 1;83 1;18 0;52 Weı " : (5.94) uD;3 D 49;49 uG Reı ıXedge Dabei steht die Geschwindigkeit uD;3 für die volumen-gemittelte Geschwindigkeit nach der Formel: PN ui Di3 : (5.95) uD;3 D PiD1 N 3 iD1 Di Die gegenläufige Tendenz der Reynolds- und Weber-Zahl zeigt, dass eine kleinere Grenzschichtdicke und eine höhere Gasgeschwindigkeit für eine höhere Tropfengeschwindigkeit sorgen. Ebenso führt ein höheres Dichteverhältnis und eine kleinere Hinterkantendicke zu einer größeren Geschwindigkeit der Tropfen. Diese Ergebnisse zeigen, dass allgemeine Trends mit Hilfe der Theorie abgeschätzt werden können, für genauere Vorhersagen jedoch spezifische Korrelationen erarbeitet werden müssen. Für eine umfassende Übersicht über experimentelle Korrelationen sei auf die Arbeit von [DUC2008] verwiesen. 232 5.6.2 F. Joos und N. Neupert Sekundärzerfall Die im Primärzerfall entstandenen großen Tropfen besitzen zunächst noch eine sehr niedrige Geschwindigkeit, so dass sie hohen Scherkräften ausgesetzt sind. Es tritt der Sekundärzerfall auf, für den aerodynamische Ursachen sowie starke Wechselwirkung der Flüssigkeitsligamente untereinander verantwortlich sind. Die Grenzen zwischen Primärund Sekundärzerfall sind jedoch nicht scharf definierbar, da sich die Auflösung des Ligaments über eine gewisse Strecke ausdehnen kann. Frühe Untersuchungen zum Einfluss der Viskosität, der Fluiddichte, der Oberflächenspannung sowie des Düsendurchmessers auf den Zerfall eines Flüssigkeitsstrahles einer Lochdüse in ruhender Umgebung wurden von [OHN1936] publiziert. Ohnesorge korrelierte die für die Zerstäubung relevanten Größen anhand eines dimensionslosen Parameters, der Z-Zahl, die auch als Ohnesorge-Zahl Oh bezeichnet wird. Die verschiedenen Zerfallsformen können in Abhängigkeit der Weber- und der Ohnesorge-Zahl dargestellt werden Weber-Zahl: Reynolds-Zahl: Ohnesorge-Zahl: We D 2 d l crel Trägheit ; D Oberflächenspannung l l crel d Trägheit ; D Scherwirkung l p We l Oh D : Dp Re l l d Re D (5.96) (5.97) (5.98) Die Ohnesorge-Zahl Oh beschreibt das Verhältnis zwischen stabilisierenden Zähigkeitsund destabilisierenden Trägheitskräften unter Berücksichtigung der Oberflächenspannung einer Düse des Austrittsdurchmessers d . Die von der Oh- bzw. von der We-Zahl abhängigen Zerfallsarten wurden von zahlreichen Autoren untersucht. Die primären Tropfen zerfallen unter dem Einfluss aerodynamischer Kräfte so lange weiter, bis eine kleinste stabile Tropfengröße erreicht ist. Allerdings kann es durch Koaleszenz, bedingt durch Tropfenkollisionen, wiederum lokal zu einer Zunahme der Tropfengröße kommen. Der Mechanismus ist stark abhängig von der Form und Größe der Tropfen sowie von der Entfernung der Zerstäubungsposition, der Umgebungsgasbewegung und der jeweiligen Position im Spray. Bei hoher Relativgeschwindigkeit zwischen den verschiedenen Phasen tritt verstärkt ein Zerfall der instabilen Tröpfchen auf, wenn der auf den Tropfen wirkende dynamische Druck mindestens so groß wie der Tropfeninnendruck ist, was zur Bedingung Gl. 5.99 cdrag führt. g cd2 4 l D 2 d (5.99) 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 233 Abb. 5.14 Sekundärzerfallsmechanismen nach [PIL1987] Liegt der Widerstandsbeiwert cdrag der verformten Tropfen zwischen dem einer Kugel und dem einer Platte, so lässt sich abschätzen, dass der Tropfen ab einer Weber-Zahl We von ca. 8=cdrag zerfällt 8 : (5.100) Weg D cdrag Beim Sekundärzerfall kommt es zu unterschiedlichsten Erscheinungsformen. So beschreibt [NIC1972] in Abhängigkeit von der auf die Gasphase bezogenen Weber-Zahl zwei Aufbruchsbereiche. Ab Weg > 6 beginnen sich die Tropfen taschenförmig zu verformen, so dass sie in kleinere Tröpfchen zerfallen. Dieser Vorgang wird als Bag-Breakup bezeichnet. Die Erhöhung des Einspritzdruckes führt auf den Ablösungszerfall, der nach Nicholls ab einer Weber-Zahl von Weg > 1 p Rel 2 (5.101) erreicht wird. [PIL1987] detaillierten die beschriebenen Bereiche des Sekundärzerfalls entsprechend der (Abb. 5.14). [REI1987] weist, wie bereits erwähnt, darauf hin, dass die in der Literatur angegebenen Werte der Ohnesorge- und Weber-Zahlen aufgrund der verschiedenen, nicht sauber trennbaren Zerstäubungsmechanismen der Zerfallsbereiche differieren. [HSI1995] haben umfangreiche Messungen für ein breites Spektrum von Weber-, Ohnesorge- und Reynolds-Zahlen durchgeführt (0;004 < We < 700, 0;0005 < Oh < 600, 0;03 < Re < 16:000). Sie untersuchen den Zerfallsvorgang von Tropfen unterschiedlicher Materialien in verschiedenen Trägerfluiden (1;15 < D =f < 12:000). Dabei untersuchten sie sowohl den plötzlichen Zerfall innerhalb eines Stoßwellenrohres, als auch den aus der kontinuierlichen Steigerung der aerodynamischen Belastung auftretenden Zerfall innerhalb von Falltürmen. Das Ergebnis dieser Untersuchung kann Abb. 5.15 entnommen 234 F. Joos und N. Neupert Abb. 5.15 Zerfallsbereiche und Tropfendeformation in Abhängigkeit der Ohnesorge-Zahl [HSI1995] werden. Der maximale Durchmesser der Sekundärzerstäubung wird oft als Dd D We l v cd2 (5.102) mit der Relativgeschwindigkeit zwischen Tropfen und Dampf cd angegeben. Die kritische Weber-Zahl beträgt unter Dampfturbinenbedingungen in etwa We D 22 [GAR1963]. 5.7 Anwendungsbeispiele Homogene spontane Kondensation nach dem Euler-Euler-Verfahren in supersonischen Düsen wurde von [PAT2013] numerisch modelliert. Hierbei wurden der Einfluss sowohl eines modifizierten k-"-Turbulenzmodells als auch das Realgasverhalten untersucht. Das Standard k-"-Modell überschätzte das Maximum der Kondensation, während das modifizierte Turbulenzmodell besser mit den Messergebnissen korrelierte. Auch war der Feuchtegehalt unter Verwendung des k-"-Modells leicht höher. Beim modifizierten k-"-Modell ergaben sich größere Tropfendurchmesser. Die Kondensationswelle weitete sich durch die hohe Turbulenz auf. Mit Hilfe der Realgasgleichung konnte die spontane Kondensation in der Düse gut wiedergegeben werden. Es zeigte sich, dass die genaue Erfassung der realen Gasdaten einen deutlich größeren Einfluss als die modifizierte Turbulenzmodellierung hatte. 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 235 1.00E-01 1.00E-02 1.00E-03 1.00E-04 1.00E-05 1.00E-06 1.00E-07 –10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 Abb. 5.16 Radiale Tropfenverteilung am zweiten Rotor einer Niederdruckturbine [SAS2013] Homogene und heterogene Kondensation unter Nicht-Gleichgewichtsbedingungen verschiedener turbinennaher Anwendungen, wie die Nachrechnung von Düsen, Kaskaden und einer Niederdruckturbinenstufe, berechnen [ZHU2013] zur Validierung der Kondensationsmodelle. Die spontane Kondensation wird im Vergleich mit den Messergebnissen gut erfasst sowie einige Nicht-Gleichgewichtsphänomene, wie beispielsweise der Druckverlauf, gut beschrieben. [SAS2013] berechnen das Folgeverhalten der Tropfen einer dreistufigen VersuchsNiederdruckturbine und vergleichen die Resultate mit Messungen. Modelliert wurden die spontane Kondensation, die Filmbewegung auf der Wand anhand der Annahme von kleinen Tröpfchen mit dem Durchmesser der Filmhöhe sowie ein Zerfallsmodel an der Hinterkante. Die Verteilung der Tropfendurchmesser des zweiten Rotors ist in Abb. 5.16 dargestellt. Die mit einem Durchmesser von 5 m ankommenden Tropfen bilden einen Film der Dicke um die 80 m mit Streuung von 10 bis 1000 m. Die an der Hinterkante zerstäubten Tropfen haben einen Durchmesser von um die 100 m. Beim Durchgang durch den Rotor erhöht sich somit der Tropfendurchmesser des auf der Beschaufelung aufgefangenen Anteils der Tropfen von 5 auf 100 m, einer Tropfengröße die durchaus auf der folgenden Schaufelreihe zu starker Erosion führt. [MOR2013] führten eine numerische Studie der Nicht-Gleichgewichtsmodellierung von Nassdampf durch. Hierbei betrachteten sie den Einfluss des kritischen Tropfendurchmessers, der Wärmeübertragungs- sowie der Tropfenbildungsrate von Nassdampf unter niedrigen Drücken. Die Modellierung wurde an unterschiedlichen publizierten Versuchsergebnissen validiert. Die Autoren zeigen auf, dass die beschreibenden Parameter der plötzlichen Kondensation bisher noch nicht eindeutig identifiziert sind und dass zudem die publizierte Datenlage noch ungenügend ist, um endgültige Aussagen zu gewinnen. 236 F. Joos und N. Neupert Durch die Anpassung der Wärmeübertragung und des Tropfenbildungsmodells konnte die Übereinstimmung mit den vorliegenden Messergebnissen deutlich verbessert werden. [FEN2012] berechneten die Filmbildung einer transsonischen Turbinenstufe (VEGA2, rSpitze D 0;245 m, rNabe =rSpitze D 0;775, n D 13:500 l/min) mit 23 Statordüsen und 46 Rotorblättern, die von [CHA2004] vermessen wurde. Sie legten den Durchflusscode nach [SIM2007] zugrunde, dem die Modelle zur Tropfenablagerung und Filmbildung [FEN2012] implementiert wurden, wie sie in Abschn. 5.4 dargestellt sind. Die als reibungsfrei angenommene Dampfströmung wurde als ideales Gas mit den Stoffwerten bei einer relativen Feuchte von 10 % ( D 1;12, RH2 O D 413 J/kgK) betrachtet. Der Totaldruck am Eintritt beträgt 0,02 MPa, als Temperatur wurde die entsprechende Sättigungstemperatur gewählt. Der statische Druck am Austritt betrug 5000 Pa. Während der Einfluss der Dampfströmung auf den Film modelliert wurde, blieb die Rückwirkung des Filmes auf die Dampfströmung unberücksichtigt. Bei einer Tropfengröße von 0,5 m und einer Flüssigkeitsbeladung von X D 10 % ergibt sich an der Vorderkante des Stators aufgrund des Radius der Vorderkante eine sehr niedrige St-Zahl und somit eine sehr niedrige Ablagerungsrate. An der Vorderkante des Rotors hingegen beträgt die Ablagerungsrate an der Vorderkante aufgrund der Trägheit das Doppelte im Vergleich zur Ablagerung aufgrund der turbulenten Diffusion. Insgesamt werden etwa 1,1 % der Tropfenmasse aufgrund der Trägheit gegen ca. 0,4 % aufgrund der turbulenten Diffusion abgelagert. Die dimensionslose Relaxationszeit beträgt im Stator etwa die Hälfte der Zeit im Rotor (Abb. 5.17). Der Film auf der Statoroberfläche wird Abb. 5.17 Dimensionslose Relaxationszeit (a) und Ablagerungsrate aufgrund von Turbulenzdiffusion (b) einer einstufigen Niederdruckstufe mit Tropfendurchmessern 0,5 m und einer Flüssigkeitsbeladung von 10 %Masse [FEN2012] 5 Modellierung der Zweiphasenströmung 237 Abb. 5.18 Filmdicke (a) und axiale Filmgeschwindigkeit des Stators sowie radiale Geschwindigkeit des Rotors (b) mit Stromlinien einer einstufigen Niederdruckstufe mit Tropfendurchmessern 0,5 m und einer Beladung von 10 %Masse [FEN2012] ausschließlich durch die aerodynamischen Scherspannungen angetrieben. Die Stromlinien verlaufen dementsprechend auch in Richtung der Hauptströmung (Abb. 5.18). Im Rotor hingegen werden die Zentrifugalkräfte dominant, so dass sich eine nahezu radiale Filmströmung mit einem Winkel von ca. 85ı bis 89ı gegen die Hauptströmung einstellt. Die starken Zentrifugalkräfte wirken sich auch auf die Filmdicke aus, die an der Spitze des Rotors deutlich geringer wird. Auch die Tropfengröße wirkt sich über die Ablagerungsrate stark auf die entstehende Filmdicke aus (Abb. 5.19). Erkennbar ist wiederum der Einfluss der Zentrifugalkraft auf die deutlich geringere Filmdicke am Rotor. Die Verdoppelung des Tropfendurchmessers erhöht die Ablagerungsgrate in etwa um eine Größenordnung, da der abgelagerte Massenanteil mit der dritten Potenz des Durchmessers ansteigt (Abb. 5.20). Hiermit wird die Bedeutung der Tropfengrößenverteilung auf die Ablagerungsrate deutlich, insbesondere unter Beachtung, dass die Tropfengröße üblicherweise in einem Bereich von 0,1 bis 1 m angenommen wird. Von [YOU1988a] wurde die Tropfenverteilung am Austritt einer Niederdruckturbine vermessen. Selbst wenn 50 % der Tropfen einen Durchmesser kleiner als 0,2 m besitzen, repräsentieren sie lediglich 2 % der Masse (Abb. 5.21), wie durch einen Vergleich der Verteilung der Massen und der Anzahl der Tropfen sofort ersichtlich wird. Die 5 % der Tropfen mit einem Durchmesser größer als 0,62 m repräsentieren 50 % der Masse. 238 F. Joos und N. Neupert Abb. 5.19 Einfluss der Tropfendurchmesser auf die Filmdicke der Druckseite im mittleren Profilquerschnitt nach [FEN2012] Zur Beschreibung des Spektrums durch eine monodisperse Tropfenklasse werden unterschiedliche repräsentative, äquivalente Tropfendurchmesser angegeben. Sie basieren im Allgemeinen auf der Beziehung R dmax dab D 0 R dmax 0 n .d / d a dd n .d / d b dd 1 ! ab : (5.103) Abb. 5.20 Einfluss der Tropfendurchmesser auf die Ablagerungsrate aufgrund der turbulenten Diffusion im mittleren Profilquerschnitt der Druckseite des Stators (a) und Rotors (b) nach [FEN2012] 5 Modellierung der Zweiphasenströmung Abb. 5.21 Gemessene Tropfenverteilung am Austritt einer Niederdruckturbine nach [YOU1988a] Abb. 5.22 Einfluss des benutzten relevanten Tropfendurchmessers auf die Filmdicke im mittleren Profilschnitt der Druckseite [FEN2012] Abb. 5.23 Einfluss des benutzten relevanten Tropfendurchmessers auf die Filmdicke im mittleren Profilschnitt [FEN2012] 239 240 F. Joos und N. Neupert a b c d Abb. 5.24 Ausmischen in der Übergangsebene vom Austritt des Leitrades (b, d) zum Eintritt in das Laufrad (a, c); Logarithmus der Anzahldichte der Tropfen (a), Unterkühlungstemperatur (ı C) (b), sowie Feuchtegehalt unter Nichtgleichgewicht (c) und Gleichgewicht (d) [MOR2012a, MOR2012b] Da für die Verdampfung das Verhältnis des Volumens zur Oberfläche ausschlaggebend ist, wird in der Regel der sogenannte Sauter-Durchmesser, SMD, angegeben der als d32 definiert ist. [FEN2012] schlagen hingegen den d43 vor, da er Filmdicken in Abhängigkeit der Ablagerungsrate liefert, die deutlich näher an den Ergebnissen der gesamten Verteilung liegen (Abb. 5.22). Auch das Druckniveau hat einen Einfluss auf die sich einstellende Filmdicke. Das Druckverhältnis der Expansion über die Turbinenstufe wurde für die Rechnungen jeweils konstant zu vier angenommen (Abb. 5.23). Der höhere Druck bewirkt eine Erhöhung der Literatur 241 dimensionslosen Relaxationszeit und somit eine erhöhte Ablagerungsrate. Da jedoch auch die aerodynamischen Scherkräfte zunehmen, sinkt die Filmdicke trotz höherer Ablagerungsrate. Die Strömung durch eine dreistufige Niederdruckturbine unter trockenen und unter nassen Bedingungen berechneten [MIY2012] sowohl unter Berücksichtigung des thermodynamischen Gleichgewichts als auch des Nicht-Gleichgewichts. Die Rechnungen des ONERA M6 Profils wurden mit einem neuem Rechengitterverfahren dreidimensional instationär durchgeführt und mit Messergebnissen verglichen. Hierbei kamen das Kondensationsmodell von [ISH1995] sowie die Tropfenbildungsrate nach [FRE1946] und die Tropfenwachstumskorrelation nach [GYA1963] zum Einsatz. Die Rechnungen zeigten, dass sich im Zentrum des Strömungskanals eine höhere Feuchtigkeit einstellt als in Wandnähe. Unter homogenen Bedingungen ergab sich nach der ersten Stufe eine deutlich höhere Tropfenbildungsrate unter Nichtgleichgewichtsbedingungen im Vergleich zum Gleichgewicht. Die Berechnung einer oder mehrerer Stufen unter quasi-stationären Bedingungen erfordert eine Mittelung beim Übergang vom stehenden zum rotierenden bzw. vom rotierenden zum stehenden Gitter. Hierbei besteht die Schwierigkeit, sowohl die Masse als auch die Energiebilanz zu erfüllen. [MOR2012a] erweiterten ein Modell zur Erhaltung der Flüsse [HOL2008] auf eine Euler-Euler-Beschreibung mit einem NichtgleichgewichtsDampfmodell und validierten es an zwei- und dreidimensionalen Gitterberechnungen. (Abb. 5.24) verdeutlicht die Ausmischung einiger Variablen beim Übergang vom Leitzum Laufrad einer Niederdruckturbine mit Nassdampfströmung. Literatur [AHM2009a] Ahmad, M., Casey, M., Sürken, N.: Experimental assessment of droplet impact erosion resistance of steam turbine blade materials. 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Daraus folgt, dass für die rechnerische Beschreibung der Energieumsetzung Strömungsvorgänge von entscheidender Bedeutung sind. Gerade im Bereich der Strömungen haben in den letzten Jahren rechnergestützte Verfahren eine stürmische Entwicklung erfahren. Numerische Verfahren zur Berechnung von dreidimensionalen Strömungen (CFD D Computational Fluid Dynamics) werden heute im Auslegungs- und Entwicklungsprozess von Dampfturbinen zunehmend eingesetzt. Trotzdem bilden einfachere null-, ein- und zweidimensionale rechnergestützte Berechnungsverfahren nach wie vor das Rückgrat bei der Auslegung von Dampfturbinen. Einen Überblick über die aero-thermodynamische Auslegung von Dampfturbinen aus Herstellersicht und die Rolle moderner numerischer Verfahren geben [COF1996, GRE1999, JIA2007, XU2007]. In diesem Kapitel werden die Methoden und ihre Grundlagen kurz beschrieben und es werden Beispiele für deren Anwendung im Bereich der Auslegung und Entwicklung von Dampfturbinen gegeben. Hauptanforderungen an moderne Dampfturbinen sind neben einer effizienten Energieumwandlung ein einfacher Aufbau, geringe Teilezahl, hohe Zuverlässigkeit und gute Wartbarkeit. Daraus folgt, dass neben der Strömungstechnik zahlreiche weitere Aspekte von Bedeutung sind, die ebenfalls mittels rechnergestützter Verfahren behandelt werden. Zu nennen sind Fragen der Wärmeübertragung, der Beanspruchung und Festigkeit sowie der Schwingungen von Schaufeln und Rotoren. Wegen der Beschränkung auf aeroR. Willinger () Technische Universität Wien Wien, Österreich E-Mail: reinhard.willinger@tuwien.ac.at T. Polklas MAN Energy Solutions Oberhausen, Deutschland E-Mail: thomas.polklas@man.eu © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. aus der Wiesche, F. Joos (Hrsg.), Handbuch Dampfturbinen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20630-7_6 249 250 R. Willinger und T. Polklas thermodynamische Aspekte werden diese Fragestellungen in diesem Kapitel nicht weiter behandelt. Bevor auf die eigentlichen eindimensionalen, zweidimensionalen und dreidimensionalen Strömungsberechnungsverfahren eingegangen wird, soll als Basis die thermodynamische Berechnung von Dampfturbinen mittels numerischer Verfahren beschrieben werden. Diese thermodynamischen Berechnungen werden auch als nulldimensionale Verfahren bezeichnet, da bei ihnen die Länge als Dimension nicht vorkommt. 6.1 Thermodynamische Berechnung Aus thermodynamischer Sicht stellt die Turbine jenen Teil des Dampfkreisprozesses dar, in dem die Umwandlung von potentieller Energie in mechanische Energie erfolgt. Die thermodynamische Berechnung der Dampfturbine basiert auf den Erhaltungsgleichungen von Masse und Energie. Im Rahmen einer stationären Simulation werden zeitliche Änderungen nicht berücksichtigt. Abb. 6.1 zeigt beispielhaft das Wärmeschaltbild einer Industriedampfturbine, die als Entnahme-Kondensationsturbine ausgeführt ist. Der Hochdruckteil umfasst die Regelstufe sowie den anschließenden Reaktionsteil, der wiederum aus zwei Stufengruppen besteht. Ein Drosselventil nach der Entnahme reguliert Abb. 6.1 Wärmeschaltbild und Ergebnis der thermodynamischen Berechnung einer EntnahmeKondensationsdampfturbine 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 251 den Massenstrom durch den anschließenden Niederdruckteil, der aus einer Stufengruppe besteht. Zusätzlich erkennt man in Abb. 6.1 die Labyrinthdichtung des Achsschubausgleichskolbens sowie die Labyrinthdichtungen der Wellendurchtritte durch das Gehäuse mit den entsprechenden Sperrdampfleitungen. Die Energieumsetzung in der Dampfturbine erfolgt in den beschaufelten Komponenten. In Strömungsrichtung gesehen sind das die Regelstufe, der HD-Turbinenteil sowie der ND-Turbinenteil. Zur Beschreibung der Energieumsetzung in den, als adiabat angenommenen, Stufen bzw. Stufengruppen wird der 1. Hauptsatz für stationäre Fließprozesse herangezogen. Demnach ist die innere Leistung P einer Turbine das Produkt aus Massenstrom m P und spezifischer Totalenthalpiedifferenz H zwischen Eintritt (Index E) und Austritt (Index A): cE2 cA2 cE2 cA2 Dm P h C : hA P D mH P Dm P hE C 2 2 2 (6.1) In Gl. 6.1 ist h die statische spezifische Enthalpiedifferenz und c die Strömungsgeschwindigkeit. Zur Beschreibung der Güte der Energieumsetzung in den beschaufelten Komponenten werden Wirkungsgrade verwendet, entweder der polytrope Wirkungsgrad p D 2 cE2 cA 2 2 cE2 cA 2 h C yC D H ; Y (6.2) oder häufiger, weil anschaulicher, der isentrope Wirkungsgrad s D 2 cE2 cA 2 c 2 c 2 hs C E 2 A h C D H ; Hs (6.3) mit der isentropen spezifischen Totalenthalpiedifferenz Hs . Entsprechend den Gl. 6.2 und 6.3 handelt es sich bei den Wirkungsgraden um Total-zu-Total-Wirkungsgrade und ZA yD vdp (6.4) E stellt die reversibel geleistete spezifische Gasarbeit dar. Im Falle von einstufigen Turbinen bzw. Turbinenendstufen kommen auch Total-zu-Statisch-Wirkungsgrade zur Anwendung, die die kinetische Energie der Abströmung als „Austrittsverlust“ berücksichtigen. Für eine Turbine mit unendlich vielen Stufen ist das Verhältnis von isentropen zu polytropen Wirkungsgrad p 1 pA 1 pE 1 s D > 1: (6.5) 1 p p pA 1 pE 252 R. Willinger und T. Polklas Tab. 6.1 Isentrope Wirkungsgrade von Dampfturbinenstufen bzw. -stufengruppen Isentroper Wirkungsgrad s [–] 0;75 0;65 0;90 0;85 0;85 Beschaufelungstyp Regelstufe (Gleichdruckstufe) Regelstufe (zweikränzige Curtisstufe) Stufengruppe mit Reaktionsbeschaufelung Stufengruppe mit Aktionsbeschaufelung Endstufe einer Kondensationsturbine Der isentrope Wirkungsgrad einer vielstufigen Turbine ist größer als der polytrope Wirkungsgrad. Dieser Effekt wird als Wärmerückgewinn bezeichnet. Im Rahmen der thermodynamischen Berechnung einer Dampfturbine müssen die Wirkungsgrade der beschaufelten Komponenten vorgegeben werden. Dazu enthält Tab. 6.1 grobe Richtwerte für die isentropen Wirkungsgrade typischer Beschaufelungsteile von Dampfturbinen. Der Wirkungsgrad der einzelnen Beschaufelungsabschnitte hängt jedoch stark vom jeweiligen Betriebspunkt und der angestrebten Auslegung ab. Je nach Anwendungsfokus kann bei der Auslegung einer Dampfturbine der Beschaufelungswirkungsgrad das wichtigste Auslegungskriterium sein. Dann sind die in Tab. 6.1 genannten Wirkungsgrade tendenziell eher höher. Ist hingegen die Robustheit der Turbine (z. B. Dampfturbine als Antriebsmaschine für ein Hochofengebläse) wesentlich wichtiger als der Wirkungsgrad, können die in Tab. 6.1 angegebenen Wirkungsgrade durchaus auch geringer sein. Bei vom Auslegungspunkt abweichenden Lastzuständen verändern sich die Ein- und/ oder Austrittsdrücke der Stufengruppen gegenüber den Werten des Auslegungszustandes. Diese Druckänderungen bewirken eine Änderung des Massenstromes durch die Stufengruppen. Diese kann in einfachster Form mit Hilfe des Dampfkegelgesetzes von Stodola für vielstufige Teilturbinen beschrieben werden [TRA1982]: m P D m P0 s pE pE0 2 pA pA0 2 : (6.6) Der Index 0 in Gl. 6.6, die auch als Druckmengengleichung bezeichnet wird, kennzeichnet den Auslegungszustand des Turbinenteils bzw. der Stufengruppe. Durch die Aufteilung einer Dampfturbine in Stufengruppen bzw. Beschaufelungsteile können auch Anzapfungen (ungeregelte Entnahmen) berücksichtigt werden. Geregelte Entnahmen lassen sich durch entsprechende Regelorgane abbilden. Neben dem beschaufelten Hauptströmungspfad strömt der Dampf in der Turbine auch durch Dichtungen, die üblicherweise als berührungsfreie Labyrinthdichtungen ausgeführt sind. Der Spaltmassenstrom m P Sp durch eine Labyrinthdichtung mit der (mittleren) Ringspaltfläche ASp und z Dichtspitzen lässt sich am einfachsten mit dem Durchflussgesetz von Stodola entsprechend s m P Sp ASp D p z pE2 pA2 pE vE (6.7) 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 253 beschreiben [TRA1977]. In Gl. 6.7 berücksichtigt die Kontraktionszahl eine Verringerung der Ringspaltfläche durch eine Einschnürung der Strömung aufgrund der Ablösung an den scharfen Kanten der Dichtspitzen ( 0;8). Neben den berührungsfreien Labyrinthdichtungen kommen in Dampfturbinen zunehmend auch Bürstendichtungen zum Einsatz. Zur Berechnung des Massenstroms durch Bürstendichtungen wurden semiempirische Gleichungen entwickelt. Diese gehen davon aus, dass die axiale Strömung durch den Ringspalt der Bürstendichtung in Analogie zur Strömung in einem porösen Medium betrachtet wird ([HEN1996] und [HEN1996a]). Mit Hilfe der Gl. 6.7 sowie einer analogen Gleichung für Bürstendichtungen lassen sich auch Hintereinanderschaltungen von Labyrinth- und Bürstendichtungen, wie sie z. B. bei Achsschubausgleichskolben angewendet werden, abbilden. In einer Dampfturbine sind an verschiedenen Stellen der Dampfleitungen Drosseln zu finden. Diese können zu Regelungszwecken dienen, um z. B. vor einem Beschaufelungsteil einen bestimmten Druck, und damit einen bestimmten Massenstrom, einzustellen. Darüber hinaus finden sich Drosseln in den Sperrdampfleitungen der Labyrinthdichtungen, um eine definierte Durchströmung der Labyrinthe zu gewährleisten. Aus thermodynamischer Sicht findet in einer Drossel eine isenthalpe Zustandsänderung statt, die durch eine konstante spezifische Totalenthalpie hE C cE2 c2 D hA C A 2 2 (6.8) gekennzeichnet ist. In den Dampfleitungen treten Druckverluste auf, die entsprechend der Beziehung aus der inkompressiblen Rohrhydraulik p D ! X c2 l C i dh 2 i (6.9) modelliert werden. In Gl. 6.9 ist die Rohrreibungszahl eines Rohres mit dem hydraulischen Durchmesser dh und der Länge l. Die Rohreibungszahl ist von der Reynoldszahl und der relativen äquivalenten Sandrauigkeit abhängig. Die Druckverluste von Einbauten (Krümmer, Ein- und Austrittsgehäuse, Dampfsieb . . . ) werden durch die jeweiligen Widerstandszahlen i beschrieben. Gegebenenfalls werden für die Dichte und die Strömungsgeschwindigkeit c entsprechende Mittelwerte zwischen Eintritt und Austritt verwendet. An den Misch- bzw. Verzweigungspunkten der Dampfleitungen ist auf Grund der Erhaltung der Masse die Summe der zufließenden gleich der Summe der abfließenden Massenströme, die Totalenthalpie ist konstant. Die Verknüpfung der oben beschriebenen Gleichungen, die die einzelnen Komponenten beschreiben, ergibt das thermodynamische Abbild des Gesamtsystems Dampfturbine. Die Variablen und Konstanten, die in den Gleichungen auftreten, sind thermische und kalorische Zustandsgrößen (Druck, Temperatur, Enthalpie) sowie der Massenstrom. 254 R. Willinger und T. Polklas Tab. 6.2 Programme zur thermodynamischen Simulation von Dampfturbinen Programm EBSILON Professional GateCycle IPSEpro STEAM-PRO STEAM-MASTER Hersteller STEAG Energy Services GE Power & Water SimTech GmbH Thermoflow Inc. Thermoflow Inc. Internet-Adresse (Stand 2016) www.steag-systemtechnologies.com www.gatecycle.com www.simtechnology.com www.thermoflow.com www.thermoflow.com Die Variablen und Konstanten der Zustandsgrößen beziehen sich dabei immer auf den Dampfstrom am Eintritt oder Austritt einer Komponente. Die Zustandsgröße am Austritt einer Komponente ist gleich der Zustandsgröße am Eintritt in die nächste Komponente. Ein Teil der Konstanten wird durch die Vorgabe von Randbedingungen eingestellt. Zur Beschreibung der Stoffdaten des Arbeitsmittels werden die Wasserdampftafeln, üblicherweise in Form der IAPWS Industrial Formulation 1997, verwendet [WAG2000]. Schließlich entsteht ein, üblicherweise nichtlineares, Gleichungssystem, zu dessen Lösung zwei unterschiedliche Herangehensweisen gewählt werden können: (1) Direkte Methode, (2) Sequentielle Methode. Als Ergebnis der thermodynamischen Berechnung erhält man die Massenströme in den einzelnen Stufengruppen und Leitungsabschnitten sowie spezifische Enthalpie, Druck und Temperatur in den Verknüpfungspunkten. An den Wellen zwischen den Stufengruppen sind die einzelnen übertragenen mechanischen Leistungen ersichtlich und schließlich auch die an das Getriebe bzw. an den Generator übertragenen mechanischen Leistungen sowie die elektrische Leistung des Generators (siehe Abb. 6.1). Nähere Einzelheiten zur thermodynamischen Berechnung von Kreisläufen finden sich in [EPP2012] oder [GIG2001]. Liese [LIE2014] berichtet in einer aktuellen Arbeit über die Anwendung der thermodynamischen Prozesssimulation zur Berechnung einer Dampfturbine mit teilbeaufschlagter Regelstufe. Tab. 6.2 enthält eine Aufstellung einiger kommerzieller Programme zur thermodynamischen Simulation. Die Programme unterscheiden sich in ihrem Anwendungsgebiet und Funktionsumgang. In den meisten Fällen sind die Programme zur Simulation von umfangreichen thermischen Energieanlagen geeignet und enthalten dementsprechend umfangreiche Komponentenbibliotheken (Brennkammer, Feuerung, Speisewasserbehälter, Entgaser, Wasserabscheider, Filter, Dampftrommel, Wärmeübertrager, Dampfturbine, Gasturbine, Gebläse, Pumpe . . . ) und Stoffdatenbanken (Luft, Wasser, organische Flüssigkeiten, CO2 , Verbrennungsgas, Brennstoffe . . . ). Die thermodynamische Simulation der Dampfturbine stellt daher für diese Programme üblicherweise nur einen Sonderfall dar. In den meisten Fällen weisen die Programme auch Schnittstellen auf, die eine benutzerdefinierte Programmierung weiterer Komponenten ermöglichen. Neben den kommerziell verfügbaren Programmen verwenden die Dampfturbinenhersteller in den meisten Fällen auch eigenentwickelte Programme. Ein Beispiel dafür ist das Programm KRAWAL der Firma Siemens. Die thermodynamische Berechnung der Entnahme-Kondensationsturbine nach Abb. 6.1 wurden mit dem Programmsystem IPSEpro durchgeführt. 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 255 In der stationären Anwendung zeichnen sich die Programme zur thermodynamischen Kreislaufsimulation durch vergleichsweise kurze Rechenzeiten, die im Bereich von wenigen Sekunden liegen, aus. Daher wird das Werkzeug der thermodynamischen Simulation von Dampfturbinen nicht nur von Herstellern, sondern auch von Betreibern und Servicefirmen zu folgenden Zwecken eingesetzt: Basis für Angebots- bzw. Auslegungsrechnungen Beurteilung von Umbauten oder Änderungen an bestehenden Maschinen Auswertung und Nachrechnung von Abnahmemessungen Unterstützung des Betriebsmonitorings Trendrechnungen zur Bewertung von Änderungen des Turbinenwirkungsgrades und/ oder der Schluckfähigkeit (Versalzung, Oberflächenrauigkeit durch Erosion, erhöhte Radialspiele) Ermittlung von Daten zur vorbeugenden Wartung 6.2 Strömungsberechnungen 6.2.1 Grundlagen der numerischen Strömungsberechnung Die Strömungsvorgänge in den Komponenten von Dampfturbinen sind üblicherweise turbulent, kompressibel und instationär. Eine turbulente Strömung ist dadurch gekennzeichnet, dass die Strömungsgrößen (Geschwindigkeit, Druck, Temperatur) an einem festen Ort zeitlich regellosen (stochastischen) Schwankungen unterworfen sind. Diese Schwankungen erfolgen um einen zeitlich konstanten oder zeitlich ebenfalls variierenden Mittelwert. Man spricht entsprechend von statistisch stationären bzw. statistisch instationären Strömungen. Die Beurteilung, ob eine Strömung turbulent ist, erfolgt durch die Bildung der Reynoldszahl cl (6.10) Re D : Dabei sind c bzw. l eine charakteristische Geschwindigkeit bzw. charakteristische Länge und die kinematische Viskosität. Übersteigt die Reynoldszahl einen kritischen Wert, so ist die Strömung turbulent, andernfalls laminar. Bei Innenströmungen ist Rekrit 2300, wobei als charakteristische Länge der Durchmesser, bzw. bei nicht-kreisförmigem Querschnitt der hydraulische Durchmesser, verwendet wird. Auskunft über den Einfluss der Kompressibilität gibt die Machzahl Ma D c ; a (6.11) als Verhältnis der Strömungsgeschwindigkeit c zur lokalen Schallgeschwindigkeit a. Bei Ma 0;2 sind die Kompressibilitätseffekte vernachlässigbar und die Strömung kann als inkompressibel betrachtet werden, d. h., die Dichte ist konstant. 256 R. Willinger und T. Polklas Das orts- und zeitabhängige Verhalten einer turbulenten Strömung wird durch die entsprechenden Bilanzgleichungen für Masse, Impuls und Energie vollständig beschrieben. Die numerische Lösung dieser Gleichungen erfordert eine räumliche Diskretisierung der durchströmten Geometrie in Form eines Rechengitters oder Rechennetzes. Da es sich bei der turbulenten Strömung um den Transport und Zerfall von Wirbeln handelt, sind zur räumlichen Auflösung der kleinsten Wirbel sehr feine Rechengitter mit entsprechend großen Zellenzahlen erforderlich. Darüber hinaus ist auch eine zeitliche Diskretisierung der Grundgleichungen erforderlich. Die notwendigen Zeitschritte, um das Strömungsverhalten zeitlich ausreichend genau aufzulösen, sind entsprechend klein. Insgesamt erfordert diese Herangehensweise, die als Direkte Numerische Simulation (DNS D Direct Numerical Simulation) bezeichnet wird, einen computertechnischen und zeitlichen Aufwand, der auch in absehbarer Zeit für die industrielle Anwendung nicht darstellbar ist. Da man aus ingenieursmäßiger Sicht ohnehin nicht an einer derart detaillierten räumlichen und zeitlichen Auflösung des Strömungsgeschehens interessiert ist, beschreitet man hier einen anderen Weg. Der Momentanwert einer beliebigen Strömungsgröße .x; y; z; t/ (z. B. Geschwindigkeit c, Druck p, Temperatur T) wird in einen Mittelwert .x; y; z/ und eine Schwankungsgröße 0 .x; y; z; t/ entsprechend .x; y; z; t/ D .x; y; z/ C 0 .x; y; z; t/ (6.12) aufgespalten. Unter Annahme einer statistisch stationären Strömung ist der zeitliche Mittelwert tZ Ct 1 .x; y; z/ D .x; y; z; t/dt (6.13) t t unabhängig von der Zeit t. Die Vorgehensweise entsprechend den Gl. 6.12 und 6.13 wird als Reynoldsmittelung bezeichnet. Für die zeitlichen Mittelwerte lautet die Massenbilanz für stationäre, inkompressible Strömung @cy @cx @cz C C D 0: @x @y @z (6.14) Dabei sind cx , cy und cz die Geschwindigkeitskomponenten in die entsprechenden Raumrichtungen x, y und z. Der Einfachheit halber wird in weiterer Folge der Querstrich bei den zeitlichen Mittelwerten weggelassen. Die Impulsbilanz besteht aus je einer Gleichung für die drei Raumrichtungen. Diese lauten für die x-Richtung cx @cx @cx @cx 1 @p C cy C cz D C @x @y @z @x 1 @ C @y 1 @ @cx (6.15) .cx0 cx0 / @x @x 1 @ @cx @cx .cx0 cy0 / C .cx0 cz0 / ; @y @z @z 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 257 für die y-Richtung @cy @cy @cy @cy 1 @p 1 @ 0 0 cx (6.16) C cy C cz D C .cy cx / @x @y @z @y @x @x @cy @cy 1 @ 1 @ 0 0 0 0 .cy cy / C .cy cz / ; C @y @y @z @z und für die z-Richtung cx @cz @cz @cz 1 @p 1 @ @cz (6.17) C cy C cz D C .cz0 cx0 / @x @y @z @z @x @x 1 @ @cz @cz 1 @ 0 0 0 0 .cz cy / C .cz cz / : C @y @y @z @z In der Impulsbilanz ist die Dichte und die dynamische Viskosität. Durch die zeitliche Mittelung sind in der Impulsbilanz neue Größen entstanden. Durch die Anordnung dieser Größen auf den rechten Seiten der Gl. 6.15 bis 6.17 erkennt man, dass diese als zusätzliche Spannungen der Form ij;turb D .ci0 cj0 / (6.18) interpretiert werden können. Die Aufgabe der Turbulenzmodellierung ist es, Gleichungen zur Berechnung dieser zusätzlichen Spannungen, die auch als Reynoldsspannungen bezeichnet werden, anzugeben. Tab. 6.3 gibt einen Überblick über die wichtigsten Turbulenzmodelle. Dabei nehmen die sog. Wirbelviskositätsmodelle eine besonders wichtige Stellung ein. In Anlehnung an den Zusammenhang zwischen Spannungen und Geschwindigkeitsgradienten für ein Newtonsches Fluid stellt der Wirbelviskositätsansatz von Boussinesq einen Zusammenhang zwischen Reynoldsspannungen und Geschwindigkeitsgradienten her. Als Proportionalitätsfaktor tritt nicht mehr die stoffspezifische dynamische Viskosität, sondern die turbulenz- und damit ortsabhängige Wirbelviskosität t auf. Daraus folgt für die Reynoldsnormalspannungen .cx0 cx0 / D xx;turb D 2 t @cx 2 k; @x 3 .cy0 cy0 / D yy;turb D 2 t @cy 2 k; @y 3 .cz0 cz0 / D zz;turb D 2 t @cz 2 k; @z 3 (6.19) 258 R. Willinger und T. Polklas Tab. 6.3 Übersicht über Verfahren der Turbulenzmodellierung und die wichtigsten Wirbelviskositätsmodelle Reynoldsgemittelte Navier-Stokes Gleichungen (RANS, URANS) Wirbelviskositätsmodelle (Boussinesq) Nullgleichungsmodelle (algebraische Turbulenzmodelle) Prandtl’sches Mischungsweglängenmodell (1925) Cebecci-Smith-Modell (1967) Baldwin-Lomax-Modell (1978) Eingleichungsmodelle Spalart-Allmaras-Modell (1992) Zweigleichungsmodelle k="-Modell (Launder und Spalding, 1974) k=!-Modell (Wilcox, 1988) k=!-SST-Modell (Menter, 1994) Reynoldsspannungsmodelle (RSM) Large Eddy Simulation (LES) Direkte Numerische Simulation (DNS) bzw. für die Reynoldsschubspannungen @cy @cx C ; t @y @x @cx @cz D t C ; @z @x @cy @cz D t : C @z @y .cx0 cy0 / D xy;turb D .cx0 cz0 / D xz;turb .cy0 cz0 / D yz;turb (6.20) Die Aufgabe der Turbulenzmodellierung besteht nun in der Bestimmung der ortsabhängigen Wirbelviskosität t . Je nach Anzahl der zusätzlichen Transportgleichungen (Differentialgleichungen) unterscheidet man Null-, Ein- und Zweigleichungsmodelle. Die Nullgleichungsmodelle, die auch als algebraische Turbulenzmodelle bezeichnet werden, kommen teilweise noch in älteren Berechnungsprogrammen zum Einsatz, und zwar vor allem das Baldwin-Lomax-Modell. Im Rahmen der ingenieursmäßigen Anwendung werden heute hauptsächlich Zweigleichungsmodelle verwendet. Darüber hinaus kommt bei bestimmten instationären Berechnungen zunehmend auch die Large Eddy Simulation (LES) zum Einsatz. Die in der Strömungsmechanik angesiedelten Gebiete der Turbulenzforschung und Turbulenzmodellierung sind nach wie vor in Entwicklung begriffen. Einen Überblick über Turbulenzmodellierung aus ingenieursmäßiger Sicht gibt z. B. [WIL2006a]. Da es sich bei den Strömungen in den Komponenten von Dampfturbinen um sog. Innenströmungen („Internal Flow“) handelt, besteht in großen Bereichen eine Wechselwirkung zwischen dem Strömungsfeld und den festen Wänden (Schaufeln, Gehäuse, Rotor). Daher kommt der Berechnung der wandnahen Strömung eine besondere Bedeutung zu. 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 259 Einerseits treten in Wandnähe hohe Geschwindigkeitsgradienten auf, die eine feine Vernetzung erfordern, andererseits ist die Strömung in unmittelbarer Wandnähe aufgrund der kleinen Geschwindigkeiten (Reynoldszahlen) nicht mehr turbulent, sondern weist auch ein laminares Verhalten auf (viskose Unterschicht). Für die Wandbehandlung haben sich zwei unterschiedliche Vorgehensweisen durchgesetzt. Entweder wird die Geschwindigkeitsverteilung in Wandnähe durch sog. Wandfunktionen beschrieben oder es werden in den Transportgleichungen der Turbulenzmodelle Dämpfungsfunktionen eingeführt und das Geschwindigkeitsfeld bis zur Wand voll aufgelöst. Die Methode der Wandfunktionen bietet den Vorteil der groben Vernetzung in Wandnähe, nachteilig wirkt sich die ungenügende Beschreibung von abgelösten Strömungen aus. Nach Angaben von [JIA2007] liegen typische Profilreynoldszahlen in Hochdruckturbinenteilen bei Re 107 und in Mitteldruckturbinenteilen bei Re 106 . Wegen der vergleichsweise hohen Reynoldszahlen spielt in diesen Fällen das Phänomen der Transition keine Rolle. Unter Transition versteht man den Übergang einer wandnahen Strömung vom laminaren in den turbulenten Zustand. In den Niederdruckteilen können dagegen auch relativ geringe Profilreynoldszahlen (Re 104 ) auftreten. Darüber hinaus stellen Versuche an Schaufelgittern oder Modellturbinen, bei denen Luft als Medium zum Einsatz kommt, einen Sonderfall dar. Als Folge des vergleichsweise geringen Reynoldszahlniveaus ist in diesen Fällen die Transition von Bedeutung. Einen guten Überblick über die Erscheinungsformen der Transition in den Komponenten von Gasturbinen gibt [MAY1991]. Zur Berücksichtigung der Transition in numerischen Strömungsberechnungen wurden in den letzten Jahren zahlreiche moderne Turbulenzmodelle durch Transitionsmodelle erweitert. In Analogie zu den Reynoldsspannungen in der Impulsbilanz liefert die Reynoldsmittelung der Energiebilanz zusätzliche Ausdrücke der Form qP i;turb D cp .ci0 T 0 /; (6.21) die als turbulente Wärmeströme interpretiert werden können. Die Geometrie des zu untersuchenden Strömungsbereiches liegt üblicherweise in Form von CAD-Daten vor. Darüber hinaus ist es aber auch möglich, einfachere Geometrien innerhalb der Strömungsberechnungsprogramme direkt aus Punkten, Linien, Flächen und Volumina aufzubauen. Zur numerischen Berechnung des Strömungsproblems ist ein Rechengitter (Rechennetz) erforderlich, welches das Strömungsgebiet in einzelne Kontrollvolumina unterteilt. Je nach vorhandenem Netzgenerator stehen dabei strukturierte und unstrukturierte Rechengitter, mit ihren jeweiligen spezifischen Vor- und Nachteilen, zur Verfügung. Bei der Erstellung des Rechengitters sind verschiedene Gesichtspunkte zu beachten. Einerseits ist auf eine ausreichende Feinheit des Netzes in Gebieten mit großen Gradienten zu achten, andererseits ist die Größe der Rechennetze (Anzahl der Zellen) durch die vorhandenen Computerressourcen sowie die zulässigen, bzw. als akzeptabel eingestuften, Rechenzeiten begrenzt. Schließlich beeinflusst das gewählte Turbulenzmodell die Feinheit des Netzes in unmittelbarer Nähe von festen Wänden. Eine besondere Herausforderung für die Netzerstellung bei thermischen Turbomaschinen stellen dabei die 260 R. Willinger und T. Polklas gegenüber den typischen Dimensionen (Sehnenlänge, Teilung, Kanalhöhe) sehr kleinen Spaltweiten dar. Die Mehrzahl der Programme zur numerischen Strömungssimulation arbeitet nach der sog. Finite-Volumen-Methode. Unter Finite-Volumen versteht man die dreidimensionalen Kontrollvolumina, über die die Erhaltungsgleichungen von Masse, Impuls und Energie sowie die zusätzlichen Gleichungen des Turbulenzmodells integriert werden. Mit Hilfe des Gauß’schen Integralsatzes werden die Volumenintegrale in Oberflächenintegrale übergeführt. Anschließend sind an der Oberfläche des Rechennetzes Strömungsgrößen vorzugeben. Man spricht in diesem Zusammenhang von Randbedingungen. Den größten Teil der Oberfläche bilden feste Wände, wo die Geschwindigkeitskomponenten verschwinden (Haftbedingung). Weiterhin werden an den Oberflächen Temperaturen oder Wärmeströme, z. B. als adiabate Wand, vorgegeben. Die örtliche Lage der Ein- und Austritte sowie die Wahl der entsprechenden Randbedingungen erfordert in den meisten Fällen besondere Sorgfalt. Der Grund dafür liegt darin, dass diese Ränder oft künstliche Schnittflächen innerhalb des tatsächlichen Modells bilden und die dort auftretenden Strömungsgrößen nicht bekannt sind. Während an einem Austritt häufig konstanter statischer Druck als Randbedingung vorgegeben wird, gibt es für den Eintritt verschiedene Möglichkeiten. Darunter fallen die Vorgabe von Geschwindigkeiten, Totaldruck oder Massenstrom. Darüber hinaus benötigt der Eintritt auch Randbedingungen für die Turbulenzgrößen, z. B. für die turbulente kinetische Energie k und die turbulente Dissipationsrate ". Zur Beschreibung der Stoffdaten des Arbeitsmittels werden die Wasserdampftafeln, üblicherweise in Form der IAPWS Industrial Formulation 1997, verwendet [WAG2000]. Diese weisen eine sehr hohe Genauigkeit auf, führen aber im Gegensatz zur vereinfachten Annahme eines idealen Gases oder der Verwendung eines Realgasfaktors zu deutlich erhöhten Rechenzeiten. Kunick et al. [KUN2015] berichten über Maßnahmen, die zu einer deutlichen Verringerung der Rechenzeiten bei der Anwendung der Wasserdampftafeln führen. Im nächsten Schritt wird das Gleichungssystem iterativ gelöst, wobei durch die Nichtlinearität der Gleichungen und deren Kopplung vergleichsweise lange Rechenzeiten auftreten können. In der abschließenden Ergebnisauswertung („Postprocessing“) werden die berechneten lokalen Strömungsgrößen graphisch dargestellt. Darüber hinaus lassen sich aus den lokalen Strömungsgrößen auch integrale Mittelwerte bilden und ausgeben. In jedem Fall sollten die Ergebnisse einer numerischen Strömungssimulation einer kritischen Bewertung unterzogen werden, um Fehler bei der Modellbildung bzw. Modellerstellung ausschließen zu können. Jiyuan Tu et al. [JIY2008] geben einen guten Überblick über die Grundlagen und praktische Anwendung der numerischen Strömungsberechnung. Anhaltspunkte für die zielgerichtete Vorgehensweise bei einer numerischen Strömungsberechnung, auch in Hinblick auf die Qualität und Glaubwürdigkeit der erzielten Ergebnisse, finden sich z. B. in [CAS2000]. Auf die Defizite und Grenzen der numerischen Strömungsberechnungsverfahren im Zusammenhang mit Turbomaschinenanwendungen weist [DEN2010] hin. 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 261 Tab. 6.4 Programme zur numerischen Strömungsberechnung Programm CFX, FLUENT STAR-CD openFOAM FINE/Turbo turbostream TRACE TURBOdesign CFD BOXERSolver TRAF Hersteller ANSYS CD-adapco OpenCFD Ltd The openFOAM Foundation NUMECA Turbostream Ltd DLR Advanced Design Technology Cambridge Flow Solutions Universität Florenz Internet-Adresse (Stand 2016) www.ansys.com www.cd-adapco.com www.openfoam.com www.openfoam.org www.numeca.com www.turbostream-cfd.com www.dlr.de www.adtechnology.co.uk www.cambridgeflowsolutions.com arnone.de.unifi.it Tab. 6.4 enthält eine Aufstellung einiger Programme zur numerischen Strömungssimulation. Die Programme unterscheiden sich in ihrem Anwendungsgebiet und Funktionsumgang. In den meisten Fällen sind die Programme zur Simulation von unterschiedlichen Strömungen (laminar/turbulent, inkompressibel/kompressibel, stationär/instationär, einphasig/mehrphasig) in beliebig komplexen Geometrien geeignet und werden für verschiedenste Anwendungen eingesetzt. Man spricht daher auch von sog. „General Purpose CFD-Programmen“. Häufig weisen diese Programme Schnittstellen auf, die eine benutzerdefinierte Programmierung zusätzlicher Modelle ermöglichen („User Defined Functions“). Andere Programme haben sich aus dem Turbomaschinenbereich heraus entwickelt und sind hinsichtlich Geometrie- und Netzerstellung sowie aufgrund ihrer Modelle (Postprocessing) speziell für diese Anwendungen geeignet. Neben den kommerziell erhältlichen Programmen verfügen die Dampfturbinenhersteller in den meisten Fällen auch über eigenentwickelte Programme. Die numerische Untersuchung von räumlichen Strömungen in komplexen Geometrien ist ein relativ aufwendiger Vorgang. Aus diesem Grund steht diese Vorgangsweise nie am Beginn der Auslegung oder Entwicklung einer Dampfturbine. Ausgehend von den Randbedingungen, die sich aus der thermodynamischen Berechnung ergeben, wird durch geometrische und physikalische Vereinfachungen die räumliche Strömung in der Turbine durch eine eindimensionale Darstellung angenähert. Falls erforderlich, erfolgt anschließend eine Verfeinerung durch eine zweidimensionale Betrachtung der Strömung. Diese Vorgangsweise wird in den folgenden Abschnitten beschrieben. 6.2.2 1D-Mittelschnittrechnung Bei der thermodynamischen Berechnung einer Dampfturbine wird die erforderliche Aufteilung des Expansionspfades in einzelne Beschaufelungsabschnitte festgelegt. Das sind 262 R. Willinger und T. Polklas z. B. die Regelstufe und die nachfolgenden Stufengruppen. Die Stufengruppen können sich einerseits durch die Vorgabe von Anzapfungen oder Entnahmen, andererseits durch die maximal zulässige Temperaturdifferenz über einen Leitschaufelträger ergeben. Im Rahmen der 1D-Mittelschnittrechnung erfolgen die Ermittlung der erforderlichen Stufenzahl pro Stufengruppe und die Berechnung der Hauptabmessungen (mittlere Durchmesser, Schaufellängen). Die Massenbilanz, die Euler’sche Impulsmomentengleichung (Geschwindigkeitsdreiecke) sowie die Energiebilanz bilden die aero-thermodynamischen Grundlagen der 1D-Mittelschnittrechnung, wie sie bereits in Kap. 4 dargestellt wurden. Darüber hinaus verwenden die Hersteller eigens entwickelte Profilfamilien für die Beschaufelungen in HD-, MD- und ND-Teilen. Damit liegen auch die Abströmwinkel und über entsprechende Verlustkorrelationen die Verlustbeiwerte vor. Diese bilden die Basis für die Berechnung des inneren Wirkungsgrades einer Stufengruppe. Neben den aerothermodynamischen Gesetzmäßigkeiten sind bei der 1D-Mittelschnittrechung auch die festigkeitsmäßigen Grenzen zu beachten. Zu diesem Zweck werden die in den Schaufeln auftretenden Spannungen durch die Kräfte der umlaufenden Massen und die Biegemomente durch die Dampfumlenkung mittels einfacher Gesetzmäßigkeiten der Festigkeitslehre berechnet. In jedem Fall ist die 1D-Mittelschnittrechnung ein wichtiger Schritt im Auslegungsprozess einer Dampfturbine, da bereits hier ihre wesentlichen Parameter festgelegt werden. Um bei gegebenen Randbedingungen einen Kompromiss zwischen hohem Wirkungsgrad und geringen Investitionskosten zu finden, besteht die Möglichkeit, die 1D-Mittelschnittrechnung in Optimierungsverfahren einzubinden (siehe beispielsweise [STE2002] oder [DRA2012]). 6.2.3 2D-Meridianschnittrechnungen Die 1D-Mittelschnittrechnung betrachtet die Strömung in den Ringräumen zwischen den Schaufelreihen jeweils auf einem repräsentativen, mittleren Radius. Diese Vereinfachung ist dann zulässig, wenn die Schaufellängen im Verhältnis zum mittleren Radius klein sind. Es handelt sich also um verhältnismäßig kurze Schaufeln, wie sie in Hoch- und Mitteldruckdampfturbinen vorliegen. Besonders in Niederdruckdampfturbinen sind die Schaufeln im Verhältnis zum mittleren Radius jedoch relativ lang. In diesem Fall nimmt die Umfangsgeschwindigkeit von der Nabe zum Gehäuse stark zu und es ist nicht mehr zulässig, die Geschwindigkeitsdreiecke mit der Umfangsgeschwindigkeit am mittleren Radius zu bilden. In diesen Fällen ist man an einer Berechnung der radialen Verteilung der Strömungsgrößen interessiert. Die Grundidee für diese Vorgangsweise stammt von Wu [WU1952]. Er hat gezeigt, dass die dreidimensionale, kompressible, reibungsfreie Strömung in einer Turbomaschine auf die Strömung in zwei Familien miteinander gekoppelter Flächen zurückgeführt werden kann: S1-Stromflächen und S2-Stromflächen (Abb. 6.2). S1-Stromflächen beginnen vor der Schaufelreihe als rotationssymmetrische Flächen und werden während es Durchgangs durch das Schaufelgitter verwunden (Sekun- 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 263 Abb. 6.2 S1/S2Stromflächenkonzept von Wu (aus [WU1952]) därströmungen). Durch die Verdrängungswirkung der Schaufeln mit endlicher Dicke bilden sich über der Teilung unterschiedliche S2-Stromflächen aus. Die gemeinsame Lösung der dreidimensionalen Strömung auf S1- und S2-Flächen durch iterative Nachführung ist sehr aufwendig, da von Iteration zu Iteration die Geometrie der S1- und S2-Stromflächen neu berechnet werden muss. Praktische Bedeutung hat daher eine vereinfachte Vorgangsweise erlangt, bei der die S1-Stromflächen als durchgehend rotationssymmetrisch angenommen werden. Weiterhin wird nur eine einzige repräsentative S2-Stromfläche (S2;m in Abb. 6.2) betrachtet. Die Projektionen der Schnittkurven zwischen den S1-Stromflächen und der S2;m -Stromfläche auf die Meridianebene werden als Meridianstromlinien bezeichnet. Sie charakterisieren die radiale Verteilung der Massenstromdichte zwischen Nabe und Gehäuse. Vereinfacht gesprochen ist die Aufgabe eines Meridianschnittverfahrens die Ermittlung der radialen Verteilung der Meridianstromlinien. Dazu muss die Geometrie des Meridianschnittes, d. h., die Naben- und Gehäusekontur sowie die Lage der Schaufeleinund Austrittskanten bereits bekannt sein. Diese Information wurde typischerweise in einer vorangegangenen 1D-Mittelschnittrechnung festgelegt. Das einfachste Verfahren zur Ermittlung der radialen Verteilung der Meridianstromlinien ist die Methode des Radialen Gleichgewichts. Ausgangspunkt für die Methode des Radialen Gleichgewichts ist eine Axialstufe, die von einer zylindrischen Naben- und einer zylindrischen Gehäusewand begrenzt wird. Dabei wird angenommen, dass sämtliche S1Flächen ebenfalls zylindrisch sind, sodass sich ein achsparalleles Meridianstromlinienbild ergibt und die Strömung keine Radialkomponenten aufweist, cr D 0. Weiterhin wird die Betrachtung auf die Axialspalte zwischen den Schaufelreihen beschränkt; dort verschwinden die Schaufelkräfte. Schließlich wird angenommen, dass die Nachlaufstörungen der Schaufeln abgeklungen sind, sodass Rotationssymmetrie vorliegt. 264 R. Willinger und T. Polklas Für diesen Fall reduziert sich die Bewegungsgleichung in radialer Richtung auf das Gleichgewicht zwischen der Massenkraft infolge der Umfangskomponente cu und der resultierenden Kraft infolge der Druckverteilung, was auf cu2 1 dp D r dr (6.22) führt. Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik 1 dh D T ds C dp (6.23) liefert zusammen mit der Totalenthalpie ht D h C c2 c 2 C cz2 D hC u 2 2 (6.24) die Bewegungsgleichung der Methode des Radialen Gleichgewichts: 1 dcz2 dht ds 1 d.r 2 cu2 / D T 2 : 2 dr dr dr 2r dr (6.25) Diese stellt eine nichtlineare Differentialgleichung erster Ordnung für die Verteilung des Quadrats der axialen Geschwindigkeitskomponente cz .r/2 dar. Die Nichtlinearität rührt daher, dass die rechte Seite vom Radius r abhängig ist. Während eines Iterationsschrittes wird die rechte Seite daher als konstant angenommen und es entsteht eine lineare Differentialgleichung erster Ordnung. Die Integrationskonstante dieser Differentialgleichung ergibt sich aus der Forderung, dass die Massenbilanz ZrG 2 .1 B/ cz rdr D m P (6.26) AB Ages (6.27) rN erfüllt werden muss. In Gl. 6.26 ist BD der Anteil des Ringquerschnitts AB , der durch die Verdrängungsdicke der Seitenwandgrenzschichten an Nabe und Gehäuse versperrt wird, bezogen auf den Gesamtquerschnitt Ages . Die Größe B wird daher auch als Versperrung oder Blockage bezeichnet. Die axiale Verteilung der Versperrung wird entweder auf Grund von Erfahrungswerten vorgegeben oder mittels semi-empirischer Modelle berechnet. Eine wesentliche Einschränkung der Methode des Radialen Gleichgewichtes ist die Voraussetzung von achsparallelen Stromlinien, cr D 0. Diese Voraussetzung ist in den letzten Stufen von Niederdruckdampfturbinen nicht erfüllt, da dort die starke Volumen- 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 265 r Krümmungsmittelpunkt c Gehäuse Radialrichtung Stromfaden q - Richtung PC = Krümmungsradius = rC m - Richtung α P A Axialrichtung Welle Abb. 6.3 Koordinatensystem des Stromlinienkrümmungsverfahrens nach [DEN1978] zunahme des Dampfes zu einem divergenten Meridiankanal und entsprechend großen radialen Geschwindigkeitskomponenten führt. Um diese Bedingungen berücksichtigen zu können, wurde als Erweiterung der Methode des Radialen Gleichgewichts das sog. Stromlinienkrümmungsverfahren entwickelt. Dabei wird weiterhin die Strömung in den Axialspalten zwischen den Schaufelreihen betrachtet. In der englischsprachigen Literatur spricht man auch vom „Ductflow-Verfahren“. Abb. 6.3 zeigt das Koordinatensystem des Stromlinienkrümmungsverfahrens. Betrachtet wird die Strömung entlang einer Meridianstromlinie. In der Meridianebene sind weiterhin die Projektionen des Tangentialvektors m und dessen Normalvektor n dargestellt. Da die Vektoren m und n von der Lage der Meridianstromlinie abhängen, die erst während der Berechnung iterativ bestimmt wird, verwendet man zum Aufstellen der Bewegungsgleichung eine Richtung, die etwa normal auf die erwartete Meridianstromlinie steht und während der Berechnung unverändert bleibt. Diese Richtung wird als Quasi-Orthogonale q bezeichnet. Während q gegenüber m um den Winkel ˛ geneigt ist, beträgt der Winkel zwischen m und der Axialrichtung . Eine weitere wichtige Größe ist der Krümmungsradius rc der Meridianstromlinie. Unter den getroffenen Voraussetzungen kann die Bewegungsgleichung des Stromlinienkrümmungsverfahrens @cm 1 @cm2 @ht @s 1 @.r 2 cu2 / c2 D T 2 C m sin ˛ C cm cos ˛ 2 @q @q @q 2r @q rc @m aufgestellt werden [DEN1978]. (6.28) 266 R. Willinger und T. Polklas Die rechte Seite von Gl. 6.28 unterscheidet sich von Gl. 6.25 durch zusätzliche Terme, die aufgrund der erweiterten Modellbildung des Stromlinienkrümmungsverfahrens gegenüber dem Radialen Gleichgewicht entstehen. Besonders zu erwähnen ist der Beschleunigungsterm auf der rechten Seite, der den Krümmungsradius rc der Meridianstromlinie enthält. Er ist verantwortlich für die Bezeichnung des Verfahrens: Stromlinienkrümmungsverfahren. Das Rechengitter des Stromlinienkrümmungsverfahrens wird in der Meridianebene aus den Quasi-Orthogonalen und den Meridianstromlinien gebildet. Bei der Anwendung als „Ductflow-Verfahren“ liegen die Quasi-Orthogonalen an den Ein- und Austrittskanten der Schaufelreihen. Zusätzlich werden üblicherweise Quasi-Orthogonale in den schaufellosen Axialspalten zwischen Eintritt und erster Leitschaufelreihe sowie letzter Laufschaufelreihe und Austritt, z. B. als Axial/Radial-Diffusor, angeordnet. Da vor der ersten Iteration die Lage der Meridianstromlinien unbekannt ist, muss diese geschätzt werden. Im Laufe der weiteren Iterationen ändert sich die Lage der Meridianstromlinien und damit auch das Rechengitter bzw. die Lage der Knotenpunkte entlang der Quasiorthogonalen. Gl. 6.28 stellt eine nichtlineare Differentialgleichung erster Ordnung für die Verteilung des Quadrats der Meridiangeschwindigkeitskomponente cm .q/2 dar. Die Nichtlinearität rührt daher, dass die rechte Seite von der Lage entlang der Quasiorthogonalen q abhängig ist. Während eines Iterationsschrittes wird die rechte Seite daher als konstant angenommen. Bezüglich dieser rechten Seite unterscheidet das Stromlinienkrümmungsverfahren zwei Fälle: Beim Auslegungsverfahren (Design Case) wird die Verteilung der Umfangsarbeit entlang der Quasi-Orthogonalen vorgegeben und es werden die dafür erforderlichen Zu- und Abströmwinkel der Schaufelgitter berechnet. Beim Nachrechnungsverfahren (Analysis Case) werden die Abströmwinkel der Schaufelgitter vorgegeben und es werden die Zuströmwinkel sowie die Umfangsarbeiten berechnet. Das Nachrechnungsverfahren bietet den Vorteil, dass auch Teillastbetriebspunkte der Turbine berechnet werden können. Dazu müssen dem Verfahren die Gittercharakteristiken, d. h., die Umlenkungs- und Verlusteigenschaften der einzelnen Schaufelreihen mitgeteilt werden. Nach [TRA1982] sind diese bei festgehaltener Geometrie allgemein vom Zuströmwinkel, von der Machzahl, von der Reynoldszahl sowie vom Turbulenzgrad abhängig. Da sich bei Abweichungen vom Auslegungspunkt Reynoldszahlen und Turbulenzgrade nur unwesentlich ändern und der Einfluss des Zuströmwinkels auf den Abströmwinkel von untergeordneter Bedeutung ist (Sinusregel, Strahlablenkung), folgt beispielhaft für den Abströmwinkel eines Laufgitters ˇ2 D f .Ma2 /: (6.29) Dagegen beeinflusst auch der Zuströmwinkel die Verluste in einem Turbinengitter und es folgt beispielhaft für den Verlustbeiwert eines Laufgitters D g.ˇ1 ; Ma2 /: (6.30) 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 267 Informationen in Form von Gl. 6.29 und 6.30 werden jedem Turbinengitter entlang der Quasi-Orthogonalen am Austritt mitgeteilt. Daher können grundsätzlich auch Mehroder Minderumlenkungen und erhöhte Verluste in den Randzonen, hervorgerufen durch Sekundär- oder Spaltströmungen berücksichtigt werden. Voraussetzung dafür ist eine ausreichende Dichte von zu berechnenden Meridianstromlinien in den Randzonen. Im Fall der Anwendung auf eine Turbine werden als Randbedingungen der Massenstrom sowie der Zustand am Austritt (z. B. statischer Druck und spezifische statische Enthalpie) vorgegeben. Die Turbineneintrittsbedingungen sind ein globales Ergebnis der Berechnung. Zusätzlich fallen lokale Strömungsgrößen (Geschwindigkeitskomponenten, Druck, Temperatur) in den Knotenpunkten, gebildet aus den Quasiorthogonalen und den Stromlinien, an. Die Integrationskonstante der linearen Differentialgleichung erster Ordnung ergibt sich aus der Forderung, dass die Massenbilanz ZrG cm cos.' C ˛/rdq D m P 2 .1 B/ (6.31) rN erfüllt werden muss. Der Einfluss der Seitenwände an Nabe und Gehäuse äußert sich neben einer Versperrung durch die Seitenwandgrenzschichten auch in, gegenüber der Kernströmung, erhöhten Verlusten. Wird die radiale Verteilung der Verluste im Stromlinienkrümmungsverfahren modelliert und durch eine ausreichende Anzahl von Meridianstromlinien in Wandnähe aufgelöst, so kommt es in diesem Bereich zu einer unrealistischen Temperatursteigerung von Stufe zu Stufe. Das Stromlinienkrümmungsverfahren lässt keinen radialen Austausch von Masse und Impuls zwischen den konzentrischen S1-Stromflächen zu. Um dies zu ermöglichen, muss im Stromlinienkrümmungsverfahren die sog. radiale Mischung berücksichtigt werden, die in der realen Strömung auftritt. Ursache für die radiale Mischung sind sowohl turbulente Diffusion als auch Sekundärströmungen. Entsprechende Modelle wurden von Adkins und Smith [ADK1982] bzw. Gallimore und Cumpsty [GAL1986] und Gallimore [GAL1986a] für vielstufige Axialverdichter vorgestellt und von Lewis [LEW1994, LEW1994a] auf Axialturbinen erweitert. Ein typisches Anwendungsgebiet der 2D-Meridianschnittrechnungen sind die Endstufen von Kondensationsturbinen. Diese zeichnen sich aus geometrischer Sicht durch kleine Nabenverhältnisse und hohe Schaufelseitenverhältnisse („Aspect Ratios“) aus. In der Strömung, die sowohl transsonisch als auch supersonisch sein kann, treten große radiale Geschwindigkeitskomponenten auf [DEN1978]. Da die Stufen im Nassdampfgebiet arbeiten, ist zur Beschreibung der Fluideigenschaften eine besondere Vorgangsweise notwendig, die unter dem Begriff „angepasstes ideales Gas“ bekannt ist, siehe [HAV2016] oder [POL2004]. Umfangreiche Informationen zu 2D-Meridianströmungsverfahren findet man bei [HIR1981]. Neben dem physikalischen Hintergrund der einzelnen Terme der Grundgleichung des Stromlinienkrümmungsverfahrens werden auch verschiedene Abströmwinkel- 268 R. Willinger und T. Polklas Abb. 6.4 Berechnete Meridianstromlinien in einer dreistufigen Niederdruckturbine bei Nennlast (a) und tiefer Teillast (b) aus [PET1997] und Verlustkorrelationen diskutiert. Von besonderem Interesse ist der als Testfall aufbereitete sechsstufige Niederdruckteil einer Kondensationsdampfturbine („Ansaldo Dampfturbine“). Von dieser Dampfturbine sind sowohl die Geometrie des Meridianschnitts als auch die Hauptabmessungen der Beschaufelung der letzten vier Stufen, einschließlich der Radialspaltweiten, gegeben. Die globalen Strömungsgrößen (Eintrittsmassenstrom, Eintrittszustand, Austrittsdruck) können zur Festlegung der Randbedingungen des Stromlinienkrümmungsverfahrens herangezogen werden. Darüber hinaus liegen auch lokale Strömungsgrößen (Totaldruck, statischer Druck, axiale Machzahl, relativer und absoluter Strömungswinkel) an den jeweiligen Stufenaustritten, als Ergebnis der radialen Traversierung einer pneumatischen Fünflochsonde, vor. Petrovic und Riess [PET1997] berichten über die Berechnung der Meridianströmung im dreistufigen Niederdruckteil einer Entnahme-Kondensationsturbine. Eine besondere Formulierung mittels der Methode der Finiten-Elemente ermöglicht neben der Berechnung des Nennlastpunktes auch die Berechnung von tiefen Teillasten, bei denen Rückströmung im Diffusor und Ventilation in der letzten Stufe auftreten (Abb. 6.4). In einer aktuellen Arbeit vergleichen Paccianai et al. [PAC2016] die Ergebnisse eines Meridianschnittverfahrens mit jenen einer CFD-Simulation. Dabei wird bei der Berechnung einer vierstufigen Niederdruckdampfturbine auch der Einfluss von Dämpferdrähten auf die Strömung untersucht. Tab. 6.5 enthält eine Aufstellung einiger kommerzieller Programme zur Berechnung der Meridianströmung in Turbomaschinen. Die Programme unterscheiden sich in ihrem Anwendungsgebiet (Turbine, Verdichter, axial, radial) und Funktionsumfang. In den meisTab. 6.5 Programme zur Meridianschnittrechnung von Turbinen Programm AxCENT AxSTREAM TURBOdesign Turbo Flowpath Designer Vista TF Hersteller Concepts NREC SoftInWay Advanced Design Technology atech GmbH PCA Engineers Internet-Adresse (Stand 2016) www.conceptsnrec.com www.softinway.com www.adtechnology.co.uk www.atech.de www.pcaeng.co.uk 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 269 ten Fällen weisen diese Programme Schnittstellen auf, die eine Übernahme von Daten aus 1D-Mittelschnittrechnungen bzw. eine Übergabe von Daten in höherwertige CFDBerechnungsverfahren erlauben. Neben den kommerziell erhältlichen Programmen verfügen die Dampfturbinenhersteller in den meisten Fällen auch über eigenentwickelte Programme. 6.2.4 2D-Profilentwicklung Die Energieumsetzung in einer axialen Dampfturbinenstufe erfolgt im Wesentlichen durch die Umlenkung der Strömung in den Schaufelgittern der Leit- und Laufreihen. Die erforderlichen Strömungswinkel werden im Rahmen der 1D-Mittelschnittrechnung bzw. der 2D-Meridianschnittrechnung festgelegt. Die Hauptaufgabe der 2D-Profilentwicklung ist es nun, eine Profil- bzw. Gittergeometrie festzulegen, die die geforderte Umlenkungsaufgabe erfüllt. Bei der Direkten Auslegung werden die Profil- bzw. Gittergeometrie festgelegt. Als Basis kann z. B. die Geometrie einer bereits ausgeführten Beschaufelung dienen oder es werden analytische und empirische Kriterien angewendet, die eine erste „brauchbare“ Geometrie erwarten lassen. Anschließend wird das zweidimensionale Strömungsfeld mittels RANS berechnet. Die Bewertung des Strömungsfeldes und die Gewichtung einzelner Größen (Profilverlustbeiwert, Zuströmwinkelbereich) führen zu einer Zielfunktion. Durch schrittweise Veränderung der Geometrie und anschließender Neuberechnung des Strömungsfeldes soll die Zielfunktion maximiert werden. Dazu ist üblicherweise eine große Anzahl von einzelnen Berechnungen des Strömungsfeldes erforderlich, der Aufwand ist entsprechend groß. Um die Anzahl der erforderlichen Schritte zu verringern, werden Optimierungsverfahren eingesetzt. Laut [DEN2010] sind die numerischen Strömungsberechnungsverfahren auf Basis von RANS nach wie vor nicht in der Lage, die in Turbomaschinenbeschaufelungen auftretenden Verluste exakt zu berechnen. Im Rahmen der 2D-Profilentwicklung ist die Berechnung von relativen Änderungen der Verluste bei einer Veränderung der Profilgeometrie ausreichend, die Kenntnis des absoluten Wertes ist nicht notwendig. Aus diesem Grund kommen RANS-Berechnungsverfahren in Verbindung mit automatischen Optimierungsverfahren erfolgreich zur Anwendung. Zur Auslegung der Profile steht neben der Direkten Auslegung grundsätzlich auch die sog. Inverse Auslegung zur Verfügung. Dabei wird eine gewünschte Profildruckverteilung vorgegeben und anschließend die dafür erforderliche Profilform berechnet [DEM1997]. Zur Auslegung und Entwicklung von Profilen für Dampfturbinenbeschaufelungen haben sich Inverse Verfahren bisher nicht durchsetzen können und werden daher an dieser Stelle nicht weiter behandelt. Gegenüber der verzögerten Strömung in Verdichterbeschaufelungen mit geringer Umlenkung weisen Turbinenbeschaufelungen eine beschleunigte Strömung auf. Historisch gesehen haben Verdichterbeschaufelungen ihre Wurzeln in Einzeltragflügeln, die mit entsprechender Teilung und entsprechendem Staffelungswinkel ein Schaufelgitter bilden. Die 270 R. Willinger und T. Polklas Abb. 6.5 Gittergeometrie und Strömungswinkel für eine Turbinenbeschaufelung geometrische Beschreibung der Einzeltragflügel erfolgte wiederum aus einer Überlagerung einer Skelettline mit einer Dickenverteilung. Ein typisches Beispiel dafür sind die Verdichtergitter aus NACA65-Profilen. Die Umlenkwinkel in Turbinenbeschaufelungen sind deutlich größer und können bis zu 120ı betragen. Daher steht hier weniger das Einzelprofil, sondern die Form des Kanals zwischen Druck- und Saugseite zweier benachbarter Profile im Vordergrund. Pfleiderer und Petermann [PFL2005] weisen darauf hin, dass die Kanalform so zu gestalten ist, dass die Geschwindigkeit entlang eines mittleren Stromfadens zwischen Eintritt und Austritt gleichmäßig zunimmt. Diese Forderung lässt sich durch eine entsprechende Gestaltung des Profils erfüllen. Aus diesem Grund spielt bei Dampfturbinen die Entwicklung von entsprechenden Profilformen eine wichtige Rolle. Dabei ist zu beachten, dass in den Beschaufelungen von Dampfturbinen große Unterschiede in den Reynolds- und Machzahlen auftreten. Havakechian und Greim [HAV1999] geben an, dass die Profilreynoldszahlen in den Hochdruck- und Mitteldruckteilen sowie in den ersten Stufen der Niederdruckteile von großen Kondensationsturbinen im Bereich 1;5 107 Re 5 105 liegen. Nach [JIA2007] liegen die relativen Austrittsmachzahlen in den Hoch- und Mitteldruckteilen großer Kondensationsturbinen bei MaHD 0;5 bzw. MaMD 0;8. Für die gemeinsame Entwicklung von Profilen für diese Stufen kann daher von voll turbulenter Strömung im tiefen bis hohen Unterschall ausgegangen werden. Die Profile der Endstufen von Kondensationsturbinen, mit ihren kleinen Reynoldszahlen (ReND 104 ) und hohen Machzahlen (MaND 2;0), erfordern dagegen eine gesonderte Behandlung. Abb. 6.5 zeigt beispielhaft ein axiales Turbinenlaufgitter mit den Geometriedaten und den Strömungswinkeln. In einem ersten Auslegungsschritt wird mit Hilfe des Kriteriums von Zweifel [ZWE1945] das „optimale“ Verhältnis von axialer Sehnenlänge b zu Teilung t berechnet (Abb. 6.6). Die Grundidee für die theoretische Berechnung eines „optimalen“ Verhältnisses von axialer Sehnenlänge zu Teilung liegt darin, dass bei einer zu großen Teilung (kleines b=t) die Strömung nicht umgelenkt wird und große Verluste durch Strömungsablösungen entstehen. Andererseits führt eine zu geringe Teilung (großes b=t) zu einer großen benetzten Oberfläche und damit zu hohen Wandreibungsverlusten. 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 271 Abb. 6.6 Gittergeometrie und Maßbezeichnungen Das „optimale“ Verhältnis von axialer Sehnenlänge zu Teilung beträgt nach Zweifel b 2 D sin 2ˇ2 .cot ˇ1 cot ˇ2 /: t opt T (6.32) Die einzige empirische Größe in Gl. 6.32 ist die aerodynamische Belastungszahl T , die auch als Zweifel-Koeffizient bezeichnet wird. Erfahrungsgemäß kann T 0;8–1,0 gesetzt werden. In weiterer Folge werden alle Längen auf die Sehnenlänge s bezogen. Diese ergibt sich aus der axialen Sehnenlänge und dem Staffelungswinkel entsprechend sin D b : s (6.33) Anhaltswerte für den Staffelungswinkel in Abhängigkeit von ˇ1 und ˇ2 erhält man z. B. aus [KAC1982]. Bei der Zusammenführung von Informationen aus verschiedenen Quellen ist dabei auf die jeweilige Definition der Winkel (Zählrichtung) bzw. auf die Unterscheidung zwischen Strömungswinkel und Metallwinkel besonders zu achten. Der Abströmwinkel eines Turbinengitters ist abhängig vom Verhältnis Mündungsweite a zu Teilung t, von der Abströmmachzahl Ma2 , vom Verhältnis Teilung zu Krümmungsradius des Schrägabschnittes t=e sowie von der bezogenen Hinterkantendicke dTE =a [TRA1977]. Einen ersten Anhaltspunkt für den Zusammenhang zwischen Mündungsweite und Abströmwinkel liefert die einfache Sinusregel sin ˇ2C a : t (6.34) Für die geometrischen Größen entsprechend Abb. 6.6 können laut [WIL1998] folgende Richtwerte gesetzt werden: 0;25 < t < 0;625 e 0;05 < rLE < 0;1 t 0;015 < dTE < 0;05 s (6.35) 272 R. Willinger und T. Polklas Abb. 6.7 Beispiel einer kubischen Bezier-Kurve Der Krümmungsradius des Schrägabschnittes e ist für den Grad der Verzögerung der saugseitigen Strömung nach dem Mündungsquerschnitt verantwortlich und hängt von der Abströmmachzahl Ma2 ab. Mit zunehmender Abströmmachzahl Ma2 wird der Schrägabschnitt flacher und e steigt entsprechend an. Die Vorderkante der Schaufel ist als Kreisbogen mit dem Radius rLE ausgeführt. Die Wahl des Vorderkantenradius hat einen Einfluss auf die Profilverluste im Auslegungspunkt sowie auf die Breite des Betriebsbereichs des Turbinengitters. Während ein kleiner Vorderkantenradius eher geringe Profilverluste im Auslegungspunkt begünstigt, führt ein großer Vorderkantenradius zu einem gegenüber Fehlanströmungen unempfindlichen Profil. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass im Dampfturbinenbau oft firmenintern standardisierte Profile für unterschiedliche Geschwindigkeitsdreiecke eingesetzt werden. Berücksichtigt man weiterhin Fehlanströmungen durch Teillastbetrieb, so werden Dampfturbinenprofile mit vergleichsweise großen Vorderkantenradien ausgeführt. Die Dicke der kreisbogenförmigen Hinterkante dTE wird hauptsächlich durch das Fertigungsverfahren bestimmt. Eine dünne Schaufelhinterkante verringert die Verlustanteile, die zusätzlich zu den eigentlichen Reibungsverlusten durch die Ausmischung der Profilgrenzschichten entstehen. Für die geometrische Beschreibung von Druck- und Saugseite bieten sich sog. kubische Bezier-Kurven an. Dabei handelt es sich um parametrisch modellierte Kurven, die ein wichtiges Werkzeug für Vektorgraphiken darstellen. Eine kubische Bezier-Kurve, die auch als Bezier-Kurve 3. Ordnung bezeichnet wird, ist in Abb. 6.7 dargestellt. Der Ortsvektor dieser Kurve lautet allgemein x.t/ E D bE0 .1 t/3 C bE1 3t.1 t/2 C bE2 3t 2 .1 t/ C bE3 t:3 (6.36) Die Kurve beginnt bei bE0 und endet bei bE3 , der Parameter t durchläuft dem Bereich 0 t 1. Die Lage der Punkte bE1 und bE2 bestimmt einerseits die Richtungen der Anfangsund Endtangente in bE0 und bE3 , andererseits legt sie auch die „Fülligkeit“ der Kurve im Vergleich zu den Tangenten und der Verbindung von bE1 und bE2 fest. Abb. 6.8 zeigt die Parametrisierung der Geometrie eines Turbinengitters nach Trigg et al. [TRI1999]. Zusätzlich zu Druck- und Saugseite wurde auch der Schrägabschnitt 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 273 Abb. 6.8 Parametrisierung der Geometrie eines Turbinengitters nach [TRI1999] mittels einer kubischen Bezier-Kurve beschrieben. Daraus ergeben sich für diesen Fall insgesamt 17 Parameter zur Beschreibung der Profil- bzw. Gittergeometrie. Typisch sind etwa 15 bis 20 Parameter zur Darstellung von ebenen Schaufelgittern. Die Parametrisierung ist eine wichtige Voraussetzung für eine automatisierte Geometrie- und Netzerstellung sowie für eine anschließende Optimierung der Geometrie. Dazu wird aus dem berechneten Strömungsfeld eine Zielfunktion abgeleitet. Bei ebenen Turbinengittern ist das üblicherweise der Profilverlustbeiwert. Ziel der Optimierung ist das Auffinden einer Geometrie, für welche die Zielfunktion maximal wird. Daneben sind häufig auch verschiedene strömungstechnische und mechanische (z. B. Mindestwert für Widerstandsmoment) Zwangsbedingungen zu erfüllen. Bezüglich der Optimierungsmethoden unterscheidet man zwischen Verfahren nullter Ordnung (Random Walk, Evolutionäre Algorithmen, Genetische Algorithmen, Neuronale Netze, Metamodels, Surrogate Models) und Verfahren erster Ordnung 274 R. Willinger und T. Polklas Tab. 6.6 Programme zur strömungstechnischen Geometrieoptimierung Programm optiSLang HELYX-ADJOINT SIMULIA Tosca Fluid Hersteller Dynardo Engys Ltd Dassault Systemes Internet-Adresse (Stand 2016) www.dynardo.de engys.com www.fe-design.de (Gradientenverfahren, Adjungierte Verfahren). Die Ordnung des Optimierungsverfahrens entspricht der Ordnung der benötigten Ableitungen der Zielfunktion. Die automatischen Optimierungsverfahren sind häufig Bestandteil der kommerziellen Strömungsberechnungsprogramme. Darüber hinaus existieren auch eigenständige Programmsysteme zur Optimierung mit entsprechenden Schnittstellen zu den gängigen CFD-Programmen. Tab. 6.6 enthält beispielhaft einige kommerzielle Programme zur strömungstechnischen Geometrieoptimierung. Die Darstellung der Profilkontur aus Kreisbögen und Bezier-Kurven 3. Ordnung bietet für eine automatische Optimierung den Vorteil, dass die einzelnen Parameter eine gute Kontrolle über die Profilform bieten. Laut [KOR1993] erfordert ein glatter Verlauf der statischen Druckverteilung am Profil die Stetigkeit der Krümmungsableitungen der Profilkontur. Diese Stetigkeitsanforderung wird an den Übergängen zwischen den Kreisbögen und den Bezier-Kurven nicht erfüllt. In der Profildruckverteilung entsteht durch einen Krümmungssprung in der Kontur eine senkrechte Wendetangente. Ein Krümmungsknick in der Kontur führt dagegen zu einer Einbeulung der Druckverteilung an dieser Stelle, siehe [COR1963]. Abb. 6.9 zeigt als Beispiel die Profilformen und die zugehörigen Profildruckverteilungen, die im Rahmen einer Optimierung von Trigg et al. [TRI1999] entstanden sind. Die Profildruckverteilung ist als statischer Druck p, bezogen auf den Totaldruck der Zuströmung pt entsprechend 1 2 1 p D 1C (6.37) Ma pt 2 dargestellt. Ausgangspunkt der Untersuchungen ist ein Laufschaufelprofil (Aktionsprofil) einer Gleichdruckstufe für eine Profilreynoldszahl Re D 4 105 und eine isentrope Austrittsmachzahl Ma2s D 0;35. Das ausschließlich aus Geraden und Kreisbögen aufgebaute Profil (Abb. 6.9, oben) entspricht dem Stand der 1960er-Jahre. Zu dieser Zeit waren numerische Strömungsberechnungsverfahren noch nicht verfügbar. Durch manuelle Verbesserung des Turbinengitters mittels CFD konnte der Profilverlustbeiwert um 16 % verringert werden (Abb. 6.9, Mitte). Der Grund für die Verbesserung ist aus der Profildruckverteilung ersichtlich. Ursprünglich trat in der Mitte der Saugseite ein Druckminimum mit anschließender starker Verzögerung auf, wodurch es zu einer Grenzschichtablösung kommt. Dieses Druckminimum konnte durch die Veränderung der Profilgeometrie deutlich angehoben und dadurch die saugseitige Grenzschichtablösung verhindert werden. Entsprechend Gl. 6.37 besteht zwischen der Profildruckverteilung und der Machzahlverteilung ein direkter Zusammenhang. Bei kleinen Machzahlen kann das Verhältnis der maxima- Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 275 Verlust = 1,62% Standard 1960 Design Nominierter statistischer Druck 6 1,0 0,95 0,9 Nominierter statistischer Druck 0,85 0 0,5 Normierte Länge 1 0 0,5 Normierte Länge 1 0,5 Normierte Länge 1 1,0 Verlust = 1,36% 0,95 Manuell verbessertes Profil 0,9 Verlust = 1,32% Nominierter statistischer Druck 0,85 1,0 0,95 Bimorph-optimiertes Profil 0,9 0,85 0 Abb. 6.9 Profilformen (a) und zugehörige Profildruckverteilungen (b) als Ergebnis von Optimierungsschritten nach [TRI1999] len Geschwindigkeit an der Saugseite (Druckminimum) zur Austrittsgeschwindigkeit zur Beurteilung herangezogen werden. Laut Traupel [TRA1977] sollte dieses Verhältnis den Wert 1,4 nicht überschreiten. Durch die Anwendung des automatischen Optimierungsverfahrens auf Basis eines genetischen Algorithmus konnte der Profilverlustbeiwert um weitere 5 % gesenkt werden (Abb. 6.9, unten). Das ist eine Reduktion um 19 % gegenüber 276 R. Willinger und T. Polklas der Ausgangskonfiguration. Die Profildruckverteilung zeigt, dass diese weitere Verbesserung durch eine Vergleichmäßigung der saugseitigen Druckverteilung erreicht wird. Gleichzeitig steigt der Druck auf der Druckseite an und nähert sich dem theoretisch möglichen Maximum (Totaldruck). In einer neueren Arbeit berichten Belluchi et al. [BEL2012] über die Optimierung der Profilform der Beschaufelung einer HD-Dampfturbine. Die Zielfunktion der Optimierung auf Basis neuronaler Netze ist der Stufenwirkungsgrad (total-zu-total). 6.2.5 Radiale Auffädelung der 2D-Profile Durch die radiale Anordnung der ebenen 2D-Profile entsteht das Hauptelement einer Dampfturbinenschaufel, das Schaufelblatt. Im einfachsten Fall werden gleiche Profile im jeweiligen Flächenschwerpunkt entlang einer radialen Geraden aufgefädelt. Das Ergebnis sind zylindrische Schaufeln, die bis zu einem Verhältnis von Schaufellänge zu mittlerem Durchmesser l=dm < 0;1 eingesetzt werden. Diese Bedingung liegt in Gegendruckdampfturbinen, einschließlich der Regelstufe, sowie in den HD- und MD-Stufen von Kondensationsdampfturbinen vor. Im Gegensatz dazu weisen die Endstufen der ND-Teile von Kondensationsdampfturbinen vergleichsweise lange Schaufeln auf. Grund dafür ist, dass man aus Kostengründen die Austrittsfläche 2 ! rN 2 (6.38) D rG2 1 2 A D rG 1 rG möglichst groß ausführen möchte, um für einen bestimmten Volumenstrom mit möglichst wenigen Fluten auszukommen. Bei festgehaltenem Werkstoff der Laufschaufeln (Dichte) und durch den Generator festgelegter Synchrondrehzahl ist der Gehäuseradius rG durch die zulässige Spannung im Laufschaufelfuß infolge der Massenkräfte begrenzt. Eine große Austrittsfläche erfordert daher ein kleines Nabenverhältnis D rN =rG , wobei rN für den Nabenradius steht. Große Austrittsflächen werden auch deshalb angestrebt, um den Anteil der nicht mehr voll nutzbaren kinetischen Energie am Turbinenaustritt zu begrenzen. In der Leitschaufelreihe erfolgt die Umlenkung der Strömung in die Umfangsrichtung. Entsprechend dem radialen Gleichgewicht 1 dp cu2 D r dr (6.39) entsteht durch die Umfangskomponente cu ein positiver radialer Druckgradient dp=dr > 0, wobei der Radius r von der Achse nach außen positiv gezählt wird. Das heißt, der statische Druck nimmt von der Nabe zum Gehäuse hin zu. Im Falle der Endstufe mit kleinem Nabenverhältnis (typische Werte sind D 0;4 bis 0,5) wird die saugseitige Grenzschicht der Leitschaufel durch den Druckgradienten quer zur Strömungsrichtung belastet. Zusätzlich entsteht durch den geringen Reaktionsgrad an der Nabe, der ebenfalls 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 277 a b Abb. 6.10 Schaufelneigung (a) und Schaufelpfeilung (b) (aus [WEI1998]) eine Folge des radialen Druckgradienten ist, die Gefahr der saugseitigen Strömungsablösung in diesem Bereich. Die Herausforderung aus aerodynamischer Sicht ist daher die Erzeugung eines entgegengesetzten (negativen) Druckgradienten in radialer Richtung. Unter Berücksichtigung einer Volumenkraft fx lautet die Impulsbilanz, ausgewertet an der Wand (Haftbedingung) cx @cx @cx 1 dp 1 C cy D0D C fx : @x @y dx (6.40) Aus Gl. 6.40 ist zu erkennen, dass ein negativer Druckgradient durch eine negative Volumenkraft erzeugt werden kann. Ein solcher negativer Druckgradient kann durch die Neigung der geraden Schaufelachse in Umfangsrichtung erzielt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Kraft auf die Strömung entgegen der Kraft auf die Schaufel gerichtet ist. Bei dieser Maßnahme, die auch als „Straight Lean“ bezeichnet wird, erfolgt daher eine Neigung der Druckseite zur Nabe hin (Abb. 6.10a). Die Kraft auf die Schaufel in Umfangsrichtung, hervorgerufen durch die Druckdifferenz zwischen Druckseite (PS) und Saugseite (SS), hat eine positive Komponente in radialer Richtung. Die Kraft auf die Strömung weist daher in negative radiale Richtung, was entsprechend Gl. 6.40 einen negativen Druckgradienten hervorruft. Dieser wirkt dem positiven Druckgradienten entsprechend Gl. 6.39 entgegen. Eine andere Möglichkeit, eine radiale Schaufelkraftkomponente zu erzeugen, ist die Neigung der Schaufelachse in der Meridianebene. Diese Vorgangsweise wird als Schaufelpfeilung („Sweep“) bezeichnet und ist in Abb. 6.10b dargestellt. Die Auswirkung der Schaufelpfeilung auf die Strömung im mittleren Teil des Schaufelkanals wird von [PUL2007] diskutiert. Darüber hinaus präsentieren [PUL2008] numerische und experimentelle Ergebnisse über die Auswirkung der Schaufelpfeilung auf die Strömung im Seitenwandbereich. Zur Berechnung des Einflusses von Schaufelneigung und Schaufelpfeilung auf die Strömung in ND-Dampfturbinenstufen werden sowohl 3D-CFDMethoden [VÖL2007] als auch Meridianschnittverfahren [VÖL2008] eingesetzt. 278 R. Willinger und T. Polklas Abb. 6.11 Axialsymmetrische Seitenwandkonturierung (aus [WEI1998]) Eine weitere Möglichkeit zur Erzeugung eines radialen Druckgradienten ist die axialsymmetrische Konturierung der Seitenwand im Bereich der Nabe [DEN1979]. Abb. 6.11 zeigt ein Prinzipbild einer Dampfturbinenendstufe mit axialsymmetrischer Konturierung der Nabe im Bereich der Leitschaufel. Numerische Ergebnisse zur Anwendung von Schaufelneigung, Schaufelpfeilung und axialsymmetrischer Seitenwandkonturierung geben [STUE2005]. Die vergleichsweise kurzen Schaufeln in den Stufen von HD- und MD-Teilturbinen führen dort zu gänzlich anderen aerodynamischen Herausforderungen. Abb. 6.12 (links) zeigt eine modellhafte Vorstellung der Sekundärströmungen in einem axialen Turbinengitter. Innerhalb der Eintrittsgrenzschicht („Inlet Boundary Layer“) fällt die Geschwindigkeit vom Wert in der freien Zuströmung auf null an der Wand (Haftbedingung) ab. In der freien Strömung innerhalb des Schaufelkanals besteht in jedem Punkt ein Gleichgewicht zwischen der Kraft aufgrund der Druckdifferenz zwischen Druck- und Saugseite und der Kraft aufgrund der Beschleunigung infolge der Stromlinienkrümmung (radiales Gleichgewicht). Im Bereich der Seitenwandgrenzschicht kann dieses Gleichgewicht nur dadurch aufrecht erhalten werden, dass sich der Bahnradius der Strömung verringert. Dort erfolgt eine Ablenkung der Strömung von der Druck- zur Saugseite („Endwall Crossflow“). Schließlich überlagert sich der Hauptströmung (Primärströmung) eine Sekundärströmung in Form des Kanalwirbels („Passage Vortex“). Der Kanalwirbel führt zu direkten Verlusten in der Leitreihe infolge der Dissipation der kinetischen Energie der Sekundärgeschwindigkeiten sowie zu Verlusten in der nachfolgenden Laufreihe infolge Fehlanströmungen (Inzidenz). In Turbinenstufen mit kleinem Schaufelseitenverhältnis können diese Sekundärverluste bis zu einem Drittel der Gesamtverluste betragen. Eine Verringerung der Sekundärverluste kann dadurch erzielt werden, dass durch eine Absenkung der Druckdifferenz zwischen Druck- und Saugseite in Wandnähe die Intensität des Kanalwirbels verringert wird. Dies kann durch eine Anhebung des Druckes in Wandnähe erreicht werden, indem durch eine Neigung der Schaufelachse in Umfangsrich- 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 279 Grenzschichtprofil der Anströmung Gehäusewand Saugseitiger Arm des Hufeisenwirbels Richtung der Rotation Kanalwirbel Abb. 6.12 Sekundärströmungen (links) in einem axialen Turbinengitter und Compound-Lean Beschaufelung (rechts, Bauart Siemens AG) tung eine Kraftkomponente bzw. ein Druckgradient in radialer Richtung erzeugt wird. In Analogie zur geneigten Achse der Leitschaufeln von ND-Stufen wird die Druckseite zur Seitenwand hin geneigt, und zwar sowohl an der Nabe als auch am Gehäuse („Compound Lean“). Das Ergebnis ist eine 3D-Beschaufelung, wie sie in Abb. 6.12 (rechts) dargestellt ist. 3D-Beschaufelungen werden als Leitschaufeln in den HD- und MD-Teilen von großen Abb. 6.13 Nichtaxialsymmetrische Seitenwandkonturierung (aus [HAR2000]) 280 R. Willinger und T. Polklas Kondensationsdampfturbinen, sowohl im Neubau als auch bei Modernisierungen älterer Turbinen, eingesetzt. Will man die treibende Druckdifferenz in Wandnähe dadurch verringern, dass selektiv der Druck an der Druckseite verringert und an der Saugseite erhöht wird, so lässt sich diese Aufgabe durch eine nichtaxialsymmetrische Konturierung der Seitenwand lösen (Abb. 6.13). Die Druckabsenkung an der Druckseite wird durch die konvexe Krümmung und die Druckanhebung an der Saugseite entsprechend durch die konkave Krümmung der Seitenwand, jeweils aus Sicht der Hauptströmungsrichtung im Schaufelkanal, verursacht. Die nichtaxialsymmetrische Seitenwandkonturierung wurde theoretisch und experimentell untersucht [HAR2000], sie wurde aber aufgrund des hohen Fertigungsaufwands im Dampfturbinenbau bisher nicht eingesetzt. 6.3 3D-RANS-Rechnungen (Reynolds-Averaged Navier Stokes) Der Grad der Anwendung von dreidimensionalen Strömungsberechnungsverfahren (3DRANS) im Bereich der Auslegung und Entwicklung von Dampfturbinen hängt wesentlich von der Art der Dampfturbine ab. Grund dafür ist der verhältnismäßig große Aufwand, sowohl für die Modellerstellung als auch für die Durchführung und Auswertung derartiger Berechnungen. Dieser Aufwand rechtfertigt sich bei der Auslegung und Entwicklung von Großdampfturbinen, da diese Turbinen für weitgehend standardisierte Frischdampfzustände und Massenströme ausgelegt werden und ein möglichst hoher Wirkungsgrad eine große Rolle spielt. Darüber hinaus ist bei diesen direkt treibenden Dampfturbinen die Drehzahl durch die Netzfrequenz fest vorgegeben. Dagegen weisen Industriedampfturbinen sehr unterschiedliche Drehzahlen auf. Die Auslegungsbedingungen sind jeweils projektspezifisch vorgegeben und Anzapfungen oder Entnahmen bei unterschiedlichen geforderten Drücken und Mengen ergeben eine große Vielfalt an möglichen Turbinenkonfigurationen. Rasche technische Lösungen lassen sich in diesen Fällen nur durch schnelle Berechnungsverfahren (1D-Mittelschnittrechnung) erzielen. Aufwendigere dreidimensionale Berechnungsverfahren haben ihre Berechtigung bei der abgeschlossenen Bearbeitung von immer wieder kehrenden Detailfragen sowie bei der Erarbeitung von Baukastenkonzepten zur zeit- und kostensparenden Angebotslegung von Industriedampfturbinen. Im Folgenden werden einige typische Anwendungsfälle für dreidimensionale numerische Strömungsberechnungen kurz beschrieben: 6.3.1 Detailfragen zum Thema Beschaufelung Im Zusammenhang mit der Beschaufelung von Dampfturbinen werden vor allem Fragestellungen bearbeitet, die mit den einfachen 1D-Mittelschnittrechnungen oder Meridianschnittverfahren nicht beantwortet werden können. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die exakte Vorausberechnung von Verlusten, sowohl in einzelnen Schaufelgittern [TUR2016] als auch in gesamten Stufen [SCH2012a], nach wie vor eine große Heraus- 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 281 a b z z x x y y Abb. 6.14 Zylindrische Leitschaufel und optimierte Compound-Lean-Schaufel (aus [CHE2008]) forderung darstellt. In vielen Fällen beschränkt man sich auf die Berechnung der relativen Änderungen von Verlusten bzw. Wirkungsgraden bei Änderungen von geometrischen oder strömungstechnischen Parametern. Schumann et al. [SCH2012b] behandeln den Einfluss der Sekundärströmungen auf die Auslegung von HD- und MD-Dampfturbinenstufen mittels einfacher Auslegungsregeln. Die aufwendigen dreidimensionalen Simulationen zeigen, dass die durch die Sekundärströmungen hervorgerufenen Fehlanströmungen keinen großen Einfluss auf die Auslegung mittels einfacher Verfahren haben. Vor allem die Maßnahmen zur Reduzierung der Verluste und der Fehlanströmungen durch Sekundärströmungen in Leitschaufelreihen mit kleinem Schaufelseitenverhältnis bieten ein breites Anwendungsfeld für dreidimensionale numerische Strömungsberechnungen. Chen und Yuan [CHE2008] beschrieben ein Verfahren zur Optimierung der Geometrie von 3D-Beschaufelungen. Abb. 6.14 zeigt beispielhaft als Ergebnis die zylindrische Ausgangsschaufel (a) und die optimierte Schaufel (b) mit konvexer Druckseite („Compound-Lean-Beschaufelung“). Neben Berechnungen von einzelnen Schaufelreihen oder Einzelstufen finden sich in der Literatur auch Untersuchungen über komplette Stufengruppen oder Teilturbinen. Rubechini et al. [RUB2012] beschreiben die numerischen Berechnungen zur Modernisierung einer 17-stufigen MD-Dampfturbine, mit dem Ziel der Steigerung des Wirkungsgrades. Dieses Ziel wird durch die Anwendung von Konzepten zur 3D-Konturierung von Leitund Laufschaufeln erreicht. 282 a R. Willinger und T. Polklas b Abb. 6.15 Saugseitige Stromlinien der parallelwandigen (a) und seitenwandkonturierten (b) Düse (aus [MOS2015]) Moser et al. [MOS2015] beschreiben die numerische Optimierung der Düsengeometrie einer Regelstufe durch axialsymmetrische Seitenwandkonturierung am Gehäuse. Abb. 6.15 zeigt beispielhaft als Ergebnis die saugseitigen Stromlinien der parallelwandigen sowie der axialsymmetrisch gehäusewandkonturierten Düse. Es ist zu erkennen, dass der Einfluss der Sekundärströmung durch die Seitenwandkonturierung deutlich verringert wird. Als Beispiel für Berechnungen und Optimierungen zur nichtaxialsymmetrischen Seitenwandkonturierung wird die Arbeit von Schobeiri und Lu [SCH2014] angegeben. Darin wird ein neuartiges Konzept zur Auslegung der nichtaxialsymmetrischen Seitenwandkonturierung beschrieben und auf eine 3-stufige Luftturbine angewendet. Numerische Berechnungen zum Einfluss von Koppel- bzw. Dämpfungselementen auf die Strömung in NDDampfturbinenstufen werden von [RUB2007] und [HÄF2015] präsentiert. Abb. 6.16a zeigt die Endstufenschaufeln mit den Koppelelementen sowie das entsprechende Oberflächennetz. Derart komplexe Geometrien stellen besonders hohe Anforderungen an die Vernetzungsstrategie, um eine hohe Netzqualität zu erreichen. Als Ergebnis zeigt Abb. 6.16b die berechneten Stromlinien mit den räumlichen Wirbelstrukturen, die durch die Spaltströmung sowie die Umströmung des Koppelungsbolzens hervorgerufen werden. 6.3.2 Einströmgehäuse Die Einströmgehäuse der MD- und ND-Teile von großen Kondensationsdampfturbinen mit ihren komplexen Geometrien sind ein weiteres Anwendungsfeld der dreidimensionalen Strömungssimulation. Für eine Mitteldruckturbine untersucht Hecker [HEC2011] verschiedene Möglichkeiten der Gestaltung der Einströmung (Ringkammer- bzw. Spiraleneinströmung). Sievert [SIE2006] behandelt die Strömung im Einströmgehäuse bzw. im Eintrittsbereich einer Niederdruckdampfturbine. Zur Verringerung des Vernetzungs- und Berechnungsaufwandes wird bei dieser Art von Berechnungen der Einfluss der stromabseitigen Beschaufelung häufig durch ein anisotropes poröses Medium modelliert. 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 283 Abb. 6.16 Endstufenschaufel mit Koppelelementen (a) und berechnete Stromlinien (b) (aus [HÄF2015] a b 6.3.3 Strömung in und nach Anzapfungen Die Speisewasservorwärmung durch Anzapfdampf ist eine übliche Methode zur Erhöhung des thermischen Wirkungsgrades von Dampfkraftanlagen (siehe Kap. 3). Dabei erfolgt die Anzapfung über einen Schlitz und ein umlaufendes Plenum durch eine unten angeordnete Rohrleitung (Abb. 6.17a). Rosic et al. [ROS2014] haben die räumliche Strömung in den Anzapfungen einer Mitteldruckturbine und ihre Auswirkung auf die stromab liegenden Stufen numerisch berechnet (Abb. 6.17b). In der obigen Arbeit konnten auch Vorschläge für die Gestaltung der Anzapfung, mit dem Ziel einer Verbesserung der Rotationssymmetrie der Strömung, gefunden werden. 6.3.4 Strömung nach Dampfzu- und Dampfrückführungen Prozessbedingt kann es vorkommen, dass bei Industriedampfturbinen ein großer Teil des Abdampfmassenstroms erst relativ weit hinten in der Turbine zugeführt wird. Einen derar- 284 Abb. 6.17 Schnittbild der Mitteldruckturbine mit Anzapfungen zur Speisewasservorwärmung (a) und Berechnungsnetz (b) [ROS2014] R. Willinger und T. Polklas a b tigen Fall, wo der Zudampf 80 % des Abdampfmassenstroms beträgt, wird von [NET2015] beschrieben. Abb. 6.18a zeigt das Gehäuse mit den beiden Dampfzuführungen, der beschaufelten Stufengruppe stromab der Zuführung und einer Stufe stromauf der Zuführung. Neben einer Verringerung der Totaldruckverluste durch Geometriemodifikationen ist es das Ziel, eine Vergleichmäßigung der Strömung in Umfangsrichtung herzustellen, um die Anregung von unzulässigen Schaufelschwingungen zu verhindern. Engelmann [ENG2013] und Engelmann et al. [ENG2014] beschreiben die Strömungsberechnung einer Industriedampfturbine mit Berücksichtigung der Rückführung von Leckagedampf in den Hauptströmungspfad (Abb. 6.18b). 6.3.5 Strömung in Abdampfdiffusoren und Abdampfgehäusen Bei Kondensationsdampfturbinen weist der Abdampf am Austritt der letzten Stufe noch einen hohen Anteil an kinetischer Energie auf. Im ungünstigsten Fall ist diese kinetische Energie verloren und kann für die Energieumsetzung in der Turbine nicht genutzt werden. 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 285 Abb. 6.18 Gehäuse mit Dampfzuführung [NET2015] (a) und Dampfrückführung in einer Industriedampfturbine nach [ENG2014] (b) a b Man spricht in diesem Zusammenhang, physikalisch nicht ganz exakt, vom sog. Austrittsverlust. Voraussetzung dafür, dass die kinetische Energie am Austritt der Turbine möglichst gut genutzt wird, ist die verlustarme Verzögerung der Strömung in einem Diffusor. Dabei wird die Strömung von der axialen in die radiale Richtung umgelenkt, im anschließenden Abdampfgehäuse gesammelt und, üblicherweise nach unten, dem Kondensator zugeführt. In der komplexen Geometrie liegt eine komplizierte, räumliche, verzögerte Strömung vor, die in Wechselwirkung mit der Abströmung der letzten Turbinenstufe steht. Aus diesem Grund stellen Untersuchungen zur Strömung in Axial/Radialdiffusoren von Kondensationsdampfturbinen ohne und mit Abdampfgehäuse ein wichtiges Gebiet der Anwendung von numerischen Strömungsberechnungsverfahren bei Dampfturbinen dar. Die entsprechende Literatur ist entsprechend zahlreich (siehe [BUR2013]), sodass nur einige typische Beispiele angegeben werden können. 286 a R. Willinger und T. Polklas b Abb. 6.19 Rechennetz von Diffusor und Abdampfgehäuse (a) [LIU2003]; Rechenbereich von Stufe, Diffusor und Abdampfgehäuse (b) [MUS2013] Fu et al. [FU2010] untersuchen den Einfluss verschiedener Geometrieparameter auf die Aerodynamik von Diffusor und Abdampfgehäuse. Ein wichtiges Ergebnis ist dabei auch die Rückwirkung des unsymmetrischen Abdampfgehäuses auf die Endstufe. Im speziellen kann die über dem Umfang ungleichförmige Druckverteilung am Austritt der letzten Stufe zu einer Schwingungsanregung der Laufschaufeln führen. Ein typisches Beispiel für die numerische Optimierung des Systems Diffusor und Abdampfgehäuse geben [WAN2010]. Abb. 6.19a zeigt das Rechennetz von Diffusor und Abdampfgehäuse einer Kondensationsdampfturbine [LIU2003]. Die Untersuchungen der Autoren weisen auf die besondere Bedeutung der Berücksichtigung der Abströmung der Endstufe auf das Verhalten des Diffusors und des Abdampfgehäuses hin. Diese Erkenntnis hat in jüngster Zeit Arbeiten angeregt, die sich mit der gekoppelten Auslegung und Optimierung von Endstufe und Diffusor bzw. Abdampfgehäuse beschäftigen [MUS2008, MUS2013]. Abb. 6.19b zeigt den Rechenbereich von Stufe, Diffusor und Abdampfgehäuse. Der rechnerische Aufwand für derartige Optimierungen ist nach wie vor sehr hoch, sodass spezielle vereinfachte Verfahren für die Anwendung im industriellen Umfeld entwickelt wurden. Das gilt sowohl für Auslegungen im Neubau [POL2004, STE2016] als auch für Berechnungen zur Modernisierung von Dampfturbinen [YOO2011]. 6.4 2D- oder 3D-URANS-Rechnungen (Unsteady RANS) In einer Dampfturbine treten verschiedene instationäre Effekte auf. Dabei handelt es sich um Strömungsvorgänge, die nicht nur vom Ort, sondern auch von der Zeit abhängig sind. Eine mögliche Klassifizierung dieser Effekte ist die Einteilung nach den auftretenden Zeit- 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 287 Tab. 6.7 Instationäre Effekte in Dampfturbinen mit zugehörigen Längen- und Zeitskalen Nr. 1 2 3 4 5 6 Beispiel Regelventildiffusoren Rotierende Ablösungen Teilbeaufschlagung Stator/Rotor-Wechselwirkung Hinterkantenablösung Turbulenz L [m] dTE Turb. Längenmaß f [Hz] 5–12 .0,5–0,9/ n=60 .1–4/ n=60 z n=60 Sr [–] 0,1–0,6 0;1–0,4 und Längenskalen. Eine geeignete dimensionslose Kennzahl ist die Strouhalzahl Sr D L Lf D ; Tc c (6.41) die eine Aussage über das Konvektionsverhalten von Instationaritäten zulässt. Hierbei ist L eine geeignete Referenzlänge und c eine Referenzgeschwindigkeit, die gewöhnlich gleich der ungestörten Strömungsgeschwindigkeit gesetzt wird. Die Referenzzeit T bzw. die Frequenz f beschreiben die Zeitdauer des instationären Vorganges. Damit stellt die Strouhalzahl einerseits das Verhältnis der Zeitdauer, die ein Partikel für die Konvektion über die Strecke L benötigt, zur Dauer des instationären Vorgangs dar, andererseits kann sie auch als das Verhältnis einer Referenzlänge zur Wellenlänge der konvektierten Instationarität interpretiert werden. Tab. 6.7 zeigt eine Zusammenstellung von Beispielen instationärer Strömungseffekte in Dampfturbinen. In der Tabelle sind zusätzlich, soweit möglich, Größenordnungen für die zugehörigen Referenzlängen, Frequenzen und Strouhalzahlen angegeben, wobei die Beispiele nach steigender Frequenz geordnet sind. Zur Berechnung instationärer Strömungsvorgänge werden die Grundgleichungen (Massenbilanz, Impulsbilanzen, Energiebilanz) um die zeitlichen Ableitungen der Strömungsgrößen erweitert und numerisch gelöst. Man spricht dann von zeitaufgelösten Reynoldsgemittelten Navier-Stokes-Gleichungen (URANS = Unsteady Reynolds Averaged Navier-Stokes). Neben der räumlichen Diskretisierung (Vernetzung) ist nun auch eine zeitliche Diskretisierung erforderlich, wobei grundsätzlich entweder explizite oder implizite Verfahren zur Verfügung stehen. Im Falle einer expliziten Zeitintegration sind aus Stabilitätsgründen nur sehr kleine Zeitschritte zulässig, die sich aus der sog. CFL-Bedingung ergeben (CFL = Courant Friedrichs Lewy). Bei einem impliziten Zeitschrittverfahren sind die Stabilitätsanforderungen für die Größe des Zeitschritts üblicherweise weniger restriktiv. Allerdings ist darauf zu achten, dass die erwarteten instationären Strömungsvorgänge zeitlich ausreichend genau aufgelöst werden. Auch die Wahl des Rechengebietes und der Randbedingungen wird sehr stark von den erwarteten instationären Strömungsphänomenen bestimmt. Die in Tab. 6.4 angegebenen Strömungsberechnungsprogramme lassen sich durchwegs auch für instationäre Strömungsberechnungen einsetzen. 288 R. Willinger und T. Polklas Im Folgenden werden einige Beispiele aus der Literatur angegeben, die sich mit der Berechnung der in Tab. 6.7 zusammengefassten instationären Strömungseffekte in Dampfturbinen beschäftigen. 6.4.1 Regelventildiffusoren Industriedampfturbinen sind häufig mit einer Düsengruppenregelung zur Einstellung verschiedener Turbinenleistungen ausgeführt. Eine zentrale Komponente der Düsengruppenregelung ist das Regelventilgehäuse, in dem mehrere Regelventile angeordnet sind. Jedes Ventil besteht aus einem beweglichen Ventilschaft mit Ventilteller sowie einem im Gehäuse montierten Diffusor. Durch die Drosselung kommt es in Abhängigkeit vom Betriebspunkt zu Strömungsablösungen im Diffusor. Diese Ablösungen sind meist instationär und können je nach Aufbau des Regelventils zu einer Fluid-StrukturInteraktion zwischen Strömung und Ventilschaft bzw. Ventilteller führen [ZHA2003]. Clari [CLA2014] hat sich mit diesen instationären Strömungsablösungen in den Diffusoren von Regelungsventilen von Dampfturbinen beschäftigt. Abb. 6.20a zeigt eine Momentaufnahme der Strömung in zwei zueinander senkrechten Ebenen des Regelventildiffusors. Domnick et al. [DOM2014] berechneten die Strömung im Regelventil einer Großdampfturbine. Abb. 6.20b zeigt die zeitlich gemittelte Machzahlverteilung sowie die Verteilung der bezogenen Druckfluktuationen im Regelventildiffusor. Über die Berechnung der instationären Strömung nach den Ventilen der Entnahmeregelstufe einer Industriedampfturbine, mit besonderem Fokus auf die Beeinflussung der stromab liegenden Stufen, berichten [SCH2014a]. 6.4.2 Rotierende Ablösungen Der Teillastbetrieb einer Dampfturbine zeichnet sich gegenüber dem Vollastbetrieb durch einen abgesenkten Massenstrom aus. Unter diesen Betriebsbedingungen fällt der Volumenstrom durch die Endstufe unter einen bestimmten Grenzwert, ab welchem dem Dampf Energie zugeführt anstatt entzogen wird. Dieser Zustand wird als Schwachlastventilation oder einfach als Ventilation bezeichnet (Abb. 6.21a). Im Laufrad stellen sich instationäre Strömungsphänomene in Form von rotierenden Ablösungen ein, die eine Ähnlichkeit mit der aus Axialverdichtern bekannten rotierenden Abreißströmung aufweisen. Zhang et al. [ZHA2013] konnten im Rahmen von zweidimensionalen Simulationen die typische Frequenz der Ablösezellen im Absolutsystem mit f 0;9n=60 berechnen. Dreidimensionale Simulationen von Megerle [MEG2014] lieferten als Frequenz der Ablösezellen f 0;5n=60. Die Ablösezellen laufen mit etwa halber Umfangsgeschwindigkeit gegen die Rotordrehrichtung um und können zu einer Schwingungsanregung der Laufschaufeln der Endstufe führen. Abb. 6.21b zeigt die berechneten Axialgeschwindigkeiten in der Ebene des Laufradeintritts. Im gehäusenahen Bereich ist in Umfangsrichtung die Abfolge von Bereichen mit positiven (rot) und negativen (blau) Axialkomponenten zu erkennen. 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 289 a b Abb. 6.20 Ergebnisse von Strömungsberechnungen in Regelventildiffusoren (a [CLA2014]; b [DOM2014]) a b Abb. 6.21 Qualitative Strömungsvorgänge in einer Endstufe bei Schwachlastventilation (a) und berechnete Axialgeschwindigkeiten (b) aus [MEG2014] 6.4.3 Teilbeaufschlagung Industriedampfturbinen werden üblicherweise mit einer Düsengruppenregelung ausgeführt. Da in diesem Fall das Laufrad der Regelstufe nicht über den ganzen Umfang beaufschlagt wird, spricht man von Teilbeaufschlagung. Die Folge sind niederfrequente Störungen der Strömung im Laufrad, wobei die Referenzlänge dem Umfang zt des Schaufelkranzes entspricht. Dabei sind z die Laufschaufelzahl und t die entsprechende Teilung. 290 a R. Willinger und T. Polklas b Abb. 6.22 Rechengitter und berechnete Strömung teilbeaufschlagter Turbinenstufen (a [HE1997]; b [LAM2004]) Die Frequenz entspricht dem Produkt aus der Anzahl der geöffneten Düsengruppen (typischerweise 1 bis 4) und der Drehfrequenz n=60 des Rotors mit der Drehzahl n in min1 . Die numerische Simulation teilbeaufschlagter Turbinenstufen erfordert sehr große Rechengebiete, sodass oftmals der Rechenaufwand durch vereinfachende Annahmen reduziert wird. Die Simulation der ebenen Strömung einer teilbeaufschlagten Turbine wurde erstmalig von He [HE1997] erfolgreich durchgeführt (Abb. 6.22a). Später konnten auch [LAM2004] nachweisen, dass grundsätzliche instationäre Effekte der Teilbeaufschlagung durch eine zweidimensionale Berechnung abgebildet werden (Abb. 6.22b). Von Interesse sind die instationären Vorgänge in einem Laufschaufelkanal beim Eintritt in bzw. Austritt aus einem beaufschlagten Segment, die damit verbundenen zusätzlichen Verluste sowie Größe und Frequenz der dynamischen Kräfte auf die Laufschaufeln. Die Untersuchungen wurden anschließend in [LAM2005] auf die räumliche Strömung in der teilbeaufschlagten Regelstufe einschließlich der Radkammer erweitert. [HUS2010] untersuchte den Einfluss der Teilbeaufschlagung auf die Strömung in einer zweistufigen Gleichdruckturbine in Kammerbauweise. Die umfangreichen numerischen Untersuchungen von [KAL2014] berücksichtigen neben der teilbeaufschlagten Regelstufe auch die Radkammer und den Strömungsausgleich in der anschließenden Reaktionsturbine. 6.4.4 Stator/Rotor-Wechselwirkung Entsprechend der Euler’schen Impulsmomentengleichung ist die Arbeitsumsetzung in einer Dampfturbinenstufe proportional der Relativgeschwindigkeit zwischen dem (üblicherweise stillstehenden) Stator und dem mit der Umfangsgeschwindigkeit umlaufenden Rotor. Die interessierende Längenskala der dadurch entstehenden Stator/Rotor- 6 Rechnergestützte Verfahren zur aero-thermodynamischen Auslegung und Entwicklung 291 Abb. 6.23 Berechnete Entropiefunktion in einer S1Fläche in halber Schaufelhöhe (aus [CHA2003]) 0.9996 0.9979 0.9962 0.9945 0.9928 0.9911 0.9894 0.9877 0.9860 0.9843 0.9826 0.9809 0.9792 Stator wake A PS B B TE Blade throat SS B' B' LE Stator Rotor LE TE SS A PS Rotor wake Wechselwirkung liegt daher im Allgemeinen im Bereich der Schaufelteilung t, die zugehörige Zeitskala wird durch die Schaufelpassierfrequenz z n=60 vorgegeben. Entsprechend der Ursache lassen sich vier Hauptmechanismen unterscheiden, die für die Entstehung der instationären Strömung als Folge der Stator/Rotor-Wechselwirkung verantwortlich sind: (1) Nachlaufdellen der Leitschaufeln, (2) Potentialwechselwirkungen zwischen Leit- und Laufschaufeln, (3) Gasdynamische Verdichtungsstöße, (4) Dreidimensionale Strömungseffekte am Austritt des Leitrades. Beispielhaft für den Fall (1) zeigt Abb. 6.23 als Ergebnis einer instationären Berechnung der Strömung in einer Hochdruckdampfturbinenstufe die Verteilung der Entropiefunktion in einer S1-Fläche in halber Schaufelhöhe [CHA2003]. Die Nachlaufdelle der Leitschaufel wird durch das vorbeilaufende Laufrad zerhackt und in den Laufschaufelkanal weitertransportiert. Die dabei auftretende Stauchung des Wirbelfadens (BB – B’B’) vergrößert die Geschwindigkeitsdifferenzen und führt zu zusätzlichen Verlusten in der Stufe, die ihre Ursache in der instationären Strömung, verursacht durch die Stator/Rotor-Interaktion, haben. 6.4.5 Hinterkantenablösung In Analogie zur Umströmung eines Kreiszylinders tritt an der Hinterkante einer Turbinenschaufel eine periodische Strömungsablösung auf. Die Strouhalzahl (Sr 0;1 bis 0,4) ist von der Reynoldszahl und dem Zustand der Profilgrenzschichten am Ende der Schaufel abhängig. Als Referenzlänge dient die Hinterkantendicke, als Referenzgeschwindigkeit die mittlere Gitterabströmgeschwindigkeit. Die auftretenden Frequenzen liegen typischerweise um bis zu einer Größenordnung höher als bei der Stator/Rotor-Wechselwirkung. Abb. 6.24 zeigt ein Ergebnis einer numerischen Simulation der instationären Hinterkantenablösung an einer Turbinenschaufel [GEH2000]. 292 a R. Willinger und T. Polklas b Abb. 6.24 Rechengitter einer Turbinenschaufel (a) und Momentanaufnahmen der berechneten Entropieverteilung im Bereich der Hinterkante (b) aus [GEH2000] 6.4.6 Turbulenz Schließlich lässt sich in das Schema nach Tab. 6.7 auch noch die Turbulenz einordnen, die ebenfalls durch instationäre Vorgänge geprägt ist. Die bei turbulenten Strömungen auftretenden Längenskalen und Frequenzen weisen einen weiten Bereich auf. Beispielhaft ist in Tab. 6.7 als Referenzlänge das sog. turbulente Längenmaß angeführt. Anschaulich lässt sich das turbulente Längenmaß als jene Wegstrecke darstellen, die ein energietragender Wirbel der turbulenten Strömung zurücklegt, bevor er seine Struktur verliert. Bei der bereits oben beschriebenen Berechnung der instationären Strömung in Regelventildiffusoren haben [DOM2014] festgestellt, dass die üblichen Zweigleichungsmodelle aufgrund ihrer hohen numerischen Dämpfung an ihre Grenzen stoßen. Bessere Ergebnisse konnten mit einem SAS-Turbulenzmodell erzielt werden, wobei SAS für „Scale Adaptive Simulation“ steht. Bei diesem Modell erfolgt die Modellierung je nach lokal auftretenden turbulenten Längenskalen entweder mittels Zweigleichungsmodell oder Large-Eddy Simulation (LES). Literatur [ADK1982] Adkins, G.G., Smith, L.H.: Spanwise Mixing in Axial-Flow Turbomachines. AMSE J. Eng. 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So nutzte er den damals noch theoretisch ungeklärten Selbstzentrierungseffekt durch den Einsatz einer schlanken, biegeelastischen Welle aus. Im Anschluss an die erste erfolgreiche Dampfturbine von de Laval entwickelte sich die Rotordynamik als unabhängiges Teilgebiet der Mechanik rasch, doch wurden wesentliche rotordynamische Phänomene und neue Konzepte bis in die heutige Zeit oft nur aufgrund von Fragestellungen aus dem Turbinenbau heraus gefunden. Dieses Grundlagenkapitel kann nur eine erste Übersicht und Einordnung in das aus heutiger Sicht sehr umfangreiche Teilgebiet „Rotordynamik“ geben. Für eine umfassendere allgemeine Darstellung wird an dieser Stelle auf das ausführliche Buch [GAS2002] von Gasch, Nordmann und Pfützner hingewiesen. Nach einer kurzen Vorstellung von wichtigen rotordynamischen Grundlagen, die an einem mathematisch noch übersichtlichen Minimalmodell, dem sog. Laval-Läufer, erläuterbar sind, werden in diesem Kapitel wichtige spezifische Phänomene und Konzepte für den Dampfturbinenbau vorgestellt. Dies beinhaltet auch die rotordynamischen Aspekte von hydrodynamischen Gleitlagern, die detaillierter in einem späteren Kap. 19 dargestellt sind. Der gegenwärtige Stand der Technik ist durch den Einsatz der Methode der finiten Elemente (FEM) charakterisiert, für die wichtige rotordynamische Anwendungsfälle in diesem Kapitel diskutiert werden. S. aus der Wiesche () Fachhochschule Münster Steinfurt, Deutschland E-Mail: wiesche@fh-muenster.de © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. aus der Wiesche, F. Joos (Hrsg.), Handbuch Dampfturbinen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20630-7_7 299 300 7.1 S. aus der Wiesche Übersicht und Problemstellung Allgemein weisen Maschinen mit rotierenden Wellen als wesentliche Elemente Läufer (auch Rotor genannt), Gehäuse (auch als Stator bzw. Ständer in der Elektrotechnik bezeichnet), Lager und Lagerschilde bzw. Lagerböcke auf. Weiterhin müssen bei vielen Anwendungen und insbesondere auch bei Dampfturbinen noch Dichtungen zwischen der rotierenden Welle und dem Gehäuse berücksichtigt werden. Bei größeren Maschinen wird das Gehäuse über ein Fundament abgestützt, dessen dynamische Eigenschaften und Wechselwirkungen mit dem Rotorsystem häufig in die Analyse mit einbezogen werden müssen. Sind zwei oder mehrere Maschinen gekuppelt, wie beispielsweise bei einer Dampfturbine, die einen Generator zur Stromerzeugung antreibt, liegt ein Wellenstrang vor. Bei Dampfturbinen großer Leistung muss aufgrund des üblichen mehrgehäusigen Aufbaus ein ganzer Turbostrang bzw. eine Turbogruppe mit ihren Kupplungen betrachtet werden. Bei modernen Flugzeugtriebwerken findet man auch mehrwellige Maschinen, bei denen bis zu drei rotierende Wellen ineinander verschachtelt sind [BRA2004], doch ist für Dampfturbinen ein solcher kompakter Aufbau unüblich und wird daher hier auch nicht weiter behandelt. Die oben genannten Elemente können bei der in Abb. 7.1 gezeigten ersten einstufigen Dampfturbine von Laval unmittelbar gefunden werden. Als besonderes Konstruktionsmerkmal verwendete Laval eine sehr schlanke Welle, auf die ein einzelnes Abb. 7.1 Die Dampfturbine von Laval aus dem Jahre 1883 (aus [GAS2002]) 7 Rotordynamische Grundlagen 301 Laufrad angebracht war. Es handelt sich hierbei um eine sehr biegeelastische Rotorkonstruktion, die von Laval bewusst aufgrund von rotordynamischen Fragestellungen gewählt worden war. Dieses Konzept wird später eingehend erläutert. Aufgrund der Energieumsetzung in der Turbinenstufe musste ein für die damalige Zeit ungewöhnlich hoher Wert der Umfangsgeschwindigkeit u D 390 m=s gewählt werden, was auf eine sehr hohe Drehzahl im Bereich von n D 50:000 min1 führte. Im Gegensatz zu Kolbenmaschinen erscheint auf den ersten Blick die Dynamik von Maschinen mit rotierenden Wellen wesentlicher einfacher zu sein, da die Drehmomentbilanz weitgehend ausgeglichen ist. Die in der Praxis aufgrund von Fertigungsungenauigkeiten unvermeidbaren nicht vollständig symmetrischen Massenverteilungen führen allerdings dazu, dass der Schwerpunkt S in einer üblicherweise unbekannten kleinen Distanz " vom idealen Wellendurchstoßpunkt W entfernt ist. Als Unwucht bezeichnet man die aus der Exzentrizität " und der Rotormasse m gebildete Größe U D m". Bei sehr hohen Drehzahlen n treten demnach bei einer starren Welle auch sehr große Fliehkräfte F D m"˝ 2 auf, wobei zwischen der Drehzahl n und der Winkelgeschwindigkeit ˝ der bekannte kinematische Zusammenhang ˝ D 2 n besteht (im Nachfolgenden wird allerdings auch ˝ selbst – sprachlich nicht ganz korrekt – als Drehzahl oder Drehgeschwindigkeit bezeichnet, was in der Praxis üblich ist). Die am Schwerpunkt S angreifende Fliehkraft F muss bei einer starren Welle durch die Lager aufgenommen werden. Für ausreichend hohe Drehzahlen ergeben sich Fliehkraftbelastungen, die die Annahmen eines biegestarren Rotors überschreiten. Man erhält dann als angemesseneres Modell den in Abb. 7.2 gezeigten sog. Laval-Läufer, der aus einer gelagerten biegeelastischen Welle und einer lokalen Massenscheibe mit Exzentrizität " bestehlt. Die im deutschen Sprachraum übliche Bezeichnung „Laval-Läufer“ erklärt sich aus der Ähnlichkeit zu der von Laval gewählten Konstruktion (vgl. Abb. 7.1). In der angelsächsischen Welt ist dieses rotordynamische Minimalmodell besser als „Jeffcott-Rotor“ bekannt, was auf eine 1919 erschienene populäre Publikation [JEF1919] zurückgeht. Korrekt müsste man nach Dara Childs [CHI1993] wohl von einem „Föppl-Rotor“ sprechen, der dieses Modell erstmals 1895 eingeführt hatte [FÖP1895]. Nach einer populären Argumentation kann man das Grundproblem der sog. kritischen Drehzahlen eines biegeelastischen Läufers leicht identifizieren. Hierbei bildet man die resultierende Fliehkraft aus der Exzentrizität " und der elastischen Verformung W der Welle und setzt diese gleich der elastischen Rückstellkraft, was auf die Gleichung .W C "/m˝ 2 D c W (7.1) führt. Aufgelöst nach der resultierenden Wellenverformung ergibt sich aus Gl. 7.1 der Zusammenhang .˝=!/2 ; (7.2) W D " 1 .˝=!/2 302 S. aus der Wiesche Abb. 7.2 Laval-Läufer (auch Jeffcott-Rotor genannt) mit der biegekritischen Eigenkreisfrequenz r c !D m 2 ncr : (7.3) Die Eigenkreisfrequenz Gl. 7.3 charakterisiert das Verhalten des Rotors. Nähert man sich mit der Drehzahl n der kritischen Drehzahl ncr , so wachsen nach Gl. 7.2 die Wellenauslenkungen unbegrenzt. Dieses Phänomen bemerkte bereits 1869 Rankine am Beispiel einer glatten Welle. Er sah das Durchfahren der kritischen Drehzahl als problematisch an [RAN1869]. De Laval interpretierte den Ausdruck Gl. 7.2 vom Standpunkt sehr hoher Drehzahlen n > ncr . Dann folgt jW j ! ", also ein sehr kleiner Wert. In diesem Fall spricht man auch von einer Selbstzentrierung des Läufers, die für überkritische Drehzahlen wieder zu einem ruhigeren Lauf führt. De Laval legte die biegeelastische Eigenfrequenz seines Läufers bewusst niedrig aus, um bei der Betriebsdrehzahl das 7-fache der kritischen Drehzahl zu ermöglichen. Im Anschluss an Laval analysierten Föppl [FÖP1895] und später Jeffcott [JEF1919] mathematisch korrekt die Existenz einer kritischen Drehzahl und die Selbstzentrierung. Tatsächlich ist die obige Argumentation durch die gleichzeitige Verwendung eines mit-rotierenden und eines absoluten Bezugssystems formal nicht richtig. Da aber die korrekte Behandlung auf das gleiche Resultat führt, ist diese falsche Erklärung immer noch weitverbreitet. Die meisten Dampfturbinen sind rotordynamisch nicht wie der einfache Laval-Läufer aufgebaut, doch findet man auch dort die Existenz von kritischen Drehzahlen. Reale Ausführungen weisen üblicherweise kompliziertere Verhältnisse auf, was anhand einer doppelflutigen Dampfturbine in Gleichdruckbauweise in Abb. 7.3 veranschaulicht ist. In diesem Fall treten mehrere kritische Drehzahlen auf. Die Nennbetriebsdrehzahl ˝B sollte weit von den kritischen Drehzahlen !i gewählt werden. Im Anschluss an die ersten Dampfturbinenkonstruktionen zeigte sich im 20. Jahrhundert schnell, dass es physikalisch neben der Biegeelastizität des Läufers noch eine Vielzahl von weiteren Ursachen für Rotorinstabilitäten und kritische Drehzahlen gibt. Insbesondere der Einfluss der Lagerung spielt in der Praxis eine entscheidende Rolle. Dies ist anhand 7 Rotordynamische Grundlagen 303 Abb. 7.3 Qualitativer Verlauf der Wellenauslenkung an einer Stelle in Abhängigkeit der Drehzahl einer Dampfturbine der qualitativen Darstellungen der resultierenden Wellenamplitude als Funktion der Drehzahl für einen gleitgelagerten Rotor in Abb. 7.4 verdeutlicht. Zunächst durchläuft der Rotor mit von Null zunehmender Drehzahl eine Resonanzstelle an der Stelle n D ncr , die durch eine biegekritische Eigenfrequenz verursacht ist. Aufgrund der äußeren Dämpfung bleibt die Amplitude trotz einer massiven Vergrößerung endlich. Mit weiter ansteigender Drehzahl beobachtet man in Abb. 7.4 zunächst das Phänomen der Selbstzentrierung, aber ab einer Grenzdrehzahl n > nGr nimmt die Amplitude unzulässig hohe Werte an. Das dynamische Rotorsystem ist für n > nGr instabil und kleine Störungen wachsen mit der Zeit rasch an und werden nicht mehr weggedämpft. Es handelt sich hierbei um eine selbsterregte Biegeschwingung, die ihre Ursache in Gleitlagereffekten bei ausreichend hohen Drehzahlen hat. Weitere Instabilitäten dieser Art können durch Reibmechanismen (innere Dämpfung), Selbsterregungseffekten aus Dichtspalten oder Spaltumströmungen über Deckbänder von Turbinenschaufeln (Dampfanfachung) herrühren. Abb. 7.4 Qualitativer Verlauf der Wellenauslenkung für einen Rotor in Gleitlagern [GAS2002] 304 S. aus der Wiesche 7.2 Grundlegende Zusammenhänge Das Minimalmodell des Laval-Läufers kann für die theoretische Analyse von einer Vielzahl rotordynamischer Phänomene verwendet werden. Es gestattet noch eine relativ übersichtliche mathematische Beschreibung, die in der Regel durch Sätze von linearen gewöhnlichen Differentialgleichungen bestimmt wird. Hierbei werden üblicherweise „kleine“ Amplituden angenommen, die formal eine Linearisierung um einen Betriebspunkt gestatten. Nichtlineare Effekte treten bei großen Amplituden auf, die aber wegen der Zerstörungspotentiale in der Praxis meist ohnehin unzulässig sind, oder bei bestimmten transienten Phänomenen, wie der Resonanzdurchfahrt. In diesen Fällen ist man auf rechnergestützte Lösungsverfahren der Sätze nichtlinearer Differentialgleichungen angewiesen. Die allgemeine Lösung linearer Differentialgleichungssysteme setzt sich formal aus der homogenen Lösung und einer partikulären Lösung zusammen. Die homogene Lösung liefert die Eigenfrequenzen des Systems und ist für die Stabilitätsanalyse bestimmend (Stabilität ist eine Systemeigenschaft). Die inhomogene Lösung ist auf Störglieder oder Anregungen in den Bewegungsdifferentialgleichungen zurückzuführen. Ein Beispiel hierfür ist die bereits qualitativ diskutierte Unwuchterregung des Laval-Läufers, die physikalisch ihre Ursache in der Exzentrizität " hat. 7.2.1 Dämpfungsfreier Laval-Läufer in starren Lagern ohne Kreiselwirkung Der einfachste Fall des dämpfungsfreien Laval-Läufers in starren Lagern wurde bereits in Abb. 7.2 eingeführt. Für die nachfolgende mathematische Behandlung wird das in Abb. 7.5 skizzierte Koordinatensystem mit der entsprechenden Nomenklatur verwendet. Die Koordinaten des Wellendurchstoßpunkts W sind durch yW und zW im raumfesten Koordinatensystem gegeben. Dieses ist so orientiert, dass die x-Achse der idealen Wellenlinie entspricht. Der Schwerpunkt S des Rotors hat dann die Koordinaten yS und zS . Zunächst wird von einer etwaigen Schrägstellung der Scheibe abgesehen, so dass die Besprechung der Dynamik ohne Berücksichtigung der Kreiseleffekte erfolgen kann. Die Konfiguration des Rotors wird durch den Winkel ' und Angabe eines Koordinatensatzes nach Abb. 7.5 vollständig beschrieben. Für die Translationsbewegungen ergeben sich als Grundgleichungen mRzS D czW myRS D cyW (7.4) mit der Masse m und der Rotorsteifigkeit c für den hier betrachteten Laval-Läufer. Mit den beiden kinematischen Beziehungen zS D zW C " cos yS D yW C " sin (7.5) 7 Rotordynamische Grundlagen 305 Abb. 7.5 Laval-Läufer und zugehörige Nomenklatur [GAS1975] ergeben sich nach zweimaliger Differentiation nach der Zeit von Gl. 7.5 und Einsetzen aus Gl. 7.4 die inhomogenen Differentialgleichungen zR W C ! 2 zW D "P 2 cos C "R sin yRW C ! 2 yW D "P 2 sin "R cos (7.6) In Gl. 7.6 bezeichnet ! die schon in Gl. 7.3 eingeführte Eigenkreisfrequenz. Das Gleichungssystem ist durch die Momentengleichung R D T C c".yW cos zW sin / (7.7) mit dem Massenträgheitsmoment und dem äußeren Drehmoment T vollständig angegeben. Das durch Gl. 7.6 und 7.7 gegebene nichtlineare Gleichungssystem kann im Allgemeinen nur numerisch gelöst werden. Für den wichtigen Sonderfall einer konstanten Drehgeschwindigkeit des Rotors, P D ˝ D konstant; (7.8) wird die Momentengleichung Gl. 7.7 direkt gelöst und es verbleibt dann von Gl. 7.6 nur noch ein Satz von inhomogenen linearen gewöhnlichen Differentialgleichungen zweiter Ordnung zRW C ! 2 zW D "˝ 2 cos.˝t/ yRW C ! 2 yW D "˝ 2 sin.˝t/: (7.9) 306 S. aus der Wiesche Das Gleichungssystem Gl. 7.9 kann geschlossen integriert werden. Die homogene Lösung entspricht dabei einer einfachen Kreisbewegung mit ! des zurzeit t D 0 ausgelenkten Rotors (Anfangsbedingung). Diese wird für reale Rotoren aufgrund der äußeren Dämpfung exponentiell abnehmen und ist daher nur von akademischem Interesse. Die inhomogene Lösung stellt die gesuchte Unwuchtantwort aufgrund der Exzentrizität " dar. Sie ist für den Wellendurchstoßpunkt durch 2 cos.˝t/ 1 2 2 D" sin.˝t/: 1 2 zW" D " yW" (7.10) mit dem dimensionslosen Frequenzverhältnis D ˝=! gegeben. Für ! 1 nimmt die Auslenkung unbegrenzt zu (kritische Drehzahl und Resonanz). Im Falle sehr hoher Drehzahlen tritt die schon in Abschn. 7.1 begründete Selbstzentrierung des Rotors ein. Im unterkritischen Betrieb ( < 1) liegt der Schwerpunkt S außerhalb, während er im überkritischen Betrieb zwischen dem Ursprung des Koordinatensystems 0 und dem Wellendurchstoßpunkt W liegt. Im Falle der Selbstzentrierung dreht sich der Rotor gewissermaßen um den Schwerpunkt S. Für den weiteren Aufbau der Theorie ist die Darstellung mit komplexen Zahlen mathematisch sinnvoll. Hierbei fasst man die Koordinaten zu einer komplexen Zahl rW D zW C jyW (7.11) mit der imaginären Einheit j zusammen. Die allgemeine homogene Lösung rW0 D rW01 e j!t C rW02 e j!t (7.12) setzt sich dann aus einer gleich- und einer gegenläufigen Drehbewegung zusammen. Für die Unwuchtantwort folgt 2 e j˝t (7.13) rW" D " 1 2 In der komplexen Zahlenebene kann der Wechsel vom raumfesten Bezugssystem zu einem mitrotierenden System leicht durch Multiplikation mit einem komplexen Zeiger (exp.j˝t/) erfolgen. Auch wird bei Einführung von komplexen Zahlen bereits durch Gl. 7.12 deutlich, dass es im Allgemeinen gleich- und gegenläufige Anteile in der resultierenden Bahnkurve gibt. Im Falle eines horizontal gelagerten Rotors tritt ein Gewichtseinfluss mit der Erdbeschleunigung g auf. Formal kann man die gesuchte Lösung ohne größere mathematische Schwierigkeiten durch Superposition der obigen Lösung und der statischen Auslenkung aufgrund des Eigengewichts herleiten [GAS2002]. Interessant ist hierbei allerdings die Analyse der Biegebeanspruchung der Welle. Für den horizontal gelagerten Laval-Läufer 7 Rotordynamische Grundlagen 307 ergibt sich nach einer direkten Rechnung für die resultierende Biegespannung der Ausdruck g 1 lc ˝2 cos ˝t C " ges D : (7.14) 4 Wb ! 2 !2 ˝2 Hierbei stellt der erste Term in Gl. 7.14 eine Wechselbelastung dar, während der zweite Term eine zeitlich konstante Belastung aufgrund der Unwuchtantwort liefert. Diese wächst in der Nähe der kritischen Drehzahl stark an, doch muss man im Betrieb diesen Bereich ohnehin vermeiden. Für Rotoren mit relativ niedrigen kritischen Drehzahlen bzw. Eigenkreisfrequenzen ! können tatsächlich die Biegewechselbelastungen, also der erste Beitrag im Ausdruck Gl. 7.14, zum Kernproblem der Auslegung werden. 7.2.2 Verallgemeinerung auf drehsymmetrische Rotoren Im Dampfturbinenbau treten – bis auf wenige Ausnahmen – praktisch keine Rotoren auf, die durch einen reinen Laval-Läufer angemessen repräsentiert sind. Stattdessen dominieren komplizierte Rotorkonstruktionen, die in der Regel auch auf mehreren Lagern ruhen. In erster Näherung können diese als drehsymmetrisch angenommen werden. Die Beschaufelung kann als Kontinuum „verschmiert“ zum Rotor gezählt werden. Ein Beispiel für einen solchen Kontinuumsrotor, wie er etwa bei Dampfturbinen mit höherer Reaktion (Trommelbauweise) typisch ist, zeigt Abb. 7.6. Betrachtet man einen kleinen axialen Abschnitt d in Abb. 7.6, so kann man analog zum Laval-Läufer in Abschn. 7.2.1 die dynamischen Grundgleichungen für diesen differentiellen Abschnitt aufstellen. Die entsprechende Theorie hierzu wurde von Biezeno und Grammel in eine bis heute klassische Form gebracht [BIE1953], die kompakt auch bei Traupel [TRA1966] dargestellt ist. Für einen Kontinuumsrotor ergeben sich nach einigen Ausführungen anstelle eines Satzes gewöhnlicher Differentialgleichungen (wie beispielsweise im Falle des Laval-Läufers in Abschn. 7.2.1) im Allgemeinen mathematisch anspruchsvollere Integro-Differentialgleichungen für die gesuchte Auslenkung y.z; t/. Wie Abb. 7.6 Beispiel für einen Kontinuumsrotor für eine Dampfturbine (aus [TRA1966]) 308 S. aus der Wiesche die Theorie zeigt [TRA1966], kann man die gesuchte Lösung allgemein durch eine Reihe y.z; t/ 1 X un .x/ .An cos !n t C Bn sin !n t/ C un .x/ .˛ cos ˝t ˇ sin ˝t/ n n 1 .˝=!n /2 nD1 (7.15) mit den Eigenfunktionen un .z/ der Biegeeigenschwingungen (Moden) und den Integrationskonstanten An und Bn sowie den Entwicklungskoeffizienten ˛n und ˇn angeben. Ein analoger Ausdruck ergibt sich für die orthogonale Koordinate z. Die allgemeine Lösung Gl. 7.15 setzt sich aus einem homogenen Beitrag, der real im Laufe der Zeit durch Dämpfung aber verschwinden würde, und dem eigentlich interessanten Unwuchtbeitrag (zweiter Beitrag in Gl. 7.15) zusammen. Im Gegensatz zu der einen Eigenkreisfrequenz ! des Laval-Läufers weist ein Kontinuumsrotor eine Vielzahl von relevanten Eigenkreisfrequenzen !1 ; !2 ; : : :; !n ; : : : auf. Fällt die Drehzahl ˝ in die Nähe einer solchen Eigenkreisfrequenz !n , so resultieren sehr große Auslenkungen, was bereits in Abb. 7.3 qualitativ veranschaulicht wurde. Die Eigenfunktionen un .x/ ergeben sich als Lösung von Fredholmschen Integralgleichungen zweiter Art und erfüllen als vollständiges Funktionensystem die Orthogonalitätsrelationen. Dies kann für die Ermittlung der Koeffizienten ˛n und ˇn , die die Projektionen der Exzentrizität sind, ausgenutzt werden. Für jede Mode n gibt es bei der Unwuchtantwort eine Kreisbewegung mit dem Radius q un .z/ ˛n2 C ˇn2 : (7.16) rn D 1 .˝=!n /2 D Die Gesamtheit aller Moden ergibt die resultierende Bahnbewegung des Rotors (Orbit). Die Rotorachse schlägt mit der Winkelgeschwindigkeit ˝ um die statische Durchbiegungslinie herum und verformt sich, weil diese keine Gerade ist. Zusammenfassend kann man daher aussagen, dass für drehsymmetrische Rotoren ohne Kreiselwirkung die Kreisfrequenzen der Biegeeigenschwingungen zugleich die kritischen Winkelgeschwindigkeiten des Rotors darstellen. Somit besteht zwischen der Strukturdynamik des Biegeschwingers und der Rotordynamik ein fundamentaler Zusammenhang [DRE2005], doch ist die Gesamtheit rotordynamischer Phänomene nicht alleine durch die Theorie der Biegeschwingungen abgedeckt. Offensichtlich ist die Minimierung der Exzentrizität, also das Auswuchten, in der Praxis anzustreben. In der üblichen Bezeichnungsweise versteht man unter einem statisch und dynamisch ausgewuchteten Rotor ein System, dessen Schwerpunkt auf der Drehachse liegt und diese auch Hauptträgheitsachse ist. Dieser Zustand kann durch Auswuchtmassen in zwei Ebenen prinzipiell für einen ideal starren Rotor erzielt werden. Tatsächlich sind aber reale Ausführungen nicht vollständig starr und es kann auf diese Weise aufgrund der auftretenden Verformungen daher keine vollständige Auswuchtung erzielt werden. Formal müsste man für jede n-te Mode separat die Auswuchtbedingung erfüllen, was technisch nicht realisierbar ist. Näheres zur praktischen Auswuchttechnik kann der Literatur [GAS2002, SCH2000] entnommen werden. 7 Rotordynamische Grundlagen 7.2.3 309 Besonderheiten bei nicht-drehsymmetrischen Rotoren (unrunde Wellen) Bei Dampfturbinen lassen sich streng genommen keine vollständig drehsymmetrischen Rotoren aufgrund der Beschaufelung und etwaiger Keilnuten realisieren, doch sind diese Abweichungen äußerlich eher unwesentlich. Bei Turbogeneratoren sind die Abweichungen von der Drehsymmetrie massiv und man muss daher für den resultierenden Turbosatz den Effekt von unrunden Wellen auf die Rotordynamik beachten. Die entsprechende Theorie hierzu kann anhand eines modifizierten Laval-Läufers mathematisch geschlossen diskutiert werden, was sich beispielsweise bei Gasch, Nordmann und Pfützner im schon erwähnten Buch [GAS2002] findet. Der Einfachheit halber nimmt man bei dieser Analyse eine unrunde Welle an, die durch zwei unterschiedliche Steifigkeiten cy und cz hinsichtlich der lateralen Achsen des Läufers charakterisiert wird. Es resultieren daher auch zwei unterschiedliche Eigenkreisfrequenzen !y und !z für diese unrunde Welle. Der Grad der Unrundheit kann durch eine dimensionslose Größe D !y2 !z2 cy cz D cy C cz 2! 2 (7.17) quantifiziert werden, wobei ! die mit einer mittleren Steifigkeit gebildete Eigenkreisfrequenz des Läufers bezeichnet. Die mathematische Analyse eines unrunden Laval-Läufers ergibt, dass statt einer einzigen kritischen Drehzahl für 1 > > 0 ein instabiler Bereich zwischen den beiden Eigenkreisfrequenzen !y und !z existiert. Die zugehörige Stabilitätskarte für ein solches System ist in Abb. 7.7 qualitativ dargestellt. Für ein gegebenes Verhältnis liegt ein instabiles Verhalten des Läufers zwischen den eingezeichneten Kurvenästen vor. Mit wachsender Unrundheit der Welle nimmt der instabile Bereich zu. Dieses Verhalten kann qualitativ auf Kontinuumsrotoren übertragen werden, wobei dann nicht nur – wie in Abb. 7.7 gezeigt – ein kritischer Bereich existiert, sondern eine ganze Reihe kritischer Zonen zwischen den jeweiligen Eigenkreisfrequenzen. Abb. 7.7 Qualitative Stabilitätskarte für einen unrunden Laval-Läufer 310 S. aus der Wiesche Eine Besonderheit tritt bei horizontal gelagerten unrunden Rotoren auf, bei denen der Gewichtseinfluss zu einer sog. Gewichtsresonanz führt. Für einen einfachen horizontalen unrunden Laval-Läufer kann dieses Phänomen mathematisch noch geschlossen analysiert werden [GAS2002]. Die inhomogene Lösung infolge des Gewichtseinflusses des Differentialgleichungssystems ist in diesem Fall durch eine weitere kritische Drehzahl !p ! 1 2 (7.18) !g D 2 2 charakterisiert, bei denen die Wellenausschläge massiv anwachsen. Für Kontinuumsrotoren ergeben sich gewichtsbedingte kritische Drehzahlen für jede Mode i, wobei für kleine Abweichungen von der Drehsymmetrie ( ! 0) auch hier vereinfachend die halben Werte der zugehörigen biegekritische Drehzahlen angesetzt werden können. Der in der Praxis oft beobachtete etwas unruhige Lauf einer Turbogruppe bei etwa der Hälfte der biegekritischen Drehzahl kann auf diese Weise erklärt werden. In Abb. 7.8 sind die beiden Grundphänomene für unrunde Wellen graphisch veranschaulicht. 7.2.4 Laval-Läufer mit äußerer und innerer Dämpfung In der elementaren Schwingungslehre spielt die Dämpfung eine wichtige Rolle als dissipativer Mechanismus, der beispielsweise dafür sorgt, dass die homogene Lösung des zugehörigen Differentialgleichungssystems im Laufe der Zeit abklingt. Auch begrenzen prinzipiell Dämpfungsmechanismen die Amplituden bei Resonanzen. Für Rotoren liegen im Allgemeinen wesentlich komplizierte Verhältnisse vor, da zwischen äußerer und innerer Dämpfung strikt unterschieden werden muss. Abb. 7.8 Veranschaulichung des dynamischen Verhaltens von horizontalen unrunden Rotoren 7 Rotordynamische Grundlagen 311 Äußere Dämpfung Die äußere Dämpfung entsteht beispielsweise durch viskose Dissipation im umgebenden Fluid oder im Lager. Sie kann in ihrer Auswirkung auf die Dynamik gut mit der aus der elementaren Schwingungslehre bekannten Dämpfung verglichen werden. Die Grundgleichungen mRzW C ka zP W C c zW D m" ˝ 2 cos.˝t/ myRW C ka yPW C c yW D m" ˝ 2 sin.˝t/ (7.19) für die laterale Bewegung eines Laval-Läufers können unter der Annahme geschwindigkeitsproportionaler Dämpfung ausgehend vom Gleichungssystem Gl. 7.9 für eine konstante Drehzahl ˝ direkt angegeben und gelöst werden. Hierbei bezeichnet ka die äußere Dämpfung. Meist wird in der Technik alternativ zu ka das dimensionslose Dämpfungsmaß oder der Dämpfungsgrad ka (7.20) Da D 2m! verwendet. Die äußere Dämpfung wirkt auf die Absolutbewegung der Welle, was in Gl. 7.19 berücksichtigt worden ist. Für nicht zu große Dämpfungsmaße können die Resultate der elementaren Schwingungslehre direkt übernommen werden. Der auftretende Vergrößerungsfaktor V im Resonanzfall ergibt sich näherungsweise zu V 1 m! D : ka 2Da (7.21) Die dämpfungsbedingte leichte Verschiebung der Eigenkreisfrequenz folgt q !a D ! 1 Da2 (7.22) und es tritt ein Nacheilwinkel des Rotors ein, der der Phasenverschiebung eines gedämpften Schwingsystems entspricht. Innere Dämpfung Neben der äußeren Dämpfung kann bei Rotoren noch eine innere Dämpfung auftreten, deren Auswirkung zum Teil sehr überraschend ist. Physikalisch hat sie ihre Ursache beispielsweise im viskosen Verhalten des Rotorwerkstoffs, oder sie rührt aus der Reibung zwischen Nabe und Welle her, was in Abb. 7.9 veranschaulicht ist. Letzterer Mechanismus ist insbesondere für Schrumpfpassungen bei Turbinen zu beachten. Die innere Dämpfung wirkt in Bezug auf die Bewegungen im mit-rotierenden Koordinatensystem und hängt nicht von den äußeren Bewegungen direkt ab. Die Bewegungsgleichungen lauten für einen Laval-Läufer mit innerer Dämpfung im mit-rotierenden Bezugssystem 2˝ zP W C .ki =m/PzW C .! 2 ˝ 2 /zW D "˝ 2 cos ı zRW yRW C 2˝ yPW C .ki =m/yPW C .! 2 ˝ 2 /yW D "˝ 2 sin ı (7.23) 312 S. aus der Wiesche Abb. 7.9 Reibungszonen zwischen Nabe und Welle bei Läuferdurchbiegung (aus [GAS1975]) mit einer willkürlichen Integrationskonstanten ı, die für die Stabilitätsuntersuchung des homogenen Systems irrelevant ist. Im mit-rotierenden Bezugssystem treten CoriolisBeiträge auf, die im Absolutsystem (vergleiche Gl. 7.19) fehlen. Die Stabilitätsuntersuchung für das durch Gl. 7.23 formulierte homogene System ergibt, dass die charakteristische Gleichung 2 C .2j˝ C .ki =m// C .! 2 ˝ 2 / D 0 (7.24) Wurzeln hat, die für ˝ > ! einen positiven Realteil haben. Dies entspricht einer aufklingenden Lösung, was bedeutet, dass der Läufer mit rein innerer Dämpfung für ˝ > ! instabil wird. Dieses aufklingende Verhalten einer homogenen Lösung wirkt auf den ersten Blick paradox, da es seine Ursache in einem dissipativen Mechanismus, nämlich der inneren Dämpfung, hat. Physikalisch kann das Aufklingen durch die Überführung von kinetischer Energie der Drehbewegung des Rotors in eine laterale Bewegung aufgrund der inneren Dämpfung im überkritischen Betrieb erklärt werden. Für unterkritische Rotoren wirkt auch die innere Dämpfung stabilisierend, da die Wurzeln von Gl. 7.24 in diesem Fall negative Realteile aufweisen. Äußere und innere Dämpfung In der Regel tritt bei Rotoren sowohl die innere als auch die äußere Dämpfung gleichzeitig auf. In diesem Fall lautet das charakteristische Polynom 2 C .2j˝ C .ki =m/ C .ka =m// C .! 2 ˝ 2 C .j˝ka =m// D 0: (7.25) Die Analyse für dieses System liefert die in Abb. 7.10 gezeigte Stabilitätskarte. Unterhalb der kritischen Drehzahl ! liegt stets Stabilität vor. Für überkritische Drehzahlen können in Abhängigkeit des Verhältnisses von äußerer und innerer Dämpfung instabile Zustände auftreten, wobei eine Vergrößerung der äußeren Dämpfung stabilisierend wirkt. 7 Rotordynamische Grundlagen 313 Abb. 7.10 Stabilitätskarte für den Laval-Läufer mit innerer und äußerer Dämpfung (nach [GAS1975]) Die Grenzdrehzahl, bei der Instabilität auftritt, berechnet sich für das System Gl. 7.25 aus Da ˝Gr D 1 C !: (7.26) Di Vom theoretischen Standpunkt aus ist dieses von Smith 1933 hergeleitete Resultat außerordentlich wichtig [SMI1933]. Es zeigt, dass die Existenz von nicht-symmetrischen Steifigkeitsmatrizen zu einem instabilen Systemverhalten führt. Der praktische Wert von Gl. 7.26 ist für den Turbinenbau allerdings begrenzt, da real wesentlich anspruchsvollere Dämpfungsgesetze vorliegen. Für praktische Anwendungen bleibt festzuhalten, dass innere Dämpfungsmechanismen für überkritisch betriebene Rotoren zu Stabilitätsproblemen führen können. In der Praxis sollte man daher bei Konstruktionen speziell die inneren Dämpfungseffekte minimieren. 7.2.5 Resonanzdurchfahrt Ein Rotor, der überkritisch betrieben werden soll, muss durch einen äußeren Antrieb schnell durch die Resonanz gefahren werden. Dynamisch ist das zugehörige transiente Verhalten recht komplex und kann nur durch (numerische) Lösungen der zugehörigen nichtlinearen Differentialgleichungssysteme analysiert werden. Nähere mathematische Ausführungen hierzu finden sich in beispielsweise in [GAS1975, GAS2002] und den dort angegebenen Originalarbeiten. In diesem Abschnitt werden nur die für den praktischen Betrieb wichtigsten Resultate zusammengefasst. Für die Resonanzdurchfahrt ist die Winkelbeschleunigung, die meist als bezogene dimensionslose Größe 'R (7.27) a !2 angegeben wird, relevant. Im Grenzfall a ! 0 liegt der quasistatische Fall vor, der durch sehr hohe Amplituden in Resonanznähe gekennzeichnet ist. Erst ausreichend starke äuße- 314 S. aus der Wiesche Abb. 7.11 Resonanzdurchfahrt eines Laval-Läufers (aus [GAS1975]) re Antriebsmomente T gestatten Beschleunigungen, bei denen die Resonanz tatsächlich durchfahren werden kann. Für das erforderliche Mindestdrehmoment können im Allgemeinen keine einfachen Angaben gemacht werden. Mit dem Trägheitsradius p =m r (7.28) lassen numerische Lösungen auf die Grenzbedingung TGr D 1;3 " r 4=3 r2 ! 2 m (7.29) nach Gasch et al. schließen [GAS2002]. Eine erfolgreiche Resonanzdurchfahrt ist exemplarisch in Abb. 7.11 dargestellt. Hierbei wurde ein einfacher Laval-Läufer mit äußerer Dämpfung Da D 0;1 und einer dimensionslosen Beschleunigung von a D 16 103 angenommen. Der auftretende Wellenausschlag ist mit der Exzentrizität " dimensionslos gemacht worden; die Zeit ist ebenfalls mit Beschleunigung und Eigenkreisfrequenz in Abb. 7.11 normiert dargestellt. Qualitativ kann man aus Abb. 7.11 entnehmen, dass die maximale Auslenkung erst signifikant nach Erreichen der kritischen Drehzahl bei einer Beschleunigung auftritt. Auch kommt es nach Passieren des Maximalausschlages noch zu anschließenden Oszillationen in der Hüllkurve der Amplitude aufgrund von nichtlinearen Effekten. Für die Vergrößerungszahl V D rmax =" stammt von Markert [MAR1988] eine handliche Näherungsformel V D 1 p ; 2Da C 0;707 a (7.30) wobei schwache Dämpfung und ein starker Antrieb vorausgesetzt werden. Für geringe Beschleunigungen treten höhere Maximalausschläge auf, wobei mit kleinerem a diese auch immer näher bei ˝ D ! liegen. Im Falle des Herunterfahrens des Rotors, also bei Verzögerung, tritt der umgekehrte Effekt auf. Ein Rüttelrichtmoment wirkt vom Fundament auf den Rotor, so dass dieser mehr beschleunigt, als es dem Antriebsmoment entspricht. Die Näherungsformel Gl. 7.30 kann für praktische Anwendungen auch auf diesen Fall übertragen werden. Im Falle von schwachen Antrieben oder großen Exzentrizitäten „bleiben die Rotoren beim Beschleunigen in der Resonanz hängen“. In diesem Fall nimmt die Auslenkung des Rotors unzulässig hohe Werte an und es tritt keine weitere Beschleunigung der Drehzahl trotz eines aufgeprägten Antriebsmomentes auf. Physikalisch wird vom Antrieb 7 Rotordynamische Grundlagen 315 Energie zur Aufrechterhaltung der lateralen Bewegung und von Fundamentschwingungen entzogen. Der Rotor setzt beim Durchfahren der Resonanzstelle einen größeren dynamischen Widerstand entgegen, als es nur seiner eigenen Drehträgheit oder dem elementaren Reibmoment entspricht. Betrachtet man Dampfturbinen großer Leistung, so würden die vom äußeren Antriebsmotor her möglichen Beschleunigungen nicht ausreichen, um bei Vernachlässigung der Dämpfung ausreichend schnell durch die Resonanz zu fahren. Tatsächlich gestattet für diesen Anwendungsfall erst die nicht zuletzt durch die Lagerung herrührende Dämpfung das sichere An- und Abfahren der Turbostränge. 7.2.6 Einfluss der Kreiselwirkung In den vorangegangenen Abschnitten wurde die durch eine Schrägstellung des Rotors resultierende Kreiselwirkung vernachlässigt, was für typische Dampfturbinenkonstruktionen auch eine gute Näherung darstellt. Allgemein erfordern allerdings gyroskopische Effekte prinzipiell eine massive Erweiterung der rotordynamischen Theorie und können bei hohen Genauigkeitsansprüchen oder ausgefallenen Konstruktionen nicht mehr ignoriert werden. Historisch sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Stodola [STO1918] und Green [GRE1948] zu nennen. Als Analogon zum einfachen Laval-Läufer wurde das als Stodola-Green-Modell bekannte System eines fliegend gelagerten Rotors für die Analyse aufgestellt. Bei diesem in Abb. 7.12 gezeigten Rotorsystemen sind die gyroskopischen Effekte speziell im Falle eines hohen polaren Trägheitsmomentes (Fall b in Abb. 7.12) wesentlich. Für trommelförmige Rotoren (Fall a in Abb. 7.12) können diese meist immer noch vernachlässigt werden. Generell ist die Berücksichtigung von Kreiseleffekten sehr anspruchsvoll, was beispielsweise im klassischen Buch [MAG1971] von Magnus demonstriert ist. Mit Blick auf rotordynamische Fragestellungen sei in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Darstellungen in [GAS2002] bzw. [DRE2005] oder [GAS1975] verwiesen. Aufgrund der Komplexität kann in diesem Abschnitt nur eine erste Übersicht gegeben werden. Behält man die bisherige Nomenklatur bei, so kann man die Bewegungsgleichungen für einen dämpfungsfreien Rotor mit Berücksichtigung der gyroskopischen Beiträge in Matrizenschreibweise kompakt als fS D MRxS C GPxS C CxW (7.31) schreiben. Hierbei bezeichnet f den Kraft- und Momentenvektor, M die Massenmatrix, G die Matrix der gyroskopischen Beiträge, C die Steifigkeitsmatrix und x den Vektor der 4 Freiheitsgrade für das einfache Stodola-Green-Modell. Für die weitere Diskussion ist die Zusammenfassung zu komplexen Größen rS D zS CjyS ; rW D zW CjyW ; S D Sz CjSy und W D Wz CjWy (7.32) 316 S. aus der Wiesche Abb. 7.12 Stodola-GreenModelle mit trommelförmiger Rotorform (a) und Scheibenform (b) sinnvoll. Aufgrund der nun nicht mehr ignorierten Schrägstellung treten anstelle eines Winkels ' nunmehr zwei Winkel in Gl. 7.32 auf. Damit kann Gl. 7.31 explizit durch 2 2-Matrizen ausgedrückt werden, " m 0 0 a #" rRW RW # #" # " rPW 0 0 c11 C C P 0 jp ˝ W jc12 " # jı m"e1 D ˝2 e j˝t : .a p /'e jı2 " jc12 c22 #" rW W # (7.33) Hierbei bezeichnet den festen Winkel der etwaigen Schrägstellung der Scheibe (geometrische Imperfektion), der als Analogon zur lateralen Exzentrizität " aufgefasst werden kann. Das komplexe Gleichungssystem Gl. 7.33 kann nun als Ausgangspunkt für die Analyse der Eigenkreisfrequenzen verwendet werden. Freie Wellenschwingungen Betrachtet man nur das homogene System von Gl. 7.33, so ergeben sich die freien Wellenschwingungen. Unter Einschluss der gyroskopischen Beiträge resultieren vier rein imaginäre Wurzeln für das zugehörige charakteristische Polynom. Diese Wurzeln stellen die gesuchten Eigenkreisfrequenzen dar. Ihr prinzipieller Verlauf ist für den Fall p > a in Abb. 7.13 als Funktion der Winkelgeschwindigkeit ˝ des Rotors graphisch dargestellt. Die Eigenkreisfrequenzen !v hängen jetzt nicht nur von den Rotordaten m, a , p und cij ab, sondern auch noch von der Drehzahl ˝. Für jede Drehzahl ˝ gibt es zwei positive und zwei negative Lösungen !v . Die Eigenkreisfrequenzen für einen stationären Rotor (˝ D 0) sind durch !01 ; : : :; !04 gegeben. Trotz fehlender Kreiselwirkung wirkt sich in diesem Fall der Einfluss der rotatorischen Trägheit formal immer noch aus. Das Vorzeichen der Eigenkreisfrequenzen entspricht gleich- bzw. gegenläufigen Teillösungen. Die Asymptote p .p =a /˝ in Abb. 7.13 ist von besonderem Interesse, ebenso die Grenzfälle ! D c=m (Eigenkreisfrequenz für einen Rotor mit p Punktmassen) und ! D c11 =m (Eigenkreisfrequenz eines Rotors mit unterdrückter Schrägstellung). 7 Rotordynamische Grundlagen 317 Abb. 7.13 Eigenfrequenzen des Stodola-Green-Modells für p > a (aus [GAS1975]) Unwuchterzwungene Wellenschwingungen Die Exzentrizität " bzw. eine geometrische Schrägstellung verursachen unwuchterzwungene Wellenschwingungen. Diese sind durch kritische Drehzahlen charakterisiert, bei denen die Ausschläge divergieren. Ihre Werte kann man graphisch finden, indem man den sog. Anfahrstrahl ˝ D ! in das Diagramm der Eigenkreisfrequenzen einzeichnet und die Schnittpunkte bestimmt. Dies ist schematisch in Abb. 7.14 für die beiden Fälle a < p und a > p für eine gleichläufige Erregung dargestellt. Von einer gleichläufigen Erregung spricht man, wenn die Drehrichtung der Wellenschwingung mit der Drehrichtung der rotierenden Welle identisch ist. Diese Erregung wird auch als Haupterregung bezeichnet und ergibt sich aus der Unwucht des Rotorsystems selbst. Für scheibenförmige Rotoren (Fall a in Abb. 7.14) ergibt sich eine biegekritische Drehzahl ˝gl und für trommelförmige Rotoren liegen zwei kritische Drehzahlen ˝gl1 und ˝gl2 vor (Fall b in Abb. 7.14). Der Sonderfall a D p liefert ˝gl1 D ! und verhindert das Durchfahren der Resonanz, da die Asymptote .p =a /˝ nun mit dem Anfahrstrahl zusammenfällt. Physikalisch bedeutet dies, dass für einen solchen Rotor im höheren Drehzahlbereich stets große Resonanzausschläge auftreten. Dieser Zustand ist konstruktiv zu vermeiden. Im synchronen Resonanzfall des Gleichlaufs läuft die Welle im gebogenen Zustand um und wird nur statisch belastet. Die Schwingungsformen des Gegenlaufs sind stärker gedämpft als die des Gleichlaufs, da im ersteren Fall die auftretenden Wechselverformungen der Welle zu einer wirksameren Werkstoffdämpfung führen. 318 S. aus der Wiesche Abb. 7.14 Kritische Drehzahlen für das Stodola-Green-Modell für p > a (a) und p < a (b) für eine Gleichlaufanregung (nach [GAS1975]) Der gleichförmige Anteil wird nur durch die äußere Dämpfung begrenzt. Falls die rotierende Welle nicht durch Unwuchten, sondern durch äußere Kräfte oder Momente angeregt wird, spricht man von Neben- oder Fremderregung. Bei dieser Anregungsart kann der Rotor sowohl in den Eigenfrequenzen des Gleichlaufs, als auch in denen des Gegenlaufs in Resonanz geraten. Die entsprechenden kritischen Drehzahlen können graphisch als Schnittpunkte der Strahlen der Anregungsfrequenz mit den Eigenkreisfrequenzen gefunden werden. Man findet, dass es stets zwei biegekritische Drehzahlen des Gegenlaufs gibt, unabhängig vom Verhältnis der Trägheitsmomente. Es gilt hierbei ˝gg1 < ! und ˝gg2 > !. Die kritischen Drehzahlen des Gegenlaufs stimmen für ˝ > 0 nicht mit denen des Gleichlaufs überein. Bei den meisten Fremderregungen liegen keine idealen harmonischen Anregungen derart cos ˝t vor, sondern es ist mit höheren Harmonischen, also Anregungsfrequenzen 2˝; 3˝; : : : zu rechnen. In diesem Fall liefern auch die Schnittpunkte dieser höheren Harmonischen mit den Eigenkreisfrequenzen weitere kritische Drehzahlen. Gegenläufige Erregungen treten bei Dampfturbinen beispielsweise auf, wenn deren Lagerböcke durch eine äußere Störquelle in Schwingung versetzt werden. Die Erregerfrequenz stimmt dann im Allgemeinen nicht mit der Wellendrehzahl ˝ oder ihren höheren Harmonischen überein, sondern ist auf unabhängige Quellen zurückzuführen. 7.3 Berücksichtigung der Lagerung und des Fundaments In den obigen Ausführungen wurden die Rotoren stets als ideal starr gelagert aufgefasst und lediglich ein etwaiger äußerer Dämpfungseinfluss mit in die Analyse einbezogen. Tatsächlich ist diese Vereinfachung für Dampfturbinen allerdings unzureichend, da wesentliche rotordynamische Phänomene im Betrieb direkt auf die Lagerung der Rotoren 7 Rotordynamische Grundlagen 319 Abb. 7.15 Aufstellungsarten großer Dampfturbinen mit Tisch-Stahlbeton- (a) und Boden-Stahlbeton-Fundament (b) (aus [HUS1999]) bzw. Aufstellung der Gesamtmaschinen zurückführbar sind. Die beiden heute gebräuchlichen Aufstellungsarten großer Dampfturbinen sind in Abb. 7.15 gezeigt. In der klassischen Aufstellung (Abb. 7.15a) ruht der Turbostrang auf einem Monolith- oder gefederten Tisch-Stahlbeton-Fundament. Hierbei werden die Kondensatoren in der Regel unterflurig angeordnet. Diese Aufstellungsart dominiert eindeutig bei Kohle- oder Kernkraftwerken. Bei kombinierten Gas- und Dampfkraftwerken findet man häufig auch die zweite Art (Abb. 7.15b), bei der die Turbogruppe auf einem Boden-Stahlbeton-Fundament aufgestellt wird. In diesem Fall werden die Kondensatoren meist seitlich oder axial auf gleicher Ebene angeordnet. Bei sehr kleinen Anlagen können Maschinen auch mit dem Gehäuse auf gummielastischen Füßen aufgestellt werden. In jedem Fall muss bei genauen rotordynamischen Analysen die Flexibilität des Fundaments bzw. der Aufstellung berücksichtigt werden. Der Baugrund selber kann als ein elastischer Halbraum angesehen werden, dessen dynamische Eigenschaften zu Verschiebungen der kritischen Drehzahlen führen kann. Noch entscheidender sind aber die dynamischen Auswirkungen der Lagerung selber. Zunächst kann man allgemein zwischen Bock- und Schildlagerungen unterscheiden. Für die Lagerabstützung von Dampfturbinen werden vorwiegend freistehende Lagerböcke in gegossener oder geschweißter Bauweise eingesetzt, was in Abb. 7.16 exemplarisch gezeigt ist. Alternativ zu den freistehenden Lagerböcken können integrierte Lagerabstützungen in Gehäusen oder Schildlagerabstützungen eingesetzt werden. Letztere Abstützungsart findet man vor allem bei den Generatoren des Turbostrangs. Grundsätzlich wird aufgrund der Abstützung eine weitere Elastizität bzw. Steifigkeit in das dynamische System eingeführt. Zudem wird wegen der unsymmetrischen Abstützung die Rotationssymmetrie gestört. Man spricht hierbei auch von einer anisotropen Abstützung. Selbst bei Schildlagern ist diese Anisotropie aufgrund der unsymmetrischen Fußkonstruktion vorhanden. Bei Lagerböcken ist die Horizontalsteifigkeit üblicherweise deutlich geringer als die Vertikalsteifigkeit, was rotordynamische Konsequenzen hat. Die speziellen dynamischen Eigenschaften der gewählten Lager müssen in die rotordynamische Analyse mit einbezogen werden. Grundsätzlich stehen heute für die Lagerung 320 S. aus der Wiesche Abb. 7.16 Lagerböcke in gegossener oder geschweißter Bauweise für Dampfturbinen (aus [HUS1999]) Tab. 7.1 Eigenschaften von Lagern für Dampfturbinen (nach [GAS2002]) Eigenschaft Spezifische Tragkraft Reibungsverluste Lebensdauer Kosten und Aufwand Gleitlager Hoch, bis 4000 N/cm2 Wälzlager Moderat, bis 500 N/cm2 Magnetlager gering, bis 60 N/cm2 Gering Moderat Sehr gering Theoretische unbegrenzt (bis auf Anlaufabrieb) Hoch Begrenzt, aber gut abschätzbar Sehr gering Theoretische unbegrenzt (bis auf Absturzgefahr) Sehr hoch von Rotoren Gleit-, Wälz- oder aktive Magnetlager zur Verfügung. Die wichtigsten Eigenschaften dieser drei Lagerarten sind in Tab. 7.1 zusammengefasst. Die spezifische Tragkraft (Lagerbelastung) ist bei Gleitlagern sehr hoch. Da zudem geringe Reibungsverluste auftreten, werden diese bei Dampfturbinen fast ausschließlich eingesetzt. Sie sind daher auch Gegenstand eines separaten Kap. 19 in diesem Buch. Gleitlager weisen im Vergleich zu Wälz- oder Magnetlagern rotordynamische Besonderheiten auf, die nachfolgend noch diskutiert werden. Wälzlager findet man nur bei recht kleinen, leichten Maschinen. Bei Dampfturbinen werden sie im Gegensatz zu Gasturbinen praktisch nicht verwendet. Aktive Magnetlager sind für kleine hochtourige Maschinen einsetzbar. Derzeit sind sie Gegenstand von Forschungsarbeiten, und ein Hersteller bietet aktuell Dampfturbinen mit Magnetlagern an [WIT2015]. Die besonderen dynamischen Eigenschaften von Magnetlagern können dem Buch von Gasch et al. [GAS2002] entnommen werden. Magnetgelagerte Dampfturbinen sind praktisch „ölfrei“, was einen großen Vorteil hinsichtlich des Brandschutzes in Kraftwerken darstellt. Die für den Dampfturbinenbau wichtigen Gleitlager sind durch Nachgiebigkeit (Steifigkeit) und Dämpfung des tragenden Ölfilms charakterisiert. Bei 7 Rotordynamische Grundlagen 321 Abb. 7.17 Abhängigkeit der kritischen Drehzahlen von der Nachgiebigkeit der Lagerung (nach [LIN1992]) allen hydrodynamischen Gleitlagern treten aber unabhängig vom Schmiermedium aufgrund der inhärenten Strömungen gravierende rotordynamische Effekte auf, die nicht mehr durch einfache Feder-Dämpfungs-Modelle erfassbar sind. Dies bemerkte bereits 1925 Stodola [STO1925], der an der mathematischen Struktur der Steifigkeitsmatrizen für Gleitlager erkannte, dass diese zu einer Rotorinstabilität führen kann. Tatsächlich ist die Steifigkeitsmatrix nicht symmetrisch (cij ¤ cji ), was einem nicht-konservativem System entspricht. Unter bestimmten Bedingungen wird dem Maschinenantrieb (Torsionshaushalt des Rotors) über den Ölfilm Energie entzogen, was zu selbsterregten Biegeschwingungen führen kann. Später fand man, dass neben der Steifigkeitsmatrix auch die zugehörige Dämpfungsmatrix unsymmetrisch ist. Als Folge können sich für gleitgelagerte Rotoren daher unerwartete Rotorinstabilitäten zeigen, was schon in Abb. 7.4 veranschaulicht wurde. Die Abhängigkeit der Eigenkreisfrequenzen (kritischen Drehzahlen) einer einfachen Welle von der Steifigkeit der Lagerung bzw. der Abstützung ist qualitativ in Abb. 7.17 illustriert. Die Rotorsteifigkeit ist in Abb. 7.17 mit cR und die Lagersteifigkeit mit cL bezeichnet. Anstelle der Lagersteifigkeit wird auch die Nachgiebigkeit hLB D 1=cL verwendet. Für sehr steife Lager bzw. Abstützungen (cL =cR ! 1) ergeben sich für den Rotor die Eigenformen bei angenommener starrer Lagerung. Für den Kontinuumsrotor in Abb. 7.17 sind die entsprechenden ersten vier Moden eingezeichnet. Mit zunehmender Nachgiebigkeit der Abstützung sinken die Eigenkreisfrequenzen des Systems. Für sehr elastische Lager kann der Rotor auch zu Schwingungen nach Art eines Starrkörpers angeregt werden. 322 S. aus der Wiesche Abb. 7.18 Elastisch gelagerte Welle (aus [GAS1975]) 7.3.1 Läufer in elastischen Lagern Die dynamisch einfachsten Verhältnisse liegen vor, wenn die Lagerungen bzw. Abstützungen nur durch horizontale und vertikale Federelemente modelliert werden. Das so entstehende Minimalmodell ist in Abb. 7.18 mit der gewählten Nomenklatur gezeigt. Die aufgrund der Rotorsteifigkeit cR und der Lagersteifigkeiten cv und ch resultierenden Gesamtelastizitäten ergeben sich für die beiden Raumrichtungen zu cz D 2cv cR 2cv C cR und cy D 2ch cR : 2ch C cR (7.34) Die Lagersteifigkeiten sind für anisotrope Lager (cv ¤ ch ) unterschiedlich, so dass sich für die lateralen Bewegungen bei konstanter Rotordrehzahl das Differentialgleichungssystem mRzW C cz zW D "˝ 2 m cos.˝t/ myRW C cy yW D "˝ 2 m sin.˝t/ (7.35) ergibt. Die Unwuchtantwort des Systems Gl. 7.35 ist für anisotrope Lager (cv ¤ ch ) durch die Existenz von zwei kritischen Drehzahlen !y und !z charakterisiert. Diese liegen stets tiefer als die starr-kritische Drehzahl ! (gebildet mit cR unter Vernachlässigung der Lagereinflüsse), was qualitativ in Abb. 7.19 dargestellt ist. Für den Grenzfall der isotropen Lagerung (cv D ch ) fallen die kritischen Drehzahlen zusammen, liegen aber tiefer als die starr-kritische Drehzahl. Die unterschiedlichen kritischen Drehzahlen !y und !z führen dazu, dass der Rotor im Allgemeinen eine ellipsenförmige Bahnkurve um die Drehachse beschreibt. Hierbei liegt für 0 < ˝ < !y und !z < ˝ ein Gleichlaufverhalten und im Zwischenbereich !y < ˝ < !z ein Gegenlaufverhalten vor. In den Resonanzen ˝ D !y und ˝ D !z entarten die Ellipsen (die große Halbachsen divergieren dort und werden nur noch durch die Dämpfung begrenzt). In der Praxis muss bei der Modellierung der Abstützung des Rotors neben der Nachgiebigkeit hLB D 1=cLB auch noch die Masse mLB der Stützkonstruktion berücksichtigt werden. Das so erweiterte mechanische Ersatzmodell für einen abgestützten einfachen Rotor ist in Abb. 7.20 schematisch dargestellt, wobei eine Querriegelfederung für den 7 Rotordynamische Grundlagen 323 Abb. 7.19 Wellenausschläge für einen elastisch gelagerten Rotor in Abhängigkeit der Drehzahl ˝ Abb. 7.20 Ersatzmodell eines abgestützten Rotors mit Berücksichtigung der Lagerbockmasse elastischen Lagerbock angenommen wurde. Die für weitergehende rotordynamische Berechnungen anzusetzenden Werte für die effektive Nachgiebigkeit hLB sind üblicherweise nicht vorab bekannt bzw. aus Konstruktionszeichnungen ableitbar. Ein übliches Vorgehen zur Parameteridentifikation von hLB beruht darauf, dass man für eine ausgeführte, vergleichbare Konstruktion rechnerisch den Verlauf der kritischen Drehzahl ! D !(hLB ) als Funktion der unbekannten Nachgiebigkeit hLB berechnet und mit experimentell gefundenen Werten vergleicht. Falls keine vergleichbaren Erfahrungsdaten vorliegen, kann für eine erste Abschätzung auch mit dem in Abb. 7.17 gezeigtem Verlauf gearbeitet werden. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die in Abb. 7.17 gezeigte Abhängigkeit unter Vernachlässigung der Lagerbockmasse mLB bestimmt worden ist. Ist diese wesentlich, so muss man bei der Vorabrechnung formal auch den Verlauf von ! für negative Werte der Nachgiebigkeit hLB bestimmen und die Parameteridentifikation über eine weitere Bewegungsgleichung bzw. Nachgiebigkeitskurve durchführen, was detailliert in [GAS2002] erläutert wird. In diesem Zusammenhang sei noch auf eine prinzipielle Stabilisierung durch eine Lagerung mit unterschiedlichen vertikalen und horizontalen Steifigkeiten hingewiesen. Die Stabilitätsgrenzen für einen solchen orthotrop gelagerten Rotor mit innerer und äußerer Dämpfung können sich günstig in den Bereich höherer Drehzahlen verschieben, was anhand eines Laval-Läufers in [GAS2002] detailliert vorgeführt wird. Allerdings ist der praktische Wert dieser interessanten theoretischen Aussage nach Dara Childs doch eher gering [CHI1993]. 324 7.3.2 S. aus der Wiesche Besonderheiten bei Gleitlagern Die Existenz von selbsterregten Biegeschwingungen von gleitgelagerten Rotoren wurde qualitativ bereits in den vorangegangenen Ausführungen erwähnt. Charakteristisch an diesen Instabilitäten ist, dass für ausreichend hohe Drehzahlen ˝ plötzlich Schwingungen mit massiven Amplituden auftreten können, deren Frequenzen nicht gleich der Umlauffrequenz sind, sondern deutlich niedriger liegen. Die Beobachtung zeigt, dass die Frequenz einer gleitlagerbedingten Schwingung gleich der biegekritischen Eigenfrequenz ist [TON1965]. Die zugrundeliegenden Ursachen wurden theoretisch erst relativ spät in der Rotordynamik zufriedenstellend geklärt, aber aufgrund der Vielzahl der Gleitlagerausführungen ist diese Thematik noch weit von einem Abschluss entfernt. In diesem Abschnitt können nur rotordynamische Grundzusammenhänge erläutert werden. Weitere Ausführungen zu Gleitlagern und ihren Besonderheiten für den Dampfturbinenbau finden sich in einem späteren Kap. 19 in diesem Buch oder können der Literatur [PIN1961] entnommen werden. Für die Beschreibung des Verhaltens von Gleitlagern wird im Sinne der Ähnlichkeitstheorie auf eine Kennzahl, die sog. Sommerfeld-Zahl So D Fstat 2 ; BD˝ (7.36) zurückgegriffen. Diese wird mit der statischen Lagerlast Fstat , der Lagerbreite B, dem Lagerdurchmesser D, dem relativen Lagerspiel D Dd d (7.37) und der dynamischen Viskosität des Schmiermittels sowie der Drehzahl ˝ des Wellenzapfens mit Durchmesser d gebildet. Physikalisch heißt dies, dass sich geometrisch ähnliche Lager bei gleicher Sommerfeld-Zahl auch ähnlich verhalten. Die Bahnkurve des Wellenzapfens hängt bei Gleitlagern von der Drehzahl ˝ ab. Eine tragende Wirkung kommt dynamisch durch den Ölfilm im Lager zustande. Dem Ölfilm können in einem mechanischen Ersatzmodell sowohl elastische als auch dämpfende Wirkungen zugewiesen werden. Bei Linearisierung um den Betriebspunkt liegt zunächst die Verwendung eines einfachen Ersatzmodells nach Art von Abb. 7.21 nahe. Bei der Ableitung der dynamischen Grundgleichungen muss aber auf eine Unzulänglichkeit des in Abb. 7.21 gezeigten Ersatzmodells für Gleitlager hingewiesen werden: Streng genommen würde das in Abb. 7.21 gezeigte Feder-Dämpfer-System auf symmetrische Systemmatrizen führen, was gerade nicht dem realen Gleitlagerverhalten entspricht. Insofern sind die in Publikationen oftmals zu findenden Ersatzmodelle nach Art von Abb. 7.21 kritisch zu betrachten. 7 Rotordynamische Grundlagen 325 Abb. 7.21 Ersatzmodell für ein Gleitlager mit diskreten Feder- und Dämpfungselementen Der Zusammenhang zwischen den lateralen Lagerkoordinaten und den Kräften aufgrund der statischen Lagerlast wird durch eine Matrizenbeziehung " # " #" # zL hzz hzy Fz xL D HL fc bzw. D (7.38) yL hyz hyy Fy ausgedrückt. Gewöhnlich werden in der Literatur aber nicht die Nachgiebigkeitsmatrix HL , sondern die Steifigkeitsmatrix CL verwendet, was anstelle von Gl. 7.38 auf " # " #" # Fz czz czy zL fc D CL xL bzw. D (7.39) Fy cyz cyy yL führt. Der Dämpfungsbeitrag kann durch eine Dämpfungsmatrix B erfasst werden. Für einen Rotor der Masse m, der von zwei symmetrischen Gleitlagern getragen wird, ergeben sich die Bewegungsgleichungen # " # " # # " #" #" " m 2 cos˙t m zR bzz bzy czz czy zP z C C D" ˝ ; (7.40) 2 2 yR yP y sin˙t byz byy cyz cyy wobei der Index für die Lager bzw. Wellenkoordinaten der einfacheren Schreibweise unterdrückt ist. Für einen biegeelastischen Rotor mit einer endlichen Rotorsteifigkeit ergibt sich anstelle von Gl. 7.40 eine erweiterte Matrizenbeziehungen für die 4 Koordinaten zL , zW , yL , und yW . Die Ausdrücke für die Einträge bij und cij in den beiden Systemmatrizen B und C können nicht durch einfache Ersatzmodelle nach Art von Abb. 7.21 direkt gefunden werden. Hierzu ist man entweder auf Messungen (siehe beispielsweise die Daten von Glienicke [GLI1966, GLI1969]) oder auf anspruchsvolle theoretische Ansätze (siehe [GAS2002, CHI1993]) angewiesen. Für die mathematische Stabilitätsanalyse ist entscheidend, dass die Systemmatrizen für hydrodynamische Gleitlager nicht-symmetrisch sind. In der Theorie ist es üblich, anstelle der Einträge bij und cij dimensionslose Größen bijC D bij SoR˝ Fstat und cijC D cij SoR Fstat (7.41) 326 S. aus der Wiesche Abb. 7.22 Stabilitätskarte für einen starren Rotor in Kreisbzw. Zitronenlagern (nach Angaben aus [GAS1975]) zu verwenden. In Gl. 7.41 wurde als Längenmaßstab das Lagerspiel R D .D d /=2 verwendet. Die Werte der Einträge Gl. 7.41 hängen von der Sommerfeld-Zahl So und der geometrischen Ausführung des Lagers (ob etwa ein einfaches Kreislager oder ein Zitronenlager vorliegt) ab. Angaben über ihre Werte und deren Verlauf als Funktion der Sommerfeld-Zahl können exemplarisch in [GAS1975, GLI1966, GLI1969] entnommen werden. Bei der heutigen industriellen Lagerauslegung greift man zu ihrer Bestimmung auf anspruchsvolle Lagerberechnungsprogramme zurück. Die mathematische Stabilitätsuntersuchung geht vom homogenen System des allgemeinen Gleichungssystems Gl. 7.40 aus. Ein Exponentialansatz für die homogene Lösung führt nach einigen Umformungen auf ein charakteristisches Polynom 4. Grades, dessen Koeffizienten von den Einträgen Gl. 7.41 und der Größe SoR˝ 2 =g abhängen. Die Wurzeln des charakteristischen Polynoms liefern direkt die gesuchten Eigenkreisfrequenzen !i . Ihre Werte kann man nur bei Kenntnis der Zahlenwerte für die Dämpfungs- und Steifigkeitskoeffizienten Gl. 7.41 berechnen, was recht aufwendig ist. Die wesentliche Aussage über das Stabilitätsverhalten kann man aber auch ohne explizite Kenntnis der Zahlenwerte für die Wurzeln !i rein aus den übergeordneten Stabilitätsbedingungen für ein dynamisches System gewinnen. Eine auf diese Weise ermittelte Stabilitätskarte für einen starren Rotor in einem einfachen Kreis- und einem einfachen Zitronenlager zeigt Abb. 7.22. Für die Erstellung der abgebildeten Stabilitätskarte wurden in [GAS1975] die Lagerdaten von Glienicke [GLI1966, GLI1969] verwendet. Bei diesen Stabilitätskarten wird die normierte Grenzdrehzahl ˝Gr , oberhalb derer der gleitgelagerte Rotor instabil wird, als Funktion der Sommerfeld-Zahl So dargestellt. Der Bereich oberhalb der Grenzkurven entspricht einem instabilen Lauf mit aufklingenden homogenen Lösungen. Bei dem in Abb. 7.22 gezeigtem Beispiel entnimmt man, dass das einfache Kreislager ein wesentlich größeres instabiles Gebiet als das Zitronenlager aufweist. Insgesamt gilt, dass Mehrflächenlager im Allgemeinen hinsichtlich ihres rotordynamischen Stabilitätsverhaltens den einfachen Kreislagern überlegen sind. 7 Rotordynamische Grundlagen 327 Bei der Erweiterung auf biegeelastische Rotoren tritt neben der Lagerbauweise und der Sommerfeld-Zahl noch ein weiterer dimensionsloser Parameter D wmax R (7.42) hinzu, der als Maß für die Biegeelastizität in Bezug auf die Lagersteifigkeit angesehen werden kann. Die Größe wmax stellt die maximale statische Durchbiegung des Rotors dar. Im Grenzfall eines ideal-starren Läufers gilt offensichtlich D 0. Sehr biegeelastische Läufer sind durch große Werte für charakterisiert. Das instabile Gebiet nimmt mit wachsender Rotorelastizität ( ) ab, wenn man die dimensionslose Grenzdrehzahl ˝Gr =! auf die entsprechenden Eigenkreisfrequenz ! über die Sommerfeld-Zahl aufträgt. Zu beachten ist aber bei dieser Darstellung, dass die Eigenkreisfrequenz ! selbst eine direkte Funktion der Rotorelastizität ist. Neben der Darstellung der Grenzdrehzahl ˝Gr als Funktion der mit der Wellendrehzahl ˝ definierten Sommerfeld-Zahl So (siehe Gl. 7.36) hat sich auch die Verwendung einer modifizierten Sommerfeld-Zahl So D So˝=! verbreitet. Diagramme mit So D SoK als Abszisse bieten Vorteile bei der Ermittlung der Grenzdrehzahl für ein gegebenes Läufer-Lager-System. In diesem Fall ist nämlich die Eigenkreisfrequenz ! des Rotors aus den Konstruktionsdaten bekannt, so dass man mit der modifizierten Sommerfeld-Zahl So direkt die Grenzdrehzahl aus dem Diagramm ablesen kann. Ein entsprechendes Beispiel zeigt Abb. 7.23, welches aus [GAS1975] entnommen wurde. Auch hier ist die Überlegenheit des Zitronenlagers gegenüber dem einfachen Kreislager offensichtlich. Nach Ermittlung der kritischen Drehzahlen, also der Wurzeln !i des zugehörigen charakteristischen Polynoms des dynamischen Systems, können die Unwuchtantworten und die Resonanzantworten im stabilen Drehzahlbereich berechnet werden. Die resultierenden Amplituden der erzwungenen Schwingungen hängen von den Parametern D ˝=!, und der Sommerfeld-Zahl So ab. Bei Annäherung der Drehzahl ˝ an die Eigenkreisfrequenz ! kommt es zu ausgeprägten Resonanzerscheinungen. Allerdings können darüber hinaus noch weitere dynamisch hervorgerufene Erhöhungen auftreten. In solchen Fällen ergeben sich mehrere kritischen Drehzahlen, was auf die Wechselwirkung des Läufers mit den Lagern zurückzuführen ist. 7.3.3 „Oil whirl“ und „Oil whip“ Die instabile Bewegung eines horizontalen Rotors in hydrodynamischen Lagern um eine Gleichgewichtslage im überkritischen Betrieb ist im Englischen auch als „oil whirl“ bekannt. Dieses Phänomen ist durch eine Präzessionsfrequenz des Rotors, die gleich seiner Eigenfrequenz ist, charakterisiert (vergleiche hierzu auch Abb. 7.4). Im Falle von horizontalen Rotoren, gibt es keinen entsprechenden Gleichgewichtszustand und es treten halbzahlige Frequenzen für die Präzessionsbewegung auf. Für überkritische Rotordrehzahlen ˝ > 2! koppelt diese subsynchrone Schwingung mit den Eigenkreisfrequenzen und man spricht dann von „oil whip“. Nähere Ausführungen zu den zugrundeliegenden 328 S. aus der Wiesche Abb. 7.23 Exemplarische Stabilitätskarte für einen gleitgelagerten Laval-Läufer als Funktion der bezogenen Sommerfeld-Zahl (aus [GAS1975]) Mechanismen kann man beispielsweise dem Buch von Childs [CHI1993] entnehmen. Für einen vertikalen Rotor findet man bei ˝ D 2! den Übergang vom „oil whirl“ zum „oil whip“. Da Dampfturbinen aber (abgesehen von wenigen Ausnahmen und von den sehr frühen Konstruktionen von GE) horizontal gebaut werden, ist dieser Übergang in diesem Kapitel nicht mehr weiter von Interesse. 7.4 Rotordynamische Sonderprobleme für Dampfturbinen Aus der Fülle der rotordynamischen Phänomene und Mechanismen sind neben den oben behandelten grundlegenden Zusammenhänge noch weitere Effekte speziell für den Dampfturbinenbau relevant, die in diesem Unterkapitel vorgestellt werden. 7 Rotordynamische Grundlagen 7.4.1 329 Spalterregung – Thomas-Kräfte (Dampfanfachung) Ein bemerkenswerter Instabilitätsmechanismus bei axial durchströmten Turbinen ist aufgrund von nicht-symmetrischen Spaltdurchströmungen und deren Kräften auf den Rotor gegeben. Nach ihrer erstmaligen Identifizierung 1958 durch Thomas [THO1958] spricht man im Deutschen auch von entsprechenden „Thomas-Kräften“. In der amerikanischen Literatur werden diese mehrheitlich nach Alford benannt, der 1965 eine bekannte Publikation [ALF1965] über die von Thomas sieben Jahre zuvor entdeckten Spalterregungsmechanismen geschrieben hatte. Vorher war an Dampfturbinen großer Leistung im Betrieb eine problematische Tendenz zu rotordynamischen Instabilitäten bei einer Erhöhung der Leistung trotz gleicher Drehzahl festgestellt worden. Es traten sogar Fälle auf, bei denen die in der ursprünglichen Auslegung vorgesehene Nennleistung nicht erreicht werden konnte. Da bei den bisherigen Instabilitäten eine kritische Grenzdrehzahl ˝Gr , aber keine kritische Leistungsgrenze, auftrat, blieb dieses Verhalten zunächst dubios. Man bezeichnet dieses Phänomen im Deutschen auch als „Dampfanfachung“, obwohl diese Instabilität auch bei axialen Gasturbinen grundsätzlich vorkommen kann. Zur Erläuterung des zugrundeliegenden Mechanismus kann man von der in Abb. 7.24 gezeigten Konfiguration ausgehen. Dort ist ein axial durchströmtes Turbinenlaufrad gezeigt, welches eine Exzentrizität e0 aufweist. Diese nicht-symmetrische Konfiguration zieht unmittelbar einen über den Umfangswinkel variablen Spalt zwischen Laufschaufeln (bzw. Deckband) und Gehäuse nach sich. Ohne Exzentrizität e0 kann der entsprechende Beitrag der Umfangskraft dF D Fs u d 2 (7.43) für einen differentiellen Sektor d mit Hilfe der idealen Umfangskraft Fs D mh P R˝ (7.44) und des strömungstechnischen Umfangwirkungsgrads u ausgedrückt werden. In Gl. 7.44 bezeichnet R den mittleren Stufenradius, m P den Dampfdurchsatz und h das Enthalpiegefälle. Liegt eine Exzentrizität e0 vor, so sind die Spaltverluste über den Umfang Abb. 7.24 Zur Erläuterung der Spalterregungskräfte nach Thomas 330 S. aus der Wiesche ungleichförmig, so dass man für diesen Fall anstelle von Gl. 7.43 den Ausdruck dF D Fs .u sp .// d 2 (7.45) mit dem lokalen Spaltverlustkoeffizienten sp ./ erhält. Die auf den Rotor wirkenden lateralen Kräfte ergeben sich als Projektionen nach Integration über den Umfang gemäß Z2 Fz D Fs sin dF D 2 0 sp ./ sin d 0 Z2 Fy D Z2 cos dF D Fs 2 0 Z2 sp ./ cos d: (7.46) 0 Bei der Integration Gl. 7.46 entfällt wegen der trigonometrischen Funktionen der konstante u -Anteil und es bleibt nur ein vom zunächst unbekannten Spaltverlustkoeffizient sp abhängiger Beitrag übrig. Im Turbomaschinenbau gibt es zwar eine Vielzahl von zum Teil sehr anspruchsvollen Verfahren, diesen Verlustkoeffizienten zu ermitteln [DEN1993], aber für die folgende Problematik genügt bereits eine vereinfachte Betrachtung. Für den Spalt Z zwischen Beschaufelung und Gehäuse gilt der geometrische Zusammenhang Z D Z0 e0 cos : (7.47) Weiterhin wird der Spaltverlustkoeffizient sp rein über den auf den Dampfdurchsatz bezogenen Spaltmassenstrom m P sp (7.48) sp D m P ausgedrückt. Diese klassische Annahme muss im vorliegenden Fall lokal, d. h. für ein differentielles Sektorelement d, ausgewertet werden. Man findet unter Verwendung einiger bekannter strömungstechnischer Beziehungen für den lokalen Spaltverlust den Ausdruck sp ./ D 2K Z./: L (7.49) Hierbei stellt K eine Konstante dar, die selbst von strömungstechnischen Größen, wie der axialen Geschwindigkeitskomponente oder den Geschwindigkeitsbeiwerten, abhängt [CHI1993]. Entscheidend ist, dass Gl. 7.49 zusammen mit Gl. 7.47 für die Kraftkomponenten Gl. 7.46 auf die Resultate Fz D 0 (7.50) Fy D e0 ksp (7.51) 7 Rotordynamische Grundlagen 331 führt. Hierbei entspricht ksp einer Steifigkeit. Stellt man den gefundenen Zusammenhang in Matrizen-Schreibweise #" # " # " z Fz 0 ksp (7.52) D Fy ksp 0 y für die Thomas-Kraft dar, wird anhand der anti-symmetrischen Steifigkeitsmatrix in Gl. 7.52 mathematisch die Ursache der rotordynamischen Instabilität durch die Spalterregung offensichtlich. Bei kleiner Auslenkung des Läufers aus der gehäusezentrischen Lage stellen sich nach Gl. 7.52 Kräfte ein, die senkrecht zur resultierenden Auslenkung stehen und dieser in Wellendrehrichtung um 90ı vorauseilen. Liegt eine gleichförmige Schwingung des Läufers vor, so führt die Thomas-Kraft der Schwingung Energie zu, führt also zu der beobachteten Instabilität (sog. Dampfanfachung). In der offenen Literatur gibt es nur sehr wenige Versuchsdaten und belastbare experimentelle Aussagen über die Dampfanfachung, von denen die Publikation von Urlichs [URL1976] noch immer die einschlägigste ist. Das dort beschriebene Testprogramm wurde mit Hilfe einer Versuchsturbine an der TU München unter Anleitung von Thomas durchgeführt. Die generellen Abhängigkeiten der für die Ermittlung von ksp relevanten Parameter wurden für die untersuchte Stufe ohne Deckband ermittelt, aber gewisse Diskrepanzen zur Theorie konnten nicht ignoriert werden. Mit Blick auf die tatsächlich sehr komplizierten Mechanismen für Spaltverluste [DEN1993] und die angenommene Vereinfachung Gl. 7.48 sind diese Abweichungen aber nicht überraschend. In [WIE2015] wurde später ein einfaches Modell für die Thomas-Alford-Kräfte auf Basis des DurchflussBeiwerts für Spaltströmungen vorgestellt, was in ausgezeichneter Übereinstimmung mit den Messdaten von Urlichs steht. In der Arbeitsgruppe von Thomas wurde auch der Einfluss eines Deckbands auf die Spalterregung experimentell untersucht. Es zeigte sich hierbei, dass die destabilisierende Wirkung der Dampfanfachung bei Deckbändern sogar stärker sein kann, als bei Stufen mit freien Schaufelenden [CHI1993]. Diese zunächst überraschende Beobachtung kann mindestens teilweise auf die Wirkung der Dichtungen an den Deckbändern (LabyrinthDichtungen) zurückgeführt werden. Innerhalb der Dichtungen treten bei einer bestimmten Leistung Druckverteilungen auf, die destabilisierend wirken können. Aufgrund der Vielzahl von Betriebs- und Konstruktionsparametern und aufgrund der hohen Bedeutung der Dampfanfachung für die Praxis ist der Mangel an weiteren systematischen experimentellen Daten in der offenen Literatur derzeit unbefriedigend. Andererseits macht eine Sichtung der international erteilten Patente deutlich, dass bezüglich der Dampfanfachung und der Spalterregung nicht-öffentliche, firmeninterne Forschungsvorhaben von Bedeutung sind. Um die drastischen strömungstechnischen Vereinfachungen der klassischen Analyse zu überwinden und um gezielt Dichtungseinflüsse untersuchen zu können, werden verstärkt detaillierte numerische Strömungssimulationen eingesetzt [SCH2006]. 332 7.4.2 S. aus der Wiesche Dichtungen Dampfturbinen weisen wie alle thermischen Turbomaschinen eine Vielzahl von berührungslosen Dichtungen (Labyrinth-Dichtungen) auf, die Auswirkungen auf das rotordynamische Verhalten haben. Als Grundmodell für die Analyse werden bei Dampfturbinen ringförmige Gas-Dichtungen im Gegensatz zu den bei Pumpen eingesetzten FlüssigkeitsDichtungen betrachtet. Bei Gas-Dichtungen müssen die Kompressibilitätseffekte des Fluids berücksichtigt werden, aber man kann in der Regel ihre Trägheitsterme in der Beschreibung vernachlässigen, was bei Flüssigkeitsdichtungen nicht möglich ist. Aufgrund der Druckverhältnisse erfordern Dichtungen für Hochdruck-Dampfturbinen allerdings eine besondere Aufmerksamkeit, da wegen der relativ hohen Dichte des Dampfes ihre dynamischen Effekte ausgeprägt sind. Im Anschluss an die Identifizierung der Spalterregung durch Thomas und Alford wurden in den 1970er-Jahren bei Dampfturbinen großer Leistung die hohe Bedeutung der Dichtungen auf die Rotordynamik allgemein anerkannt. Eine historisch wichtige Arbeit über entsprechende „steam whirls“ stammt von Pollmann und Termuehlen [POL1975]; wenig später stellten Greathead und Bostow 1976 ihre Analyse [GRE1976] über das Instabilitätsverhalten einer Dampfturbine in Gleichdruckbauweise vor. Bemerkenswert war bei diesen Beobachtungen, dass – wie im Falle der Thomas-Kräfte – keine Grenzdrehzahl, sondern eine kritische Leistung der Turbine zugeordnet werden konnte. Die beobachteten Schwingungen waren sub-synchron und ihre Frequenz entsprach der biegekritischen Eigenfrequenz des Rotors. Diese Beobachtungen wiesen auf eine gewisse Ähnlichkeit mit dem aus der Gleitlagerverwendung bekannten Phänomenen des „oil whirl“ und des „oil whip“ hin. Aus heutiger Sicht bestätigte sich diese Einschätzung. Die theoretische Behandlung von berührungslosen Gasdichtungen und ihre rotordynamischen Selbsterregungsmechanismen lassen sich auf Basis der zugrundeliegenden strömungstechnischen Verhältnisse nachvollziehen. Diese Thematik ist allerdings sehr umfangreich, so dass für eine Übersicht auf die Bücher [GAS2002] und [CHI1993] sowie die dort angeführten Originalarbeiten verwiesen wird. Es zeigt sich, dass neben leistungsabhängigen Selbsterregungsmechanismen bei Dichtungen auch drehzahlabhängige Phänomene auftreten können. Im Gegensatz zu den Thomas-Kräften Gl. 7.52 treten bei Dichtungen neben der Steifigkeitsmatrix auch eine Dämpfungsmatrix auf, deren Beitrag in erster Näherung als proportional zur Geschwindigkeit angesehen werden kann. Geht man von einer Bewegung um die Ruhelage aus, so sind diese Matrizen nicht-symmetrisch, # " Fz Fy " D #" bzz bzy bzy byy zP yP # " C # #" czz czy czy cyy z y (7.53) was die Möglichkeit von selbsterregten Schwingungen mathematisch erklärt. Die Bestimmung der rotordynamischen Koeffizienten bij und cij ist anspruchsvoll. Seit einigen Jahren werden hierfür verstärkt numerische Strömungssimulationen neben analytischen Ersatzmodellen eingesetzt. Für systematische experimentelle Daten in der offenen Literatur sei 7 Rotordynamische Grundlagen 333 insbesondere auf entsprechenden Publikationen der Texas A&M University hingewiesen. 7.4.3 Angerissene Welle In den 1970er-Jahren geriet das Problem von Rissen in Wellen großer Dampfturbosätze verstärkt in den Fokus [HEN1976, GAS1976]. Wellenrisse entstehen vor allem bei den schweren Rotoren von Dampfturbinen aufgrund von Biegewechselbeanspruchungen (Gewichtseinfluss). Wesentliche Phänomene aufgrund eines Wellenanrisses sind zusätzliche Resonanzstellen und die Existenz von instabilen Zonen. Dies ist anhand eines exemplarischen Stabilitätsdiagramms in Abb. 7.25 illustriert. Es wurde in Abb. 7.25 eine Dämpfung (D D 0;01) angenommen. Ab einer bestimmten Risstiefe treten instabile Zonen auf. Mathematisch gibt es zwischen der Theorie einer angerissenen Welle und einem unrunden Rotor gewisse Ähnlichkeiten (periodische Funktionen für die Koeffizienten der System-Matrizen). In der Praxis konzentriert man sich seit den 1990er-Jahren auf die Entwicklung von Verfahren, Wellenrisse anhand der Maschinendiagnostik frühzeitig zu erkennen [ROT1993]. Da aber signifikante Verschiebungen der Eigenkreisfrequenzen (um wenige Prozent) erst bei sehr hohen Risstiefen (in der Größenordnung um 25 % des Wellendurchmessers) auftreten, sind diese Analysen allerdings technisch schwer umsetzbar. Anhand von Trendsignalen über längere Zeiträume können aber auch trotz des an sich ungünstigen Signal-Rausch-Verhältnisses wichtige Aussagen im Betrieb ermittelt werden. Abb. 7.25 Exemplarische Stabilitätskarte für einen angerissenen Läufer (aus [GAS2002]) 334 7.4.4 S. aus der Wiesche Explizite Berücksichtigung des Fundaments Bis vor wenigen Jahren wurden die dynamischen Effekte des Fundaments auf die Rotordynamik eher rudimentär im Dampfturbinenbau für Standard-Konstruktionen berücksichtigt (vergleiche hierzu die obigen Ausführungen). Dies ist insofern etwas überraschend, als dass ausführliche Diskussionen der entsprechenden Phänomene schon seit längerem bekannt sind [KRÄ1993]. Traditionell überwog lange Zeit in der Industrie eine getrennte Betrachtung der beiden „dynamischen Welten“ Rotor und Fundament. Diese getrennte Behandlung ist heute allerdings nicht mehr Stand der Technik [EHE2009]. 7.5 Modellbildung und Analyseverfahren Während die grundlegenden rotordynamischen Zusammenhänge noch anhand von sehr übersichtlichen Minimalmodellen (Laval-Läufer oder Stodola-Green-Modell) dargestellt werden können, genügen solche Vereinfachungen für komplizierter aufgebaute Läufer nicht mehr. Infolgedessen wurden im Dampfturbinenbau schon sehr früh weitergehende Analyse- und Berechnungsverfahren entwickelt. Aus heutiger Sicht dominiert in der industriellen Praxis eindeutig die Methode der Finiten-Elemente (FEM). 7.5.1 Klassische Verfahren zur Bestimmung der kritischen Drehzahlen Die Ermittlung der untersten biegekritischen Drehzahlen ncr kann näherungsweise mit der auftretenden maximalen Durchbiegung wmax der nicht-rotierenden horizontalen Welle im Erdschwerefeld g gemäß der Formel von Föppl r g (7.54) 2 ncr D wmax in Verbindung gebracht werden. Sie führt für den idealen Laval-Läufer auf das richtige Ergebnis, aber für komplizierte Rotoren liefert Gl. 7.54 systematisch zu niedrige Werte. Bei der Auslegung eines Rotors muss, um die Formel von Föppl anwenden zu können, die maximale statische Durchbiegung wmax ermittelt werden. Dies kann bei einfacheren Rotorgeometrien noch mit den bekannten elementaren Berechnungsverfahren [DRE2005] durchgeführt werden. Speziell für die Läufer von Dampfturbinen wurden aber schon sehr früh halb-graphische Verfahren entwickelt, von denen das von Stodola das bekannteste ist. Es gestattet auch die Berücksichtigung der Lagerelastizität und der Kreiselwirkung. Nähere Angaben zu diesem mittlerweile veralteten Verfahren können Traupel [TRA1966] entnommen werden. Bis in die 1970er-Jahre wurde es in der industriellen Praxis angewendet [RÖM1972]. Das von Stodola eingeführte Verfahren ist für einen auf zwei Lagern ruhenden Rotor praktikabel, aber im Dampfturbinenbau müssen in der Regel stets Wellenstränge betrach- 7 Rotordynamische Grundlagen 335 Abb. 7.26 Untere Eigenschwingungsformen für eine dreigehäusige Dampfturbine mit Generator (aus [TRA1966]) tete werden. In der älteren Literatur begnügte man sich auch mangels rechnerischer Alternativen darauf, für jeden Teilrotor des zu betrachtenden Wellenstrangs die biegekritischen Drehzahlen und Schwingungsformen getrennt zu ermitteln. Eine solche Vorgehensweise ignoriert die Auswirkung der Kopplungen der Teilrotoren und bedeutet mathematisch, dass bei der getrennten Ermittlung gravierend andere Randbedingungen für die Berechnung der Lösung vorliegen. Infolgedessen ergeben sich im Allgemeinen daher auch deutlich andere kritische Drehzahlen und Eigenschwingungsformen, als bei einer korrekten Behandlung des gesamten Wellenstrangs und der Lagerung. Die ersten fünf kritischen Eigenschwingformen für einen Wellenstrang sind exemplarisch in Abb. 7.26 dargestellt. Die erste kritische Drehzahl tritt bei dem in Abb. 7.26 gezeigtem Wellenstrang bei rund 1200 min1 auf und entspricht in weiten Zügen der untersten Eigenform des Generators. Allerdings weist bereits bei dieser tiefsten Schwingungsform der Niederdruckteil ebenfalls eine signifikante Anregung auf, die bei 1735 min1 dominant wird (2. kritische Drehzahl). 336 S. aus der Wiesche Die rechnerische Bestimmung der kritischen Eigenfrequenzen von Wellensträngen wurde nach den Arbeiten von Prohl [PRO1945] und Myklestad [MYK1944] ab 1944 lange Zeit auf Basis der Methode der Transfer-Matrizen durchgeführt. Für den Dampfturbinenbau war speziell der Beitrag von Prohl wichtig, der bei der General Electric Company erstmals die genaue Bestimmung einer Vielzahl von kritischen Drehzahlen von Turbosträngen einführte. Bis heute kann diese Methode angewendet werden [CHI1993, BLO2009], doch ist sie in der Praxis von der Methode der Finiten Elemente (FEM) weitgehend verdrängt worden. Vorteilhaft bei der Methode der Übertragungsmatrizen war, dass sie schon auf den frühen Digitalrechengeräten implementiert werden konnte und nur einen recht geringen Speicherplatz beanspruchte. Noch heute kann sie relativ einfach in lauffähige Computerprogramme überführt werden [CHI1993]. Vor dem Einsatz von Computern wurden rotordynamische Analysen teilweise mit Versuchen im Labormaßstab bzw. mittels Analogiegeräten durchgeführt [TRA1966]. Physikalisch beruht dieses mittlerweile unübliche Verfahren auf der Ähnlichkeitstheorie und entspricht dem Konzept von skalierten Turbinen. Von einer skalierten Turbine spricht man, wenn die geometrische und strömungstechnische Ähnlichkeit erhalten bleibt. In diesem Fall hängen zwei Baureihen geometrisch über einen Skalierungsfaktor zusammen (Maßstab). Bekanntlich steigen die Leistung dann mit dem Quadrat der Längenänderung und das Gewicht mit der dritten Potenz. Die Drehzahlen und somit auch die Eigenkreisfrequenzen ! sind der Längenänderung umgekehrt proportional. Dies bedeutet aber, dass die bezogenen kritischen Drehzahlen D ˝=! und die Resonanzabstände gleich bleiben. Diese Modelluntersuchungen können auch auf die Fundamentschwingungen erweitert werden. Lediglich die vom Gewicht verursachten Spannungen steigen linear mit der Längenänderung an und deren Auswirkungen sind daher nicht direkt übertragbar. 7.5.2 Methode der Finiten Elemente (FEM) Bei der Methode der finiten Elemente (FEM) überführt man formal ein (Kontinuums)Modell in ein System endlich vieler Freiheitsgrade, welches in linearisierter Form durch eine allgemeine Matrizengleichung MRx C DPx C Cx D f (7.55) mit der Massenmatrix M, der verallgemeinerten Dämpfungsmatrix D, der Steifigkeitsmatrix C und dem Vektor der Freiheitsgrade x sowie einer äußeren verallgemeinerten Kraft f gegeben ist. Auch die Methode der Übertragungsmatrizen oder die Modellierung durch gekoppelte elastische Mehrkörpersysteme führt wie die FEM auf ein lineares Berechnungsmodell, so dass diese Methoden gewisse Gemeinsamkeiten haben. Allerdings sind die expliziten Formulierungen und damit auch die zu lösenden Gleichungssysteme für die drei Methoden unterschiedlich. Formal kann man das System Gl. 7.55 zur Theorie der linearen Schwinger mit mehreren Freiheitsgraden zählen. Die ersten Grundlagen für 7 Rotordynamische Grundlagen 337 diese Beschreibung wurden von Lagrange durch seine 1811 veröffentlichten Bewegungsgleichungen 2. Art und dem Konzept der verallgemeinerten Koordinaten (Freiheitsgrade) gelegt, doch wurde die FEM historisch im engeren Sinn erst durch die Arbeiten von Rayleigh und Ritz (1905) begründet. Die erste rotordynamische Anwendung der FEM stellten Ruhl und Booker 1972 vor [RUH1972], wobei diese Untersuchung von kritischen Drehzahlen nur Biegephänomene und laterale Massenträgheiten enthielt. Der Einschluss von Kreiseleffekten und gyroskopischen Beiträgen in rotordynamische Analysen auf Basis der FEM begann 1976 mit Nelson und McVaugh [NEL1976]. Die Berücksichtigung von Schubspannungen (Timoshenko-Balken) und Torsionslasten stellte Nelson 1980 vor [NEL1980]. Die FEM ist heute ein umfangreiches Fachgebiet der Simulationstechnik und nicht mehr aus dem technischen Alltag wegzudenken. Ihre Grundlagen sind in einer Vielzahl von Büchern detailliert beschrieben. An dieser Stelle soll nur an einem einfachen Beispiel die wesentlichen Grundzüge der FEM erläutert werden. Hierzu werde ein elastischer Balken der Länge L und Masse m betrachtet, dessen Auslenkung y D y.x; t/ bekanntlich durch die partielle Differentialgleichung @4 y m @2 y C E D f .x; t/ L @t 2 @x 4 (7.56) beschrieben werden kann. Anstelle der analytischen Lösungsverfahren wird bei der Methode der Finiten Elemente die zunächst unbekannte Lösung durch eine endliche Reihe X i .x/qi .t/ (7.57) y.x; t/ i approximiert. Hierbei werden die einzelnen Ortsfunktionen als Formfunktionen bezeichnet. Diese sind Lösung der homogenen zeitunabhängigen Form der Grundgleichung Gl. 7.56. Man unterteilt nun den kontinuierlichen Balken in einzelne Elemente (Diskretisierung) und weist den Elementen entsprechende Formfunktionen zu. Da die Grundgleichungen durch die Modellierung Gl. 7.56 bekannt sind, können die Formfunktionen also vor dem eigentlichen Lösen der Gleichungen formuliert werden. In der Praxis wählt man bei der Arbeit mit (kommerziellen) FEM-Programmen diese durch die zugrundegelegte Modellierung für die zu untersuchenden Strukturen aus. Dies geschieht zusammen mit einer geometrischen Diskretisierung der vorliegenden Geometrie (Vernetzung). Fasst man die verallgemeinerten Koordinaten qi zu einem Vektor x zusammen, so können die potentielle und kinetischen Energiebeiträge der Lagrange-Funktion des Systems kompakt als Matrizen-Ausdrücke geschrieben werden. Die Bewegungsgleichungen für die verallgemeinerten Freiheitsgrade ergeben sich für das vorliegende Beispiel dann als einfache Matrizen-Gleichung M xR C C x D f; (7.58) wobei in Gl. 7.58 aufgrund der dämpfungsfreien Grundgleichung Gl. 7.56 die Dämpfungsmatrix D nicht vorhanden ist. Die Matrizeneinträge mij und cij ergeben sich aus den 338 S. aus der Wiesche gewählten Formfunktionen. In der Praxis wird eine recht hohe Anzahl von Elementen gewählt, so dass die zu lösenden Gleichungssysteme Gl. 7.55 recht aufwendig sind. Andererseits ist deren Struktur (Besetzung der Matrizen) meist sehr günstig hinsichtlich von (numerischen) Lösungsalgorithmen, so dass dieser Umstand nicht so sehr ins Gewicht fällt. 7.5.3 Modellierung von Dampfturbinenrotoren Zu Beginn jeder FEM-Analyse eines Rotors müssen Modellannahmen getroffen werden, die zwar eine genaue Berechnung der zu untersuchenden Größen gestatten, aber dennoch so einfach wie möglich sind. Für eine übergeordnete Analyse der Lateralschwingungen eines Wellenstrangs genügt es daher meist, diesen durch eindimensionale Balkenelemente zu modellieren. Eine solche Modellierung eines Niederdruck-Rotors einer Dampfturbine ist in Abb. 7.27 illustriert. Der reale Rotor ist zwar eine dreidimensionale, beschaufelte Welle, aber für die rechnerische Bestimmung von Lateralschwingungen genügt ein FEMModell auf Basis von eindimensionalen Biegebalkenelementen. Die Beschaufelung wurde als zusätzlicher Massenbeitrag über die jeweiligen Elemente „verschmiert“. Für solche Analysen werden Elemente mit einer konstanten oder kontinuierlichen Massen- und Steifigkeitsverteilung gewählt. Jedes Element ist durch Länge, Außen- und Innendurchmesser für die Massenverteilung und für die Steifigkeit charakterisiert. Die E- bzw. Schubmodule werden heute temperaturabhängig modelliert. Zu Beginn einer strukturdynamischen Analyse muss das zu erwartete Temperaturfeld im Rotor bekannt sein. Dies kann ggf. auf Basis einer entsprechenden thermischen FEMBerechnung erfolgen. Es ist heute üblich, Balkenelemente zu verwenden, die die Theorie von Timoshenko erfüllen und Kreiselwirkungen und Drehmassenträgheiten berücksichtigen. Bei geschickter Diskretisierung und Wahl liefern bereits wenige hundert Elemente für Rotoren zufriedenstellende Berechnungsergebnisse. Solange die Rechenleistung und der Abb. 7.27 FEMBerechnungsmodell eines ND-Rotors (nach [HUS1999]) 7 Rotordynamische Grundlagen 339 Abb. 7.28 Rotordaten eines Wellenstranges (nach Angaben aus [HUS1999]) Speicherplatz die Ausführung von Berechnungen limitierten, war eine möglichst effektive Modellierung mit geringen Elementanzahlen wichtig. Durch die enormen Fortschritte der Computertechnologie ist diese Einschränkung mehr und mehr verschwunden. Es macht daher aus Sicht der industriellen Praxis keinen Sinn mehr, lange an der Aufstellung eines effizienten Minimal-Modells zu arbeiten, wenn Resultate für deutlich aufwendigere FEM-Modelle wesentlich schneller verfügbar sind. Bei der Modellierung von Wellensträngen sind die Hauptgrößen des zu untersuchenden Systems für die Modellierung und Diskretisierung relevant. Zu den Hauptgrößen für Untersuchungen der Lateralschwingungen zählen das polare Trägheitsmoment p , die Rotorteilmasse m, der Lagerabstand L und der Rotorschlankheitsgrad D L=d mit dem mittleren Steifigkeitsdurchmesser d. Weiterhin ist die spezifische Lagerbelastung p wichtig. Für eine zweigehäusige Dampfturbine mit Generator und Erregermaschine können exemplarisch einige Angaben hierzu in Abb. 7.28 gefunden werden. Für die Berechnung des Laufstabilitätsverhaltens müssen die EM-Modelle für Rotoren neben der Lagerung auch noch zusätzliche Beiträge für dynamische Beiträge aufgrund von Selbsterregungsmechanismen (Spalterregungen, Dichtungen, Gleitlager) enthalten. Vereinfachend können diese Beiträge durch Null-dimensionale Elemente (nach Art von diskreten Feder-Dämpfungs-Beiträgen) angekoppelt werden. Ein FEM-Modell eines gelagerten Rotors mit Selbsterregungsmechanismen zeigt Abb. 7.29. Die dort gezeigten Federsymbole sind nicht naiv zu interpretieren; sie können im Falle der Selbsterregungsmechanismen zu schief-symmetrischen Beiträgen in den Systemmatrizen führen. 340 S. aus der Wiesche Abb. 7.29 FEM-Modell eines Rotors für die Untersuchung der Laufstabilität 7.6 Typische Fragestellungen für die Auslegung von Dampfturbinen Der rotordynamischen Auslegung von Dampfturbinen und Turbosträngen kommt eine zentrale Rolle im Entwicklungsprozess zu. Speziell von Seiten der Betreiber werden heute sehr hohe Anforderungen hinsichtlich des Schwingungsverhaltens (Lateral- und Torsionsschwingungen) formuliert. In diesem Unterkapitel sollen einige typische rotordynamische Fragestellungen für die Auslegung von Dampfturbinen diskutiert werden. Bezeichnend für die moderne Praxis ist hierbei, dass für diese Auslegungsfragen und Nachweise üblicherweise die Finite-Element-Methode (FEM) eingesetzt wird. 7.6.1 Biegelinie und Ausrichtung des Wellenstrangs Die Berechnung der Biegelinie eines Wellenstrangs zählt zu den elementaren strukturmechanischen Aufgaben, die speziell für schwere Dampfturbinen grundlegend ist. Mehrfach gelagerte Wellenstränge stellen zunächst ein statisch überbestimmtes System dar und zusätzliche Bedingungen sind für ihre eindeutige Charakterisierung erforderlich. Die Ausrichtung der Lager erfolgt im Dampfturbinenbau üblicherweise so, dass die Kupplungen kräfte- und momentenfrei bleiben, was in Abb. 7.30 schematisch dargestellt ist. Die untere Skizze Abb. 7.30 entspricht dabei einer solchen Anordnung, bei der die Lager des ersten Rotors auf einer Ebene und im Sinne der kräfte- und momentenfreien Ausrichtung die Lager des zweiten Teilrotors versetzt angeordnet werden. In der Praxis treten für Turbogruppe größerer Leistung Durchbiegungen und Höhendifferenzen für die Lager im Bereich von 2 bis 3 mm auf. Die Steigungen der Biegelinien beträgt dabei bis 0,6 mm pro Meter Wellenstrang. Die Auflagekräfte sind durch die Gleichgewichtsbedingungen der Statik gegeben. Besondere Beachtung erfahren die auftretenden 7 Rotordynamische Grundlagen 341 Abb. 7.30 Ausrichten der Lager bei Gewichtsdurchhang (überzeichnete Darstellung) Biegewechselspannungen und die Kerbwirkung an den Wellenenden, da diese hinsichtlich der Dauerfestigkeit relevant sind. 7.6.2 Berechnung der Lateralschwingungen Für die Berechnung der Lateralschwingungen eines Wellenstrangs ist die Kenntnis des dynamischen Verhaltens des Fundamentes und der Lagerung erforderlich. Ein entsprechendes Berechnungsmodell mit Blick auf die Lagerung des Wellenstrangs ist in Abb. 7.31 skizziert. Im Gegensatz zu den eigentlichen Rotordaten sind die hierfür erforderlichen Parameter – wie die Nachgiebigkeit hLB – allerdings nur eingeschränkt bekannt. Man geht daher in der Praxis so vor, dass man für vergleichbare Ausführungen, für die Erfahrungswerte bzw. Messungen vorliegen, das ncr -hLB -Diagramm des Wellenstrangs mit der FEM ermittelt. Dieses ist qualitativ für eine zweigehäusige Dampfturbine mit Generator und Erregermaschine in Abb. 7.32 gezeigt. In Abb. 7.32 sind die Grundschwingungen (1) und die S-Schläge (2. Schwingformen) für die Teilrotoren links skizziert. Jede dieser Mode führt zu einer entsprechenden kritischen Drehzahl ncr , die für das dynamische Gesamtsystem eine Funktion der Lagerbocknachgiebigkeit hLB sind, was auf der rechten Seite in Abb. 7.32 dargestellt ist. Zusätzlich zu den rechnerischen Verläufen sind auch die aus Messungen ermittelten Werte für die einzelnen Moden als Kreise eingezeichnet. Man erkennt, dass sich diese in einem relativ engen Bereich für hLB befinden, was für die Parameteridentifikation günstig ist. Im Idealfall würden alle Messungen auf einen einheitlichen Wert für die Nachgiebigkeit hLB führen, was aber real aufgrund der Modellabweichungen und der Messungenauigkeiten nicht zu erwarten ist [HUS1996]. Als interessantes Detail W im Verlauf der kritischen Drehzahlen ist die Frequenzweiche der beiden Eigenformen „1. ERR“ und „2. MDND“ vergrößert dargestellt. Die beiden zugehörigen Eigenkreisfrequen- Abb. 7.31 Berechnungsmodell für die Abschätzung der Lagerbocknachgiebigkeit 342 S. aus der Wiesche Abb. 7.32 Eigenformen und kritische Drehzahlen als Funktion der Nachgiebigkeit (nach Angaben aus [HUS1999]) zen kommen sich dabei sehr nahe, können sich aber nicht kreuzen, da die mathematische Struktur des Eigenwertproblems doppelte Lösungen verbietet. Physikalisch koppeln im Bereich einer Frequenzweiche die Eigenformen miteinander und tauschen ihre Schwingungseigenschaften ab (gekoppeltes Schwingungssystem). Nach Festlegung der Fundament- und Lagerbockparameter werden bei der FEMAnalyse der lateralen Schwingungen des Rotors die Feder- und Dämpfungseinträge für Gleitlager und Dichtungen durch entsprechende Elementparameter berücksichtigt. Diese Werte werden heute in der Regel mit Hilfe von separaten Lager- oder Dichtungsberechnungsprogrammen ermittelt. Für die Analyse des Unwuchtverhaltens des Rotors werden rechnerisch normierte Unwuchten U betrachtet. Da die tatsächlich vorhandene Unwucht nicht exakt bekannt ist und sich durch Erosion und Salzablagerungen auch mit der Zeit ändern kann, ist dieser Ansatz praktikabel. Die jeweilige normierte Unwucht wird über einen zusätzlichen Beitrag im Rotormodell berücksichtigt. Hierbei kann durch Verteilung gezielt das Unwuchtverhalten der jeweiligen Mode angesprochen werden, was in Abb. 7.33 veranschaulicht ist. Für jede angesetzte Unwucht können mittels FEM die resultierenden absoluten Verschiebungsamplituden y und z an den Lagerböcken oder ausgewählten Wellenpunkten berechnet und in die elliptischen Umlaufbahnen (Orbits) umgerechnet werden. Die Amplituden sind Funktionen der Wellendrehzahl und weisen die bekannten Resonanzeffekte im Bereich der kritischen Drehzahlen auf. Üblicherweise werden die ermittelten Werte für die großen Halbachsen der elliptischen Schwingungsbahnen der Lagerböcke und der 7 Rotordynamische Grundlagen 343 Abb. 7.33 Einsatz von normierten Unwuchten für die Analyse von Lateralschwingungen Welle an den Lagerstellen für die Beurteilung des Laufverhaltens verwendet. Zulässige Schwingungsgrenzwerte können den Normen DIN/ISO 7919 (Teil 2) und DIN/ISO 10816 (Teil 2) entnommen werden. Die rechnerische Analyse der Lateralschwingungen spielt nicht nur für die Auslegung und Konstruktion neuer Dampfturbinen eine wichtige Rolle, sondern sie wird auch zur Fehleranalyse oder zur modellbasierten Diagnostik und Maschinenüberwachung verwendet. 7.6.3 Laufstabilität In den vorangegangenen Unterkapiteln wurden Lateralschwingungen und Instabilitätsmechanismen von Rotoren von eher grundlegenden Standpunkten aus diskutiert. Die Vermeidung von kritischen Drehzahlbereichen ist für Rotoren mit einer festen Betriebsdrehzahl (Generatorantriebe mit 3000 min1 bzw. 3600 min1 ) selbstverständlich. Durch Selbsterregungsmechanismen können im Betrieb einer Dampfturbine allerdings Energiebeiträge aus der Rotordrehbewegung (Drehmomentenhaushalt bzw. Antrieb) in laterale Biegeschwingungen überführt werden. Mathematisch ist hierfür die Existenz von entsprechenden nicht-symmetrischen Matrizen entscheidend. Physikalisch handelt es sich bei diesen Mechanismen um nichttriviale Kopplungen zwischen den Freiheitsgraden und ihren Bewegungen. Über die (äußere) Dämpfung können diese überführten Energiebeiträge dissipiert werden. Speziell über die Dämpfung in den hydrodynamischen Gleitlagern kann auf diese Weise ein Anwachsen der Lateralschwingungen und somit eine Laufinstabilität vermieden werden. Wenn diese Dämpfung allerdings nicht mehr ausreicht, wachsen 344 S. aus der Wiesche die Lateralschwingungen über die Selbsterregungsmechanismen weiter an und es liegt ein instabiles Rotorverhalten im Betrieb vor. Zur Untersuchung der Laufstabilität großer Dampfturbinen muss also das Wechselwirken von Rotoreigenschaften (Steifigkeit und Schlankheitsgrad), Dämpfung (speziell der Gleitlager) und Anregung (z. B. Dampfanfachung) vorab bestimmt werden. Für numerische Analysen auf Basis der FEM sind daher Gleichungen der Art MRx C DPx C .C C Cerr /x D 0 (7.59) zu betrachten, wobei in Gl. 7.59 die eventuell auftretenden nicht-symmetrischen Beiträge aufgrund der Selbsterregungsmechanismen durch die Matrix Cerr hervorgehoben sind. Für das obige Gleichungssystem sind im Sinne der Laufstabilität die zugehörigen Eigenwerte relevant. Diese können konjugiert-komplex sein. Das Schwingungssystem ist stabil, wenn alle Eigenwerte negative Realteile aufweisen. Wenn die Schwingungsamplituden aufklingen, also wenn der zugehörige Vergrößerungsfaktor größer 1 ist, liegt ein instabiles Verhalten vor. Üblicherweise zeigen die untersten Eigenformen die größten Vergrößerungsfaktoren bei Dampfturbinen, so dass man bei der numerischen Analyse sich vor allem auf diese konzentriert. Zudem findet man bei Laufinstabilitäten, dass meist der größte Schwingungsanteil mit der Eigenfrequenz des gekoppelten Rotors schwingt (auch als „whip“ bekannt). Für die numerische Lösung von entsprechenden Eigenwertproblemen mit vielen Freiheitsgraden können auf leistungsfähige Algorithmen zurückgegriffen werden, die selbst im Falle großer Elementanzahlen (Freiheitsgrade) relativ schnell für lineare Systeme die Eigenformen und Eigenfrequenzen liefern. Problematisch ist für Dampfturbinen meist die physikalische Modellbildung von Dämpfungs- und Selbsterregungsmechanismen. Die zugehörigen Steifigkeits- und Dämpfungseinträge werden üblicherweise durch separate Berechnungsprogramme (für Gleitlager oder Dichtungen) ermittelt. Zu beachten ist aber, dass diesen Ansätzen meist schon gravierende Vereinfachungen (z. B. eine Linearisierung um einen Betriebspunkt) zugrundeliegen. Auch erweist sich in FEM-Analysen und speziell bei entsprechenden Eigenwertbestimmungen die Implementierung der Dämpfung als schwierig. Oftmals wird diese nur durch stark vereinfachte Modelle (z. B. Lehrsches Dämpfungsmaß oder Rayleigh-Dämpfung) berücksichtigt, wobei die zugehörigen Modell-Parameter durch Vergleichen mit Messungen identifiziert werden müssen. 7.6.4 Torsionsschwingungen Grundsätzlich kann es neben biegekritischen Schwingungen auch Dreh- bzw. Torsionsschwingungen für Rotoren geben, die in den meisten rotordynamischen Lehrbüchern eher untergeordnet behandelt werden. Als Ausnahme hierfür kann das Buch [WAL2004] von Walker angesehen werden. Torsionsschwingungen hängen mit periodisch variierenden Drehmomenten zusammen, die bei thermischen Turbomaschinen im Gegensatz zu Kol- 7 Rotordynamische Grundlagen 345 benmaschinen meist als vernachlässigbar gelten. Zudem sind die Amplituden von Torsionsschwingungen üblicherweise sehr klein (unter 0,1ı Winkelgrad) und können messtechnisch nur sehr schwer identifiziert werden. In den ersten Jahrzehnten des Dampfturbinenbaus wurden Torsionsschwingungen wenig Bedeutung zugewiesen. Lediglich bei Dampfturbinen mit Getriebe, bei denen Zahnungsfehler unmittelbar zu Drehmomentschwankungen führen, war die Problematik von entsprechenden dynamischen Belastungen klar. Bei Dampfturbinen, die mit einem Drehstromgenerator zur Stromerzeugung verbunden sind, können ungleiche Belastungen der Phasen allerdings auch zu periodisch variierenden Drehmomenten für den Rotor der Turbomaschine bzw. des Wellenstranges führen. Mit zunehmender Betriebserfahrung wurde entdeckt, dass gerade Torsionsschwingungen für Kraftwerksdampfturbinen und deren sicheren Betrieb von enormer Bedeutung sind. Heute gehört die Analyse von Torsionsschwingungen zu den rotordynamischen Standardaufgaben im Dampfturbinenbau. Eine besondere Wichtigkeit für die Auslegung hat hierbei die Untersuchung des rotordynamischen Verhaltens bei elektrischen Störfällen und eine Analyse der resultierenden Torsionsspannungen. Für Torsionsschwingungen sind die Drehmassen (Trägheitsmoment) und die Torsionssteifigkeiten cT die Grundgrößen, die gewissermaßen anstelle von Masse m und Steifigkeit c der Biegeschwingungen treten. Ähnlich wie bei der rechnerischen Analyse von Biegeschwingungen kann auch bei Torsionsschwingungen auf ein vereinfachtes mechanisches Ersatzmodell zurückgegriffen werden. Ein solches ist in Abb. 7.34 mit typischen Zahlenwerten für die Verteilung von und cT für einen großen Wellenstrang mit einer mehrgehäusigen Dampfturbine großer Leistung gezeigt. Hierbei summieren sich die Drehmassen für den gesamten Wellenstrang auf 100 %, während bei der informatorischen Angabe der Torsionssteifigkeiten cT der entsprechende Wert für die Ankopplung der beiden Niederdruckteile als Bezug (gleich 100 %) gesetzt worden ist. Die beiden doppelflutigen Niederdruckteile tragen hauptsächlich zur Drehmasse des Wellenstranges bei, was sich unmittelbar aufgrund ihrer großen Durchmesser und Abmessungen erklärt. Im Vergleich hierzu sind die Mittel- und Hochdruckteile sowie die Erregermaschine eher von geringen Drehmassen charakterisiert. Die Verteilung der Drehmassen und der Torsionssteifigkeiten können auf Basis der Konstruktionszeichnungen bzw. der CAD-Modelle im Vorfeld ermittelt werden. Für höhere Genauigkeitsansprüche müssen die Ersatzmodelle entsprechend weiter detailliert werden. Grundsätzlich wird in der heutigen industriellen Praxis für die rechnerische Simulation von Torsionsschwingungen auf die Methode der Finiten Elemente (FEM) zurückgegriffen. Ähnlich wie bei der Behandlung von Biegeschwingungen, stellt die rechnerische Analyse der Torsionseigenfrequenzen (sog. torsionskritische Drehzahlen) und der Torsionseigenformen eine Standardaufgabe bei der Auslegung von Dampfturbinen dar. Bei dieser Eigenwertanalyse wird üblicherweise die Torsionsdämpfung vernachlässigt. Tatsächlich ist diese auch von eher geringer Größe und in ihrer Bedeutung nicht mit den Dämpfungsmechanismen der Lateralschwingungen vergleichbar. Aufgrund der Hysteresis ergibt sich ein werkstoffbedingter Dämpfungsanteil, der aber recht klein ist. Über die Beschaufelung und der Wechselwirkung mit dem strömenden Fluid treten ebenfalls (geringe) aerodynamische Dämpfungen in der Turbine auf. Die rechnerisch ermittelten ersten 12 Eigenformen sind in Abb. 7.35 für den in Abb. 7.34 gezeigten Wel- 346 S. aus der Wiesche Abb. 7.34 Typische Drehmassen- und Torsionssteifigkeitsverteilung für einen DampfturbinenWellenstrang großer Leistung (nach [HUS1999]) lenstrang anhand der Winkelverteilung über die axiale Koordinate x dargestellt. Die unterste Eigenform (0. Ordnung) entspricht der trivialen Starrkörperbewegung des Rotors. Sie hat formal die Eigenfrequenz f0 D 0 Hz. Von unteren Eigenformen spricht man bei Frequenzen bis zu rund 30 Hz. Die zugehörigen unteren Eigenformen entsprechen Verdreh-Ausschlägen der Rotorballen und die Schwingungsknoten liegen deutlich zwischen den nahezu unverformten Rotorballen. In Abb. 7.35 sind dies die 1. bis 3. Eigenformen. Die Rotoreigenformen sind in Abb. 7.35 durch die 4. bis 6. Ordnung gegeben. Bei diesen zeigen nur einzelne Teilrotoren Verdreh-Ausschläge. Von höheren Eigenformen spricht man ab ca. 200 Hz. Diese sind in Abb. 7.35 durch die 7. bis 12. Eigenformen illustriert. Hierbei treten Verdrehungen auch in starren Rotorballen auf. Für den Betrieb einer Dampfturbine als Generatorantrieb muss rechnerisch das Verhalten bei einem elektrischen Störfall untersucht werden. Bei dieser Simulation wird zu dem statischen Volllast-Betriebsdrehmoment T0 der Turbinen für Zeiten t 0 noch ein dynamisches Stördrehmoment als äußere Anregung aufgeprägt. Ein gebräuchlicher Ansatz für eine solche Anregung ist durch T .t/ D T0 TS 1 T .t/ D T0 C sin.˝t/ sin.2˝t/ d 2 für t < 0 für t 0 (7.60) gegeben. Hierbei bezeichnet TS das Generatorscheindrehmoment TS D PN ˝0 cos (7.61) mit der Generator-Nennleistung PN und der Nenndrehzahl ˝0 . Mit d ist die subtransiente Reaktanz des Generators bezeichnet und cos ' ist der elektrische Leistungsfaktor. In der unteren Gleichung von Gl. 7.60 ergibt sich bei ˝t D 2 =3 der Maximalwert von 1,3. Bei der rechnerischen Analyse der Auswirkung von elektrischen Störfällen ist die Ermittlung der versagensrelevanten Spannungen im Wellenstrang als Folge der aufgeprägten Störung Gl. 7.60 entscheidend. Für nicht-abklingende Störungen ergeben sich im FEM-Modell an den einzelnen Elementknoten periodisch schwankende Werte für die Torsionsspannungen. Ihre Auswirkung auf die Betriebsfestigkeit des Rotors muss dann durch 7 Rotordynamische Grundlagen 347 Abb. 7.35 Eigenformen der Torsionsschwingungen für einen Wellenstrang (nach [HUS1999]) eine nachfolgende Analyse der Wechselbelastungen geprüft werden. Da experimentelle Untersuchungen von Torsionsschwingungen bei ausgeführten Maschinen messtechnisch sehr schwierig sind, ist die Kalibrierung bzw. Verifizierung von entsprechenden Berechnungsmodellen für Torsionsschwingungen herausfordernd. 348 S. aus der Wiesche 7.7 Abschließende Bemerkungen Die adäquate Berücksichtigung von anspruchsvollen rotordynamischen Phänomenen ist für die Auslegung von Dampfturbinen unerlässlich. Im Laufe der Zeit wurden in diesem Zusammenhang komplexe physikalische Instabilitätsmechanismen identifiziert, von denen die Existenz von kritischen Drehzahlen, die rotordynamische Auswirkung der Lagerung und selbsterregte Schwingungen grundlegend sind. Rechnerisch können heute vielfältige Fragestellungen mit Hilfe der Methode der finiten Elemente bereits in sehr frühen Stadien des Entwicklungsprozesses untersucht werden. Entscheidend für die Güte und praktische Verwertbarkeit dieser rechnerischen Simulationsergebnisse ist allerdings ihre Rückführung auf experimentelle Messungen und Betriebserfahrungen. Speziell rotordynamische Ersatzmodelle sind auf die Identifikation von vielen Modellparametern (z. B. Steifigkeits- und Dämpfungseinträge) angewiesen, deren Werte man trotz massiver Forschungsbemühungen nicht auf Basis von „ersten Prinzipien“ aus Grundgleichungen ableiten kann. In diesem Zusammenhang wirken sich daher die umfangreichen Erfahrungen von langjährig operativen Firmen am Markt massiv für die erfolgreiche Entwicklung und den Betrieb von Dampfturbinen aus. Trotz des mittlerweile hohen Stands der Rotordynamik als grundlegendes Teilgebiet der Strukturdynamik kann derzeit von einem Abschluss allerdings noch nicht gesprochen werden. Die physikalische Klärung und die technische Anwendung von rotordynamischen Effekten sind immer noch Gegenstand einer intensiven Forschungs- und Entwicklungstätigkeit. Literatur [ALF1965] Alford, J.: Protecting Turbomachinery from Self-Excited Rotor Whirl. ASME J. Eng. Power 87(4), 333–344 (1965) [BIE1953] Biezeno, C.R., Grammel, R.: Technische Dynamik, 2. Aufl. 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Dieses Kapitel beschreibt Auslegung und Aufbau von Schnell-Schluss (SSV) und Regel-Ventilen (RV) für die Frischdampf-Versorgung von Dampfturbinen sowie interne Entnahme- bzw. Überström-Ventile. Erläuterungen zu den vielfältigen anderen Stellorganen, die für den Betrieb von Dampfturbinen relevant sind, sind in Kap. 18 (Umleitstationen) zu finden. In Kap. 21 (Regelung) sind Hinweise für regeltechnische Auswirkungen der Ventile für den Betrieb von Dampfturbinen gegeben. Im vorliegenden Kapitel erfolgt zunächst eine kurze Einführung in die grundlegenden Berechnungen von Ventilen. Anschließend werden verschiedene Bauformen und Anwendungsfälle erklärt. Abschließend wird die Betriebsweise der Ventile dargestellt. 8.2 Strömungstechnische Grundlagen Die Durchströmung der Ventile kann in erster Näherung anhand der gasdynamischen Gleichungen als Durchströmen eines Querschnittes beschrieben werden. Genauere Ergebnisse ergeben sich unter Berücksichtigung der zusätzlichen Verluste u. a. der Einströmung, des Diffusors und der Abströmung. F. Joos () Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg Hamburg, Deutschland E-Mail: joos@hsu-hh.de T. Polklas MAN Energy Solutions Oberhausen, Deutschland E-Mail: thomas.polklas@man.eu © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. aus der Wiesche, F. Joos (Hrsg.), Handbuch Dampfturbinen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20630-7_8 351 352 F. Joos und T. Polklas 8.2.1 Ähnlichkeitsbetrachtung Aufgrund der hohen Temperaturen und Drücke des Frischdampfes ist die experimentelle Untersuchung der Ventilgeometrie im Allgemeinen nicht möglich. Voruntersuchungen müssen unter ähnlichen Bedingungen durchgeführt werden, bevor das endgültige Design in einem Kraftwerk getestet werden kann. Um ein möglichst repräsentatives Ergebnis der Untersuchungen zu erhalten, muss die physikalische Ähnlichkeit möglichst gut erfüllt werden. In der Regel wird die Geometrie, beschrieben durch typische Abmessungen li ähnlich gestaltet. Im Allgemeinen hängt die interessierende physikalisch Größe y von n beeinflussenden Größen xi ab y D f .x1 ; x2 ; x3 ; : : : xn / (8.1) Der Druckverlust des Ventils p ist eine der signifikantesten Kenngrößen. Er wird einerseits durch geometrische Größen Ii , andererseits durch die Dichte des Fluids , durch die Temperatur und die Strömungsgeschwindigkeit v beeinflusst. Die physikalischen Eigenschaften des Fluids werden durch die spezifische Wärmekapazität cp , die spezifische Gaskonstante R sowie durch die kinematische Viskosität beschrieben. Somit ergibt sich für den Druckverlust des Ventils p D f .; T; v; ; cp ; R; li /: (8.2) Nach dem …-Theorem nach Buckingham ergibt sich die Eu-Zahl Eu D p : 2 (8.3) In Abhängigkeit der Re-, Ma-Zahl, des Isentropenexponenten und einer charakteristischen Länge li als Ähnlichkeitsbedingung: Eu D f .Re; Ma; ; li /: (8.4) Analog folgt für den durchgesetzten Massenstrom m P D f .p; ; T; cp ; ; R; li /: (8.5) P P D Das Massenverhältnis q D mm P mit dem Massenstrom im drosselnden Querschnitt m a A ergibt sich somit ebenfalls zu q D f .Re; Ma; ; li /: (8.6) Für instationäre Vorgänge oder Ablösungen ist zusätzlich die Sr-Zahl Sr D f li (8.7) 8 Ventile 353 Abb. 8.1 Sr-Zahl bei Zylinderumströmung nach [PON2004] und [ROS1954] zu beachten. Sie liegt bei einer genügend hohen Re-Zahl im Bereich um Sr D 0;21 (Abb. 8.1). Typische Re-Zahlen in Regelventilen von Dampfturbinen liegen im Bereich von 107 bis 108 . 8.2.2 Die Ausflussfunktion Das Durchströmen des Dampfes durch die Regeleinrichtung kann mit dem Ausströmen aus einem Druckbehälter durch einen definierten engsten Querschnitt (2) verglichen werden. Für ideale Gase unter isentropen Bedingungen ist der Massenstrom m, P der aus einem Druckbehälter (1) in die Umgebung (3) austritt, entsprechend durch Gl. 8.8 berechenbar m P D A2 ‰ p 2 1 p1 tot : (8.8) Es gilt die Annahme, dass die Geschwindigkeit im Druckbehälter vor der Engstelle c2 ! gegenüber der Geschwindigkeit im engsten Querschnitt vernachlässigbar ist c1 c1 0. Damit herrscht im Behälter, d. h. vor der Drosselstelle der Totaldruck p1tot , das Fluid besitzt die Dichte 1 . Die Ausflusszahl ist ein Maß für die Beeinflussung des Geschwindikgkeitsprofils und der Strahleinschnürung auf Grund der Querschnittsverengung. Im Falle von Drosselventilen kann D 0;98 angenommen werden. Die sogenannte Ausflussfunktion ‰ D f .p1tot ; p2stat / kann mit der Gl. 8.9 für eine isentrope Strömung berechnet werden. v " u 2 C1 # u p2 stat pstat t : (8.9) ‰D 1 p1 tot p1tot 354 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.2 Ausflussfunktion in Abhängigkeit der Gasart Die Ausflussfunktion ist abhängig vom Druckverhältnis aus Innendruck p1tot im Druckbehälter und dem statischen Druck p2stat im engsten Querschnitt A2 . Sie weist ein Maximum Ymax auf (siehe Gleichung) auf das lediglich durch den Isentropenexponenten der Gasart bestimmt wird r 1 1 2 ‰max D : (8.10) C1 1 Bei kritischem Druckverhältnis krit D 2 C1 1 : (8.11) erreicht die Ausflussfunktion ihr Maximum. Unterhalb dieses kritischen Druckverhältnisses krit bleibt die Ausflussfunktion konstant bei maximalem Volumenstrom. Im engsten Querschnitt herrscht Schallgeschwindigkeit (Ma D 1), der Querschnitt sperrt. Druckverhältnisse < krit werden als überkritisch bezeichnet. Ist hingegen > krit so herrscht ein unterkritisches Druckverhältnis. Die Funktionsverläufe für verschiedene Isentropenexponenten sind in Abb. 8.2 dargestellt. Für Dampf mit einem Isentropenexponenten von D 1;33 ergeben sich krit D 0;5405 und ‰max D 0;4756 im Vergleich mit Luft ( D 1;4), für die das kritische Druckverhältnis krit D 0;5283, sowie das Maximum der Ausflussfunktion ‰max D 0;4842 beträgt. Das heißt, dass bei Dampf im Vergleich zu Luft erst bei einem höheren Druckverhältnis Schallgeschwindigkeit im begrenzenden Querschnitt erreicht wird. Außerdem ist bei gleicher Fläche der maximal durchsetzbare Volumenstrom geringer. Die Geschwindigkeit im begrenzenden Strömungsquerschnitt A2 ergibt sich nach Gl. 8.12 in Abhängigkeit vom Druckverhältnis und der Ruhetemperatur T1tot vor der 8 Ventile 355 Drosselstelle zu v u u c2 D t2 " C1 # p2 stat R T1tot 1 : 1 p1tot (8.12) 8.2.3 Druckverlust Die Kennlinie des Regelventils wird durch den Druckverlust in Abhängigkeit vom Durchsatz dargestellt. Der hauptsächliche Anteil des Druckverlustes stellt sich naturgemäß in den Kanälen mit den hohen Geschwindigkeiten ein, d. h. um die Drosselstelle mit nachgeschalteter Auslaufstrecke, die zur Druckrückgewinnung als Diffusor oder aber unter Inkaufnahme eines höheren Druckverlustes als einfacher Zylinder ausgeführt werden kann (Abb. 8.3). Als Gegenseite des dargestellten Ausflussteils dienen unterschiedliche Kegelgeometrien, wie sie beispielsweise in Abb. 8.25 dargestellt sind. Bei voll geöffnetem Ventil spielt die Geometrie des Ventilkegels in der Regel keine Rolle bezüglich des Druckverlustes. Der sich hier einstellende Druckverlust ist unter Designbedingungen relevant. Unter Annahme einer achsensymmetrischen Zuströmung kann der Druckverlust des Regelventiles abgeschätzt werden, indem der Strömungspfad unter Berücksichtigung der Versperrung durch den Ventilkegel in einzelne Bereiche, wie den Einlauf, ein zylinderförmiges Stück, den Diffusor und den plötzlichen Querschnittsprung aufgeteilt wird, Abb. 8.4. Die einzelnen Beiträge werden über die jeweiligen Druckverlustkoeffizienten erfasst: D 1 2 p ; vt2 (8.13) wobei p den statischen Druckabfall und vt die Geschwindigkeit im engsten Querschnitt darstellt. Abb. 8.3 Ventilgeometrie als Diffusor (a) und Zylinder (b) 356 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.4 Aufteilung eines Ausflussteiles Nach [IDE1986] kann der Verlust eines Einlaufes mit Rundungsradius aus dem Verhältnis des Einlaufradius R zum Durchmesser des Querschnittes Dh bestimmt werden. Ab einem Verhältnis von R=D ca. 0,2 ergibt sich für den Einlauf der asymptotische Wert von D 0;03, Abb. 8.5. Der nächste Druckverlust entsteht durch Reibung im zylindrisch ausgebildeten engsten Querschnitts. Nach [IDE1986] ergibt sich der Verlustbeiwert bei einer voll ausgebildeten turbulenten Strömung (Re > 4000) durch ein Rohr mit konstantem Querschnitt zu Engstelle D L 1 L D : Dh .1;8 log .Re/ 1;64/2 Dh (8.14) Allerdings ist die Länge dieser Stelle bei Diffusoren von Ventilen in der Regel so kurz, dass dieser Anteil meist vernachlässigbar ist. Der Verlustbeiwert des Diffusors setzt sich aus dem Anteil der Rohrreibung und dem Anteil der nicht optimalen Diffusion zusammen Diffusor D Reibung C Diffusion : (8.15) Die Reibungsverluste können in erster Näherung mit obiger Gleichung oder unter Berücksichtigung des Diffusors mit Reibung D At ˛ 1 A0 8 sin 2 2 (8.16) bestimmt werden. Der Diffusorverlustkoeffizient ergibt sich zu Diffusor At 2 D 'Diffusion 1 A0 (8.17) 8 Ventile 357 Abb. 8.5 Druckverlustbeiwert des Einlaufes nach [IDE1986] mit dem Expansionsverhältnis 'Diffusion D 3;2 tan ˛ r ˛ 4 tan : 2 2 (8.18) Der Verlustkoeffizient aufgrund des Querschnittssprungs am Diffusoraustritt ergibt sich zu 2 At D : (8.19) Aus A0 Dieser Verlustkoeffizient ist aufgrund der im Austrittsquerschnitt noch herrschenden hohen Geschwindigkeit dominant. [BIA2013] validierten die Korrelation mit den Bedingungen (˛ D 8ı , R=Dh D 0;24, 'Diffusion D 0;115) sowohl numerisch als auch experimentell. Die CFD-Rechnungen wurden unter Verwendung des k-!-SST-Turbulenzmodelles durchgeführt. Die zu vergleichenden Strömungsräume müssen hinsichtlich ihrer Längen-, Flächen-, und Raumabmessungen, sowie hinsichtlich der Oberflächenbeschaffenheit geometrisch ähnlich sein. 8.2.4 Kennlinie Die nachfolgenden Angaben bilden eine Zusammenfassung der ausführlichen Erläuterungen von Martin und Buxmann [MAR1968] zur Berechnung der Durchflusscharakteristik von Regelventilen bei Dampfturbinen. Nachfolgend wird die Berechnung für das Diffusorventil aufgezeigt, wie sich aus den Angaben der Ventilquerschnitt in Funktion des Betriebszustandes berechnet. Für das diffusorlose Ventil reduziert sich diese Untersuchung auf die bekannte gasdynamische Durchflussgleichung. 358 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.6 Geometrische Orte der Strömung durch ein Diffusorprofil, 0 Einlauf, 1 engster Querschnitt, 2 Diffusor In Kap. 21 (Regelung) wird darauf eingegangen, dass Netzbetreiber ein großes Interesse daran haben, einen möglichst linearen Zusammenhang zwischen Hubverlauf und durchgesetztem Massenstrom, der analog zur Turbinenleistung anzusetzen ist, zu realisieren. Wichtig ist die Durchflusscharakteristik eines Regelventils zu kennen. Der sogenannte Hubverlauf eines Regelventils wird durch den geometrischen Aufbau des Ventils festgelegt. Dabei ist die Ventilkegelform maßgebend. Diese ergibt sich bei der Auswahl der Bauform durch die Forderung nach Dichtheit und geringen Strömungsverlusten. Anzustreben sind Geschwindigkeiten im engsten Querschnitt von maximal ca. 180 m/s bei vollständig geöffnetem Ventil (vgl. Abb. 8.6). Ein dem Ventil nachgeschalteter Diffusor reduziert den Druckabfall. Damit die eingesetzten Diffusoren weitestgehend im Bereich einer vollangelegten Strömung arbeiten (vgl. Abschn. 4.2.2 Strömungsablösungen), sollte deren Öffnungswinkel ˛ D 8ı und das Öffnungsverhältnis A3 =A2 D 2 nicht überschreiten. Können höhere Druckverluste in Kauf genommen werden, kann auf den Diffusor verzichtet werden, was eine Kostenreduktion bedeutet (Abb. 8.6). Für ein vereinfachtes Strömungsmodell kann die Geschwindigkeitsenergie im Eintrittsraum vor dem Regelventil in aller Regel vernachlässigt werden, da dieser Raum entsprechend groß dimensioniert ist. Ist der Ventilkegel im Regeleingriff, lässt er an der Stelle 1 (Abb. 8.6) den engsten Querschnitt A1 frei. Nachfolgend erweitert sich der Querschnitt sprungartig auf den engsten Diffusor-Querschnitt A2 . Dabei erfolgt eine starke Umlenkung der Strömung, wobei es je nach Zustand der Grenzschicht zu Abkürzungen kommen kann. Durch die vereinfachende Annahme, dass der Zustandsverlauf vom Einlauf (0) zum engsten Querschnitt (1) isentrop beschreibbar ist, folgt aus dem Energiesatz: h0t h1 D c12 =2: Dabei ergibt sich die Geschwindigkeit im engsten Querschnitt zu: v " u r # 1 p u 1 tp v 1 ; c1 D 2 0t 0t 1 p0t mit dem spezifischen Volumen v0t vor dem engsten Querschnitt. (8.20) (8.21) 8 Ventile 359 Über die Kontinuitätsgleichung und die Isentropenbeziehung lässt sich daraus die Ausflussgleichung, die auch als de Saint-Venant und Wantzel-Gleichung bezeichnet wird, ableiten: v" 2 u 2 1C #3 r p1 p1 p u t 5 A1 0t : (8.22) m P D4 2 1 p0t p0t p0t v0t Der Ausdruck in der eckigen Klammer wird als Ausflussfunktion bezeichnet: v" 2 u 2 1C #3 r p1 p1 u t 5: D4 2 1 p0t p0t (8.23) Das kritische Druckverhältnis, bei dem das Strömungsfluid im engsten Querschnitt, unter Annahme isentroper Entspannung, mit Schallgeschwindigkeit strömt, berechnet sich mit: Somit ergibt sich kr p1 p0t D kr 2 C1 1 : (8.24) zu: kr D r 2 C1 2 C1 1 1 : (8.25) Bei einem voll geöffneten Ventil ergibt sich somit, ohne Beachtung der Grenzschichtdicke, für die Strömung durch den engsten Querschnitt: m P kr D kr A2 p p0t : p0t v0t (8.26) Für das Totaldruckverhältnis bei plötzlicher Querschnittserweiterung ergibt sich aus Impuls-, Energie- und Kontinuitätsgleichung, mit der vereinfachenden Annahme, dass die Dichte sich nicht ändert: px 2 cx2 pxt D : (8.27) p1t p1 2 c12 Streng genommen gilt diese Gleichung nur für inkompressible Strömungen. Es konnte allerdings gezeigt werden (wie z. B. in [BEN1966]), dass diese Annahme für die in den betrachteten Ventilen auftretenden Druckverhältnisse in guter Näherung gilt. Somit lässt sich die obige Gleichung auch folgendermaßen schreiben: p1 pxt A1 2 D1 1 : 1 p1t p1t Ax (8.28) Mit Hilfe dieser Gleichungen kann bei bekanntem Öffnungsverhältnis des Ventils zu jedem Druck p1 der Totaldruck ermittelt werden. Dabei ist die Isentropie-Annahme zu beachten, wonach p1t D p0t ist. 360 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.7 Theoretisch ermitteltes Kennfeld eines Diffusorventils (nach (BWK 438.10)) Nach der plötzlichen Querschnittserweiterung schließt in der Regel ein Diffusor an das Ventil an. Für diesen gilt ein Diffusorwirkungsgrad D , da kein isentropes Verhalten beim Druckrückgewinn vorhanden ist. Es entsteht aus dem isentropen Druckgefälle p3s =px und dem tatsächlichen Druckgefälle p3 =px : ( #) 1 " 1 p3s p3 D 1 C D 1 : px px (8.29) Wird der Druck p3s gemäß der Kontinuitätsgleichung aus dem Flächenverhältnis bestimmt und ist der Diffusorwirkungsgrad bekannt, liegen alle Größen vor, um den Entspannungsverlauf durch ein Regelventil zu berechnen. Der Diffusorwirkungsgrad D lässt sich über Grenzschichtrechnungen bestimmen [TRA2001]. Bei einem Öffnungsverhältnis von engstem Querschnitt A1 zu kleinstem Diffusor-Durchmesser A2 ergeben sich ungefähr folgende Werte für D bei einem Regelventil der Bauart ähnlich wie in Abb. 8.7: D 0;8 bei A1 =A2 0;8 D 0;9 bei A1 =A2 D 1;0: Mit Hilfe der beschriebenen Gleichungen ist es möglich, Kurven des Massenstromverhältnisses m= P m P kr abhängig vom Druckverhältnis p3 =p0 und dem Öffnungsverhältnis des Ventils zu bestimmen, wie in Abb. 8.7 beispielhaft gezeigt. Die dort dargestellten Kurven gelten für 1;3. Die strichpunktierte Linie in Abb. 8.7 zeigt den Massenstrom durch ein komplett geöffnetes Ventil ohne Diffusor-Druckrückgewinn. Der Abstand zu dieser Linie stellt den durch den Diffusor erzielten Gewinn dar. Die gestrichtelte Linie in Abb. 8.7 zeigt alle Orte bei denen Schallgeschwindigkeit im engsten Querschnitt A1 auftritt. 8 Ventile 361 Der Druckverlust durch Regelventile bei Dampfturbinen hat großen Einfluss auf den Wirkungsgrad der Turbine. Somit sollte der Druckrückgewinn bei komplett geöffnetem Ventil möglichst hoch sein. Doppelsitzventile und Ventile mit Aufsitzkante produzieren hohe Verluste. Die Ventilkegelform hat einen geringen Einfluss auf den Druckverlust, wohingegen das Erweiterungsverhältnis des Diffusors einen erheblichen Einfluss hat. Ein möglichst großes Flächenverhältnis zwischen Diffusor-Austritt und Diffusor-Querschnitt ist anzustreben. Dabei ist zu beachten, dass stabile Strömungszustände im Diffusor nur bis zu einem Flächenverhältnis von A3 =A2 1;8 vorhanden sind. Wird eine Dampfturbine mit einer sogenannten Düsengruppen-Regelung betrieben, bei der mehrere Ventile jeweils einen Teil der ersten Leitschaufeln mit Dampf beaufschlagen, lassen sich sogenannte Hubkurven erstellen. Von der Auslegungs-Rechnung einer Dampfturbine ist der Zusammenhang zwischen dem Massenstrom m P durch die Turbine und dem Druck p3 vor der ersten Beschaufelungsreihe (Dampkegelgesetz nach Stodola), den sogenannten Düsen bekannt (gilt unter der Annahme, dass Frischdampf-Druck und -Enthalpie konstant sind). Der Druck vor der ersten Leitschaufel entspricht dabei dem Druck hinter dem Regelventil. Zudem passt zu einem Dampfmassenstrom m P ein entsprechender Druckabfall über das Schnell-Schluss-Ventil und damit ein zugehöriger Druck p0 vor dem P m P kr gemäß Abb. 8.7. Regelventil. Daraus ergeben sich die beiden Ordinaten p3 =p0 und m= Durch die Drosselung der einzelnen Regelventile stellt sich für den jeweils zugehörigen Teilmengen-Dampfstrom ein entsprechender Druck vor den ebenfalls zugehörigen Düsen ein. Eine Verbindung erzeugt den dort beispielhaft gezeigten Kurvenzug für das dritte einer 200 MWDampfturbine. Dieser Kurvenzug schneidet die Flächenverhältnis-Kurven (A1 =A2 D 0;1; 0;3; etc.). Aus diesen Schnittpunkten ist auf einfache Weise bestimmbar, zu welchem Massenstrom eines Regelventils bzw. Düsensegmentes der jeweilige engste Querschnitt A1 gehört. Dieser Querschnitt wird beim zugehörigen Hub h des jeweiligen Ventils freigegeben. Mit den gezeigten Zusammenhängen lässt sich das Strömungsverhalten von Dampfturbinen-Regelventilen berechnen und in einem Kennfeld darstellen (Abb. 8.23). 8.2.5 Strömungsablösungen In den Diffusoren finden Strömungsablösungen statt, die in der Regel dreidimensionalen Charakter aufweisen. Derartige Strömungsablösungen, die im dreidimensionalen Fall als Linie auftreten, sind deutlich komplexer und schwieriger zu beschreiben als Vorgänge bei zweidimensionalen oder quasi-zweidimensionalen Strömungen. Die Ablöselinie kann per se als Grenzstromlinie beschrieben werden, auf der der Geschwindigkeitsvektor senkrecht auf der Wand steht. Die einfache Beschreibung des Ablösepunktes im zweidimensionalen Fall, dass die Wandschubspannung w D 0 und der senkrecht zur Wand stehende Geschwindigkeitsvektor durch (du=dy D 0) beschrieben werden kann, kann hier nicht übernommen werden [LED1991]. 362 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.8 Bifurkationslinie einer dreidimensionalen Strömung (nach [PER1987]) Durch die dreidimensionale Strömung kommt es entlang der Grenzstrom- bzw. Ablöselinie zu einer sich abwälzenden rotationsbehafteten Fluidschicht. In der Stabilitätstheorie wird diese Linie auch als Bifurkationslinie bezeichnet [PER1987]. Strömungsablösung in dreidimensionalen Strömungen lassen sich anhand der wandnahen Strömung charakterisieren, indem das dreidimensionale Geschwindigkeitsfeld in eine wandnahe Ebene projiziert wird. Aus dem projizierten Geschwindigkeitsfeld lassen sich zweidimensionale Trajektorien ableiten, die die Strömung parallel zur Wand darstellen. Diese Trajektorien bilden unterschiedliche Strukturen, aus denen Rückschlüsse auf die dreidimensionale Strömungsablösung gezogen werden können. Eine Bifurkationslinie ist im Allgemeinen eine lokale Schnittlinie zweier Ebenen die durch Lösungstrajektorien gebildet wird (siehe Abb. 8.8). Eine der beschreibenden Ebenen enthält nur Trajektorien, die sich der Bifurkationslinie annähern. Die andere Ebene enthält nur Trajektorien, die von der Bifurkationslinie fortlaufen. Die Bifurkationslinie entspricht einer Art Asymptote der Trajektorien. Die Linie kann gekrümmt und ohne definierten Anfang oder Ende sein. Auch geschlossene Bifurkationslinien sind möglich [PER1987]. Innerhalb eines dreidimensionalen Strömungsfreldes bilden die Trajektorien der senkrecht in eine Ebene projizierten zweidimensionalen Geschwindigkeitsvektoren unterschiedliche Strukturen, die einem bestimmten dreidimensionalen Strömungszustand (z. B. Wirbel, Scherströmung) entsprechen. Allen Strukturen ist gemeinsam, dass sie in einem sogenannten kritischen Punkt zusammen- oder auseinanderlaufen. Ein kritischer Punkt stellt den Durchstoßpunkt einer Bifurkationslinie durch die Projektionsebene dar. Einige der kritischen Punkte (z. B. Sattelpunkt, Sattelknoten) enthalten Bifurkationslinien, die in der Projektionsebene verlaufen. Die kritischen Punkte entsprechen mathematischen Singularitäten des zweidimensionalen Vektorfeldes der Geschwindigkeit in der Projektionsebene, also Punkten, an denen die projizierte Geschwindigkeit zu 0 wird. Da das dreidimensionale Geschwindigkeitsfeld aber die Kontinuitätsgleichung erfüllt, entspricht damit ein kritischer Punkt einem Geschwindigkeitsvektor, der senkrecht auf der Projektionsebene steht. Entsprechend dem Kriterium nach [PRA1924] tritt im dreidimensionalen Fall bei ıu=ız D 0 und ıv=ız D 0 eine Ablösung auf. Die Geschwindigkeitsvektoren parallel zur betrachteten Ebene werden als u und v bezeichnet, während z die Koordinate senkrecht zur Wand darstellt. Somit kann an den kritischen Punkten bzw. Bifurkationslinien der projizierten zweidimensiona- 8 Ventile 363 Abb. 8.9 Fokus mit dreidimensionaler Strömung (nach [PER1987]) len Trajektorien das dreidimensionale Geschwindigkeitsfeld beurteilt werden. Allgemein gilt, dass zweidimensionale Trajektorien, die in keinem kritischen Punkt enden oder zu einer Bifurkationslinie zusammenlaufen einer zur Projektionsebene parallelen Strömung entsprechen. Hier tritt keine Strömungsablösung auf. Dem hingegen entsprechen kritische Punkte dem Kern einer Strömung senkrecht zur Projektionsebene, also einer ablösenden Strömung. Je nach Typ des kritischen Punktes stellen die enthaltenen Bifurkationslinien die Begrenzung eines Ablösungsgebietes dar. Die Bifurkationslinien entsprechen also der Ablösungslinie oder der Anlegungslinie der Strömung [PER1987] sowie [TOB1982]. Zusätzlich gibt der Typ des kritischen Punktes Aufschluss über die Art der zweidimensionalen Strömung. Als Beispiel sind in Abb. 8.9 ein Fokus und der korrespondierende dreidimensionale Wirbel dargestellt. Abb. 8.10a gibt ein Beispiel für eine Struktur, die sich in der Projektionsebene bei einer einfachen Ablösung einstellt. Jeweils ein Sattelpunkt markiert den Ablösungs- und den Anlegepunkt. Aus der gegenläufigen Strömung zwischen Hauptströmung und rezirkulierender Strömung in der Ablöseblase entstehen zwei gegenläufig rotierende Wirbel Abb. 8.10 Beispiel der zweidimensionalen Struktur einer einfachen Ablösung; a Strömungsstruktur in wandparalleler Ebene, b Strömungsstruktur in Ebene senkreckt zur Wand 364 F. Joos und T. Polklas (z. B. Fokus). Zwischen den Wirbeln zur nicht abgelösten Strömung hin bilden sich Bifurkationslinien aus. Diese Bifurkationslinien bilden sich aus zusammen- bzw. auseinanderlaufenden Trajektorien. Damit stellen sie eine Abgrenzung zwischen Ablösung und Hauptströmung dar. Zusätzlich gibt es eine Bifurkationslinie zwischen den beiden Teilen der Hauptströmung, die auf jeweils eine Seite der Ablösung vorbeiströmt. Diese Bifurkationslinie kann mit der Staustromlinie bei der Umströmung eines Körpers verglichen werden. Die Bifurkationslinie kann in der Ablösung als eine Art virtueller Fortsatz der Staustromlinie betrachtet werden. In Abb. 8.10b ist die Ablösung durch die Trajektorien in einer Ebene senkrecht zur Wand zu sehen. Die Wand entspricht der Bifurkationslinie in Abb. 8.10a, die die beiden Wirbel trennt. In dieser Ebene ist somit nur eine Hälfte der Strömungsstruktur aus der wandparallelen Ebene zu sehen. Die Wandsattelpunkte markieren ebenfalls den Beginn und das Ende der Ablösung. Die kritischen Punkte können nach [DAL1983] anhand des in Abb. 8.11 dargestellten Diagramms unterteilt werden. Die Unterscheidung erfolgt anhand der Spur p ı vEy0 ı vEx0 C ıx 0 ıy 0 (8.30) ı vEx0 ı vEy0 ı vEx0 ı vEy0 C ıx 0 ıy 0 ıy 0 ıx 0 (8.31) pD und der Determinante q qD der Jacobimatrix J " J D ı vEx0 ıx 0 ı vEy0 ıx 0 ı vEx0 ıy 0 ı vEy0 ıy 0 # (8.32) des orthogonal projizierten Geschwindigkeitsfeldes " vE0 D u0 v0 # 3 u 7 6 des Ursprungsfeldes vE D 4 v 5 w 2 (8.33) Der dreidimensionale Geschwindigkeitsvektor vE wird orthogonal auf die wandparallele Betrachtungsebene in den zweidimensionalen Geschwindigkeitsvektor vE0 projiziert, indem das dreidimensionale Koordinatensystem x, y und z in das zweidimensionale orthogonale Koordinatensystem x 0 und y 0 der Projektionsebene transformiert wird. Ist die Determinante q negativ, liegt immer ein Sattelpunkt vor, an dem sich zwei Bifurkationslinien kreuzen. Er teilt sich damit das zweidimensionale Geschwindigkeitsfeld in vier separate Bereiche [GBA2004]. Für ein positives q werden die kritischen Punkte zusätzlich mit Hilfe der Spur p unterschieden. Generell gilt, dass für eine negative Spur p die 8 Ventile 365 Abb. 8.11 Einteilung der kritischen Punkte (nach [DAL1983]) zweidimensionalen Trajektorien im kritischen Punkt zusammenlaufen, für eine positive die Trajektorien hingegen vom kritischen Punkt auseinanderlaufen. Die Richtung der Trajektorien gibt Auskunft über die Richtung der dreidimensionalen Strömung in Relation zur Betrachtungsebene. Im Fall einer wandnahen Betrachtungsebene entsprechen kritische Punkte, an denen die Trajektorien zusammenlaufen, einer sich ablösenden Strömung und entsprechend kritische Punkte mit auseinanderlaufenden Trajektorien einer Strömung, die sich an die Wand anlegt. Ist die Spur der Jacobi-Matrix negativ, löst die Strömung wieder von der Wand ab. Für jeden Quadranten mit positiver Determinante p können fünf kritische Punkte unterschieden werden. Die Gebiete werden durch die Parabel p 2 D 4 q getrennt. Auf der Parabel liegen der Sternknoten und der Fokusknoten. Oberhalb der Parabel liegt der Fokus, unterhalb der regulären Knoten. Auf der p-Achse liegt der Sattelknoten. Für den Sonderfall p D 0 wird der kritische Punkt Zentrum genannt. Ein Zentrum entspricht geschlossenen Trajektorien, die nicht zu einem definierten Punkt zusammenlaufen. Die kritischen Punkte auf der p-Achse, der positiven q-Achse und auf der Parabel p 2 D 4 q sind als degenerierte Punkte anzusehen [PER1987]. Degenerierte Punkte wie der Sattelknoten, das Zentrum, der Fokus-Knoten und der Stern-Knoten gelten im Rahmen der Bifurkationstheorie als topologisch instabil. Auf die Ablösungen von Strömungen bezogen, bedeutet ein degenerierter Punkt somit ein instabiler Strömungszustand, der sich mit der Zeit auflösen oder in einen anderen Zustand übergehen wird. Als Beispiel für einen degenerierten kritischen Punkt diene der sogenannte versetzte Sattelpunkt, bestehend aus zwei Halbsattelpunkten, der in Wirbelstraßen beobachtet wird 366 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.12 Versetzter Sattelpunkt (nach [PER1987]) [PER1987]. Die Ausgangssituation und der mit der Zeit entstehende Sattelpunkt sind in Abb. 8.12 dargestellt. Mit der Zeit nähern sich die versetzten Halbsattelpunkte an und bilden einen verzerrten Sattelpunkt. [TOB1982] stellen fest, dass stationäre Strömungsablösungen stets in den drei übrigen kritischen Punkten, dem regulären Knoten, dem Fokus und dem Sattelpunkt, resultieren. Entsprechend werden diese Punkte als topologisch stabil bezeichnet. Nach der Indexregel [FLE1974] werden alle Sattelpunkte S mit einem Wert 1 gezählt, alle anderen kritischen Punkte sowie die degenerierten Punkte werden als Knoten N mit dem Wert C1 gewertet. Für den vorliegenden Fall einer eines in sich geschlossenen Strömungsraums gilt nach der Indexregel, dass die Anzahl der Sattelpunkte der Anzahl an Knoten entspricht X X 0D N S: (8.34) 8.3 Aufbau der Regel- und Schnellschlussventile 8.3.1 Anordnung der Drosseleinheit Dampfturbinen benötigen für einen sicheren Betrieb auf der Frischdampfseite mindestens eine doppelte Absperrung durch ein Schnellschlussventil (SSV) und ein Regelventil (RV). Bei der Anordnung dieser Ventile wird darauf geachtet, dass sie möglichst nahe an der Turbine platziert werden, um ein großes Volumen an Dampfreservoir nach einer Schnellabschaltung zu vermeiden (vgl. Abb. 8.13). Ist eine Zwischenüberhitzung vorhanden, so ist auch vor der Mitteldruckturbine eine entsprechende doppelte Absperrung vorzusehen. Die nahe Anordnung der Ventile an der Turbine resultiert aus Betriebssicherheitsaspekten. Wenn das eingeschlossene Dampfvolumen nach einer Notfall-Schnell-Abschaltung (z. B. Kupplungsbruch, Lastabwurf etc.) zu groß ist, kann dieser noch vorhandene Dampf die Drehzahl einer Turbine innerhalb kürzester Zeit unzulässig hoch steigern, so dass schwerste Schäden an der Turbine auftreten können. Aus diesem Grund ist bei der Gestaltung und 8 Ventile 367 Abb. 8.13 Hochdruckturbine mit Ventilen des Hochdruck(HPV) und Mitteldruckteils (IPV) (Siemens AG) Anordnung der Ventile auf das eingeschlossene Dampfvolumen vor der Turbinenbeschaufelung zu achten. Einen noch größeren Einfluss auf die Überdrehzahl einer Dampfturbine bei einer NotAbschaltung haben die Schließzeiten der Ventile. Dabei setzt sich die Schnellschlusszeit zusammen aus der Totzeit und der Schließzeit. Die Totzeit wiederum ergibt sich aus den Reaktionszeiten der verwendeten elektronischen und hydraulischen Bauteile sowie dem „Tothub“, also dem Ventilweg, ohne dass der Ventilkegel die Strömung beeinflusst. Bei der Auslegung einer Dampfturbine ist die sich einstellende Überdrehzahl bei einer Notabschaltung zu bestimmen. Somit sind die realisierbaren Schließzeiten, die sich aus dem Zusammenspiel der beteiligten Komponenten ergeben, vorab festzulegen. Je nach Bauweise und Anwendungsart der Dampfturbine sind ein oder mehrere Regelventile für die Dampfversorgung der Teilturbinen (HD bzw. MD) installiert, wie z. B. Abb. 8.14 zeigt. Bei der Bauform der Ventile werden hauptsächlich zwei Typen, die Einsitz- und Doppelsitzventile unterschieden. Meistens werden Einsitzventile eingesetzt. Sie bieten den Vorteil von guter Dichtheit und geringem Druckverlust. Nicht entlastete Einsitzventile sind aufgrund der hohen notwendigen Stellkräfte nur für kleinere Sitzdurchmesser praktikabel. Um die Stellkräfte zu reduzieren, werden sogenannte entlastete Ventile z. B. mit Vorhubkegel oder als Rohr- a Abb. 8.14 Regelventile der Hochdruckturbine eines Kernkraftwerkes mit Siedewasserreaktor [BRÜ2014] 368 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.15 Abfangschnellschlussklappe und Stellventil (Design ABB); 1 Schnellschlussklappe, 2 Stellventil, 3 Entlastungsventil, 4 Dampfsieb [BEI2001] ventile ausgeführt (Abb. 8.15), dort ist ein druckentlastetes Stellventil mit einer SchnellSchluss-Klappe kombiniert, wodurch die Druckverluste minimiert werden können. Rohrventile haben allerdings den Nachteil nicht vollständig dicht zu schließen. Heute kaum noch verwendet, in der Vergangenheit häufiger bei Industrie-Dampfturbinen eingesetzt werden Doppelsitzventile. Bei ihnen sind geringere Stellkräfte aufzuwenden. (Abb. 8.16) zeigt eine Stellventilanordnung einer Industrie-Dampfturbine mit drei Doppelsitzventilen. Dabei wird nur das erste Ventil direkt vom Stellantrieb betätigt. Die beiden weiteren Ventile werden über ein Feder-Hebel-System vom jeweils vorderen Ventil geöffnet bzw. geschlossen. Problematisch ist bei Doppelsitzventilen die Dichtigkeit zu gewährleisten. Der einströmende Dampf durchströmt zuerst das Schnellschlussventil und dann das Regelventil. Vor dem Schnellschlussventil ist üblicherweise ein Dampfsieb angebracht, um den Ventilaufbau vor evtl. vorhandenen Partikeln zu schützen. Ein möglichst niederer Druckverlust im geöffneten Zustand wird durch das Anbringen eines Diffusors zur Druckrückgewinnung hinter jedem der Ventile gewährleistet. Bei noch geschlossenem Abfangventil wird zuerst das Schnellschlussventil in den dafür vorgesehenen Hohlraum geschoben. Dann öffnet sich erst das Abfangventil. Allgemein werden die Ventile so ausgebildet, dass das Element, das bei voller Öffnung zum Anschlag kommt, hierbei den Dampfzutritt zum Spalt zwischen dem Ventilschaft und seiner Führung absperrt und so den Leckverlust unterbindet. Aufeinander gleitende Oberflächen müssen aus eisenarmen Sonderwerkstoffen bestehen, die im Bereich hoher Temperaturen dem Verschleiß widerstehen. Ventilkörper und Ventilsitze weisen an ihrer Berührungsstelle in der Regel eine Stellitpanzerung auf. Die Sitze der Ventile unterliegen besonderen Beanspruchungen, da sich beim Öffnen und Schließen der Kegel sehr nahe am Sitz befindet. Diese Teile müssen deshalb aus härtbaren Materialien, wie beispielsweise aushärtbaren CoCr-Oberflächen der 9–12 %-haltigen Cr-Stählen, hergestellt werden. Die Ventilspindeln werden durch eine elektro-hydraulische Verstelleinheit bewegt, die auf sicheres Schließen und schnelle Regeleingriffe optimiert ist. Zum Öffnen der Schnellschlussventile muss gegen eine Schließfeder eine Gegenkraft aufgebracht werden, so dass eine inhärente Sicherheit bei Leistungsausfall der Steuerungshydraulik besteht. Im Falle einer Notabschaltung muss das Schnellschlussventil innerhalb weniger als 200 ms 8 Ventile 369 Abb. 8.16 Stellventil Düsengehäuseblock mit Doppelsitzventilen (a); 1 Stellventil, 2 Düsen [BEI2001] und entlastetes Doppelsitzventil (b) [TRA2001] geschlossen sein. Hierbei wird die Schließfeder zusätzlich zu dem noch vorhandenen Dampfdruckabfall unterstützt. Im Betrieb treten sehr hohe Dampfgeschwindigkeiten im Bereich des kalibrierenden Querschnittes auf. Zusätzlich besteht die Gefahr der Erosion durch Partikel (solid particle erosion SPE), insbesondere bei leicht geöffnetem Regelventil im Teillastbereich. Der Ventilkegel wird in der Regel in einer Hülse geführt, so dass in diesem Bereich mit Reibung und Abschabungen durch Vibrationen gerechnet werden muss. Zusätzliche Belastungen der Teile durch Versatze zwischen Sitz und Stempel sowie Korrosion aufgrund der hohen Temperaturen. Die entsprechenden Bereiche des geschmiedeten oder gegossenen Mate- Abb. 8.17 Querschnitt durch ein Mitteldruckventil mit Schnellschluss- (SV) und Regelventil (CV) (Siemens AG) 370 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.18 Schnitt durch ein kombiniertes Regel-/Schnellschlussventil [BRÜ2014] rials müssen zuverlässig gegen die Hauptschädigungsmechanismen, insbesondere Verschleiß, Oxidation, Spannungsrisse oder Veränderungen der Toleranzen geschützt werden, Abb. 8.17. In der Regel werden Cobalt bzw. Chromcarbid basierte Legierungen, die in das eisenbasierte Grundmaterial eingebracht werden, eingesetzt. Aufgrund der gestiegenen Dampftemperaturen von über 500 ı C können Nitrierungsverfahren nicht mehr eingesetzt werden. Stattdessen kommen wenige Millimeter dicke, aufgeschweißte CoCr-gehärtete Oberflächen zum Einsatz, die bis zu 620 ı C Dampftemperaturen in nieder- und hochlegierten Cr-Legierungen eingesetzt werden. Auch thermisch gesprayte Oberflächen sind ausgeführt worden. Regel- und Schnellschlussventil können auch kombiniert in einem Gehäuse untergebracht werden, um das eingeschlossene Dampfvolumen möglichst gering zu halten (Abb. 8.18). In der Zeichnung erfolgt die Zuströmung von links. Die Strömung passiert zuerst das Schnellschlussventil, das in der Skizze von oben schließt und darauf den Regelteil, der von unten angesteuert wird. Die Düsengruppenregelung der oft in Teillast betriebenen Industriedampfturbinen erfordert die separate Regelung der unterschiedlich beaufschlagten Gruppen. Traditionell wurde die Öffnungsfolge der einzelnen Regelventile durch die Länge der Spindeln, die an einem Balken pendelnd aufgehängt sind, festgelegt. Durch das Anheben des Balkens werden sukzessive die Regelventile in der vorgegebenen Reihenfolge geöffnet (Abb. 8.19). Durch gesteigerte Dampfbedingungen erhöhten sich die aerodynamischen Kräfte auf die Ventilkegel, so dass aufgrund von Fluid-Strukturinteraktion zunehmend Schäden beobachtet wurden, wie im Folgenden noch detaillierter dargestellt werden wird. Zudem ge- 8 Ventile 371 Abb. 8.19 Regelventilsatz einer Düsengruppenregelung mit Balkensteuerung Abb. 8.20 Regelventilsatz einer Düsengruppenregelung mit Schnellschlussventilen und vier einzeln steuerbaren Regelventilen unterschiedlichen Durchsatzes winnt die Dynamik der Regelung höhere Anforderungen, so dass inzwischen die einzelnen Regelventile zunehmend separat angesteuert werden. So können instabile Betriebszustände gemieden und die Öffnungsreihenfolge über die separate Steuerung entsprechend dem aktuellen Bedarf angepasst werden (Abb. 8.20). Die früher für den Einsatz in Regelstufen weit verbreiteten Balkensteuerungen mehrerer Ventile werden zunehmend durch Einzelventilsteuerungen ersetzt. Dies ermöglicht eine flexiblere Gestaltung der Öffnungsreihenfolge und der Öffnungsflächen der einzelnen Regelventile wie sie bei den zunehmenden Forderungen der Flexibilität im Betrieb erforderlich ist. Die stabilisierenden Führungshülsen um die beweglichen Kegel sind weit herabgezogen, so dass sie bei voll geöffnetem Ventil gerade noch nicht den begrenzenden Querschnitt darstellen. Aus Symmetriegründen erfolgt die Dampfzufuhr von beiden Seiten in das Vorplenum der Regelventile. Um den Einfluss der Ablösegebiete hinter den in das Plenum ragenden Spindeln zu verringern, ist das Volumen des Vorplenums groß gehalten. Beide Zuleitungen sind jeweils mit einem Schnellschlussventil mit Diffusor und Dampfsieb ausgestattet. 372 F. Joos und T. Polklas 8.3.2 Aufbau des Schnellschlussventils Bei kraftwerksseitigen Störungen, die einen schnellen Lastabwurf auf null erforderlich machen, wird eine Turbinenschnellabschaltung (TUSA, in einem Kernkraftwerk) oder ein Turbinenschnellschluss (TSS, im fossilen Kraftwerk) durchgeführt. Die Leistung des Dampferzeugers oder Kernreaktors wird schnell auf ca. 35 % der Nennleistung reduziert. Restdampf wird an die Atmosphäre und in den Kondensator abgeführt. Eine Schnellabschaltung des Dampferzeugers, die aufgrund der thermischen Spannung lebensdauerkritisch wäre, ist meist nicht nötig. Ein Schnellschlussventil (Abb. 8.21) erlaubt die schlagartige Unterbrechung der Dampfzuführung zum Maschinensatz, um ein „Durchgehen“ der Turbine zu verhindern. Um das Überdrehen der Turbine zu verhindern, werden die Ventile möglichst nahe mit minimalem Leitungsvolumen an die Dampfturbine angeordnet. Zusätzlich werden stets je zwei Rückschlagventile hintereinander angeordnet. Bei Anlagen mit Zwischenüberhitzung muss aus dem gleichen Grunde auch am Wiedereintritt des zwischenüberhitzten Dampfes in die Turbine ein sogenanntes Abfangventil angeordnet werden, das bei Lastabwurf geschlossen wird und so verhindert, dass der Leitungsinhalt des Zwischenüberhitzers sich durch die Turbine hindurch in den Kondensator entlädt. Ein zusätzliches Regelventil wird auch dazu benutzt, bei normaler Lastminderung vorübergehend den Zutritt des zwischenüberhitzten Dampfes zur Turbine zu drosseln, um dann allmählich wieder in die voll offene Lage zurückzukehren. Damit wird vermieden, dass die Leistungsabnahme infolge des Dampfinhaltes des Zwischenüberhitzers nur verzögert erfolgt, was kein stabiles Regelverhalten erlauben würde. Im Beharrungszustand sind beide Ventile stets voll offen, abgesehen von Leistungen unter etwa 30 %, wo ständig gedrosselt wird. Aus Sicherheitsgründen müssen auch zwei Abfangventile hintereinander angeordnet sein, wobei das eine aber nicht regelnd eingreift, sondern nur als Schnellschlussventil wirkt. Abb. 8.22 gibt ein Beispiel eines HD-Schnellschlussventils wieder. Das Ventil ist mit einem Dampfsieb umgeben, das Fremdkörper aus der Turbine fernhält. Der Verbund von Schnellschluss- und Regelventil weist wegen des großen Volumenstromes außerordentlich große Abmessungen auf. Erst wenn bei Überdrehzahl die normale Regelung versagt, treten die Schnellschlussventile in Aktion, was letztendlich ein plötzliches Abstellen der Anlage bedeutet. Der Schnellschluss muss daher so eingestellt sein, dass er erst bei einer Drehzahl ausgelöst wird, die leicht, d. h. etwa 7 % über der Höchstdrehzahl des regulären Volllastabschaltvorganges liegt. Aus Gründen der Betriebssicherheit erfolgt die Auslösung des Schnellschlussvorganges auch heute noch durch mechanische Drehzahlwächter (Fliehkraft), die unmittelbar die Hydraulik der Stellmotoren drucklos machen und so das sofortige Schließen der Ventile herbeiführen. 8 Ventile Abb. 8.21 Dampfturbinen Schnellschlussventil (PRUSS GmbH) 373 374 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.22 HD-Schnellschlussventil (MAN) [TRA2001] 8.3.3 Aufbau des Regelventils Die Aufgabe des Schnellschlussventils ist es, innerhalb kürzester Zeit den Durchfluss zuverlässig zu unterbinden, während die Regelventile für längere Betriebszeiten den Durchfluss abdrosseln. In der Regel sind geschlossene Schnellschlussventile dicht, während Regelventile auch im geschlossenen Zustand eine kleine Leckage aufweisen können. Sollen Ventile zuverlässig dicht sein, wird eine Schlossanordnung gewählt, d. h. zwei dichte Ventile werden hintereinandergeschaltet und die Verbindungslinie entlüftet. 8.3.3.1 Öffnungsverhalten Die Geometrie des Kegels des Regelventils in Abb. 8.24 sollte so ausgelegt werden, dass sich über den Regelbereich ein linearer Zusammenhang zwischen Öffnung und Durchsatz ergibt. Als typisches Kennfeld dieses Ventils ergibt sich der Zusammenhang des Durchsatzes von der Öffnung (Abb. 8.23). In diesem Fall ergibt sich über einen weiten Bereich ein nahezu linearer Zusammenhang zwischen Öffnung und Durchsatz. 8.3.3.2 Design des Ventilkegels Bestimmend für das Verhalten des Ventils ist die Geometrie des Ventilkegels. Halbkugelförmige Ventilkegel und deren Derivate sollen zusammen mit dem Einlassteil des Diffusors eine möglichst verlustarme Lavaldüse bilden, während zylinderförmige Ventilkegel in der Regel mit einer Abrisskante ausgebildet sind, um einen festgelegten engsten Querschnitt zu bilden, der instationäre Ablösungen im engsten Querschnitt vermeiden soll (Abb. 8.24). Um das Auftreten von fluktuierenden Ablösungen zu unterbinden, wird die Halbkugel (Abb. 8.25aI) bewusst gekürzt, um Abrisskanten zu generieren (Abb. 8.25aII und aIII) Hierbei entstehen beim Öffnen höhere Druckverluste, die sich durch Verlängerung des 8 Ventile 375 Abb. 8.23 Typisches gemessenes und berechnetes Ventilkennfeld (nach [BRÜ2014]) Abb. 8.24 Halbkugelförmiger (a) im Vergleich mit zylindrischem (b) Ventilkegel Ventilkegels zur Ausbildung einer Lavaldüse zumindest in einem weiteren Öffnungsbereich reduzieren lassen (Abb. 8.25aIV und V). Das Verschieben des Ventilkegels erfolgt durch die Spindel, die meist zuströmseitig als Zugspindel angebracht ist (Abb. 8.26). Gelegentlich wird auch eine abströmseitige Schubspindel realisiert. Im Gegensatz zu der Zugspindel drückt die Schubspindel den Ventilkegel beim Öffnen gegen den Druck im Regelventilgehäuse aus dem Ventildiffusor. Als Vorteil dieses Aufbaus wird gesehen, dass sich die Druckspannungen im Gegensatz zu Zugspannungen positiv auf die Ausfallwahrscheinlichkeit der Ventilkomponenten auswirken [ZAR2007]. Allerdings ergibt sich eine schlechtere Dichtwirkung. Die Führungshülse erlaubt eine kürzere Spindel. Der entstehende Hohlraum wird über Bohrungen vom Differenzdruck entlastet. Diese Ausgleichsbohrungen wirken im Zusammenhang mit dem Volumen zudem als aerodynamischer Dämpfer (Helmholzdämpfer), der die Druckschwankungen der Strömung vom Bauteil entkoppelt und dynamische Beanspruchungen des Ventilkegels und der Ventilspindel verringert. 376 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.25 Ventilkegel von Regelventilen; a Ventilkegelformen ohne und mit Abrisskanten (nach [HAR2003]), b Ventil mit Schalldämpfer (nach [TAJ2003]) 8.3.4 Absperrklappen Neben den oben erwähnten Konstruktionen sind aufgrund ihrer niedrigen Kosten, der einfachen Bauweise sowie des niederen Druckverlustes bei voller Öffnung auch einfache Absperrklappen als Regeleinrichtungen in Dampfkraftwerken im Einsatz. Der Durchsatz ist in einem weiten Bereich linear vom Öffnungswinkel abhängig (Abb. 8.27). Insbesondere bei Kernkraftwerken erfolgte die Dampfregelung aus Redundanzgründen mit zwei in Serie geschalteten Klappen in der Zwischenüberhitzungsleitung in Kombination mit einem Schnellschlussventil für die Notabschaltung. Insbesondere der transiente Öffnungs- bzw. Schließvorgang führt zu extremen Druckgradienten an der Klappe zwischen der entgegen der Strömungsrichtung positionierten a b Abb. 8.26 Ventilkegel mit Zug- bzw. Schubspindel; a Regelventil mit Zugspindel und Führungshülse nach [TEC2010]; b Regelventildesign mit Schubspindel nach [ZAR2007] 8 Ventile 377 Abb. 8.27 Typische Durchflusscharakteristik einer Drosselklappe Vorderkante und der in Strömungsrichtung gerichteten Hinterkante der Klappe. So fanden [MOR1989a, MOR1989b] in ihre experimentellen Untersuchungen Ablösungen, Verdichtungsstöße Rückströmungen und steile Druckgradienten um die Klappe und zeigten in [MOR1991a] experimentell den Einfluss eines stromauf gelegenen Rohrkrümmers auf die Funktion des Ventils. [ZAC2006] analysierten den Einfluss des Druckabfalles auf das abströmseitige Strömungsfeld numerisch. [DAN2000] vermaßen das fluktuierende Stellmoment einer 1D Abb. 8.28 Numerisch berechneter Druckverlauf um die Drosselklappe beim Schließvorgang [WAN2016] 378 F. Joos und T. Polklas stromab eines Rohrkrümmers befindlichen Regelklappe und fanden selbst bei voll geöffneter Klappe starke Druckschwankungen. Die Wechselwirkung zweier in Serie geschalteten Klappen wurden von [MOR1991b] experimentell verifiziert. Sie fanden eine strenge Kopplung des Einflusses in Abhängigkeit von der Strömung, vom Anströmwinkel der Klappen und vom Abstand der Klappen zueinander. [WAN2016] untersuchten numerisch den Schließvorgang bei unterschiedlichen Schließzeiten und stellten fest, dass sich im Übergang ein beachtenswerter Unterschied zwischen dem ein- und ausströmenden Dampfstrom ergibt und dass sich starke Schwankungen des Stellmomentes ergeben, Abb. 8.28. 8.4 Betrieb von Regelventilen Gerade im Teillastbereich wird ein großes Druckgefälle über die Regelventile abgebaut. Die Dissipation wird durch Strömungsinstabilitäten begleitet, die durch Druckpulsationen sowohl Lärm als auch Vibrationen verursachen. Bereits in den 1970er-Jahren ist die Problematik von im Betrieb auftretenden Vibrationen der beweglichen Teile des Regelventils aufgrund von Fluid-Struktur-Interaktion erkannt worden. Diese Fluid-Struktur-Interaktion kann in einigen Betriebsbereichen zu einer Resonanz und dadurch zu einer starken Belastung bis zum Ausfall der Komponenten des Regelventils führen. 8.4.1 Anfahr- und Abfahrverhalten Flexible und schnelle Anfahr- sowie auch Abfahrvorgänge, aber auch Notabschaltungen gewinnen zunehmend auch für Dampfkraftwerke an Bedeutung. Hierbei muss die thermische Belastung der Ventile mitberücksichtigt werden, da die transienten thermischen Spannungen die Lebensdauer der Anlage bestimmen. Über numerische FEM-Verfahren können die kritischen Zustände detailliert erfasst und gegebenenfalls verbessert werden, bevor im Betrieb die tatsächlich auftretenden Temperaturgradienten vermessen werden können. In Abb. 8.29 ist beispielsweise ein typischer Anfahrvorgang einer Turbine mit Düsengruppenregelung dargestellt. Im Zeitraum von A bis B erfolgt der Aufheizvorgang der Leitungen vom Dampferzeuger zur Ventilgruppe mit teilweiser Kondensation an den kalten Wänden. Ab dem Zeitpunkt B erreicht die Wand Siedetemperatur, so dass der Wärmeübergang vom Kondensieren auf Konvektion übergeht. Zum Zeitpunkt C öffnet das Schnellschlussventil. Der in das Ventilgehäuse strömende Dampf kondensiert im Ventilgehäuse. Nach dem Zeitpunkt D erreicht auch das Ventilgehäuse Siedetemperatur. Nach dem Zeitpunkt E öffnet das Regelventil und die Turbine beschleunigt auf Volllast. Den entsprechenden Abfahrvorgang zeigt Abb. 8.30. Bis zum Zeitpunkt A wird die Turbine bis auf ca. 10 % Leistung entlastet, woraufhin das Regelventil vollständig ge- 8 Ventile 379 Abb. 8.29 Dampfbedingungen am Hochdruckventil beim Anfahren; A–B Aufheizvorgang der Leitungen vom Dampferzeuger zur Ventilgruppe mit teilweiser Kondensation an den kalten Wänden, B heiße Leitungswände, C Öffnen Schnellschlussventil, D heiße Ventilgehäusewände, E Öffnen Regelventil (nach [XU2014]) Abb. 8.30 Dampfbedingungen am Hochdruckventil beim Abfahren (nach [XU2014]) schlossen wird. Der Wärmeübergang im Ventil und der Dampfleitung geht von der durch die Dampfströmung erzwungenen Konvektion in natürliche Konvektion über. Aufgrund der Temperaturtransienten des Dampfes ergeben sich starke Gradienten im Gehäuse die zu Verkrümmungen aber auch thermischen Spannungsrissen führen können. 380 F. Joos und T. Polklas 8.4.2 Vibrationen, Fluid-Strukturinteraktionen Instationäre Strömungsablösungen nach der Drosselstelle der Regeleinrichtung haben einen entscheidenden Einfluss auf das Auftreten von Fluid-Struktur-Interaktion mit einer Anregung der mechanischen Bauteile des Ventils. Die Frequenz und die Amplitude von Druckschwankungen im Nachlauf des Ventils sind relevant in Bezug auf eine akustische oder mechanische Resonanz [ZIA1989] sowie [NAK1988]. Die durch die pulsierenden Strahlen der abgelösten Strömung angeregten Vibrationen bzw. akustischen Resonanzen entstehenden Kräfte können zu Schäden an Bauteilen des Ventils führen. So berichten [KOS2000] über Schäden am Ventilsitz und an den Düsenboxen durch Druckpulsationen. Zudem können auch die Zu- und Ableitungen in Mitleidenschaft gezogen werden. So beschrieben [MIC2001] das Auftreten von Rissen in den Dampfleitungen durch Ermüdungsbruch. Als Maßnahme gegen eine Fluid-Struktur-Interaktion wird in der Regel das Ventildesign modifiziert, um die ursächlichen Strömungsablösungen für die Anregung zu reduzieren. Die Studie von [JON2010] zeigt, dass die Koppelung einer Strukturschwingung mit akustischen Moden zu einem Riss in einem Brennstoffregelventil des Space Shuttles führte. 8.4.2.1 Strömungsformen Verschiedenste Phänomene an Druckschwingungen hinter dem Drosselquerschnitt sowie Strukturschwingungen wurden in den letzten Jahren publiziert. Die Frequenzen und Amplituden der beobachteten Druckschwankungen im Ventildiffusor variieren je nach Betriebszustand. Sie sind sowohl von dem Öffnungsverhältnis OR D h=D, dem Druckverhältnis PR D p2 =p1 , dem Design des Ventilkegels und -diffusors, als auch vom Versuchsaufbau und -fluid abhängig. Zu beachten ist, dass Versuche, die mit Luft entsprechend der thermodynamischen Ähnlichkeit der Sr-Zahl eine deutlich geringere Frequenz, in etwa der Hälfte im Vergleich zu Messungen mit Dampf entspricht, ergeben. Prinzipiell können zwei grundlegende Strömungsarten im Diffusor hinter dem Drosselquerschnitt beobachtet werden. Zum einen tritt eine freistrahlähnliche Kernströmung mit abgelöstem Gebiet an der Diffusorwand, zum anderen eine Ringströmung mit abgelösten Kern auf der Achse auf. Der Freistrahl ist instabil und erzeugt Vibrationen beim Betrieb des Ventils. Die Ringströmung hingegen liegt stabil auf dem kompletten Umfang an der Wand des Ventildiffusors an. Diese Strömungsform ist stabil und führt zu einem vibrationsärmeren Betrieb [HEY1973]. Von [HAR2003] durchgeführte zweidimensionale CFD-Untersuchungen unterschiedlicher Ventilkegelformen (siehe Abb. 8.25a III–V) führten zu den in Abb. 8.31 dargestellten Strömungsformen. Das Ablösegebiet unterhalb des Ventilkegels ist jeweils markiert. Diese Ablösezone ist ein Indikator für die Stabilität der Ventilströmung. Erstreckt sich die zentrale Ablösung über die gesamte Länge des Diffusors, liegt eine an der Wand anliegende Ringströmung vor. Man erkennt, dass der sogenannte Cutoff-Kegel (III) für einen niedrigen Hub eine stabile Strömung für hohen Hub jedoch eine instabile Strömung produziert. Ein konkav geformter Kegel (IV) hingegen produziert bei niedrigem Hub eine instabile und bei hohem Hub eine stabile Strömung. 8 Ventile 381 Abb. 8.31 Ablösegebiete von Ventilströmungen bei unterschiedlichen Betriebszuständen und Geometrie; geringe Öffnung (jeweils links) und hohe Öffnung (jeweils rechts) [HAR2003] Beim Hybridkegel (V) als Kombination der beiden Kegelformen trat sowohl bei niedrigem, als auch bei hohem Hub eine stabile Ringströmung auf. Die Untersuchungen basieren auf einem Schadenfall an einer Dampfturbine mit Balkensteuerung mit runden Ventilkegeln (siehe Abb. 8.25a I). Es kam zum Versagen der Ventilspindel. Beim anschließenden Betrieb mit einem modifizierten Ventilkegel mit Abrisskante (Abb. 8.25a II) kam es erneut zum Abriss der Ventilspindel. Sowohl beim Ausgangsdesign, als auch beim neueren Design kam es kurz vor dem Versagen zu einem hämmernden Geräusch, was als „Rumble-strip“-Vibrationen bezeichnet wird. Diese Vibration trat kurz vor dem maximalen Öffnen des zweiten Ventils mit einer Frequenz von 30–40 Hz auf. [ZHA2004] stellten anhand von experimentellen Untersuchungen mit einem kugelförmigen Ventilkegel an einem Versuchsstand mit Luft als Fluid die in Abb. 8.32 zusammengestellten Strömungsformen im Diffusor fest. Die dargestellten Strömungsformen wurden aus Druckmessungen am Kegel und am Diffusor abgeleitet. Abb. 8.33 zeigt Betriebsbereiche in denen die unterschiedlichen Strömungsformen auftreten. Der Bereich E stellt den stabilen Betriebsbereich des Ventils mit voll durchströmtem Ventildiffusor dar. Bei kleinen Öffnungsverhältnissen traten Vibrationen im Ventil auf. In den Bereichen A, D und E treten nur Druckschwankungen mit kleinen Amplituden auf. Der Bereich C ist relevant, da hier unterschiedliche Strömungsformen einander abwechseln. Hier kann die Amplitude der Druckschwankungen bis zu 12 % des Drucks vor dem Ventil betragen. Dieser Bereich des Kennfeldes weist eine stark instabile Strömung mit hoher Amplitude auf und muss im Betrieb gemieden werden. [MOR2007] verwendeten einen mit Luft betriebenen Versuchsstand, um die Strömung in einem Drosselventil mit kugelförmigen Ventilkegel zu untersuchen. Die Besonderheit des experimentellen Aufbaus ist ein zylindrischer Nachlauf hinter der Drosselstelle. Typischerweise wäre hier ein Diffusor zur Druckrückgewinnung angeordnet. Die Experimente zeigten ein vom Autor als rotierende Druckschwankung bezeichnetes Phänomen. Diese Druckschwankungen liefen mit 75 Hz bei einem Öffnungsverhältnis von OR D 0;0325 382 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.32 Strömungsformen bei einem halbkugelförmigen Ventilkegel bei kleiner (jeweils links) und großer (jeweils rechts) Öffnung [ZHA2004] Abb. 8.33 Betriebsbereiche der Strömungsformen (nach [ZHA2004]) 8 Ventile 383 Abb. 8.34 Kategorisierung der Ablösestrukturen [ZES2016] und mit 150 Hz bei OR D 0;0142 in Umfangsrichtung um. Sie koppelten in die Struktur ein und führten zu den beobachteten Schäden. Die numerischen Untersuchungen der beobachteten Oszillationen traten in Zusammenhang mit dem akustischen Feld auf. Die Messungen von [TAJ2003] an einer 1000 MW Dampfturbine mit Regelventilen für Kernkraftwerke konzentrierten sich auf den Vergleich zweier Ventilgeometrien (siehe Abb. 8.25b) bezüglich der Frequenz der Druckpulsationen und Beschleunigung des Ventilkegels. Für das Ausgangsdesign konnten Druckschwankungen bis 2,7 bar, d. h. ca. 4,3 % des Dampfdruckes vor dem Ventil beobachtet werden. Außerdem konnte ein Maximum der Beschleunigung des Ventilkegels bei 900 Hz gemessen werden. Das optimierte Ventildesign erreichte eine deutliche Reduzierung der Druckschwankungen auf 0,7 bar, noch ca. 1,1 % bis 350 Hz und 0,18 bar, ca. 0,3 % für über 500 Hz. Das Beschleunigungsmaximum bei 900 Hz konnte um den Faktor 10 reduziert werden. [ZES2016] vermassen ein halbkugelförmiges Regelventil mit Abrisskante einer Industriedampfturbine mit Hilfe der Particle Image Velocimetry (PIV) im transsonischen Luftbetrieb. Es stellte sich in jedem Fall eine stark instationäre Strömung ein, deren Strömungsformen je nach Öffnungs- und Druckverhältnis stark unterschiedlich war. Mit niedrigeren Öffnungs- und Druckverhältnissen wandelte sich die Strömungsform von einer kompletten Durchströmung zu stark schwankenden Strömungsbereichen mit stark unterschiedlichen Geschwindigkeiten bis hin zu Rückströmungen (Abb. 8.34). 384 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.35 Betriebsbereiche der unterschiedlichen Ablösestrukturen (nach [ZES2016]) Bei hohen Druckverhältnissen um eins und hohen Öffnungsverhältnissen ist der Diffusor voll ausgefüllt. Eine eingeschränkte Ablöseblase ist im Nachlauf des Ventilkegels aufgrund der dort angebrachten Ablösekanten zu finden (Struktur A). Das Schließen des Ventils bei weiterhin Druckverhältnissen im Bereich von 0,8 bis 1 zeigt sich ein wandabgelöster zentraler Strömungsbereich der mit zunehmendem Schließen zu einem unsymmetrischen zirkulierenden Strahl ausartet (Struktur B). Erst niedrigere Druckverhältnisse führen zu einem sogenannten Wandstrahl mit rezirkulierender Kernströmung (Struktur C). Abb. 8.35 fasst die Betriebsbedingungen der einzelnen Strukturen zusammen. Es finden sich ausgedehnte Übergangsgebiete zwischen den einzelnen beobachteten Strömungsformen, die auch ein Hystereseverhalten beinhalten. [ZAR2007] berichten von Untersuchungen von Regelventilen mit Schubstange. Eine optimierte Version des Ventils zeigte Amplituden von Druckschwankungen im Ventilgehäuse und -diffusor die 2,75 % bzw. 5,1 % des Druckes im Ventilgehäuse betrugen. Die zentralen Aspekte des Ventildesigns von [TEC2010] (Abb. 8.26a) sind eine Führungshülse und Druckausgleichsbohrungen im Ventilkegel, um die Hubkräfte beim Verfahren des Ventils zu reduzieren. Messungen am Regelventil mit Dampf zeigen dominante Frequenzen bei 540–560 und 800–850 Hz beim Öffnen des Ventils. Diese Frequenzen konnten mit einem CFD-Verfahren unter Modellbildung der Fluid-Struktur-Interaktion reproduziert werden. Ursachen einer unsymmetrischen Zu- und Abströmungen des drosselnden Querschnittes können einerseits in einer seitlichen Anströmung liegen. Andererseits kann ein Versatz zwischen Ventilkegel und Ventilsitz sowie ein stationäres oder transientes Verkippen des Ventilkegels zu unsymmetrischer Zuströmung führen. [LIU2008] untersuchten eine Anordnung eines seitlich angeströmten Regelventils mit Führungshülse, wie es bei Düsengruppenregelungen Anwendung findet. Sie beschreiben, dass die Strömung im Regelventilgehäuse einen entscheidenden Einfluss auf die Stabilität der Ventilströmung hat. 8 Ventile 385 Ein Teil des Fluides umströmt die Ventilhülse und bildet eine Ablösung hinter der Hülse, so dass es zu einer inhomogenen Anströmung des Drosselquerschnittes kommt. Mittels FFT-Analyse von transienten Druckmessungen konnten dominante Frequenzen bei 1,17 und 4,3 Hz festgestellt werden Eine Vergrößerung des Ventileinlasses um 30 % änderte die dominierenden Frequenzen auf 1,56 und 2,54 Hz. Die zusätzliche Vergrößerung des Ventilauslasses um 25 % reduzierte die Frequenzen auf 0,39 und 1,76 Hz. Die Asymmetrie der Zuströmung ist selbst hinter dem kritisch durchströmten Drosselquerschnitt noch anhand einer Asymmetrie bemerkbar. Insgesamt führt eine Vergrößerung der Einund Austrittsfläche auf eine Reduktion der Asymmetrie der Strömung und damit auf eine niedrigere Frequenz der Strömungsablösung. Zusätzlich konnte eine Steigerung des Durchflusskoeffizienten um 27 % erreicht werden. Bereits 1979 führten [DEI1979] unter anderem Untersuchungen zum Einfluss der Dampfnässe auf den Betrieb eines einzelnen Regelventils durch. Sie maßen die Frequenz der Druckpulsationen mit 1250–1300 Hz für überhitzten Dampf und mit 500–600 Hz für Sattdampf. Eine zusätzliche Möglichkeit zur Erzeugung von akustischen Vibrationen stellt die Anregung durch Eindüsung von auf die Wand auftreffenden Dampfstrahlen dar, wie von [ZIA1989] bei den Untersuchungen eines beschädigten Bypassventils, von [NAK1988] bei der Untersuchung eines Druckreduktionsventils sowie von [DOM2014] für ein Regelventil berichtet wird. Die beobachteten Frequenzen liegen jeweils bei den akustischen Eigenfrequenzen der Anordnungen. Aber auch Wirbelkerninstabilitäten können zur Anregung von akustischen Eigenmoden führen [KAS2001]. Auch in Ventilen mit flachen zylinderförmigen Ventilkegeln werden unterschiedliche Strömungsablösungen beobachtet, da der Dampfstrahl nicht durch die Kegelkontur geleitet wird. So zeigten [HEY1973] in experimentellen Untersuchungen, dass die bei niedrigen Druckverhältnissen abgelösten Strömungen Lärm und Druckpulsationen verursachen. Eine weitere Anregungsquelle von Vibrationen stellt eine oszillierende Stoßwelle im Drosselquerschnitt dar. So beobachteten [STA2003] und [PLU1989] hohe strömungsinduzierte Kräfte aufgrund von fluktuierenden Stoßwellen, die im Drosselquerschnitt der Laval-Düsen-ähnlichen Öffnungskontur des Ventils standen. Durch die überkritische Strömung werden die Stoßwellen im divergierenden Teil der Düse induziert. Erlaubt die Kontur keine stabile Fixierung der Stoßwelle, so oszilliert sie und erzeugt entsprechende Druckwellen. Eine Abhilfe wäre das Ersetzen der Laval-Düsen-ähnlichen Kontur durch eine lediglich konvergierende Düse, was zu einer deutlichen Beruhigung der Druckpulsationen führte [STA2003]. 8.4.2.2 Strömungsablösungen Die in der Regel instationär auftretenden Ablösestrukturen bewirken fluktuierende Druckkräfte auf den Ventilkegel Die auftretenden Strukturen wurden von [CLA2014] und [CLA2011] experimentell und numerisch untersucht. Die Ablösegebiete wandern sowohl in Umfangsrichtung oft überlagert mit axialen Verschiebungen des Ablösepunktes. In der Projektion der Diffusorströmung auf eine wandnahe Ebene finden sich verschiedenste kritische Punkte, die einerseits ineinander übergehen und andererseits 386 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.36 Berechnete Momentaufnahme der auf eine wandnahe Ebene projizierten Strömung im Diffusor ab dem engsten Querschnitt mit kleinem Öffnungsverhältnis 6 % und unterkritischem Zustand [CLA2014] umfangsmäßig rotieren (Abb. 8.36). Sie können entsprechend dem einleitenden Kapitel kategorisiert werden. Die auftretenden Strukturen werden, wie bereits in Abb. 8.33 und Abb. 8.36 dargelegt, einerseits durch die Betriebsbedingungen sowie andererseits durch das Öffnungsverhältnis des Ventils bestimmt. 8 Ventile 387 8.4.2.3 Stationäre und instationäre Strömungskräfte Die Auswirkungen der fluktuierenden Strömung auf die Struktur kann über die Druckwirkungen zu starken Querkräften führen, die beim Öffnen den Ventilsitz beschädigen oder sogar die Spindel abreißen können. Versuche unter Originalbedingungen sind wegen der hohen Dampfzustände in der Regel schwierig. So bleiben Versuche unter reduzieren Bedingungen oder numerische Untersuchungen. Unter Zuhilfenahme des modifizierten SAS-F (ZFLES) Turbulenzmodells führten [DOM2014] eine numerische Studie an Ventilen mit zylinderförmigen Ventilkegel durch, die instationäre Querkräfte auf den Ventilkegel unter verschiedenen Betriebszuständen bei unterschiedlichen Öffnungsverhältnissen zu bestimmen. Die Fluid-Struktur Interaktion wird über das berechnete Druckfeld bestimmt, das durch verschiedene akustische Moden dominiert wird. Je nach Betriebszustand stellte sich eine vollständige Durchströmung ein. Alternativ kam es zu einer anliegenden Außen- oder abgelösten Kernströmung. Bei gewissen Betriebsbedingungen trugen die akustischen Pulsationen signifikant zu den dynamischen Kräften auf den Ventilkegel bei. Die Kavität hinter dem Kegel wurde bei der vollen Durchströmung, wie auch bei der anliegenden Wandströmung akustisch angeregt, wobei die Schwingung durch die instabile Grenzschicht verstärkt wurde. Die hierdurch angeregten dynamischen Kräfte können durch die Optimierung des Ventilkegels oder durch die Stabilisierung der Grenzschicht abgeschwächt werden. Die anliegende Strömung regte unter gewissen Bedingungen den ersten radialen akustischen Mode an, die zu starken transversalen Kräften auf den Kegel führt. Die Intensität schien mit dem Druckverhältnis korreliert. Sobald ein Druckverhältnis erreicht wurde, das auf ein Anliegen der Strömung führte, erhöhte sich die transversale Kraft erheblich. Bei der partiell anliegenden Strömung kurz vor dem Anliegen traten die höchsten Kräfte auf. In ihrer numerischen Studie untersuchten [DOM2016] die Wechselwirkung zwischen Strömung und Ventilkegelstruktur. Bei anliegender Strömung wird die Bewegung des Ventilkegels durch eine einzelne angeregte Frequenz dominiert. Die akustische Mode wird durch die Grenzschicht zwischen der an der Wand anliegenden Strömung und der Rückströmung auf der Achse des Diffusors angeregt. Die die Fluid-Struktur Wechselwirkung berücksichtigende Rechnung zeigt lediglich niedrige Amplituden sowie ein unsymmetrisches Ausweichen des Kegels. Löst die Strömung asymmetrisch ab, was insbesondere im Hysteresegebiet (Abb. 8.37) auftritt, steigen die angeregten axialen und transversalen Kräfte um über 40 % an. Die asymmetrische Ablösung führt auch zu einer unsymmetrischen Druckverteilung im Ventil. Der Ablösepunkt selbst ist nicht fest, sondern bewegt sich. Dies kann jedoch nur durch eine Zwei-Wege Kopplung der Fluid-Struktur Wechselwirkung beschrieben werden. Sobald die Ablösung über den gesamten Umfang auftritt, wird die angeregte Kraft leicht reduziert. Die Auswirkungen der Zwei-Wege Kopplung weist eindeutig darauf hin, dass die Vibrationen auch das Strömungsfeld beeinflussen. 388 F. Joos und T. Polklas Abb. 8.37 Numerisch bestimmter Stabilitätsbereich eines Ventils mit zylinderförmigem Ventilkegel (nach [DOM2016]) 8.4.3 Betrieb des Schnellschlussventils Um ein Überdrehen der Turbine bei Lastabwurf zuverlässig zu vermeiden, muss das Schnellschlussventil innerhalb weniger als 300 ms geschlossen werden. Dies erfordert eine starke Beschleunigung beim Einleiten des Schließvorgangs wie auch eine extreme Verzögerung am Ende, ohne Beschädigung der Oberflächen. Hierzu muss viel kinetische Energie der Schließspindel umgewandelt werden. Um die Beschädigung der Ventilteile zuverlässig zu verhindern, wird die kinetische Energie in einem Puffersystem dissipiert, das einen entscheidenden Beitrag zur Dynamik des Ventiles spielt. Der Schließprozess muss letztendlich im Experiment validiert werden, auch wenn er über CFD numerisch simuliert werden kann [XIA2016]. Die Autoren untersuchen das Puffersystem numerisch, um die maßgeblichen Größen zur Beeinflussung der Schließzeit zu identifizieren, Abb. 8.38. Das Schnellschlussventil wird im Regelfall über einen hydraulischen Servomotor geöffnet und geschlossen. Der Kolben des Servomotors ist direkt mit der Ventilspindel gekoppelt. Das Ventil wird durch den aufgebrachten Öldruck geöffnet und durch Abb. 8.38 Schema eines Schnellschluss-Puffersystems nach [XIA2016] Literatur 389 Abb. 8.39 Zeitlicher Verlauf der Stempelstellung des Schließvorganges eines Schnellschlussventils nach [XIA2016] eine hierdurch vorgespannte Feder geschlossen. Um im Notfall die geforderte hohe Schließgeschwindigkeit zu erzielen, müssen die bewegten Teile stark beschleunigt und kurz vor dem Schließen über ein Puffersystem entsprechend abgedämpft werden [DAN1993, HON1984]. Zur Notabschaltung aktiviert das Regelsystem die Magnetspulen die den Öldruck des Öffnungskolbens schnell absenken, so dass die Ventilspindel beschleunigt wird, bis sie sich im Gleichgewicht mit dem Öldruck und den Reibungskräften mit seiner höchsten Geschwindigkeit bewegt. Die Federkraft lässt bekanntermaßen mit zunehmender Entspannung nach. Neben dem experimentellen Funktionsnachweis wurde der Schließvorgang durch verschiedene mathematische Modelle beschrieben [HON1984, LIA2009] sowie [JIH2015]. Hierzu müssen jedoch einzelne Koeffizienten, wie beispielsweise der Durchflusskoeffizient und das Zu- und Abströmen des Puffers zeitaufwendig experimentell bestimmt werden. [XIA2016] beschreiben das Puffersystem detailliert mit Hilfe eines transienten CFD-Modells mit guter Übereinstimmung mit den Messwerten (Abb. 8.39). Der momentan berechnete Durchflusskoeffizient hängt stark vom jeweiligen Öffnungszustand des Ventils ab. Literatur [BAE2002] Baehr, H.D.: Thermodynamik, 11. Aufl. 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Die Energieumsetzung erfolgt in den Stufen einer Dampfturbine in der Beschaufelung, und die strömungstechnisch-thermodynamische Auslegung der Beschaufelung steht zu Beginn jeder Entwicklung einer Dampfturbine. Diese muss durch eine entsprechende strukturmechanische Analyse ergänzt werden, um die Festigkeits- und Lebensdaueranforderungen zu erfüllen. In den vorangegangenen Kap. 2 bis 6 wurden die Grundlagen der Energieumsetzung in der Beschaufelung unter verschiedenen Blickwinkeln vorgestellt. Im hier vorliegenden Kapitel werden spezielle Aspekte und Besonderheiten der Beschaufelung von Dampfturbinen behandelt. Der Rotor- und Gehäuseaufbau wird im nachfolgenden Kap. 10 detailliert behandelt. Grundsätzlich lässt sich zwar die Auslegung der Beschaufelung nicht unabhängig von der des Gehäuses und des Rotors durchführen, doch ist aufgrund der Komplexität eine entsprechende Kapitelunterteilung sinnvoll. S. aus der Wiesche () Fachhochschule Münster Steinfurt, Deutschland E-Mail: wiesche@fh-muenster.de © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. aus der Wiesche, F. Joos (Hrsg.), Handbuch Dampfturbinen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20630-7_9 395 396 9.1 S. aus der Wiesche Übersicht und Einordnung In Abb. 9.1 ist zur Illustration des in diesem Kapitel behandelten Gegenstandes eine beschaufelte Welle einer Industriedampfturbine gezeigt. In Abb. 9.1 ist die erste Stufe (rechts) als Regelstufe ausgeführt. Anschließend folgen verschiedene Stufengruppen, wobei die Mehrzahl der Laufschaufelreihen mit Deckbändern ausgeführt ist. Zwischen den Stufengruppen können Entnahme- oder Anzapfstellen vorgesehen werden. 9.1.1 Klassifizierung Die Beschaufelung einer Dampfturbine kann nach verschiedenen Gesichtspunkten klassifiziert werden. Von einem strömungstechnischen Standpunkt aus können Stufen aufgrund ihres Reaktionsgrads unterschieden werden, was sich direkt auf die Schaufelprofile auswirkt. Die klassisch im Turbinenbau eingesetzten Profiltypen kann man nach Dejc und Trojanovskij [DEJ1973] generell wie folgt klassifizieren: Überdruck-Leitgitter (fest) und Laufgitter (umlaufend) Gleichdruck-Laufgitter und Gleichdruck-Umlenkgitter Die Schaufeln der Überdruck und Gleichdruck-Stufen fallen in die erste Kategorie. CurtisStufen bedienen sich Schaufeln der zweiten Kategorie (siehe Kap. 2). Innerhalb dieser Profiltypen werden die Gitter noch nach der Mach-Zahl Ma am Ein- und Austritt unterteilt: Abb. 9.1 Beschaufelte Welle einer Industriedampfturbine (Werkbild MAN) 9 Beschaufelung 397 Abb. 9.2 Kreisgitter großer Fächerung mit radial gestellten Schaufeln und Darstellung dreidimensionaler Strömungsstrukturen (aus [DEJ1973]) Unterschallgitter (Ma < 1) Schallnahe Gitter, auch transsonische Gitter genannt (1 < Ma < 1;2 bis 1,3) Überschallgitter (Ma > 1;2) Im einfachen Fall besteht die Schaufel nur aus dem in die Höhenrichtung extrudierten zweidimensionalen Profil. Man spricht dann auch von einer zylindrischen Beschaufelung. Der Sonderfall eines linearen Schaufelgitters liegt bei kleinen Verhältnissen H=D 1 von Schaufelhöhe H zu Stufendurchmesser D vor. Bei größeren Werten von H=D spricht man auch von Kreisgittern mit großer Fächerung. Deren Strömungsstruktur ist durch ausgeprägte dreidimensionale Effekte gekennzeichnet. In Abb. 9.2 sind ein Gitter mit großer Fächerung und dreidimensionalen Strömungsverhältnissen dargestellt. In den Endstufen von Kondensationsdampfturbinen können noch wesentlich größere Fächerungen, als in Abb. 9.2 gezeigt, auftreten. Um einen hohen Stufenwirkungsgrad zu erzielen, muss man bei der Auslegung der Schaufelform der Dreidimensionalität der Strömung Rechnung tragen. Es ist offensichtlich, dass bei Kreisgittern großer Fächerung die einfachen radial gestellten zylindrischen Schaufelformen zu nur mäßigen Stufenwirkungsgraden führen. Viele Turbinenschaufeln sind daher nicht nur durch ein zweidimensionales Profil, sondern durch eine dreidimensionale Form gekennzeichnet. In Abb. 9.3 sind die Schaufeln gekrümmt gestellt, was auf ein dreidimensionales Kreisgitter führt. Bereits in den 1960er-Jahren wurden am Moskauer Energetischen Institut (MEI) unter Anleitung von M. E. Dejc gekrümmte („säbelförmige“) Gitter für minimale Verluste untersucht. In Abb. 9.3 ist exemplarisch die Verteilung des Reaktionsgrades über die relative Schaufelhöhe (l= l1 ) für verschiedene Konfigurationen dargestellt. Man erkennt, dass die Stellung der Schaufeln einen großen Einfluss auf die Verteilung des Reaktionsgrads entlang der Schaufelhöhe hat. Durch die Krümmung der Schaufeln lassen sich gegenüber der radialen Grundanordnung günstigere Verhältnisse hinsichtlich der Strömungsverluste realisieren. Diese Erkenntnisse konnten im Dampfturbinen- 398 S. aus der Wiesche Abb. 9.3 Gitter großer Fächerung mit gekrümmten Schaufeln und schematische Verteilung des Reaktionsgrads über die relative Schaufelhöhe: 1 radial gestellte Schaufeln, 2 in Strömungsrichtung geneigte Schaufeln, 3 gekrümmte („säbelförmige“) Schaufeln (aus [DEJ1973]) bau allerdings wegen der fertigungstechnischen Einschränkungen nur wesentlich später praktisch umgesetzt werden. Die frühen Ergebnisse des MEI blieben daher längere Zeit nur eher akademischer Natur, bis computergestützte Fertigungsverfahren in den 1990erJahren verfügbar waren. Die heutige Dampfturbinenbeschaufelung ist in hocheffizienten Ausführungen bereits von den ersten Hochdruckstufen an dreidimensional. Ein Beispiel für eine moderne, optimierte Beschaufelung zeigt Abb. 9.4. Obgleich dreidimensionale Beschaufelungen heute allgemein verfügbar sind, bedeutet dies noch längst nicht das Ende der zylindrischen Beschaufelung in der Praxis. Üblicherweise werden Industriedampfturbinen noch immer mit einer zylindrischen Beschaufelung, wie in Abb. 9.1 gezeigt, ausgeführt. Der Grund hierfür ist durch die Gesamtkosten für den Betreiber gegeben. Für Dampfturbinen in Großkraftwerken, die einen hohen Wirkungsgrad zur Minimierung der Betriebskosten aufweisen sollen, lohnt sich die Investition in die teurere, dreidimensionale Beschaufelung. Bei Industriedampfturbinen sind oft die Wirkungsgrade von geringerer Bedeutung, da die Investitionskosten eine größere Rolle spielen. In einem solchen Fall ist die Ausführung der Dampfturbine mit einer einfachen zylindrischen Beschaufelung wirtschaftlich sinnvoller. Die höheren Kosten bei der dreidimensionalen Beschaufelung werden vor allem durch die Leitgitter verursacht. Es können zwar heute kosteneffizient dreidimensionale Einzelschaufeln gefertigt werden, doch sind dreidimensionale Leitgittersegmente noch immer relativ teuer. Da eine Wirkungsgradsteigerung aber nur bei gleichzeitiger Verwendung von dreidimensionalen Leit- und Laufschaufeln realisiert werden kann, sind entsprechende Stufen noch immer relativ teuer. Dreidimensionale Beschaufelungen werden meist nur für einen bestimmten Betriebspunkt hin optimiert, was für Großkraftwerksdampfturbinen meist gut erfüllt ist. Bei vielen Industriedampfturbinen ist hingegen der Teillastbetrieb relevant. Eine besondere Bedeutung weisen Endstufen von Kondensationsdampfturbinen auf. Wegen der großen Zunahme des spezifischen Volumens v des Dampfes bei niedrigen Drücken müssen in Endstufen große Volumenströme verarbeitet werden. Dies führt zwangsweise auf große Strömungsquerschnitte mit entsprechend langen Schaufeln. Die Konstruktion hochwertiger Schaufeln für Endstufen ist aufgrund der schwierigen strömungstechnischen Verhältnisse und der großen strukturdynamischen Herausforderungen 9 Beschaufelung 399 Abb. 9.4 Moderne dreidimensionale Beschaufelung (Bauart Siemens AG) sehr anspruchsvoll. Erschwerend kommt hinzu, dass solche Schaufeln erst in ihrem praktischen Einsatz wirklichkeitsgetreu getestet werden können, da entsprechende Versuchsturbinen oder Prüfstände meist nicht verfügbar sind. In der Regel entwickeln daher Hersteller firmeninterne Standard-Endschaufeln, die nach erfolgreichem Einsatz in verschiedenen Dampfturbinen eingesetzt werden. Die klassische konstruktive Lösung für Gitter großer Fächerung besteht in der Verwendung von verwundenen Schaufeln. Da mit wachsendem Radius die Umfangsgeschwindigkeit zunimmt, werden in diesem Fall die Schaufelwinkel entsprechend angepasst, so dass eine verwundene Schaufelform resultiert. In der Regel müssen auch die entsprechenden Profile angepasst werden, so dass solche Schaufeln auch eine Verjüngung aufweisen. Ein älteres Ausführungsbeispiel für eine verjüngte und verwundene Schaufel zeigt Abb. 9.5. In diesem Fall wurde die Schaufel radial gestellt und ein konisches Verjüngungsgesetz gewählt. Diese Form wurde bereits sehr früh im Dampfturbinenbau eingesetzt, worüber beispielsweise Kearton [KEA1956] informiert. Ein älteres Beispiel für eine verwundene Laufschaufel für die Endstufe einer großen Kondensationsdampfturbine mit 600 MW Leistung und einer Drehzahl von 3000 min1 zeigt Abb. 9.6. An der Blattspitze wird lokal Überschallgeschwindigkeit erreicht. Eine Ausführung von modernen verwundenen Schaufeln zeigt Abb. 9.7. Es handelt sich hierbei um Laufschaufeln für die Endstufen von großen Kraftwerksturbinen, die bis über 1600 MW Nennleistung aufweisen können. Wegen der großen Massendurchsätze werden trotz einer mehrflutigen Bauweise der ND-Teile dann sehr große Schaufellängen von knapp 2 m erforderlich. Wegen der hohen Fliehkraftbelastungen sind die in Abb. 9.7 gezeigten Schaufeln aus Titan gefertigt. Zur Reduzierung der Schaufelschwingungen weisen die sehr langen Schaufeln Kopplungselemente (sog. Arkaden) auf. Anhand der in Abb. 9.7 gezeigten Schaufeln ist das Prinzip der skalierten Beschaufelung, d. h. der Anwendung der Ähnlichkeitstheorie, gut illustriert. Trotz dieses Prinzips ist aber die Entwicklung einer neuen Endschaufel für Hersteller immer mit einem 400 Abb. 9.5 Konisch verwundene Laufschaufel (Bauart Blohm & Voss, ältere Ausführung aus den 1960er-Jahren) Abb. 9.6 Verwundene Laufschaufeln für die Endstufe einer großen Kondensationsdampfturbine (Bauart BBC, ältere Ausführung um 1970) S. aus der Wiesche 9 Beschaufelung 401 Abb. 9.7 Moderne verwundene Laufschaufeln für die Endstufen großer Kernkraftwerksturbinen (Bauart GE) großen Risiko verbunden, da wesentliche physikalische Effekte, wie das Bruchverhalten, nicht exakt skalierbar sind. 9.1.2 Gitterbezeichnungen Die wesentlichen Gittergeometriedaten der Beschaufelung und die Nomenklatur der Schaufelgitter können Abb. 9.8 entnommen werden. Die Zuströmung für das in Abb. 9.8 gezeigte Schaufelgitter erfolgt mit der Geschwindigkeit c1 und dem Zuströmwinkel ˛1 . Die Abströmung wird durch c2 und dem mittleren Abströmwinkel ˛2 bezeichnet. Für Leitschaufeln werden die Absolutgeschwindigkeiten und für Laufschaufeln die Relativgeschwindigkeiten verwendet. Bei der strömungstechnischen Untersuchung eines linearen Schaufelgitters, das in der Testsektion eines Windkanals platziert ist, können somit auch Laufschaufeln betrachtet werden. In diesem Fall muss die Zuströmung auf das während der Versuchsdurchführung feste Schaufelgitter so gewählt werden, wie es der Relativgeschwindigkeit im späteren Einsatz in der Turbine entspricht. Die einzelne Schaufel ist durch die Sehnenlänge l und eine axiale Sehnenlänge (Breite) b sowie die Schaufelhöhe H charakterisiert. Die Schaufel weist üblicherweise eine gekrümmte Skelettlinie auf. Durch die Vorgabe der Dickenverteilung t als Funktion der Koordinaten x und y bzw. des Abstandes a wird das Profil der Schaufel bestimmt. In Abb. 9.8 ist ein typisches, dickeres Profil 402 S. aus der Wiesche Abb. 9.8 Geometriedaten der Beschaufelung und Nomenklatur für eine Dampfturbine gezeigt. Die Skelettlinie weist gegenüber der Referenzrichtung die beiden Metallwinkel ˛10 und ˛20 auf. Diese stimmen im Allgemeinen nicht mit den Strömungswinkeln ˛1 und ˛2 überein. Weiterhin bezeichnet den Staffelwinkel (auch Staffelung genannt) des Schaufelgitters. Die Schaufeln haben den Abstand s, der auch als Teilung des Gitters bezeichnet wird. Man bezeichnet i D ˛1 ˛10 als Anstellwinkel (Inzidenz) und ı D ˛2 ˛20 als Ablenkung der Strömung. In der Literatur existiert weder für die gewählten Symbole, noch für die Referenzrichtung bzw. der Zählweise der Winkel eine einheitliche Festlegung. In Abb. 9.8 wurde die Konvention der Winkel wie in [DIX2010] übernommen. 9.1.3 Aufbau von Stufen und Reaktionsgrad Wie in den vorhergehenden Kap. 2 und 4 erläutert, unterscheidet man traditionell zwischen Gleichdruckstufen (auch Aktionsstufen genannt) und Überdruckstufen (auch Reaktionsstufen genannt). In Abb. 9.9 ist ein Schnittbild einer typischen Gleichdruckstufe mit einem einkränzigen Gleichdruckrad (A-Rad) gezeigt. Der Aufbau einer Curtis-Stufe ist in Abb. 9.10 erläutert. Die Curtis-Stufe gehört ebenfalls zu den Gleichdruckstufen, d. h. sie weist im mehrkränzigen Laufrad keine signifikante Expansion, sondern nur eine (mehrfache) Umlenkung auf. In einer Gleichdruckstufe können relativ große Gefälle verarbeitet werden. Eine Hintereinanderschaltung von Gleichdruckstufen ist als Rateau- oder Zoelly-Turbine bekannt. In diesem Fall werden anstelle der Düse Leitschaufeln verwendet, die zur schlanken Welle hin mit Zwischenböden abgedichtet werden (siehe auch Kap. 2). Bei der Laufschaufel treten in einer Gleichdruckstufe kleinere Spaltverluste auf. Auch ist der Schub auf den Rotor wesentlich geringer, als bei einer Überdruckstufe. Da es streng genommen aber keine idealen Gleichdruckstufen gibt, sondern nur Schwachreaktionsstufen, treten allerdings auch bei solchen Stufen stets gewisse Axialschübe auf. 9 Beschaufelung 403 Abb. 9.9 Schnittbild einer typischen Gleichdruckstufe (aus [VGB1983]): 1 Turbinengehäuse; 2, 3 Stemmmaterial; 4 Dichtband; 5 Laufschaufel; 6 Laufscheibe; 7 Stemmstück; 8 Düsensegment; 9 Düse (Leitapparat); 10 Druckausgleichsbohrung Abb. 9.10 Gleichdruckstufe mit einem mehrkränzigen Curtis-Rad (aus [VGB1983]): 1 Turbinengehäuse; 2 Düse; 3 Düsensegment; 4 Stemmmaterial; 5 Leitschaufel (Umleitschaufel); 6 Stemmmaterial; 7 Dichtband; 8 Laufschaufel; 9 Turbinenwelle; 10 Stemmstück Eine typische Überdruckbauweise ist in Abb. 9.11 illustriert. Die Leit- und Laufschaufeln haben bei einer traditionellen Überdruckstufe mit einem Reaktionsgrad von 50 % gleiche Profile. Da bei einer Überdruckstufe Spaltverluste sowohl für Leit- als auch Laufschaufeln auftreten, wird meist auch das Dichtungskonzept vergleichbar ausgeführt. Bei 404 S. aus der Wiesche Abb. 9.11 Überdruckstufen mit Dichtbändern (aus [VGB1983]): 1 Turbinengehäuse; 2 Leitschaufel; 3 Dichtband; 4 Laufschaufel; 5 Dichtband; 6 Stemmstück; 7 Turbinenwelle; 8 Stemmdraht dem in Abb. 9.11 gezeigtem Beispiel wurden Schaufeln mit Deckbändern eingesetzt. Als Dichtspiel bezeichnet man den kleinen Spalt zwischen den Dichtblechen und den soliden Gegenkomponenten. Wegen des nicht unerheblichen Schubes werden Überdruckstufen mit einer trommelförmigen Welle ausgeführt. Zur Reduzierung des Schubes ist ein Ausgleichskolben erforderlich (wenn keine doppelflutige Bauweise mit direktem Schubausgleich vorliegt). 9.1.4 Quasi-Repetierstufen Wegen der üblicherweise großen Anzahl von Stufen in einer Dampfturbine, siehe Abb. 9.1, liegt es nahe, alle Stufen nach einem einheitlichen Konzept aufzubauen. Dieser Gedanke führt in letzter Konsequenz auf sog. Repetierstufen, die durch die folgenden Bedingungen [DIX2010] definiert sind: 9 Beschaufelung 405 konstanter Stufendurchmesser D Eintrittswinkel in die Stufe gleich Austrittswinkel (˛1 D ˛3 ) konstante Axialgeschwindigkeit Prinzipiell kann auch eine einzelne Stufe die obigen Bedingungen erfüllen. Man spricht dann auch von einer Normalstufe. Die Übertragung des Konzepts der Repetierstufen auf Dampfturbinen stößt allerdings wegen der starken Zunahme des spezifischen Volumens v bei der Entspannung an Grenzen. Die Forderung nach einem konstanten Stufendurchmesser D entlang des Dampfpfades führt neben wachsenden Schaufellängen direkt auch zu abnehmenden Wellendurchmessern. Letzteres ist nur in engen Grenzen bei einer Dampfturbine umsetzbar. Eine Umgehung des Problems der abnehmenden Wellendurchmesser bei Repetierstufen ist durch die Einführung von Quasi-Repetierstufen möglich. Bei einer QuasiRepetierstufe fordert man, dass die dimensionslose Abströmgeschwindigkeit aus allen Stufen konstant und gleich der dimensionslosen Zuströmgeschwindigkeit zur jeweils folgenden Stufe sein soll. Dies bedeutet, dass für jede Stufe (I, II, . . . , N) mit der Eintrittsebene 1 und der Austrittsebene 3 die Bedingung D3 D1 D I D3 D1 D ::: D II D3 D1 D konstant (9.1) N gelten muss. Gl. 9.1 führt unmittelbar auf den geometrischen Zusammenhang D3;N D D1;I D3 D1 N (9.2) für den Austrittsdurchmesser D3;N der N-ten Stufe und dem Eintrittsdurchmesser D1;I der ersten Stufe sowie dem konstanten Stufendurchmesserverhältnis D3 =D1 . Dies ergibt gleiche Geschwindigkeitsverhältnisse u2 D2 D u3 D3 und c1 D1 D c3 D3 (9.3) und führt auf ein konstantes Verhältnis cm =u in allen Ebenen, d. h. cm2 u3 cm3 D D '3 D '2 u2 u3 u2 bzw. '3 D '2 D3 D2 D '1 : D2 D1 (9.4) Analog zur Durchflusskenngröße ' sind auch die Enthalpiekenngröße und der Reaktionsgrad für Quasi-Repetierstufen gleich (siehe auch nachfolgenden Abschn. 9.2.1). 406 S. aus der Wiesche 9.2 Strömungstechnische Auslegung der Beschaufelung Die Turbomaschinenauslegung erfolgt heute überwiegend mit Hilfe von numerischen Verfahren, die auf ein umfangreiches Erfahrungswissen und einer Vielzahl von experimentellen und numerischen Daten beruhen (siehe Kap. 6). Zu Beginn der Dampfturbinenauslegung sind in der Regel nur die Drehzahl n und einige thermodynamische Ein- und Austrittswerte aus einer Dampfkraftprozessrechnung bekannt. Im ersten Schritt müssen die Hauptabmessungen der Turbine und ihrer Beschaufelung abgeschätzt werden. Dieser Schritt (preliminary turbine design, siehe [DIX2010]) kann noch weitgehend mit Hilfe von analytischen Ausdrücken und überschlägigen Beziehungen durchgeführt werden. Zusammen mit den zu Beginn gegebenen Werten liegen damit alle Eingangsdaten für den Hauptauslegungsprozess vor. Der Hauptauslegungsprozess kann nur noch rechnergestützt erfolgen, da eine Vielzahl von Randbedingungen und Koppelungen zwischen den Auslegungsgrößen zu beachten sind. In der Regel erfolgt diese Auslegung iterativ, was noch weiter unten ausgeführt wird. Trotz der großen Fortschritte auf dem Gebiet der dreidimensionalen numerischen Strömungsmechanik (Computational Fluid Dynamics CFD) dominieren im Hauptauslegungsprozess noch immer die klassischen eindimensionalen (1D) Mittelschnitt- bzw. Mehrschnittverfahren (Duct-flow- und Through-flow-Verfahren), da selbst moderne CFDMethoden erst unter Vorlage eines geeigneten Ausgangsmodells praxistaugliche Resultate in einer vertretbaren Rechenzeit liefern können [DIX2010]. Der große Vorteil bei 1DVerfahren liegt darin, dass nur wenige Schaufelgitterkenngrößen gegeben werden müssen und dass ihre sehr kurzen Rechenzeiten detaillierte Parameterstudien und eine Optimierung ermöglichen. Die Energieumsetzung und die Verluste in den Stufen werden bei dem 1D-Mittelschnittverfahren auf einen repräsentativen Stromfaden mit dem Radius rm bezogen. Dieser Radius wird oft als einfacher geometrischer Mittelwert rm D rh C rt 2 (9.5) aus den Radien rh und rt für Nabe (hub) und Schaufelspitze (tip) gebildet. Eine etwas andere Definition beruht auf einer Flächenmittelung, was auf s rm D rh2 C rt2 2 (9.6) anstelle von Gl. 9.5 führt. In der Praxis sind die Unterschiede zwischen Gl. 9.5 und 9.6) meist gering. Der mittlere Stromfaden verläuft vom Eintritt bis zum Austritt und entlang dieses Fadens werden an relevanten Stellen (Rechenstationen) die physikalischen Größen ausgewertet bzw. berechnet. Im Rahmen der Hauptauslegung können die Resultate von detaillierten CFD-Analysen oder Gitterwindkanalversuche effizient in 1D-Verfahren als Eingangsdaten oder als Korrelationen einfließen. Da jedes CFD-Verfahren wiederum mit Hilfe von geeigneten experimentellen Daten validiert werden muss, stellen das 9 Beschaufelung 407 Versuchswesen und insbesondere Gitterwindkanalversuche letztendlich immer noch das Fundament jeder Auslegung dar. 9.2.1 Vorläufige Abschätzung der Hauptabmessungen (preliminary design) Als Ergebnis der thermodynamischen Kreisprozessrechnung sind die Leistung P und der Massendurchsatz m P der Dampfturbine zu Beginn als bekannt anzusehen. Durch die spätere Auslegung können diese Werte zwar auch noch modifiziert werden, aber die vorläufige Abschätzung der Hauptabmessung beginnt mit diesen übergeordneten Eingangsdaten. Mit Hilfe der Last- oder Arbeitsziffer (loading coefficient) D hSt u2 (9.7) und der Umfangsgeschwindigkeit u D 2 nrm der Stufe kann die Anzahl N der erforderlichen Stufen der Turbine nach P N (9.8) m P u2 abgeschätzt werden. In der Vergangenheit wurde häufig für alle Stufen eine konstante Lastziffer angenommen, deren Wert sich wiederum aus der traditionellen Aufteilung der Turbinen in Gleichdruck- und Überdruckturbinen ergab. Insbesondere bei sehr hohen Frischdampfparametern kann es aber günstiger sein, in den ersten Stufen mehr Enthalpiegefälle zu verarbeiten. Auch können Verlustüberlegungen dazu führen, dass man eine Veränderung der Lastziffer über die Stufen bewusst wählt. Dies ist schematisch anhand von Abb. 9.12 gezeigt, bei der für eine vielstufige Hochdruckdampfturbine die Temperatur T über die Stufen für verschiedene Verläufe der Lastziffer dargestellt ist. Bei diesem Beispiel würde die durchgängige Festlegung D 1 auf die Stufenanzahl N D 20 führen. Wählt man zunächst höher, dann baut sich die Temperatur wegen des höheren Stufengefälles rascher ab und die Anzahl der benötigten Stufen reduziert sich auf 17. Je höher die Lastziffer im Mittel gewählt wird, desto schneller baut sich die Temperatur ab, was thermisch hochbelastete Bauteile entlastet. Auch sinkt dadurch die Anzahl N der benötigten Stufen, was Aufwand und Kosten der Turbine reduziert. Zwar steigen die Verluste bei höher belasteten Stufen tendenziell an, aber diese können in nachfolgenden Stufen teilweise wiedergewonnen werden (siehe Kap. 3). Anhand einer Gesamtoptimierung kann dann ein günstiger Verlauf der Lastziffer entlang des Dampfpfades ermittelt werden. Bereits an diesen Überlegungen erkennt man, dass die Auslegung einer Turbine iterativ erfolgt: Die Resultate aus einer Auslegungsrechnung basieren auf Eingangsdaten, die erst nach Abschluss der Berechnung festliegen und bewertet werden können. Wegen der unterschiedlichen Anforderungen und der wirtschaftlichen Randbedingungen können die Hauptabmessungen einer Turbine erst am Ende einer mehrfach 408 S. aus der Wiesche Abb. 9.12 Schematischer Verlauf der Lastziffer (a) und der zugehörigen Temperaturabfälle T (b) entlang der Stufenanzahl N für verschiedene Auslegungen wiederholten Auslegungsrechnung und einer entsprechenden Optimierung bestimmt werden. Als entscheidende Nebenbedingungen für diese Optimierung müssen wirtschaftliche Ziele beachtete werden. So kann beispielsweise die Verwendung von Gleichteilen für Gehäuse oder Leitschaufelträger den zulässigen Lösungsraum für die thermodynamischströmungstechnischen Größen stark bestimmen. Die Stufenanzahl wird auch durch die mittlere Umfangsgeschwindigkeit u bestimmt, siehe Gl. 9.7. Diese hängt bei Dampfturbinen, die als Generatorantrieb dienen, von der Netzfrequenz f und dem Radius rm ab. Der Radius bzw. die Umfangsgeschwindigkeit kann wegen der Fliehkraftbelastungen nicht beliebig gesteigert werden, auch wenn eine hohe Umfangsgeschwindigkeit u die Stufenanzahl N reduziert. Eine weitere Begrenzung der Umfangsgeschwindigkeit kann durch die maximal zulässige Mach-Zahl der Strömung gegeben sein (insbesondere bei transsonischen Stufen). Die geometrischen Hauptabmessungen der Beschaufelung sind durch die Schaufelhöhe H und deren mittleren Radien rm gegeben. Mit Hilfe der Durchflussziffer cx u (9.9) m P Š 2 rm H 'u (9.10) 'D kann für diese Größen der Zusammenhang Ax D bzw. m P (9.11) 2 'urm abgeleitet werden. Falls eine Teilbeaufschlagung mit dem Teilbeaufschlagungsfaktor " für die Stufe vorliegt, erhöht sich die Schaufelhöhe um diesen Faktor, siehe z. B. [DIE1980]. Bei kompressiblen Strömungen sind gasdynamische Effekte bei der Flächenbestimmung zu beachten. Es gilt im Rahmen des idealen Gasgesetzes die Durchflussbeziehung p m P cp To1 D Q.Ma1 / (9.12) Ax po1 H D rt rh Š 9 Beschaufelung 409 mit der Eintritts-Mach-Zahl Ma1 und den Totalzustandsgrößen po1 und To1 vor der Leitschaufel der Stufe (Index 1). Diese hängen mit den Totalzuständen nach der Laufschaufel der Stufe (Index 3) über u2 To3 D1 (9.13) To1 cp To1 und po3 D po1 To3 To1 p 1 (9.14) zusammen [DIX2010], wobei der polytrope Wirkungsgrad p und der Isentropenexponent in Gl. 9.14 für die Zustandsänderungen in der Stufe verwendet werden. Die AustrittsMach-Zahl Ma3 folgt aus p 1 2 1=2 c3 D Ma3 1 1 C : Ma3 p 2 cp To1 (9.15) Für die Auswertung von Gl. 9.12 kann auf die gasdynamische Beziehung p 1 C1 m P cp To1 1 2 2 . 1 / Ma1 1 C Dp Ma1 Ax po1 2 1 (9.16) zurückgegriffen werden. Bei einer kompressiblen Strömung bestimmt man zunächst aus Gl. 9.12 die Querschnittsfläche Ax und kann dann auf die Schaufelhöhe H schließen (falls der mittlere Radius rm über die Stufe konstant bleibt). Die Anzahl der Schaufeln N einer Stufe und die axiale Sehnenlänge b kann ebenfalls schon in einem frühen Auslegungsstadium abgeschätzt werden. Meist wird b direkt aus den Erfahrungswerten für das Verhältnis H/b (aspect ratio) abgeschätzt. Die Teilung t legt mit dem mittleren Radius rm der Leit- und Laufschaufeln direkt die Anzahl N der Schaufeln fest. Da rm bereits aus den obigen Überlegungen bestimmt wurde, muss nur noch die Teilung t abgeschätzt werden. Hierfür kann auf das Zweifel-Kriterium [DIX2010] oder auf geeignete Erfahrungswerte für das optimale Teilungsverhältnis b=t, die etwa in Form von Diagrammen vorliegen [TRA1966, DEJ1973], zurückgegriffen werden. Wie in Kap. 4 bereits diskutiert, werden im Dampfturbinenbau als klassische Bauweisen die Gleichdruckstufen bzw. die Stufen mit geringer Reaktion R und die symmetrische Überdruckstufe mit einem Reaktionsgrad von R D 0;5 oft als Ausgangsbasis verwendet. Tatsächlich liegen die Reaktionsgrade bei modernen dreidimensionalen Beschaufelungen aber nicht mehr fest, sondern variieren, was auf optimale Lösungen für die Energieumsetzung und die Verluste führt. Im Rahmen einer vorläufigen Abschätzung können diese Effekte aber nur näherungsweise berücksichtigt werden. 410 9.2.2 S. aus der Wiesche Hauptauslegung mit 1D-Mittelschnittverfahren Für das in Abb. 9.13 gezeigte 1D-Mittelschnittverfahren bilden die 1D-Verlustmodelle den Ausgangspunkt für die 1D-Untersuchung. Als Randbedingungen bzw. Startwerte werden die Ergebnisse aus einer vorangegangenen Abschätzung verwendet. Die 1D-Untersuchung kann durch Zuhilfenahme einer 2D-Profilauslegung und der gewählten Profilsystematik zu einer vollständigen 1D-Mittelschnittrechnung erweitert werden, die repräsentativ die Energieumsetzung und Durchströmung abbildet. Nähere Angaben zu den Schaufelprofilen sind nachfolgend zu finden, zunächst wird hier das allgemeine Schema der Auslegung weiter behandelt. Das in Abb. 9.13 gezeigte Verfahren kann nur iterativ abgearbeitet werden, da die 1D-Verlustmodelle Angaben der 2D-Profilauslegung (z. B. Annahmen zur Umlenkung der Strömung) benötigen. Umgekehrt können erst auf Basis von Verlustabschätzungen sinnvoll Umlenkwinkel und somit auch Schaufelprofile bestimmt werden. Eine weitere Kopplung besteht zwischen den Profilen und deren Strukturanalyse, so dass ggf. auch hier ein iteratives Vorgehen notwendig ist. Schließlich kann erst nach einer erfolgten Auslegung die Wirtschaftlichkeitsanalyse durchgeführt werden, was zu einer weiteren Iterationsschleife in Abb. 9.13 führt. Bei einem 1D-Mittelschnittverfahren erfolgt die Berechnung der Zustandsgrößen und Verluste entlang des mittleren Stromfadens an den einzelnen Rechenstationen. Die thermodynamischen Zustandsgrößen des Dampfes werden heute rechnergestützt mit Hilfe der Zustandsgleichungen (siehe Kap. 3) bestimmt. In extremen Vereinfachungen kann auch das Konzept des perfekten Dampfes (siehe Kap. 3) verwendet werden. Zu Beginn der Berechnung müssen die thermodynamischen und strömungstechnischen Größen an den Abb. 9.13 Aufbau einer 1D-Mittelschnittauslegung für die Auslegung der Beschaufelung 9 Beschaufelung 411 einzelnen Rechenstationen initialisiert werden. Von diesen Werten ausgehend, werden die Austrittszustände für Leit- und Laufräder unter Beachtung des 1D-Verlustmodells iterativ ermittelt. Auf Basis der konvergierten Größen bestimmt man die Energieumsetzung und damit auch die Leistung der Stufen. Die so berechnete Leistung muss wiederum konsistent mit dem aus der übergeordneten thermodynamischen Analyse ermittelten Wert sein, andernfalls ist auch hier ein iteratives Vorgehen erforderlich. Erst wenn sich alle Zustandsgrößen nicht mehr ändern, ist die gesamte Lösung auskonvergiert und kann verwendet werden. Bei einer konvergierten Lösung liegen alle Turbinenaustrittszustände fest. Einige gebräuchliche Verfahren bieten den Benutzern verschiedene Berechnungsmodi an. So können etwa bei dem in [GER2008a] eingesetztem 1D-Mittelschnittverfahren ein Auslegungsmodus (design mode) und ein Nachrechnungsmodus (analysis mode) gewählt werden. Im Auslegungsmodus wird in [GER2008a] der Eintrittsdurchmesser und der Verlauf der Nabenkontur während der Berechnung festgehalten und die Schaufelhöhe automatisch angepasst, bis die Durchflussziffer den optimalen Wert des aus der Profilsystematik ausgewählten Schaufelprofils erreicht hat. Im Nachrechnungsmodus erfolgt in [GER2008a] eine Feinabstimmung durch Umstaffelung der Schaufelreihen. Da Dampfturbinenprofile üblicherweise eher gutmütig auf kleine Änderungen des Staffelwinkels reagieren, ist diese Eingriffsmöglichkeit praktikabel. Aufgrund ihrer kurzen Rechenzeiten können 1D-Mittelschnittverfahren prinzipiell mit übergreifenden mathematischen Optimierungsverfahren gekoppelt werden, doch werden in der Praxis häufig auch manuelle, also durch das Urteilsvermögen des Benutzers gebildete, pragmatische Optimierungsrechnungen durchgeführt. 9.2.3 Verlustmodelle und Verlustberechnungen Für die Genauigkeit und die Plausibilität des gewählten Auslegungsverfahrens sind immer die Verlustmodelle und die rechnerische Vorhersage der Verluste in der Turbine bzw. der Stufe entscheidend. Die einfachste Beschreibung von Verlusten wäre durch Verwenden von (empirischen) Werten für die polytropen bzw. isentropen Wirkungsgrade der Turbinenstufen gegeben. Ein solches Vorgehen mag für eine vorläufige thermodynamische Abschätzung noch ausreichend sein, aber es ist nicht mehr sinnvoll für eine genauere Hauptauslegung. Stattdessen müssen anspruchsvollere Beschreibungen und Korrelationen für Verluste in der Stufe als Berechnungsunterlagen verwendet werden. Nach Horlock [HOR1985] können grundsätzlich zwei Klassen von Verlustmodellen unterschieden werden: Modelle, die den gesamten Verlust (overall loss) einer Stufe bzw. eines Schaufelgitters mit Hilfe von Korrelationen abschätzen, Modelle, die auf einer detaillierten und getrennten Verlustanalyse entsprechend der auftretenden physikalischen Phänomene beruhen (loss component analysis). 412 S. aus der Wiesche Ein Vertreter für die erste Klasse von Modellen ist die auf Soderberg zurückgehende Korrelation, die trotz ihres sehr einfachen Aufbaus oft eine erstaunlich genaue Abschätzung des Verlustkoeffizienten für ein Schaufelgitter gestattet [DIX2010, HOR1985]. Nach dieser Korrelation ist vor allem die Umlenkung ˛ für den Verlust entscheidend. Weiterhin gehen das Verhältnis H/b sowie die Reynolds-Zahl Re ein. Im englischsprachigen Raum ist die auf Ainley und Mathieson [AIN1951] zurückgehende Korrelation, bei der zwischen Profilverlust, Sekundärverlust und Spaltverlust unterschieden wird, das gebräuchlichste Beispiel für die zweite Klasse von Verlustmodellen [DIX2010, HOR1985]. Bei dieser Korrelation wird der Totaldruckverlustkoeffizient Yp für ein Schaufelgitter einschließlich der Spaltverluste bestimmt. Im deutschen Sprachraum ist das Verfahren von Traupel [TRA1966], das ebenfalls zur zweiten Klasse gehört, das wohl in der Praxis meistangewandte. Beim Verfahren von Traupel wird der Gitterwirkungsgrad durch Koeffizienten für Leit- und Laufräder nach dem Schema D 1 P H R Z (9.17) ausgedrückt, wobei P die Profilverluste, H die Hinterkantenverlust, R die Restverluste und Z weitere Zusatzverluste (Fächerverluste, Fehlanströmung, Alterung) bezeichnen. Beim Verfahren von Traupel werden die Spaltverluste als zusätzliche Verluste auf den inneren Stufenwirkungsgrad bezogen. Der Profilverlust wird nach Traupel durch P D Ma Re P0 (9.18) aus einem Grundwert P0 und Korrekturen, die den Einfluss der Mach-Zahl Ma sowie der Rauheit bzw. der Reynolds-Zahl Re erfassen, ausgedrückt. Für alle in Gl. 9.17 und 9.18 auftretenden Größen können Diagramme bzw. Korrelationen, die aus Erfahrungswerten bzw. Versuchsergebnissen abgeleitet worden sind, verwendet werden. Grundsätzlich würde die Erfassung der Verluste mit Hilfe der Entropieänderung s die formal befriedigendste Beschreibungsform darstellen [DEN1993], aber da die Entropie selber nicht direkt gemessen werden kann, erfolgte ihre Verwendung in der Praxis lange Zeit nur zögerlich. Durch den verstärkten Einsatz von CFD-Verfahren, bei denen die Entropie direkt als Zustandsgröße ausgewertet werden kann, ändert sich dies zunehmend. Dennoch werden aus Sicht des Versuchswesens die pneumatisch zu bestimmenden Verlustkoeffizienten und YP die bei weiten wichtigsten Größen für ein Schaufelgitter bleiben. Wegen ihrer hohen Bedeutung und auch wegen der in der Literatur oft missverständlichen Verwendung, werden nachfolgend die wichtigsten Zusammenhänge für die Verlustgrößen eines Turbinengitters, bei der die Entspannung von 1 nach 2 erfolgt, zusammengestellt. Die relevanten Größen sind in Abb. 9.14 dargestellt. Vor Gittereintritt liege der Zustand 1 mit dem Totaldruck po1 vor, nach Verlassen des Gitters ergibt sich po2 und die Austrittsgeschwindigkeit c2 . Die Änderung der Entropie ist durch s D s2 s2s gegeben und charakterisiert direkt den Verlust. Der mit der realen 9 Beschaufelung 413 Abb. 9.14 Entspannungsverlauf in einem Turbinengitter im h,s-Diagramm Austrittsgeschwindigkeit c2 gebildete energetische Verlustkoeffizient ist durch D h2 h2s 1 2 c 2 2 (9.19) definiert. In der russischen Literatur wird als Bezug meist die isentrope Austrittsgeschwindigkeit c2s anstelle von c2 in Gl. 9.19 verwendet. Der Unterschied zwischen diesen beiden Definitionen ist für den energetischen Verlustkoeffizienten allerdings in der Praxis eher gering. Der Totaldruckkoeffizient Yp wird bei einem Turbinengitter auf den Austrittszustand bezogen (bei einem Verdichtergitter auf die Eintrittsbedingung), was auf Yp D po1 po2 po2 p2 (9.20) für ein Turbinengitter führt. In der älteren Literatur [STO1910] war die Verwendung von Geschwindigkeitsbeiwerten gemäß c2 (9.21) KD c2s üblich. Der isentrope Gitterwirkungsgrad D ho1 h2 ho1 h2s (9.22) ist über die Enthalpiegefälle definiert. Die verschiedenen Verlustgrößen lassen sich ineinander umrechnen, was beispielsweise auf die Beziehungen D K 2; D 1 1 bzw. Š 1 (9.23) 414 S. aus der Wiesche für Ma2 < 1 (9.24) Yp Š 1 C Ma22 2 führt [HOR1985]. Bei inkompressiblen Strömungen ist praktisch gleich Yp , aber mit wachsender Mach-Zahl Ma2 nimmt der Unterschied zwischen diesen beiden Größen zu. Da man in Versuchen immer nur lokale Werte für Yp misst, müssen diese massenstromgemittelt werden, um auf die mittleren Größen für 1D-Berechnungen zu gelangen, was explizit in [DIX2010] oder [HOR1985] aufgeführt ist. Wegen ihrer sehr einfachen Struktur und der oftmals bemerkenswerten Genauigkeit bietet sich für eine schnelle Analyse die Soderberg-Korrelation an, die deshalb an dieser Stelle kurz vorgestellt werden soll. Eine vertiefte Diskussion dieser älteren Korrelation findet sich bei Horlock [HOR1985]. Nach Soderberg wird zunächst für das Turbinengitter ein nominaler Verlust 0 eingeführt, der bei einem „guten“ Profil, nur von der Umlenkung ˛ näherungsweise nach oder ˛ 0 D 0;04 C 0;06 100 2 .˛ im Gradmaß/ (9.25) abhängt. Der Einfluss von b/H wird mit Hilfe der Umrechnungen 1 C 1 D .1 C 0 / .0;993 C 0;021b=H / (für Leitschaufeln) (9.26) 1 C 1 D .1 C 0 / .0;975 C 0;075b=H / (für Laufschaufeln) (9.27) abgeschätzt, was auf die Verlustkoeffizienten 1 führt. Im linearen Gitterwindkanal, bei dem nur der Profilverlust bestimmt wird, kann dieser als Grenzfall durch H ! 1 abgeschätzt werden. Um auf den Gesamt-Verlustkoeffizienten zu gelangen, muss noch eine Reynolds-Zahl-Korrektur gemäß D 1 105 Re2h 1=4 .Re2h mit dem hydraulischen Durchmesser am Austritt/ (9.28) vorgenommen werden. Die Soderberg-Korrelation zielt auf den gesamten Verlust des Gitters; sie kann noch um den Spaltverlust erweitert werden [LEW1996]. Trotz ihres sehr einfachen Aufbaus und der Reduzierung der Korrelation auf wenige Einflussgrößen kann die Korrelation in günstigen Fällen Stufen-Wirkungsgrade im Bereich von bis zu ˙3 % genau angeben. Zu beachten ist, dass die Soderberg-Korrelation, wie auch die Korrelation von Ainley und Mathieson, auf einer Auswertung von guten Turbinenkonstruktionen aus den 1940er-Jahren beruht. In Abb. 9.15 sind typische Verläufe des Abströmwinkels und des Verlustkoeffizienten für ein Gleichdruck- und ein Überdruckgitter als Funktion des Anstellwinkels gezeigt. Bei einem Turbinengitter variiert der Abströmwinkel relativ wenig. Man kann in Abb. 9.15 erkennen, dass wegen der höheren Umlenkung ein Gleichdruckgitter tendenziell höhere Profilverluste als ein Überdruckgitter aufweist. 9 Beschaufelung 415 Abb. 9.15 Typischer Verlauf des Abströmwinkels ˛2 und des Verlustes Yp in Abhängigkeit des Anstellwinkels i für Schaufelgitter von Turbinenstufen unterschiedlicher Reaktion (nach Daten aus [AIN1951]) Bei den in Abb. 9.15 gezeigten Beispielen reagiert das Überdruckgitter unempfindlicher gegenüber einer Änderung des Anstellwinkels, was Vorteile beim Teillastverhalten einer Turbine hat. Das Verhalten der Strömung bei Vorliegen von modernen Schaufelprofilen wird nur bis zu einem gewissen Rahmen durch die klassischen Korrelationen abgedeckt. Dies betrifft vor allen dreidimensionale Beschaufelungen. Nach einer Analyse von Horlock [HOR1985] kann angenommen werden, dass die Soderberg-Korrelation aus dem Verhalten von Schaufelgittern bei höheren Mach-Zahlen abgeleitet worden ist, während die Korrelation von Ainley und Mathieson auf Daten mit eher moderaten Mach-Zahlen (bis etwa Ma D 0;6) beruht. Wegen ihrer höheren Umlenkung ˛ sind die Verluste in Beschaufelungen mit geringer Reaktion R üblicherweise höher als in Überdruckstufen. Dies ist auch anhand der aus typischen Messwerten abgeleiteten Verläufe der Totaldruckverlustkoeffizienten Yp über den Anstellwinkel i in Abb. 9.15 illustriert. Man erkennt speziell bei Turbinengittern mit höherer Reaktion einen gutmütigen Verlauf des Verlustes gegenüber Änderungen des Anstellwinkels. Dies wirkt sich speziell im Teillastbetrieb von Dampfturbinen positiv aus. Demgegenüber steigen bei Beschaufelungen geringer Reaktion die Verluste ab einem bestimmten Anstellwinkel stark an. Die Abströmwinkel ˛2 vari- 416 S. aus der Wiesche ieren bei Turbinengittern meist nur relativ gering (um wenige Grad). Weitere Einzelheiten hierzu können der Literatur [DIX2010, TRA1966, HOR1985, SCH1968, LAK1996] entnommen werden. Als generelle Regel für die Schaufelauslegung gilt, dass die Nabenverhältnisse rh =rt nicht zu extrem ausfallen sollen, d. h. die Schaufelhöhe H sollte nicht zu klein im Verhältnis zum mittleren Durchmesser 2rm sein. Ansonsten würden die mit den Wandströmungen zusammenhängenden Verluste übermäßig zunehmen. In der Praxis werden als untere Grenzen für die Schaufelhöhe meist wenige Prozent des mittleren Durchmessers genannt. Nach oben werden die Schaufelhöhen durch die Fliehkraftbelastung begrenzt, was noch weiter unten ausgeführt wird. Für diese Stufen liegen kleine Nabenverhältnisse vor und die Strömung nimmt einen räumlichen Charakter an. 9.2.4 Räumliche Betrachtung der Strömung Für Nabenverhältnisse rh =rt < 0;75 variieren die Geschwindigkeitsdreiecke deutlich über der Schaufelhöhe und die Energieumsetzung erfordert unterschiedliche Profile entlang der Schaufelhöhe. Für die Hauptauslegung der Beschaufelungen werden 1D-Mittelschnittverfahren zunehmend ungenauer und werden durch 2D-Berechnungsverfahren ersetzt (siehe Kap. 6). In Abb. 9.16 ist das zweidimensionale Meridianstrombild bei einer mehrstufigen Turbine veranschaulicht. In Abb. 9.16 sind neben den Meridianstromlinien auch die Abstandslinien und die Rechenebene gezeigt. Im Fall einer konstanten radialen Massenstromdichteverteilung fallen die Meridianstromlinien mit den Abstandslinien zusammen. Deren Verlauf lässt sich mit Hilfe der Gehäuse-Rotor-Kontur bestimmen. Die Annahme einer konstanten radialen Massenstromdichteverteilung ist aber speziell im Fall von Endstufen Abb. 9.16 Meridianstromlinienbild mit Rechenebenen (a), Abstandslinien (b) und Meridianstromlinie (c) nach [STE1988] 9 Beschaufelung 417 Abb. 9.17 Mechanische Beanspruchungen und Aufteilung der Verluste der Beschaufelung [PFI2003] von Kondensationsdampfturbinen nicht mehr erfüllt, so dass hier 2D-Verfahren an ihre Grenzen kommen und durch 3D-CFD-Verfahren ersetzt oder zumindest ergänzt werden müssen [LAK1996]. Speziell bei den Endstufen großer Kondensations-Dampfturbinen wurden schon relativ früh die Schaufeln verwunden ausgeführt, um den radial zunehmenden Umfangsgeschwindigkeiten Rechnung zu tragen. Zudem weisen diese Schaufeln auch eine Verjüngung des Schaufelprofils auf. Bei älteren Ausführungen von Schaufeln dominiert der zweidimensionale Ansatz, bei dem geometrisch ein 2D-Profil einfach in radialer Richtung extrudiert und ggf. als verwundenes Profil entlang der Schaufelhöhe verjüngt ausgeführt wird. Moderne Schaufeln weisen neben der Verjüngung und der verwundenen Form auch eine Krümmung auf, so dass eine vollständig dreidimensionale Schaufelform vorliegt. Moderne Beschaufelungen von Dampfturbinen können heute von der ersten Stufe an dreidimensional ausgeführt werden. Die Profilverluste sind vor allem bei langen Schaufeln dominant, wohingegen die Rand- oder Sekundärverluste bei Schaufeln geringer Höhe wichtig werden. In Abb. 9.17 sind die mechanischen Belastungen und die Verteilung der Verluste innerhalb der Beschaufelung von Hochdruck- und Mitteldruck-Teilturbinen verdeutlicht. Die Frischdampftemperaturen tragen speziell in den ersten Stufen deutlich zur Belastung bei. Durch die weitere Expansion und damit verbundene Abkühlung des Dampfes verliert diese Belastung an Bedeutung. Der Anstieg zu Beginn des Mitteldruckteils ist auf die Zwischenüberhitzung des Dampfes zurückzuführen. Mit der Expansion nehmen auch die Schaufellängen zu, so dass es zu einem Anstieg der Biege- und Zentrifugalbelastungen kommt. Dies tritt verstärkt bei den langen Endstufen von Niederdruck-Teilturbinen auf. Die Erzielung eines hohen Wirkungsgrades erfordert die Minimierung der Verluste in der Beschaufelung. Die Profilverluste entstehen durch die Überströmung der Schaufeln 418 S. aus der Wiesche Abb. 9.18 Verlustverteilung für ein Überdruckgitter mit verschiedenen Formen der Einziehung (Konturierung) der oberen Begrenzungswand (aus [DEJ1973]) und können in weiten Zügen als Grenzschichtphänomene verstanden werden [SCH1968a, DEN1993]. Durch die Wechselwirkung der Strömung mit den Seitenwänden und der Umlenkung resultieren Strömungsverluste, die als Sekundärverluste bekannt sind. Diese sind bei kurzen Schaufeln ausgeprägt. Mit wachsender Schaufellänge nimmt ihre Bedeutung ab. Aufgrund der unvermeidlichen Radialspalte zwischen den Schaufeln und dem Gehäuse ergeben sich Spaltverluste, die besonders bei Anlegen von hohen Druckdifferenzen und großen relativen Spaltabständen wichtig sind. Ihre Bedeutung nimmt bei langen Schaufeln und den damit verbundenen kleinen relativen Spaltabständen ab. Eine weitere Optimierungsmöglichkeit ist durch eine Seitenwandkonturierung zur Reduzierung der Randverluste gegeben. Seitenwandkonturierungen lassen sich in achsensymmetrische und nicht-achsensymmetrische Ausführungen unterteilen [DEJ1973]. Die erste Gruppe wurde bereits sehr früh in der sowjetischen Literatur [DEJ1973] untersucht. Die letztere Ausführung ist durch moderne rechnergestützte Entwicklungs- und Fertigungsverfahren erst seit Kurzem praktisch realisierbar. Die Einziehung (Konturierung) der Begrenzungswände kann speziell bei kurzen Schaufeln bzw. Düsenkanälen eine signifikante Senkung des Verlustes bewirken. Dies ist in Abb. 9.18 anhand eines experimentell in [DEJ1973] untersuchten Fallbeispiels verdeutlicht. In einem linearen Schaufelgitter wurden verschiedene Formen der Einziehung der oberen Begrenzung und ihre Auswirkung auf die räumliche Verteilung des Verlustkoeffizienten untersucht. Der in Abb. 9.18 dargestellte Verlauf des Verlustkoeffizienten ist hierbei über die gesamte Teilung des Gitters gemittelt. Kurve 1 entspricht einem Gitter ohne Einziehung. Im Vergleich zu Fall 1 bewirkt die Einziehung speziell im Bereich der unteren Begrenzungswand eine Reduzierung des lokalen Verlustes. Eine schroffe Einziehung (Kurve 2) oder auch eine flach ausgeführte Kurve (Variante 3) ergeben keine 9 Beschaufelung 419 starke Reduzierung, wohl aber eine Einziehung nach Art von Kurve 4, was einer Einziehung im Bereich des Schrägabschnitts entspricht. Bemerkenswerterweise wirkt sich die Einziehung nicht an der Verlustverteilung im Bereich der modifizierten Begrenzung aus, sondern an der gegenüberliegenden Begrenzung. Im Bereich der Schaufelhöhe (Punkt 0 in Abb. 9.18) sind alle Verlustverläufe vergleichbar. Positive Ergebnisse mit einer Seitenwandkonturierung, bei der eine gehäuseseitig eingeschnürte Konfiguration verwendet wurde, berichten beispielsweise Haas [HAA1982] oder Cofer [COF1996]. Wegen der hohen Anzahl der Freiheitsgrade bei der nicht-achsensymmetrischen Seitenwandkonturierung und wegen der Kleinheit des Effektes (die Reduzierung der Verluste führt manchmal nur auf kleine Wirkungsgradsteigerungen im Bereich weniger 0,1 %) gestaltet sich die Auslegung und Optimierung oftmals aufwendig. Ein entsprechender Forschungsbericht ist der Öffentlichkeit in [SCH2012] zugänglich gemacht. Weitere Einzelheiten zu Seitenwandkonturierungen finden sich in der offenen Literatur auch in [HAR2000, HAR2000a]. 9.2.5 Schaufelprofile im Dampfturbinenbau Nach der Festlegung der Geschwindigkeitsdreiecke und der entsprechenden Winkel werden die Schaufelprofile entworfen. In den Anfangstagen des Dampfturbinenbaus wurden nicht zuletzt aufgrund der fertigungstechnischen Beschränkungen einfache Blechprofile verwendet. Auch wenn solche Profile die geforderten Winkel für die Geschwindigkeitsdreiecke erfüllen, sind deren Strömungsverluste hoch. Entsprechend niedrig waren auch die Wirkungsgrade dieser frühen Stufen. Später wurden verstärkt die Resultate der Aerodynamik der Tragflügel für den Entwurf von Schaufelprofilen berücksichtigt. Im Gegensatz zu Tragflügeln stehen die Schaufeln einer Turbine aber sehr dicht, so dass nicht nur das einzelne isolierte Schaufelprofil, sondern die Gesamtwirkung des Gitters berücksichtigt werden muss. Trotz dieser gravierenden Unterschiede zwischen Tragflügeln und Turbinenschaufeln werden viele dieser Profile dennoch in Anlehnung an die NACA-Systematik bzw. andere gängige Systeme klassifiziert [DIX2010]. Eine ausführliche Diskussion der russischen Profilsystematik findet sich in [DEJ1973]. Bei der Festlegung des Schaufelprofils wird in einem ersten Schritt die Sehnenlänge l festgelegt. Um die Randverluste nicht zu hoch werden zu lassen, sind Verhältnisse von H= l > 2 anzustreben. Der Profilverlauf sollte einen möglichst stetigen Profilverlauf und eine gegenüber Änderungen des Anstellwinkels unempfindliche Schaufelnase aufweisen. In der älteren Literatur war noch bis weit in die 1950er-Jahre die Meinung vertreten worden, dass Schaufeln stückweise aus Kreisbögen und Geraden zusammengesetzt sein und die gewünschten Abströmwinkel durch einen langen Auslauf (sog. Parallelführung) erzwungen werden sollten. Ein Beispiel für ein solches, altes Profil ist in Abb. 9.19 dargestellt. Diese Art der Profilauslegung wird heute vollständig abgelehnt, da die Parallelführung auf hohe Profilverluste führt und weil in der Zwischenzeit die Bedeutung der Stetigkeit der Krümmung für die Gitterströmung erkannt wurde. Änderungen der Krümmung der Schaufelkontur können erheblichen Störungen bis hin zu Ablösungsphänomene 420 S. aus der Wiesche Abb. 9.19 Altes Schaufelprofil mit strömungstechnisch ungünstiger Parallelführung (nach [TRA1966]) Abb. 9.20 Älteres Schaufelprofil mit strömungstechnisch günstigerer Gestaltung (nach [TRA1966]) der Strömung führen. Seit den 1960er-Jahren werden daher strömungstechnisch günstigere Profile mit einem stetigen Krümmungsverlauf, wie in Abb. 9.20 gezeigt, empfohlen. Ursprünglich nahm man an, dass die Schaufelnasen möglichst scharf (also mit kleinen Rundungsradien) ausgeführt werden sollten, um niedrige Verluste zu ermöglichen. Später wurde erkannt, dass diese Art von Profilen sehr empfindlich auf Änderungen des Anstellwinkels reagiert, so dass schlechte Teillastwirkungsgrade für entsprechende Stufen resultierten. Unempfindliche Schaufelnasen lassen sich durch Einsatz von relativ großen Krümmungsradien an der Schaufelnase (sog. Dickkopfprofile) erzielen. Diese Profile erwiesen sich nicht nur als robuster gegenüber Änderungen des Anströmwinkels, sondern es ließen sich auch insgesamt niedrigere Verlustwerte für damit aufgebaute Gitter erzielen. Ein älteres Beispiel für einen Vergleich zwischen einem spitzen und einem stumpfen Profil ist in Abb. 9.21 dargestellt. Das spitze Profil a weist in Abb. 9.21 einen über den gesamten Anströmwinkelbereich höheren Verlust auf, als das Dickkopfprofil b. Weiterhin ist für das Dickkopfprofil b der Abb. 9.21 Strömungsverluste in Abhängigkeit des Anströmwinkels ˛ für ein spitzes (a) und ein stumpfes (b) Schaufelprofile (nach Daten aus [KEA1956]) 9 Beschaufelung 421 Abb. 9.22 Vergleich von zwei Profilen a für eine Überdruckstufe und Vergleich der Mach-ZahlVerteilung b für Saug- und Druckseite (aus [STE1988]). Die Symbole stellen die Messwerte dar und die Kurven sind die berechneten Mach-Zahl-Verteilungen. Die Zahlenwerte im linken Diagramm sind vom Hersteller normiert angegeben und wurden anhand einer Profildruckverteilung ermittelt Verlust über einen weiten Bereich fast unabhängig vom Anströmwinkel, was besonders für das Teillastverhalten der entsprechenden Stufe günstig ist. Die Steigerung der strömungstechnischen Schaufelbelastung mit dem Ziel, die Stufenanzahl zu reduzieren, wird durch das strukturmechanische Widerstandsmoment und der zulässigen Spannung begrenzt. Eine hinsichtlich des mechanischen Widerstandsmomentes verbesserte Profilgestaltung unter Beibehaltung der strömungstechnischen Güte des Profils ermöglicht auch eine weitere Steigerung der Schaufelbelastung. Die im Dampfturbinenbau eingesetzten Profile werden daher nicht nur aufgrund ihrer strömungstechnischen, sondern auch aufgrund ihrer strukturmechanischen Eigenschaften ausgewählt (siehe nachfolgendes Abschn. 9.3). Die genaue Festlegung des Profils erfolgt heute im Dialog mit dem Computer und unter Zugrundelegung von firmeninternen Datenbanken. Auch wenn oberflächlich betrachtet zwei Turbinenschaufelprofile sehr ähnlich aussehen, können doch entscheidende Unterschiede für die Gitterströmung bestehen. Dies ist anhand einer zylindrischen Dampfturbinenbeschaufelung mit höherer Reaktion (Überdruckstufe in Trommelbauweise) in Abb. 9.22 illustriert. In Abb. 9.22 werden zwei Profile hinsichtlich der Verteilung der Mach-Zahl für Saug- und Druckseite verglichen. Auch wenn die beiden Profile äußerlich sehr ähnlich sind, ergeben sich doch charakteristische Unterschiede in Bezug auf die 422 S. aus der Wiesche Abb. 9.23 Evolution der Dampfturbinenbeschaufelung (Siemens AG, aus [THI2009]) Geschwindigkeitsverteilung und die Verluste. Weiterhin ist in Abb. 9.22 der Vergleich zwischen den berechneten Mach-Zahlen und den experimentell ermittelten Daten gezeigt. Bei der Auswahl der Profile spielt speziell die Mach-Zahl-Verteilung im hinteren Bereich der Saugseite eine wichtige Rolle. Bei einem zu steilen Abfall besteht die Gefahr der Strömungsablösung. In dieser Beziehung stellt das in Abb. 9.22 gezeigte Profil mit dem durchgezogenen Kurvenverlauf gegenüber dem Profil mit der gestrichelten Kurve eine Verbesserung dar. Der flachere Mach-Zahl-Verlauf auf der Saugseite ist hier günstiger, da eine frühe Ablösung der Strömung höhere Verluste und eine größere Abweichung des Abströmwinkels vom geforderten Wert ergibt. In Abb. 9.23 ist die Evolution der Beschaufelung von HD- und MD-Turbinen eines Herstellers illustriert. Es lassen sich einerseits der Wechsel von einer zylindrischen Grundform zu einer verwunden-gekrümmten Beschaufelung sowie eine Modifikation der Profile erkennen. Die Profile haben sich dabei von einer relativ schlanken Form (Profil T in Abb. 9.23) zu deutlich dickeren Profilen hin entwickelt. Die zylindrische Ausführung (T4 in Abb. 9.23) wurde zwischen 1990 und 1995 durch eine vollständig dreidimensionale Kontur (TX in Abb. 9.23) abgelöst. Die Wirkungsgradvorteile, die sich durch diese Profilveränderungen ergeben, sind in Abb. 9.23 anhand von typischen Zahlenangaben verdeutlicht. Der Übergang von zylindrischen auf dreidimensionale Schaufeln ergibt eine Wirkungsgradsteigerung von rund 2 %. Durch eine weitere Optimierung der Beschaufelung lassen sich heute noch weitere Verbesserungen im Bereich von 1 bis 1,5 % realisieren. Neben der strömungstechnischen Optimierung weisen die modernen Schaufeln auch strukturmechanisch Vorteile gegenüber den älteren Ausführungen auf. 9 Beschaufelung 423 Abb. 9.24 Diagramm zur Ermittlung des optimalen Teilungsverhältnisses (mit der im Bild dargestellten Nomenklatur aus [TRA1966]) Nach der theoretisch-numerischen Auslegung müssen die ausgewählten Profile in der Regel durch Gitterversuche validiert werden. Trotz des Einsatzes von aufwendigen rechnergestützten Auslegungsverfahrens lassen sich die Werte für Profilverluste und tatsächlich auftretende Umlenkungen für Gitter nur experimentell bestimmen. Insofern stellen die experimentellen Resultate, die man mit Hilfe von Gitterwindkanälen gewinnt, immer noch ein wichtiges Fundament der strömungstechnischen Auslegung der Beschaufelung dar. 9.2.6 Teilungsverhältnis Die Anzahl der Schaufeln eines Kranzes wird durch die Teilung s und den Durchmesser D bestimmt. Für das optimale Teilungsverhältnis des Gitters s=b gibt es in der Literatur unterschiedliche Empfehlungen. Eine sehr nützliche analytische Auslegungsregel wurde von Zweifel in den 1940er-Jahren auf Basis von Messungen an Dampfturbinengittern aufgestellt [ZWE1945]. Nach Zweifel kann ein Verhältnis Z für die tangentiale Belastung des Gitters definiert werden, was in inkompressiblen Strömungen auf ZD 2s cos2 ˛2 .tan ˛1 C tan ˛2 / b (9.29) 424 S. aus der Wiesche mit der Nomenklatur nach Abb. 9.8 fand Zweifel, dass für Z D 0;8 ein optimales Teilungsverhältnis s=b für die von ihm betrachteten Profile resultiert. Das sog. ZweifelKriterium Gl. 9.29 mit Z D 0;8 ist sehr handlich und für eine erste Abschätzung geeignet, aber es muss für höhere Mach-Zahlen oft empirisch angepasst werden [DIX2010]. Weiterhin besteht nur für Abströmwinkel ˛2 zwischen 60 bis 70ı eine gute Übereinstimmung mit experimentellen Daten [HOR1985]. Anstelle des einfachen, analytischen ZweifelKriteriums Gl. 9.29 sind daher in der Literatur (z. B. in [TRA1966]) empirisch ermittelte Auslegungsdiagramme für die Festlegung des optimalen Teilungsverhältnisses für weite Bereiche von Gitterströmungen in Gebrauch, siehe Abb. 9.24. 9.3 Strukturmechanische Auslegung der Beschaufelung Nach der strömungstechnischen Auslegung der Beschaufelung muss eine entsprechende Strukturanalyse durchgeführt werden, um die notwendigen Festigkeitsanforderungen zu erfüllen. An dieser Stelle können nur die Grundzüge dieser Analyse kurz zusammengefasst werden. Eine ausführliche Darstellung dieses komplexen Themas findet sich bei Traupel [TRA1968] und in der dort genannten weiterführenden Literatur. 9.3.1 Schaufelbeanspruchungen Für Laufschaufeln können sich aufgrund der Fliehkraft beträchtliche Beanspruchungen ergeben, die mit dem in Abb. 9.25 gezeigten Modell ermittelt werden können. Der Läufer rotiere mit der Winkelgeschwindigkeit ! D 2 n. Für das in Abb. 9.25 gezeigte kleine radiale Element dr der Schaufel mit der Querschnittfläche A.r/, die bei verjüngten Abb. 9.25 Zur Ermittlung der Fliehkraftbeanspruchung bei einer Laufschaufel 9 Beschaufelung 425 Schaufeln eine Funktion des Radius r ist, ergibt sich als Kraftbeitrag dF D r! 2 A.r/dr: (9.30) Integriert man Gl. 9.30 über den Radius r von ri bis ra , so folgt als mittlere Zugspannung am Schaufelfuß Zra A.r/ u2a rdr: (9.31) F D 2 ra Ai ri In Gl. 9.31 bezeichnet der Index a die Werte an der Schaufelspitze und der Index i die Werte am Schaufelfuß. Die Integration in Gl. 9.31 kann bei Kenntnis des Verlaufes von A.r/ ohne größere Schwierigkeiten durchgeführt werden. In der Literatur sind nach einer Analyse von Emmert [EMM1950] aber auch entsprechende Diagramme verfügbar, die eine explizite Auswertung des Integrals für den Anwender nicht mehr erforderlich machen. Ein solches Diagramm ist in Abb. 9.26 gezeigt. In Abb. 9.26 wird der Einfluss der Verjüngung durch einen Beiwert K gemäß 2 ! ri u2a 1 (9.32) F D K 2 ra ausgedrückt. Man findet nach Emmert, dass die explizite Form des Verjüngungsgesetzes, ob also eine konische oder lineare Querschnittabnahme entlang der Schaufelhöhe vorliegt, nur für sehr niedrige Verhältnisse von Aa =Ai relevant ist. Auch ist das Nabenverhältnis ri =ra bei nicht zu kleinen Werten eher von untergeordneter Bedeutung gegenüber dem Querschnittverhältnis Aa =Ai . Aus strukturmechanischer Sicht ist es immer günstig, wenn sich die Schaufeln mit wachsendem Radius verjüngen. Auch strömungstechnisch ist eine Verjüngung der Profile günstig (siehe Abb. 9.5), so dass im Dampfturbinenbau diesbezüglich kein genereller konstruktiver Zielkonflikt vorliegt. Soll die FliehkraftZugbelastung über den gesamten Querschnitt des Schaufelblattes konstant gehalten werden, wird nach [HOH1972] ein exponentielles Verjüngungsgesetz 2 ! 2 2 .r r / : (9.33) A.r/ D C Ai exp 2F a mit einer Konstanten C gewählt. Die Fliehkraft erzeugt im Allgemeinen auch einen Biegespannungsanteil, da die Verbindungslinie der Profilschwerpunkte von der radialen Richtung abweicht. Dies wird besonders bei gekrümmten 3D-Schaufeln wichtig. Die Fliehkraft wirkt entwindend auf die Schaufel, woraus ein entsprechender Normalspannungsanteil und ein Schubspanungsanteil entstehen. Eine weitere Beanspruchung von Schaufeln entsteht aufgrund der Impulsänderung in der Gitterströmung. Aufgrund dessen ergibt sich in Umfangsrichtung (U) ein Biegemoment Zra 2 D cz .cU1 cU2 /.r ri /rdr: (9.34) MU D N ri 426 S. aus der Wiesche Abb. 9.26 Einfluss der Verjüngung auf die Fliehkraftspannung einer Schaufel nach Emmert In Gl. 9.34 bezeichnet N die Schaufelanzahl der Reihe, D die Dichte des Dampfes und cz die axiale Komponente der Strömungsgeschwindigkeit c. Neben dem Biegemoment in Umfangsrichtung tritt auch ein Biegemoment senkrecht dazu auf, dass nach 2 Mz D N Zra .p1 p2 /.r ri /rdr (9.35) ri aus der Druckdifferenz entlang der Schaufelhöhe bestimmt werden kann. Mit dem Winkel , der die Lage der Trägheitshauptachsen xx und yy festlegt, folgt als resultierende Biegespannung B D x y .MU cos Mz sin / .Mz cos C MU sin /: ‚yy ‚xx (9.36) Die Maximalwerte der Biegespannung ergeben sich an den Ein- und Austrittskanten. Die so bestimmten Biegespannungen stellen einen zeitlichen Mittelwert dar. Aufgrund der periodischen Anströmungseffekte tritt noch ein Wechselspannungsanteil W auf. Die Schaufel und speziell die Schaufelbefestigung muss gegenüber allen diesen Beanspruchungen ausgelegt werden. 9.3.2 Zusammenhang mit der Austrittsfläche von Niederdruckstufen Zwischen der maximal erreichbaren Austrittsfläche AF;max je Flut und der durch Zentrifugalkräfte hervorgerufenen Zugspannung besteht ein Zusammenhang, der für Niederdruckstufen von Bedeutung ist. Generell gilt Fz 1 D S ! 2 z D AS AS Zr t A.r/rdr D rh r 2 rh2 1 S ! 2 AS t D S 2 n2 AF : AS 2 (9.37) 9 Beschaufelung 427 Abb. 9.27 Laufschaufeln für Endstufen und zugehörige Austrittsfläche einer Flut (Siemens AG) In Gl. 9.37 bezeichnet einen Formfaktor (siehe Verjüngung der Schaufel), der für Schaufeln von Niederdruckstufen Werte um = 0,35 aufweist. Eine Umstellung von Gl. 9.37 liefert z 1 (9.38) AF;max D S zul 2 n2 zwischen der maximal zulässigen Austrittsfläche der Flut und dem Werkstoffkennwert z = der Schaufel. Für Stahl beträgt das Verhältnis von zulässiger Spannung und Dichte z = D 6 104 Nm/kg und für Titan z = D 1;2 105 Nm/kg. Dadurch lassen sich bei einer festen Drehzahl n mit Titan-Laufschaufeln prinzipiell größere Austrittsflächen erzielen. Die Längen von Laufschaufeln und die damit zusammenhängende Vergrößerung der Austrittsfläche sind in Abb. 9.27 für Dampfturbinen mit der Drehzahl n D 3000 min1 gezeigt. Durch den Übergang auf den Werkstoff Titan lässt sich die zulässige Austrittsfläche einer Flut deutlich erhöhen. Eine andere Möglichkeit, die Austrittsfluten zu vergrößern, besteht in der Wahl halbtouriger Turbinen, die statt eines 2-poligen Generators einen 4poligen Generator antreiben. Im Zusammenhang mit der Begrenzung der Austrittsfläche einer Flut sei noch auf die mittlerweile nicht mehr gebauten Baumann-Stufen für Niederdruckturbinen verwiesen. Bei dieser Sonderkonstruktion, die in Abb. 9.28 exemplarisch dargestellt ist, wird die Abströmung der vorletzten Stufe geteilt, um die Endstufe zu entlasten. Dieses Konstruktionsprinzip wurde in der Vergangenheit von verschiedenen Firmen (z. B. AEI, LMS) aufgegriffen, aber aufgrund der nur mäßigen Wirkungsgrade aufgegeben. Bei einer Baumann-Stufe muss eine mehrschalige Bauweise für die Aufnahme der Leitschaufeln und die Aufteilung des Abdampfmassenstroms gewählt werden. Durch die Fortschritte bei der Vergrößerung der Schaufellängen und der Abströmquerschnitte wurde die Verwendung von BaumannStufen im Dampfturbinenbau allerdings nicht mehr attraktiv. 428 S. aus der Wiesche Abb. 9.28 BaumannStufe [DEJ1973] 9.3.3 Schaufelschwingungen Eine besondere mechanische Beanspruchung resultiert aus den Schaufelschwingungen. Eine Schaufel ohne Deckband oder ohne Dämpfungsdraht kann als ein einseitig eingespannter Biegebalken angesehen werden, der durch bestimmte Eigenfrequenzen fi für die Schwingungsmoden i charakterisiert ist. Für stillstehende Leitschaufeln (Le) können diese mit den Methoden der technischen Mechanik aus den geometrischen Daten, den Werkstoffeigenschaften und den Randbedingungen ermittelt werden. Hierbei kommt in der Praxis speziell der Methode der Finiten-Elemente (FEM) eine große Bedeutung zu. Nur für das sehr einfache Modell einer zylindrischen Schaufel kann die Eigenfrequenz f analytisch aus der Differentialgleichung @2 w @2 w @2 (9.39) EJ CA 2 D 0 2 2 @z @z @t für die freie Biegeschwingung von Stäben mit geraden Achsen ermittelt werden [BIE1953]. In Gl. 9.39 bezeichnet w die Durchbiegung, die eine Funktion der Zeit t und der Schaufelhöhenkoordinate z ist. Das Trägheitsmoment J und die Schaufelquerschnittsfläche A sind im Allgemeinen ebenfalls ortsabhängige Funktionen. Zur analytischen Lösung von 9 Beschaufelung 429 Gl. 9.39 wählt man den Separationsansatz w.z; t/ D wz .z/ wt .t/; (9.40) der nach Einsetzen in die partielle Differentialgleichung Gl. 9.39 auf die gewöhnlichen Differentialgleichungen d 2 wz d2 EJ D Awz ; (9.41) dz 2 dz 2 d 2 wt C wt D 0 (9.42) dt 2 mit den Eigenwerten D 1 ; 2 ; : : : ; i ; : : : führt. Die Eigenwerte Gl. 9.42 mit den Eigenkreisfrequenzen bzw. Eigenfrequenzen p !i D 2 fi D i « können