Deutsch Perfekt 12 22

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12
—
22
SPEZIAL
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Deutsch perfekt
EDITORIAL
Haben Sie eigentlich schon einmal festgestellt,
wie viele Bücher von Männern sind –
und wie wenige von Frauen?
MITTEL
U
nsere Grafikerin war begeistert: „Hach, wie ich die Ringelnatz-Ameisen
liebe!“ Sie meinte damit ein berühmtes Gedicht von Joachim Ringelnatz. Die acht lustigen Zeilen bringen wir auf Seite 27, auf einer von
acht Lyrikseiten in diesem Sonderheft. Von dem in München bekannt
gewordenen Sachsen besitzt Anna Sofie Werner ein dickes Buch mit
viel Poesie, in dem sie früher immer wieder gelesen hat. Als sie durch die Arbeit an
diesem Heft wieder über das Ameisen-Gedicht stolperte, war für die Grafikerin klar:
„Das Buch muss ich mal wieder in die Hand nehmen.“ Ich stellte da gerade meinem
siebenjährigen Sohn mein Lieblingsgedicht vor, das paradoxe „Dunkel war’s, der
Mond schien helle“ (Seite 19) – auch er war begeistert.
Ein Deutsch-perfekt-Spezial über Literatur, Lyrik und die große Welt der Bücher
also. Haben Sie eigentlich schon einmal festgestellt, wie viele Bücher von Männern sind
– und wie wenige von Frauen? Der Berliner Autor und Verleger Tillmann Severin machte dazu 2018 ein Experiment: Für sein Projekt „My white male bookshelf“ drehte er die
Bücher von männlichen Autoren in seinem Regal mit den weißen Seiten nach vorne.
Wenig überraschend: In dem ganzen Regal waren fast nur weiße Buchseiten zu sehen.
Aber das ändert sich gerade. Volker Weidermann postuliert (ab Seite 12): „Der deut­
sche Ka­non ist weib­lich.“ Steile These? Nein, Weidermann kennt sich mit der Bücherwelt wirklich aus. Er leitet nicht nur das Feuilleton der Wochenzeitung DIE ZEIT. Der
Literaturkritiker war auch fünf Jahre lang Gastgeber des „Literarischen Quartetts“, der
wichtigsten Literatursendung im deutschen Fernsehen. Es könnte sein, dass Severins
Regal in ein paar Jahren sehr viel bunter aussieht.
Viel Freude mit diesem Heft wünscht Ihnen Ihr
begeistert
, enthusiastisch
h„ch
, m ≈ oh; wie toll
die Ameise, -n
, kleines, rotbraunes oder
schwarzes Insekt, das sehr
gut organisierten Gemeinschaften lebt
(die Gemeinschaft, -en
, hier: ≈ Gruppe von vielen Tieren, die zusammengehören)
das Ged“cht, -e
, Poesie
br“ngen
, hier: publizieren
das S¶nderheft, -e
, ≈ spezielles Heft
st¶lpern über
, hier: finden; plötzlich
treffen
D¢nkel war’s, …
, m Es war dunkel, …
h¡lle
, hier: hell
nach v¶rne drehen
Titelillustration: everything bagel/Shutterstock.com; Illustration: Master1305/Shutterstock.com; Foto: Blende11Fotografen
, hier: ≈ so bewegen, dass
er die innere Seite ansehen
kann
Jörg Walser
Chefredakteur
überr„schend
, so, dass es eine Überraschung ist
steil
, hier: m ≈ unsicher;
so, dass man nicht weiß, ob
… wahr ist
der G„stgeber, , hier: Person, in einer
Fernsehsendung, die Gäste
einlädt oder gerade Gäste
hat
der Chefredakteur, -e
franz.
, hier: Leiter von allen
Journalisten bei einer Zeitschrift
3
4
DIE THEMEN
Themen
Acht Lyrik-Inseln
Acht Fragen zum Start
ücherwissen in allen
B
L+
11Johann Wolfgang
von Goethe
Ein gleiches
S+
20Mehr als nur Bücher
arum werden Medien
W
L+
19 Anonym
Dunkel war’s, der Mond
S+
28Expertin in 15 Minuten?
ie gut funktioniert das
W
27 Mascha Kaléko
ein schönstes Gedicht
M
L
S
35Rainer Maria Rilke
er Panther
D
M
43 Joachim Ringelnatz
ie Ameisen
D
M
51 A
nnette von
Droste-Hülshoff
An Cornelia
L
57 Maria Janitschek
ädchenfrage
M
M
65 Kurt Schwitters
igarren [elementar]
C
L
6
möglichen Facetten
schien helle
in Bibliotheken immer
weniger wichtig?
Schnelllesen mit Blinkist?
3620 bekannte Sätze
in Literaturquiz
E
S
40 Bücher? #liebenwir
ie Tiktok gerade die
W
S
58Die Innovatoren
M
Buchhandlungen ändert
Was Johannes Gutenberg
und Mark Zuckerberg
gemeinsam haben
62Bibi, Tina – und Noah
acht ein neuer Trend in
M
L
Vom Schreiben leben
Kinderbüchern narzisstisch?
66Sieben Fragen zum Schluss
Literaturbloggerin Karla Paul
52
Abbas Khider
M+
Der Schriftsteller über erste Schreibversuche, seine Probleme mit der
deutschen Sprache und billige
Lyrik-Bücher.
30
M
S
Schriftstellerinnen
und Schriftsteller
gibt es viele, aber
nur wenige können
vom Bücherschreiben leben. Wie
ist die Realität in
diesem Beruf?
Deutsch perfekt
DIE THEMEN
12
Lernen mit Deutsch-perfekt-Produkten
Die
Bücher
der
Frauen
Deutsch-perfekt-App
Deutsch
M
Die wichtigsten
Stimmen in der
deutschsprachigen
Literatur sind nicht
mehr männlich,
sondern weiblich. Wird
der bis jetzt so sehr von
Männern dominierte
deutsche Kanon also
plötzlich weiblich?
Illustrationen: N. Barsova, Dmitriip/Shutterstock.com; Fotos: D. Butzmann, A. Pein/laif; Ina Niehoff
M
Es gibt immer weniger
Antiquariate in deutschen Städten. Die
meisten Menschen
haben keine Ahnung
davon, welche Oasen
den Metropolen bald
fehlen. Unser
Autor hat sie noch
einmal besucht.
Die Zeitschrift, das Übungsheft und den Audio-Trainer
zusammen in einer App:
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Vergessene
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L
LEICHT
M
MITTEL
S
SCHWER
GER:
Gemeinsamer
Texte auf Stufe Texte auf Stufe Texte auf den Stufen europäischer
A2 des GER
B1 des GER
B2 - C2 des GER
Referenzrahmen
m lockere Umgangssprache
L
Gegenteil von ...
d negativ
o
langer, betonter Vokal
a Vorsicht, vulgär!
¢
kurzer, betonter Vokal
≈
ungefähr, etwa
, ¿er
Pluralformen
6
BLINDTEXT
Deutsch perfekt
LEICHT PLUS
Welches Buch
ist Deutschlands
Megabestseller?
AUDIO
Es ist bis heute ein absoluter Rekord. 111 Wochen lang war
dieses Buch das populärste auf der deutschen Bestsellerliste:
Die unendliche Geschichte von Michael Ende. Der 1979 publizierte
fantastische Bildungsroman ist ein Klassiker der Kinder- und
Jugendliteratur. In der Geschichte verliert sich der Junge
Bastian in einem Buch – und so in der Parallelwelt Phantásien.
Es gibt Übersetzungen in mehr als 40 Sprachen und mehrere
Filme auf Basis des Romans. Über den ersten Kinofilm mit dem
gleichen Namen war der Autor aber nicht glücklich. Er hat zu
viele Unterschiede zu seinem Buch gesehen. Ende hat auch
andere internationale Hits wie Momo und Jim Knopf und Lukas der
Lokomotivführer geschrieben.
1
die Bestsellerliste, -n
, Ranking: Von welchem
Buch hat man in der letzten
Woche am meisten Exem­
plare verkauft?
die un¡ndliche Gesch“chte,
die un¡ndlichen
Gesch“chten
, Erzählung ohne Ende
der B“ldungsroman, -e
, lange, fiktive Erzählung:
Junge Menschen lernen
darin etwas über sich und
das Leben.
die Jugendliteratur
, Literatur für Jugendliche
s“ch verlieren “n
, hier: so intensiv lesen,
dass man fragt: „Wo bin
ich?“
die Parallelwelt, -en
, hier: Fantasiewelt
der Lokomotivführer, , Fahrer von einem Zug
Deutsch perfekt
ACHT FRAGEN ZUM START
7
2
Wer benutzt noch
Telefonbücher?
AUDIO
Einmal im Jahr liegt in den Fluren
von vielen Mietshäusern und in
großen Läden ein Stapel mit dicken
Büchern: Die neuen Telefonbücher
sind da! Man muss definitiv keine
Angst haben, dass es nicht genug
sind. Die gedruckten Wälzer sind für
viele heute ein kurioses Phänomen.
Aber 2021 haben die Deutschen sie
circa eine Milliarde Mal benutzt –
sagt eine Studie. Besonders gern tun
das Menschen ab 50 Jahren.
Fotos: ddp; INTERFOTO/Mary Evans/Hubertus Kanus; Illustration: cosmaa/Shutterstock.com
der Stapel, -
, Menge von Sachen: Eine liegt auf
der anderen.
der Wælzer, -
, m dickes Buch
die Studie, -n
, systematische Untersuchung
Warum
waren diese
226 Seiten
so teuer?
ersteigern
, bei einer Auktion kaufen
(die Auktion, -en
, Verkaufsevent: Man
bietet etwas offiziell an.
Wer am meisten Geld dafür
zahlen will, bekommt es.)
der Löwe, -n
, große, gelbbraune
Katze: Sie lebt in Afrika. hier:
zweiter Name für einen
Monarchen wegen seines
Charakters
3
Es ist wahrscheinlich das teuerste
Buch Deutschlands: 1983 ersteigert
Hermann Josef Abs bei Sotheby’s in
London das Evangeliar Heinrichs des
Löwen – für 32,5 Millionen Mark (heute
sind das circa 33 Millionen Euro). Der
Bankmanager kauft es nicht für sich,
sondern für diese vier: die Bundesrepublik Deutschland, Bayern, Niedersachsen und die Stiftung Preußischer
Kulturbesitz in Berlin. Das mehr als 800
Jahre alte illuminierte Buch mit dem
Text der vier Evangelien ist nämlich ein
Meisterwerk der deutschen Romanik.
Herzog Heinrich der Löwe hat es circa
1188 in Helmarshausen (heute Hessen)
bestellt. Fünf Jahre hat die Arbeit an
diesem Buch gedauert – mit feinstem
Material, aber archaischer Technik.
Trotzdem (oder vielleicht auch genau
deshalb) sind die Farben auf den 226
Seiten noch immer extrem frisch. Heute liegt der legendäre Codex als nationales Kulturgut in der Herzog August
Bibliothek in Wolfenbüttel (Niedersachsen). In den letzten Monaten war
das Buch dort zum ersten Mal seit 2015
wieder in einer Ausstellung zu sehen.
die B¢ndesrepublik
Deutschland
, zu dieser Zeit: West­
deutschland
die St“ftung Preußischer
Kulturbesitz
, Organisation: Sie
kümmert sich z. B. um
die Museumsobjekte aus
der Zeit von preußischen
Monarchen.
das Evangelium,
Evangelien
, Text aus der Bibel von
einem der vier Evangelisten
das Meisterwerk, -e
, ≈ besonders gutes
ästhetisches Produkt
der H¡rzog, ¿e/-e
, Aristokrat: Er regiert eine
Region.
fr“sch
, hier: ≈ wie neu
das nationale Kulturgut,
die nationalen Kulturgüter
, hier: Objekt mit
Zertifikat: Eine nationale
Institution findet es für die
Kultur besonders wichtig.
BLINDTEXT
Deutsch perfekt
LEICHT PLUS
Warum ist der 10. Mai
in Deutschland kein
guter Tag für Bücher?
5
Es ist ein trauriges historisches
Datum: Am 10. Mai 1933 brennen
in deutschen Städten Tausende
Bücher. Bei der Aktion der national­
sozialistisch dominierten Deutschen Studentenschaft kommen Bücher von bei den Nazis unpopulären
Autorinnen und Autoren ins Feuer.
1933 brennen im Land auch vor und
nach diesem Tag Bücher.
4
br¡nnen
, in einem Feuer kaputtgehen
“ns Feuer k¶mmen
, hier: ≈ ein Feuer damit machen
die Stud¡ntenschaft, -en
, Organisation von Studenten
Schreiben die
Turmschreiber in
einem Turm?
Die Assoziation ist ein bisschen romantisch: Sitzen in München
Autorinnen und Autoren bei ihrer Arbeit konzentriert und kreativ
in einem Turm? Konzentriert und kreativ sind sie sicher. Aber
der Turm im Namen der Turmschreiberinnen hat nur bei ihrer
Gründung eine Rolle gespielt: Acht Autoren haben die Gruppe
1959 im linken Turm des historischen Münchener Isartors gestartet. Mitglieder sind schreibende und oft bekannte Menschen aus
Süddeutschland. Aktuell sind es rund 40 Personen. Zum Beispiel
der Krimiautor Friedrich Ani und der Sänger und Autor Konstantin
Wecker. Es finden immer wieder Literaturevents der Gruppe statt.
Mitglied wird man nur mit Einladung – eine Ehre für Schreibende.
die Gr•ndung, -en
, von: gründen = starten
eine R¶lle spielen
, wichtig sein
das Isartor
, ≈ bekannter breiter Ein­
gang vor dem Münchener
Stadtzentrum
das M“tglied, -er
, Person: Sie ist bei einer
(organisierten) Gruppe.
der Kr“miautor, -en
, Autor: Er schreibt Krimis.
(der Kr“mi, -s
, lange, fiktive Erzählung:
Sie hat kriminelles Tun zum
Inhalt.)
die Ehre
, hier: Titel oder Symbol
für eine gute Reputation
Fotos: Everett Collection/Shutterstock.com;; Alex Blajan/unsplash
8
Deutsch perfekt
ACHT FRAGEN ZUM START
Warum leben Menschen länger,
wenn sie Bücher lesen?
AUDIO
Sport machen, gesund essen, wenig Alkohol trinken: Manche Menschen tun viel,
um länger zu leben. Für die meisten Dinge braucht man Disziplin. Aber es gibt
auch eine schöne und einfache Methode:
lesen. Das ist das Resultat einer großen
Untersuchung von Forscherinnen und
Forschern der US-Universität Yale. Das
Team hat rund 3600 über 50 Jahre alte
Personen in drei Gruppen eingeteilt: Die
erste Gruppe hat keine Bücher gelesen.
Die zweite Gruppe hat pro Woche bis
zu dreieinhalb Stunden gelesen. Die
dritte Gruppe hat pro Woche mehr
als dreieinhalb Stunden gelesen. Die
Untersuchung hat zwölf Jahre gedauert.
Das Resultat: Die Lebenserwartung der
Personen in Gruppe drei ist 23 Prozent
höher als bei den Menschen ohne Bücher
in Gruppe eins. Die Viellesenden leben
fast zwei Jahre länger. Auch bei den Personen in Gruppe zwei war die Lebenserwartung noch 17 Prozent höher. Das
bedeutet: Schon ein paar Seiten am Tag
haben einen positiven Effekt. Warum ist
das so? Immer wieder zu lesen, stimuliert die Gehirnzellen, sagen die Forscherinnen. Es trainiert die kognitiven
Fähigkeiten. Außerdem verbessert es das
Vokabular, die Konzentrationsfähigkeit
und die emotionale Intelligenz. Diese
Faktoren steigern die Lebenserwartung.
Den Effekt gibt es aber nur bei Büchern.
Denn bei diesen kann sich der Leser viel
intensiver auf den Inhalt einlassen als
zum Beispiel bei einem Zeitungstext.
6
die F¶rscherin, -nen
, Frau: Sie arbeitet für
mehr Wissen.
(¡twas) einteilen “n
, als Kategorien für etwas
benutzen
die Lebenserwartung, -en
, Prognose: So lange lebt
ein Mensch (wahrschein­
lich).
der/die Viellesende, -n
, Person: Sie liest viel.
die Geh“rnzelle, -n
, kleinstes Teil vom Gehirn
(das Geh“rn, -e
, Organ im Kopf: Damit
denkt und fühlt man.)
die Fähigkeit, -en
, ≈ Können
verb¡ssern
, besser machen
das Vokabular
, hier: alle Wörter von
einer Sprache
steigern
, hier: verbessern
s“ch einlassen auf
, hier: verstehen und
fühlen
9
7
10
ACHT FRAGEN ZUM START
Deutsch perfekt
LEICHT PLUS
Gibt es Bücher bald
nicht mehr auf Papier?
Wir leben in einer Zeit der Digitalisierung. Und seit der Pandemie
in einer Zeit der Papierkrise: Papier ist teuer geworden. Und es gibt
nicht genug davon. Speziell für Verlage ist das ein Problem. Eine
Konsequenz ist, dass es schlecht aussieht für das gedruckte Buch.
Seit Jahren gibt es Prognosen von seinem Ende – und vom Triumph
des E-Books. Aber: Deutschen Leserinnen und Lesern ist das egal.
Sie kaufen und lieben das Printbuch immer noch. In Untersuchungen sagen sie, dass sie es schön finden und gern in der Hand halten.
Das zeigen auch die Zahlen: Auf dem deutschen Buchmarkt hatten
E-Books im letzten Jahr einen Umsatzanteil von 5,7 Prozent. Das
sind 0,1 Prozent weniger als 2020 – und sehr viel weniger als in anderen Ländern. In China liest jeder Vierte E-Books, in Deutschland
nur jeder Zehnte. Vielleicht muss es den Triumph des E-Books aber
auch gar nicht geben. Denn rund 40 Prozent kombinieren verschiedene Formate: Sie lesen gedruckt und digital und hören Hörbücher.
die Digitalisierung
, Tendenz: Immer mehr
funktioniert digital, nicht
analog.
der Verlag, -e , Firma:
Sie macht z. B. Bücher.
¡s sieht … aus für
, die nächste Zeit wird … für
der }msatzanteil, -e
, ≈ Teil von allen Verkäufen
gar n“cht
, absolut nicht
das Hörbuch, ¿er
, gesprochener Buchtext:
Man kann ihn z. B. als MP3
oder im Internet hören.
Die Buchmessen in Leipzig und
Frankfurt am Main sind in der Literaturbranche die Megaevents des
Jahres. Die Messe in Frankfurt hat
eine mehr als 500 Jahre alte Tradition. Leipzig aber war speziell zwischen 1700 und 1945 das Zentrum
des Buchhandels. Heute ist die Messe dort kleiner als in Frankfurt, aber
beim Publikum besonders populär.
8
die Buchmesse, -n
, Ausstellung: Dort
zeigen Firmen und Insti­
tutionen neue Bücher.
die Literatur­
branche, -n
, ≈ Literatursektor
der Buchhandel
, Verkauf von Büchern
und Zeitschriften
Fotos: picture alliance/dpa/Sebastian Gollnow; Ground Picture/Shutterstock.com
Hat Frankfurt oder
Leipzig die größere
Buchtradition?
Johann Wolfgang von Goethe
Ein gleiches
SCHWER PLUS AUDIO
Illustration: Miny/Shutterstock.com
Über allen Gipfeln
Ist Ruh’,
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur! Balde
Ruhest Du auch.
Über den Autor und seine Lyrik
Kaum ein deutschsprachiges Gedicht ist bekannter als dieses.
Am Anfang war es ein Graffito. Der damals 31-jährige Goethe
schrieb es am Abend des 6. September 1780 mit Bleistift an
die Holzwand eines Jägerhäuschens. Das Gedicht wurde in
mehr als 60 Sprachen übersetzt und „weitergedichtet“. Am
bekanntesten ist die Version des für seine experimentelle Lyrik
bekannt gewordenen Ernst Jandl, ÜBE! Rrrrrrrrrrrrr.
der G“pfel, -
, höchste Stelle eines
Berges
der W“pfel, , oberster Teil von einem
Baum
der Hauch, -e
, sehr leichter Luftstoß
das Vögelein, , kleiner Vogel
ruhen
, hier: still liegen; tot sein
das Ged“cht, -e
, Poesie
das Jägerhäuschen, -
, kleines Haus für jeman-
den, der im Wald Tiere fängt
und tötet
weiterdichten
, ein Gedicht weiterschreiben, z. B. um es länger
zu machen oder zu Ende zu
schreiben
M it h u S a n
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Deutsch perfekt
EIN NEUER LITERATURKANON
Die Bücher der Frauen
Sie erzählen, debattieren, streiten: Die wichtigsten Stimmen in der
deutschsprachigen Literatur sind nicht mehr männlich, sondern
weiblich. Wird der bis jetzt so sehr von Männern dominierte deutsche
Kanon also plötzlich weiblich? Von Volker Weidermann
MITTEL
E
Fotos: Melina Mörsdorf, Antje Berghaeuser/laif; Guido Schiefer
Te
s passierte im Herbst 1997 auf einem Literaturwettbewerb in Berlin-Pankow. „Open
mike“, also: „offenes Mikrofon“: Hier kann
jeder Mensch lesen, der etwas zu lesen hat.
Wir saßen in tiefen Sesseln, Lesungs-Trance: Vielleicht geschieht ja irgendwas, vielleicht auch
nicht. Und dann geschah: Terézia Mora.
„Großvater ist tot“, das war ihr erster Satz, den sie
hier las. Die Intensität in ihrer Stimme war wie ein
Stromstoß. Die Frau da oben auf dem Podium las die
Geschichte aus einem Dorf irgendwo im Osten. Von einem kleinen Mädchen, das sich fühlt „wie eine Anziehpuppe aus Papier“. So leicht ist sie, ohne
Hilfe einer fremden, feindlichen Welt.
Es war der erste Text, den Mora
öffentlich las. 1990 ist sie aus Ungarn nach Berlin gekommen. Sie
war als Teil der deutschsprachigen Minderheit aufgewachsen.
Aber ihr Deutsch war 1997 fremd
und anders. Jetzt las sie ihre eigene
Geschichte als Literatur: „Ich bin
ré
Guerillakämpferin. Sechzehn Jahre.
z
der Literaturwettbewerb, -e
, ≈ Suche nach dem besten
Schriftsteller
lesen
, hier: laut vor anderen
lesen
die Lesung, -en
, hier: Veranstaltung, bei
der ein Autor eigene Texte
liest
geschehen
ia M
ora
war
Achtundvierzig Kilo. Blass wie der Mond.“ Ein Mädchen aus Papier kämpft sich aus einer falschen Welt heraus – nur mit Worten. Für die, die damals zuhörten, war
es ein magischer Moment. Etwas ganz Neues begann.
Seit diesem Terézia-Mora-Moment vor 25 Jahren
und der damals noch männlich dominierten Welt der
deutschen Literatur hat sich alles geändert. Der aktuelle Kanon ist ein weiblicher. Ein Kanon entsteht immer erst mit zeitlicher Distanz. Er umfasst die wichtigen literarischen Werke. Und er ist wie ein Spiegel der
Gesellschaft, in der sie entstanden sind. Heute sind die
lauten, meistgehörten Stimmen des politisch-literarischen Diskurses die von Frauen.
Es schien ja eigentlich immer gleich
zu funktionieren: Günter Grass,
Martin Walser und Hans Magnus
Enzensberger beginnen mit einer
Debatte, Peter Handke und Botho
Strauß argumentieren dagegen,
Rainald Goetz und Maxim Biller
sagen auch noch etwas. Alles Männer.
der Beginn von etwas komplett Neue
m
feindlich
, passieren
, hier: ≈ böse
der Stromstoß, ¿e
, Strom, der kurz durch den
Körper geht
, hier: kleine Gruppe in
die [nziehpuppe, -n
, hier: Puppe aus dickem
Papier, für die es verschiedene Kleider aus Papier zum
An- und Ausziehen gibt
Jelinek und Müller gegen die Welt
die M“nderheit, -en
einem Staat, die sich von
anderen z. B. durch Kultur und
Religion unterscheidet
bl„ss
, ohne Farbe; hier: mit
sehr heller Haut; hier auch:
unauffällig
.
umf„ssen
meistgehört
, hier: ≈ zum Inhalt haben
, mehr gehört als andere
das W¡rk, -e
der Disk¢rs, -e
, hier: Diskussion; Debatte
, hier: Produkt eines
Schriftstellers, z. B. Buch
entstehen
, hier: gemacht werden;
geschrieben werden
scheinen zu
, hier: so wirken, dass man
meint, es …
argumentieren gegen
, hier: mit Gegenargumenten reagieren auf
13
14
EIN NEUER LITERATURKANON
Deutsch perfekt
er
zä
hlt
von
ihre
r Familie.
Aber Grass ist tot, Handke spricht mit sich selbst. Walser, Enzensberger, Strauß und Goetz schweigen. Und
Maxim Biller will kein Schriftsteller mehr sein.
Die Männer haben Platz gemacht. Aber das ist nicht
einfach so passiert. Da waren zum Beispiel Elfriede Jelinek und Herta Müller – Vorbilder für viele, die nach ihnen kamen. Beide Schriftstellerinnen haben inzwischen
den Literatur­nobelpreis bekommen.
Jelinek aus Wien war am Anfang ihres Schreibens
eine Kommunistin im Chanel-Kostüm. Immer wieder attackierte sie in Romanen und Theaterstücken
das Patriarchat und die männliche Gewalt. Zum
Beispiel in ihrem Roman Lust von 1989: ohne
Kompromisse und mit superschwarzem
Humor. Von Anfang an war es Jelinek
gegen die ganze Welt. 1995 erschien ihr
wichtigster Roman: Die Kinder der Toten
über die Spuren der mörderischen Vergangenheit im Heute. Da hingen in ihrer
Heimatstadt gigantische Plakate mit der
rhetorischen Frage an die Wienerinnen und
Wiener, ob sie Jelinek lieben oder Kunst und
a
j
Kultur.
Eine Stadt gegen eine Frau. Ganz anders
ka
ws
o
r
war
es
auf
den
Bühnen, wo man ihre Stücke feierte.
t
Katja Pe
Noch heute ist Jelinek eine der meistgespielten
deutschsprachigen Dramatikerinnen. Aber öffentlich
zeigt sie sich nicht mehr. „Aus Angst“, sagt sie.
Angst hat sie auch vor diesem Winter, wenn ihr autobiografischer Roman publiziert wird. Das schreibt sie
in einer Mail. Aber sie kämpft weiter. „Sonne, los jetzt!“
heißt ihr Stück zur Klimakrise, das bald Premiere hat.
das Vorbild, -er
, hier: ideales Beispiel, an
dem man sich orientiert
der Literaturnob¡lpreis, -e
, Geld für den besten Autor
oder die beste Autorin
das Kostüm, ¿e
, hier: Rock und passende
Jacke in formellem Stil
die Gew„lt
, hier: ≈ Dominanz und
Kontrolle durch Aggression
superschwarz
Auch bei Herta Müller spielte Angst am Anfang eine
Rolle. In der rumänischen Diktatur wuchs sie als Teil
der deutschsprachigen Minderheit auf. Sie wurde immer wieder verhört. Die Angst konnte sie nur mit dem
Schreiben kontrollieren, hat sie gesagt. 1984 erschien ihr
erster Roman Niederungen unzensiert im Westen. Kurz
danach kam sie selbst. In ihren Romanen schreibt sie
gegen eine Ideologie und gegen die Diktatur – vor allem
in Herztier und Der Fuchs war damals schon der Jäger.
Nach dem Ende der Diktatur von Nicolae Ceauşescu
fuhr Müller 1990 wieder nach Rumänien. Zufällig traf
sie einen Mann aus dem Geheimdienst, der sie früher
mit großer Lust gequält hatte. Sie ging ihm nach, wollte
schreien, sprach aber ganz leise: „Sehen Sie, jetzt müssen
Sie Angst vor mir haben.“ Plötzlich war sie die Gewinnerin der Geschichte. Ein stiller Triumph des Schreibens
gegen die Welt.
Jelinek und Müller – mit diesen beiden starken Autorinnen sind neue Traditionen entstanden.
Von 1947 bis 1967 gab es in Westdeutschland die legendäre Gruppe 47. Der deutsche Schriftsteller Hans
Werner Richter hat sie gegründet. Die Autoren-Organisation war für die Literatur und für gesellschaftspolitische Diskussionen extrem wichtig. Würde es heute
noch eine Gruppe 47 geben, wären ihre Chefinnen Juli
Zeh, Eva Menasse, Sibylle Berg und Carolin Emcke.
Zeh ist eigentlich schon lange ihre eigene Gruppe 47.
Zu jedem gesellschaftlich relevanten Thema kann sie
etwas sagen – wichtig, früh, informiert und informativ.
Sie schreibt Kolportage-, Kriminal-, Gesellschafts- und
Politromane.
meistgespielt
, m sehr schwarz; böse
, mehr gespielt als andere
war ¡s
, hier: ≈ war die Situation: …
die Dramatikerin, -nen
, Frau, die Dramen schreibt
erscheinen
, publiziert werden
Los j¡tzt!
, m ≈ Beeil dich! Mach
schnell!
die Spur, -en
, hier: Dinge, an denen man
merkt, dass es … gab
mœrderisch
, hier: ≈ so, dass Menschen
nach einem genauen, bösen
Plan totgemacht wurden
verhören
, als Polizist einer Person,
von der man glaubt, dass sie
etwas Kriminelles gemacht
hat, Fragen stellen
die Niederung, -en
, Region, die tiefer liegt als
andere, z. B. an einem Fluss
oder am Meer
der F¢chs, ¿e
, orangerotes Tier mit
langem, dickem Schwanz
(der Schw„nz, ¿e
, langes, meistens dünnes
Stück am Ende vom Rücken
mancher Tiere)
der Jäger, - , hier:
Tier, das andere Tiere fängt und
totmacht, um sie zu essen
der Geheimdienst, -e
, staatliche Organisation,
die geheime Informationen
holt und geheime Dinge des
eigenen Landes schützen soll
quälen
, schlagen; wehtun; böse
sein zu
gr•nden
, starten
der Kolportageroman, -e
, ≈ sehr einfacher, literarisch
unwichtiger Roman
Fotos: picture alliance /REUTERS/Leonhard Foeger, dpa/dpa-Zentralbild, Arno Burgi
In Angst wuchs Herta Müller im Rumänien des Diktators
Ceauşescu auf. Am Ende erreichte sie mit ihren Romanen
einen stillen Triumph des Schreibens gegen die Welt.
El f r i e
de
Jel
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at
da
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a t r i a r c h at.
a
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Hert
Mü
ll
rs
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eg
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k
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im m
ihr
en
Rom
ane
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ier
t in
ck
ta
atur.
Dikt
EIN NEUER LITERATURKANON
Deutsch perfekt
Juli Zeh hat zu jedem gesellschaftlich relevanten Thema
etwas zu sagen – wichtig, früh, informiert und informativ.
Da kann man sich auch mal selbst interviewen.
Juli Ze
Zeh ist außerdem Richterin am
zu schreiben. Als Romanautorin
Verfassungsgericht in Brandenburg.
erzählte sie 2005 in ihrem Debüt
Sie hat über eine „GesundheitsdikVienna ihre jüdische Familien- und
tatur“ einen Roman geschrieben:
Überlebensgeschichte. In ihrem
Corpus Delicti. Das war 2009, lange
aktuellen Gesellschaftsroman
Dunkelblum geht es um ein Kriegsvor Corona. Corpus Delicti wurde
verbrechen im Jahr 1945 im österin den Schulen gelesen. Das Buch
hatte gigantischen Erfolg. Es war das
reichischen Rechnitz – und das kolThema sehr vieler Kontroversen. Zehs
lektive
Schweigen einer Kleinstadt.
wi
ek
Reaktion, elf Jahre später: Sie interviewte
Die deutsche Literatur braucht neue
au
me
i ne
sich in einem Buch darüber einfach selbst –
Traditionen. Denn sie hat keine Madame de
a nde r
e.
Fragen zu „Corpus Delicti“.
Staël, keine George Sand, keine Brontë-SchwesZeh ist immer wieder Gast in der wichtigen Fernseh- tern, keine Jane Austen und keine Virginia Woolf. Sie
sendung „Das Literarische Quartett“. Dort hat sie ge- hat aber eine Annette von Droste-Hülshoff. Und dann
sagt: Schade, dass das Duell heute verboten ist. Denn sie in der Zeit eines kurzen Booms in den 1920er-Jahren die
kennt ein paar Literaturkritiker, die sie gern herausfor- geniale Irmgard Keun, Mascha Kaléko, die Reporterin
dern will. Wenn diese sie in ihrem Brandenburger Dorf Maria Leitner, Else Lasker-Schüler, Gabriele Tergit.
besuchen, kommt sie mit ihrem Land Rover Defender.
Das waren plötzlich moderne Gesellschaftsromane,
Die Autorin ist nicht nur so aktiv wie wenige. Sie hat Bücher des kämpferischen Träumens, selbstsicher und
mit Unterleuten 2016 einen der besten deutschen Gesell- lustig. Aber die Bücher wurden verbrannt, die Autorinschaftsromane der letzten Jahre geschrieben.
nen vertrieben und lange, lange Zeit vergessen.
Ein großer Gesellschaftsroman ist auch der
Deutsch-Schweizerin Sibylle Berg mit GRM gelungen, Christa Wolf und die Nähe zum Regime
viel aggressiver, lustiger, auch analytischer als Unter- Klar, in der Deutschen Demokratischen Republik
leuten. Ihre Motivation dabei ist revolutionärer Furor. (DDR) gab es die Ikone Anna Seghers. Sie hat den wirkBerg zeigt sich an vielen Stellen: in Spiegel-Kolumnen, lich weltverändernden Roman Das siebte Kreuz geschrieTheaterstücken und auf Twitter. Ihre rund 145 000 Fol- ben und den modernen Flüchtlingsroman Transit. Und
lowerinnen dort sind wie ihre eigene kleine Fan-Armee. es gab die berühmte Christa Wolf mit Werken wie Der
Mails unterschreibt sie meistens einfach mit „Chef“.
geteilte Himmel und Kassandra. Sie war extrem wichtig für
Auch eine, die bei jeder Debatte mitmacht, ist die Ös- das Leben und Schreiben vor allem der Frauen in der
terreicherin Eva Menasse. Sie begann als Journalistin DDR. Aber Wolf balancierte zwischen Widerspruch
h is
ta
kt
iv
die R“chterin, -nen
, Frau, die in einer offiziellen
Institution sagt, ob jemand etwas Kriminelles gemacht hat
das Verf„ssungsgericht, -e
, hier: spezielle Institution
in einem Bundesland, die bei
einem Streit über dessen
Verfassung entscheidet
(die Verf„ssung, -en
, schriftliche Form für die
wichtigsten Regeln in einem
Staat oder Bundesland)
(das B¢ndesland, ¿er
, Teil von einer föderalisti-
schen Republik)
die Ges¢ndheitsdiktatur
, ≈ System von staatlichen
Regeln, das sich nicht mehr
an den Prinzipien der Demokratie orientiert, weil nur
die Gesundheit der Bürger
oberste Priorität hat
herausfordern
, hier: ≈ provozieren
}nterleuten
, Name eines fiktiven Dorfs
der Spiegel
, hier: Name einer Zeitschrift mit Nachrichten
jüdisch
, von: der Jude = Person,
deren Religion die Thora als
Basis hat
die Überlebensgeschichte, -n
, Geschichte, wie jemand in
einer gefährlichen Situation
am Leben blieb
das Kriegsverbrechen, -
w¡ltverändernd
, kriminelles Tun in einem
, so, dass es die Welt anders
schweigen
, hier: über schlimme Dinge
nicht sprechen
der Fl•chtlingsroman, -e
, Roman über einen
Menschen, der wegen Krieg
oder Not aus seiner Heimat
weggeht
Krieg
verbr¡nnen
, hier: durch Feuer kaputtmachen
vertreiben
, hier: aus politischen
Motiven Menschen aus ihrer
Heimat wegschicken oder
machen, dass sie weggehen
macht
geteilt , hier:
so, dass man ihn gemeinsam
hat, auch wenn man sonst in
getrennten Welten lebt
der Widerspruch
, hier: ≈ Protest; Kritik
Fotos: Peter von Felbert; picture alliance / SZ Photo/Friedrich Bungert; Dominik Butzmann/laif
16
E va
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na
s
se
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acht
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B
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Twitter
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u
a
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eine Fan-Ar
m e e.
Deutsch perfekt
e
gar n“cht ¡rst
, ≈ nicht, weil es keinen Sinn
macht
n¶nbinär
, so, dass man sich weder
als männlich noch als weiblich
fühlt
der Traum, ¿e
, von: träumen
s“ch verteidigen gegen
, hier: ≈ sich schützen vor;
entschuldigende Worte sagen
wegen
a
geschmeidig
, hier: so, dass man sich
harmonisch und elegant
bewegt, z. B. wie Tänzer
die Klaviatur, -en
, alle Tasten am Piano; hier:
≈ alle Varianten; alle Möglichkeiten; alle Formen
die P„nzerfaust, ¿e
, Kriegs­­gerät, mit dem man
gegen Panzer kämpft
(der P„nzer, , schweres Transportmittel
für den Kampf im Krieg)
s“ch verændern
, sich ändern
der Zweite W¡ltkrieg
, Krieg zwischen vielen
Nationen (1939 - 1945)
s“ch beschæftigen m“t
, hier: zum Thema haben
die Kulturwissenschaft­
lerin, -nen
, ≈ Frau, die verschiedene
Aspekte der Kultur (z. B.
Kunst, Literatur, Theologie,
Soziologie) systematisch
untersucht
le
das S„chbuch, ¿er
, Buch, in dem Informationen oder Ratschläge stehen
verœffentlichen
, publizieren; hier auch:
schreiben
die Genderfrage, -n
, ≈ Thema der Geschlechteridentitäten und Debatte
über gesellschaftliche Gleichheit der Geschlechter
der Erzählungsband, ¿e
, Buch mit Erzählungen
ne
He
g em
ann polarisiert.
die Generation, -en
, hier: alle Menschen, die
ungefähr gleich alt sind
das Fräuleinwunder, - hist.
, attraktive und selbstsichere junge Frau (Wort aus
der Nachkriegszeit); hier:
neue Generation von jungen
deutschen Autorinnen
entstehen
, hier: gemacht werden;
geschrieben werden
Fotos: picture alliance/dpa/Frank Rumpenhorst, Thilo Rückeis
rie
rt
Jacki
m
Tho
pi
s
e in
He
und
Nähe
zu dem
Regime –
und
war
deshalb nur für
wenige Autorinnen
ein Vorbild.
Eines wollen wir hier gar nicht
erst versuchen: ein irgendwie Gemeinsames
der Literatur von Frauen zu suchen. Dafür kommen
wir auch viel zu spät. Sibylle Berg nennt ihr Geschlecht
inzwischen nonbinär. Eines der stärksten und speziellsten Debüts der letzten Jahre, Ministerium der Träume,
hat Hengameh Yaghoobifarah geschrieben. Auch sie ist
nonbinär.
Und dann ist da noch Helene Hegemann. Für ihren genialen Roman Axolotl Roadkill gab es 2010 in der
literarischen Welt viel Euphorie – aber zum Teil auch
destruktive, böse Kritiken von Männern. Wenn man
sie danach fragt, merkt man, dass sie die entweder gern
einfach ignoriert oder sich selbst dagegen verteidigt. In
Axolotl Roadkill schreibt Hegemann: „Diese junge Frau
spielt geschmeidig auf der Klaviatur der Elemente wie
eine Gazelle mit Panzerfaust.“
So viel hat sich verändert in den letzten 25 Jahren,
seit Terézia Moras Lesung über die „Guerillakämpferin,
blass wie der Mond“, und dem in Rumänien sehr leise
gesagten Satz: „Sehen Sie, jetzt müssen Sie Angst vor
mir haben.“
All diese Triumphe! Da ist zum Beispiel die ukrainisch-deutsche Schriftstellerin Katja Petrowskaja mit
Vielleicht Esther, eine Familiensaga im Kontext des Zweiten Weltkriegs. Und da ist Das achte Leben (Für Brilka), der
grandiose Roman der georgisch-deutschen Autorin
Nino Haratischwili. Außerdem ist da Jackie Thomae
mit ihren Gesellschaftsromanen.
In Brüder erzählt Thomae von in der DDR aufgewachsenen Geschwistern. Die beiden sehr unterschiedlichen
Männer verbinden nur die dunkle Hautfarbe und der
Vater aus dem Senegal. Thomae, selbst in der DDR aufgewachsen, beschäftigt sich nicht nur mit der Rolle der
Hautfarbe im Leben der Brüder. Sie fragt auch: Wie werden wir zu den Menschen, die wir sind?
Um Identität geht es auch in dem Bestseller ­Identitti
der Düsseldorfer Kulturwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin Mithu Sanyal. Der Roman erzählt von
einem Skandal um eine Düsseldorfer Professorin für
postkoloniale Theorie, die viel Erfolg hat. Sie hat sich als
Person of Color beschrieben – ist aber weiß. Sanyal hat
vorher Sachbücher veröffentlicht. In ihren Texten, im
Radio und im Fernsehen beschäftigt sie sich auch mit
Genderfragen, Politik, Kapitalismus, Sexualität – und
bringt die Diskurse von heute mitten ins Leben.
Nicht fehlen darf hier schließlich auch Judith Hermann. Sie wurde 1998 mit ihrem Debüt Sommerhaus,
später bekannt – ein gigantischer Erfolg. In dem Erzählungsband beschreibt sie das Lebensgefühl ihrer Generation: Künstlerinnen, Studenten und Arbeitslose
im Berlin der späten 90er-Jahre. Hermann wurde über
Nacht zum Shootingstar der deutschen Literatur. Viele grandiose Autorinnen kamen
nach ihr. Ein Phänomen, das ein Kritiker damals das „literarische Fräuleinwunder“ nannte.
Über diesen Begriff kann man
streiten. Das tat und tut man auch.
Aber viel relevanter sind die Frauen und ihre Werke, die in den letzten Dekaden entstanden sind – der
neue deutsche Literaturkanon.
Anonym
Dunkel war’s, der Mond schien helle
Dunkel war’s, der Mond schien helle,
schneebedeckt die grüne Flur,
als ein Wagen blitzesschnelle,
SCHWER PLUS
Diesen Text hier
kostenlos hören!
www.deutsch-perfekt.
com/audio-gratis/12
D¢nkel war’s, …
, m Es war dunkel, …
schneebedeckt
, so, dass Schnee darauf
liegt
langsam um die Ecke fuhr.
die Flur, -en
, offene Landschaft aus
Wiesen und Feldern
Drinnen saßen stehend Leute,
vertieft “n
, hier: mit intensiven
Gedanken an
schweigend ins Gespräch vertieft,
als ein totgeschoss’ner Hase
auf der Sandbank Schlittschuh lief.
bl“tzesschn¡lle
, m extrem schnell
totschießen
, ≈ mit einer Pistole so
verletzen, dass … stirbt
der Hase, -n
, kleines Tier mit langen
Ohren (s. Bild)
die S„ndbank, ¿e
, Uferstelle mit Sand
Schl“ttschuh laufen
Und ein blondgelockter Jüngling
auf Eis laufen
mit kohlrabenschwarzem Haar
bl¶ndgelockt
, mit nicht glatten,
blonden Haaren
saß auf einer grünen Kiste,
der J•ngling, -e
, junger Mann
die rot angestrichen war.
kohlrabenschw„rz
, in einem intensiven
Schwarz
Neben ihm ’ne alte Schrulle,
zählte kaum erst sechzehn Jahr,
Illustrationen: Svetsol, Dinana Finch/Shutterstock.com
, mit speziellen Schuhen
in der Hand ’ne Butterstulle,
die mit Schmalz bestrichen war.
„nstreichen
, mit Farbe malen auf
die Schr¢lle, -n
, hier: m d alte,
seltsame Frau
zählen
, hier: alt sein
die B¢tterstulle, -n
, Butterbrot
das Schm„lz
, hier: weiße, weiche
Speise aus Schweinefett
bestreichen
, verteilen auf
Über den Autor und seine Lyrik
Lange bevor es das Internet gab, ging dieses paradoxe Gedicht eines anonymen
Autors viral. Die älteste bekannte Version ist von 1898. Am Anfang hatte es
zwei oder drei Strophen, später wurden es immer wieder mehr, bis zu 16 Strophen.
Deshalb gibt es heute sehr viele, sehr unterschiedliche Varianten.
das Ged“cht, -e
, Poesie
20
BLINDTEXT
Mehr
als nur
Bücher
Deutsch perfekt
Deutsch perfekt
BLINDTEXT
21
Foto: picture alliance/dpa/Martin Siepmann
Bibliothek
Bad Schussenried
Insider empfehlen die kleine Stadtteilbibliothek mit
Charme, Reiseführer die Literatursammlung als grandiose
Sehenswürdigkeit. Aber warum werden Bücher und andere
Medien in Bibliotheken immer weniger wichtig? LEICHT PLUS
BLINDTEXT
Stadtbibliothek
Stuttgart
Deutsch perfekt
Fotos: xxxx
22
Fotos:Hubi
Foto:
xxxxxx
Img Eixan/Unsplash.com
Deutsch perfekt
BLINDTEXT
23
BLINDTEXT
Deutsch perfekt
Fotos: xxxx
24
Deutsch perfekt
BLINDTEXT
25
Fotos:Horst
Foto:
xxxxxx
und Daniel Zielske
Herzogin
Anna Amalia
Bibliothek,
Weimar
26
DEUTSCHLANDS BIBLIOTHEKEN
E
s gibt eine einfache, kurze
Definition für den Begriff Bi­
bliothek: Sie ist eine Sammlung
von Büchern. Das ist korrekt
– und auch nicht. Denn die
rund 9000 öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland sind
so viel mehr als das.
Manche der Institutionen sind grandiose historische Sehenswürdigkeiten.
Zum Beispiel die Bibliothek des Klosters
Bad Schussenried in Baden-Württemberg. Der Saal im Rokoko-Stil ist Teil eines Museums. Besucherinnen und Besucher sehen dort nicht nur Bücherwände,
sondern auch Skulpturen und Fresken
aus dem 18. Jahrhundert.
Eine der bekanntesten Institutionen im Land und Teil des Welterbes der
UNESCO ist die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar. Die Forschungsbibliothek für Literatur- und Kulturhistorie
wurde 1691 gegründet.
Einer ihrer Leiter war
mehr als 30 Jahre lang
Johann Wolfgang von
Goethe.
Aber Bibliotheken
funktionieren auch
ohne Rokoko und bekannte Namen. Zum
Beispiel als kleine Insti­
tution in einem Stadtteil oder in einem Dorf. Das macht sie für
die Menschen nicht weniger wichtig. Sie
können dort trotzdem ihre Liebe für die
lakonischen Romane von Sven Regener,
für Filme mit Klaus Kinski oder für die
Hamburger Indierockband Kettcar gefunden haben. Aber: Die Zahl dieser Menschen wird überall in Deutschland kleiner.
Rund 72 Millionen Personen haben die
öffentlichen Bibliotheken 2020 besucht.
2015 waren es noch 119 Millionen Besuche. Natürlich waren die Institutionen im
ersten Pandemiejahr 2020 mehrere Wochen geschlossen. Aber eines ist klar: Die
Bibliotheken müssen sich verändern, um
eine Zukunft zu haben.
Die Idee von den Aufgaben einer Bibliothek ist heute eine andere als vor
20 Jahren. In Diskussionen über die
Deutsch perfekt
Zukunft der Institution ist der Begriff
vom dritten Ort zentral geworden. Der
US-amerikanische Soziologe Ray Oldenburg hat ihn 1989 zum ersten Mal
benutzt. Oldenburg sieht drei Orte: Der
erste Ort ist das Zuhause, der zweite Ort ist
die Schule oder der Arbeitsplatz. Der dritte
Ort ist ein öffentlicher, sozialer, egalitärer
und positiver Platz für die Freizeit. Ein
zweites Zuhause. Das sollen Bibliotheken
heute sein.
Das bedeutet: Nicht mehr das Medienangebot steht im Zentrum. Sondern die
Besucherinnen. Sie sollen die Atmosphäre mögen, Inspiration bekommen und
Optionen für viele verschiedene Aktivitäten haben. Sie sollen dort lernen und am
sozialen, kulturellen und digitalen Leben
teilnehmen. Bibliotheken baut man heute
nicht mehr für Bücher. Man baut sie für
Menschen. Das ist die Idee in der Theorie.
Wie sie in der Praxis
aussieht, zeigt das Beispiel der Stadtbibliothek
Stuttgart. 2011 ist die
Zentralbibliothek der
Großstadt in ein neues Haus gezogen. Sein
bekannter Architekt ist
der Koreaner Eun Young
Yi. Zwei Jahre nach dem
Umzug hat die Stadtbibliothek den nationalen
Preis der Bibliothek des
Jahres 2013 bekommen. Der Grund dafür
ist aber nicht die Kombination von Glasbausteinen und Beton in der Fassade. Es
ist auch nicht die helle, moderne Präsentation der Bücher mit zentralem Licht von
oben. Den Preis hat die Institution für die
Realisierung ihrer Idee bekommen: Sie
will ein innovativer Lernort sein.
Speziell die Vermittlung digitaler
Kompetenzen ist in der Stadtbibliothek
Stuttgart elementar. Vorträge des Chaos Computer Clubs über Themen wie
Künstliche Intelligenz und Datenschutz
sind nur ein kleiner Teil des Programms.
Es findet auch eine Beratung zu Computerspielen statt. Außerdem gibt es Angebote für Migranten. Eine Motivation
zum Deutschlernen soll zum Beispiel die
Sprachwerkstatt bieten.
Eva Pfeiffer
Die Idee von
den Aufgaben
einer Bibliothek
ist heute eine
andere als vor
20 Jahren.
der Begr“ff, -e
digital
œffentlich
, L privat
, konstruieren; machen
, Wort
w“ssenschaftlich
, hier: mit Expertenliteratur aus verschiedenen
Sektoren, z. B. Chemie,
Literatur …
das Kloster, ¿
, Kirche mit Wohn- und
Arbeitshäusern: Dort leben
und arbeiten Menschen für
die Religion.
der Saal, Säle
, sehr großer, hoher Raum
das Jahrh¢ndert, -e
, ≈ Zeit von 100 Jahren
das W¡lterbe, , Häuser und Städte
auf der ganzen Welt: Sie
sollen für die Menschen der
nächsten Zeit so bleiben,
wie sie sind, und man darf
sie nicht kaputt machen.
die H¡rzogin, -nen
, Aristokratin: Sie regiert
eine Region.
die F¶rschungsbiblio­
thek, -en
, Bibliothek für wissenschaftliche Bücher und
Expertenzeitschriften
gr•nden
, starten
der Leiter, -
, ≈ Chef
s“ch verændern
, anders werden
eine Zukunft haben
, hier: noch länger da sein
können
das Zuhause
, hier: Platz zum Leben;
Wohnung/Haus: Dort lebt
man.
das Medienangebot, -e
, Mediensortiment
, L analog
bauen
gezogen
, Part. II von: ziehen =
hier: umziehen
der }mzug, ¿e
, von: umziehen
der Preis, -e
, hier: Geld/Ding: Die
beste Bibliothek bekommt
es. Eine Jury hat sie gewählt.
der Gr¢nd, ¿e
, hier: Erklärung
der Glasbaustein, -e
, Glasteil zum Bauen
der Beton franz.
, Substanz: Trocken ist sie
sehr hart.
die Verm“ttlung, -en
, von: vermitteln ≈ zeigen;
unterrichten in
die Kompet¡nz, -en
, hier: Kenntnisse
der Vortrag, ¿e
, Präsentation
das Thema, Themen
, hier: Inhalt
die K•nstliche Intellig¡nz
, hier: Disziplin in der
Computerwissenschaft:
Man programmiert
Roboter. Diese können z. B.
dynamisch reagieren.
der Datenschutz
, von: Daten schützen
= aufpassen, dass andere
Personen persönliche
Daten nicht bekommen
die Sprachwerkstatt, ¿en
, hier: kreativer Deutsch-
kurs für Jugendliche
bieten
, hier: geben; anbieten
Deutsch perfekt
Mascha Kaléko
Mein schönstes Gedicht
Mein schönstes Gedicht?
Ich schrieb es nicht.
Aus tiefsten Tiefen stieg es.
Ich schwieg es.
LEICHT
das Ged“cht, -e
, Poesie
schrieb
, Prät. von: schreiben
tief
, hier: ≈ intensiv; von tief
drinnen
die Tiefe, -n
, hier: ≈ Herz; Emotionen
stieg
, Prät. von: steigen =
hier: (nach oben) kommen
|ch schwieg ¡s.
, hier: ≈ Ich habe es nur
gedacht.
(schweigen
, nichts sagen)
b¡stverkauft
, hier: ≈ so, dass man am
meisten davon verkauft hat
Erf¶lg haben
Fotos: xxxxxx
Illustration:
MotionSky Studio/Shutterstock.com
, hier: ≈ populär sein
Über die Autorin und ihre Lyrik
Geglaubt hat Mascha Kaléko: Wenn sie einmal tot ist, gibt es nur noch drei dünne
Bücher mit Lyrik von ihr. Jetzt ist Kaléko seit fast 50 Jahren tot, aber ihre Lyrik ist so
populär wie kaum eine andere. Von den 25 in Deutschland bestverkauften Lyrik-Büchern waren 2019 von keinem anderen Lyriker und keiner anderen Lyrikerin so viele
wie von Kaléko. Die 1907 geborene Lyrikerin hatte schon ab 1933 großen Erfolg. Als die
Nazis ihre Bücher 1935 verboten haben, ist sie von Berlin nach New York gegangen.
Erst in den 50er-Jahren ist Kaléko zurückgekommen – und hatte sofort wieder Erfolg.
28
BLINDTEXT
Deutsch perfekt
Expertin in 15 Minuten?
Komplexe Themen, serviert als leichte Snacks: Die App Blinkist fasst Bücher in wenigen
Abschnitten zusammen. Wie gut funktioniert das abonnierte Schnelllesen? Ein Versuch.
SCHWER
E
s ist viel passiert in den letzten Tagen: Ich habe die Prinzipien der Quantenmechanik
verstanden, habe gelernt, wie
wir unseren Planeten retten,
und wie ich außerdem meinen Alltag und
mich selbst optimal organisiere. Das alles
und noch mehr, denn ich habe insgesamt
fünf Bücher gelesen. Oder, genauer gesagt: Ich habe sie für mich lesen lassen.
Möglich ist das mit Blinkist. Die Lese-App verspricht, das Wissen aus einem
Sachbuch in rund 15 Minuten Lese­zeit
kompakt zusammenzufassen. Auf ihrer
Website erzählt die gleichnamige Berliner
Firma vom „Buchklub der Milliardäre“:
Warren Buffett, Bill Gates, Elon Musk
und Mark Zuckerberg sind für ihr hohes
Lesepensum bekannt. Nicht nur bei Blinkist ist man überzeugt, dass es einer der
Gründe für ihren Erfolg ist. Grund genug
jedenfalls, die App einmal auszuprobieren. Laut der Firma nutzen das Produkt
weltweit 22 Millionen Menschen.
Am Anfang will Blinkist ein paar Dinge
wissen. Ich kann Themen auswählen, die
mich interessieren, soll meine Altersgruppe und meine tägliche Lesezeit angeben.
Als Nächstes soll ich mein Interesse an
einigen Sachbuchtiteln mit einem Daumen, der nach oben oder unten zeigt,
kommunizieren. Und schon kommen
das S„chbuch, ¿er
w¡ltweit
, Buch, in dem Informatio-
, auf der ganzen Welt
gleichnamig
, mit dem gleichen Namen
, nennen
nen oder Ratschläge stehen
das Lesepensum,
-pensen/-pensa
, Quantität, wie viel
jemand liest
Gr¢nd genug
, ≈ ein guter Grund
n¢tzen
, verwenden
„ngeben
der S„chbuchtitel, , veröffentlichtes
Sachbuch
der Daumen, , hier: Symbol für „Ja“
oder „Nein“ oder als Like-/
Dislike-Button: Es zeigt eine
Geste.
kommunizieren
, hier: verraten
Deutsch perfekt
LESEN LASSEN
die ersten Vorschläge und Empfehlungen. Ich will mich inspirieren lassen und
scrolle durch die Listen mit Buchtiteln.
Schließlich bleibe ich bei dem Bestseller
Ich möchte lieber nicht. Eine Rebellion gegen
den Terror des Positiven von Juliane Marie
Schreiber hängen. Unter der Überschrift
„Wer diesen Titel lesen sollte“ nennt Blinkist Menschen, die Authentizität und
Ehrlichkeit mögen. Na, dann mal los.
Ich nutze die Option, den Titel – auch
Blink genannt – anzuhören. 23 Minuten
dauert das. Man kann die Wiedergabe-Geschwindigkeit erhöhen. Das will
ich aber gar nicht, denn: Es macht Spaß,
dem Sprecher zuzuhören. Auch der Text
ist mit Humor geschrieben. Er ist in fünf
Kernaussagen unterteilt. Außerdem hat
er eine Einleitung und am Ende eine Zusammenfassung.
Nach dieser unterhaltsamen Lektion über den Optimismus-Hype habe
ich angebissen. Plötzlich fallen mir jede
Menge Sachbücher ein, die
ich schon lange lesen will.
Ich wähle David Allens Wie
ich die Dinge geregelt kriege.
Selbstmanagement für den
Alltag. Um Allens „Getting
Things Done Methode“ zu
verstehen, muss ich hier allerdings 48 Minuten investieren.
Mehr als 5000 Sachbücher kann man
auf diese Weise mit Blinkist kennenlernen. Jede Woche kommen rund 40 neue
Titel dazu. Bei der Sprache kann man
meistens zwischen Deutsch und Englisch
wählen. Ein Team von Autorinnen und
Autoren schreibt die Texte. Professionelle
Sprecherinnen lesen sie. An einem Blink
arbeiten laut der Firma durchschnittlich
circa sieben Personen.
Die Idee zu der App hatten 2012 drei
Freunde nach ihrem Abschluss an der
Universität. Sie fragten sich, wie man neben einem Vollzeit-Job noch Zeit zum Bücherlesen findet. Ihre Antwort: zum Beispiel bei mental unproduktiven Aktionen
wie Autofahren oder im Fitnessstudio.
Ich hänge Wäsche auf, während ich
Jonathan Safran Foers Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim
Frühstück retten höre. So lerne ich bei der
Hausarbeit viele gute Gründe für mehr
vegane Ernährung.
Apropos Ernährung: Mir fällt ein, dass
ich jetzt endlich auch das viel gelobte
Buch Darm mit Charme von Giulia Enders
kennenlernen und nebenbei die Küche
aufräumen kann. Es ist fantastisch: Ich
fühle mich wie in einem Süßwarenladen
voll mit Wissens­snacks und kann gar
nicht mehr aufhören, davon zu naschen.
Doch trotz meiner Euphorie: Was bedeutet Blinkist für das Lesen? Aus der
Leseforschung weiß man, dass immer
weniger Menschen das Deep Reading
beherrschen, also das tiefe Lesen eines
langen Textes – so intensiv, dass man
mental darin versinkt. Im Kontrast dazu
bekommt man bei Blinkist kleine, leichte
Snacks. Wird durch Apps wie diese Bildung zum Fast Food?
Die Antworten auf solche kritischen
Fragen liegen bei jedem Nutzer. Die App
macht es einem leicht, das
Buch direkt zu kaufen: Unter der Zusammenfassung
gibt es einen Link zu Amazon. Aber will ich die Bücher nach dem Hören der
Zusammenfassungen noch
komplett lesen? Manche ja,
andere nicht. Aber, Gegenfrage: Hätte ich die Bücher
ohne Blinkist überhaupt gelesen?
Vielleicht muss man sich gar nicht entscheiden zwischen Blinkist oder Deep
Reading. Die App inspiriert, gibt viele
Tipps und macht Lust darauf, sich mit
Themen und Autorinnen zu beschäftigen. Das bringt definitiv Spaß. Der nicht
ganz billig ist: Ein Jahresabo der App kostet rund 80 Euro, ein Monatsabo rund
13 Euro. Es gibt aber auch einen kostenlosen Blink des Tages.
Zum Schluss ist da noch die Sache mit
der Quantenmechanik. Der Blink zu dem
Buch Quantenwelt von dem US-Physiker
Lee Smolin hat sie mir erklärt. Nur: Zwei
Tage nach dem Anhören bin ich nicht
mehr sicher, die Prinzipien der Quantenmechanik wirklich verstanden zu haben.
Ganz so einfach ist es wohl doch nicht,
zur Expertin zu werden. Eva Pfeiffer
Fotos: Ground Picture/Shutterstock.com; Blinkist
Will ich Bücher
überhaupt noch
komplett lesen,
wenn ich die
Zusammenfassungen kenne?
hængenbleiben
, hier: nicht ignorieren
können
die Rebellion, -en
, Protest
D„nn mal los.
, m Es geht los!
„nhören
, ≈ hören
die Wiedergabe, -n
, ≈ Spielen eines Audios
der Spr¡cher, , Person, die einen Text
für eine Audioaufnahme
spricht
die K¡rnaussage, -n
, zentrale Aussage
(¡twas) unterteilen “n
, als Kategorien für etwas
benutzen
die Einleitung, -en
, hier: erklärende Worte
zu Beginn
unterh„ltsam
, wie gute Unterhaltung
„nbeißen
, hier: m anfangen, …
zu mögen
jede M¡nge
, viele
geregelt kriegen
, m es schaffen, … zu
regeln
die Weise, -n
, Art
dazukommen
, hier: ≈ neu kommen
29
der [bschluss, ¿e
, von: abschließen = hier:
eine Ausbildung mit Prüfung
beenden
aufhängen
, hier: zum Trocknen hoch
hängen
apropos
, übrigens
der D„rm, ¿e
, langes Organ im Bauch
von Menschen und Tieren
der Süßwarenladen, ¿
, Geschäft für Süßes
n„schen
, ≈ von etwas Süßem
kleine Stücke essen
beh¡rrschen
, hier: können
vers“nken “n
, hier: sich intensiv
beschäftigen mit
die B“ldung
, Wissen und Können in
verschiedenen Dingen
liegen bei
, hier: ≈ die Verantwor-
tung sein von
die Gegenfrage, -n
, Frage als Antwort auf
eine Frage
das Jahresabo, -s
, m kurz für: Jahres­
abonnement
(das Abonnement, -s
franz.
, hier: abonnierter
Service)
wohl
, hier: vermutlich
30
BLINDTEXT
Deutsch perfekt
Deutsch perfekt
BÜCHER SCHREIBEN ALS BERUF
31
„Schreiben ist ein
einsames Geschäft“
Schriftstellerinnen und Schriftsteller gibt es viele, aber nur wenige können
vom Bücherschreiben leben. Zu Besuch bei einer Autorin, die es versucht hat –
und die weiß, was man dafür braucht. Von Dieter Sürig
SCHWER
Illsutrationen: Natasha Barsova; Dmitriip, YummyBuum//Shutterstock.com
S
ommer 1989: Ulrike Draesner diskutiert in einem
Seminarraum der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität mit Studierenden über den Tristan
des Dichters Gottfried von Straßburg.
Die damals 27-jährige Uni-Assistentin
schreibt aber seit langer
Zeit selbst lyrische Texte. Da sie schon als Kind
gerne Geschichten geschrieben hat, kündigt
die Philologin nach der
Promotion ihren Job an
der Universität. Sie will
es probieren, will nur
noch schreiben. Jetzt
oder nie, denkt sie.
„Die Möglichkeit, Schriftstellerin zu
werden, gab es eigentlich in meiner Familie nicht“, sagt Draesner, dafür hat auch
das Geld gefehlt. „Und was mir aus der
Literaturgeschichte entgegenkam, war
männlich und tot.“
Die Münchenerin hat Glück: Der bekannte Suhrkamp-Verlag sucht junge
deutsche Lyrikerinnen. Bald verdient sie
mit ihrem ersten Lyrikbuch 2000 Mark
(heute ungefähr 1700 Euro) für 2000
gedruckte Exemplare. Mit dem Geld
kauft sie Lyrik. Denn sie will „sehen, was
sprachlich geschah, was andere schon
erfunden hatten“. Und sie ist überrascht:
Pro Lesung kann sie mehrere Hundert
Mark verdienen.
„Ich bin ins fahrende Gewerbe gegangen, hatte lange mehr als 100 Lesungen
im Jahr und habe viel Lebenszeit im Zug
verbracht“, erzählt sie. Gelebt hat sie nicht
von den Büchern, aber
eben von der Vermittlung ihrer Inhalte.
Dass Bücherschreiben für viele Menschen
ein Traumberuf ist,
zeigt die große Zahl der
Manuskripte, die auf
den Tischen von Verlagen und Agenturen
liegen. Bestseller wie
Harry Potter oder die vielen Heimatkrimis
inspirieren manche auch dazu, auf Bekanntheit und ein volles Konto zu hoffen.
Die Realität sieht aber anders aus. Die
Künstlersozialkasse nennt in einer Statistik rund 3300 Schriftstellerinnen und
Schriftsteller in Deutschland – mit einem
Durchschnittsverdienst von etwa 21 458
Euro im Jahr. „Ein ehrlicher Blick auf den
Beruf zeigt, dass Schriftsteller meist einen Einkommensmix brauchen, um ihr
Leben finanzieren zu können“, sagt Lisa
Basten vom Verdi-Verband deutscher
In Deutschland
leben rund 3300
Schriftstelle­
r­innen und
Schriftsteller.
das einsame Geschæft
, berufliche Tätigkeit, bei
der man einsam ist
die Promotion, -en
, hier: Beschäftigung mit
einer wissenschaftlichen
Untersuchung, um den Titel
Doktor zu bekommen
entgegenkommen
, hier: zufällig in die
Hände kommen von
der Verlag, -e
, Firma, die Zeitschriften,
Zeitungen oder Bücher
macht
die Lesung, -en
, Lesen vor Publikum
“ns fahrende Gew¡rbe
gehen
, m hier: anfangen,
beruflich Tourneen zu
machen
die Verm“ttlung, -en
, von: vermitteln = hier:
erklären; unterrichten
der Traumberuf, -e
, idealer Beruf
die Agentur, -en
, hier: Firma, die einen
Service für Künstler oder
andere Firmen anbietet
die K•nstlersozialkasse
, Krankenversicherung für
selbstständige Künstler und
andere Berufsgruppen
der V¡rdi-Verb„nd, ¿e
, Organisation der
Gewerkschaft Verdi
BLINDTEXT
Deutsch perfekt
Fotos: xxxx
32
Deutsch perfekt
BÜCHER SCHREIBEN ALS BERUF
Schriftstellerinnen und Schriftsteller
(VS). Viele würden in Universitäten,
Volkshochschulen und Schulen arbeiten,
aber auch in der Gastronomie und anderen Branchen.
Lesungen, Literaturpreise und Stipendien helfen bei der Finanzierung weiter,
sind aber nicht kalkulierbar. Draesner ist
wieder im Akademischen gelandet. Sie
hatte seit 2015 eine Dozentenstelle in
Oxford und ist seit 2018 Professorin am
Literatur­institut in Leipzig. „100 Lesungen im Jahr als alleinerziehende Mutter,
das kann ich einfach nicht machen“, sagte
sie sich. Und: „Nach 20 Jahren Lesungsbetrieb fragte ich mich, wie das weitergehen
soll.“ Noch einmal 20 Jahre in Zügen und
Hotelbetten? „Krise!“
Nun kann sie das Leben mit ihrer
Tochter in der Wohnung in Berlin besser
strukturieren. Sie hat ihr
neues Lebensmodell
mal so beschrieben: Die
Schriftstellerin Draesner wird eine Zeit lang
die Professorin, die der
Autorin Draesner finanziell den Rücken freihält.
Sommer 2022: Die
Schriftstellerin plant in
einem Berliner Bürogebäude mit ihrer Agentin
eine Literaturausstellung zu ihrem nächsten Roman. Es ist der letzte Teil einer Trilogie um Flucht, Vertreibung, Vergewaltigung von Frauen im Zweiten Weltkrieg.
Seit 2015 arbeitet sie an dem Buch, in dem
es um die Nationalsozialisten und die Geschichte einer Breslauer Familie geht, die
vor der Roten Armee flieht. In der Ausstellung will Draesner Verbindungen bis zum
römischen Dichter Ovid herstellen, der in
seinen Metamorphosen auch von Vergewaltigungen erzählt.
Nach der Scheidung von ihrem Mann
macht Draesner Schulden, erzieht ihre
Tochter allein. „Meinen Lebensstil kann
ich reduzieren, damit ich das schreiben
kann, was ich schreiben muss.“ Dabei
spielen biografische Komponenten eine
Rolle. „Ohne die Erinnerung an meine
Groß­eltern und ihre Lebensatmosphäre hätte ich die Trilogie über Flucht und
Vertreibung nicht schreiben können.“
Auch allgemein findet sie ohne Probleme
Themen. Manche Projekte bleiben Jahre
lang nur eine Idee, bevor sie sie wieder
entdeckt.
Wenn sie die Schreibphase für ein
Buch abgeschlossen hat, hat sie erst einmal ein Dreivierteljahr mit den letzten
Korrekturen, Cover und Klappentext zu
tun. Zeit, um mental wieder aus dem Kosmos des Buches zurückzukommen – und
für neue Gedanken. Aber: „Ich kann noch
nicht wieder schreiben, wenn es noch
nach altem Text schmeckt“, sagt sie. Und
dann? „Das Thema findet mich, ich finde
das Thema – dann bilden sich Kerne, mit
denen ich arbeiten kann.“ Bei Lesereisen
hat sie schon etwas Altes dabei.
Und als Professorin Draesner vermittelt sie nun Literarisches Schreiben. Der
Bedarf ist groß: Jedes
Jahr bewerben sich am
Leipziger Literaturinstitut 400 bis 500 Kandidatinnen um knapp 20
Studienplätze.
Draesners Kriterien für eine Aufnahme:
„Sehe ich da etwas Eigenes, Ungewöhnliches,
einen neuen Ton oder
eine spezifische Thematik?“ Womit also kann man überzeugen?
„Reicht einen guten Text ein“, sagt die
60-Jährige, „es ist alles offen, Prosa, Poesie,
Szenisches, Hybrides – seid erfinderisch
und neugierig.“
Das sagt sie aber auch: „Man kann
Schreiben nicht lehren. Man kann Handwerk vermitteln, Perspektiven und Rückblenden erklären. Aber es gibt ja nicht
wirklich Regeln.“ Niemand wird durch
die Erzähltheorie zum Schriftsteller. Im
Dialog mit erfahrenen Autoren können
die Studierenden jedoch mehr über sich
selbst und ihr eigenes Können lernen.
„Was ich weitergebe, ist Erfahrung, aber
keine Vorschriften, keine Regeln, keine
Ästhetik“, sagt sie.
Viele gehen nach dem Studium den
Weg, von dem sie geträumt hatten: „Im
Erdgeschoss stehen Vitrinen mit Büchern
von Absolventinnen und Absolventen,
Illustrationen: Magdalena Teterdynko, Dmitriip, s.r graphics, Natasha Barsova/Shutterstock.com
Im Durchschnitt
verdienen
Menschen in
diesem Beruf
pro Jahr etwa
21 458 Euro.
der Literaturpreis, -e
, Ehrung für besonders
gute Literatur, z. B. in Form
von Geld
das Stip¡ndium,
Stip¡ndien
, hier: Geld, das Autoren
von einer Organisation
bekommen, damit sie
ohne finanzielle Probleme
schreiben können
¡twas Eigenes
, hier: spezielle Sache
der Ton, ¿e
, hier: Schreibstil; Art zu
erzählen
die Thematik, -en
, Thema
einreichen
, hier: als Teil einer
Bewerbung schicken
die Doz¡ntenstelle, -n
, Stelle als Lehrer/-in
¶ffen
, hier: möglich
der Lesungsbetrieb
szenisch
, hier: als Drama
, wirtschaftliche Aktivitä-
ten mit Lesungen
erf“nderisch
den R•cken freihalten
, hier: vor finanzieller Not
schützen
, hier: mit vielen neuen
die Vertreibung, -en
, von: vertreiben =
zwingen, dass … weggehen
muss
, unterrichten
die Vergew„ltigung, -en
, Straftat, bei der jemand
zum Sex gezwungen wird
fliehen
, auf der Flucht sein
der Kl„ppentext, -e
, Werbetext zum Buch
hinten auf dem Buch
schm¡cken nach
, hier: noch immer
denken lassen an
s“ch b“lden
, entstehen
der K¡rn, -e
, hier: zentrales Element
33
Ideen; innovativ
lehren
das H„ndwerk, -e
, hier: konventionelle
Arbeitsschritte als Teil der
künstlerischen Produktion
die R•ckblende, -n
, Erzählen über Ereignisse,
die vor dem Anfang der
Geschichte stattgefunden
haben
erfahren
, hier: mit Erfahrung
weitergeben
, hier: lehren
die Absolv¡ntin, -nen
, Frau, die eine Schule
oder ein Studium abgeschlossen hat
BÜCHER SCHREIBEN ALS BERUF
wir müssen sie regelmäßig ausräumen,
um Platz für die neuen zu machen.“ Ähnliche Ausbildungswege wie in Leipzig
gibt es etwa an den Universitäten Hildesheim und Köln sowie an der Kunsthochschule für Medien Köln.
Schriftsteller sein – ein Traumberuf?
Draesner lacht, „es ist ein höllisch himmlischer Beruf, er hat seine Abgründe“. Und
das nicht nur beim Schreiben. „Ich kenne
genug Kolleginnen und Kollegen, die in
prekären Verhältnissen
leben.“ Genauso das
schreckliche Gefühl
während einer Schreibblockade, die sie zum
Glück nur einmal ganz
zu Beginn ihrer eigenen Karriere hatte. „Irgendwie brach mir das
Schreiben weg, einen
ganzen Winter lang“ – auch aus privaten
Gründen. „Ich musste mich verwandeln.“
Was sollte eine Autorin können? „Ich
musste lernen, präzise zu arbeiten, nicht
lockerzulassen, mich durchzubeißen“,
sagt sie. Und: „Eine meiner körperlichen
Hauptbegabungen ist das Sitzen.“ Das
passt gut. Was ist dann das Himmlische
an dem Beruf? Beim Schreiben kommt
sie in fiktive Räume. Die Räume kann sie
frei bewegen, „während ich selbst mit Figuren und Wörtern darinstecke“, erzählt
sie. „Dabei geschieht etwas Paradoxes.
Ich bin ganz da, hochkonzentriert.“
Gleichzeitig aber ist sie
als Person
über-
Deutsch perfekt
haupt nicht da, „weil es auf mich als Person gar nicht ankommt. Das hat etwas
Rauschhaftes, während es geschieht. Das
ist sehr, sehr intensiv.“
Wer einen Roman schreiben will, steht
vor einer langen mentalen Reise. „Du
fährst Wochen und gerätst in Umstände,
die du einfach nicht vorhersehen konntest. Vieles ist aber auch Routine: Route
festlegen, Segel raffen, immer wieder.“
Und man sollte auch dazu bereit sein,
umzukehren. „Ich habe
eine Idee, wo es hingehen könnte, aber täusche mich auch immer
wieder und muss wieder zurück.“ Das gehört
zum Schreiben dazu.
„Im Endeffekt ist das
Schreiben ein einsames
Geschäft.“
Der Lohn dafür ist genauso offen wie
der Erfolg des Buches. Draesner hat festgestellt, dass Frauen auch in ihrer Branche
schlechter bezahlt werden als Männer.
„Da spiegelt sich die Gesamtgesellschaft
wider.“ Sehr wichtig kann die Zusammenarbeit mit Agenturen sein, die sich
um die Verträge zwischen Autor und
Verlag kümmern. „Sie verhandeln einfach
besser.“ Junge Schriftsteller sollten ihre
Manuskripte besser Agenturen anbieten
als Verlagen. „Agenturen
brauchen ständig neue
Autoren, da wird es gelesen“, sagt Draesner.
Und haben sich
ihre Erwartungen erfüllt? Sie konnte sich
nicht wirklich vorstellen,
„ein Buch zu schreiben
und fünf Jahre in einem Stoff zu leben“.
Und mit den Realitäten hat sie manchmal
auch ihre Probleme.
Wenn sie morgens im
Café ihre Mails liest, hat
sie kurz danach ihre direkte
Umgebung gleich schon wieder
vergessen. „Man wird vielleicht
auch ein wenig kauzig mit diesem Beruf.“
Wer einen Ro­
man schreiben
will, steht vor
einer langen
inneren Reise.
ausräumen
¡s k¶mmt auf … „n
, aufräumen und leeren
, es hängt von … ab
hœllisch
, schrecklich; hier: m
extrem; von: Hölle = in
vielen Religionen ein Ort,
an den die Menschen
nach dem Tod zur Strafe
kommen
¡twas Rauschhaftes
haben
, wie in einem Zustand,
wenn man Drogen genommen hat
h“mmlisch
, hier: m wunderbar;
von: Himmel = in vielen
Religionen das Gegenteil
zur Hölle
seine [bgründe haben
, hier: Aspekte haben, die
einen intensiv über Traurigkeit nachdenken lassen
die prekären Verhæltnisse
Pl.
, finanziell unsichere
Situation
geraten “n
, hier: unfreiwillig in … sein
der }mstand, ¿e
, Situation; Kontext
vorhersehen
, als Prognose sagen, dass
… kommt
f¡stlegen
, hier: genau wählen
die Segel r„ffen
, ein Segelboot für die
Fahrt vorbereiten; hier:
Arbeitsschritte vorbereiten
w¡gbrechen
, hier: plötzlich weg sein
¢mkehren
, hier: wieder zurückgehen, weil man sich geirrt hat
s“ch verw„ndeln
, komplett anders werden
s“ch täuschen
, sich irren
präzise
“m ]ndeffekt
, genau
, schließlich
l¶ckerlassen
, hier: m aufhören, an
etwas zu arbeiten
s“ch widerspiegeln
, ≈ sich zeigen
s“ch d¢rchbeißen
, hier: m auch bei
Schwierigkeiten weitermachen
verh„ndeln
, Konditionen vereinbaren
stændig
, permanent
der St¶ff, -e
die Hauptbegabung, -en
, wichtigstes Talent
, hier: Thema; Inhalt
dar“nstecken
, hier: emotional intensiv
teilnehmen
kauzig
, von: Kauz = hier: m
Person, die (auf sympathische Art) seltsam ist
hochkonzentriert
, mit sehr viel Konzen-
tration
Illustration: Dmitriip, Natasha Barsova/Shutterstock.com; Quelle: Dies ist eine einfachere, Version eines Texts aus der Süddeutschen Zeitung.
34
Deutsch perfekt
Rainer Maria Rilke
Der Panther
MITTEL AUDIO
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Diesen Text hier
kostenlos hören!
www.deutsch-perfekt.
com/audio-gratis/12
vorübergehen
, ≈ vorbeigehen
der Stab, ¿e
, hier: langer, vertikaler
Teil einer Barriere
h„lten
, hier: ≈ bleiben auf
Ihm “st, „ls ¶b ¡s … gäbe.
, ≈ Er hat die Illusion, dass
es … gibt.
der G„ng, ¿e
, hier: Gehen
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
geschmeidig
, in einer eleganten
Bewegung
der Schr“tt, -e
, Bewegen eines Fußes
vor den anderen
der „llerkleinste
, ≈ der wirklich kleinste
s“ch “m Kreis drehen , hier:
einen Kreis gehen; auch:
eine Rotation machen
betäubt
, so, dass man nichts fühlt
der W“lle
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
, von: wollen
der Vorhang, ¿e
, großes Stück Stoff, das
man vor/neben Fenster
hängt
die Pup“lle, -n
, schwarzer Teil in der
Mitte des Auges
lautlos
, ohne Laute; absolut leise
das Glied, -er
, hier: Bein
Fotos: xxxxxx
Illustration:
Kiera Awayuki/Shutterstock.com
„ngespannt
, hier: so, dass sie nervös
macht
Über den Autor und seine Lyrik
Geboren wurde er 1875 in Prag, als René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke.
Unter dem Künstlernamen Rainer Maria Rilke wurde der Österreicher mit seiner
Lyrik zu einem der wichtigsten Dichter der literarischen Moderne. Die Ideen der
Philosophen Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche interessierten Rilke sehr
und wurden wichtig für seine Arbeit. Bis zu seinem Tod 1926 in der Schweiz schrieb
Rilke sehr viele Lyriksammlungen, Erzählungen, einen Roman und Texte zu Kunst
und Kultur. Er schrieb nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Französisch.
Deutsch perfekt
Was
fehlt?
Der erste Satz in einem Roman kann magisch sein. Wir haben
20 bekannte Sätze gesammelt. In jedem fehlt ein Wort. Welches ist es?
Keine Angst: Gelesen haben müssen Sie die Bücher nicht.
Von Julian Großherr
SCHWER
Deutsch perfekt
1. Es fiel Regen in jener Nacht, ein
Regen.
feiner,
Aus Tintenherz von Cornelia Funke
A
B
C
D
eisiger
saurer
silberner
wispernder
2. Das
hat mich
wohl am meisten überrascht.
Aus Er ist wieder da von Timur Vermes
A
B
C
D
Essen
Kriegsende
Lob
Volk
3. Der Tag, an dem Paula feststellt,
.
glücklich zu sein, ist
Aus Die Liebe im Ernstfall von
Daniela Krien
A
B
C
D
auch nur ein Tag
ein Sonntag im März
ernst
gewesen
4. Im achtzehnten Jahrhundert lebte
ein Mann, der zu
in
den genialsten und abscheulichsten
Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen
Epoche gehörte.
Aus Das Parfum von Patrick Süskind
A
B
C
D
der Bevölkerung
Frankreich
Leid
Zölibat
5. „Ich werde, hoffe ich, dir alles
anvertrauen können, wie ich es noch
bei niemandem gekonnt habe, und
ich hoffe, du wirst mir eine große
sein.“
Fotos: xxxxxx
Aus dem Tagebuch von Anne Frank
A
B
C
D
Bücherei
Eindruck
Stütze
Überweisung
LITERATURQUIZ
6. „Sie macht keine Mühe, am liebssie und schaut.“
ten
Aus Olga von Bernhard Schlink
A
B
C
D
isst
liegt
steht
überlegt
7. Wie froh bin ich, dass ich
bin!
Aus Die Leiden des jungen Werther von
Johann Wolfgang von Goethe
A
B
C
D
hier
jung
reich
weg
8. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Seit Jahren fragte ich mich,
wie es sein wird, wenn wir
.
Aus Es wird Zeit von Ildikó von Kürthy
A
B
C
D
drei sind
Regen sehen
uns wiedersehen
vorbei sind
9. Als Gregor Samsa eines Morgens
aus unruhigen Träumen erwachte,
fand er sich in seinem Bett zu einem
verwandelt.
Aus Die Verwandlung von Franz Kafka
A
B
C
D
er
selbst
schrecklichen Fötus
ungeheuren Ungeziefer
10. „Hamilkar Schaß, mein Großvater, ein Herrchen von, sagen wir mal,
einundsiebzig Jahren, hatte sich
,
gerade das Lesen
als die Sache losging.“
Aus Der Leseteufel von Siegfried Lenz
A
B
C
D
abgewöhnt
beigebracht
zum Beruf gemacht
zum Hobby gemacht
die T“nte, -n
, Farbe zum Schreiben
und Zeichnen
w“spernd
, sehr leise
wohl
, hier: wahrscheinlich
37
erw„chen
, aufwachen
s“ch … f“nden
, merken, dass man … ist
verw„ndeln zu
, ≈ transformieren zu
“m ]rnstfall
, ≈ in der Not
der Fötus, Föten
, Embryo ab dem vierten
Entwicklungsmonat
abscheulich
, schrecklich
, hier: schrecklich
die Gest„lt, -en
, hier: nicht genauer
beschriebene Person
„rm „n
, mit wenig
das Leid
, starker, psychischer
Schmerz durch eine negative Erfahrung
„nvertrauen
, im Vertrauen erzählen
das Tagebuch, ¿er
, Text in einem Buch oder
Heft, in das man jeden Tag
schreibt, was man denkt
oder was passiert ist
die St•tze, -n
, hier: Unterstützung
]s w“rd Zeit.
, Es muss endlich
losgehen.
¢ngeheuer
das }ngeziefer, , Insekt, von dem man
Schlechtes denkt, z. B. dass
es ein Parasit ist
v¶n
, hier: im Alter von
sagen wir mal
, m ungefähr
der Teufel, , Satan; das Böse als
Person; hier auch: Person
mit besonders viel Enthusiasmus
s“ch „bgewöhnen
, sich daran gewöhnen,
… nicht mehr zu haben/
machen
s“ch beibringen
, ≈ selbst lernen
38
LITERATURQUIZ
Deutsch perfekt
der Gest„nk
11. „Das Tier hat uns in der Hand.
Das ist noch schlimmer
.“
als
Aus Unterleuten von Juli Zeh
A ein Leben im Zoo
B Hitze und Gestank
C sorglos glücklich zu sein
D wir
12. Ich bin
.
Aus Mängelexemplar von Sarah Kuttner
A
B
C
D
anstrengend
erste
neu hier
zu viel
13. Das eigene Wort, wer holt es
zurück, das lebendige, eben
?
Aus Unaufhaltsam von Hilde Domin
A
B
C
D
nie da gewesene Wort
erst vorsichtig gedachte Wort
noch unausgesprochene Wort
nur unschuldige Wort
14. „Wenn Ihr leben wollt, müsst Ihr
“, raunte der Mönch in dem
ausgefransten, staubigen Habit.
16. Es beginnt immer nachts. Nachts
.
füttere ich meine Pläne mit
Aus Erebos von Ursula Poznanski
A
B
C
D
17. Wie immer vor dem Sex haben
wir beide Heizdecken im Bett
angemacht.
Aus Schoßgebete von Charlotte Roche
A
B
C
D
beten
geben
graben
laufen
15. Wir sind
. Wir
haben keinen Fährmann mehr. Der
Fährmann ist tot. Zwei Seen, kein
Fährmann. Zu den Inseln gelangst
du jetzt, wenn du ein Boot hast.
Oder wenn du ein Boot bist. Oder du
schwimmst.
Aus Vor dem Fest von Saša Stanišić
A
B
C
D
die letzten
nötig
nur hier
traurig
auf Stufe drei von sieben
eine halbe Stunde vorher
ohne unnötige Kommentare
zur Sicherheit schon einmal
18. „Wir Deutschen, liebe Kitty, können ein Wirtschaftswunder machen,
“, sagaber keinen
te Thomas Lieven zu dem schwarzhaarigen Mädchen mit den angenehmen Formen.
Aus Es muß nicht immer Kaviar sein von
Johannes Mario Simmel
A
B
C
D
Aus Die fremde Königin von Rebecca
Gablé
A
B
C
D
Angst
Dunkelheit
Ideen
Leben
Betrag
Kaviar
Salat
Unfall
19. Manchmal konnte sie Rosen ein.
fach nicht mehr
Aus Die Rosenzüchterin von Charlotte
Link
A
B
C
D
riechen
sehen
vertrauen
zählen
20. „Komm. Nur zwei Wochen. Da.“
nach hast auch wieder bessere
Aus Kein Wort zu Papa von Dora Heldt
A
B
C
D
Laune
Möglichkeiten
Pech
Zeit
der Habit, -e
, von: stinken
, hier: dunkler Mantel
das Mængelexemplar, -e
, Buch, das wegen eines
Fehlers billiger verkauft
wird; hier: Person mit
einem Fehler
graben
, ein Loch in die Erde
machen
leb¡ndig
, mit Leben; hier: mit Wirkung in diesem Moment
eben
, hier: gerade
unaufh„ltsam
, so, dass man etwas nicht
stoppen kann
¢nausgesprochen
, (noch) nicht gesagt
raunen
, sehr leise und undeutlich
sagen
der Mœnch, -e
, Mann, der nur für seine
Religion lebt, z. B. auch
nicht heiratet
ausgefranst
, an den Enden etwas
kaputt
staubig
, etwas dreckig
eines Mönchs
der Fährmann, ¿er/-leute
, Fahrer einer Fähre
gel„ngen zu
, ankommen in
der Schoß, ¿e
, ≈ oberer Teil der Beine
das W“rtschaftswunder, -
, schnelles Wachsen der
wirtschaftlichen Produktion
die F¶rmen Pl.
, hier: Körperform
der Kaviar, -e
, (sehr teure) schwarze
Eier eines Fischs
n“cht mehr … kœnnen
, ein stark ablehnendes
Gefühl beim … fühlen
die Z•chterin, -nen
, hier: Frau, die spezielle
Pflanzensorten herstellt
Fotos:Vitalii
Foto:
xxxxxx
Bashkatov/Shutterstock.com
1D
2D
3B
4B
5C
6C
7D
8C
9D
10B
11B
12A
13C
14C
15D
16B
17B
18C
19B
20A
Deutsch perfekt
BLINDTEXT
Lösungen:
39
Deutsch perfekt
TIKTOK UND DIE LITERATUR
41
Bücher?
#liebenwir
Plötzlich sind große Läden voll mit Umschlägen in Pastellfarben:
Ein seltsamer Trend auf Tiktok verändert gerade den Buchhandel: das Lesen.
Von was für einer Literatur reden wir da?
Von Eva Goldbach und Johannes Korsche SCHWER
Illustration: Bibadash/Shutterstock.com
V
anessa ist stolz auf ihre
Bücher und zeigt ihren
rund 70 000 Followerinnen und Followern auf
Tiktok ihre Sammlung.
Mehr als 240 Bücher in Pastellfarben
stehen im Regal. Sie sind nach Farben
geordnet. „In Regenbogen“, heißt das in
Vanessas Tiktok-Community, die unter
dem Hashtag „Booktok“
zusammenkommt.
Nach Informationen
der Plattform wurden
Videos unter diesem
Hashtag bis heute 65
Milliarden Mal angeschaut. Die populäre
Literatur verändert sich
zurzeit nach den Spielregeln des chinesischen
Social-Media-Dienstes.
Seit Juli gibt es dort
auch einen „Book Club“: Jeden Monat
will Tiktok ein Buch bestimmen, das die
Community dann besprechen soll.
Tiktok ist so jung und schnell wie keine
andere Social-Media-Plattform. Sie passt
sich ihren Nutzerinnen ideal an. Denn der
Algorithmus gibt ihnen, was sie möchten.
Ein bisschen funktioniert das wie ein
Trichter: Oben kommen alle User rein,
unten – auf Basis der angesehenen Videos
portioniert – spuckt der Algorithmus sie
in ihrer Bubble aus.
Aber nicht nur die Userinnen werden
so portioniert. So passiert es natürlich
auch mit den Videos, die auf der Plattform gut funktionieren.
Für Literatur auf Tiktok
bedeutet das: Am Ende
gehen Romanzen in
Pastellfarben viral. Mit
genug Sexszenen.
Die „Booktokerinnen“ lesen nicht selten
20, sogar 30 Bücher im
Monat. Jedenfalls mehr
als 100 Bücher im Jahr.
Das macht es für Verlage und Buchhandlungen interessant. „Booktok hat einen
positiven Effekt für den gesamten Buchhandel“, sagt Cristina Herrmann von der
Buchhandlung Hugendubel. Seit etwa
eineinhalb Jahren wächst die Nachfrage
nach Büchern, die auf Tiktok beliebt sind.
Die Romanzen
in Pastellfarben
erzählen von
jungen Frauen –
gern mit expliziten Sexszenen.
“n Regenbogen
, m in der farblichen
Reihenfolge wie bei einem
Regenbogen
(der Regenbogen, ¿
, Lichteffekt mit verschiedenen Farben am Himmel,
wenn es leicht regnet und
gleichzeitig die Sonne
scheint)
zus„mmenkommen ¢nter
, hier: eine Community
zum Thema … sein
der Tr“chter, -
, hier: System, das aus
einer großen Menge einzelne Elemente wählt, z. B. in
einer Maschine
portionieren
, auf Basis von … in einzelne Gruppen ordnen
ausspucken
, hier: m in eine
(komplex ausgerechnete)
Ordnung bringen
nach
, hier: wie … sagt
viral gehen
, in den sozialen Medien
besonders populär werden
nach den Spielregeln
(v¶n)
, wie es … bestimmt
die Rom„nze, -n
, hier: einfache Liebeserzählung
der Dienst, -e
, hier: App
der Verlag, -e
, Firma, die Zeitschriften,
Zeitungen oder Bücher
macht
bespr¡chen
, diskutieren
s“ch … „npassen
, sich ändern, um zu … zu
passen
die N¢tzerin, -nen
, Userin
der Buchhandel
, Herstellung und
Verkauf von Büchern und
Zeitschriften
die Nachfrage nach
, Kaufinteresse für
TIKTOK UND DIE LITERATUR
Nicht wenige davon stehen auch im
Regal der 23-jährigen Vanessa, die neben ihrer Ausbildung zur Erzieherin als
@lxvanessaxl auf Tiktok erfolgreich ist:
Die Bücher heißen Das Lied des Achill, Daisy Jones and the Six oder Für immer ein Teil
von dir. Ihre Protagonistinnen sind meist
junge Frauen. Sie erleben Dinge, die sich
junge Leserinnen wünschen: Liebe und
Herzschmerz. Auch queere Themen sind
populär, wie in der Graphic-Novel-Reihe
Heartstopper. Netflix hat schon eine Serie
daraus gemacht.
Die erfolgreichen Bücher teilen sich
in drei Genres ein: Fantasy, Young Adult (das sind
Highschool-Dramen, Geschichten erster unschuldiger Lieben) und New Adult,
mit Themen wie dem Umzug
in eine neue Stadt, wo man das
Leben ausprobiert – und
natürlich, das Interessanteste überhaupt: Sex.
Dafür gibt es auf Tiktok
ein Codewort: spice.
„Booktok möchte
spicy Booktok“, erklärt
die Autorin Gabriella
Santos de Lima, die für
ihre Bücher auf Tiktok
Werbung macht. Früher
war sie Stewardess, heute ist sie Spiegel-Bestseller-Autorin und studiert Kreatives Schreiben. Was sie meint ist: Wenn es in einem
Buch viele explizite Sexszenen gibt, wird
das auf Tiktok ziemlich sicher gemocht.
Oder auch: no spice, no hype.
Ihren Erfolg verdankt Santos de Lima
der Plattform, auf der sie ihre Bücher mit
einem Chili-Emoji in die Kamera hält.
Oder von einer Stewardess erzählt, die
sich in einen Piloten verliebt – der Beginn
einer Romanze und der Plot eines ihrer
Bücher. Ist das Pornografie für Frauen?
Santos de Lima ist da anderer Meinung.
Sie versteht den spice als Ausdruck einer
feministischen Literatur: „Ich finde es
gut, dass Mädchen Sex-Szenen lesen, die
von Frauen geschrieben sind.“ Männliche
Blicke auf den weiblichen Körper gibt es
in der Popkultur schon genug.
Deutsch perfekt
Die Texte sind schnell zu lesen und werden oft in Buchreihen mit mehreren
Teilen publiziert. Die großen Buchhandelsketten reagieren darauf – mit Altären
voller Bücher in Pastellfarben.
Von Booktok gefeierte Autorinnen
dominieren jetzt den Buchhandel. Die
Amerikanerin Colleen Hoover zum Beispiel, die inoffizielle, aber klare „Queen
of Booktok“. Sie ist inzwischen eine der
meistverkauften Autorinnen auf der
New-York-Times-Bestseller-Liste. Ihr Geheimnis? Eine einfache, prägnante Sprache – und Themen, die junge, weibliche
Leserinnen emotional fesseln: toxi­sche
Beziehungen, Missbrauch, Liebe.
Hoovers Bücher begeistern
junge Frauen, die sonst vielleicht verloren wären für das
Lesen: „Ich habe Lesen in der
Schule absolut gehasst“, sagt
Vanessa, die uns am Anfang ihre Bücherregale
gezeigt hat.
Die 19-jährige Hamburgerin Tabea Grunert
(@tabeajoanna auf Tiktok) mochte Filme mehr
– bekam aber permanent diese Buch-Videos
aufs Handydisplay, die
Trends der Booktok-Blase. Vor etwa einem Jahr,
erinnert sie sich, hat sie
„dem Algorithmus nachgegeben“ und
sich ihre ersten Bücher gekauft. „Und ich
habe es geliebt“, sagt Tabea.
Booktok ist so optimiert, dass junge
Frauen es lieben. So schafft die Plattform
das, was vielen Lehrern nicht gelingt: Lust
auf Lesen zu machen, Welten hinter den
Buchstaben aufleben zu lassen.
Und vielleicht entwickelt sich die deutsche Booktok-Bubble ja ähnlich wie in
den USA. Dort haben auch manche Klassiker ein Publikum gefunden, Jane Austen
zum Beispiel.
Austens Überredung ist übrigens das erste offizielle Book-Club-Buch, das Tiktok
zum Besprechen vorgeschlagen hat. Auf
Netflix gibt es eine neue Verfilmung davon. So arbeiten die Popularitätsmaschinen der Plattformen perfekt zusammen.
Tiktok schafft
etwas, was
vielen Lehrern
nicht gelingt:
Es macht Lust
auf Lesen.
die Protagon“stin, -nen
, Frau, die eine wichtige
Rolle spielt
der H¡rzschmerz
, Traurigkeit wegen einer
unglücklichen Liebe
die Reihe, -n
, hier: Serie
s“ch einteilen “n
, sich kategorisieren
lassen in
¢nschuldig
, hier: ohne Sex
der Spiegel-Bestseller
, ein Buch der Top 20 der
Literatur: Jede Woche veröffentlicht die Zeitschrift Der
Spiegel ein Ranking dazu.
verd„nken
, hier: ≈ (bekommen)
haben durch
der Ch“li, -s
, spezielle scharfe Paprika
“n die K„mera h„lten
, im Video zeigen
die Buchhandelskette, -n
, Firma mit mehreren
Buchhandlungen
v¶ller
, voll mit
feiern
, hier: viel besprechen
und loben
das Geheimnis, -se
, hier: spezielle Qualität
prägn„nt
, hier: kurz und so, dass
man sich die Szenen gut
vorstellen kann
emotional f¡sseln
, so emotional sein, dass
… nicht aufhören kann zu
lesen
der M“ssbrauch, ¿e
, von: missbrauchen =
hier: mit Gewalt zum Sex
zwingen
begeistern
, ≈ enthusiastisch machen
verloren sein für
, hier: als Publikum nicht
mehr interessant sein für
die Blase, -n
, hier: Social-Media-Bub-
ble
nachgeben
, hier: akzeptieren, was
… möchte
aufleben l„ssen
, hier: so darstellen, dass
man sich … gut vorstellen
kann
die Überredung
, von: überreden = mit
Argumenten erreichen, dass
jemand etwas tut, was er
gar nicht will
die Verf“lmung, -en
, hier: Film auf der Basis
eines Buchs
Illutration:: Bibadash/Shutterstock.com; Quelle: Dies ist eine einfachere Version eines Texts aus der Süddeutschen Zeitung.
42
Deutsch perfekt
Joachim Ringelnatz
Die Ameisen
MITTEL
In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee,
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Dann auf den letzten Teil der Reise.
die Ameise, -n
, kleines, rotbraunes oder
schwarzes Insekt, das in gut
organisierten Gruppen lebt
(s. Illustration)
(das) [ltona
, hier: 1912 (im Jahr, als
Joachim Ringelnatz „Die
Ameisen“ publizierte) ein
Ort im Stadtgebiet von
und um Hamburg, seit
1938 offiziell ein Teil von
Hamburg
die Chaussee, -n franz.
, hier: größere Straße in
einer Stadt oder zwischen
zwei Orten
verz“chten auf
, hier: freiwillig nicht
machen
weise
, klug
Verz“cht leisten
So will man oft und kann doch nicht
Und leistet dann recht gern Verzicht.
, verzichten
r¡cht
, hier: ziemlich
der Sch“ffsjunge, -n
, Junge, der an Bord eines
großen Boots arbeitet
ausüben
, hier: ≈ machen
Illustrationen: Shuttersport/Shutterstock.com
feiern
, hier: haben
Über den Autor und seine Lyrik
1883 wird Hans Gustav Bötticher als Sohn von einem Künstlerpaar geboren. Nach
einer schwierigen Schulzeit lernt er als Schiffsjunge die Welt kennen. Es ist der
Anfang eines Berufslebens, in dem Bötticher mehr als 30 Berufe ausübt und oft
sehr wenig Geld hat. Ab 1919 wird seine lustige Lyrik in der satirischen Zeitschrift
Simplicissimus und in ersten Büchern gedruckt. Und Bötticher feiert unter dem
Pseudonym Joachim Ringelnatz große Erfolge. Aber 1933 verbieten die Nationalsozialisten seine Texte. 1934 stirbt Ringelnatz in Berlin – bekannt ist er bis heute.
Deutsch perfekt
DIE WELT DER ANTIQUARIATE
45
Vergessene Seiten
Es gibt immer weniger Antiquariate in deutschen Städten. Die meisten Menschen
haben keine Ahnung davon, welche Oasen den Metropolen bald fehlen. Unser
Autor hat sie noch einmal besucht. Von Raoul Löbbert; Fotos: Ina Niehoff
MITTEL
G
anz ehrlich: Im Einkaufen bin ich ziemlich schlecht. Nur
beim Kauf von Büchern, vor allem von
alten Büchern, bekomme ich romantische Gefühle. Es begann als Kind. Stundenlang saß ich vor dem Bücherregal
der Eltern. Darin grauschwarze Bände
von Autoren, die ich nicht kannte. Geschrieben in Frakturschrift, die Seiten
voll mit Flecken. Ich fragte mich: Wer
hat diese Schätze schon in den Händen
gehalten? Wer hat sie gelesen? Wem waren sie wichtig?
Mein Vater war keine Hilfe. Er hatte die
Bücher nur geerbt. Zwar war er Fan von
John Steinbeck, aber vor allem Zeitungsleser. Das alles war für mich ein Rätsel, ist
es noch. Auch deshalb kann ich heute an
keinem Antiquariat vorbeigehen, ohne
darin zu verschwinden – und nach einer
Stunde oder mehr mit ein, zwei Fundstücken wieder herauszukommen.
Antiquariate sind für mich Oasen im
Großstadtwahnsinn, magische Orte zum
Verlieren, Finden und Sich-Wiederfinden.
Es gibt aber ein Problem: Die Magie verschwindet mit den Orten.
Neulich ist es wieder passiert. In Berlin-Kreuzberg stehe ich vor einem Café,
das da nicht hingehört. Wann war ich das
letzte Mal an dieser Ecke? Beim letzten
Besuch habe ich einen Schatz entdeckt
in dem Regal, in dem jetzt zur Dekoration Vasen stehen. War es vor ein paar
Monaten oder Jahren? Es fühlt sich an
wie gestern. Und jetzt gibt es dort Kaffee
und Kuchen statt Tolstoi und Dostojewski. Wie kann man Nichtleserinnen und
-lesern oder Kindle-Fans erklären, was das
für einen Buchmenschen bedeutet?
Wer Bücher pragmatisch sieht, geht an
einem Antiquariat meistens nur vorbei.
Antiquariate drängen sich nicht auf. Sie
machen sich klein. Die meisten findet
man nicht in Fußgängerzonen, sondern
in kleinen Straßen – eine Tür, ein Fenster,
eine kleine Auslage. Dazu ein Schild mit
der wichtigsten Information: „Antiquariat“. Oder noch kürzer: „Bücher“. Wer hat
da die Idee, dass hinter der Tür eine andere Welt beginnt?
Für mich fängt hier Phantásien an, das
vom „Nichts“ bedrohte Land aus Michael Endes Roman Die unendliche Geschichte.
Mit zwölf habe ich das Buch gelesen und
geliebt. Der Junge wurde größer. Mich lesend verlieren will ich noch immer – aber
st¢ndenlang
, viele Stunden
, hier: (wieder) feststel-
der B„nd, ¿e
, hier: Buch (als Teil von
mehreren Büchern)
, m am richtigen Ort
der Fl¡ck, -en
, schmutzige Stelle
der Sch„tz, ¿e
, hier: Sache, die besonders viel wert ist
¡rben
, hier: nach dem Tod eines
Verwandten bekommen
ein Rätsel sein
, hier: ≈ keine Antwort
finden auf
verschw“nden “n
, hier: in … hineingehen
und für lange Zeit nicht
mehr herauskommen
das F¢ndstück, -e
, hier: Sache, die man
nach intensiver Suche
findet
(s“ch) verlieren
, hier: sich so konzentriert
mit etwas beschäftigen,
dass man alles andere
vergisst
der Großstadtwahnsinn
, hier: m d Großstadtstress
s“ch wiederfinden
len, wer man eigentlich ist
h“ngehören
sein
]s fühlt s“ch „n wie
g¡stern.
, Es ist so, dass man
meinen könnte, es war
gestern.
pragmatisch sehen
, pragmatisch denken
über
s“ch aufdrängen
, hier: d auf jeden Fall
gesehen werden wollen
die Auslage, -n
, hier: Platz, wo Waren
gezeigt werden, z. B. Vitrine
bedrohen
, hier: gefährlich sein für
un¡ndlich
, ohne Ende
s“ch lesend verlieren
, hier: alles andere verges-
sen während man liest
46
DIE WELT DER ANTIQUARIATE
heute habe ich nur eine S-Bahn-Viertelstunde Zeit. Dabei ist es für Phantásien
noch viel gefährlicher geworden.
Der Börsenverein des Deutschen
Buchhandels, die Organisation der Buchläden, bestätigt: Steigende Mieten, ein
anderes Kaufverhalten und Nachwuchsmangel machen den Antiquariaten Pro­
bleme. Wer kann, wird Versandhändlerin
im Internet, spezialisiert sich. Konkrete
Zahlen gibt es nicht. Für Berlin gibt es
aber eine Liste. Vor 20 Jahren standen
darin 129 Antiquariate, heute sind es nur
noch 51. Und das, obwohl Berlin die Gebrauchtbuchhauptstadt ist. An anderen
Orten ist es also noch schlimmer.
Alles, was ist, geht. Warum soll man
traurig sein, wenn Verschwinden das
Normalste auf der Welt ist? Aber ich stehe vor dem Kuchen-Café und das Navigationsgerät im Kopf sagt „Bücher!“. Es ist
schwer, dann nicht herabzusehen auf alle,
die dort Espresso trinken
und keine Ahnung haben.
Es tut weh, wenn Dinge
verschwinden, die einem
wichtig sind. Schnell ist es
dann passiert: Man sieht die
Welt negativ, die von diesem Schmerz nichts weiß.
Man wird zum Kulturpessimisten.
Nach der Café-Enttäuschung nehme ich die
S-Bahn. Am Nordbahnhof
gehe ich am Mauerpark vorbei. Kurze
Zeit später stehe ich vorm Antiquariat
Wiederhold. Auf meiner Liste ist er einer von zwei magischen Orten, die es so
noch gibt. Wo ich entdecken kann, was
Buchmenschen wie ich dort suchen.
Es ist, wie ich erwartet habe: kein
Schild mit Neonlicht. Aber die Auslage
des Geschäfts zeigt, dass dort jemand einen guten Geschmack hat. Drinnen Bücher, Bücher, Bücher! An allen Wänden,
bis nach ganz oben, auf den Tischen. Und
zwischen den Büchern: Imke Wiederhold.
Wie viele Antiquarinnen lässt auch sie
sich nicht gern in die Seele schauen. Immer ist da die Angst, vorgeführt zu werden. Denn Antiquare sind für Kulturjournalistinnen so etwas wie Schnabeltiere
Deutsch perfekt
für Naturfilmer: exotisch, putzig – und
vom Aussterben bedroht. Wiederhold
will nicht putzig sein. Oder reduziert
werden auf die Haarfarbe, das Alter, den
Kaffee. Sie ist der Meinung, dass ihr Antiquariat genug über sie sagt. Und damit
hat sie recht.
Alle Bücher sind nach Autorinnen,
Gattungen und Ländern getrennt. Wie
Orgelpfeifen stehen sie in Reihen in den
Regalen. Es ist deutlich: Wer Bücher so
ordnet, der liebt sie. Denn wer aufhört zu
lieben, der lässt die Bücher in der Kiste.
Oder baut aus ihnen Türme. Das Chaos
ist für die Antiquariate gefährlich. Denn
in ihm verschwinden Bücher.
Wiederholds Antiquariat ist so aufgeräumt, wie ich es mir für mein Wohnzimmer wünsche. Und vielleicht geht es Wiederhold wirklich so gut, wie sie sagt. Das
Geschäft läuft prima. Vor einer höheren
Miete muss sie aktuell keine Angst haben. Und auch mit den sinkenden Preisen durch das
Internet kommt sie zurecht.
Mit dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) kam Wiederhold aus dem Westen in die
Hauptstadt. Sie blieb, verliebte sich in die Literatur
des früheren Klassenfeinds.
Deshalb ist der Osten bei
ihr stark vertreten. Literatur
auf Russisch und Polnisch
deprimiert im Hinterzimmer jeden, der
sie lesen will, aber nicht kann.
Warum beenden Menschen ihre Berufskarrieren und werden Antiquarinnen? Warum riskieren sie es, im Alter
wenig Komfort und nicht genug Geld zu
haben? Warum tun sie das, um alte Bücher ohne Heimat zu sammeln, zu pflegen und dann wieder zu verkaufen?
Wenn es eine Antwort auf diese Fragen
gibt, dann findet man sie hier, in Wiederholds Abteilung mit der russischen Literatur: Die Menschen tun es aus Liebe.
Das ist zwar eine schöne Antwort. Sie
erklärt aber nicht alles. Was sucht zum
Beispiel der Mann hier, der in diesem Moment in den Laden kommt? Ohne einen
Gruß steigt er direkt auf die Leiter und
Vor 20 Jahren
waren in Berlin
129 Antiquariate dokumentiert. Heute sind
es 51. An anderen Orten ist es
noch schlimmer.
Dabei …
, hier: Und das, obwohl …
das Kaufverhalten
, Art, wie jemand einkauft
der Nachwuchsmangel
, Fehlen von jungen
Talenten in einem Sektor
die Vers„ndhändlerin,
-nen
, Chefin einer Firma, die
Waren im Internet anbietet
und an die Käufer schickt
die Gebrauchtbuchhauptstadt, ¿e
, ≈ wichtigste Stadt für
Second-Hand-Bücher
verschw“nden
, hier: aufhören, da zu
sein
p¢tzig
, m lieb; süß
v¶m Aussterben bedroht
, hier: so, dass es diese
Sorte Tier in der Natur bald
nicht mehr gibt
nach
, hier: auf Basis von
die G„ttung, -en
, Genre; Kategorie
die {rgelpfeife, -n
, einer von mehreren
Zylindern eines großen
Musikinstruments in der
Kirche
das Geschæft, -e
, hier: Verkauf; wirtschaftliche Aktivität
prima laufen
her„bsehen auf
, hier: aus eigenem Stolz
schlecht denken über
, hier: so sein, dass man
der Mauerpark
, Park im früheren Ostteil
Berlins mit einem Stück der
früheren Berliner Mauer
s“ch verlieben “n
, anfangen, … zu lieben
der Geschm„ck, ¿er
, hier: Gefühl, was gute
Literatur ist
s“ch “n die Seele schauen
l„ssen
, m viel erzählen, sodass andere etwas über die
eigenen Gedanken wissen
vorführen
, hier: d als Kuriosität
präsentieren
das Schnabeltier, -e
, ≈ dunkles Tier mit langen
Haaren und einem Mund
wie ein Vogel
der Naturfilmer, , ≈ Person, die Naturdokumentationen macht
damit gut Geld verdienen
kann; gut gehen
der Kl„ssenfeind, -e hist.
, im Kommunismus: dominierende Klasse in einem
gesellschaftlichen Konflikt,
z. B. Fabrikbesitzer;
hier: Bürger der früheren
DDR, der die Politik der
DDR-Regieung kritisiert
st„rk vertreten sein
, hier: ein großer Teil des
Sortiments sein
deprimieren
, traurig machen
das H“nterzimmer, , ≈ Zimmer hinten
die Leiter, -n
, ≈ Gerät zum Rauf- und
Runtersteigen, das man wie
eine Treppe benutzen kann
Deutsch perfekt
DIE WELT DER ANTIQUARIATE
zieht oben etwas aus der Bücherwand.
Oder was will die Frau auf der anderen
Seite des Raums? Längere Zeit geht sie
im Kreis um den Tisch mit Sartre. Dann
bleibt sie vor der Kunst stehen, geht mit
dem Finger vorsichtig über die Rückseiten der Impressionisten. Warum kommen
sie alle hierher, statt in einer Buchhandlung neue Bücher zu kaufen – Exemplare,
die noch niemand vor ihnen gelesen hat?
Gründe gibt es so viele wie Kundinnen.
Trotzdem werden ein paar Gemeinsamkeiten deutlich. Da ist der Typ Prediger.
Er ist Lehrer an einem Gymnasium oder
einer Universität. Seine Frau ist gestorben. Etwas zwingt ihn, dem Mann oder
der Frau an der Kasse detailliert von der besonders
tollen Literatur zu berichten, die er schon gelesen
hat. Der Prediger ist wie
gemacht für eine Geschichte von Tschechow. Setting:
eine Familienwohnung für
eine Person und mehrere
Tausend Bücher. Thema: die
Einsamkeit, der Wunsch,
von sich zu erzählen – egal
wem und egal wie laut.
Da ist der Typ Ästhetin, so wie vielleicht die
Frau vor der Impressionisten-Wand. Für sie ist es wichtig, dass Dinge schön gemacht sind. Denn mit einer
Sache hat der Kulturpessimismus sicher
recht: Früher waren Bücher hübscher.
Manche gebundenen Ausgaben von
heute muss man nur einmal lesen, schon
beginnt ihr Verfall. Wiederholds Bücher
sind dazu ein Kontrast: Der Buchrücken
ist stärker. Der Buchblock hat Fadenbindung, Leinenbindung, Lesezeichen.
Und da sind natürlich die Jäger und
Sammler. Ehrlich gesagt, gehöre ich nicht
dazu. Auch im Antiquariat Wiederhold
sind sie selten zu finden. Sie sind wahrscheinlicher, sie im BerlinAntiquariat im
Ortsteil Steglitz zu treffen.
Es ist ein schönes Antiquariat auf meinem Weg zum Supermarkt. Die Auslage
des Geschäfts sagt: „Tritt ein, wenn du
Geld hast und ein Kenner bist!“ Und da
ich weder das eine bin noch das andere
habe, ist das jetzt mein erster Besuch
dort. Die Tür öffnet sich zu einem langen
Gang mit Folianten. Am Ende sitzt er:
Karl-Heinz Than – ganz anders als Imke
Wiederhold und ihr doch ähnlich.
Than ist Antiquar und redet gern über
sich. 76 Jahre ist er alt. Das ist in der Branche wahrscheinlich Durchschnitt. In einem früheren Leben arbeitete Than bei
der Friedrich-Ebert-Stiftung. Vor 40 Jahren kaufte er eine Wohnung in Steglitz
und fand in ihr Tausende Bücher. In diesem Moment entschied er, nur noch etwas zu tun, das mehr Sinn macht.
Thans Haar ist grau, seinen Kaffee
trinkt er nicht im BerlinAntiquariat. Denn
dort gibt es keinen Platz für
eine Maschine, nur für Kuriositäten, Spezialausgaben
und für Ephemera. Das
sind Printprodukte mit einer eigentlich sehr kurzen
Lebenszeit: Zeitungen,
Postkarten, Festivalflyer,
Plakate. Die verkauft Than
im Internet. Vor allem in
der Pandemie waren sie bei
Online-Versandhändlerinnen populär, erzählt Than.
Dann entschuldigt er sich.
Er muss wieder arbeiten.
Der historische Roman Der
letzte Mohikaner geht gleich in die Post. In
Illinois wartet ein Sammler, dem Thans
Ausgabe noch zu seinem Glück fehlt.
Man kann sich Than vorstellen wie einen Zauberer, nur ohne die typischen Accessoires wie Hut und Bart. Er zaubert die
tollsten Geschichten hervor. Und mehr
noch: Er bringt die Geschichte selbst
zum Leben. Eine kurze Suche im System,
und schon liegt er da: ein Stadtführer für
München zu den Olympischen Spielen
1936, mit Stadtplan und Hakenkreuz. Als
nächstes landen auf Thans Schreibtisch:
Zeitungen vom 12. September 2001. Vorne brennen die Twin Towers, hinten gibt’s
Werbung und Sport.
Nichts ist verschwunden – in Thans
Zeitkapsel passiert alles gleichzeitig. Das
glaubt man, wenn man ihm lange genug
zuhört. Dabei vergisst man leicht: Than
selbst ist auch nicht mehr jung. Was wird
Wenn es eine
Antwort gibt
auf die Frage,
warum Menschen Karrieren
beenden, um
Antiquare zu
werden, dann
heißt sie:
aus Liebe.
die Bücherwand, ¿e
, hier: Bücherregal, das
die ganze Wand ausfüllt
die R•ckseite, -n
, ≈ Seite hinten; hier:
schmale Seite von einem
Buch zwischen Cover und
der Seite hinten
die Gemeinsamkeit, -en
, hier: Sache, die bei zwei
oder mehreren Personen
gleich ist
der Prediger, , Person, die anderen
über den Bibeltext erzählt;
hier auch: d Person, die
andere immer wieder an
etwas erinnert
zw“ngen
, machen, dass … etwas
tun muss
wie gem„cht sein für
, m ideal passen für
geb¢nden
, hier: außen mit einem
stabilen Material, z. B.
Leder oder sehr dickem,
harten Papier
die Ausgabe, -n
, hier: Version, in der ein
Buch publiziert wird
der Verf„ll
, Zustand, dass etwas
immer schlechter wird und
kaputtgeht
der Buchrücken, , schmale Seite von einem
Buch zwischen Cover und
Rückseite
der Buchblock, ¿e/-s
, alle (inneren)Seiten
eines Buchs zusammen
die Fadenbindung, -en
, Technik, bei der man
Buchseiten mit einem
langen, sehr dünnen Ding
zusammenmacht
die Leinenbindung, -en
, mit einem Einband aus
einem stabilen Stoff, der aus
einer Pflanze gemacht ist
(der Einband, ¿e
, (stabiler) äußerer
Teil eines Buches, der die
Buchseiten schützt)
49
das Lesezeichen, -
, z. B. Karte oder Blatt,
die/das man an die Stelle
in einem Buch legt, an der
man weiterlesen möchte;
hier: ≈ sehr dünnes, langes
Stück Stoff am Einband,
das man zwischen die
Buchseiten legt, an denen
man weiterlesen will
der Jäger und S„mmler, , hier: Typ Mensch, der
systematisch Neues für
seine Sammlung sucht
gehören zu
, ein Teil sein von
eintreten
, hereinkommen
der Foli„nt, -en
, besonders stabil
gebundenes Buch, oft mit
Ornamenten außen
die Friedrich-EbertSt“ftung
, Organisation mit Verbindung zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands:
Sie gibt Geld, z. B. für
soziale Hilfsprojekte.
n¶ch z¢ seinem Gl•ck
fehlen
, hier: m noch
fehlen, um eine Sammlung
komplett zu machen
s“ch vorstellen wie
, ≈ sich denken wie
der Zauberer, -
, ≈ Person, die Magie kann
hervorzaubern
, m machen, dass …
plötzlich da ist
der St„dtführer, -
, hier: Buch mit Informa-
tionen über eine Stadt und
ihre Sehenswürdigkeiten
der St„dtplan, ¿e
, ≈ Landkarte von einer
Stadt
das Hakenkreuz, -e
, Swastika; hier: Symbol
der Nationalsozialisten
die Zeitkapsel, -n
, hier: Ort, an dem Dinge
aus der Vergangenheit
konserviert werden
50
DIE WELT DER ANTIQUARIATE
aus seinem Antiquariat, wenn er nicht
mehr kann, nicht mehr will, nicht mehr
ist? Darüber will er nicht reden. Noch
läuft das Geschäft.
Ich wünsche Than, dass er Ephemera
noch lange unsterblich macht. Aber ich
weiß, was aus Sammlungen wird, wenn
die Sammler gehen. Dann kommt Wiederhold und kauft, was übrig ist. In gigantischen Mengen tut sie das mit den Büchern, die nach dem Tod von Menschen
zurückbleiben. Die Antiquarin muss sich
um Nachschub keine Sorgen machen.
Wer liest, habe ich mal gelesen, denkt
anders, spricht anders, liebt anders. Der
lässt sich von Büchern gern verändern.
Mit jedem Buch kommt noch ein Teil der
Persönlichkeit ins Regal.
Was wird aus diesen Teilen? Wiederhold zeigt auf
zwei Regalmeter im Zimmer hinten. Dort steht sie
auf Deutsch und Polnisch,
die Seele eines Professors
für osteuropäische Geschichte.
Haben Sie mal an einem
Buch gerochen? Manche
riechen nach Zigarren, andere nach den Parfüms alter
Damen. Blättert man dann
durch die Bücher, findet man oft die interessantesten Dinge: Widmungen, Kommentare, Unterstreichungen, aber auch
Postkarten, Briefe, getrocknete Blumen.
Wie ein Archäologe will man das alles
dann untersuchen. Was zum Beispiel
wollte Christa dem Jürgen aus Potsdam
sagen mit dem Gruß vom Balaton 1984?
Man kann es leider nicht lesen.
Oder warum hat jemand in Albert Camus’ Der Mythos des Sisyphos diesen Satz
unterstrichen und nicht den nächsten:
„Absurd aber ist der Zusammenstoß des
Irrationalen mit dem heftigen Verlangen
nach Klarheit, das im tiefsten Inneren des
Menschen laut wird“?
Und was ist mit mir? Warum habe ich
in dem Bestseller Die rechtschaffenen Mörder von Ingo Schulze an der Stelle ein Ausrufezeichen an den Rand gemalt, in der
die zentrale Figur Norbert Paulini kein
Böser ist, sondern mein Held? Schulzes
Deutsch perfekt
Buch ist grandios, gleichzeitig macht es
traurig. Paulini ist ein Antiquar aus Dresden. In der DDR ist er ein Star, Held der
systemkritischen Bildungselite. Das ändert sich mit dem Fall der Mauer.
An der Stelle mit dem Ausrufezeichen
geht Paulini über eine Müllkippe. Dort
sind überall Bücher, Hunderte, Tausende, Zehntausende. Weggeworfen von einer Bildungselite, die meint, die Bildung
nicht mehr zu brauchen.
Am liebsten würde ich Schulze anrufen, ihm seine Sätze vorlesen: „Norbert
Paulini war ein Sanitäter. Auf immer neuen Pfaden durchwanderte er das Schlachtfeld. Überall wurde er gebraucht, alle riefen ihn an, alle flehten, mitgenommen zu
werden.“ Manchmal versteht ein Buch
seinen Leser besser als der
sich selbst.
Aber natürlich würde
Schulze wissen, dass Bücher mal das Einzige sein
werden, was an Buchmenschen wie ihn, Than, Wiederhold und mich erinnert.
Deshalb sollte man vor ihnen Respekt haben. Ihnen
Raum geben, damit sie alt
werden und zirkulieren
können.
Denn Bücher müssen von einer Hand
in die nächste gehen, Erinnerungen sammeln. Erst dann schauen die Verschwundenen uns durch sie an. Wenigstens für
eine kurze Zeit. Mehr kann Kultur nicht,
da war Michael Ende mit seiner Unendlichen Geschichte zu kulturoptimistisch. Jede
Story hat einen Anfang und ein Ende.
Manchmal muss man sich selbst vergewissern, dass man noch da ist. Dann
braucht man Bücher. Dann tun sie gut.
Zum Beispiel bei einem Käsekuchen im
Café. Und wenn die Worte wirken – oder
war es der Zucker? –, legt man sein Lesezeichen zwischen die Seiten und zahlt.
Man geht. Man isst. Man schläft. Man arbeitet. Man bringt den Müll raus und das
Kind in den Kindergarten. Und immer
liest man, kann gar nicht aufhören, auch
wenn nur eine Viertelstunde bleibt. Satz
für Satz. Absatz für Absatz. Bis zur letzten
Seite. Bis zum letzten Punkt.
Haben Sie schon
mal an einem
Buch gerochen?
Manche riechen
nach Zigarren,
andere nach
den Parfüms
alter Damen.
unst¡rblich
, so, dass es nicht stirbt
zur•ckbleiben
, hier: nach dem Tod noch
bleiben
der Nachschub, ¿e
, hier: neue Bücher
verændern
, ≈ ändern
der Regalmeter, , ein Meter (volles) Regal
der H¡ld, -en
, hier: Romanfigur, die
etwas sehr Gutes oder
Wichtiges macht
die B“ldungselite, -n
, ≈ soziale Klasse, die an
einer guten Schule war
oder an der Universität
studiert hat
der F„ll der Mauer
, Öffnung der Grenze
1989
, eine Seite nach der
anderen kurz ansehen
die M•llkippe, -n
, großer Platz, an dem
Müll gelagert wird
die W“dmung, -en
, persönliche Worte, die
man in ein Buch schreibt,
das man jemandem schenkt
der Sanitäter, , Person, die Kranken oder
Verletzten direkt hilft, oft
noch am Unfallsort
die Unterstreichung, -en
, Linie unter einem Wort
, schmaler Weg
blættern d¢rch
tr¶cknen
, ≈ trocken machen
der Zus„mmenstoß, ¿e
, Kollision; hier: Zustand,
dass zwei Gegenteile
gleichzeitig da sind
h¡ftig
, extrem
das Verl„ngen, , extremer Wunsch
die Klarheit
, von: klar = hier: deutlich;
leicht zu verstehen
das tiefste |nnere
, hier: Psyche des
Menschen
laut werden
, hier: deutlich zu merken
sein
r¡chtschaffen
, ≈ ehrlich
der Mœrder, , ≈ Person, die andere mit
Absicht totmacht
das Ausrufezeichen, , Symbol am Ende eines
gerufenen Satzes; !
der R„nd, ¿er
, hier: Stelle außen vom
Text; äußerer Teil der Seite
der Pfad, -e
durchw„ndern
, hier: nur mit Schwierig-
keiten gehen durch
das Schl„chtfeld, -er
, großes Areal für Kämpfe;
hier: großes Chaos (wie
nach einem Kampf)
flehen
, energisch bitten
Resp¡kt haben vor
, hier: gut zu … sein, weil
man weiß, dass sie etwas
wert sind
Raum geben
, ≈ Platz machen für
v¶n einer H„nd “n die
nächste gehen
, hier: geschenkt, noch
einmal verkauft oder
geliehen werden
s“ch vergew“ssern, d„ss …
, für sich selbst bestätigen, dass … wahr ist
S„tz für S„tz
, jeden Satz, einen nach
dem anderen
der [bsatz, ¿e
, Teil von einem Text;
Paragraf
Deutsch perfekt
Annette von Droste-Hülshoff
An Cornelia
LEICHT AUDIO
Du ziehst von uns, und manche teure Stunde
Zieht fort mit dir in jenes ferne Land.
Wohl weiß ich es, daß in getreuem Bunde
Auch dort dir alle Herzen zugewandt.
Doch weiß ich auch, dir wird auf fremdem Grunde
Nicht fremd die treue, lang gekannte Hand —
Und liebend, wie wir dir die Arme breiten,
Wirst du zurück an unsre Herzen gleiten.
Diesen Text hier
kostenlos hören!
www.deutsch-perfekt.
com/audio-gratis/12
ziehen v¶n
, hier: weggehen von
teuer
, hier: geliebt
f¶rt
, weg
jene (-r/-s)
, ≈ diese (-r/-s)
f¡rn
, weit weg
wohl
, hier: aber
getreu
, hier: mit Liebe
der B¢nd, ¿e
, hier: Kontakt; ≈ Relation
zugewandt (sein)
, hier: ≈ Interesse und
Sympathie (zeigen)
D¶ch …
, hier: Aber …
der Gr¢nd, ¿e
, hier: Ort
treu
, loyal
breiten
, hier: öffnen, wie für
einen lieben Gruß
zur•ckgleiten „n
, ≈ langsam zurückkom-
men zu
die B¢rg, -en
, ≈ großes, massives
Fotos: xxxxxx Sabri Deniz Kizil /Art studio G/Shutterstock.com
Illustrationen:
Schloss
Über die Autorin und ihre Lyrik
Annette von Droste-Hülshoff ist 1797 geboren. Sie war eine der wichtigsten
Lyrikerinnen ihrer Zeit. Ihre Eltern waren sehr musikalische und literarische
Aristokraten. So ist sie später nicht nur eine bekannte Lyrikerin geworden,
sondern auch Komponistin. Aber am Ende wählte die Aristokratin für sich die
Poesie – und ihre Lyrik war extrem populär. 1848 ist von Droste-Hülshoff auf
der Burg Meersburg am Bodensee gestorben. Das ist heute wahrscheinlich die
älteste Burg Deutschlands, auf der noch Menschen wohnen.
52
BLINDTEXT
Deutsch perfekt
„Die deutsche
Sprache wurde
ein sicherer Ort”
Deutsch perfekt
ABBAS KHIDER IM INTERVIEW
Foto: Andreas Pein/laif
Der Schriftsteller Abbas Khider über erste
Schreibversuche, die im Feuer endeten, seine
Probleme mit der deutschen Sprache im PhilosophieStudium und billige Lyrik-Bücher. Interview:
Katharina Menne und Arnfrid Schenk MITTEL PLUS
Herr Khider, für die meisten jungen Leute
geht das Leben mit 18 richtig los. Sie wurden
in dem Alter in Bagdad verhaftet und kamen
ins Gefängnis. Warum?
In dem Viertel, in dem ich aufgewachsen
bin, gab es eine starke Opposition gegen
den Diktator Saddam Hussein. Hier
wohnten die Armen, viele Schiitinnen
und Schiiten, wie wir. Ich habe verbotene Bücher von Exilautorinnen und
Regimegegnern verkauft, Flugblätter
verteilt. Aber das Schlimmste war wahrscheinlich der Kontakt zu Mitgliedern
von verbotenen Parteien. Irgendwann
haben mich die Leute vom Geheimdienst entdeckt.
Jemand hat Ihren Namen verraten?
Wahrscheinlich, ich würde es aber nicht
Verrat nennen. Die Unmenschlichkeit in
den Verhören kann man nicht beschreiben. Ich wurde mit Elektroschocks gefoltert. Manchmal dachte ich, nur der Tod
kann mich retten.
Können Sie erzählen, was Sie dort erlebt
haben?
Das Elektroschockgerät hat Kabel mit
Klammern. Die werden an die Zehen
gesteckt oder an die Finger oder hier (er
zeigt auf die Brustwarzen und unter die Gürtellinie). Reden wir nicht darüber. Einmal
klingelte das Telefon des Verhörbeamten. Es war seine kleine Tochter. Der
Folterer redete plötzlich ganz sanft mit
ihr, war ganz Vater. Als das Gespräch zu
Ende war, folterte er weiter.
Was gab Ihnen die Kraft, durchzuhalten?
Die anderen Menschen, die mit mir im
Gefängnis waren: Professoren, Politiker,
Liberale, Kommunisten – alles Gegner
von Saddam. Was sie erzählt haben, gab
mir das Gefühl: Ich lerne hier etwas. Am
liebsten hätte ich alle Gespräche aufgenommen oder aufgeschrieben. Aber wir
hatten ja nicht einmal Papier. Manchmal
haben wir etwas in die Wand geritzt,
auch Gedichte, viele Gedichte. Wie gern
wollte ich diese Wand mitnehmen.
In Ihrem ersten Roman Der falsche Inder
beschreiben Sie, wie es einem Häftling
gelingt, heimlich Papier ins Gefängnis zu
bringen. Haben Sie diese Geschichte erlebt?
Das war wirklich ich. Ich habe heimlich
geschrieben und die Seiten in meiner
Hose versteckt. Als ich in die Freiheit
und nach Hause kam, wollte ich vor allem eines: essen, viel essen. Danach ging
es mir schlecht. Ich lag drei Tage lang
im Bett. Als es mir besser ging, fragte
ich meine Mutter: Wo ist meine Hose?
Sie sagte: Ich habe sie verbrannt, die hat
nach dem Gefängnis so gestunken. Es
macht mich auch jetzt wieder traurig,
dass ich diese Texte nicht mehr habe.
Ihre Eltern waren Analphabeten und
arbeiteten als Dattelhändler. Was weckte
Ihre Liebe zur Literatur?
Bei uns zu Hause gab es zwei Bücher:
den Koran und den Jahresbericht der
Regierung. Den gab es jedes Jahr für alle
Menschen im Irak, als Geschenk. In der
Schule mussten wir Gedichte auswendig lernen, die den Krieg und Saddam
idealisierten. Als Junge habe ich also sehr
wenig gelesen. Ich habe nach der Schule
lieber Zeit auf dem Dach des Hauses mit
meinen Tauben verbracht. Ich war ein
richtiger Taubenzüchter. Als ich älter
wurde, hat mein Vater es mir verboten.
Warum?
Der Prophet soll gesagt haben, Taubenzüchter verlieben sich in ihre Tauben
und vergessen die anderen Menschen.
Kann ich bestätigen! (lacht) Ohne
Tauben war eine große Leere in mir.
Einer meiner großen Brüder hatte zu
der Zeit sehr religiöse Freunde. Einer
von ihnen gab mir ein religiöses Buch.
Ich las und wollte mehr davon.
r“chtig
, hier: m wirklich
verh„ften
, fangen und zur Poli­
zeistation bringen
das Gefængnis, -se
, Gebäude, in dem
kriminelle Personen bleiben
müssen
53
der F¶lterer, -
, Person, die foltert
s„nft
, hier: lieb
d¢rchhalten
, hier: L die Hoffnung
verlieren; weiterkämpfen
hætte … aufgenommen
, Konj. II der Vergan-
das Viertel, -
genheit von: aufnehmen =
hier: als Audio speichern
die Exilautorin, -nen
, Autorin, die in einem
fremden Land schreibt,
weil sie in ihrer Heimat aus
politischen, ethnischen
oder religiösen Gründen
nicht mehr leben kann
n“cht einmal
, hier: ≈ auch nicht
, hier: Stadtteil
der Regimegegner, , Person: Sie ist gegen das
Regime aktiv.
Flugblätter verteilen
, Informationen auf
Zetteln an viele Menschen
geben
der Geheimdienst, -e
, staatliche Organisation,
die geheime Informationen
aus anderen Ländern
mithilfe von Agenten holt
und geheime Dinge des ei­
genen Landes vor fremden
Agenten schützen soll
verraten
, etwas Geheimes sagen
die }nmenschlichkeit
, von: unmenschlich
r“tzen
, hier: mit einem scharfen
Gegenstand in Stein schrei­
ben oder malen
das Ged“cht, -e
, Poesie
Wie g¡rn …
, hier: m So gern …
f„lsch
, hier:
L
wirklich; fake
der Hæftling, -e
, Person, die im Gefängnis
bleiben muss
heimlich
, im Geheimen
verst¡cken
, hier: an einem geheimen
Ort haben
verbr¡nnen
, durch Feuer komplett
kaputt machen
der [nalphabet, -en
= inhuman; schlecht zu
anderen Menschen
, Person, die nicht (richtig)
das Verhör, -e
, von: verhören = Fragen
stellen, um spezielle Infor­
mationen zu bekommen
der D„ttelhändler, , Person, die Datteln kauft
und verkauft
f¶ltern
, mit physischer und
psychischer Aggression
Angst machen, z. B. bei
einem Verhör
erleben
, als Erfahrung machen
die Kl„mmer, -n
, Metallende einer Kon­
struktion, das man stabil an
etwas machen kann
der Zeh, -en
, ≈ Finger des Fußes
die Br¢stwarze, -n
, jede der beiden kleinen,
dunklen Stellen vorne am
Oberkörper
¢nter der G•rtellinie
, ≈ Körper unten; hier:
Genitalien
lesen und schreiben kann
(die D„ttel, -n
, sehr süße, dunkelbraune
Frucht, die an einer Palme
wächst)
w¡cken
, hier: stimulieren; ≈ geben
auswendig l¡rnen
, so lernen, dass man es
ohne Lesen weiß
die Taube, -n
, weißer oder grauer
Vogel; Friedenssymbol
der Taubenzüchter, , Person, die Tauben
besitzt und hilft, dass es
mehr werden
s“ch verlieben “n
, anfangen, … zu lieben
die Leere
, hier: Traurigkeit
54
ABBAS KHIDER IM INTERVIEW
Deutsch perfekt
„Man denkt an die Familie,
die Freunde, man weint viel.
Es ist kein Leben.“
der V¡rs, -e
, hier: Teil eines Koran­
textes
n“chts zu tun haben m“t
, hier: keine Beziehung
haben zu
der Schleier, , hier: Hijab
bereuen
, es traurig finden, dass
man etwas gemacht hat
besch“mpfen
, ≈ böse Wörter sagen zu
Wie alt waren Sie da?
Ungefähr 15. Ich lernte dann den Koran
auswendig und wollte Imam werden.
Den ganzen Koran?
Alle Suren, alle Verse, mehr als 6000.
Meine religiöse Phase war aber zum
Glück kurz. Ich will schon lange nichts
mehr mit Religion zu tun haben. Bei vier
Mädchen aus meinem Viertel habe ich
damals erreicht, dass sie den Schleier
tragen. Das bereue ich bis heute.
Woher kam dann Ihre Liebe zur Literatur?
Auf einem Büchermarkt in Nadschaf
beschimpfte ich einen Mann, der nicht
nur religiöse Bücher verkaufte, sondern
auch philosophische. Der blieb ruhig,
gab mir ein Buch und sagte: Lies das, ich
will kein Geld dafür. Es war Der Prophet
von Khalil Gibran, einem libanesischen
Schriftsteller. Danach hatte ich ein
Problem: Der Koran ist Gottes Wort,
in wunderbarer Sprache. Aber als ich
Gibrans Buch gelesen habe, musste ich
feststellen: Es gibt einen Menschen,
der besser schreiben kann als Gott. Ab
diesem Moment wollte ich Schriftsteller
werden. Ich las extrem viele Gedichte:
die arabischen Übersetzungen von Baudelaire, russische Lyriker, Exilliteratur.
Sie waren zwei Jahre im Gefängnis. War
wieder in Freiheit für Sie klar, dass Sie aus
dem Irak weggehen?
Ja. Mir war aber nicht klar, dass ich fast
vier Jahre auf der Flucht sein werde,
von 1996 bis 2000.
War Europa von Anfang an Ihr Ziel?
Nein. Ich wollte in Jordanien bleiben
und Kontakte in der Opposition finden.
Danach wollte ich irgendwann zurück
in den Irak und dort gegen Saddam
Hussein kämpfen.
Warum ist das nicht passiert?
Ich bekam keine Aufenthaltserlaubnis,
kein Visum. Deshalb ging ich nach
Libyen. Ich dachte, dort kann ich Geld
sparen und dann wieder zurückgehen.
Ich habe auf Baustellen gearbeitet und
in Bäckereien in Tripolis. Und ich habe
für eine Exilzeitschrift der Opposition
mit Sitz in London geschrieben.
Wie ging das?
Ich habe meine Texte per Brief nach London geschickt. Ob sie publiziert wurden,
habe ich erst viel später gewusst. Wir
durften immer nach ein paar Monaten
nach Tunesien ausreisen. Dort gab es
diese Zeitschrift. Da habe ich mich auch
mit Büchern eingedeckt, es gab viele
philosophische Texte, aus dem Französischen ins Arabische übersetzt.
Von einem, der immer
weiterging
Abbas Khider wurde 1973 in
Bagdad geboren. Er wuchs mit
acht Geschwistern auf, seine Eltern waren Analphabeten. Mit 18
kam Khider in Saddam Husseins
Foltergefängnisse. Wieder in
Freiheit floh er und kam vier
Jahre später in Deutschland an.
Khider machte Abitur, studierte
Literatur und Philosophie. Für
seine Romane hat er viele Preise
bekommen. Sein aktuelles Buch
heißt Der Erinnerungsfälscher.
die Fl¢cht, -en
, von: fliehen = hier:
weggehen, um in einem
sicheren Land zu leben
die Baustelle, -n
, Ort, an dem z. B. ein
Gebäude gebaut wird
Von einem, der immer
weiterging
der [nalphabet, -en
, Person, die nicht (richtig)
lesen und schreiben kann
das F¶ltergefängnis, -se
, Gebäude, in dem
Menschen bleiben müssen
und gefoltert werden
(f¶ltern
, mit physischer und
psychischer Aggression
Angst machen, z. B. um
spezielle Informationen zu
bekommen)
fliehen
, hier: weggehen, um in
einem sicheren Land zu
leben
, hier: Ort, an dem das
der Preis, -e
, hier: Geld oder Ge­
genstand als Lob für einen
Schriftsteller
ausreisen
, aus einem Land
weggehen
der Er“nnerungsfälscher, , Person, die Erinnerungen
so ändert, dass sie nicht
mehr authentisch sind
der S“tz, -e
Büro einer Zeitschrift ist
s“ch eindecken m“t
, m in großen Mengen
kaufen, um für lange Zeit
genug … zu haben
BLINDTEXT 55
MARKTPLATZ
Deutsch perfekt
Foto: privat
Sprachkurse und Sprachferien
Wird diese Zwischenwelt der Flucht
irgendwann normal?
Ich wusste, wenn ich in den Irak zurückgehe, wartet auf mich das Gefängnis,
vielleicht auch der Tod. Man muss
weitergehen, man hat keine anderen
Optionen. Man hofft, irgendwann
irgendwo anzukommen, wo es sicher ist.
Das ist alles, was man in dieser Zeit der
Flucht braucht.
Was haben Sie auf der Flucht gelernt?
Was es bedeutet, ausgeliefert zu sein.
Wörter wie Menschenrechte gibt es in
dieser Welt nicht.
Dachten Sie nie daran, zurückzugehen?
Doch, natürlich. Die erste Phase der
Flucht ist die härteste. Plötzlich ist
man allein. Mit wenig Geld und der
permanenten Angst, keine Aufenthaltsverlängerung zu bekommen. Wie
findet man eine Ärztin, wenn man krank
wird? Wie bezahlt man sie? In manchen
Momenten fragt man sich, ob es nicht
doch einfacher ist, in einer Diktatur zu
leben – einfacher als wie ein Hund auf
der Straße. Man denkt an die Familie,
die Freunde, man weint viel. Es ist kein
Leben. Manche Leute bleiben jahrelang
in dieser Phase.
Sie auch?
Ich konnte mich herauskämpfen. Aber
es ist hart. Man kämpft gegen sich selbst,
will am liebsten nichts mehr fühlen.
Warum sind Sie nicht in Libyen geblieben?
Nach vier Jahren war auch dort mein
Pass nicht mehr gültig. Viele wollten damals nach Europa, irgendwann auch ich.
Meine Flucht endete dann in Bayern.
Sie haben in kurzer Zeit Deutsch gelernt,
danach das Abitur gemacht und Literatur
und Philosophie studiert. Wie ist Ihnen das
gelungen?
Mir hat geholfen, dass ich mich sehr für
Grammatik interessiere. Ich habe mich
intensiv mit arabischer Grammatik
beschäftigt, das war eine gute Basis.
Aber das allein ist doch nicht genug …
Ich bin sehr ambitioniert, ich wollte das
auf jeden Fall. Ich übersetzte deutsche
Gedichte ins Arabische, für mich selbst.
Dann habe ich die Texte wieder zurück ins Deutsche übersetzt. Das war
intensives Sprachtraining. Ich bin jedes
die Zw“schenwelt, -en
, hier: Sein zwischen zwei
Zuständen; unklarer Status
ausgeliefert sein
, in einer Situation sein,
in der andere mit einem
machen können, was sie
wollen
das M¡nschenrecht, -e
, garantierte Möglichkei­
ten eines Individuums, z. B.
Freiheit, freie Meinung …
jahrelang
, in der Zeit von mehreren
Jahren
s“ch herauskämpfen
, hier: mit eigenen
Kräften kämpfen, um nicht
mehr in einer schwierigen
Situation zu sein
h„rt
, hier: sehr schwierig
das allein
, nur das
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56
Deutsch perfekt
ABBAS KHIDER IM INTERVIEW
„Deutsch ist oft sehr abstrakt.
Es gibt extrem langweilige
Satzkonstruktionen.“
der Flohmarkt, ¿e
, Markt, auf dem Antikes
und schon Benutztes
angeboten wird
gleich
, hier: schon; ≈ auch
der Verlag, -e
, Firma, die Zeitschriften,
Zeitungen oder Bücher
macht
der B¶mbenanschlag, ¿e
, kriminelle Aktion, bei
Wochenende auf einen Münchener
Flohmarkt gegangen, um neue Gedichtbücher zu kaufen. Die Verkäuferinnen
kannten mich bald: Da ist wieder der
Iraker, der Gedichte sucht, sagten sie.
Gab es nicht etwas Leichteres als ein
Philosophie-Studium?
Schon in Irak habe ich davon geträumt,
Literatur und Philosophie zu studieren.
Aber klar, es gab harte Phasen: In einem
Seminar haben wir gleichzeitig Kant,
Hegel und Heidegger gelernt. Ich dachte:
Das ist keine Sprache, das ist eine Strafe!
Sie haben gleich Ihren ersten Roman auf
Deutsch geschrieben. War Arabisch keine
Option?
Ich musste mich fragen: Wo ist mein
Publikum? Ich schreibe über Diktatur –
in der arabischen Welt hätte ich kaum
Verlage gefunden. Und meine Schwester ist 2007 bei einem Bombenanschlag
gestorben. Deshalb ist für mich klar, ich
will und kann nicht auf Arabisch schreiben. Die deutsche Sprache wurde ein
sicherer Ort. Natürlich hatte ich Angst,
auf Deutsch zu schreiben. Ich habe
meine ersten Geschichten an Freunde
geschickt und gesagt: Lest mal, und sagt
nur drei Wörter – entweder „Abbas, hör
auf!“ oder „Abbas, mach weiter!“.
Ihre Romane handeln oft von Folter, Flucht,
Asyl. Wie autobiografisch sind Ihre Bücher?
Es ist eine Mischung aus Biografie,
Realität und Fiktion. Ich schreibe nicht
autobiografisch. Ich habe bis heute sechs
Romane publiziert – aus welcher Biografie kann man sechs Romane machen?
Nach Ihrem Buch Deutsch für alle wurden
Sie bedroht. Warum?
Ich schlage darin vor, Deutsch einfacher
zu machen, damit Migrantinnen die
Sprache leichter lernen können. Das hat
manche sehr geärgert. Ich ändere seitdem sehr oft meine E-Mail-Adresse und
meine Telefonnummer. Ich bin eigentlich sehr gern mit Menschen zusammen.
Das ist eine schlimme Situation für
mich. Manche Leute haben das Buch
einfach nicht als das verstanden, was es
ist: Übertreibung und Satire.
Gibt es etwas, das Sie wirklich nicht an der
deutschen Sprache mögen?
Deutsch ist oft sehr abstrakt. Es gibt
extrem langweilige Satzkonstruktionen. Das Ungeheuerlichste aber ist das
Deklinieren. Es dauert Jahre, bis man das
verstanden hat. Ein paar Präpositionen
weniger würden auch helfen.
Und was mögen Sie am Deutschen?
Ich liebe die Knappheit. Ich rede gern
viel. Aber wenn ich schreibe, habe ich die
Möglichkeit zum Verdichten.
Haben Sie manchmal Heimweh?
Um Heimweh haben zu können,
braucht man schöne Erinnerungen. Was
soll das bei mir sein? Krieg? Gefängnis?
Eine weinende Mutter? Meine Mutter
saß acht Jahre lang jeden Abend weinend vor den Nachrichten – drei meiner
großen Brüder waren im Iran-Irak-Krieg.
In Ihrem neuesten Roman Der
Erinnerungsfälscher fragt am Ende
ein Siebenjähriger seinen Vater, einen
Deutschiraker: „Fliegen wir bald nach
Bagdad?“ Sie haben einen Sohn in dem Alter.
Hat er sie das schon gefragt?
Oh, natürlich fragt er. Ich erzähle ihm
viel über den Irak. Auch, dass ich geflohen bin, weil ich meine Meinung gesagt
habe. Natürlich hätte er gern seine Oma
kennengelernt – die hat er bis zu ihrem
Tod nur über Skype gesehen. Ich würde
ihm diese Welt gern zeigen. Aber es ist
einfach zu gefährlich.
der mit einer Bombe etwas
kaputt gemacht wird
das Asyl
, Aufenthalt, den ein Staat
einem Ausländer erlaubt,
weil dieser aus seiner
Heimat fliehen musste
bedrohen
, sagen, dass man
Schlimmes mit jemandem
machen wird, z. B. um Angst
zu machen
seitdem
, seit dieser Zeit
die Übertreibung, -en
, von: übertreiben =
hier: mit Absicht extremer
beschreiben, z. B. um Späße
zu machen
ungeheuerlich
, schrecklich
deklinieren
, ein Wort in seinen gram­
matischen Formen ändern
die Kn„ppheit
, von: knapp = hier: kurz
verd“chten
, hier: in wenigen Worten
mitteilen
das Heimweh
, intensiver Wunsch, in die
Heimat zurückzugehen
der Er“nnerungsfälscher, , Person, die Erinnerungen
so ändert, dass sie nicht
mehr authentisch sind
einfach
, hier: m Das ist die
Erklärung.
Deutsch perfekt
Maria Janitschek
Mädchenfrage
MITTEL
Illustration: Ihnatovich Maryia/Shutterstock.com
Als Kind hab ich oft geweint,
wusst nicht, warum,
nun muss ich oft heimlich lachen,
weiß nicht, warum.
Es greift in meine Saiten
eine rätselhafte Hand,
ein Fremdes will mich leiten
in ein unbekanntes Land.
Seltsam wunderliche Gedanken,
die mein Wort nicht nennen kann,
baun um mich purpurne Schranken
und halten mich in Zauber und Bann.
Ich fasse dich nicht o Leben,
weiß nicht, wer wir beide sind,
weiß nicht, wohin wir streben,
wo ich mein Ziel wohl find.
Als Kind hab ich oft geweint
wusst nicht, warum …
nun muss ich oft heimlich lachen,
weiß nicht, warum.
heimlich
, im Geheimen
“n die Saiten greifen
, mit der Hand die Saiten
nehmen und darauf spielen;
hier: ≈ die Kontrolle über
das Leben bekommen
(die Saite, -n
, langes, sehr dünnes Teil
an einem Musikinstrument
(z. B. Gitarre/Cello), das
einen Laut macht, wenn man
die Hand / einen Gegenstand
darüber bewegt)
rätselhaft
, so, dass man jemanden/
etwas nicht verstehen kann
w¢nderlich
, so, dass man sich wundert
die mein W¶rt n“cht
n¡nnen k„nn
, die ich nicht beschreiben
kann
baun
, gemeint ist: bauen
p¢rpurn
, rotviolett
die Schr„nke, -n
, ≈ Barriere
“n Zauber ¢nd B„nn h„lten
, hier: machen, dass man
sich sehr für ein spezielles
Thema interessiert
f„ssen , hier: verstehen
streben
, mit viel Energie versuchen, etwas zu erreichen
wohl , hier:
denn; wahrscheinlich
das Weib, -er
, früher: Frau (heute: neg.)
}nrecht „ntun
, hier: jemandem etwas
Böses/Unangenehmes tun
Über die Autorin und ihre Lyrik
Für eine 1859 in Österreich geborene Frau war es noch sehr viel schwerer als
heute für Frauen, Texte zu publizieren. Maria Janitschek fand eine Lösung für das
Problem: das männliche Pseudonym Marius Stein. Später stand in ihrer ersten
Lyriksammlung die Poesie „Ein modernes Weib“ über eine sehr selbstsichere Frau.
Dafür wurde sie sehr kritisiert. Aber Janitschek mochte Frauen, die wissen, was
sie wollen. In ihren Texten kämpften sie mit allen Methoden, wenn ihnen Unrecht
angetan wurde. So viel ist sicher: Die Lyrikerin war eine frühe Feministin.
Die Innovatoren
Seine Ideen waren epochal: Vor rund 570 Jahren hat der Mainzer
Johannes Gutenberg den Buchdruck möglich gemacht. Überraschend
viel erinnert an Mark Zuckerberg, den großen Innovator unserer Zeit.
Trotzdem gibt es einen großen Unterschied. Welchen? Von Detlef Esslinger MITTEL
Deutsch perfekt
N
ur mal so eine Idee:
Was wäre, wenn Johannes Gutenberg
nie gelebt hätte?
Und wenn auch niemand anderes die
Idee gehabt hätte,
wie man Bücher drucken kann? Wenigstens nicht im 15. Jahrhundert? Wäre das
nicht ein großes Glück gewesen für die
Menschen damals?
In Mainz macht immer um neun Uhr
am Morgen das Gutenberg-Museum
auf. Wenn man heute jemanden einen
Büchermenschen nennt, ist das immer
als Kompliment gemeint. Aber war das
klar, als Johannes Gutenberg, geboren um
1400 in Mainz und dort 1468 auch gestorben, den Buchdruck erfand?
Ungefähr 1450 passierte das wahrscheinlich. Der Buchdruck half erst
einmal der Elite, vor allem der Kirche.
WAS GUTENBERG UND ZUCKERBERG UNTERSCHEIDET
gekümmert wurde. „Wenn man sich
zuerst um die Sicherheit sorgte und alle
Probleme lösen wollte, würde man nie ein
Flugzeug entwickeln.“
Ein Grund für einen Vergleich zwischen Zuckerberg und Gutenberg ist
nicht, dass die beiden Namen so schön
ähnlich sind. Und er ist nicht deshalb
absurd, weil es erst 18 Jahre her ist, dass
Zuckerberg die Idee zu Facebook hatte.
Wenig Zeit im Vergleich dazu, dass Gutenbergs Erfindung in der Renaissance
die wichtigste des zweiten Jahrtausends
war. Aber: Zuckerbergs Erfindung könnte
ähnlich wichtig werden wie die von Gutenberg. Die Konsequenzen kann er täglich sehen, anders als damals Gutenberg.
Hatte Gutenberg ein politisches Motiv?
Über den Mann ist kaum etwas bekannt.
Man weiß nicht einmal, wie er aussah –
wahrscheinlich hatte er weder den Bart
noch die Mütze, womit er auf allen Bildern
Johannes Gutenbergs BuchdruckTechnik half erst einmal der Elite,
extrem viel Geld zu verdienen.
nur mal so …
, m ganz ohne genaue
Absicht
gelebt hætte
, Konj. II der Vergangenheit von: leben
das Jahrh¢ndert, -e
, ≈ Zeit von 100 Jahren
der Büchermensch, -en
, m Person, die Bücher
liebt
¢m
, hier: ungefähr im Jahr
erf“nden
, hier: sich etwas komplett Neues überlegen und
konstruieren
die K“rche, -n
, hier: römisch-katholi-
sche Instanz
das Geschæft, -e
, hier: wirtschaftliche
Aktivitäten
“n das Fegefeuer k¶mmen
, nach dem Tod zur Strafe
zu einem schrecklichen
Ort gehen müssen (im
katholischen Glauben, weil
man etwas Schlechtes
gemacht hat)
zus„mmensitzen
, hier: gemeinsam
diskutieren
s“ch sagen
, hier: denken
Illustration: Prachaya Roekdeethaweesab/Shutterstock.com; Foto: picture-alliance/Retuers
eines Tages
, hier: später einmal
1500 Jahre lang hatte sie versucht, eine
überall identische Bibel zu publizieren.
Nun war das endlich möglich. Und dann
das große Geschäft mit Ablassbriefen. Die
Menschen kauften diese Briefe bei der
Kirche, oft zum Preis eines Monatslohns.
Sie hofften, so nicht in das Fegefeuer zu
kommen. Durch den Buchdruck konnte
die Kirche extrem viele Briefe herstellen.
Mark Zuckerberg wurde vor ein paar
Jahren gefragt, was seine Erfindung
Face­book noch alles machen wird mit der
Welt. Zuckerberg antwortete mit einem
historischen Vergleich: „Die aktuelle Diskussion erinnert mich daran, dass man im
18. Jahrhundert zusammengesessen und
sich gesagt hat: Oh, eines Tages haben
wir vielleicht Flugzeuge, und sie könnten abstürzen.“ Er argumentiert damit,
dass trotzdem erst die Flugzeuge entwickelt und sich dann um Flugsicherheit
zu sehen ist. Der Mann starb circa 18 Jahre nach seiner Erfindung. So verpasste
er deren erste epochale Konsequenz um
ein halbes Jahrhundert: Martin Luthers
95 Thesen wären vielleicht ein regionales
Phänomen geblieben, wenn der Autor vor
Gutenberg gelebt hätte. 1517 aber konnten die Thesen gedruckt werden. Und bald
kannte man sie im ganzen Land. Das war
der Anfang der evangelischen Kirche.
Im Museum versteht man, welche
Änderung Gutenbergs Erfindung für die
Welt bedeutete. Sie war aber nicht zu viel
für die Menschen. Die gedruckten Thesen
von Luther mussten auf Pferden in andere Städte gebracht werden, genauso wie
noch 200 Jahre später die dann mehr als
100 Zeitungen auf deutschem Gebiet. In
der Gutenberg-Galaxis hatten die Menschen noch Zeit, sich an neue Techniken
zu gewöhnen.
59
„bstürzen
, ≈ nach unten fallen
argumentieren
, Argumente nennen
entw“ckeln
, hier: erfinden
s“ch s¶rgte ¢m
, hier Konj. II von: sich
sorgen um = sich Sorgen
machen wegen
w¶llte
, hier Konj. II von: wollen
18 Jahre her sein
, genau vor 18 Jahren
gewesen sein
das Jahrtausend, -e
, ≈ Zeit von 1000 Jahren
n“cht einmal
, hier: ≈ auch nicht
die M•tze, -n
, ≈ weicher Hut
verp„ssen ¢m
, (eine genaue Zeit) zu
spät sein für
das Pferd, -e
, schnelles Tier, das man
zum Transport verwenden
kann
das Gebiet, -e
, hier: Territorium,
das später mal Teil eines
Staats ist
s“ch gewöhnen „n
, hier: anfangen, … zu
akzeptieren, weil man es
immer besser kennt
WAS GUTENBERG UND ZUCKERBERG UNTERSCHEIDET
Deutsch perfekt
ja
, hier: m wie man
Die Konsequenzen seiner Idee sieht
Mark Zuckerberg täglich. Das war
bei Johannes Gutenberg anders.
Und in der Zuckerberg-Galaxis? Es ist
ja nicht so, wie der Facebook-Erfinder
es erzählt: dass er 2004 nur das nächste
Medium nach „Zeitungen, Telefonen,
Fernsehern“ erfunden hätte. Auch mit
seinem Medium fängt genauso eine
neue Epoche an wie im 15. Jahrhundert
mit dem Buchdruck.
Die epochale Änderung bei Gutenberg war, dass Texte nun von sehr vielen
Menschen gelesen werden konnten. Bei
Zuckerberg ist die Änderung, dass nun
alle Menschen senden und empfangen
können. Aber weil das in wenigen Jahren
passierte, ist seine Erfindung viel brutaler. 1464 war man über die Distanz noch
genauso in Kontakt wie 1450. Aber 2022?
Ist alles ganz anders als 2008.
Vor Zuckerberg brauchte jeder, der senden wollte, einen Verlag, eine Fernsehoder eine Radiostation. Nun kann jeder
senden, was er für die Wahrheit hält. Die
was? In der Zuckerberg-Galaxis gibt es
ein Deutungs-Polypol. Es hat das Deutungs-Monopol der bekannten Medien
aus der Gutenberg-Galaxis beendet.
„And that’s the way it is“, man kann es
nicht ändern – mit dem Satz beendete der
amerikanische Moderator Walter Cronkite 19 Jahre lang seine Abendnachrichten,
bis 1981. Wie arrogant! Heute kann jeder
selbst einmal kurz Cronkite sein; zwar
nicht immer mit Millionenpublikum, aber
mit der technischen Chance darauf.
Vielleicht war es ja wirklich so, wie
Mark Zuckerberg es immer erzählt. Dass
h„lten für
, hier: meinen, dass etwas
weiß
… ist
s¡nden
die Deutung, -en
, ≈ Interpretation
, hier: einem (größeren)
Publikum mitteilen
brutal
, hier: mit extremen
Änderungen, die auch
Schwierigkeiten bringen
der Verlag, -e
, Firma, die Zeitschriften,
Zeitungen oder Bücher
macht
der Moderator, Moderatoren
, hier: Person, die die
Nachrichten präsentiert
Wie arrog„nt!
, d So stolz!
Illustration: chempina/Shutterstock.com; Foto: Kaspars Grinvals/Shutterstock.com; Quelle: Dies ist eine einfachere Version eines Texts aus der Süddeutschen Zeitung.
60
Deutsch perfekt
LESERSERVICE
Fragen zu Abonnement und Einzelbestellungen (customer service, subscriptions)
seine „Mission“ nur war, „die Welt mitei­
nander zu verbinden“. Vielleicht ist das
wenigstens die halbe Wahrheit. Aber frühere Manager von Facebook haben berichtet, welche Absicht wirklich die Motivation war: Facebook so zu kon­struieren,
dass die Menschen maximal viel Zeit
dort verbringen. Je länger sie bleiben,
umso mehr Daten für die Firma. Umso
passendere Werbung kann diese zeigen.
Umso mehr Geld kann sie mit ihnen verdienen. „Facebook ist legales Crack“, sagt
Zuckerbergs früherer Manager Antonio
Martínez.
Crack ist deshalb ein gutes Wort dafür,
weil Facebook schlimme Konsequenzen
hat. Seine Algorithmen zeigen jedem,
der die Welt für eine Verschwörung hält,
Verschwörungstheorien. Hörensagen machen sie zur Basis realer Kommunikation.
Sie geben Propagandisten die Chance,
Diskussionen zu manipulieren. Sie geben
russischen Trollfabriken eine Bühne, ohne
dass Benutzerinnen eine Chance haben,
diese als solche zu erkennen.
Johannes Gutenberg war gut im Geldverdienen. Er erfand zum Beispiel Pilgerspiegel, wie er es nannte. Schon zu seiner
Zeit fuhren die Menschen nach Aachen,
wo alle sieben Jahre ein Kleid, eine Windel und zwei Stoffe gezeigt wurden. Man
sagte, dass sie von Maria, Jesus und Johannes dem Täufer sind. Die Pilger standen
davor, hielten Gutenbergs Spiegel hin
und hofften, dass sie so etwas von der
Kraft der Reliquien bekommen würden.
Es muss ausgesehen haben wie heute,
wenn die Leute ihre Smartphones in die
Luft halten.
die Verschwörung, -en
, Idee, dass die Welt auf
Basis eines geheimen Plans
(z. B. einer Elite) kontrolliert
wird
das Hörensagen
, hier: Information, die
man von anderen Menschen gehört hat
die Bühne, -n
, hier: Publikum
s¶lche
, diese
„lle sieben Jahre
, einmal in sieben Jahren
die W“ndel, -n
, ≈ Hose für Babys, die
noch nicht selbst zur
Toilette gehen können (z. B.
Pampers)
der Täufer, , Person, die ein Ritual
macht: So wird man Christ.
der P“lger, , Person, die eine Reise zu
einem religiösen Ort macht
h“nhalten
, ≈ in eine Richtung nach
oben halten
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62
BLINDTEXT
Deutsch perfekt
Deutsch perfekt
Bibi, Tina
und Noah
Eltern können heute Kinderbücher bestellen,
in denen ihr Kind sich selbst als Person findet.
Eine liebe Idee? Oder narzisstisch? Von Nina Pauer.
LEICHT
Foto: picture alliance/United Archives
D
ie Fragen auf der Website erinnern ein bisschen an den
Besuch beim Einwohnermeldeamt: „Haarfarbe“, „Augenfarbe“, „Wohnort“? Ein Kreuz muss hinter „männlich“,
„weiblich“ oder „divers“. Dann aber: „Reithosen sind sehr
praktisch. Welche Farbe soll deine Hose haben?“, „Musik
an, die Party geht los, welches ist dein Lieblingslied?“, und:
„Auf unserem Hof gibt es viele Ponys. Welches hast du besonders lieb?“
Die zwei Pferdemädchen Bibi und Tina, das Schwein Peppa oder Disneys
populäre Eisprinzessin Elsa – sie alle haben jetzt Platz für neue Charaktere
im Plot: Kinder dürfen bei ihren Abenteuern mitmachen. Ein paar Klicks,
und schon können Eltern sie mithilfe von Comicmodellen zum Sidekick
der Erzählung machen. Ein paar Tage später liegt das individuell designte
Buch dann gedruckt im Briefkasten.
Tiger und Bär von dem bekannten Kinderbuchautor Janosch waren gestern. Jetzt heißt es Tiger und Bär und Paul. Und dann ist da Conni. Die Kinderbuchheldin übernachtet nicht mehr bei ihrer Freundin Jule, sondern bei
Noah, Emma oder Marie. Auch der beste Freund aus der Kita kann Teil der
Story werden. Oder auch Mama und Papa.
Was ist passiert? Wird die größte Kinderphantasie real, einmal die geliebten Idole zu treffen? Oder sind Elsa, Batman und die Biene Maja langweilig
geworden – und brauchen deshalb Hilfe von ihrem Publikum?
Es sind ja nicht nur die Bücher. Bei personalisierten Puzzles setzen Kleinkinder ihre eigenen Gesichter zusammen. Im Memoryspiel sind nicht mehr
nur Apfel und Apfel zusammen ein Paar. Jetzt kommt Selfie zu Selfie, anderes Selfie zu anderem Selfie und immer mehr und noch mehr Selfies zu
immer mehr und noch mehr Selfies.
Narzisstische Früherziehung – so könnte man zu diesem Phänomen auf
dem Markt der Kinderprodukte sagen. Eltern kaufen immer mehr Bücher
und Spiele mit den Gesichtern ihrer Kinder darauf. So wie Hardcore-Fans
Merchandise ihrer Lieblingsband. Wollen sie ihre Kinder damit vorbereiten
auf das Leben zwischen Instagram und TikTok? Ein Leben voll mit Bildern
des eigenen Ichs?
Das ist natürlich logisch. Die Obsession mit dem eigenen Gesicht beginnt
direkt nach der Geburt. Extrem viele Selfies dokumentieren die Elternzeit
mit dem Baby. Bei der Kita-Eingewöhnung machen Erzieherinnen und
KINDERBÜCHER
das Einwohner­­
m¡lde­amt, ¿er
, kommunale Administration: Dort meldet man
seinen Wohnort an.
die Reithose, -n
63
die K“nderbuch­
heldin, -nen
, wichtiges Mädchen aus
einem Kinderbuch: Man
findet es toll und mag es.
übern„chten
, enge Sporthose: Man
, schlafen; eine Nacht
(das Pferd, -e
, Tier: Man kann auf
ihm sitzen. Kleines Pferd
= Pony)
die Kita, -s
, kurz für: Kindertagesstätte = Institution: Dort
passen Pädagogen auf
Kinder auf.
trägt sie, wenn man auf
einem Pferd sitzt.
„n
, hier: m kurz für:
anmachen
losgehen
, hier: beginnen
der Hof, ¿e
, hier: Areal mit Pferden,
z. B. für den Sport
lieb haben
, mögen
das Pferdemädchen, , m d Mädchen: Es
liebt Pferde.
das Abenteuer, , gefährliche Erfahrung:
Man macht sie im Alltag
nicht oft.
der Bär, -en
, großes, braunes Tier:
Es lebt im Wald (z. B. in
Kanada oder Alaska).
… waren g¡stern
, hier: m … sind nicht
mehr aktuell
¡s heißt …
, hier: normal ist …
bleiben
die Biene, -n
, kleines schwarz-gelbes
Tier: Es fliegt von Blume zu
Blume.
personalisieren
, hier: individuell
designen
zus„mmensetzen
, hier: kombinieren
die Früherziehung
, ≈ Unterricht in einer
Sache schon so früh wie
möglich
vorbereiten auf
, hier: Wissen und Kennt-
nisse geben für
die ]lternzeit, -en
, ≈ Urlaub für Eltern: In
einer Zeit von drei Jahren
können sie sich um ihr Baby
kümmern. Ihre Firma darf
ihnen in dieser Zeit nicht
kündigen.
die Kita-Eingewöh­
nung, -en
, Kitastart für ein Kind:
Es lernt noch, ohne seine
Eltern zu sein.
die Erzieherin, -nen
, Pädagogin
64
KINDERBÜCHER
Erzieher mit der Kamera weiter. Gleiches passiert bei den Playdates der
Kleinen. Und auch Omas und Opas sieht man auf dem Spielplatz immer
nur halb: Sie halten sich ein Smartphone vor das Gesicht, um das Lachen des
Enkelkinds zu archivieren. Ein Puzzle mit Selfie darauf ist dann eigentlich
keine Überraschung mehr.
Die vielen Bilder von uns selbst sind unsere Realität. Und ist es nicht der
Job von Eltern, ihre Kinder auf die Realität vorzubereiten?
Die Frage ist, ob Kinder damit etwas anfangen können. Natürlich lieben
sie Elsa und den Feuerwehrmann Sam. Wollen sein wie Ritter Trenk. Laufen viele Wochen herum wie Ronja Räubertochter. Und planen lange vor
Karneval das Harry-Potter-Kostüm. Aber ein kleines Wort macht hier den
Unterschied. Man möchte wie jemand sein – aber man möchte diesen Jemand nicht ersetzen.
Kinder rufen: „Ich bin der! Ich bin die!“, und wählen auf einer Bilderbuchseite eine Lieblingsfigur. „Identifikatorisches Lesen“ heißt das in der Literaturwissenschaft. Ist es nicht falsch, Kindern diese Option zu nehmen?
Denn mit einem Bild von sich selbst kommen sie gleich wieder aus der
Fantasie zurück zum realen Ich. Auch hyperrealistische Kinderbücher wie
die mit Conni oder Bobo Siebenschläfer tun das nicht.
1936 hat der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan über einen
sehr wichtigen Moment geschrieben: Was passiert, wenn ein Kleinkind sich
Vielleicht helfen die individuell
gemachten Bücher weniger den
Kindern und mehr den Eltern.
Deutsch perfekt
der/die Kleine, -n
, hier: m Kind
¡twas „nfangen kœnnen
m“t
, m gut finden; mögen
der R“tter, , Mann im Mittelalter: Er
streitet in einem Anzug aus
Metall.
(das M“ttelalter
, historische Zeit von circa
500 bis 1500 nach Christus)
her¢mlaufen wie
, hier: m den Look
tragen von
die Räubertochter, , Tochter von einem
Räuber
(der Räuber, , Person: Sie nimmt
anderen etwas weg.)
ers¡tzen
, hier: selbst an die Stelle
kommen von
das B“lderbuch, ¿er
, Buch wie ein Comic:
Eine Seite ist meistens eine
Szene.
die Figur, -en
, hier: Charakter
identifikatorisches Lesen
, Prozess beim Lesen:
Man denkt: Ich bin (wie)
eine Figur aus der Erzählung.
die Literaturwissenschaft
das erste Mal selbst bewusst im Spiegel sieht? Bis zu diesem Moment hat
es im Bewusstsein nur mit Teilen seines Ichs gelebt. Denn das Kind konnte
mit den eigenen Augen nur die Arme, Beine oder den Bauch sehen, aber
nicht das eigene Gesicht von außen. Jetzt sieht sich der kleine Mensch also
zum ersten Mal komplett – und feiert das mit Euphorie.
Der erste Kontakt mit dem kompletten Ich findet aber nur mit einem
Bild statt, durch einen Spiegel. Leider bedeutet das gleich wieder eine Entfremdung. Denn ein Bild gibt immer Raum für Projektionen, für Hybris und
Allmachtsfantasien. Schon Narziss wurde verrückt und unglücklich, als er
sich in sein eigenes Spiegelbild im Wasser verliebte.
Den Kleinen aber ist das alles ziemlich egal. Das sieht man beim Auspacken der Geschenke auf der Geburtstagsfeier. Sie freuen sich über ein
personalisiertes Batman-Buch – so wie sie sich über jedes andere neue Buch
freuen. Tiger und Bär können Tiger und Bär bleiben.
Wahrscheinlich ist das alles mehr eine pädagogische Aufgabe der Eltern
für sich selbst. Ein personalisiertes Buch kann ihnen helfen, durch das viele
Ich nicht verrückt zu werden. Zum Beispiel ein individuell gemachtes Wimmelbuch. In dem speziellen Bilderbuch ist die Welt groß und man selbst
ganz klein. Ein Mensch neben vielen anderen. Hier der Eisverkäufer, da
Leute an der Bushaltestelle. Jemand läuft hinter dem Bus, wird ihn wahrscheinlich verpassen. Vielleicht findet man sich in dem allen selbst. Oder
aber – für einen kleinen ruhigen Moment – auch einmal nicht.
, viel systematisches
Wissen im Sektor Literatur
hyperrealistisch
, extrem realistisch;
realistischer als normal
der Siebenschläfer, -
, kleines graues Tier: Es
lebt in Bäumen und schläft
viele Wintermonate lang.
hier: Siebenschläferkind als
Kinderbuchheld
bew¢sst
, hier: mit Bewusstsein
(das Bew¢sstsein
, hier: Erfahrung: Ich habe
ein Ich, ein eigenes Denken
und eigene Emotionen.)
die Entfr¡mdung
, von: sich entfremden von
= die emotionale Verbindung
verlieren zu
Raum geben für
, möglich machen
die Hybris
, Emotion/Denken: Man
glaubt, man selbst ist besser
als andere.
die [llmachtsfantasie, -n
, Denken: Man kann alles
und kann andere Menschen
kontrollieren.
das Spiegelbild, -er
, ≈ Reflexion
s“ch verlieben “n
, beginnen, … zu lieben
das W“mmelbuch, ¿er
, Buch zum Spielen: Es
zeigt volle Szenen. In dem
Chaos muss man eine spezielle Figur finden.
Deutsch perfekt
Kurt Schwitters
Cigarren [elementar]
Illustration: dramaj/Shutterstock.com
Cigarren
Ci
garr
ren
Ce
i
ge
a
err
err
e
en
Ce
CeI
CeIGe
CeIGeA
CeIGeAErr
CeIGeAErrEr
CeIGeAErrErr
CeIGeAErrErr
ErrEEn
EEn
En
Ce
i
ge
a
err
err
e
en
Ci
garr
ren
Cigarren
(Den letzten Vers singt man).
Über den Autor und seine Lyrik
Kurt Schwitters, geboren 1887, hatte viele Berufe: Er war zum Beispiel Maler, Poet
und Grafiker im Marketing. Sehr bekannt ist Schwitters aber als Dadaist geworden.
Er spielte sprachlich und typografisch mit Wörtern und hat mit Merz ein dadaistisches Manifest geschrieben. Für andere Dadaisten war Dadaismus keine Kunst. Aber
für den Mann aus Hannover war seine Merz-Kunst wirklich Kunst, sehr individuelle
Kunst. 1937 ist Schwitters wegen den Nationalsozialisten nach Norwegen emigriert,
später nach England. Dort ist er 1948 gestorben.
LEICHT
die Cig„rre, -n
, heute: die Zigarre, -n
der V¡rs, -e
, hier: Zeile in einem
Gedicht
der Maler, , Person: Sie macht Bilder.
die K¢nst, ¿e
, ästhetische Dinge (z. B.
Bilder, Literatur, Musik oder
Skulpturen)
66
SIEBEN FRAGEN ZUM SCHLUSS
Deutsch perfekt
„Lest, was euch Freude bringt!“
Was macht ein Buch gut? Literaturbloggerin Karla
Paul erzählt von der Liebe zu Sätzen – und
warum sie mit dem Lesen mancher Bücher ganz
schnell wieder aufhört. MITTEL
Buchbesprechung als sachliche Stilkritik.
Blogger beschreiben meist die persönliche Leseerfahrung. Das ergänzt sich. Ich
mag es gar nicht, da zu polarisieren, sondern freue mich über jeden Ort für Literatur.
Was macht ein Buch für Sie gut?
Zuerst einmal ist ein gutes Buch nicht
automatisch erfolgreich – und umgekehrt
ein erfolgreiches Buch nicht immer gut.
Für mich muss ein gutes Buch viel mitbringen. Es kann einen tollen Stil haben,
poetische oder besonders schlagfertige
Sätze. Ideal ist es, wenn ich nach dem Lesen feststelle: Das Buch hat mich verändert. Ich habe etwas gelernt. Und ich habe
mich in seine Sätze verliebt.
Behalten Sie diese Bücher? Ist Ihre Wohnung
eine Bibliothek voll mit Bücherregalen?
Zu Hause trifft meine Literaturliebe auf
Minimalismus: Ich behalte nur ganz wenige Bücher. Von den Verlagen bekomme
ich viele Bücher elektronisch. Print ist mir
am liebsten, weil ich damit gut arbeiten
kann. Ich schreibe Kommentare in die
Bücher, die Seiten bekommen Knicke,
manche reiße ich raus. Man sieht ihnen
wirklich an, dass ich mit ihnen lebe.
Haben Sie Buchempfehlungen für
Menschen, die Deutsch lernen?
Vom Ende der Einsamkeit von Benedict Wells,
Bergland von Jarka Kubsova und Sei klug und
halte dich an Wunder von Mascha Kaléko.
Die sind alle unkompliziert geschrieben,
sehr unterhaltsam und so ergreifend, dass
man mögliche Sprachbarrieren schnell
vergisst. Ich empfehle allen Menschen:
Wenn euch ein Buch nichts gibt, dann weg
damit – auch wenn andere sagen, dass man
es gelesen haben muss. Lest das, was euch
Freude bringt! Interview: Eva Pfeiffer
die Buchbesprechung, -en
, von: ein Buch besprechen = über ein Buch
sprechen und sagen, was
daran gut ist und was nicht
moderieren
, hier: ein Gespräch
zwischen zwei oder mehr
Personen dadurch leiten,
dass man Fragen formuliert
¡s geht ¢m …
, das Thema / der Inhalt ist …
verm“tteln
, hier: zeigen; (weiter-)
geben; erklären
der Verlag, -e
, Firma, die Zeitschriften,
Zeitungen oder Bücher
macht
transpar¡nt
, hier: so, dass man
öffentlich, ehrlich und im
Detail darüber spricht
Einfluss haben auf
, ≈ einen Effekt haben auf
zus„mmenwirken
, zusammen einen Effekt
haben
der Feuilleton“st, -en
franz.
, Journalist: Er schreibt
über Kulturthemen, z. B. in
einer Zeitung.
der H“ntergrund, ¿e
, hier: Ziel; auch:
Ausbildung
erf¶lgreich
, hier: so, dass man viel
Erfolg hat
¢mgekehrt
, ≈ genau das Gegenteil
schlagfertig
, so, dass man mit
Worten schnell und passend
reagiert
verændern
, anders machen
s“ch verlieben “n
, beginnen, … zu lieben
der Kn“ck, -e
, ≈ extreme Kurve
rausreißen
, m hier: mit einer
schnellen Handbewegung
aus dem Buch nehmen
„nsehen , hier:
an … erkennen, dass …
klug
, intelligent
s“ch h„lten „n
, sich orientieren an
das W¢nder, - , hier:
≈ besonders gute Sache;
positive Überraschung
unterh„ltsam
, L langweilig
ergreifend
, so, dass es einen
intensiven Effekt auf die
Gefühle hat
n“chts geben
, nichts bedeuten
Karla Paul (39)
ist Deutschlands
bekannteste
Buchbloggerin. Auf
ihren digitalen
„Buchkolumne“-Kanälen
und in ihrem Podcast
„Long Story Short“
gibt die Hamburgerin
Leseempfehlungen.
Foto: Simone Hawlisch; Illustration: GoodStudio/Shutterstock.com
Frau Paul, auf Ihren Kanälen findet man
keine negativen Buchkritiken. Warum?
Das ist eine Frage der Lebenszeit. Für eine
Buchbesprechung brauche ich inklusive
Lesen circa einen Tag. Das ist viel Zeit,
wenn ich das Buch nicht mag. Deshalb
lege ich es weg, wenn ich nach 30 oder
auch 100 Seiten merke, dass es mir nicht
gefällt. Ich will mich bei meiner Arbeit auf
Empfehlungen konzentrieren.
Sie nennen sich selbst eine Literaturlobby­istin.
Was genau bedeutet das?
In meinem Beruf mache ich viele verschiedene Dinge: bloggen, moderieren,
übersetzen und mehr. Bei allem geht es
darum, Literatur zu vermitteln. Deshalb
finde ich das Wort Lobbyistin passend.
Für meine Arbeit bekomme ich Geld von
Verlagen und Buchhandlungen. Es ist mir
wichtig, das transparent zu machen. Ich
nehme aber keine Bezahlung für die Besprechung eines Buchs, das ich nicht mag.
WievielEinflusshabenSieaufdenErfolgeinesBuchs?
Da wirkt vieles zusammen. Ich denke,
dass der Effekt einer einzelnen Besprechung nicht so groß ist. Aber wenn andere das Buch auf einem meiner Kanäle
entdecken und dann auch besprechen, ist
das schon etwas anderes. Eine Käuferin
oder ein Käufer braucht im Durchschnitt
fünfmal Kontakt mit einem Buch, bevor sie oder er es kauft. Einen besonders
großen Effekt hat es, wenn ein Buch im
Fernsehen vorgestellt wird, zum Beispiel
in einer Talkshow oder in der Sendung
„Das Literarische Quartett“.
Was ist der Unterschied in der Arbeit von
Buchbloggerinnen und Feuilletonisten?
Feuilletonistinnen haben einen anderen Hintergrund und einen anderen
Blick. Sie verstehen die Aufgabe einer
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