Deutschland € 9,90 CH sfr 15,90 A · B · E · EST · F · FIN · GR · I · L · LV · P (cont) · SK · SLO: € 11,20 GB £ 11,20 12 — 22 SPEZIAL BÜCHER Lesen. Hören. Lieben! Ein Heft über die fantastische Welt der deutschsprachigen Literatur Wir zeigen Ihnen, was typisch deutsch ist. Jetzt bestellen! Fangen Sie an, ein ganzes Land zu verstehen. Lernen Sie mit jedem Heft mehr über das Land, die Menschen und die Kultur einer fantastischen Sprache. Jetzt einfach bestellen unter: WWW.DEUTSCH-PERFEKT.COM/ABO Deutsch perfekt EDITORIAL Haben Sie eigentlich schon einmal festgestellt, wie viele Bücher von Männern sind – und wie wenige von Frauen? MITTEL U nsere Grafikerin war begeistert: „Hach, wie ich die Ringelnatz-Ameisen liebe!“ Sie meinte damit ein berühmtes Gedicht von Joachim Ringelnatz. Die acht lustigen Zeilen bringen wir auf Seite 27, auf einer von acht Lyrikseiten in diesem Sonderheft. Von dem in München bekannt gewordenen Sachsen besitzt Anna Sofie Werner ein dickes Buch mit viel Poesie, in dem sie früher immer wieder gelesen hat. Als sie durch die Arbeit an diesem Heft wieder über das Ameisen-Gedicht stolperte, war für die Grafikerin klar: „Das Buch muss ich mal wieder in die Hand nehmen.“ Ich stellte da gerade meinem siebenjährigen Sohn mein Lieblingsgedicht vor, das paradoxe „Dunkel war’s, der Mond schien helle“ (Seite 19) – auch er war begeistert. Ein Deutsch-perfekt-Spezial über Literatur, Lyrik und die große Welt der Bücher also. Haben Sie eigentlich schon einmal festgestellt, wie viele Bücher von Männern sind – und wie wenige von Frauen? Der Berliner Autor und Verleger Tillmann Severin machte dazu 2018 ein Experiment: Für sein Projekt „My white male bookshelf“ drehte er die Bücher von männlichen Autoren in seinem Regal mit den weißen Seiten nach vorne. Wenig überraschend: In dem ganzen Regal waren fast nur weiße Buchseiten zu sehen. Aber das ändert sich gerade. Volker Weidermann postuliert (ab Seite 12): „Der deut­ sche Ka­non ist weib­lich.“ Steile These? Nein, Weidermann kennt sich mit der Bücherwelt wirklich aus. Er leitet nicht nur das Feuilleton der Wochenzeitung DIE ZEIT. Der Literaturkritiker war auch fünf Jahre lang Gastgeber des „Literarischen Quartetts“, der wichtigsten Literatursendung im deutschen Fernsehen. Es könnte sein, dass Severins Regal in ein paar Jahren sehr viel bunter aussieht. Viel Freude mit diesem Heft wünscht Ihnen Ihr begeistert , enthusiastisch h„ch , m ≈ oh; wie toll die Ameise, -n , kleines, rotbraunes oder schwarzes Insekt, das sehr gut organisierten Gemeinschaften lebt (die Gemeinschaft, -en , hier: ≈ Gruppe von vielen Tieren, die zusammengehören) das Ged“cht, -e , Poesie br“ngen , hier: publizieren das S¶nderheft, -e , ≈ spezielles Heft st¶lpern über , hier: finden; plötzlich treffen D¢nkel war’s, … , m Es war dunkel, … h¡lle , hier: hell nach v¶rne drehen Titelillustration: everything bagel/Shutterstock.com; Illustration: Master1305/Shutterstock.com; Foto: Blende11Fotografen , hier: ≈ so bewegen, dass er die innere Seite ansehen kann Jörg Walser Chefredakteur überr„schend , so, dass es eine Überraschung ist steil , hier: m ≈ unsicher; so, dass man nicht weiß, ob … wahr ist der G„stgeber, , hier: Person, in einer Fernsehsendung, die Gäste einlädt oder gerade Gäste hat der Chefredakteur, -e franz. , hier: Leiter von allen Journalisten bei einer Zeitschrift 3 4 DIE THEMEN Themen Acht Lyrik-Inseln Acht Fragen zum Start ücherwissen in allen B L+ 11Johann Wolfgang von Goethe Ein gleiches S+ 20Mehr als nur Bücher arum werden Medien W L+ 19 Anonym Dunkel war’s, der Mond S+ 28Expertin in 15 Minuten? ie gut funktioniert das W 27 Mascha Kaléko ein schönstes Gedicht M L S 35Rainer Maria Rilke er Panther D M 43 Joachim Ringelnatz ie Ameisen D M 51 A nnette von Droste-Hülshoff An Cornelia L 57 Maria Janitschek ädchenfrage M M 65 Kurt Schwitters igarren [elementar] C L 6 möglichen Facetten schien helle in Bibliotheken immer weniger wichtig? Schnelllesen mit Blinkist? 3620 bekannte Sätze in Literaturquiz E S 40 Bücher? #liebenwir ie Tiktok gerade die W S 58Die Innovatoren M Buchhandlungen ändert Was Johannes Gutenberg und Mark Zuckerberg gemeinsam haben 62Bibi, Tina – und Noah acht ein neuer Trend in M L Vom Schreiben leben Kinderbüchern narzisstisch? 66Sieben Fragen zum Schluss Literaturbloggerin Karla Paul 52 Abbas Khider M+ Der Schriftsteller über erste Schreibversuche, seine Probleme mit der deutschen Sprache und billige Lyrik-Bücher. 30 M S Schriftstellerinnen und Schriftsteller gibt es viele, aber nur wenige können vom Bücherschreiben leben. Wie ist die Realität in diesem Beruf? Deutsch perfekt DIE THEMEN 12 Lernen mit Deutsch-perfekt-Produkten Die Bücher der Frauen Deutsch-perfekt-App Deutsch M Die wichtigsten Stimmen in der deutschsprachigen Literatur sind nicht mehr männlich, sondern weiblich. Wird der bis jetzt so sehr von Männern dominierte deutsche Kanon also plötzlich weiblich? Illustrationen: N. Barsova, Dmitriip/Shutterstock.com; Fotos: D. Butzmann, A. Pein/laif; Ina Niehoff M Es gibt immer weniger Antiquariate in deutschen Städten. Die meisten Menschen haben keine Ahnung davon, welche Oasen den Metropolen bald fehlen. Unser Autor hat sie noch einmal besucht. Die Zeitschrift, das Übungsheft und den Audio-Trainer zusammen in einer App: Das macht die praktische App von Deutsch perfekt möglich. Überall, wo Sie sind – und mit interaktiven Übungen. www.deutsch-perfekt.com/kiosk Deutsch perfekt Audio Der Trainer für Hörverstehen und Aussprache, auf CD oder als Download. Achten Sie im Heft auf diese Symbole: AUDIO und kurz . Zu diesen Artikeln können Sie Texte und Übungen auf Deutsch perfekt Audio hören. Deutsch perfekt Plus 24 Seiten Übungen und Tests zu Grammatik, Vokabeln und mehr. Achten Sie im Heft auf diese Symbole: PLUS und kurz +. Zu diesen Artikeln finden Sie nämlich Übungen in Deutsch perfekt Plus. 44 Vergessene Seiten 5 Deutsch perfekt im Unterricht Didaktische Tipps und Ideen für den Einsatz von Deutsch perfekt im Unterricht, kostenlos für Abonnenten in Lehrberufen. Noch mehr Informationen und Übungen: www.deutsch-perfekt.com www.facebook.com/deutschperfekt L LEICHT M MITTEL S SCHWER GER: Gemeinsamer Texte auf Stufe Texte auf Stufe Texte auf den Stufen europäischer A2 des GER B1 des GER B2 - C2 des GER Referenzrahmen m lockere Umgangssprache L Gegenteil von ... d negativ o langer, betonter Vokal a Vorsicht, vulgär! ¢ kurzer, betonter Vokal ≈ ungefähr, etwa , ¿er Pluralformen 6 BLINDTEXT Deutsch perfekt LEICHT PLUS Welches Buch ist Deutschlands Megabestseller? AUDIO Es ist bis heute ein absoluter Rekord. 111 Wochen lang war dieses Buch das populärste auf der deutschen Bestsellerliste: Die unendliche Geschichte von Michael Ende. Der 1979 publizierte fantastische Bildungsroman ist ein Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. In der Geschichte verliert sich der Junge Bastian in einem Buch – und so in der Parallelwelt Phantásien. Es gibt Übersetzungen in mehr als 40 Sprachen und mehrere Filme auf Basis des Romans. Über den ersten Kinofilm mit dem gleichen Namen war der Autor aber nicht glücklich. Er hat zu viele Unterschiede zu seinem Buch gesehen. Ende hat auch andere internationale Hits wie Momo und Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer geschrieben. 1 die Bestsellerliste, -n , Ranking: Von welchem Buch hat man in der letzten Woche am meisten Exem­ plare verkauft? die un¡ndliche Gesch“chte, die un¡ndlichen Gesch“chten , Erzählung ohne Ende der B“ldungsroman, -e , lange, fiktive Erzählung: Junge Menschen lernen darin etwas über sich und das Leben. die Jugendliteratur , Literatur für Jugendliche s“ch verlieren “n , hier: so intensiv lesen, dass man fragt: „Wo bin ich?“ die Parallelwelt, -en , hier: Fantasiewelt der Lokomotivführer, , Fahrer von einem Zug Deutsch perfekt ACHT FRAGEN ZUM START 7 2 Wer benutzt noch Telefonbücher? AUDIO Einmal im Jahr liegt in den Fluren von vielen Mietshäusern und in großen Läden ein Stapel mit dicken Büchern: Die neuen Telefonbücher sind da! Man muss definitiv keine Angst haben, dass es nicht genug sind. Die gedruckten Wälzer sind für viele heute ein kurioses Phänomen. Aber 2021 haben die Deutschen sie circa eine Milliarde Mal benutzt – sagt eine Studie. Besonders gern tun das Menschen ab 50 Jahren. Fotos: ddp; INTERFOTO/Mary Evans/Hubertus Kanus; Illustration: cosmaa/Shutterstock.com der Stapel, - , Menge von Sachen: Eine liegt auf der anderen. der Wælzer, - , m dickes Buch die Studie, -n , systematische Untersuchung Warum waren diese 226 Seiten so teuer? ersteigern , bei einer Auktion kaufen (die Auktion, -en , Verkaufsevent: Man bietet etwas offiziell an. Wer am meisten Geld dafür zahlen will, bekommt es.) der Löwe, -n , große, gelbbraune Katze: Sie lebt in Afrika. hier: zweiter Name für einen Monarchen wegen seines Charakters 3 Es ist wahrscheinlich das teuerste Buch Deutschlands: 1983 ersteigert Hermann Josef Abs bei Sotheby’s in London das Evangeliar Heinrichs des Löwen – für 32,5 Millionen Mark (heute sind das circa 33 Millionen Euro). Der Bankmanager kauft es nicht für sich, sondern für diese vier: die Bundesrepublik Deutschland, Bayern, Niedersachsen und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Das mehr als 800 Jahre alte illuminierte Buch mit dem Text der vier Evangelien ist nämlich ein Meisterwerk der deutschen Romanik. Herzog Heinrich der Löwe hat es circa 1188 in Helmarshausen (heute Hessen) bestellt. Fünf Jahre hat die Arbeit an diesem Buch gedauert – mit feinstem Material, aber archaischer Technik. Trotzdem (oder vielleicht auch genau deshalb) sind die Farben auf den 226 Seiten noch immer extrem frisch. Heute liegt der legendäre Codex als nationales Kulturgut in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel (Niedersachsen). In den letzten Monaten war das Buch dort zum ersten Mal seit 2015 wieder in einer Ausstellung zu sehen. die B¢ndesrepublik Deutschland , zu dieser Zeit: West­ deutschland die St“ftung Preußischer Kulturbesitz , Organisation: Sie kümmert sich z. B. um die Museumsobjekte aus der Zeit von preußischen Monarchen. das Evangelium, Evangelien , Text aus der Bibel von einem der vier Evangelisten das Meisterwerk, -e , ≈ besonders gutes ästhetisches Produkt der H¡rzog, ¿e/-e , Aristokrat: Er regiert eine Region. fr“sch , hier: ≈ wie neu das nationale Kulturgut, die nationalen Kulturgüter , hier: Objekt mit Zertifikat: Eine nationale Institution findet es für die Kultur besonders wichtig. BLINDTEXT Deutsch perfekt LEICHT PLUS Warum ist der 10. Mai in Deutschland kein guter Tag für Bücher? 5 Es ist ein trauriges historisches Datum: Am 10. Mai 1933 brennen in deutschen Städten Tausende Bücher. Bei der Aktion der national­ sozialistisch dominierten Deutschen Studentenschaft kommen Bücher von bei den Nazis unpopulären Autorinnen und Autoren ins Feuer. 1933 brennen im Land auch vor und nach diesem Tag Bücher. 4 br¡nnen , in einem Feuer kaputtgehen “ns Feuer k¶mmen , hier: ≈ ein Feuer damit machen die Stud¡ntenschaft, -en , Organisation von Studenten Schreiben die Turmschreiber in einem Turm? Die Assoziation ist ein bisschen romantisch: Sitzen in München Autorinnen und Autoren bei ihrer Arbeit konzentriert und kreativ in einem Turm? Konzentriert und kreativ sind sie sicher. Aber der Turm im Namen der Turmschreiberinnen hat nur bei ihrer Gründung eine Rolle gespielt: Acht Autoren haben die Gruppe 1959 im linken Turm des historischen Münchener Isartors gestartet. Mitglieder sind schreibende und oft bekannte Menschen aus Süddeutschland. Aktuell sind es rund 40 Personen. Zum Beispiel der Krimiautor Friedrich Ani und der Sänger und Autor Konstantin Wecker. Es finden immer wieder Literaturevents der Gruppe statt. Mitglied wird man nur mit Einladung – eine Ehre für Schreibende. die Gr•ndung, -en , von: gründen = starten eine R¶lle spielen , wichtig sein das Isartor , ≈ bekannter breiter Ein­ gang vor dem Münchener Stadtzentrum das M“tglied, -er , Person: Sie ist bei einer (organisierten) Gruppe. der Kr“miautor, -en , Autor: Er schreibt Krimis. (der Kr“mi, -s , lange, fiktive Erzählung: Sie hat kriminelles Tun zum Inhalt.) die Ehre , hier: Titel oder Symbol für eine gute Reputation Fotos: Everett Collection/Shutterstock.com;; Alex Blajan/unsplash 8 Deutsch perfekt ACHT FRAGEN ZUM START Warum leben Menschen länger, wenn sie Bücher lesen? AUDIO Sport machen, gesund essen, wenig Alkohol trinken: Manche Menschen tun viel, um länger zu leben. Für die meisten Dinge braucht man Disziplin. Aber es gibt auch eine schöne und einfache Methode: lesen. Das ist das Resultat einer großen Untersuchung von Forscherinnen und Forschern der US-Universität Yale. Das Team hat rund 3600 über 50 Jahre alte Personen in drei Gruppen eingeteilt: Die erste Gruppe hat keine Bücher gelesen. Die zweite Gruppe hat pro Woche bis zu dreieinhalb Stunden gelesen. Die dritte Gruppe hat pro Woche mehr als dreieinhalb Stunden gelesen. Die Untersuchung hat zwölf Jahre gedauert. Das Resultat: Die Lebenserwartung der Personen in Gruppe drei ist 23 Prozent höher als bei den Menschen ohne Bücher in Gruppe eins. Die Viellesenden leben fast zwei Jahre länger. Auch bei den Personen in Gruppe zwei war die Lebenserwartung noch 17 Prozent höher. Das bedeutet: Schon ein paar Seiten am Tag haben einen positiven Effekt. Warum ist das so? Immer wieder zu lesen, stimuliert die Gehirnzellen, sagen die Forscherinnen. Es trainiert die kognitiven Fähigkeiten. Außerdem verbessert es das Vokabular, die Konzentrationsfähigkeit und die emotionale Intelligenz. Diese Faktoren steigern die Lebenserwartung. Den Effekt gibt es aber nur bei Büchern. Denn bei diesen kann sich der Leser viel intensiver auf den Inhalt einlassen als zum Beispiel bei einem Zeitungstext. 6 die F¶rscherin, -nen , Frau: Sie arbeitet für mehr Wissen. (¡twas) einteilen “n , als Kategorien für etwas benutzen die Lebenserwartung, -en , Prognose: So lange lebt ein Mensch (wahrschein­ lich). der/die Viellesende, -n , Person: Sie liest viel. die Geh“rnzelle, -n , kleinstes Teil vom Gehirn (das Geh“rn, -e , Organ im Kopf: Damit denkt und fühlt man.) die Fähigkeit, -en , ≈ Können verb¡ssern , besser machen das Vokabular , hier: alle Wörter von einer Sprache steigern , hier: verbessern s“ch einlassen auf , hier: verstehen und fühlen 9 7 10 ACHT FRAGEN ZUM START Deutsch perfekt LEICHT PLUS Gibt es Bücher bald nicht mehr auf Papier? Wir leben in einer Zeit der Digitalisierung. Und seit der Pandemie in einer Zeit der Papierkrise: Papier ist teuer geworden. Und es gibt nicht genug davon. Speziell für Verlage ist das ein Problem. Eine Konsequenz ist, dass es schlecht aussieht für das gedruckte Buch. Seit Jahren gibt es Prognosen von seinem Ende – und vom Triumph des E-Books. Aber: Deutschen Leserinnen und Lesern ist das egal. Sie kaufen und lieben das Printbuch immer noch. In Untersuchungen sagen sie, dass sie es schön finden und gern in der Hand halten. Das zeigen auch die Zahlen: Auf dem deutschen Buchmarkt hatten E-Books im letzten Jahr einen Umsatzanteil von 5,7 Prozent. Das sind 0,1 Prozent weniger als 2020 – und sehr viel weniger als in anderen Ländern. In China liest jeder Vierte E-Books, in Deutschland nur jeder Zehnte. Vielleicht muss es den Triumph des E-Books aber auch gar nicht geben. Denn rund 40 Prozent kombinieren verschiedene Formate: Sie lesen gedruckt und digital und hören Hörbücher. die Digitalisierung , Tendenz: Immer mehr funktioniert digital, nicht analog. der Verlag, -e , Firma: Sie macht z. B. Bücher. ¡s sieht … aus für , die nächste Zeit wird … für der }msatzanteil, -e , ≈ Teil von allen Verkäufen gar n“cht , absolut nicht das Hörbuch, ¿er , gesprochener Buchtext: Man kann ihn z. B. als MP3 oder im Internet hören. Die Buchmessen in Leipzig und Frankfurt am Main sind in der Literaturbranche die Megaevents des Jahres. Die Messe in Frankfurt hat eine mehr als 500 Jahre alte Tradition. Leipzig aber war speziell zwischen 1700 und 1945 das Zentrum des Buchhandels. Heute ist die Messe dort kleiner als in Frankfurt, aber beim Publikum besonders populär. 8 die Buchmesse, -n , Ausstellung: Dort zeigen Firmen und Insti­ tutionen neue Bücher. die Literatur­ branche, -n , ≈ Literatursektor der Buchhandel , Verkauf von Büchern und Zeitschriften Fotos: picture alliance/dpa/Sebastian Gollnow; Ground Picture/Shutterstock.com Hat Frankfurt oder Leipzig die größere Buchtradition? Johann Wolfgang von Goethe Ein gleiches SCHWER PLUS AUDIO Illustration: Miny/Shutterstock.com Über allen Gipfeln Ist Ruh’, In allen Wipfeln Spürest Du Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur! Balde Ruhest Du auch. Über den Autor und seine Lyrik Kaum ein deutschsprachiges Gedicht ist bekannter als dieses. Am Anfang war es ein Graffito. Der damals 31-jährige Goethe schrieb es am Abend des 6. September 1780 mit Bleistift an die Holzwand eines Jägerhäuschens. Das Gedicht wurde in mehr als 60 Sprachen übersetzt und „weitergedichtet“. Am bekanntesten ist die Version des für seine experimentelle Lyrik bekannt gewordenen Ernst Jandl, ÜBE! Rrrrrrrrrrrrr. der G“pfel, - , höchste Stelle eines Berges der W“pfel, , oberster Teil von einem Baum der Hauch, -e , sehr leichter Luftstoß das Vögelein, , kleiner Vogel ruhen , hier: still liegen; tot sein das Ged“cht, -e , Poesie das Jägerhäuschen, - , kleines Haus für jeman- den, der im Wald Tiere fängt und tötet weiterdichten , ein Gedicht weiterschreiben, z. B. um es länger zu machen oder zu Ende zu schreiben M it h u S a n yal s c J udit h re ibt ü b er Id en titä t. h s ut de nw urd e 19 98 m it ihr em D eb üt z ue ine m an m er H ch en L it e ra r. -Sta tu r Deutsch perfekt EIN NEUER LITERATURKANON Die Bücher der Frauen Sie erzählen, debattieren, streiten: Die wichtigsten Stimmen in der deutschsprachigen Literatur sind nicht mehr männlich, sondern weiblich. Wird der bis jetzt so sehr von Männern dominierte deutsche Kanon also plötzlich weiblich? Von Volker Weidermann MITTEL E Fotos: Melina Mörsdorf, Antje Berghaeuser/laif; Guido Schiefer Te s passierte im Herbst 1997 auf einem Literaturwettbewerb in Berlin-Pankow. „Open mike“, also: „offenes Mikrofon“: Hier kann jeder Mensch lesen, der etwas zu lesen hat. Wir saßen in tiefen Sesseln, Lesungs-Trance: Vielleicht geschieht ja irgendwas, vielleicht auch nicht. Und dann geschah: Terézia Mora. „Großvater ist tot“, das war ihr erster Satz, den sie hier las. Die Intensität in ihrer Stimme war wie ein Stromstoß. Die Frau da oben auf dem Podium las die Geschichte aus einem Dorf irgendwo im Osten. Von einem kleinen Mädchen, das sich fühlt „wie eine Anziehpuppe aus Papier“. So leicht ist sie, ohne Hilfe einer fremden, feindlichen Welt. Es war der erste Text, den Mora öffentlich las. 1990 ist sie aus Ungarn nach Berlin gekommen. Sie war als Teil der deutschsprachigen Minderheit aufgewachsen. Aber ihr Deutsch war 1997 fremd und anders. Jetzt las sie ihre eigene Geschichte als Literatur: „Ich bin ré Guerillakämpferin. Sechzehn Jahre. z der Literaturwettbewerb, -e , ≈ Suche nach dem besten Schriftsteller lesen , hier: laut vor anderen lesen die Lesung, -en , hier: Veranstaltung, bei der ein Autor eigene Texte liest geschehen ia M ora war Achtundvierzig Kilo. Blass wie der Mond.“ Ein Mädchen aus Papier kämpft sich aus einer falschen Welt heraus – nur mit Worten. Für die, die damals zuhörten, war es ein magischer Moment. Etwas ganz Neues begann. Seit diesem Terézia-Mora-Moment vor 25 Jahren und der damals noch männlich dominierten Welt der deutschen Literatur hat sich alles geändert. Der aktuelle Kanon ist ein weiblicher. Ein Kanon entsteht immer erst mit zeitlicher Distanz. Er umfasst die wichtigen literarischen Werke. Und er ist wie ein Spiegel der Gesellschaft, in der sie entstanden sind. Heute sind die lauten, meistgehörten Stimmen des politisch-literarischen Diskurses die von Frauen. Es schien ja eigentlich immer gleich zu funktionieren: Günter Grass, Martin Walser und Hans Magnus Enzensberger beginnen mit einer Debatte, Peter Handke und Botho Strauß argumentieren dagegen, Rainald Goetz und Maxim Biller sagen auch noch etwas. Alles Männer. der Beginn von etwas komplett Neue m feindlich , passieren , hier: ≈ böse der Stromstoß, ¿e , Strom, der kurz durch den Körper geht , hier: kleine Gruppe in die [nziehpuppe, -n , hier: Puppe aus dickem Papier, für die es verschiedene Kleider aus Papier zum An- und Ausziehen gibt Jelinek und Müller gegen die Welt die M“nderheit, -en einem Staat, die sich von anderen z. B. durch Kultur und Religion unterscheidet bl„ss , ohne Farbe; hier: mit sehr heller Haut; hier auch: unauffällig . umf„ssen meistgehört , hier: ≈ zum Inhalt haben , mehr gehört als andere das W¡rk, -e der Disk¢rs, -e , hier: Diskussion; Debatte , hier: Produkt eines Schriftstellers, z. B. Buch entstehen , hier: gemacht werden; geschrieben werden scheinen zu , hier: so wirken, dass man meint, es … argumentieren gegen , hier: mit Gegenargumenten reagieren auf 13 14 EIN NEUER LITERATURKANON Deutsch perfekt er zä hlt von ihre r Familie. Aber Grass ist tot, Handke spricht mit sich selbst. Walser, Enzensberger, Strauß und Goetz schweigen. Und Maxim Biller will kein Schriftsteller mehr sein. Die Männer haben Platz gemacht. Aber das ist nicht einfach so passiert. Da waren zum Beispiel Elfriede Jelinek und Herta Müller – Vorbilder für viele, die nach ihnen kamen. Beide Schriftstellerinnen haben inzwischen den Literatur­nobelpreis bekommen. Jelinek aus Wien war am Anfang ihres Schreibens eine Kommunistin im Chanel-Kostüm. Immer wieder attackierte sie in Romanen und Theaterstücken das Patriarchat und die männliche Gewalt. Zum Beispiel in ihrem Roman Lust von 1989: ohne Kompromisse und mit superschwarzem Humor. Von Anfang an war es Jelinek gegen die ganze Welt. 1995 erschien ihr wichtigster Roman: Die Kinder der Toten über die Spuren der mörderischen Vergangenheit im Heute. Da hingen in ihrer Heimatstadt gigantische Plakate mit der rhetorischen Frage an die Wienerinnen und Wiener, ob sie Jelinek lieben oder Kunst und a j Kultur. Eine Stadt gegen eine Frau. Ganz anders ka ws o r war es auf den Bühnen, wo man ihre Stücke feierte. t Katja Pe Noch heute ist Jelinek eine der meistgespielten deutschsprachigen Dramatikerinnen. Aber öffentlich zeigt sie sich nicht mehr. „Aus Angst“, sagt sie. Angst hat sie auch vor diesem Winter, wenn ihr autobiografischer Roman publiziert wird. Das schreibt sie in einer Mail. Aber sie kämpft weiter. „Sonne, los jetzt!“ heißt ihr Stück zur Klimakrise, das bald Premiere hat. das Vorbild, -er , hier: ideales Beispiel, an dem man sich orientiert der Literaturnob¡lpreis, -e , Geld für den besten Autor oder die beste Autorin das Kostüm, ¿e , hier: Rock und passende Jacke in formellem Stil die Gew„lt , hier: ≈ Dominanz und Kontrolle durch Aggression superschwarz Auch bei Herta Müller spielte Angst am Anfang eine Rolle. In der rumänischen Diktatur wuchs sie als Teil der deutschsprachigen Minderheit auf. Sie wurde immer wieder verhört. Die Angst konnte sie nur mit dem Schreiben kontrollieren, hat sie gesagt. 1984 erschien ihr erster Roman Niederungen unzensiert im Westen. Kurz danach kam sie selbst. In ihren Romanen schreibt sie gegen eine Ideologie und gegen die Diktatur – vor allem in Herztier und Der Fuchs war damals schon der Jäger. Nach dem Ende der Diktatur von Nicolae Ceauşescu fuhr Müller 1990 wieder nach Rumänien. Zufällig traf sie einen Mann aus dem Geheimdienst, der sie früher mit großer Lust gequält hatte. Sie ging ihm nach, wollte schreien, sprach aber ganz leise: „Sehen Sie, jetzt müssen Sie Angst vor mir haben.“ Plötzlich war sie die Gewinnerin der Geschichte. Ein stiller Triumph des Schreibens gegen die Welt. Jelinek und Müller – mit diesen beiden starken Autorinnen sind neue Traditionen entstanden. Von 1947 bis 1967 gab es in Westdeutschland die legendäre Gruppe 47. Der deutsche Schriftsteller Hans Werner Richter hat sie gegründet. Die Autoren-Organisation war für die Literatur und für gesellschaftspolitische Diskussionen extrem wichtig. Würde es heute noch eine Gruppe 47 geben, wären ihre Chefinnen Juli Zeh, Eva Menasse, Sibylle Berg und Carolin Emcke. Zeh ist eigentlich schon lange ihre eigene Gruppe 47. Zu jedem gesellschaftlich relevanten Thema kann sie etwas sagen – wichtig, früh, informiert und informativ. Sie schreibt Kolportage-, Kriminal-, Gesellschafts- und Politromane. meistgespielt , m sehr schwarz; böse , mehr gespielt als andere war ¡s , hier: ≈ war die Situation: … die Dramatikerin, -nen , Frau, die Dramen schreibt erscheinen , publiziert werden Los j¡tzt! , m ≈ Beeil dich! Mach schnell! die Spur, -en , hier: Dinge, an denen man merkt, dass es … gab mœrderisch , hier: ≈ so, dass Menschen nach einem genauen, bösen Plan totgemacht wurden verhören , als Polizist einer Person, von der man glaubt, dass sie etwas Kriminelles gemacht hat, Fragen stellen die Niederung, -en , Region, die tiefer liegt als andere, z. B. an einem Fluss oder am Meer der F¢chs, ¿e , orangerotes Tier mit langem, dickem Schwanz (der Schw„nz, ¿e , langes, meistens dünnes Stück am Ende vom Rücken mancher Tiere) der Jäger, - , hier: Tier, das andere Tiere fängt und totmacht, um sie zu essen der Geheimdienst, -e , staatliche Organisation, die geheime Informationen holt und geheime Dinge des eigenen Landes schützen soll quälen , schlagen; wehtun; böse sein zu gr•nden , starten der Kolportageroman, -e , ≈ sehr einfacher, literarisch unwichtiger Roman Fotos: picture alliance /REUTERS/Leonhard Foeger, dpa/dpa-Zentralbild, Arno Burgi In Angst wuchs Herta Müller im Rumänien des Diktators Ceauşescu auf. Am Ende erreichte sie mit ihren Romanen einen stillen Triumph des Schreibens gegen die Welt. El f r i e de Jel ine at da e hr a t r i a r c h at. a sP Hert Mü ll rs c e ib tg eg en d ie k er ie d er w im m ihr en Rom ane n ier t in ck ta atur. Dikt EIN NEUER LITERATURKANON Deutsch perfekt Juli Zeh hat zu jedem gesellschaftlich relevanten Thema etwas zu sagen – wichtig, früh, informiert und informativ. Da kann man sich auch mal selbst interviewen. Juli Ze Zeh ist außerdem Richterin am zu schreiben. Als Romanautorin Verfassungsgericht in Brandenburg. erzählte sie 2005 in ihrem Debüt Sie hat über eine „GesundheitsdikVienna ihre jüdische Familien- und tatur“ einen Roman geschrieben: Überlebensgeschichte. In ihrem Corpus Delicti. Das war 2009, lange aktuellen Gesellschaftsroman Dunkelblum geht es um ein Kriegsvor Corona. Corpus Delicti wurde verbrechen im Jahr 1945 im österin den Schulen gelesen. Das Buch hatte gigantischen Erfolg. Es war das reichischen Rechnitz – und das kolThema sehr vieler Kontroversen. Zehs lektive Schweigen einer Kleinstadt. wi ek Reaktion, elf Jahre später: Sie interviewte Die deutsche Literatur braucht neue au me i ne sich in einem Buch darüber einfach selbst – Traditionen. Denn sie hat keine Madame de a nde r e. Fragen zu „Corpus Delicti“. Staël, keine George Sand, keine Brontë-SchwesZeh ist immer wieder Gast in der wichtigen Fernseh- tern, keine Jane Austen und keine Virginia Woolf. Sie sendung „Das Literarische Quartett“. Dort hat sie ge- hat aber eine Annette von Droste-Hülshoff. Und dann sagt: Schade, dass das Duell heute verboten ist. Denn sie in der Zeit eines kurzen Booms in den 1920er-Jahren die kennt ein paar Literaturkritiker, die sie gern herausfor- geniale Irmgard Keun, Mascha Kaléko, die Reporterin dern will. Wenn diese sie in ihrem Brandenburger Dorf Maria Leitner, Else Lasker-Schüler, Gabriele Tergit. besuchen, kommt sie mit ihrem Land Rover Defender. Das waren plötzlich moderne Gesellschaftsromane, Die Autorin ist nicht nur so aktiv wie wenige. Sie hat Bücher des kämpferischen Träumens, selbstsicher und mit Unterleuten 2016 einen der besten deutschen Gesell- lustig. Aber die Bücher wurden verbrannt, die Autorinschaftsromane der letzten Jahre geschrieben. nen vertrieben und lange, lange Zeit vergessen. Ein großer Gesellschaftsroman ist auch der Deutsch-Schweizerin Sibylle Berg mit GRM gelungen, Christa Wolf und die Nähe zum Regime viel aggressiver, lustiger, auch analytischer als Unter- Klar, in der Deutschen Demokratischen Republik leuten. Ihre Motivation dabei ist revolutionärer Furor. (DDR) gab es die Ikone Anna Seghers. Sie hat den wirkBerg zeigt sich an vielen Stellen: in Spiegel-Kolumnen, lich weltverändernden Roman Das siebte Kreuz geschrieTheaterstücken und auf Twitter. Ihre rund 145 000 Fol- ben und den modernen Flüchtlingsroman Transit. Und lowerinnen dort sind wie ihre eigene kleine Fan-Armee. es gab die berühmte Christa Wolf mit Werken wie Der Mails unterschreibt sie meistens einfach mit „Chef“. geteilte Himmel und Kassandra. Sie war extrem wichtig für Auch eine, die bei jeder Debatte mitmacht, ist die Ös- das Leben und Schreiben vor allem der Frauen in der terreicherin Eva Menasse. Sie begann als Journalistin DDR. Aber Wolf balancierte zwischen Widerspruch h is ta kt iv die R“chterin, -nen , Frau, die in einer offiziellen Institution sagt, ob jemand etwas Kriminelles gemacht hat das Verf„ssungsgericht, -e , hier: spezielle Institution in einem Bundesland, die bei einem Streit über dessen Verfassung entscheidet (die Verf„ssung, -en , schriftliche Form für die wichtigsten Regeln in einem Staat oder Bundesland) (das B¢ndesland, ¿er , Teil von einer föderalisti- schen Republik) die Ges¢ndheitsdiktatur , ≈ System von staatlichen Regeln, das sich nicht mehr an den Prinzipien der Demokratie orientiert, weil nur die Gesundheit der Bürger oberste Priorität hat herausfordern , hier: ≈ provozieren }nterleuten , Name eines fiktiven Dorfs der Spiegel , hier: Name einer Zeitschrift mit Nachrichten jüdisch , von: der Jude = Person, deren Religion die Thora als Basis hat die Überlebensgeschichte, -n , Geschichte, wie jemand in einer gefährlichen Situation am Leben blieb das Kriegsverbrechen, - w¡ltverändernd , kriminelles Tun in einem , so, dass es die Welt anders schweigen , hier: über schlimme Dinge nicht sprechen der Fl•chtlingsroman, -e , Roman über einen Menschen, der wegen Krieg oder Not aus seiner Heimat weggeht Krieg verbr¡nnen , hier: durch Feuer kaputtmachen vertreiben , hier: aus politischen Motiven Menschen aus ihrer Heimat wegschicken oder machen, dass sie weggehen macht geteilt , hier: so, dass man ihn gemeinsam hat, auch wenn man sonst in getrennten Welten lebt der Widerspruch , hier: ≈ Protest; Kritik Fotos: Peter von Felbert; picture alliance / SZ Photo/Friedrich Bungert; Dominik Butzmann/laif 16 E va Me na s se m acht b e i j e d e r Deb att e m i t. S ll y ib er B e g ha Twitter f u a t eine Fan-Ar m e e. Deutsch perfekt e gar n“cht ¡rst , ≈ nicht, weil es keinen Sinn macht n¶nbinär , so, dass man sich weder als männlich noch als weiblich fühlt der Traum, ¿e , von: träumen s“ch verteidigen gegen , hier: ≈ sich schützen vor; entschuldigende Worte sagen wegen a geschmeidig , hier: so, dass man sich harmonisch und elegant bewegt, z. B. wie Tänzer die Klaviatur, -en , alle Tasten am Piano; hier: ≈ alle Varianten; alle Möglichkeiten; alle Formen die P„nzerfaust, ¿e , Kriegs­­gerät, mit dem man gegen Panzer kämpft (der P„nzer, , schweres Transportmittel für den Kampf im Krieg) s“ch verændern , sich ändern der Zweite W¡ltkrieg , Krieg zwischen vielen Nationen (1939 - 1945) s“ch beschæftigen m“t , hier: zum Thema haben die Kulturwissenschaft­ lerin, -nen , ≈ Frau, die verschiedene Aspekte der Kultur (z. B. Kunst, Literatur, Theologie, Soziologie) systematisch untersucht le das S„chbuch, ¿er , Buch, in dem Informationen oder Ratschläge stehen verœffentlichen , publizieren; hier auch: schreiben die Genderfrage, -n , ≈ Thema der Geschlechteridentitäten und Debatte über gesellschaftliche Gleichheit der Geschlechter der Erzählungsband, ¿e , Buch mit Erzählungen ne He g em ann polarisiert. die Generation, -en , hier: alle Menschen, die ungefähr gleich alt sind das Fräuleinwunder, - hist. , attraktive und selbstsichere junge Frau (Wort aus der Nachkriegszeit); hier: neue Generation von jungen deutschen Autorinnen entstehen , hier: gemacht werden; geschrieben werden Fotos: picture alliance/dpa/Frank Rumpenhorst, Thilo Rückeis rie rt Jacki m Tho pi s e in He und Nähe zu dem Regime – und war deshalb nur für wenige Autorinnen ein Vorbild. Eines wollen wir hier gar nicht erst versuchen: ein irgendwie Gemeinsames der Literatur von Frauen zu suchen. Dafür kommen wir auch viel zu spät. Sibylle Berg nennt ihr Geschlecht inzwischen nonbinär. Eines der stärksten und speziellsten Debüts der letzten Jahre, Ministerium der Träume, hat Hengameh Yaghoobifarah geschrieben. Auch sie ist nonbinär. Und dann ist da noch Helene Hegemann. Für ihren genialen Roman Axolotl Roadkill gab es 2010 in der literarischen Welt viel Euphorie – aber zum Teil auch destruktive, böse Kritiken von Männern. Wenn man sie danach fragt, merkt man, dass sie die entweder gern einfach ignoriert oder sich selbst dagegen verteidigt. In Axolotl Roadkill schreibt Hegemann: „Diese junge Frau spielt geschmeidig auf der Klaviatur der Elemente wie eine Gazelle mit Panzerfaust.“ So viel hat sich verändert in den letzten 25 Jahren, seit Terézia Moras Lesung über die „Guerillakämpferin, blass wie der Mond“, und dem in Rumänien sehr leise gesagten Satz: „Sehen Sie, jetzt müssen Sie Angst vor mir haben.“ All diese Triumphe! Da ist zum Beispiel die ukrainisch-deutsche Schriftstellerin Katja Petrowskaja mit Vielleicht Esther, eine Familiensaga im Kontext des Zweiten Weltkriegs. Und da ist Das achte Leben (Für Brilka), der grandiose Roman der georgisch-deutschen Autorin Nino Haratischwili. Außerdem ist da Jackie Thomae mit ihren Gesellschaftsromanen. In Brüder erzählt Thomae von in der DDR aufgewachsenen Geschwistern. Die beiden sehr unterschiedlichen Männer verbinden nur die dunkle Hautfarbe und der Vater aus dem Senegal. Thomae, selbst in der DDR aufgewachsen, beschäftigt sich nicht nur mit der Rolle der Hautfarbe im Leben der Brüder. Sie fragt auch: Wie werden wir zu den Menschen, die wir sind? Um Identität geht es auch in dem Bestseller ­Identitti der Düsseldorfer Kulturwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin Mithu Sanyal. Der Roman erzählt von einem Skandal um eine Düsseldorfer Professorin für postkoloniale Theorie, die viel Erfolg hat. Sie hat sich als Person of Color beschrieben – ist aber weiß. Sanyal hat vorher Sachbücher veröffentlicht. In ihren Texten, im Radio und im Fernsehen beschäftigt sie sich auch mit Genderfragen, Politik, Kapitalismus, Sexualität – und bringt die Diskurse von heute mitten ins Leben. Nicht fehlen darf hier schließlich auch Judith Hermann. Sie wurde 1998 mit ihrem Debüt Sommerhaus, später bekannt – ein gigantischer Erfolg. In dem Erzählungsband beschreibt sie das Lebensgefühl ihrer Generation: Künstlerinnen, Studenten und Arbeitslose im Berlin der späten 90er-Jahre. Hermann wurde über Nacht zum Shootingstar der deutschen Literatur. Viele grandiose Autorinnen kamen nach ihr. Ein Phänomen, das ein Kritiker damals das „literarische Fräuleinwunder“ nannte. Über diesen Begriff kann man streiten. Das tat und tut man auch. Aber viel relevanter sind die Frauen und ihre Werke, die in den letzten Dekaden entstanden sind – der neue deutsche Literaturkanon. Anonym Dunkel war’s, der Mond schien helle Dunkel war’s, der Mond schien helle, schneebedeckt die grüne Flur, als ein Wagen blitzesschnelle, SCHWER PLUS Diesen Text hier kostenlos hören! www.deutsch-perfekt. com/audio-gratis/12 D¢nkel war’s, … , m Es war dunkel, … schneebedeckt , so, dass Schnee darauf liegt langsam um die Ecke fuhr. die Flur, -en , offene Landschaft aus Wiesen und Feldern Drinnen saßen stehend Leute, vertieft “n , hier: mit intensiven Gedanken an schweigend ins Gespräch vertieft, als ein totgeschoss’ner Hase auf der Sandbank Schlittschuh lief. bl“tzesschn¡lle , m extrem schnell totschießen , ≈ mit einer Pistole so verletzen, dass … stirbt der Hase, -n , kleines Tier mit langen Ohren (s. Bild) die S„ndbank, ¿e , Uferstelle mit Sand Schl“ttschuh laufen Und ein blondgelockter Jüngling auf Eis laufen mit kohlrabenschwarzem Haar bl¶ndgelockt , mit nicht glatten, blonden Haaren saß auf einer grünen Kiste, der J•ngling, -e , junger Mann die rot angestrichen war. kohlrabenschw„rz , in einem intensiven Schwarz Neben ihm ’ne alte Schrulle, zählte kaum erst sechzehn Jahr, Illustrationen: Svetsol, Dinana Finch/Shutterstock.com , mit speziellen Schuhen in der Hand ’ne Butterstulle, die mit Schmalz bestrichen war. „nstreichen , mit Farbe malen auf die Schr¢lle, -n , hier: m d alte, seltsame Frau zählen , hier: alt sein die B¢tterstulle, -n , Butterbrot das Schm„lz , hier: weiße, weiche Speise aus Schweinefett bestreichen , verteilen auf Über den Autor und seine Lyrik Lange bevor es das Internet gab, ging dieses paradoxe Gedicht eines anonymen Autors viral. Die älteste bekannte Version ist von 1898. Am Anfang hatte es zwei oder drei Strophen, später wurden es immer wieder mehr, bis zu 16 Strophen. Deshalb gibt es heute sehr viele, sehr unterschiedliche Varianten. das Ged“cht, -e , Poesie 20 BLINDTEXT Mehr als nur Bücher Deutsch perfekt Deutsch perfekt BLINDTEXT 21 Foto: picture alliance/dpa/Martin Siepmann Bibliothek Bad Schussenried Insider empfehlen die kleine Stadtteilbibliothek mit Charme, Reiseführer die Literatursammlung als grandiose Sehenswürdigkeit. Aber warum werden Bücher und andere Medien in Bibliotheken immer weniger wichtig? LEICHT PLUS BLINDTEXT Stadtbibliothek Stuttgart Deutsch perfekt Fotos: xxxx 22 Fotos:Hubi Foto: xxxxxx Img Eixan/Unsplash.com Deutsch perfekt BLINDTEXT 23 BLINDTEXT Deutsch perfekt Fotos: xxxx 24 Deutsch perfekt BLINDTEXT 25 Fotos:Horst Foto: xxxxxx und Daniel Zielske Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar 26 DEUTSCHLANDS BIBLIOTHEKEN E s gibt eine einfache, kurze Definition für den Begriff Bi­ bliothek: Sie ist eine Sammlung von Büchern. Das ist korrekt – und auch nicht. Denn die rund 9000 öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland sind so viel mehr als das. Manche der Institutionen sind grandiose historische Sehenswürdigkeiten. Zum Beispiel die Bibliothek des Klosters Bad Schussenried in Baden-Württemberg. Der Saal im Rokoko-Stil ist Teil eines Museums. Besucherinnen und Besucher sehen dort nicht nur Bücherwände, sondern auch Skulpturen und Fresken aus dem 18. Jahrhundert. Eine der bekanntesten Institutionen im Land und Teil des Welterbes der UNESCO ist die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar. Die Forschungsbibliothek für Literatur- und Kulturhistorie wurde 1691 gegründet. Einer ihrer Leiter war mehr als 30 Jahre lang Johann Wolfgang von Goethe. Aber Bibliotheken funktionieren auch ohne Rokoko und bekannte Namen. Zum Beispiel als kleine Insti­ tution in einem Stadtteil oder in einem Dorf. Das macht sie für die Menschen nicht weniger wichtig. Sie können dort trotzdem ihre Liebe für die lakonischen Romane von Sven Regener, für Filme mit Klaus Kinski oder für die Hamburger Indierockband Kettcar gefunden haben. Aber: Die Zahl dieser Menschen wird überall in Deutschland kleiner. Rund 72 Millionen Personen haben die öffentlichen Bibliotheken 2020 besucht. 2015 waren es noch 119 Millionen Besuche. Natürlich waren die Institutionen im ersten Pandemiejahr 2020 mehrere Wochen geschlossen. Aber eines ist klar: Die Bibliotheken müssen sich verändern, um eine Zukunft zu haben. Die Idee von den Aufgaben einer Bibliothek ist heute eine andere als vor 20 Jahren. In Diskussionen über die Deutsch perfekt Zukunft der Institution ist der Begriff vom dritten Ort zentral geworden. Der US-amerikanische Soziologe Ray Oldenburg hat ihn 1989 zum ersten Mal benutzt. Oldenburg sieht drei Orte: Der erste Ort ist das Zuhause, der zweite Ort ist die Schule oder der Arbeitsplatz. Der dritte Ort ist ein öffentlicher, sozialer, egalitärer und positiver Platz für die Freizeit. Ein zweites Zuhause. Das sollen Bibliotheken heute sein. Das bedeutet: Nicht mehr das Medienangebot steht im Zentrum. Sondern die Besucherinnen. Sie sollen die Atmosphäre mögen, Inspiration bekommen und Optionen für viele verschiedene Aktivitäten haben. Sie sollen dort lernen und am sozialen, kulturellen und digitalen Leben teilnehmen. Bibliotheken baut man heute nicht mehr für Bücher. Man baut sie für Menschen. Das ist die Idee in der Theorie. Wie sie in der Praxis aussieht, zeigt das Beispiel der Stadtbibliothek Stuttgart. 2011 ist die Zentralbibliothek der Großstadt in ein neues Haus gezogen. Sein bekannter Architekt ist der Koreaner Eun Young Yi. Zwei Jahre nach dem Umzug hat die Stadtbibliothek den nationalen Preis der Bibliothek des Jahres 2013 bekommen. Der Grund dafür ist aber nicht die Kombination von Glasbausteinen und Beton in der Fassade. Es ist auch nicht die helle, moderne Präsentation der Bücher mit zentralem Licht von oben. Den Preis hat die Institution für die Realisierung ihrer Idee bekommen: Sie will ein innovativer Lernort sein. Speziell die Vermittlung digitaler Kompetenzen ist in der Stadtbibliothek Stuttgart elementar. Vorträge des Chaos Computer Clubs über Themen wie Künstliche Intelligenz und Datenschutz sind nur ein kleiner Teil des Programms. Es findet auch eine Beratung zu Computerspielen statt. Außerdem gibt es Angebote für Migranten. Eine Motivation zum Deutschlernen soll zum Beispiel die Sprachwerkstatt bieten. Eva Pfeiffer Die Idee von den Aufgaben einer Bibliothek ist heute eine andere als vor 20 Jahren. der Begr“ff, -e digital œffentlich , L privat , konstruieren; machen , Wort w“ssenschaftlich , hier: mit Expertenliteratur aus verschiedenen Sektoren, z. B. Chemie, Literatur … das Kloster, ¿ , Kirche mit Wohn- und Arbeitshäusern: Dort leben und arbeiten Menschen für die Religion. der Saal, Säle , sehr großer, hoher Raum das Jahrh¢ndert, -e , ≈ Zeit von 100 Jahren das W¡lterbe, , Häuser und Städte auf der ganzen Welt: Sie sollen für die Menschen der nächsten Zeit so bleiben, wie sie sind, und man darf sie nicht kaputt machen. die H¡rzogin, -nen , Aristokratin: Sie regiert eine Region. die F¶rschungsbiblio­ thek, -en , Bibliothek für wissenschaftliche Bücher und Expertenzeitschriften gr•nden , starten der Leiter, - , ≈ Chef s“ch verændern , anders werden eine Zukunft haben , hier: noch länger da sein können das Zuhause , hier: Platz zum Leben; Wohnung/Haus: Dort lebt man. das Medienangebot, -e , Mediensortiment , L analog bauen gezogen , Part. II von: ziehen = hier: umziehen der }mzug, ¿e , von: umziehen der Preis, -e , hier: Geld/Ding: Die beste Bibliothek bekommt es. Eine Jury hat sie gewählt. der Gr¢nd, ¿e , hier: Erklärung der Glasbaustein, -e , Glasteil zum Bauen der Beton franz. , Substanz: Trocken ist sie sehr hart. die Verm“ttlung, -en , von: vermitteln ≈ zeigen; unterrichten in die Kompet¡nz, -en , hier: Kenntnisse der Vortrag, ¿e , Präsentation das Thema, Themen , hier: Inhalt die K•nstliche Intellig¡nz , hier: Disziplin in der Computerwissenschaft: Man programmiert Roboter. Diese können z. B. dynamisch reagieren. der Datenschutz , von: Daten schützen = aufpassen, dass andere Personen persönliche Daten nicht bekommen die Sprachwerkstatt, ¿en , hier: kreativer Deutsch- kurs für Jugendliche bieten , hier: geben; anbieten Deutsch perfekt Mascha Kaléko Mein schönstes Gedicht Mein schönstes Gedicht? Ich schrieb es nicht. Aus tiefsten Tiefen stieg es. Ich schwieg es. LEICHT das Ged“cht, -e , Poesie schrieb , Prät. von: schreiben tief , hier: ≈ intensiv; von tief drinnen die Tiefe, -n , hier: ≈ Herz; Emotionen stieg , Prät. von: steigen = hier: (nach oben) kommen |ch schwieg ¡s. , hier: ≈ Ich habe es nur gedacht. (schweigen , nichts sagen) b¡stverkauft , hier: ≈ so, dass man am meisten davon verkauft hat Erf¶lg haben Fotos: xxxxxx Illustration: MotionSky Studio/Shutterstock.com , hier: ≈ populär sein Über die Autorin und ihre Lyrik Geglaubt hat Mascha Kaléko: Wenn sie einmal tot ist, gibt es nur noch drei dünne Bücher mit Lyrik von ihr. Jetzt ist Kaléko seit fast 50 Jahren tot, aber ihre Lyrik ist so populär wie kaum eine andere. Von den 25 in Deutschland bestverkauften Lyrik-Büchern waren 2019 von keinem anderen Lyriker und keiner anderen Lyrikerin so viele wie von Kaléko. Die 1907 geborene Lyrikerin hatte schon ab 1933 großen Erfolg. Als die Nazis ihre Bücher 1935 verboten haben, ist sie von Berlin nach New York gegangen. Erst in den 50er-Jahren ist Kaléko zurückgekommen – und hatte sofort wieder Erfolg. 28 BLINDTEXT Deutsch perfekt Expertin in 15 Minuten? Komplexe Themen, serviert als leichte Snacks: Die App Blinkist fasst Bücher in wenigen Abschnitten zusammen. Wie gut funktioniert das abonnierte Schnelllesen? Ein Versuch. SCHWER E s ist viel passiert in den letzten Tagen: Ich habe die Prinzipien der Quantenmechanik verstanden, habe gelernt, wie wir unseren Planeten retten, und wie ich außerdem meinen Alltag und mich selbst optimal organisiere. Das alles und noch mehr, denn ich habe insgesamt fünf Bücher gelesen. Oder, genauer gesagt: Ich habe sie für mich lesen lassen. Möglich ist das mit Blinkist. Die Lese-App verspricht, das Wissen aus einem Sachbuch in rund 15 Minuten Lese­zeit kompakt zusammenzufassen. Auf ihrer Website erzählt die gleichnamige Berliner Firma vom „Buchklub der Milliardäre“: Warren Buffett, Bill Gates, Elon Musk und Mark Zuckerberg sind für ihr hohes Lesepensum bekannt. Nicht nur bei Blinkist ist man überzeugt, dass es einer der Gründe für ihren Erfolg ist. Grund genug jedenfalls, die App einmal auszuprobieren. Laut der Firma nutzen das Produkt weltweit 22 Millionen Menschen. Am Anfang will Blinkist ein paar Dinge wissen. Ich kann Themen auswählen, die mich interessieren, soll meine Altersgruppe und meine tägliche Lesezeit angeben. Als Nächstes soll ich mein Interesse an einigen Sachbuchtiteln mit einem Daumen, der nach oben oder unten zeigt, kommunizieren. Und schon kommen das S„chbuch, ¿er w¡ltweit , Buch, in dem Informatio- , auf der ganzen Welt gleichnamig , mit dem gleichen Namen , nennen nen oder Ratschläge stehen das Lesepensum, -pensen/-pensa , Quantität, wie viel jemand liest Gr¢nd genug , ≈ ein guter Grund n¢tzen , verwenden „ngeben der S„chbuchtitel, , veröffentlichtes Sachbuch der Daumen, , hier: Symbol für „Ja“ oder „Nein“ oder als Like-/ Dislike-Button: Es zeigt eine Geste. kommunizieren , hier: verraten Deutsch perfekt LESEN LASSEN die ersten Vorschläge und Empfehlungen. Ich will mich inspirieren lassen und scrolle durch die Listen mit Buchtiteln. Schließlich bleibe ich bei dem Bestseller Ich möchte lieber nicht. Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven von Juliane Marie Schreiber hängen. Unter der Überschrift „Wer diesen Titel lesen sollte“ nennt Blinkist Menschen, die Authentizität und Ehrlichkeit mögen. Na, dann mal los. Ich nutze die Option, den Titel – auch Blink genannt – anzuhören. 23 Minuten dauert das. Man kann die Wiedergabe-Geschwindigkeit erhöhen. Das will ich aber gar nicht, denn: Es macht Spaß, dem Sprecher zuzuhören. Auch der Text ist mit Humor geschrieben. Er ist in fünf Kernaussagen unterteilt. Außerdem hat er eine Einleitung und am Ende eine Zusammenfassung. Nach dieser unterhaltsamen Lektion über den Optimismus-Hype habe ich angebissen. Plötzlich fallen mir jede Menge Sachbücher ein, die ich schon lange lesen will. Ich wähle David Allens Wie ich die Dinge geregelt kriege. Selbstmanagement für den Alltag. Um Allens „Getting Things Done Methode“ zu verstehen, muss ich hier allerdings 48 Minuten investieren. Mehr als 5000 Sachbücher kann man auf diese Weise mit Blinkist kennenlernen. Jede Woche kommen rund 40 neue Titel dazu. Bei der Sprache kann man meistens zwischen Deutsch und Englisch wählen. Ein Team von Autorinnen und Autoren schreibt die Texte. Professionelle Sprecherinnen lesen sie. An einem Blink arbeiten laut der Firma durchschnittlich circa sieben Personen. Die Idee zu der App hatten 2012 drei Freunde nach ihrem Abschluss an der Universität. Sie fragten sich, wie man neben einem Vollzeit-Job noch Zeit zum Bücherlesen findet. Ihre Antwort: zum Beispiel bei mental unproduktiven Aktionen wie Autofahren oder im Fitnessstudio. Ich hänge Wäsche auf, während ich Jonathan Safran Foers Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten höre. So lerne ich bei der Hausarbeit viele gute Gründe für mehr vegane Ernährung. Apropos Ernährung: Mir fällt ein, dass ich jetzt endlich auch das viel gelobte Buch Darm mit Charme von Giulia Enders kennenlernen und nebenbei die Küche aufräumen kann. Es ist fantastisch: Ich fühle mich wie in einem Süßwarenladen voll mit Wissens­snacks und kann gar nicht mehr aufhören, davon zu naschen. Doch trotz meiner Euphorie: Was bedeutet Blinkist für das Lesen? Aus der Leseforschung weiß man, dass immer weniger Menschen das Deep Reading beherrschen, also das tiefe Lesen eines langen Textes – so intensiv, dass man mental darin versinkt. Im Kontrast dazu bekommt man bei Blinkist kleine, leichte Snacks. Wird durch Apps wie diese Bildung zum Fast Food? Die Antworten auf solche kritischen Fragen liegen bei jedem Nutzer. Die App macht es einem leicht, das Buch direkt zu kaufen: Unter der Zusammenfassung gibt es einen Link zu Amazon. Aber will ich die Bücher nach dem Hören der Zusammenfassungen noch komplett lesen? Manche ja, andere nicht. Aber, Gegenfrage: Hätte ich die Bücher ohne Blinkist überhaupt gelesen? Vielleicht muss man sich gar nicht entscheiden zwischen Blinkist oder Deep Reading. Die App inspiriert, gibt viele Tipps und macht Lust darauf, sich mit Themen und Autorinnen zu beschäftigen. Das bringt definitiv Spaß. Der nicht ganz billig ist: Ein Jahresabo der App kostet rund 80 Euro, ein Monatsabo rund 13 Euro. Es gibt aber auch einen kostenlosen Blink des Tages. Zum Schluss ist da noch die Sache mit der Quantenmechanik. Der Blink zu dem Buch Quantenwelt von dem US-Physiker Lee Smolin hat sie mir erklärt. Nur: Zwei Tage nach dem Anhören bin ich nicht mehr sicher, die Prinzipien der Quantenmechanik wirklich verstanden zu haben. Ganz so einfach ist es wohl doch nicht, zur Expertin zu werden. Eva Pfeiffer Fotos: Ground Picture/Shutterstock.com; Blinkist Will ich Bücher überhaupt noch komplett lesen, wenn ich die Zusammenfassungen kenne? hængenbleiben , hier: nicht ignorieren können die Rebellion, -en , Protest D„nn mal los. , m Es geht los! „nhören , ≈ hören die Wiedergabe, -n , ≈ Spielen eines Audios der Spr¡cher, , Person, die einen Text für eine Audioaufnahme spricht die K¡rnaussage, -n , zentrale Aussage (¡twas) unterteilen “n , als Kategorien für etwas benutzen die Einleitung, -en , hier: erklärende Worte zu Beginn unterh„ltsam , wie gute Unterhaltung „nbeißen , hier: m anfangen, … zu mögen jede M¡nge , viele geregelt kriegen , m es schaffen, … zu regeln die Weise, -n , Art dazukommen , hier: ≈ neu kommen 29 der [bschluss, ¿e , von: abschließen = hier: eine Ausbildung mit Prüfung beenden aufhängen , hier: zum Trocknen hoch hängen apropos , übrigens der D„rm, ¿e , langes Organ im Bauch von Menschen und Tieren der Süßwarenladen, ¿ , Geschäft für Süßes n„schen , ≈ von etwas Süßem kleine Stücke essen beh¡rrschen , hier: können vers“nken “n , hier: sich intensiv beschäftigen mit die B“ldung , Wissen und Können in verschiedenen Dingen liegen bei , hier: ≈ die Verantwor- tung sein von die Gegenfrage, -n , Frage als Antwort auf eine Frage das Jahresabo, -s , m kurz für: Jahres­ abonnement (das Abonnement, -s franz. , hier: abonnierter Service) wohl , hier: vermutlich 30 BLINDTEXT Deutsch perfekt Deutsch perfekt BÜCHER SCHREIBEN ALS BERUF 31 „Schreiben ist ein einsames Geschäft“ Schriftstellerinnen und Schriftsteller gibt es viele, aber nur wenige können vom Bücherschreiben leben. Zu Besuch bei einer Autorin, die es versucht hat – und die weiß, was man dafür braucht. Von Dieter Sürig SCHWER Illsutrationen: Natasha Barsova; Dmitriip, YummyBuum//Shutterstock.com S ommer 1989: Ulrike Draesner diskutiert in einem Seminarraum der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität mit Studierenden über den Tristan des Dichters Gottfried von Straßburg. Die damals 27-jährige Uni-Assistentin schreibt aber seit langer Zeit selbst lyrische Texte. Da sie schon als Kind gerne Geschichten geschrieben hat, kündigt die Philologin nach der Promotion ihren Job an der Universität. Sie will es probieren, will nur noch schreiben. Jetzt oder nie, denkt sie. „Die Möglichkeit, Schriftstellerin zu werden, gab es eigentlich in meiner Familie nicht“, sagt Draesner, dafür hat auch das Geld gefehlt. „Und was mir aus der Literaturgeschichte entgegenkam, war männlich und tot.“ Die Münchenerin hat Glück: Der bekannte Suhrkamp-Verlag sucht junge deutsche Lyrikerinnen. Bald verdient sie mit ihrem ersten Lyrikbuch 2000 Mark (heute ungefähr 1700 Euro) für 2000 gedruckte Exemplare. Mit dem Geld kauft sie Lyrik. Denn sie will „sehen, was sprachlich geschah, was andere schon erfunden hatten“. Und sie ist überrascht: Pro Lesung kann sie mehrere Hundert Mark verdienen. „Ich bin ins fahrende Gewerbe gegangen, hatte lange mehr als 100 Lesungen im Jahr und habe viel Lebenszeit im Zug verbracht“, erzählt sie. Gelebt hat sie nicht von den Büchern, aber eben von der Vermittlung ihrer Inhalte. Dass Bücherschreiben für viele Menschen ein Traumberuf ist, zeigt die große Zahl der Manuskripte, die auf den Tischen von Verlagen und Agenturen liegen. Bestseller wie Harry Potter oder die vielen Heimatkrimis inspirieren manche auch dazu, auf Bekanntheit und ein volles Konto zu hoffen. Die Realität sieht aber anders aus. Die Künstlersozialkasse nennt in einer Statistik rund 3300 Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Deutschland – mit einem Durchschnittsverdienst von etwa 21 458 Euro im Jahr. „Ein ehrlicher Blick auf den Beruf zeigt, dass Schriftsteller meist einen Einkommensmix brauchen, um ihr Leben finanzieren zu können“, sagt Lisa Basten vom Verdi-Verband deutscher In Deutschland leben rund 3300 Schriftstelle­ r­innen und Schriftsteller. das einsame Geschæft , berufliche Tätigkeit, bei der man einsam ist die Promotion, -en , hier: Beschäftigung mit einer wissenschaftlichen Untersuchung, um den Titel Doktor zu bekommen entgegenkommen , hier: zufällig in die Hände kommen von der Verlag, -e , Firma, die Zeitschriften, Zeitungen oder Bücher macht die Lesung, -en , Lesen vor Publikum “ns fahrende Gew¡rbe gehen , m hier: anfangen, beruflich Tourneen zu machen die Verm“ttlung, -en , von: vermitteln = hier: erklären; unterrichten der Traumberuf, -e , idealer Beruf die Agentur, -en , hier: Firma, die einen Service für Künstler oder andere Firmen anbietet die K•nstlersozialkasse , Krankenversicherung für selbstständige Künstler und andere Berufsgruppen der V¡rdi-Verb„nd, ¿e , Organisation der Gewerkschaft Verdi BLINDTEXT Deutsch perfekt Fotos: xxxx 32 Deutsch perfekt BÜCHER SCHREIBEN ALS BERUF Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS). Viele würden in Universitäten, Volkshochschulen und Schulen arbeiten, aber auch in der Gastronomie und anderen Branchen. Lesungen, Literaturpreise und Stipendien helfen bei der Finanzierung weiter, sind aber nicht kalkulierbar. Draesner ist wieder im Akademischen gelandet. Sie hatte seit 2015 eine Dozentenstelle in Oxford und ist seit 2018 Professorin am Literatur­institut in Leipzig. „100 Lesungen im Jahr als alleinerziehende Mutter, das kann ich einfach nicht machen“, sagte sie sich. Und: „Nach 20 Jahren Lesungsbetrieb fragte ich mich, wie das weitergehen soll.“ Noch einmal 20 Jahre in Zügen und Hotelbetten? „Krise!“ Nun kann sie das Leben mit ihrer Tochter in der Wohnung in Berlin besser strukturieren. Sie hat ihr neues Lebensmodell mal so beschrieben: Die Schriftstellerin Draesner wird eine Zeit lang die Professorin, die der Autorin Draesner finanziell den Rücken freihält. Sommer 2022: Die Schriftstellerin plant in einem Berliner Bürogebäude mit ihrer Agentin eine Literaturausstellung zu ihrem nächsten Roman. Es ist der letzte Teil einer Trilogie um Flucht, Vertreibung, Vergewaltigung von Frauen im Zweiten Weltkrieg. Seit 2015 arbeitet sie an dem Buch, in dem es um die Nationalsozialisten und die Geschichte einer Breslauer Familie geht, die vor der Roten Armee flieht. In der Ausstellung will Draesner Verbindungen bis zum römischen Dichter Ovid herstellen, der in seinen Metamorphosen auch von Vergewaltigungen erzählt. Nach der Scheidung von ihrem Mann macht Draesner Schulden, erzieht ihre Tochter allein. „Meinen Lebensstil kann ich reduzieren, damit ich das schreiben kann, was ich schreiben muss.“ Dabei spielen biografische Komponenten eine Rolle. „Ohne die Erinnerung an meine Groß­eltern und ihre Lebensatmosphäre hätte ich die Trilogie über Flucht und Vertreibung nicht schreiben können.“ Auch allgemein findet sie ohne Probleme Themen. Manche Projekte bleiben Jahre lang nur eine Idee, bevor sie sie wieder entdeckt. Wenn sie die Schreibphase für ein Buch abgeschlossen hat, hat sie erst einmal ein Dreivierteljahr mit den letzten Korrekturen, Cover und Klappentext zu tun. Zeit, um mental wieder aus dem Kosmos des Buches zurückzukommen – und für neue Gedanken. Aber: „Ich kann noch nicht wieder schreiben, wenn es noch nach altem Text schmeckt“, sagt sie. Und dann? „Das Thema findet mich, ich finde das Thema – dann bilden sich Kerne, mit denen ich arbeiten kann.“ Bei Lesereisen hat sie schon etwas Altes dabei. Und als Professorin Draesner vermittelt sie nun Literarisches Schreiben. Der Bedarf ist groß: Jedes Jahr bewerben sich am Leipziger Literaturinstitut 400 bis 500 Kandidatinnen um knapp 20 Studienplätze. Draesners Kriterien für eine Aufnahme: „Sehe ich da etwas Eigenes, Ungewöhnliches, einen neuen Ton oder eine spezifische Thematik?“ Womit also kann man überzeugen? „Reicht einen guten Text ein“, sagt die 60-Jährige, „es ist alles offen, Prosa, Poesie, Szenisches, Hybrides – seid erfinderisch und neugierig.“ Das sagt sie aber auch: „Man kann Schreiben nicht lehren. Man kann Handwerk vermitteln, Perspektiven und Rückblenden erklären. Aber es gibt ja nicht wirklich Regeln.“ Niemand wird durch die Erzähltheorie zum Schriftsteller. Im Dialog mit erfahrenen Autoren können die Studierenden jedoch mehr über sich selbst und ihr eigenes Können lernen. „Was ich weitergebe, ist Erfahrung, aber keine Vorschriften, keine Regeln, keine Ästhetik“, sagt sie. Viele gehen nach dem Studium den Weg, von dem sie geträumt hatten: „Im Erdgeschoss stehen Vitrinen mit Büchern von Absolventinnen und Absolventen, Illustrationen: Magdalena Teterdynko, Dmitriip, s.r graphics, Natasha Barsova/Shutterstock.com Im Durchschnitt verdienen Menschen in diesem Beruf pro Jahr etwa 21 458 Euro. der Literaturpreis, -e , Ehrung für besonders gute Literatur, z. B. in Form von Geld das Stip¡ndium, Stip¡ndien , hier: Geld, das Autoren von einer Organisation bekommen, damit sie ohne finanzielle Probleme schreiben können ¡twas Eigenes , hier: spezielle Sache der Ton, ¿e , hier: Schreibstil; Art zu erzählen die Thematik, -en , Thema einreichen , hier: als Teil einer Bewerbung schicken die Doz¡ntenstelle, -n , Stelle als Lehrer/-in ¶ffen , hier: möglich der Lesungsbetrieb szenisch , hier: als Drama , wirtschaftliche Aktivitä- ten mit Lesungen erf“nderisch den R•cken freihalten , hier: vor finanzieller Not schützen , hier: mit vielen neuen die Vertreibung, -en , von: vertreiben = zwingen, dass … weggehen muss , unterrichten die Vergew„ltigung, -en , Straftat, bei der jemand zum Sex gezwungen wird fliehen , auf der Flucht sein der Kl„ppentext, -e , Werbetext zum Buch hinten auf dem Buch schm¡cken nach , hier: noch immer denken lassen an s“ch b“lden , entstehen der K¡rn, -e , hier: zentrales Element 33 Ideen; innovativ lehren das H„ndwerk, -e , hier: konventionelle Arbeitsschritte als Teil der künstlerischen Produktion die R•ckblende, -n , Erzählen über Ereignisse, die vor dem Anfang der Geschichte stattgefunden haben erfahren , hier: mit Erfahrung weitergeben , hier: lehren die Absolv¡ntin, -nen , Frau, die eine Schule oder ein Studium abgeschlossen hat BÜCHER SCHREIBEN ALS BERUF wir müssen sie regelmäßig ausräumen, um Platz für die neuen zu machen.“ Ähnliche Ausbildungswege wie in Leipzig gibt es etwa an den Universitäten Hildesheim und Köln sowie an der Kunsthochschule für Medien Köln. Schriftsteller sein – ein Traumberuf? Draesner lacht, „es ist ein höllisch himmlischer Beruf, er hat seine Abgründe“. Und das nicht nur beim Schreiben. „Ich kenne genug Kolleginnen und Kollegen, die in prekären Verhältnissen leben.“ Genauso das schreckliche Gefühl während einer Schreibblockade, die sie zum Glück nur einmal ganz zu Beginn ihrer eigenen Karriere hatte. „Irgendwie brach mir das Schreiben weg, einen ganzen Winter lang“ – auch aus privaten Gründen. „Ich musste mich verwandeln.“ Was sollte eine Autorin können? „Ich musste lernen, präzise zu arbeiten, nicht lockerzulassen, mich durchzubeißen“, sagt sie. Und: „Eine meiner körperlichen Hauptbegabungen ist das Sitzen.“ Das passt gut. Was ist dann das Himmlische an dem Beruf? Beim Schreiben kommt sie in fiktive Räume. Die Räume kann sie frei bewegen, „während ich selbst mit Figuren und Wörtern darinstecke“, erzählt sie. „Dabei geschieht etwas Paradoxes. Ich bin ganz da, hochkonzentriert.“ Gleichzeitig aber ist sie als Person über- Deutsch perfekt haupt nicht da, „weil es auf mich als Person gar nicht ankommt. Das hat etwas Rauschhaftes, während es geschieht. Das ist sehr, sehr intensiv.“ Wer einen Roman schreiben will, steht vor einer langen mentalen Reise. „Du fährst Wochen und gerätst in Umstände, die du einfach nicht vorhersehen konntest. Vieles ist aber auch Routine: Route festlegen, Segel raffen, immer wieder.“ Und man sollte auch dazu bereit sein, umzukehren. „Ich habe eine Idee, wo es hingehen könnte, aber täusche mich auch immer wieder und muss wieder zurück.“ Das gehört zum Schreiben dazu. „Im Endeffekt ist das Schreiben ein einsames Geschäft.“ Der Lohn dafür ist genauso offen wie der Erfolg des Buches. Draesner hat festgestellt, dass Frauen auch in ihrer Branche schlechter bezahlt werden als Männer. „Da spiegelt sich die Gesamtgesellschaft wider.“ Sehr wichtig kann die Zusammenarbeit mit Agenturen sein, die sich um die Verträge zwischen Autor und Verlag kümmern. „Sie verhandeln einfach besser.“ Junge Schriftsteller sollten ihre Manuskripte besser Agenturen anbieten als Verlagen. „Agenturen brauchen ständig neue Autoren, da wird es gelesen“, sagt Draesner. Und haben sich ihre Erwartungen erfüllt? Sie konnte sich nicht wirklich vorstellen, „ein Buch zu schreiben und fünf Jahre in einem Stoff zu leben“. Und mit den Realitäten hat sie manchmal auch ihre Probleme. Wenn sie morgens im Café ihre Mails liest, hat sie kurz danach ihre direkte Umgebung gleich schon wieder vergessen. „Man wird vielleicht auch ein wenig kauzig mit diesem Beruf.“ Wer einen Ro­ man schreiben will, steht vor einer langen inneren Reise. ausräumen ¡s k¶mmt auf … „n , aufräumen und leeren , es hängt von … ab hœllisch , schrecklich; hier: m extrem; von: Hölle = in vielen Religionen ein Ort, an den die Menschen nach dem Tod zur Strafe kommen ¡twas Rauschhaftes haben , wie in einem Zustand, wenn man Drogen genommen hat h“mmlisch , hier: m wunderbar; von: Himmel = in vielen Religionen das Gegenteil zur Hölle seine [bgründe haben , hier: Aspekte haben, die einen intensiv über Traurigkeit nachdenken lassen die prekären Verhæltnisse Pl. , finanziell unsichere Situation geraten “n , hier: unfreiwillig in … sein der }mstand, ¿e , Situation; Kontext vorhersehen , als Prognose sagen, dass … kommt f¡stlegen , hier: genau wählen die Segel r„ffen , ein Segelboot für die Fahrt vorbereiten; hier: Arbeitsschritte vorbereiten w¡gbrechen , hier: plötzlich weg sein ¢mkehren , hier: wieder zurückgehen, weil man sich geirrt hat s“ch verw„ndeln , komplett anders werden s“ch täuschen , sich irren präzise “m ]ndeffekt , genau , schließlich l¶ckerlassen , hier: m aufhören, an etwas zu arbeiten s“ch widerspiegeln , ≈ sich zeigen s“ch d¢rchbeißen , hier: m auch bei Schwierigkeiten weitermachen verh„ndeln , Konditionen vereinbaren stændig , permanent der St¶ff, -e die Hauptbegabung, -en , wichtigstes Talent , hier: Thema; Inhalt dar“nstecken , hier: emotional intensiv teilnehmen kauzig , von: Kauz = hier: m Person, die (auf sympathische Art) seltsam ist hochkonzentriert , mit sehr viel Konzen- tration Illustration: Dmitriip, Natasha Barsova/Shutterstock.com; Quelle: Dies ist eine einfachere, Version eines Texts aus der Süddeutschen Zeitung. 34 Deutsch perfekt Rainer Maria Rilke Der Panther MITTEL AUDIO Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. Diesen Text hier kostenlos hören! www.deutsch-perfekt. com/audio-gratis/12 vorübergehen , ≈ vorbeigehen der Stab, ¿e , hier: langer, vertikaler Teil einer Barriere h„lten , hier: ≈ bleiben auf Ihm “st, „ls ¶b ¡s … gäbe. , ≈ Er hat die Illusion, dass es … gibt. der G„ng, ¿e , hier: Gehen Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. geschmeidig , in einer eleganten Bewegung der Schr“tt, -e , Bewegen eines Fußes vor den anderen der „llerkleinste , ≈ der wirklich kleinste s“ch “m Kreis drehen , hier: einen Kreis gehen; auch: eine Rotation machen betäubt , so, dass man nichts fühlt der W“lle Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille – und hört im Herzen auf zu sein. , von: wollen der Vorhang, ¿e , großes Stück Stoff, das man vor/neben Fenster hängt die Pup“lle, -n , schwarzer Teil in der Mitte des Auges lautlos , ohne Laute; absolut leise das Glied, -er , hier: Bein Fotos: xxxxxx Illustration: Kiera Awayuki/Shutterstock.com „ngespannt , hier: so, dass sie nervös macht Über den Autor und seine Lyrik Geboren wurde er 1875 in Prag, als René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke. Unter dem Künstlernamen Rainer Maria Rilke wurde der Österreicher mit seiner Lyrik zu einem der wichtigsten Dichter der literarischen Moderne. Die Ideen der Philosophen Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche interessierten Rilke sehr und wurden wichtig für seine Arbeit. Bis zu seinem Tod 1926 in der Schweiz schrieb Rilke sehr viele Lyriksammlungen, Erzählungen, einen Roman und Texte zu Kunst und Kultur. Er schrieb nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Französisch. Deutsch perfekt Was fehlt? Der erste Satz in einem Roman kann magisch sein. Wir haben 20 bekannte Sätze gesammelt. In jedem fehlt ein Wort. Welches ist es? Keine Angst: Gelesen haben müssen Sie die Bücher nicht. Von Julian Großherr SCHWER Deutsch perfekt 1. Es fiel Regen in jener Nacht, ein Regen. feiner, Aus Tintenherz von Cornelia Funke A B C D eisiger saurer silberner wispernder 2. Das hat mich wohl am meisten überrascht. Aus Er ist wieder da von Timur Vermes A B C D Essen Kriegsende Lob Volk 3. Der Tag, an dem Paula feststellt, . glücklich zu sein, ist Aus Die Liebe im Ernstfall von Daniela Krien A B C D auch nur ein Tag ein Sonntag im März ernst gewesen 4. Im achtzehnten Jahrhundert lebte ein Mann, der zu in den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche gehörte. Aus Das Parfum von Patrick Süskind A B C D der Bevölkerung Frankreich Leid Zölibat 5. „Ich werde, hoffe ich, dir alles anvertrauen können, wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, du wirst mir eine große sein.“ Fotos: xxxxxx Aus dem Tagebuch von Anne Frank A B C D Bücherei Eindruck Stütze Überweisung LITERATURQUIZ 6. „Sie macht keine Mühe, am liebssie und schaut.“ ten Aus Olga von Bernhard Schlink A B C D isst liegt steht überlegt 7. Wie froh bin ich, dass ich bin! Aus Die Leiden des jungen Werther von Johann Wolfgang von Goethe A B C D hier jung reich weg 8. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Seit Jahren fragte ich mich, wie es sein wird, wenn wir . Aus Es wird Zeit von Ildikó von Kürthy A B C D drei sind Regen sehen uns wiedersehen vorbei sind 9. Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem verwandelt. Aus Die Verwandlung von Franz Kafka A B C D er selbst schrecklichen Fötus ungeheuren Ungeziefer 10. „Hamilkar Schaß, mein Großvater, ein Herrchen von, sagen wir mal, einundsiebzig Jahren, hatte sich , gerade das Lesen als die Sache losging.“ Aus Der Leseteufel von Siegfried Lenz A B C D abgewöhnt beigebracht zum Beruf gemacht zum Hobby gemacht die T“nte, -n , Farbe zum Schreiben und Zeichnen w“spernd , sehr leise wohl , hier: wahrscheinlich 37 erw„chen , aufwachen s“ch … f“nden , merken, dass man … ist verw„ndeln zu , ≈ transformieren zu “m ]rnstfall , ≈ in der Not der Fötus, Föten , Embryo ab dem vierten Entwicklungsmonat abscheulich , schrecklich , hier: schrecklich die Gest„lt, -en , hier: nicht genauer beschriebene Person „rm „n , mit wenig das Leid , starker, psychischer Schmerz durch eine negative Erfahrung „nvertrauen , im Vertrauen erzählen das Tagebuch, ¿er , Text in einem Buch oder Heft, in das man jeden Tag schreibt, was man denkt oder was passiert ist die St•tze, -n , hier: Unterstützung ]s w“rd Zeit. , Es muss endlich losgehen. ¢ngeheuer das }ngeziefer, , Insekt, von dem man Schlechtes denkt, z. B. dass es ein Parasit ist v¶n , hier: im Alter von sagen wir mal , m ungefähr der Teufel, , Satan; das Böse als Person; hier auch: Person mit besonders viel Enthusiasmus s“ch „bgewöhnen , sich daran gewöhnen, … nicht mehr zu haben/ machen s“ch beibringen , ≈ selbst lernen 38 LITERATURQUIZ Deutsch perfekt der Gest„nk 11. „Das Tier hat uns in der Hand. Das ist noch schlimmer .“ als Aus Unterleuten von Juli Zeh A ein Leben im Zoo B Hitze und Gestank C sorglos glücklich zu sein D wir 12. Ich bin . Aus Mängelexemplar von Sarah Kuttner A B C D anstrengend erste neu hier zu viel 13. Das eigene Wort, wer holt es zurück, das lebendige, eben ? Aus Unaufhaltsam von Hilde Domin A B C D nie da gewesene Wort erst vorsichtig gedachte Wort noch unausgesprochene Wort nur unschuldige Wort 14. „Wenn Ihr leben wollt, müsst Ihr “, raunte der Mönch in dem ausgefransten, staubigen Habit. 16. Es beginnt immer nachts. Nachts . füttere ich meine Pläne mit Aus Erebos von Ursula Poznanski A B C D 17. Wie immer vor dem Sex haben wir beide Heizdecken im Bett angemacht. Aus Schoßgebete von Charlotte Roche A B C D beten geben graben laufen 15. Wir sind . Wir haben keinen Fährmann mehr. Der Fährmann ist tot. Zwei Seen, kein Fährmann. Zu den Inseln gelangst du jetzt, wenn du ein Boot hast. Oder wenn du ein Boot bist. Oder du schwimmst. Aus Vor dem Fest von Saša Stanišić A B C D die letzten nötig nur hier traurig auf Stufe drei von sieben eine halbe Stunde vorher ohne unnötige Kommentare zur Sicherheit schon einmal 18. „Wir Deutschen, liebe Kitty, können ein Wirtschaftswunder machen, “, sagaber keinen te Thomas Lieven zu dem schwarzhaarigen Mädchen mit den angenehmen Formen. Aus Es muß nicht immer Kaviar sein von Johannes Mario Simmel A B C D Aus Die fremde Königin von Rebecca Gablé A B C D Angst Dunkelheit Ideen Leben Betrag Kaviar Salat Unfall 19. Manchmal konnte sie Rosen ein. fach nicht mehr Aus Die Rosenzüchterin von Charlotte Link A B C D riechen sehen vertrauen zählen 20. „Komm. Nur zwei Wochen. Da.“ nach hast auch wieder bessere Aus Kein Wort zu Papa von Dora Heldt A B C D Laune Möglichkeiten Pech Zeit der Habit, -e , von: stinken , hier: dunkler Mantel das Mængelexemplar, -e , Buch, das wegen eines Fehlers billiger verkauft wird; hier: Person mit einem Fehler graben , ein Loch in die Erde machen leb¡ndig , mit Leben; hier: mit Wirkung in diesem Moment eben , hier: gerade unaufh„ltsam , so, dass man etwas nicht stoppen kann ¢nausgesprochen , (noch) nicht gesagt raunen , sehr leise und undeutlich sagen der Mœnch, -e , Mann, der nur für seine Religion lebt, z. B. auch nicht heiratet ausgefranst , an den Enden etwas kaputt staubig , etwas dreckig eines Mönchs der Fährmann, ¿er/-leute , Fahrer einer Fähre gel„ngen zu , ankommen in der Schoß, ¿e , ≈ oberer Teil der Beine das W“rtschaftswunder, - , schnelles Wachsen der wirtschaftlichen Produktion die F¶rmen Pl. , hier: Körperform der Kaviar, -e , (sehr teure) schwarze Eier eines Fischs n“cht mehr … kœnnen , ein stark ablehnendes Gefühl beim … fühlen die Z•chterin, -nen , hier: Frau, die spezielle Pflanzensorten herstellt Fotos:Vitalii Foto: xxxxxx Bashkatov/Shutterstock.com 1D 2D 3B 4B 5C 6C 7D 8C 9D 10B 11B 12A 13C 14C 15D 16B 17B 18C 19B 20A Deutsch perfekt BLINDTEXT Lösungen: 39 Deutsch perfekt TIKTOK UND DIE LITERATUR 41 Bücher? #liebenwir Plötzlich sind große Läden voll mit Umschlägen in Pastellfarben: Ein seltsamer Trend auf Tiktok verändert gerade den Buchhandel: das Lesen. Von was für einer Literatur reden wir da? Von Eva Goldbach und Johannes Korsche SCHWER Illustration: Bibadash/Shutterstock.com V anessa ist stolz auf ihre Bücher und zeigt ihren rund 70 000 Followerinnen und Followern auf Tiktok ihre Sammlung. Mehr als 240 Bücher in Pastellfarben stehen im Regal. Sie sind nach Farben geordnet. „In Regenbogen“, heißt das in Vanessas Tiktok-Community, die unter dem Hashtag „Booktok“ zusammenkommt. Nach Informationen der Plattform wurden Videos unter diesem Hashtag bis heute 65 Milliarden Mal angeschaut. Die populäre Literatur verändert sich zurzeit nach den Spielregeln des chinesischen Social-Media-Dienstes. Seit Juli gibt es dort auch einen „Book Club“: Jeden Monat will Tiktok ein Buch bestimmen, das die Community dann besprechen soll. Tiktok ist so jung und schnell wie keine andere Social-Media-Plattform. Sie passt sich ihren Nutzerinnen ideal an. Denn der Algorithmus gibt ihnen, was sie möchten. Ein bisschen funktioniert das wie ein Trichter: Oben kommen alle User rein, unten – auf Basis der angesehenen Videos portioniert – spuckt der Algorithmus sie in ihrer Bubble aus. Aber nicht nur die Userinnen werden so portioniert. So passiert es natürlich auch mit den Videos, die auf der Plattform gut funktionieren. Für Literatur auf Tiktok bedeutet das: Am Ende gehen Romanzen in Pastellfarben viral. Mit genug Sexszenen. Die „Booktokerinnen“ lesen nicht selten 20, sogar 30 Bücher im Monat. Jedenfalls mehr als 100 Bücher im Jahr. Das macht es für Verlage und Buchhandlungen interessant. „Booktok hat einen positiven Effekt für den gesamten Buchhandel“, sagt Cristina Herrmann von der Buchhandlung Hugendubel. Seit etwa eineinhalb Jahren wächst die Nachfrage nach Büchern, die auf Tiktok beliebt sind. Die Romanzen in Pastellfarben erzählen von jungen Frauen – gern mit expliziten Sexszenen. “n Regenbogen , m in der farblichen Reihenfolge wie bei einem Regenbogen (der Regenbogen, ¿ , Lichteffekt mit verschiedenen Farben am Himmel, wenn es leicht regnet und gleichzeitig die Sonne scheint) zus„mmenkommen ¢nter , hier: eine Community zum Thema … sein der Tr“chter, - , hier: System, das aus einer großen Menge einzelne Elemente wählt, z. B. in einer Maschine portionieren , auf Basis von … in einzelne Gruppen ordnen ausspucken , hier: m in eine (komplex ausgerechnete) Ordnung bringen nach , hier: wie … sagt viral gehen , in den sozialen Medien besonders populär werden nach den Spielregeln (v¶n) , wie es … bestimmt die Rom„nze, -n , hier: einfache Liebeserzählung der Dienst, -e , hier: App der Verlag, -e , Firma, die Zeitschriften, Zeitungen oder Bücher macht bespr¡chen , diskutieren s“ch … „npassen , sich ändern, um zu … zu passen die N¢tzerin, -nen , Userin der Buchhandel , Herstellung und Verkauf von Büchern und Zeitschriften die Nachfrage nach , Kaufinteresse für TIKTOK UND DIE LITERATUR Nicht wenige davon stehen auch im Regal der 23-jährigen Vanessa, die neben ihrer Ausbildung zur Erzieherin als @lxvanessaxl auf Tiktok erfolgreich ist: Die Bücher heißen Das Lied des Achill, Daisy Jones and the Six oder Für immer ein Teil von dir. Ihre Protagonistinnen sind meist junge Frauen. Sie erleben Dinge, die sich junge Leserinnen wünschen: Liebe und Herzschmerz. Auch queere Themen sind populär, wie in der Graphic-Novel-Reihe Heartstopper. Netflix hat schon eine Serie daraus gemacht. Die erfolgreichen Bücher teilen sich in drei Genres ein: Fantasy, Young Adult (das sind Highschool-Dramen, Geschichten erster unschuldiger Lieben) und New Adult, mit Themen wie dem Umzug in eine neue Stadt, wo man das Leben ausprobiert – und natürlich, das Interessanteste überhaupt: Sex. Dafür gibt es auf Tiktok ein Codewort: spice. „Booktok möchte spicy Booktok“, erklärt die Autorin Gabriella Santos de Lima, die für ihre Bücher auf Tiktok Werbung macht. Früher war sie Stewardess, heute ist sie Spiegel-Bestseller-Autorin und studiert Kreatives Schreiben. Was sie meint ist: Wenn es in einem Buch viele explizite Sexszenen gibt, wird das auf Tiktok ziemlich sicher gemocht. Oder auch: no spice, no hype. Ihren Erfolg verdankt Santos de Lima der Plattform, auf der sie ihre Bücher mit einem Chili-Emoji in die Kamera hält. Oder von einer Stewardess erzählt, die sich in einen Piloten verliebt – der Beginn einer Romanze und der Plot eines ihrer Bücher. Ist das Pornografie für Frauen? Santos de Lima ist da anderer Meinung. Sie versteht den spice als Ausdruck einer feministischen Literatur: „Ich finde es gut, dass Mädchen Sex-Szenen lesen, die von Frauen geschrieben sind.“ Männliche Blicke auf den weiblichen Körper gibt es in der Popkultur schon genug. Deutsch perfekt Die Texte sind schnell zu lesen und werden oft in Buchreihen mit mehreren Teilen publiziert. Die großen Buchhandelsketten reagieren darauf – mit Altären voller Bücher in Pastellfarben. Von Booktok gefeierte Autorinnen dominieren jetzt den Buchhandel. Die Amerikanerin Colleen Hoover zum Beispiel, die inoffizielle, aber klare „Queen of Booktok“. Sie ist inzwischen eine der meistverkauften Autorinnen auf der New-York-Times-Bestseller-Liste. Ihr Geheimnis? Eine einfache, prägnante Sprache – und Themen, die junge, weibliche Leserinnen emotional fesseln: toxi­sche Beziehungen, Missbrauch, Liebe. Hoovers Bücher begeistern junge Frauen, die sonst vielleicht verloren wären für das Lesen: „Ich habe Lesen in der Schule absolut gehasst“, sagt Vanessa, die uns am Anfang ihre Bücherregale gezeigt hat. Die 19-jährige Hamburgerin Tabea Grunert (@tabeajoanna auf Tiktok) mochte Filme mehr – bekam aber permanent diese Buch-Videos aufs Handydisplay, die Trends der Booktok-Blase. Vor etwa einem Jahr, erinnert sie sich, hat sie „dem Algorithmus nachgegeben“ und sich ihre ersten Bücher gekauft. „Und ich habe es geliebt“, sagt Tabea. Booktok ist so optimiert, dass junge Frauen es lieben. So schafft die Plattform das, was vielen Lehrern nicht gelingt: Lust auf Lesen zu machen, Welten hinter den Buchstaben aufleben zu lassen. Und vielleicht entwickelt sich die deutsche Booktok-Bubble ja ähnlich wie in den USA. Dort haben auch manche Klassiker ein Publikum gefunden, Jane Austen zum Beispiel. Austens Überredung ist übrigens das erste offizielle Book-Club-Buch, das Tiktok zum Besprechen vorgeschlagen hat. Auf Netflix gibt es eine neue Verfilmung davon. So arbeiten die Popularitätsmaschinen der Plattformen perfekt zusammen. Tiktok schafft etwas, was vielen Lehrern nicht gelingt: Es macht Lust auf Lesen. die Protagon“stin, -nen , Frau, die eine wichtige Rolle spielt der H¡rzschmerz , Traurigkeit wegen einer unglücklichen Liebe die Reihe, -n , hier: Serie s“ch einteilen “n , sich kategorisieren lassen in ¢nschuldig , hier: ohne Sex der Spiegel-Bestseller , ein Buch der Top 20 der Literatur: Jede Woche veröffentlicht die Zeitschrift Der Spiegel ein Ranking dazu. verd„nken , hier: ≈ (bekommen) haben durch der Ch“li, -s , spezielle scharfe Paprika “n die K„mera h„lten , im Video zeigen die Buchhandelskette, -n , Firma mit mehreren Buchhandlungen v¶ller , voll mit feiern , hier: viel besprechen und loben das Geheimnis, -se , hier: spezielle Qualität prägn„nt , hier: kurz und so, dass man sich die Szenen gut vorstellen kann emotional f¡sseln , so emotional sein, dass … nicht aufhören kann zu lesen der M“ssbrauch, ¿e , von: missbrauchen = hier: mit Gewalt zum Sex zwingen begeistern , ≈ enthusiastisch machen verloren sein für , hier: als Publikum nicht mehr interessant sein für die Blase, -n , hier: Social-Media-Bub- ble nachgeben , hier: akzeptieren, was … möchte aufleben l„ssen , hier: so darstellen, dass man sich … gut vorstellen kann die Überredung , von: überreden = mit Argumenten erreichen, dass jemand etwas tut, was er gar nicht will die Verf“lmung, -en , hier: Film auf der Basis eines Buchs Illutration:: Bibadash/Shutterstock.com; Quelle: Dies ist eine einfachere Version eines Texts aus der Süddeutschen Zeitung. 42 Deutsch perfekt Joachim Ringelnatz Die Ameisen MITTEL In Hamburg lebten zwei Ameisen, Die wollten nach Australien reisen. Bei Altona auf der Chaussee, Da taten ihnen die Beine weh, Und da verzichteten sie weise Dann auf den letzten Teil der Reise. die Ameise, -n , kleines, rotbraunes oder schwarzes Insekt, das in gut organisierten Gruppen lebt (s. Illustration) (das) [ltona , hier: 1912 (im Jahr, als Joachim Ringelnatz „Die Ameisen“ publizierte) ein Ort im Stadtgebiet von und um Hamburg, seit 1938 offiziell ein Teil von Hamburg die Chaussee, -n franz. , hier: größere Straße in einer Stadt oder zwischen zwei Orten verz“chten auf , hier: freiwillig nicht machen weise , klug Verz“cht leisten So will man oft und kann doch nicht Und leistet dann recht gern Verzicht. , verzichten r¡cht , hier: ziemlich der Sch“ffsjunge, -n , Junge, der an Bord eines großen Boots arbeitet ausüben , hier: ≈ machen Illustrationen: Shuttersport/Shutterstock.com feiern , hier: haben Über den Autor und seine Lyrik 1883 wird Hans Gustav Bötticher als Sohn von einem Künstlerpaar geboren. Nach einer schwierigen Schulzeit lernt er als Schiffsjunge die Welt kennen. Es ist der Anfang eines Berufslebens, in dem Bötticher mehr als 30 Berufe ausübt und oft sehr wenig Geld hat. Ab 1919 wird seine lustige Lyrik in der satirischen Zeitschrift Simplicissimus und in ersten Büchern gedruckt. Und Bötticher feiert unter dem Pseudonym Joachim Ringelnatz große Erfolge. Aber 1933 verbieten die Nationalsozialisten seine Texte. 1934 stirbt Ringelnatz in Berlin – bekannt ist er bis heute. Deutsch perfekt DIE WELT DER ANTIQUARIATE 45 Vergessene Seiten Es gibt immer weniger Antiquariate in deutschen Städten. Die meisten Menschen haben keine Ahnung davon, welche Oasen den Metropolen bald fehlen. Unser Autor hat sie noch einmal besucht. Von Raoul Löbbert; Fotos: Ina Niehoff MITTEL G anz ehrlich: Im Einkaufen bin ich ziemlich schlecht. Nur beim Kauf von Büchern, vor allem von alten Büchern, bekomme ich romantische Gefühle. Es begann als Kind. Stundenlang saß ich vor dem Bücherregal der Eltern. Darin grauschwarze Bände von Autoren, die ich nicht kannte. Geschrieben in Frakturschrift, die Seiten voll mit Flecken. Ich fragte mich: Wer hat diese Schätze schon in den Händen gehalten? Wer hat sie gelesen? Wem waren sie wichtig? Mein Vater war keine Hilfe. Er hatte die Bücher nur geerbt. Zwar war er Fan von John Steinbeck, aber vor allem Zeitungsleser. Das alles war für mich ein Rätsel, ist es noch. Auch deshalb kann ich heute an keinem Antiquariat vorbeigehen, ohne darin zu verschwinden – und nach einer Stunde oder mehr mit ein, zwei Fundstücken wieder herauszukommen. Antiquariate sind für mich Oasen im Großstadtwahnsinn, magische Orte zum Verlieren, Finden und Sich-Wiederfinden. Es gibt aber ein Problem: Die Magie verschwindet mit den Orten. Neulich ist es wieder passiert. In Berlin-Kreuzberg stehe ich vor einem Café, das da nicht hingehört. Wann war ich das letzte Mal an dieser Ecke? Beim letzten Besuch habe ich einen Schatz entdeckt in dem Regal, in dem jetzt zur Dekoration Vasen stehen. War es vor ein paar Monaten oder Jahren? Es fühlt sich an wie gestern. Und jetzt gibt es dort Kaffee und Kuchen statt Tolstoi und Dostojewski. Wie kann man Nichtleserinnen und -lesern oder Kindle-Fans erklären, was das für einen Buchmenschen bedeutet? Wer Bücher pragmatisch sieht, geht an einem Antiquariat meistens nur vorbei. Antiquariate drängen sich nicht auf. Sie machen sich klein. Die meisten findet man nicht in Fußgängerzonen, sondern in kleinen Straßen – eine Tür, ein Fenster, eine kleine Auslage. Dazu ein Schild mit der wichtigsten Information: „Antiquariat“. Oder noch kürzer: „Bücher“. Wer hat da die Idee, dass hinter der Tür eine andere Welt beginnt? Für mich fängt hier Phantásien an, das vom „Nichts“ bedrohte Land aus Michael Endes Roman Die unendliche Geschichte. Mit zwölf habe ich das Buch gelesen und geliebt. Der Junge wurde größer. Mich lesend verlieren will ich noch immer – aber st¢ndenlang , viele Stunden , hier: (wieder) feststel- der B„nd, ¿e , hier: Buch (als Teil von mehreren Büchern) , m am richtigen Ort der Fl¡ck, -en , schmutzige Stelle der Sch„tz, ¿e , hier: Sache, die besonders viel wert ist ¡rben , hier: nach dem Tod eines Verwandten bekommen ein Rätsel sein , hier: ≈ keine Antwort finden auf verschw“nden “n , hier: in … hineingehen und für lange Zeit nicht mehr herauskommen das F¢ndstück, -e , hier: Sache, die man nach intensiver Suche findet (s“ch) verlieren , hier: sich so konzentriert mit etwas beschäftigen, dass man alles andere vergisst der Großstadtwahnsinn , hier: m d Großstadtstress s“ch wiederfinden len, wer man eigentlich ist h“ngehören sein ]s fühlt s“ch „n wie g¡stern. , Es ist so, dass man meinen könnte, es war gestern. pragmatisch sehen , pragmatisch denken über s“ch aufdrängen , hier: d auf jeden Fall gesehen werden wollen die Auslage, -n , hier: Platz, wo Waren gezeigt werden, z. B. Vitrine bedrohen , hier: gefährlich sein für un¡ndlich , ohne Ende s“ch lesend verlieren , hier: alles andere verges- sen während man liest 46 DIE WELT DER ANTIQUARIATE heute habe ich nur eine S-Bahn-Viertelstunde Zeit. Dabei ist es für Phantásien noch viel gefährlicher geworden. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die Organisation der Buchläden, bestätigt: Steigende Mieten, ein anderes Kaufverhalten und Nachwuchsmangel machen den Antiquariaten Pro­ bleme. Wer kann, wird Versandhändlerin im Internet, spezialisiert sich. Konkrete Zahlen gibt es nicht. Für Berlin gibt es aber eine Liste. Vor 20 Jahren standen darin 129 Antiquariate, heute sind es nur noch 51. Und das, obwohl Berlin die Gebrauchtbuchhauptstadt ist. An anderen Orten ist es also noch schlimmer. Alles, was ist, geht. Warum soll man traurig sein, wenn Verschwinden das Normalste auf der Welt ist? Aber ich stehe vor dem Kuchen-Café und das Navigationsgerät im Kopf sagt „Bücher!“. Es ist schwer, dann nicht herabzusehen auf alle, die dort Espresso trinken und keine Ahnung haben. Es tut weh, wenn Dinge verschwinden, die einem wichtig sind. Schnell ist es dann passiert: Man sieht die Welt negativ, die von diesem Schmerz nichts weiß. Man wird zum Kulturpessimisten. Nach der Café-Enttäuschung nehme ich die S-Bahn. Am Nordbahnhof gehe ich am Mauerpark vorbei. Kurze Zeit später stehe ich vorm Antiquariat Wiederhold. Auf meiner Liste ist er einer von zwei magischen Orten, die es so noch gibt. Wo ich entdecken kann, was Buchmenschen wie ich dort suchen. Es ist, wie ich erwartet habe: kein Schild mit Neonlicht. Aber die Auslage des Geschäfts zeigt, dass dort jemand einen guten Geschmack hat. Drinnen Bücher, Bücher, Bücher! An allen Wänden, bis nach ganz oben, auf den Tischen. Und zwischen den Büchern: Imke Wiederhold. Wie viele Antiquarinnen lässt auch sie sich nicht gern in die Seele schauen. Immer ist da die Angst, vorgeführt zu werden. Denn Antiquare sind für Kulturjournalistinnen so etwas wie Schnabeltiere Deutsch perfekt für Naturfilmer: exotisch, putzig – und vom Aussterben bedroht. Wiederhold will nicht putzig sein. Oder reduziert werden auf die Haarfarbe, das Alter, den Kaffee. Sie ist der Meinung, dass ihr Antiquariat genug über sie sagt. Und damit hat sie recht. Alle Bücher sind nach Autorinnen, Gattungen und Ländern getrennt. Wie Orgelpfeifen stehen sie in Reihen in den Regalen. Es ist deutlich: Wer Bücher so ordnet, der liebt sie. Denn wer aufhört zu lieben, der lässt die Bücher in der Kiste. Oder baut aus ihnen Türme. Das Chaos ist für die Antiquariate gefährlich. Denn in ihm verschwinden Bücher. Wiederholds Antiquariat ist so aufgeräumt, wie ich es mir für mein Wohnzimmer wünsche. Und vielleicht geht es Wiederhold wirklich so gut, wie sie sagt. Das Geschäft läuft prima. Vor einer höheren Miete muss sie aktuell keine Angst haben. Und auch mit den sinkenden Preisen durch das Internet kommt sie zurecht. Mit dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) kam Wiederhold aus dem Westen in die Hauptstadt. Sie blieb, verliebte sich in die Literatur des früheren Klassenfeinds. Deshalb ist der Osten bei ihr stark vertreten. Literatur auf Russisch und Polnisch deprimiert im Hinterzimmer jeden, der sie lesen will, aber nicht kann. Warum beenden Menschen ihre Berufskarrieren und werden Antiquarinnen? Warum riskieren sie es, im Alter wenig Komfort und nicht genug Geld zu haben? Warum tun sie das, um alte Bücher ohne Heimat zu sammeln, zu pflegen und dann wieder zu verkaufen? Wenn es eine Antwort auf diese Fragen gibt, dann findet man sie hier, in Wiederholds Abteilung mit der russischen Literatur: Die Menschen tun es aus Liebe. Das ist zwar eine schöne Antwort. Sie erklärt aber nicht alles. Was sucht zum Beispiel der Mann hier, der in diesem Moment in den Laden kommt? Ohne einen Gruß steigt er direkt auf die Leiter und Vor 20 Jahren waren in Berlin 129 Antiquariate dokumentiert. Heute sind es 51. An anderen Orten ist es noch schlimmer. Dabei … , hier: Und das, obwohl … das Kaufverhalten , Art, wie jemand einkauft der Nachwuchsmangel , Fehlen von jungen Talenten in einem Sektor die Vers„ndhändlerin, -nen , Chefin einer Firma, die Waren im Internet anbietet und an die Käufer schickt die Gebrauchtbuchhauptstadt, ¿e , ≈ wichtigste Stadt für Second-Hand-Bücher verschw“nden , hier: aufhören, da zu sein p¢tzig , m lieb; süß v¶m Aussterben bedroht , hier: so, dass es diese Sorte Tier in der Natur bald nicht mehr gibt nach , hier: auf Basis von die G„ttung, -en , Genre; Kategorie die {rgelpfeife, -n , einer von mehreren Zylindern eines großen Musikinstruments in der Kirche das Geschæft, -e , hier: Verkauf; wirtschaftliche Aktivität prima laufen her„bsehen auf , hier: aus eigenem Stolz schlecht denken über , hier: so sein, dass man der Mauerpark , Park im früheren Ostteil Berlins mit einem Stück der früheren Berliner Mauer s“ch verlieben “n , anfangen, … zu lieben der Geschm„ck, ¿er , hier: Gefühl, was gute Literatur ist s“ch “n die Seele schauen l„ssen , m viel erzählen, sodass andere etwas über die eigenen Gedanken wissen vorführen , hier: d als Kuriosität präsentieren das Schnabeltier, -e , ≈ dunkles Tier mit langen Haaren und einem Mund wie ein Vogel der Naturfilmer, , ≈ Person, die Naturdokumentationen macht damit gut Geld verdienen kann; gut gehen der Kl„ssenfeind, -e hist. , im Kommunismus: dominierende Klasse in einem gesellschaftlichen Konflikt, z. B. Fabrikbesitzer; hier: Bürger der früheren DDR, der die Politik der DDR-Regieung kritisiert st„rk vertreten sein , hier: ein großer Teil des Sortiments sein deprimieren , traurig machen das H“nterzimmer, , ≈ Zimmer hinten die Leiter, -n , ≈ Gerät zum Rauf- und Runtersteigen, das man wie eine Treppe benutzen kann Deutsch perfekt DIE WELT DER ANTIQUARIATE zieht oben etwas aus der Bücherwand. Oder was will die Frau auf der anderen Seite des Raums? Längere Zeit geht sie im Kreis um den Tisch mit Sartre. Dann bleibt sie vor der Kunst stehen, geht mit dem Finger vorsichtig über die Rückseiten der Impressionisten. Warum kommen sie alle hierher, statt in einer Buchhandlung neue Bücher zu kaufen – Exemplare, die noch niemand vor ihnen gelesen hat? Gründe gibt es so viele wie Kundinnen. Trotzdem werden ein paar Gemeinsamkeiten deutlich. Da ist der Typ Prediger. Er ist Lehrer an einem Gymnasium oder einer Universität. Seine Frau ist gestorben. Etwas zwingt ihn, dem Mann oder der Frau an der Kasse detailliert von der besonders tollen Literatur zu berichten, die er schon gelesen hat. Der Prediger ist wie gemacht für eine Geschichte von Tschechow. Setting: eine Familienwohnung für eine Person und mehrere Tausend Bücher. Thema: die Einsamkeit, der Wunsch, von sich zu erzählen – egal wem und egal wie laut. Da ist der Typ Ästhetin, so wie vielleicht die Frau vor der Impressionisten-Wand. Für sie ist es wichtig, dass Dinge schön gemacht sind. Denn mit einer Sache hat der Kulturpessimismus sicher recht: Früher waren Bücher hübscher. Manche gebundenen Ausgaben von heute muss man nur einmal lesen, schon beginnt ihr Verfall. Wiederholds Bücher sind dazu ein Kontrast: Der Buchrücken ist stärker. Der Buchblock hat Fadenbindung, Leinenbindung, Lesezeichen. Und da sind natürlich die Jäger und Sammler. Ehrlich gesagt, gehöre ich nicht dazu. Auch im Antiquariat Wiederhold sind sie selten zu finden. Sie sind wahrscheinlicher, sie im BerlinAntiquariat im Ortsteil Steglitz zu treffen. Es ist ein schönes Antiquariat auf meinem Weg zum Supermarkt. Die Auslage des Geschäfts sagt: „Tritt ein, wenn du Geld hast und ein Kenner bist!“ Und da ich weder das eine bin noch das andere habe, ist das jetzt mein erster Besuch dort. Die Tür öffnet sich zu einem langen Gang mit Folianten. Am Ende sitzt er: Karl-Heinz Than – ganz anders als Imke Wiederhold und ihr doch ähnlich. Than ist Antiquar und redet gern über sich. 76 Jahre ist er alt. Das ist in der Branche wahrscheinlich Durchschnitt. In einem früheren Leben arbeitete Than bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Vor 40 Jahren kaufte er eine Wohnung in Steglitz und fand in ihr Tausende Bücher. In diesem Moment entschied er, nur noch etwas zu tun, das mehr Sinn macht. Thans Haar ist grau, seinen Kaffee trinkt er nicht im BerlinAntiquariat. Denn dort gibt es keinen Platz für eine Maschine, nur für Kuriositäten, Spezialausgaben und für Ephemera. Das sind Printprodukte mit einer eigentlich sehr kurzen Lebenszeit: Zeitungen, Postkarten, Festivalflyer, Plakate. Die verkauft Than im Internet. Vor allem in der Pandemie waren sie bei Online-Versandhändlerinnen populär, erzählt Than. Dann entschuldigt er sich. Er muss wieder arbeiten. Der historische Roman Der letzte Mohikaner geht gleich in die Post. In Illinois wartet ein Sammler, dem Thans Ausgabe noch zu seinem Glück fehlt. Man kann sich Than vorstellen wie einen Zauberer, nur ohne die typischen Accessoires wie Hut und Bart. Er zaubert die tollsten Geschichten hervor. Und mehr noch: Er bringt die Geschichte selbst zum Leben. Eine kurze Suche im System, und schon liegt er da: ein Stadtführer für München zu den Olympischen Spielen 1936, mit Stadtplan und Hakenkreuz. Als nächstes landen auf Thans Schreibtisch: Zeitungen vom 12. September 2001. Vorne brennen die Twin Towers, hinten gibt’s Werbung und Sport. Nichts ist verschwunden – in Thans Zeitkapsel passiert alles gleichzeitig. Das glaubt man, wenn man ihm lange genug zuhört. Dabei vergisst man leicht: Than selbst ist auch nicht mehr jung. Was wird Wenn es eine Antwort gibt auf die Frage, warum Menschen Karrieren beenden, um Antiquare zu werden, dann heißt sie: aus Liebe. die Bücherwand, ¿e , hier: Bücherregal, das die ganze Wand ausfüllt die R•ckseite, -n , ≈ Seite hinten; hier: schmale Seite von einem Buch zwischen Cover und der Seite hinten die Gemeinsamkeit, -en , hier: Sache, die bei zwei oder mehreren Personen gleich ist der Prediger, , Person, die anderen über den Bibeltext erzählt; hier auch: d Person, die andere immer wieder an etwas erinnert zw“ngen , machen, dass … etwas tun muss wie gem„cht sein für , m ideal passen für geb¢nden , hier: außen mit einem stabilen Material, z. B. Leder oder sehr dickem, harten Papier die Ausgabe, -n , hier: Version, in der ein Buch publiziert wird der Verf„ll , Zustand, dass etwas immer schlechter wird und kaputtgeht der Buchrücken, , schmale Seite von einem Buch zwischen Cover und Rückseite der Buchblock, ¿e/-s , alle (inneren)Seiten eines Buchs zusammen die Fadenbindung, -en , Technik, bei der man Buchseiten mit einem langen, sehr dünnen Ding zusammenmacht die Leinenbindung, -en , mit einem Einband aus einem stabilen Stoff, der aus einer Pflanze gemacht ist (der Einband, ¿e , (stabiler) äußerer Teil eines Buches, der die Buchseiten schützt) 49 das Lesezeichen, - , z. B. Karte oder Blatt, die/das man an die Stelle in einem Buch legt, an der man weiterlesen möchte; hier: ≈ sehr dünnes, langes Stück Stoff am Einband, das man zwischen die Buchseiten legt, an denen man weiterlesen will der Jäger und S„mmler, , hier: Typ Mensch, der systematisch Neues für seine Sammlung sucht gehören zu , ein Teil sein von eintreten , hereinkommen der Foli„nt, -en , besonders stabil gebundenes Buch, oft mit Ornamenten außen die Friedrich-EbertSt“ftung , Organisation mit Verbindung zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands: Sie gibt Geld, z. B. für soziale Hilfsprojekte. n¶ch z¢ seinem Gl•ck fehlen , hier: m noch fehlen, um eine Sammlung komplett zu machen s“ch vorstellen wie , ≈ sich denken wie der Zauberer, - , ≈ Person, die Magie kann hervorzaubern , m machen, dass … plötzlich da ist der St„dtführer, - , hier: Buch mit Informa- tionen über eine Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten der St„dtplan, ¿e , ≈ Landkarte von einer Stadt das Hakenkreuz, -e , Swastika; hier: Symbol der Nationalsozialisten die Zeitkapsel, -n , hier: Ort, an dem Dinge aus der Vergangenheit konserviert werden 50 DIE WELT DER ANTIQUARIATE aus seinem Antiquariat, wenn er nicht mehr kann, nicht mehr will, nicht mehr ist? Darüber will er nicht reden. Noch läuft das Geschäft. Ich wünsche Than, dass er Ephemera noch lange unsterblich macht. Aber ich weiß, was aus Sammlungen wird, wenn die Sammler gehen. Dann kommt Wiederhold und kauft, was übrig ist. In gigantischen Mengen tut sie das mit den Büchern, die nach dem Tod von Menschen zurückbleiben. Die Antiquarin muss sich um Nachschub keine Sorgen machen. Wer liest, habe ich mal gelesen, denkt anders, spricht anders, liebt anders. Der lässt sich von Büchern gern verändern. Mit jedem Buch kommt noch ein Teil der Persönlichkeit ins Regal. Was wird aus diesen Teilen? Wiederhold zeigt auf zwei Regalmeter im Zimmer hinten. Dort steht sie auf Deutsch und Polnisch, die Seele eines Professors für osteuropäische Geschichte. Haben Sie mal an einem Buch gerochen? Manche riechen nach Zigarren, andere nach den Parfüms alter Damen. Blättert man dann durch die Bücher, findet man oft die interessantesten Dinge: Widmungen, Kommentare, Unterstreichungen, aber auch Postkarten, Briefe, getrocknete Blumen. Wie ein Archäologe will man das alles dann untersuchen. Was zum Beispiel wollte Christa dem Jürgen aus Potsdam sagen mit dem Gruß vom Balaton 1984? Man kann es leider nicht lesen. Oder warum hat jemand in Albert Camus’ Der Mythos des Sisyphos diesen Satz unterstrichen und nicht den nächsten: „Absurd aber ist der Zusammenstoß des Irrationalen mit dem heftigen Verlangen nach Klarheit, das im tiefsten Inneren des Menschen laut wird“? Und was ist mit mir? Warum habe ich in dem Bestseller Die rechtschaffenen Mörder von Ingo Schulze an der Stelle ein Ausrufezeichen an den Rand gemalt, in der die zentrale Figur Norbert Paulini kein Böser ist, sondern mein Held? Schulzes Deutsch perfekt Buch ist grandios, gleichzeitig macht es traurig. Paulini ist ein Antiquar aus Dresden. In der DDR ist er ein Star, Held der systemkritischen Bildungselite. Das ändert sich mit dem Fall der Mauer. An der Stelle mit dem Ausrufezeichen geht Paulini über eine Müllkippe. Dort sind überall Bücher, Hunderte, Tausende, Zehntausende. Weggeworfen von einer Bildungselite, die meint, die Bildung nicht mehr zu brauchen. Am liebsten würde ich Schulze anrufen, ihm seine Sätze vorlesen: „Norbert Paulini war ein Sanitäter. Auf immer neuen Pfaden durchwanderte er das Schlachtfeld. Überall wurde er gebraucht, alle riefen ihn an, alle flehten, mitgenommen zu werden.“ Manchmal versteht ein Buch seinen Leser besser als der sich selbst. Aber natürlich würde Schulze wissen, dass Bücher mal das Einzige sein werden, was an Buchmenschen wie ihn, Than, Wiederhold und mich erinnert. Deshalb sollte man vor ihnen Respekt haben. Ihnen Raum geben, damit sie alt werden und zirkulieren können. Denn Bücher müssen von einer Hand in die nächste gehen, Erinnerungen sammeln. Erst dann schauen die Verschwundenen uns durch sie an. Wenigstens für eine kurze Zeit. Mehr kann Kultur nicht, da war Michael Ende mit seiner Unendlichen Geschichte zu kulturoptimistisch. Jede Story hat einen Anfang und ein Ende. Manchmal muss man sich selbst vergewissern, dass man noch da ist. Dann braucht man Bücher. Dann tun sie gut. Zum Beispiel bei einem Käsekuchen im Café. Und wenn die Worte wirken – oder war es der Zucker? –, legt man sein Lesezeichen zwischen die Seiten und zahlt. Man geht. Man isst. Man schläft. Man arbeitet. Man bringt den Müll raus und das Kind in den Kindergarten. Und immer liest man, kann gar nicht aufhören, auch wenn nur eine Viertelstunde bleibt. Satz für Satz. Absatz für Absatz. Bis zur letzten Seite. Bis zum letzten Punkt. Haben Sie schon mal an einem Buch gerochen? Manche riechen nach Zigarren, andere nach den Parfüms alter Damen. unst¡rblich , so, dass es nicht stirbt zur•ckbleiben , hier: nach dem Tod noch bleiben der Nachschub, ¿e , hier: neue Bücher verændern , ≈ ändern der Regalmeter, , ein Meter (volles) Regal der H¡ld, -en , hier: Romanfigur, die etwas sehr Gutes oder Wichtiges macht die B“ldungselite, -n , ≈ soziale Klasse, die an einer guten Schule war oder an der Universität studiert hat der F„ll der Mauer , Öffnung der Grenze 1989 , eine Seite nach der anderen kurz ansehen die M•llkippe, -n , großer Platz, an dem Müll gelagert wird die W“dmung, -en , persönliche Worte, die man in ein Buch schreibt, das man jemandem schenkt der Sanitäter, , Person, die Kranken oder Verletzten direkt hilft, oft noch am Unfallsort die Unterstreichung, -en , Linie unter einem Wort , schmaler Weg blættern d¢rch tr¶cknen , ≈ trocken machen der Zus„mmenstoß, ¿e , Kollision; hier: Zustand, dass zwei Gegenteile gleichzeitig da sind h¡ftig , extrem das Verl„ngen, , extremer Wunsch die Klarheit , von: klar = hier: deutlich; leicht zu verstehen das tiefste |nnere , hier: Psyche des Menschen laut werden , hier: deutlich zu merken sein r¡chtschaffen , ≈ ehrlich der Mœrder, , ≈ Person, die andere mit Absicht totmacht das Ausrufezeichen, , Symbol am Ende eines gerufenen Satzes; ! der R„nd, ¿er , hier: Stelle außen vom Text; äußerer Teil der Seite der Pfad, -e durchw„ndern , hier: nur mit Schwierig- keiten gehen durch das Schl„chtfeld, -er , großes Areal für Kämpfe; hier: großes Chaos (wie nach einem Kampf) flehen , energisch bitten Resp¡kt haben vor , hier: gut zu … sein, weil man weiß, dass sie etwas wert sind Raum geben , ≈ Platz machen für v¶n einer H„nd “n die nächste gehen , hier: geschenkt, noch einmal verkauft oder geliehen werden s“ch vergew“ssern, d„ss … , für sich selbst bestätigen, dass … wahr ist S„tz für S„tz , jeden Satz, einen nach dem anderen der [bsatz, ¿e , Teil von einem Text; Paragraf Deutsch perfekt Annette von Droste-Hülshoff An Cornelia LEICHT AUDIO Du ziehst von uns, und manche teure Stunde Zieht fort mit dir in jenes ferne Land. Wohl weiß ich es, daß in getreuem Bunde Auch dort dir alle Herzen zugewandt. Doch weiß ich auch, dir wird auf fremdem Grunde Nicht fremd die treue, lang gekannte Hand — Und liebend, wie wir dir die Arme breiten, Wirst du zurück an unsre Herzen gleiten. Diesen Text hier kostenlos hören! www.deutsch-perfekt. com/audio-gratis/12 ziehen v¶n , hier: weggehen von teuer , hier: geliebt f¶rt , weg jene (-r/-s) , ≈ diese (-r/-s) f¡rn , weit weg wohl , hier: aber getreu , hier: mit Liebe der B¢nd, ¿e , hier: Kontakt; ≈ Relation zugewandt (sein) , hier: ≈ Interesse und Sympathie (zeigen) D¶ch … , hier: Aber … der Gr¢nd, ¿e , hier: Ort treu , loyal breiten , hier: öffnen, wie für einen lieben Gruß zur•ckgleiten „n , ≈ langsam zurückkom- men zu die B¢rg, -en , ≈ großes, massives Fotos: xxxxxx Sabri Deniz Kizil /Art studio G/Shutterstock.com Illustrationen: Schloss Über die Autorin und ihre Lyrik Annette von Droste-Hülshoff ist 1797 geboren. Sie war eine der wichtigsten Lyrikerinnen ihrer Zeit. Ihre Eltern waren sehr musikalische und literarische Aristokraten. So ist sie später nicht nur eine bekannte Lyrikerin geworden, sondern auch Komponistin. Aber am Ende wählte die Aristokratin für sich die Poesie – und ihre Lyrik war extrem populär. 1848 ist von Droste-Hülshoff auf der Burg Meersburg am Bodensee gestorben. Das ist heute wahrscheinlich die älteste Burg Deutschlands, auf der noch Menschen wohnen. 52 BLINDTEXT Deutsch perfekt „Die deutsche Sprache wurde ein sicherer Ort” Deutsch perfekt ABBAS KHIDER IM INTERVIEW Foto: Andreas Pein/laif Der Schriftsteller Abbas Khider über erste Schreibversuche, die im Feuer endeten, seine Probleme mit der deutschen Sprache im PhilosophieStudium und billige Lyrik-Bücher. Interview: Katharina Menne und Arnfrid Schenk MITTEL PLUS Herr Khider, für die meisten jungen Leute geht das Leben mit 18 richtig los. Sie wurden in dem Alter in Bagdad verhaftet und kamen ins Gefängnis. Warum? In dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, gab es eine starke Opposition gegen den Diktator Saddam Hussein. Hier wohnten die Armen, viele Schiitinnen und Schiiten, wie wir. Ich habe verbotene Bücher von Exilautorinnen und Regimegegnern verkauft, Flugblätter verteilt. Aber das Schlimmste war wahrscheinlich der Kontakt zu Mitgliedern von verbotenen Parteien. Irgendwann haben mich die Leute vom Geheimdienst entdeckt. Jemand hat Ihren Namen verraten? Wahrscheinlich, ich würde es aber nicht Verrat nennen. Die Unmenschlichkeit in den Verhören kann man nicht beschreiben. Ich wurde mit Elektroschocks gefoltert. Manchmal dachte ich, nur der Tod kann mich retten. Können Sie erzählen, was Sie dort erlebt haben? Das Elektroschockgerät hat Kabel mit Klammern. Die werden an die Zehen gesteckt oder an die Finger oder hier (er zeigt auf die Brustwarzen und unter die Gürtellinie). Reden wir nicht darüber. Einmal klingelte das Telefon des Verhörbeamten. Es war seine kleine Tochter. Der Folterer redete plötzlich ganz sanft mit ihr, war ganz Vater. Als das Gespräch zu Ende war, folterte er weiter. Was gab Ihnen die Kraft, durchzuhalten? Die anderen Menschen, die mit mir im Gefängnis waren: Professoren, Politiker, Liberale, Kommunisten – alles Gegner von Saddam. Was sie erzählt haben, gab mir das Gefühl: Ich lerne hier etwas. Am liebsten hätte ich alle Gespräche aufgenommen oder aufgeschrieben. Aber wir hatten ja nicht einmal Papier. Manchmal haben wir etwas in die Wand geritzt, auch Gedichte, viele Gedichte. Wie gern wollte ich diese Wand mitnehmen. In Ihrem ersten Roman Der falsche Inder beschreiben Sie, wie es einem Häftling gelingt, heimlich Papier ins Gefängnis zu bringen. Haben Sie diese Geschichte erlebt? Das war wirklich ich. Ich habe heimlich geschrieben und die Seiten in meiner Hose versteckt. Als ich in die Freiheit und nach Hause kam, wollte ich vor allem eines: essen, viel essen. Danach ging es mir schlecht. Ich lag drei Tage lang im Bett. Als es mir besser ging, fragte ich meine Mutter: Wo ist meine Hose? Sie sagte: Ich habe sie verbrannt, die hat nach dem Gefängnis so gestunken. Es macht mich auch jetzt wieder traurig, dass ich diese Texte nicht mehr habe. Ihre Eltern waren Analphabeten und arbeiteten als Dattelhändler. Was weckte Ihre Liebe zur Literatur? Bei uns zu Hause gab es zwei Bücher: den Koran und den Jahresbericht der Regierung. Den gab es jedes Jahr für alle Menschen im Irak, als Geschenk. In der Schule mussten wir Gedichte auswendig lernen, die den Krieg und Saddam idealisierten. Als Junge habe ich also sehr wenig gelesen. Ich habe nach der Schule lieber Zeit auf dem Dach des Hauses mit meinen Tauben verbracht. Ich war ein richtiger Taubenzüchter. Als ich älter wurde, hat mein Vater es mir verboten. Warum? Der Prophet soll gesagt haben, Taubenzüchter verlieben sich in ihre Tauben und vergessen die anderen Menschen. Kann ich bestätigen! (lacht) Ohne Tauben war eine große Leere in mir. Einer meiner großen Brüder hatte zu der Zeit sehr religiöse Freunde. Einer von ihnen gab mir ein religiöses Buch. Ich las und wollte mehr davon. r“chtig , hier: m wirklich verh„ften , fangen und zur Poli­ zeistation bringen das Gefængnis, -se , Gebäude, in dem kriminelle Personen bleiben müssen 53 der F¶lterer, - , Person, die foltert s„nft , hier: lieb d¢rchhalten , hier: L die Hoffnung verlieren; weiterkämpfen hætte … aufgenommen , Konj. II der Vergan- das Viertel, - genheit von: aufnehmen = hier: als Audio speichern die Exilautorin, -nen , Autorin, die in einem fremden Land schreibt, weil sie in ihrer Heimat aus politischen, ethnischen oder religiösen Gründen nicht mehr leben kann n“cht einmal , hier: ≈ auch nicht , hier: Stadtteil der Regimegegner, , Person: Sie ist gegen das Regime aktiv. Flugblätter verteilen , Informationen auf Zetteln an viele Menschen geben der Geheimdienst, -e , staatliche Organisation, die geheime Informationen aus anderen Ländern mithilfe von Agenten holt und geheime Dinge des ei­ genen Landes vor fremden Agenten schützen soll verraten , etwas Geheimes sagen die }nmenschlichkeit , von: unmenschlich r“tzen , hier: mit einem scharfen Gegenstand in Stein schrei­ ben oder malen das Ged“cht, -e , Poesie Wie g¡rn … , hier: m So gern … f„lsch , hier: L wirklich; fake der Hæftling, -e , Person, die im Gefängnis bleiben muss heimlich , im Geheimen verst¡cken , hier: an einem geheimen Ort haben verbr¡nnen , durch Feuer komplett kaputt machen der [nalphabet, -en = inhuman; schlecht zu anderen Menschen , Person, die nicht (richtig) das Verhör, -e , von: verhören = Fragen stellen, um spezielle Infor­ mationen zu bekommen der D„ttelhändler, , Person, die Datteln kauft und verkauft f¶ltern , mit physischer und psychischer Aggression Angst machen, z. B. bei einem Verhör erleben , als Erfahrung machen die Kl„mmer, -n , Metallende einer Kon­ struktion, das man stabil an etwas machen kann der Zeh, -en , ≈ Finger des Fußes die Br¢stwarze, -n , jede der beiden kleinen, dunklen Stellen vorne am Oberkörper ¢nter der G•rtellinie , ≈ Körper unten; hier: Genitalien lesen und schreiben kann (die D„ttel, -n , sehr süße, dunkelbraune Frucht, die an einer Palme wächst) w¡cken , hier: stimulieren; ≈ geben auswendig l¡rnen , so lernen, dass man es ohne Lesen weiß die Taube, -n , weißer oder grauer Vogel; Friedenssymbol der Taubenzüchter, , Person, die Tauben besitzt und hilft, dass es mehr werden s“ch verlieben “n , anfangen, … zu lieben die Leere , hier: Traurigkeit 54 ABBAS KHIDER IM INTERVIEW Deutsch perfekt „Man denkt an die Familie, die Freunde, man weint viel. Es ist kein Leben.“ der V¡rs, -e , hier: Teil eines Koran­ textes n“chts zu tun haben m“t , hier: keine Beziehung haben zu der Schleier, , hier: Hijab bereuen , es traurig finden, dass man etwas gemacht hat besch“mpfen , ≈ böse Wörter sagen zu Wie alt waren Sie da? Ungefähr 15. Ich lernte dann den Koran auswendig und wollte Imam werden. Den ganzen Koran? Alle Suren, alle Verse, mehr als 6000. Meine religiöse Phase war aber zum Glück kurz. Ich will schon lange nichts mehr mit Religion zu tun haben. Bei vier Mädchen aus meinem Viertel habe ich damals erreicht, dass sie den Schleier tragen. Das bereue ich bis heute. Woher kam dann Ihre Liebe zur Literatur? Auf einem Büchermarkt in Nadschaf beschimpfte ich einen Mann, der nicht nur religiöse Bücher verkaufte, sondern auch philosophische. Der blieb ruhig, gab mir ein Buch und sagte: Lies das, ich will kein Geld dafür. Es war Der Prophet von Khalil Gibran, einem libanesischen Schriftsteller. Danach hatte ich ein Problem: Der Koran ist Gottes Wort, in wunderbarer Sprache. Aber als ich Gibrans Buch gelesen habe, musste ich feststellen: Es gibt einen Menschen, der besser schreiben kann als Gott. Ab diesem Moment wollte ich Schriftsteller werden. Ich las extrem viele Gedichte: die arabischen Übersetzungen von Baudelaire, russische Lyriker, Exilliteratur. Sie waren zwei Jahre im Gefängnis. War wieder in Freiheit für Sie klar, dass Sie aus dem Irak weggehen? Ja. Mir war aber nicht klar, dass ich fast vier Jahre auf der Flucht sein werde, von 1996 bis 2000. War Europa von Anfang an Ihr Ziel? Nein. Ich wollte in Jordanien bleiben und Kontakte in der Opposition finden. Danach wollte ich irgendwann zurück in den Irak und dort gegen Saddam Hussein kämpfen. Warum ist das nicht passiert? Ich bekam keine Aufenthaltserlaubnis, kein Visum. Deshalb ging ich nach Libyen. Ich dachte, dort kann ich Geld sparen und dann wieder zurückgehen. Ich habe auf Baustellen gearbeitet und in Bäckereien in Tripolis. Und ich habe für eine Exilzeitschrift der Opposition mit Sitz in London geschrieben. Wie ging das? Ich habe meine Texte per Brief nach London geschickt. Ob sie publiziert wurden, habe ich erst viel später gewusst. Wir durften immer nach ein paar Monaten nach Tunesien ausreisen. Dort gab es diese Zeitschrift. Da habe ich mich auch mit Büchern eingedeckt, es gab viele philosophische Texte, aus dem Französischen ins Arabische übersetzt. Von einem, der immer weiterging Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. Er wuchs mit acht Geschwistern auf, seine Eltern waren Analphabeten. Mit 18 kam Khider in Saddam Husseins Foltergefängnisse. Wieder in Freiheit floh er und kam vier Jahre später in Deutschland an. Khider machte Abitur, studierte Literatur und Philosophie. Für seine Romane hat er viele Preise bekommen. Sein aktuelles Buch heißt Der Erinnerungsfälscher. die Fl¢cht, -en , von: fliehen = hier: weggehen, um in einem sicheren Land zu leben die Baustelle, -n , Ort, an dem z. B. ein Gebäude gebaut wird Von einem, der immer weiterging der [nalphabet, -en , Person, die nicht (richtig) lesen und schreiben kann das F¶ltergefängnis, -se , Gebäude, in dem Menschen bleiben müssen und gefoltert werden (f¶ltern , mit physischer und psychischer Aggression Angst machen, z. B. um spezielle Informationen zu bekommen) fliehen , hier: weggehen, um in einem sicheren Land zu leben , hier: Ort, an dem das der Preis, -e , hier: Geld oder Ge­ genstand als Lob für einen Schriftsteller ausreisen , aus einem Land weggehen der Er“nnerungsfälscher, , Person, die Erinnerungen so ändert, dass sie nicht mehr authentisch sind der S“tz, -e Büro einer Zeitschrift ist s“ch eindecken m“t , m in großen Mengen kaufen, um für lange Zeit genug … zu haben BLINDTEXT 55 MARKTPLATZ Deutsch perfekt Foto: privat Sprachkurse und Sprachferien Wird diese Zwischenwelt der Flucht irgendwann normal? Ich wusste, wenn ich in den Irak zurückgehe, wartet auf mich das Gefängnis, vielleicht auch der Tod. Man muss weitergehen, man hat keine anderen Optionen. Man hofft, irgendwann irgendwo anzukommen, wo es sicher ist. Das ist alles, was man in dieser Zeit der Flucht braucht. Was haben Sie auf der Flucht gelernt? Was es bedeutet, ausgeliefert zu sein. Wörter wie Menschenrechte gibt es in dieser Welt nicht. Dachten Sie nie daran, zurückzugehen? Doch, natürlich. Die erste Phase der Flucht ist die härteste. Plötzlich ist man allein. Mit wenig Geld und der permanenten Angst, keine Aufenthaltsverlängerung zu bekommen. Wie findet man eine Ärztin, wenn man krank wird? Wie bezahlt man sie? In manchen Momenten fragt man sich, ob es nicht doch einfacher ist, in einer Diktatur zu leben – einfacher als wie ein Hund auf der Straße. Man denkt an die Familie, die Freunde, man weint viel. Es ist kein Leben. Manche Leute bleiben jahrelang in dieser Phase. Sie auch? Ich konnte mich herauskämpfen. Aber es ist hart. Man kämpft gegen sich selbst, will am liebsten nichts mehr fühlen. Warum sind Sie nicht in Libyen geblieben? Nach vier Jahren war auch dort mein Pass nicht mehr gültig. Viele wollten damals nach Europa, irgendwann auch ich. Meine Flucht endete dann in Bayern. Sie haben in kurzer Zeit Deutsch gelernt, danach das Abitur gemacht und Literatur und Philosophie studiert. Wie ist Ihnen das gelungen? Mir hat geholfen, dass ich mich sehr für Grammatik interessiere. Ich habe mich intensiv mit arabischer Grammatik beschäftigt, das war eine gute Basis. Aber das allein ist doch nicht genug … Ich bin sehr ambitioniert, ich wollte das auf jeden Fall. Ich übersetzte deutsche Gedichte ins Arabische, für mich selbst. Dann habe ich die Texte wieder zurück ins Deutsche übersetzt. Das war intensives Sprachtraining. Ich bin jedes die Zw“schenwelt, -en , hier: Sein zwischen zwei Zuständen; unklarer Status ausgeliefert sein , in einer Situation sein, in der andere mit einem machen können, was sie wollen das M¡nschenrecht, -e , garantierte Möglichkei­ ten eines Individuums, z. B. Freiheit, freie Meinung … jahrelang , in der Zeit von mehreren Jahren s“ch herauskämpfen , hier: mit eigenen Kräften kämpfen, um nicht mehr in einer schwierigen Situation zu sein h„rt , hier: sehr schwierig das allein , nur das Learn English in Cornwall ONLINE COURSES NOW AVAILABLE www.learnenglishincornwall.co.uk Julie Tamblin MA - 0044 (0) 1208 871 184 Lernen Sie Italienisch, wo Italien zu Hause ist! Möchten Sie Italienisch lernen und das Piemont mit seiner Kultur, der vorzüglichen Küche und den ausgezeichneten Weinen entdecken? Dann kommen Sie zu uns! Hier wohnen Sie in gemütlichen Appartements und lernen die Sprache – individuell abgestimmt auf Ihre Wünsche und Vorkenntnisse. La Cascina dei Banditi Tel . +39 331 6525424 www.la-cascina-dei-banditi.com Hallo! Wir sind Daniela und Judit, von der Zunsún Academy aus Gran Canaria Mit 10 Jahren Erfahrung haben wir einzigartige, personalisierte Methoden entwickelt, um Spanisch online oder persönlich auf Gran Canaria zu lernen. 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Es gibt extrem langweilige Satzkonstruktionen.“ der Flohmarkt, ¿e , Markt, auf dem Antikes und schon Benutztes angeboten wird gleich , hier: schon; ≈ auch der Verlag, -e , Firma, die Zeitschriften, Zeitungen oder Bücher macht der B¶mbenanschlag, ¿e , kriminelle Aktion, bei Wochenende auf einen Münchener Flohmarkt gegangen, um neue Gedichtbücher zu kaufen. Die Verkäuferinnen kannten mich bald: Da ist wieder der Iraker, der Gedichte sucht, sagten sie. Gab es nicht etwas Leichteres als ein Philosophie-Studium? Schon in Irak habe ich davon geträumt, Literatur und Philosophie zu studieren. Aber klar, es gab harte Phasen: In einem Seminar haben wir gleichzeitig Kant, Hegel und Heidegger gelernt. Ich dachte: Das ist keine Sprache, das ist eine Strafe! Sie haben gleich Ihren ersten Roman auf Deutsch geschrieben. War Arabisch keine Option? Ich musste mich fragen: Wo ist mein Publikum? Ich schreibe über Diktatur – in der arabischen Welt hätte ich kaum Verlage gefunden. Und meine Schwester ist 2007 bei einem Bombenanschlag gestorben. Deshalb ist für mich klar, ich will und kann nicht auf Arabisch schreiben. Die deutsche Sprache wurde ein sicherer Ort. Natürlich hatte ich Angst, auf Deutsch zu schreiben. Ich habe meine ersten Geschichten an Freunde geschickt und gesagt: Lest mal, und sagt nur drei Wörter – entweder „Abbas, hör auf!“ oder „Abbas, mach weiter!“. Ihre Romane handeln oft von Folter, Flucht, Asyl. Wie autobiografisch sind Ihre Bücher? Es ist eine Mischung aus Biografie, Realität und Fiktion. Ich schreibe nicht autobiografisch. Ich habe bis heute sechs Romane publiziert – aus welcher Biografie kann man sechs Romane machen? Nach Ihrem Buch Deutsch für alle wurden Sie bedroht. Warum? Ich schlage darin vor, Deutsch einfacher zu machen, damit Migrantinnen die Sprache leichter lernen können. Das hat manche sehr geärgert. Ich ändere seitdem sehr oft meine E-Mail-Adresse und meine Telefonnummer. Ich bin eigentlich sehr gern mit Menschen zusammen. Das ist eine schlimme Situation für mich. Manche Leute haben das Buch einfach nicht als das verstanden, was es ist: Übertreibung und Satire. Gibt es etwas, das Sie wirklich nicht an der deutschen Sprache mögen? Deutsch ist oft sehr abstrakt. Es gibt extrem langweilige Satzkonstruktionen. Das Ungeheuerlichste aber ist das Deklinieren. Es dauert Jahre, bis man das verstanden hat. Ein paar Präpositionen weniger würden auch helfen. Und was mögen Sie am Deutschen? Ich liebe die Knappheit. Ich rede gern viel. Aber wenn ich schreibe, habe ich die Möglichkeit zum Verdichten. Haben Sie manchmal Heimweh? Um Heimweh haben zu können, braucht man schöne Erinnerungen. Was soll das bei mir sein? Krieg? Gefängnis? Eine weinende Mutter? Meine Mutter saß acht Jahre lang jeden Abend weinend vor den Nachrichten – drei meiner großen Brüder waren im Iran-Irak-Krieg. In Ihrem neuesten Roman Der Erinnerungsfälscher fragt am Ende ein Siebenjähriger seinen Vater, einen Deutschiraker: „Fliegen wir bald nach Bagdad?“ Sie haben einen Sohn in dem Alter. Hat er sie das schon gefragt? Oh, natürlich fragt er. Ich erzähle ihm viel über den Irak. Auch, dass ich geflohen bin, weil ich meine Meinung gesagt habe. Natürlich hätte er gern seine Oma kennengelernt – die hat er bis zu ihrem Tod nur über Skype gesehen. Ich würde ihm diese Welt gern zeigen. Aber es ist einfach zu gefährlich. der mit einer Bombe etwas kaputt gemacht wird das Asyl , Aufenthalt, den ein Staat einem Ausländer erlaubt, weil dieser aus seiner Heimat fliehen musste bedrohen , sagen, dass man Schlimmes mit jemandem machen wird, z. B. um Angst zu machen seitdem , seit dieser Zeit die Übertreibung, -en , von: übertreiben = hier: mit Absicht extremer beschreiben, z. B. um Späße zu machen ungeheuerlich , schrecklich deklinieren , ein Wort in seinen gram­ matischen Formen ändern die Kn„ppheit , von: knapp = hier: kurz verd“chten , hier: in wenigen Worten mitteilen das Heimweh , intensiver Wunsch, in die Heimat zurückzugehen der Er“nnerungsfälscher, , Person, die Erinnerungen so ändert, dass sie nicht mehr authentisch sind einfach , hier: m Das ist die Erklärung. Deutsch perfekt Maria Janitschek Mädchenfrage MITTEL Illustration: Ihnatovich Maryia/Shutterstock.com Als Kind hab ich oft geweint, wusst nicht, warum, nun muss ich oft heimlich lachen, weiß nicht, warum. Es greift in meine Saiten eine rätselhafte Hand, ein Fremdes will mich leiten in ein unbekanntes Land. Seltsam wunderliche Gedanken, die mein Wort nicht nennen kann, baun um mich purpurne Schranken und halten mich in Zauber und Bann. Ich fasse dich nicht o Leben, weiß nicht, wer wir beide sind, weiß nicht, wohin wir streben, wo ich mein Ziel wohl find. Als Kind hab ich oft geweint wusst nicht, warum … nun muss ich oft heimlich lachen, weiß nicht, warum. heimlich , im Geheimen “n die Saiten greifen , mit der Hand die Saiten nehmen und darauf spielen; hier: ≈ die Kontrolle über das Leben bekommen (die Saite, -n , langes, sehr dünnes Teil an einem Musikinstrument (z. B. Gitarre/Cello), das einen Laut macht, wenn man die Hand / einen Gegenstand darüber bewegt) rätselhaft , so, dass man jemanden/ etwas nicht verstehen kann w¢nderlich , so, dass man sich wundert die mein W¶rt n“cht n¡nnen k„nn , die ich nicht beschreiben kann baun , gemeint ist: bauen p¢rpurn , rotviolett die Schr„nke, -n , ≈ Barriere “n Zauber ¢nd B„nn h„lten , hier: machen, dass man sich sehr für ein spezielles Thema interessiert f„ssen , hier: verstehen streben , mit viel Energie versuchen, etwas zu erreichen wohl , hier: denn; wahrscheinlich das Weib, -er , früher: Frau (heute: neg.) }nrecht „ntun , hier: jemandem etwas Böses/Unangenehmes tun Über die Autorin und ihre Lyrik Für eine 1859 in Österreich geborene Frau war es noch sehr viel schwerer als heute für Frauen, Texte zu publizieren. Maria Janitschek fand eine Lösung für das Problem: das männliche Pseudonym Marius Stein. Später stand in ihrer ersten Lyriksammlung die Poesie „Ein modernes Weib“ über eine sehr selbstsichere Frau. Dafür wurde sie sehr kritisiert. Aber Janitschek mochte Frauen, die wissen, was sie wollen. In ihren Texten kämpften sie mit allen Methoden, wenn ihnen Unrecht angetan wurde. So viel ist sicher: Die Lyrikerin war eine frühe Feministin. Die Innovatoren Seine Ideen waren epochal: Vor rund 570 Jahren hat der Mainzer Johannes Gutenberg den Buchdruck möglich gemacht. Überraschend viel erinnert an Mark Zuckerberg, den großen Innovator unserer Zeit. Trotzdem gibt es einen großen Unterschied. Welchen? Von Detlef Esslinger MITTEL Deutsch perfekt N ur mal so eine Idee: Was wäre, wenn Johannes Gutenberg nie gelebt hätte? Und wenn auch niemand anderes die Idee gehabt hätte, wie man Bücher drucken kann? Wenigstens nicht im 15. Jahrhundert? Wäre das nicht ein großes Glück gewesen für die Menschen damals? In Mainz macht immer um neun Uhr am Morgen das Gutenberg-Museum auf. Wenn man heute jemanden einen Büchermenschen nennt, ist das immer als Kompliment gemeint. Aber war das klar, als Johannes Gutenberg, geboren um 1400 in Mainz und dort 1468 auch gestorben, den Buchdruck erfand? Ungefähr 1450 passierte das wahrscheinlich. Der Buchdruck half erst einmal der Elite, vor allem der Kirche. WAS GUTENBERG UND ZUCKERBERG UNTERSCHEIDET gekümmert wurde. „Wenn man sich zuerst um die Sicherheit sorgte und alle Probleme lösen wollte, würde man nie ein Flugzeug entwickeln.“ Ein Grund für einen Vergleich zwischen Zuckerberg und Gutenberg ist nicht, dass die beiden Namen so schön ähnlich sind. Und er ist nicht deshalb absurd, weil es erst 18 Jahre her ist, dass Zuckerberg die Idee zu Facebook hatte. Wenig Zeit im Vergleich dazu, dass Gutenbergs Erfindung in der Renaissance die wichtigste des zweiten Jahrtausends war. Aber: Zuckerbergs Erfindung könnte ähnlich wichtig werden wie die von Gutenberg. Die Konsequenzen kann er täglich sehen, anders als damals Gutenberg. Hatte Gutenberg ein politisches Motiv? Über den Mann ist kaum etwas bekannt. Man weiß nicht einmal, wie er aussah – wahrscheinlich hatte er weder den Bart noch die Mütze, womit er auf allen Bildern Johannes Gutenbergs BuchdruckTechnik half erst einmal der Elite, extrem viel Geld zu verdienen. nur mal so … , m ganz ohne genaue Absicht gelebt hætte , Konj. II der Vergangenheit von: leben das Jahrh¢ndert, -e , ≈ Zeit von 100 Jahren der Büchermensch, -en , m Person, die Bücher liebt ¢m , hier: ungefähr im Jahr erf“nden , hier: sich etwas komplett Neues überlegen und konstruieren die K“rche, -n , hier: römisch-katholi- sche Instanz das Geschæft, -e , hier: wirtschaftliche Aktivitäten “n das Fegefeuer k¶mmen , nach dem Tod zur Strafe zu einem schrecklichen Ort gehen müssen (im katholischen Glauben, weil man etwas Schlechtes gemacht hat) zus„mmensitzen , hier: gemeinsam diskutieren s“ch sagen , hier: denken Illustration: Prachaya Roekdeethaweesab/Shutterstock.com; Foto: picture-alliance/Retuers eines Tages , hier: später einmal 1500 Jahre lang hatte sie versucht, eine überall identische Bibel zu publizieren. Nun war das endlich möglich. Und dann das große Geschäft mit Ablassbriefen. Die Menschen kauften diese Briefe bei der Kirche, oft zum Preis eines Monatslohns. Sie hofften, so nicht in das Fegefeuer zu kommen. Durch den Buchdruck konnte die Kirche extrem viele Briefe herstellen. Mark Zuckerberg wurde vor ein paar Jahren gefragt, was seine Erfindung Face­book noch alles machen wird mit der Welt. Zuckerberg antwortete mit einem historischen Vergleich: „Die aktuelle Diskussion erinnert mich daran, dass man im 18. Jahrhundert zusammengesessen und sich gesagt hat: Oh, eines Tages haben wir vielleicht Flugzeuge, und sie könnten abstürzen.“ Er argumentiert damit, dass trotzdem erst die Flugzeuge entwickelt und sich dann um Flugsicherheit zu sehen ist. Der Mann starb circa 18 Jahre nach seiner Erfindung. So verpasste er deren erste epochale Konsequenz um ein halbes Jahrhundert: Martin Luthers 95 Thesen wären vielleicht ein regionales Phänomen geblieben, wenn der Autor vor Gutenberg gelebt hätte. 1517 aber konnten die Thesen gedruckt werden. Und bald kannte man sie im ganzen Land. Das war der Anfang der evangelischen Kirche. Im Museum versteht man, welche Änderung Gutenbergs Erfindung für die Welt bedeutete. Sie war aber nicht zu viel für die Menschen. Die gedruckten Thesen von Luther mussten auf Pferden in andere Städte gebracht werden, genauso wie noch 200 Jahre später die dann mehr als 100 Zeitungen auf deutschem Gebiet. In der Gutenberg-Galaxis hatten die Menschen noch Zeit, sich an neue Techniken zu gewöhnen. 59 „bstürzen , ≈ nach unten fallen argumentieren , Argumente nennen entw“ckeln , hier: erfinden s“ch s¶rgte ¢m , hier Konj. II von: sich sorgen um = sich Sorgen machen wegen w¶llte , hier Konj. II von: wollen 18 Jahre her sein , genau vor 18 Jahren gewesen sein das Jahrtausend, -e , ≈ Zeit von 1000 Jahren n“cht einmal , hier: ≈ auch nicht die M•tze, -n , ≈ weicher Hut verp„ssen ¢m , (eine genaue Zeit) zu spät sein für das Pferd, -e , schnelles Tier, das man zum Transport verwenden kann das Gebiet, -e , hier: Territorium, das später mal Teil eines Staats ist s“ch gewöhnen „n , hier: anfangen, … zu akzeptieren, weil man es immer besser kennt WAS GUTENBERG UND ZUCKERBERG UNTERSCHEIDET Deutsch perfekt ja , hier: m wie man Die Konsequenzen seiner Idee sieht Mark Zuckerberg täglich. Das war bei Johannes Gutenberg anders. Und in der Zuckerberg-Galaxis? Es ist ja nicht so, wie der Facebook-Erfinder es erzählt: dass er 2004 nur das nächste Medium nach „Zeitungen, Telefonen, Fernsehern“ erfunden hätte. Auch mit seinem Medium fängt genauso eine neue Epoche an wie im 15. Jahrhundert mit dem Buchdruck. Die epochale Änderung bei Gutenberg war, dass Texte nun von sehr vielen Menschen gelesen werden konnten. Bei Zuckerberg ist die Änderung, dass nun alle Menschen senden und empfangen können. Aber weil das in wenigen Jahren passierte, ist seine Erfindung viel brutaler. 1464 war man über die Distanz noch genauso in Kontakt wie 1450. Aber 2022? Ist alles ganz anders als 2008. Vor Zuckerberg brauchte jeder, der senden wollte, einen Verlag, eine Fernsehoder eine Radiostation. Nun kann jeder senden, was er für die Wahrheit hält. Die was? In der Zuckerberg-Galaxis gibt es ein Deutungs-Polypol. Es hat das Deutungs-Monopol der bekannten Medien aus der Gutenberg-Galaxis beendet. „And that’s the way it is“, man kann es nicht ändern – mit dem Satz beendete der amerikanische Moderator Walter Cronkite 19 Jahre lang seine Abendnachrichten, bis 1981. Wie arrogant! Heute kann jeder selbst einmal kurz Cronkite sein; zwar nicht immer mit Millionenpublikum, aber mit der technischen Chance darauf. Vielleicht war es ja wirklich so, wie Mark Zuckerberg es immer erzählt. Dass h„lten für , hier: meinen, dass etwas weiß … ist s¡nden die Deutung, -en , ≈ Interpretation , hier: einem (größeren) Publikum mitteilen brutal , hier: mit extremen Änderungen, die auch Schwierigkeiten bringen der Verlag, -e , Firma, die Zeitschriften, Zeitungen oder Bücher macht der Moderator, Moderatoren , hier: Person, die die Nachrichten präsentiert Wie arrog„nt! , d So stolz! Illustration: chempina/Shutterstock.com; Foto: Kaspars Grinvals/Shutterstock.com; Quelle: Dies ist eine einfachere Version eines Texts aus der Süddeutschen Zeitung. 60 Deutsch perfekt LESERSERVICE Fragen zu Abonnement und Einzelbestellungen (customer service, subscriptions) seine „Mission“ nur war, „die Welt mitei­ nander zu verbinden“. Vielleicht ist das wenigstens die halbe Wahrheit. Aber frühere Manager von Facebook haben berichtet, welche Absicht wirklich die Motivation war: Facebook so zu kon­struieren, dass die Menschen maximal viel Zeit dort verbringen. Je länger sie bleiben, umso mehr Daten für die Firma. Umso passendere Werbung kann diese zeigen. Umso mehr Geld kann sie mit ihnen verdienen. „Facebook ist legales Crack“, sagt Zuckerbergs früherer Manager Antonio Martínez. Crack ist deshalb ein gutes Wort dafür, weil Facebook schlimme Konsequenzen hat. Seine Algorithmen zeigen jedem, der die Welt für eine Verschwörung hält, Verschwörungstheorien. Hörensagen machen sie zur Basis realer Kommunikation. Sie geben Propagandisten die Chance, Diskussionen zu manipulieren. Sie geben russischen Trollfabriken eine Bühne, ohne dass Benutzerinnen eine Chance haben, diese als solche zu erkennen. Johannes Gutenberg war gut im Geldverdienen. Er erfand zum Beispiel Pilgerspiegel, wie er es nannte. Schon zu seiner Zeit fuhren die Menschen nach Aachen, wo alle sieben Jahre ein Kleid, eine Windel und zwei Stoffe gezeigt wurden. Man sagte, dass sie von Maria, Jesus und Johannes dem Täufer sind. Die Pilger standen davor, hielten Gutenbergs Spiegel hin und hofften, dass sie so etwas von der Kraft der Reliquien bekommen würden. Es muss ausgesehen haben wie heute, wenn die Leute ihre Smartphones in die Luft halten. die Verschwörung, -en , Idee, dass die Welt auf Basis eines geheimen Plans (z. B. einer Elite) kontrolliert wird das Hörensagen , hier: Information, die man von anderen Menschen gehört hat die Bühne, -n , hier: Publikum s¶lche , diese „lle sieben Jahre , einmal in sieben Jahren die W“ndel, -n , ≈ Hose für Babys, die noch nicht selbst zur Toilette gehen können (z. B. Pampers) der Täufer, , Person, die ein Ritual macht: So wird man Christ. der P“lger, , Person, die eine Reise zu einem religiösen Ort macht h“nhalten , ≈ in eine Richtung nach oben halten Unser Serviceportal erreichen Sie 24 Stunden täglich unter: https://kundenportal.spotlight-­verlag.de Privatkunden und Buchhändler Tel. +49 (0) 89 / 12 14 07 10, Fax +49 (0) 89 / 12 14 07 11, abo@spotlight-verlag.de Lehrer, Trainer und Firmen Tel. +49 (0) 89 / 95 46 77 07, Fax +49 (0) 89 / 95 46 77 08, lehrer@spotlight-verlag.de Einzelverkauf und Shop Tel. +49 (0)89/95 46 99 55, sprachenshop@spotlight-verlag.de Unsere Servicezeiten Montag bis Freitag: 8 bis 20 Uhr, Samstag: 9 bis 14 Uhr Postanschrift Spotlight Verlag GmbH Kundenservice, 20080 Hamburg/ Deutschland Konditionen Abonnement pro Ausgabe (14 Ausgaben p. a.) Deutschland 8,50 € inklusive Mehrwertsteuer und Versandkosten, Österreich 9 € inkl. 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LEICHT Foto: picture alliance/United Archives D ie Fragen auf der Website erinnern ein bisschen an den Besuch beim Einwohnermeldeamt: „Haarfarbe“, „Augenfarbe“, „Wohnort“? Ein Kreuz muss hinter „männlich“, „weiblich“ oder „divers“. Dann aber: „Reithosen sind sehr praktisch. Welche Farbe soll deine Hose haben?“, „Musik an, die Party geht los, welches ist dein Lieblingslied?“, und: „Auf unserem Hof gibt es viele Ponys. Welches hast du besonders lieb?“ Die zwei Pferdemädchen Bibi und Tina, das Schwein Peppa oder Disneys populäre Eisprinzessin Elsa – sie alle haben jetzt Platz für neue Charaktere im Plot: Kinder dürfen bei ihren Abenteuern mitmachen. Ein paar Klicks, und schon können Eltern sie mithilfe von Comicmodellen zum Sidekick der Erzählung machen. Ein paar Tage später liegt das individuell designte Buch dann gedruckt im Briefkasten. Tiger und Bär von dem bekannten Kinderbuchautor Janosch waren gestern. Jetzt heißt es Tiger und Bär und Paul. Und dann ist da Conni. Die Kinderbuchheldin übernachtet nicht mehr bei ihrer Freundin Jule, sondern bei Noah, Emma oder Marie. Auch der beste Freund aus der Kita kann Teil der Story werden. Oder auch Mama und Papa. Was ist passiert? Wird die größte Kinderphantasie real, einmal die geliebten Idole zu treffen? Oder sind Elsa, Batman und die Biene Maja langweilig geworden – und brauchen deshalb Hilfe von ihrem Publikum? Es sind ja nicht nur die Bücher. Bei personalisierten Puzzles setzen Kleinkinder ihre eigenen Gesichter zusammen. Im Memoryspiel sind nicht mehr nur Apfel und Apfel zusammen ein Paar. Jetzt kommt Selfie zu Selfie, anderes Selfie zu anderem Selfie und immer mehr und noch mehr Selfies zu immer mehr und noch mehr Selfies. Narzisstische Früherziehung – so könnte man zu diesem Phänomen auf dem Markt der Kinderprodukte sagen. Eltern kaufen immer mehr Bücher und Spiele mit den Gesichtern ihrer Kinder darauf. So wie Hardcore-Fans Merchandise ihrer Lieblingsband. Wollen sie ihre Kinder damit vorbereiten auf das Leben zwischen Instagram und TikTok? Ein Leben voll mit Bildern des eigenen Ichs? Das ist natürlich logisch. Die Obsession mit dem eigenen Gesicht beginnt direkt nach der Geburt. Extrem viele Selfies dokumentieren die Elternzeit mit dem Baby. Bei der Kita-Eingewöhnung machen Erzieherinnen und KINDERBÜCHER das Einwohner­­ m¡lde­amt, ¿er , kommunale Administration: Dort meldet man seinen Wohnort an. die Reithose, -n 63 die K“nderbuch­ heldin, -nen , wichtiges Mädchen aus einem Kinderbuch: Man findet es toll und mag es. übern„chten , enge Sporthose: Man , schlafen; eine Nacht (das Pferd, -e , Tier: Man kann auf ihm sitzen. Kleines Pferd = Pony) die Kita, -s , kurz für: Kindertagesstätte = Institution: Dort passen Pädagogen auf Kinder auf. trägt sie, wenn man auf einem Pferd sitzt. „n , hier: m kurz für: anmachen losgehen , hier: beginnen der Hof, ¿e , hier: Areal mit Pferden, z. B. für den Sport lieb haben , mögen das Pferdemädchen, , m d Mädchen: Es liebt Pferde. das Abenteuer, , gefährliche Erfahrung: Man macht sie im Alltag nicht oft. der Bär, -en , großes, braunes Tier: Es lebt im Wald (z. B. in Kanada oder Alaska). … waren g¡stern , hier: m … sind nicht mehr aktuell ¡s heißt … , hier: normal ist … bleiben die Biene, -n , kleines schwarz-gelbes Tier: Es fliegt von Blume zu Blume. personalisieren , hier: individuell designen zus„mmensetzen , hier: kombinieren die Früherziehung , ≈ Unterricht in einer Sache schon so früh wie möglich vorbereiten auf , hier: Wissen und Kennt- nisse geben für die ]lternzeit, -en , ≈ Urlaub für Eltern: In einer Zeit von drei Jahren können sie sich um ihr Baby kümmern. Ihre Firma darf ihnen in dieser Zeit nicht kündigen. die Kita-Eingewöh­ nung, -en , Kitastart für ein Kind: Es lernt noch, ohne seine Eltern zu sein. die Erzieherin, -nen , Pädagogin 64 KINDERBÜCHER Erzieher mit der Kamera weiter. Gleiches passiert bei den Playdates der Kleinen. Und auch Omas und Opas sieht man auf dem Spielplatz immer nur halb: Sie halten sich ein Smartphone vor das Gesicht, um das Lachen des Enkelkinds zu archivieren. Ein Puzzle mit Selfie darauf ist dann eigentlich keine Überraschung mehr. Die vielen Bilder von uns selbst sind unsere Realität. Und ist es nicht der Job von Eltern, ihre Kinder auf die Realität vorzubereiten? Die Frage ist, ob Kinder damit etwas anfangen können. Natürlich lieben sie Elsa und den Feuerwehrmann Sam. Wollen sein wie Ritter Trenk. Laufen viele Wochen herum wie Ronja Räubertochter. Und planen lange vor Karneval das Harry-Potter-Kostüm. Aber ein kleines Wort macht hier den Unterschied. Man möchte wie jemand sein – aber man möchte diesen Jemand nicht ersetzen. Kinder rufen: „Ich bin der! Ich bin die!“, und wählen auf einer Bilderbuchseite eine Lieblingsfigur. „Identifikatorisches Lesen“ heißt das in der Literaturwissenschaft. Ist es nicht falsch, Kindern diese Option zu nehmen? Denn mit einem Bild von sich selbst kommen sie gleich wieder aus der Fantasie zurück zum realen Ich. Auch hyperrealistische Kinderbücher wie die mit Conni oder Bobo Siebenschläfer tun das nicht. 1936 hat der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan über einen sehr wichtigen Moment geschrieben: Was passiert, wenn ein Kleinkind sich Vielleicht helfen die individuell gemachten Bücher weniger den Kindern und mehr den Eltern. Deutsch perfekt der/die Kleine, -n , hier: m Kind ¡twas „nfangen kœnnen m“t , m gut finden; mögen der R“tter, , Mann im Mittelalter: Er streitet in einem Anzug aus Metall. (das M“ttelalter , historische Zeit von circa 500 bis 1500 nach Christus) her¢mlaufen wie , hier: m den Look tragen von die Räubertochter, , Tochter von einem Räuber (der Räuber, , Person: Sie nimmt anderen etwas weg.) ers¡tzen , hier: selbst an die Stelle kommen von das B“lderbuch, ¿er , Buch wie ein Comic: Eine Seite ist meistens eine Szene. die Figur, -en , hier: Charakter identifikatorisches Lesen , Prozess beim Lesen: Man denkt: Ich bin (wie) eine Figur aus der Erzählung. die Literaturwissenschaft das erste Mal selbst bewusst im Spiegel sieht? Bis zu diesem Moment hat es im Bewusstsein nur mit Teilen seines Ichs gelebt. Denn das Kind konnte mit den eigenen Augen nur die Arme, Beine oder den Bauch sehen, aber nicht das eigene Gesicht von außen. Jetzt sieht sich der kleine Mensch also zum ersten Mal komplett – und feiert das mit Euphorie. Der erste Kontakt mit dem kompletten Ich findet aber nur mit einem Bild statt, durch einen Spiegel. Leider bedeutet das gleich wieder eine Entfremdung. Denn ein Bild gibt immer Raum für Projektionen, für Hybris und Allmachtsfantasien. Schon Narziss wurde verrückt und unglücklich, als er sich in sein eigenes Spiegelbild im Wasser verliebte. Den Kleinen aber ist das alles ziemlich egal. Das sieht man beim Auspacken der Geschenke auf der Geburtstagsfeier. Sie freuen sich über ein personalisiertes Batman-Buch – so wie sie sich über jedes andere neue Buch freuen. Tiger und Bär können Tiger und Bär bleiben. Wahrscheinlich ist das alles mehr eine pädagogische Aufgabe der Eltern für sich selbst. Ein personalisiertes Buch kann ihnen helfen, durch das viele Ich nicht verrückt zu werden. Zum Beispiel ein individuell gemachtes Wimmelbuch. In dem speziellen Bilderbuch ist die Welt groß und man selbst ganz klein. Ein Mensch neben vielen anderen. Hier der Eisverkäufer, da Leute an der Bushaltestelle. Jemand läuft hinter dem Bus, wird ihn wahrscheinlich verpassen. Vielleicht findet man sich in dem allen selbst. Oder aber – für einen kleinen ruhigen Moment – auch einmal nicht. , viel systematisches Wissen im Sektor Literatur hyperrealistisch , extrem realistisch; realistischer als normal der Siebenschläfer, - , kleines graues Tier: Es lebt in Bäumen und schläft viele Wintermonate lang. hier: Siebenschläferkind als Kinderbuchheld bew¢sst , hier: mit Bewusstsein (das Bew¢sstsein , hier: Erfahrung: Ich habe ein Ich, ein eigenes Denken und eigene Emotionen.) die Entfr¡mdung , von: sich entfremden von = die emotionale Verbindung verlieren zu Raum geben für , möglich machen die Hybris , Emotion/Denken: Man glaubt, man selbst ist besser als andere. die [llmachtsfantasie, -n , Denken: Man kann alles und kann andere Menschen kontrollieren. das Spiegelbild, -er , ≈ Reflexion s“ch verlieben “n , beginnen, … zu lieben das W“mmelbuch, ¿er , Buch zum Spielen: Es zeigt volle Szenen. In dem Chaos muss man eine spezielle Figur finden. Deutsch perfekt Kurt Schwitters Cigarren [elementar] Illustration: dramaj/Shutterstock.com Cigarren Ci garr ren Ce i ge a err err e en Ce CeI CeIGe CeIGeA CeIGeAErr CeIGeAErrEr CeIGeAErrErr CeIGeAErrErr ErrEEn EEn En Ce i ge a err err e en Ci garr ren Cigarren (Den letzten Vers singt man). Über den Autor und seine Lyrik Kurt Schwitters, geboren 1887, hatte viele Berufe: Er war zum Beispiel Maler, Poet und Grafiker im Marketing. Sehr bekannt ist Schwitters aber als Dadaist geworden. Er spielte sprachlich und typografisch mit Wörtern und hat mit Merz ein dadaistisches Manifest geschrieben. Für andere Dadaisten war Dadaismus keine Kunst. Aber für den Mann aus Hannover war seine Merz-Kunst wirklich Kunst, sehr individuelle Kunst. 1937 ist Schwitters wegen den Nationalsozialisten nach Norwegen emigriert, später nach England. Dort ist er 1948 gestorben. LEICHT die Cig„rre, -n , heute: die Zigarre, -n der V¡rs, -e , hier: Zeile in einem Gedicht der Maler, , Person: Sie macht Bilder. die K¢nst, ¿e , ästhetische Dinge (z. B. Bilder, Literatur, Musik oder Skulpturen) 66 SIEBEN FRAGEN ZUM SCHLUSS Deutsch perfekt „Lest, was euch Freude bringt!“ Was macht ein Buch gut? Literaturbloggerin Karla Paul erzählt von der Liebe zu Sätzen – und warum sie mit dem Lesen mancher Bücher ganz schnell wieder aufhört. MITTEL Buchbesprechung als sachliche Stilkritik. Blogger beschreiben meist die persönliche Leseerfahrung. Das ergänzt sich. Ich mag es gar nicht, da zu polarisieren, sondern freue mich über jeden Ort für Literatur. Was macht ein Buch für Sie gut? Zuerst einmal ist ein gutes Buch nicht automatisch erfolgreich – und umgekehrt ein erfolgreiches Buch nicht immer gut. Für mich muss ein gutes Buch viel mitbringen. Es kann einen tollen Stil haben, poetische oder besonders schlagfertige Sätze. Ideal ist es, wenn ich nach dem Lesen feststelle: Das Buch hat mich verändert. Ich habe etwas gelernt. Und ich habe mich in seine Sätze verliebt. Behalten Sie diese Bücher? Ist Ihre Wohnung eine Bibliothek voll mit Bücherregalen? Zu Hause trifft meine Literaturliebe auf Minimalismus: Ich behalte nur ganz wenige Bücher. Von den Verlagen bekomme ich viele Bücher elektronisch. Print ist mir am liebsten, weil ich damit gut arbeiten kann. Ich schreibe Kommentare in die Bücher, die Seiten bekommen Knicke, manche reiße ich raus. Man sieht ihnen wirklich an, dass ich mit ihnen lebe. Haben Sie Buchempfehlungen für Menschen, die Deutsch lernen? Vom Ende der Einsamkeit von Benedict Wells, Bergland von Jarka Kubsova und Sei klug und halte dich an Wunder von Mascha Kaléko. Die sind alle unkompliziert geschrieben, sehr unterhaltsam und so ergreifend, dass man mögliche Sprachbarrieren schnell vergisst. Ich empfehle allen Menschen: Wenn euch ein Buch nichts gibt, dann weg damit – auch wenn andere sagen, dass man es gelesen haben muss. Lest das, was euch Freude bringt! Interview: Eva Pfeiffer die Buchbesprechung, -en , von: ein Buch besprechen = über ein Buch sprechen und sagen, was daran gut ist und was nicht moderieren , hier: ein Gespräch zwischen zwei oder mehr Personen dadurch leiten, dass man Fragen formuliert ¡s geht ¢m … , das Thema / der Inhalt ist … verm“tteln , hier: zeigen; (weiter-) geben; erklären der Verlag, -e , Firma, die Zeitschriften, Zeitungen oder Bücher macht transpar¡nt , hier: so, dass man öffentlich, ehrlich und im Detail darüber spricht Einfluss haben auf , ≈ einen Effekt haben auf zus„mmenwirken , zusammen einen Effekt haben der Feuilleton“st, -en franz. , Journalist: Er schreibt über Kulturthemen, z. B. in einer Zeitung. der H“ntergrund, ¿e , hier: Ziel; auch: Ausbildung erf¶lgreich , hier: so, dass man viel Erfolg hat ¢mgekehrt , ≈ genau das Gegenteil schlagfertig , so, dass man mit Worten schnell und passend reagiert verændern , anders machen s“ch verlieben “n , beginnen, … zu lieben der Kn“ck, -e , ≈ extreme Kurve rausreißen , m hier: mit einer schnellen Handbewegung aus dem Buch nehmen „nsehen , hier: an … erkennen, dass … klug , intelligent s“ch h„lten „n , sich orientieren an das W¢nder, - , hier: ≈ besonders gute Sache; positive Überraschung unterh„ltsam , L langweilig ergreifend , so, dass es einen intensiven Effekt auf die Gefühle hat n“chts geben , nichts bedeuten Karla Paul (39) ist Deutschlands bekannteste Buchbloggerin. Auf ihren digitalen „Buchkolumne“-Kanälen und in ihrem Podcast „Long Story Short“ gibt die Hamburgerin Leseempfehlungen. Foto: Simone Hawlisch; Illustration: GoodStudio/Shutterstock.com Frau Paul, auf Ihren Kanälen findet man keine negativen Buchkritiken. Warum? Das ist eine Frage der Lebenszeit. Für eine Buchbesprechung brauche ich inklusive Lesen circa einen Tag. Das ist viel Zeit, wenn ich das Buch nicht mag. Deshalb lege ich es weg, wenn ich nach 30 oder auch 100 Seiten merke, dass es mir nicht gefällt. Ich will mich bei meiner Arbeit auf Empfehlungen konzentrieren. Sie nennen sich selbst eine Literaturlobby­istin. Was genau bedeutet das? In meinem Beruf mache ich viele verschiedene Dinge: bloggen, moderieren, übersetzen und mehr. Bei allem geht es darum, Literatur zu vermitteln. Deshalb finde ich das Wort Lobbyistin passend. Für meine Arbeit bekomme ich Geld von Verlagen und Buchhandlungen. Es ist mir wichtig, das transparent zu machen. Ich nehme aber keine Bezahlung für die Besprechung eines Buchs, das ich nicht mag. WievielEinflusshabenSieaufdenErfolgeinesBuchs? Da wirkt vieles zusammen. Ich denke, dass der Effekt einer einzelnen Besprechung nicht so groß ist. Aber wenn andere das Buch auf einem meiner Kanäle entdecken und dann auch besprechen, ist das schon etwas anderes. Eine Käuferin oder ein Käufer braucht im Durchschnitt fünfmal Kontakt mit einem Buch, bevor sie oder er es kauft. Einen besonders großen Effekt hat es, wenn ein Buch im Fernsehen vorgestellt wird, zum Beispiel in einer Talkshow oder in der Sendung „Das Literarische Quartett“. Was ist der Unterschied in der Arbeit von Buchbloggerinnen und Feuilletonisten? Feuilletonistinnen haben einen anderen Hintergrund und einen anderen Blick. Sie verstehen die Aufgabe einer Deutsch-Trainer für unterwegs. 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