Julika Göb Marketing Intelligence GABLER RESEARCH Julika Göb Marketing Intelligence Wissen als Entscheidungsgrundlage im Marketing RESEARCH Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. Dissertation Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 2009 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Jutta Hinrichsen Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2184-0 Geleitwort Geleitwort Im Marketing die „richtigen“, d.h. die im Markt und gegen die Wettbewerber erfolgreichen Entscheidungen zu treffen, stellt bekanntlich ein besonders unsicheres und riskantes Unterfangen dar. Entsprechend groß ist daher der Bedarf an Entscheidungsunterstützung. Entscheidungsrelevant sind dabei nicht nur Marktforschungsdaten in aggregierter Form, sondern zum Beispiel auch individuelle Kundendaten, Vertriebsdaten, Daten aus dem Marketingcontrolling, Daten über Technologieentwicklungen usw., usw.. Der Entscheider will aber nicht mit immer mehr Einzeldaten überschüttet werden; er benötigt die Informationen in problembezogen zusammengeführter und verdichteter Weise, möglichst mit angesammeltem Erfahrungswissen angereichert und zudem ausgerichtet auf seinen spezifischen, subjektiv ausgeprägten kognitiven Entscheidungsstil. Über das traditionelle Fremdbild und Selbstverständnis der betrieblichen bzw. institutionellen Marktforschung reicht dieser Anspruch weit hinaus. Dafür hat sich in den letzten Jahren in Theorie und Praxis der Begriff der „Marketing Intelligence“ etabliert. Frau Göb beleuchtet nach einführenden und grundlegenden Ausführungen zuerst die Seite der Nachfrage nach marketingrelevanten Informationen, um dieser dann die Angebotsseite gegenüber zu stellen (Teile 3 und 4). Marketing Intelligence hat zum Ziel, die in der Praxis zu registrierende Kluft zwischen beiden Seiten durch eine gezielte (objektive) Entscheidungs- und (subjektive) Entscheiderunterstützung zu überbrücken. Dem Begriff und theoretischen Fundament von Marketing Intelligence ist daher der nächste Hauptteil gewidmet. Teil 5 befasst sich dann unter dem Stichwort des „Marketing Intelligence Cycle“ mit der konkreten Ausgestaltung dieses Konzepts. Frau Göb präsentiert es als eine Lernspirale, die von der Daten- über die Informationsebene zur Problemlösung auf der Grundlage von explizitem und implizitem Marketingwissen führt. Dieser Prozess ist für jede Einzelentscheidung zu durchlaufen, insbesondere aber institutionell in der lernenden Organisation „Unternehmen“ zu etablieren. Mit guter Begründung weist Frau Göb schließlich der Marktforschung die tragende Rolle für den fälligen Übergang von ihrem traditionellen Aufgabenfeld zum modernen Konzept der Marketing Intelligence im Sinne wissensbasierter Marketingberatung zu – eine große Herausforderung an die Marktforschung! VI Geleitwort Frau Göb hat als Mitarbeiterin des Marketinglehrstuhls der Universität Bamberg eine für die Marketingpraxis höchst bedeutsame und aktuelle Thematik aufgegriffen, der bislang im deutschsprachigen Raum noch kaum die notwendige Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. Ihrer innovativen und theoretisch gut fundierten Arbeit ist fachwissenschaftliche Beachtung ebenso zu wünschen wie breite Resonanz in der Marketing- bzw. Marktforschungspraxis. Prof. Dr. Frank Wimmer Vorwort Vorwort So interessant das Dissertationsthema auch sein mag, empfindet man doch nach Abschluss der Promotion zunächst eine große Erleichterung. Hinzu kommt natürlich auch ein wenig Stolz, dass man dieses Projekt erfolgreich zu Ende gebracht hat. Darüber hinaus stellt sich ein weiteres tiefes Empfinden ein: Dankbarkeit. Dankbarkeit den Personen gegenüber, die dieses Projekt nicht nur ermöglicht, sondern mich dabei unterstützt und begleitet haben. Diesen Personen möchte ich meinen persönlichen Dank aussprechen. An erster Stelle möchte ich mich bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Frank Wimmer für die umfassende, mit großem persönlichem Interesse und Engagement verbundene Betreuung meiner Dissertation sowie die angenehme Zusammenarbeit und Arbeitsatmosphäre an seinem Lehrstuhl bedanken. Ihm sowie dem gesamtem Team des Lehrstuhls für Absatzwirtschaft an der Universität Bamberg verdanke ich eine fachlich sowie persönlich sehr prägende Zeit. Namentlich möchte ich meinen beiden ehemaligen Kolleginnen Frau Dr. Verena Rath und Frau Dr. Christina Stötzel für die stets motivierende und herzliche Unterstützung danken. Herrn Prof. Dr. Johann Engelhard danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Weiterhin möchte ich Herrn Holger Dietrich für die zahlreichen fruchtbaren inhaltlichen Diskussionen sowie für die kritische und sorgfältige Durchsicht des Manuskripts danken. Mein Dank gilt auch Herrn Dr. Raimund Wildner und Herrn Wolfgang Twardawa für den stets zielführenden gedanklichen Austausch. Schließlich danke ich allen Interviewpartnern, dass sie sich Zeit genommen und mich bei meiner empirischen Untersuchung unterstützt haben. Ganz besonderer Dank gebührt schließlich meiner Familie. Meinen Eltern und Großeltern danke ich für die vielfältige Unterstützung im Entstehungsprozess dieser Arbeit. Auch möchte ich mich bei meinem Bruder Sebastian und meiner (hoffentlich) zukünftigen Schwägerin Marisa für ihre Hilfe bedanken. Besonders Marisa danke ich dabei ganz herzlich für die intensive Lektüre des Manuskripts. Mein größter Dank gilt meinem Freund Hubertus für seine zahlreichen konstruktiven fachlichen Anregungen sowie sein nahezu unerschöpfliches Verständnis, seine stete Ermutigung und seinen kontinuierlichen Beistand auch in schwierigsten Zeiten. Julika Göb Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ............................................................................................ XIII Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................... XV 1 2 3 Einleitung ................................................................................................... 1 1.1 Problemhintergrund und Gegenstandsbereich der Arbeit ....................... 1 1.2 Zielsetzung und methodisches Vorgehen ................................................. 4 1.3 Empirische Untersuchung .......................................................................... 7 1.4 Aufbau der Arbeit ...................................................................................... 10 Entscheidungssituation im Marketing .................................................. 13 2.1 Marketing als markt- und kundenorientiertes Entscheidungsverhalten ........................................................................... 13 2.2 Marketinginformationen als Entscheidungsgrundlage .......................... 15 2.3 Verbesserung der Entscheidungsqualität im Marketing durch Marketing Intelligence ............................................................................... 17 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen ............ 21 3.1 Entscheidungstheoretische Analyse der Nachfrageseite von Marketinginformationen – Die Entscheidungsseite im Marketing ......... 21 3.1.1 Objektiv-sachliche Ebene ..................................................................... 21 3.1.1.1 3.1.1.2 Aufgaben des Marketingmanagements .......................................... 21 Idealtypische Ausprägungen von Marketingentscheidungen .......... 25 3.1.1.2.1 Strategisch geprägte Marketingentscheidungen ......................... 25 3.1.1.2.2 Operativ geprägte Routineentscheidungen im Marketing ............ 28 3.1.2 Subjektiv-persönliche Ebene ................................................................. 32 3.1.2.1 3.1.2.2 Theoretische Grundlagen zum Entscheidungsverhalten von Managern ....................................................................................... 32 Einfluss kognitiver Merkmale auf das Entscheiderverhalten ........... 38 3.1.2.3 Entscheidungsstile und Entscheidertypen ...................................... 42 3.1.2.3.1 Kognitive Stile von Persönlichkeitstypen ..................................... 42 3.1.2.3.2 Analytischer versus heuristischer Entscheidungsstil ................... 49 3.1.2.3.3 Idealtypische Problemlösestrategien von Marketingentscheidern ............................................................... 53 X Inhaltsverzeichnis 3.2 Analyse der Leistungen auf der Angebotsseite von Marketinginformationen – Die Datenseite im Marketing......................... 57 3.2.1 3.2.2 3.2.2.1 Systematisierung potenziell entscheidungsrelevanter 3.2.2.2 3.2.2.3 Marketingdaten .............................................................................. 60 Intern anfallende Marketingdaten ................................................... 62 Extern zu erhebende Marketingdaten ............................................. 69 3.2.2.4 Aggregierte Markt- bzw. Marktforschungsdaten ............................. 73 3.2.3 3.3 Grundlegende Begrifflichkeiten ............................................................. 57 Informationsangebot für das Marketing ................................................. 60 Schaffung einer fundierten Informationsgrundlage für das Marketing ............................................................................................. 80 Kluft zwischen Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen............................................................................ 82 4 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence – Entwicklung eines Konzepts zur Überbrückung der Kluft zwischen Angebots- und Nachfrageseite von Marketinginformationen ......................................................................... 87 4.1 Begriffliche Präzisierung von Marketing Intelligence ............................. 87 4.1.1 4.1.2 „Intelligenz“ – Ambivalenz eines Begriffs............................................... 87 Terminologische Hintergründe von Marketing Intelligence .................... 90 4.1.3 Marketing Intelligence als Konzept zur Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing................ 94 4.2 Theoretisch-konzeptionelle Einordnung von Marketing Intelligence .... 97 4.2.1 4.2.2 Marketing Intelligence im Kontext von Marketing Controlling ................ 97 Beziehungsmanagement und internes Marketing als marketingtheoretische Fundierung ..................................................... 101 4.3 Ganzheitliches Management der Ressource Wissen als Grundlage von Marketing Intelligence ..................................................................... 109 4.3.1 4.3.2 Marketingwissen als Entscheidungshilfe für das Marketing ................. 110 Die Wissensbasis im Marketing .......................................................... 113 4.3.3 Wissensschaffung im Unternehmen als „organisatorisches Lernen“ – Das Modell der „Wissensspirale“ ..................................................... 116 Systematischer Umgang mit Wissen – Das Modell der „Bausteine des Wissensmanagements“ ............................................................... 121 Wissensmanagement als Fundament von Marketing Intelligence ....... 125 4.3.4 4.3.5 4.4 Konzeptioneller Bezugsrahmen von Marketing Intelligence ................ 128 Inhaltsverzeichnis 5 XI Der Marketing Intelligence-Cycle – Entwicklungsschritte zur Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing....................................... 131 5.1 Der Marketing Intelligence-Cycle aus System- und Prozesssicht ....... 131 5.1.1 5.1.2 5.2 Der Marketing Intelligence-Cycle als System ...................................... 131 Der Prozess von Marketing Intelligence als Lernspirale ...................... 134 Datenebene des Marketing Intelligence-Cycles .................................... 137 5.2.1 Konkretisierung und Systematisierung von Marketingproblemen durch Analyseziele ............................................................................. 137 5.2.2 Gap-Modell der Informationsbedarfsanalyse zur Aufdeckung möglicher Diskrepanzen zwischen Informationsnachfrage und Informationsangebot ........................................................................... 140 5.2.3 Sicherstellung einer bedarfsgerechten Problemdefinition durch interaktive Zusammenarbeit von Daten- und Entscheidungsseite ....... 147 5.3 Informationsebene des Marketing Intelligence-Cycles......................... 151 5.3.1 Von Marketingdaten zu integrierten Marketinginformationen – Der Prozess der Datenintegration ............................................................. 152 5.3.1.1 5.3.1.2 5.3.1.3 Datenselektion als Voraussetzungen der Datenintegration........... 153 Datenaufbereitung zur Sicherstellung der Datenqualität ............... 154 Datenfusion zur Generierung integrierter Marketinginformationen ................................................................ 156 5.3.2 5.3.3 5.3.3.1 5.3.3.2 Grundlegende Ansätze und Verfahren der Datenanalyse ............. 164 OLAP als hypothesengetriebenes Analyseverfahren .................... 167 5.3.3.3 Data Mining als datengetriebenes Analyseverfahren .................... 170 5.3.4 5.4 Das Data Warehouse als zentraler Baustein des MarketingInformationsmanagements ................................................................. 159 Verfahren zur Analyse von (integrierten) Marketingdaten ................... 163 Generierung eines tiefgründigen Problemverständnisses durch Marketing Insights .............................................................................. 174 Wissensebene des Marketing Intelligence-Cycles ................................ 178 5.4.1 Schaffung und Verteilung von Marketingwissen .................................. 178 5.4.1.1 5.4.1.2 5.4.1.3 Die Sozialisation – Transfer von implizitem Marketingwissen ....... 179 Die Externalisierung – Artikulation und Überführung von implizitem Marketingwissen in explizites Marketingwissen ........... 181 Die Kombination – Verknüpfung und Multiplikation expliziter Wissensbestandteile im Marketing ............................................... 183 XII Inhaltsverzeichnis 5.4.1.4 Die Internalisierung – Verankerung des expliziten Marketingwissens in die individuelle Wissensbasis eines Marketingentscheiders ................................................................. 185 5.4.2 Voraussetzung für eine effektive Wissensschaffung und -verteilung im Marketing ....................................................................................... 188 5.4.2.1 Integration der Datenseite in die Entscheidungsprozesse des Marketings ................................................................................... 189 5.4.2.2 Vertrauen und Commitment zwischen Daten- und 5.4.2.3 Schaffung struktureller Rahmenbedingungen ............................... 193 Entscheidungsseite ...................................................................... 191 5.4.3 6 Ganzheitliches Management von Marketingwissen ............................. 195 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence – Marktforschung als wissensbasierte Marketingberatung ................ 202 6.1 Steuerung und Koordination von Marketing Intelligence ..................... 202 6.2 Von der traditionellen Marktforschung zur Marketing IntelligenceEinheit ...................................................................................................... 207 6.2.1 6.2.2 6.2.2.1 Verstärkte strategische Ausrichtung der Marktforschung .............. 212 6.2.2.2 Neue Aufgaben der Marktforschung im Zeichen des Beziehungsmarketings ................................................................. 214 6.2.3 6.3 Leistungs- und Servicespektrum der traditionellen Marktforschung .... 207 Weiterentwicklungen der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence ......................................................................................... 212 Erweiterter Aufgabenbereich der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence ......................................................................... 220 Erweitertes Selbstverständnis des Marktforschers im Sinne von Marketing Intelligence ............................................................................. 223 6.3.1 6.3.2 7 Vom Informationslieferanten zum Marketing IntelligenceSpezialisten ........................................................................................ 223 Anforderungsprofil des Marketing Intelligence-Spezialisten ................ 225 Zusammenfassung und Ausblick ........................................................ 230 Anhang................................................................................................................... 233 Literaturverzeichnis ................................................................................................ 245 Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Alternative strategische Stoßrichtungen (Produkt-Markt-Matrix) ....... 26 Abbildung 2: Die Persönlichkeitsvariablen des Entscheidungsverhaltens .............. 39 Abbildung 3: Die Dimensionen der Persönlichkeit ................................................. 43 Abbildung 4: Abgrenzung zwischen Marketingforschung und Marktforschung ....... 58 Abbildung 5: Entscheidungsrelevante Kundendaten entlang des Beziehungslebenszyklus ................................................................... 66 Abbildung 6: Das Marketing-Informationssystem (MAIS) ....................................... 91 Abbildung 7: Begriffliche Abgrenzung der Marketing Intelligence .......................... 96 Abbildung 8: Informationsorientierte Aufgaben des Marketing Controlling ............. 99 Abbildung 9: Mehrstufige Kundenorientierung von Marketing Intelligence ........... 102 Abbildung 10: Das Beziehungsebenenmodell zwischen Daten- und Entscheidungsseite im Marketing .................................................... 105 Abbildung 11: Marketingtheoretische Grundlagen der internen KundenLieferanten-Beziehung im Sinne von Marketing Intelligence ........... 109 Abbildung 12: Von Marketingdaten zu handlungsorientiertem Marketingwissen .... 112 Abbildung 13: Die Wissensbasis im Marketing ...................................................... 115 Abbildung 14: Die Formen der Wissensschaffung ................................................. 117 Abbildung 15: Die Spirale der Wissensschaffung im Unternehmen ....................... 119 Abbildung 16: Die Bausteine des Wissensmanagements ...................................... 122 Abbildung 17: Die Wissenstreppe im Marketing..................................................... 126 Abbildung 18: Der Bezugsrahmen von Marketing Intelligence ............................... 129 Abbildung 19: Der Marketing Intelligence-Cycle .................................................... 132 Abbildung 20: Der Prozess von Marketing Intelligence .......................................... 136 Abbildung 21: Vom CRM-Problem zum Analyseziel (Beispiel Kundenrückgewinnung) .................................................................. 139 Abbildung 22: Zusammenhang zwischen objektivem und subjektivem Informationsbedarf, Informationsnachfrage und Informationsangebot ....................................................................... 142 Abbildung 23: Das „Gap-Modell“ der Informationsbedarfsanalyse im Marketing .... 143 Abbildung 24: Raster zur Analyse des Informationsbedarfs ................................... 148 Abbildung 25: Schritte der Datenintegration .......................................................... 152 XIV Abbildungsverzeichnis Abbildung 26: Das Prinzip des Data Matching ....................................................... 158 Abbildung 27: Idealtypische Data Warehouse-Architektur ..................................... 162 Abbildung 28: Grundlegende Ansätze und Verfahren der Datenanalyse ............... 166 Abbildung 29: Dreidimensionale Datenansicht im Hypercube ................................ 168 Abbildung 30: Kriterien zur Auswahl von Data Mining-Methoden ........................... 172 Abbildung 31: Der Datenanalysezyklus ................................................................. 174 Abbildung 32: Die Generierung von Marketing Insights ......................................... 176 Abbildung 33: Die Formen der Wissensschaffung und -verteilung im Marketing .... 187 Abbildung 34: Typische Module eines Marketing Intelligence-Systems bei einem Konsumgüterhersteller ......................................................... 197 Abbildung 35: Die inhaltliche Ausgestaltung von Marketing Intelligence über den Marketing Intelligence-Cycle .................................................... 201 Abbildung 36: Typologie von Marktforschungskonstellationen ............................... 208 Abbildung 37: Kundenanalyse vs. Marktforschung ................................................ 216 Abbildung 38: Die Marktforschung als wissensbasierte Marketingberatung ........... 229 Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis aCRM: analytisches Customer Relationship Management AMA: American Marketing Association CIA: Central Intelligence Agency CRM: Customer Relationship Management ESOMAR: European Society for Opinion and Market Research GfK SE: Gesellschaft für Konsumforschung Societas Europaea HTML: Hypertext Markup Language IT: Informationstechnologie KDD: Knowledge Discovery in Databases MAIS: Marketing-Informationssystem MDSS: Management Decision Support System MOLAP: Multidimensionales On-Line Analytical Processing ODS: Operational Data Store OLAP: On-Line Analytical Processing SGE: Strategische Geschäftseinheit S-O-R: Stimulus – Organismus – Response SR: Stimulus Response ROLAP: Relationales On-Line Analytical Processing URL: Uniform Resource Locator WWW: World Wide Web 1 Einleitung Einleitung 1.1 Problemhintergrund und Gegenstandsbereich der Arbeit „Wir ertrinken in Informationen, aber uns dürstet nach Wissen.“ John Naisbitt Dieses John Naisbitt zugeschriebene Zitat verdeutlicht die gegenwärtige Situation in der Unternehmenspraxis. Eine Vielzahl an Daten und Informationen liegt in Unternehmen vor, eine fundierte Wissensbasis fehlt jedoch häufig. Für Unternehmen ist die Verfügbarkeit von relevantem Wissen von besonderer Bedeutung. Wissen stellt eine wesentliche Grundlage aller Unternehmensprozesse und -funktionen dar und bildet somit einen entscheidenden Erfolgsfaktor. 1 „In an economy where the only certainty is uncertainty, the one sure source of lasting competitive advantage is knowledge.”2 Entsprechend sind solche Unternehmen erfolgreich, die Wissen schneller und gezielter als andere entwickeln, bereitstellen und zur Bereitstellung von Entscheidungsfindung heranziehen können. Aktuelle Studien belegen erhebliche Defizite in der entscheidungsrelevantem Wissen in Unternehmen. Entsprechend einer Befragung von 675 Top-Managern aus Europa und den USA im Jahr 2004 verfügen 77% der Führungskräfte über keine ausreichende Datengrundlage zur Unterstützung von Entscheidungsprozessen. Dies hat zur Folge, dass mehr als die Hälfte aller strategisch wichtigen Entscheidungen auf Basis von Erfahrung und Intuition, nicht aber auf Grundlage relevanter und valider empirischer Daten getroffen wird. Die Studie konstatiert bei Führungskräften eine zunehmende Frustration über die fehlende Verfügbarkeit und die aus ihrer Sicht unzureichende Qualität entscheidungsrelevanter Informationen. Generell existiert zwischen der Daten- und der Entscheidungsseite in Unternehmen eine Informationskluft.3 Dies trifft auch auf den Marketingbereich von Unternehmen in der Konsumgüterbranche zu, welcher den Rahmen für die vorliegende Arbeit liefert. Hier 1 Vgl. Binner 2007, S. 15; Al-Laham 2005, S. 468; Amelingmeyer 2004, S. 16ff.; Al-Laham 2004, S. 412ff. 2 Nonaka 1991, S. 96. 3 Vgl. Hammond 2004. 2 Einleitung ist es in besonderem Maße notwendig, die bestehende Kluft zwischen der Nachfrage nach und dem Angebot an entscheidungsrelevanten Marketinginformationen zu überbrücken. Entscheidungssituationen und -tatbestände im Marketing zeichnen sich durch hohe Dynamik und zunehmende Komplexität aus. Es bedarf folglich schon „im Normalgeschäft“ einer Vielzahl von Informationen unterschiedlichster Herkunft über Märkte, Zielgruppen und Käufer, die auf einzelne Objekte (zum Beispiel Marken) zu beziehen und abzustimmen sind; dies zu bewerkstelligen, ist als die „klassische“ Aufgabenstellung der Marktforschung anzusehen. Marketingmanager 4 sehen sich im Zuge des Beziehungsmarketings darüber hinaus mit neuen Fragestellungen konfrontiert. Neue Messgrößen wie zum Beispiel der Kundenwert, die Kundenzufriedenheit und -loyalität, die Wiederkaufs- und Weiterempfehlungsbereitschaft oder auch Informationen über die Wirkungen von Kundenbindungsaktivitäten rücken in den Mittelpunkt der Betrachtung. Hierzu stehen dem Marketingmanagement unternehmensintern individuelle Kundendaten und beispielsweise auch Daten aus dem Vertriebscontrolling zur Verfügung; diese müssen durch externe, oft speziell zu erhebende Marktforschungsdaten zum Verhalten und zu den Verhaltenshintergründen der Kunden ergänzt werden. Operativ ausgerichtete „Routinedaten“, wie sie für die Marketingplanung und -kontrolle seitens der Marktforschung oder aus der Kundendatenbank bereitgestellt werden, erweisen sich jedoch zunehmend als nicht ausreichend. Das Marketing ist verstärkt vor die Herausforderung gestellt, strategische Entscheidungen zu treffen, das heißt neue Produkte/Leistungen zu entwickeln und neue Märkte zu bearbeiten. Daher benötigt es für Entscheidungen über Innovationen und Zielgruppen neben vergangenheitsorientierten Daten, die in der Regel lediglich punktuell und einzelfallbezogen vorliegen, zukunftsorientierte Daten über Marktentwicklungen und -potenziale, Verhaltensweisen und Einstellungen von Ziel- und Kundengruppen sowie zu anderen Marktteilnehmern, Wettbewerbskonstellationen und Wettbewerberstrategien etc.5 Sie werden von der Marktforschung, der seit langem ein „strategisches Defizit“ zugeschrieben wird, nur bedingt zur Verfügung gestellt. 6 Stattdessen nimmt sich zumindest teilweise das strategische Marketingcontrolling 4 Der Terminus „Marketingmanager“ bzw. „Marketingentscheider“ wird in dieser Arbeit als Sammelbegriff für Entscheidungsträger im Marketingbereich generell, also zum Beispiel auch im Vertrieb, im Kundenservice, in der Kommunikation etc., verwendet. 5 Vgl. Frishammar 2003, S. 322ff.; Le Meunier-FitzHugh/Piercy 2006, S. 713. 6 Vgl. Wimmer 2002, S. 11ff. Einleitung 3 und speziell die in jüngerer Zeit stärker thematisierte sog. „Competitive Intelligence“ 7 dieser Aufgabe an. Eine fundierte Entscheidungshilfe scheint diese Vielfalt an Daten und Information aber dennoch nicht zu bedeuten. Erst wenn die unternehmensinternen und -externen Marketingdaten in einen zweckbezogenen Kontext gebracht, das heißt, auf bestimmte Problemstellungen bezogen und zu einer einheitlichen Datenbasis verdichtet werden, kann das Marketingmanagement auf entscheidungsrelevante Marketinginformationen zugreifen. Die besondere Herausforderung liegt demnach in einer entscheidungs- und darüber hinaus auch entscheiderorientierten Datenintegration, welche dem Marketingmanager bessere Einsichten in die Fragestellungen Erklärungen des und Marketings Hintergründe ermöglicht aufzeigt. und Auf ihm der informationsbasierte Angebotsseite von Marketinginformationen geht es folglich nicht mehr nur darum, Daten zu verwalten und diese in entscheideradäquater Form an das Management weiterzuleiten, sondern es wird zunehmend darauf ankommen, aus der Vielfalt an Daten integrierte und übergreifende Informationen zu generieren, die wiederum zu Einsichten – so genannten „Insights“ – verdichtet werden.8 Speziell im Bereich der Marktforschung verbindet sich mit dem Terminus der „Consumer bzw. Market Insights“ die Vorstellung einer vertieften Einsicht in entsprechende Zusammenhänge und Hintergründe. Neben dieser eher sachlich-objektiven Ebene der für entsprechende Entscheidungssituationen benötigten Daten und Informationen ist auch die persönlich-subjektive Ebene von Bedeutung. Erst wenn der Marktforscher die vorliegenden Marketinginformationen in den Kontext seines subjektiven Erfahrungswissens einbettet und diese mit seinem Verstand bewertet, um daraus Schlussfolgerungen für das Handeln des Marketingmanagements zu ziehen, entsteht entscheidungsorientiertes Marketingwissen. Subjektive Aspekte spielen ebenso auf der Seite der Entscheider eine Rolle. Marketingmanager zeigen individuelles Entscheiderverhalten, gehen Probleme auf eigene Weise an und treffen ihre Entscheidungen nach ihrem individuellen kognitiven Stil. 9 Somit beeinflussen neben den verfügbaren Marketinginformationen auch Faktoren wie Kompetenz, Intelligenz, Erfahrung, aber auch implizites Wissen und Intuition des Entscheidungsträgers den 7 Siehe hierzu Michaeli 2006; Rothberg/Erickson 2005; Kunze 2000. 8 Vgl. Davenport et al. 2001, S. 120. 9 Vgl. Brousseau et al. 2006, S. 112f.; Wierenga/van Bruggen 2000, S. 21ff. 4 Einleitung Marketingentscheidungsprozess. Handlungsorientiertes Marketingwissen („knowhow“) entsteht daher erst durch die Verknüpfung der gewonnenen „Insights“ („knowthat“) mit dem praktischen Können bzw. den Fertigkeiten des Marktforschers sowie des („skills“).10 Entscheidungsträgers Dieses Wissen ermöglicht dem Entscheidungsträger holistische Einblicke in entsprechende Sachverhalte; der Marketingmanager kann die facettenreiche Marketingrealität aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und erklären sowie darauf aufbauend empirisch begründete Entscheidungen treffen. 11 Derartige Aspekte werden heute in Theorie und Praxis unter dem Stichwort „Marketing Intelligence“ diskutiert. Diese zielt darauf ab, Fähigkeiten für das Management marketingrelevanten Wissens zu entwickeln. Es steht die Idee im Vordergrund, von partiellen Marketingdaten und -informationen zu integriertem entscheidungs- und handlungsorientiertem Marketingwissen zu gelangen, das Marketingentscheider bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen vermag und letztendlich einen Beitrag Marketingentscheidungen verbesserte Abstimmung leisten von zur kann. Verbesserung Marketing Marketingdaten der Intelligence bzw. Qualität verfolgt -informationen auf von eine die Entscheidungsprozesse des Marketings, besser jedenfalls, als dies insbesondere aus Sicht der Marketingentscheider bislang der Fall ist.12 Das Konzept einer Marketing Intelligence umfasst damit auch die Vision einer lernenden Unternehmung: Einerseits soll die existierende Informationskluft im Marketing so gut wie möglich geschlossen werden und andererseits das Marketing langfristig auf eine umfassende Wissensbasis zugreifen können. 1.2 Zielsetzung und methodisches Vorgehen Die einschlägige theoretische und empirische Forschung beschäftigt sich bislang vor allem mit Einzelaspekten des geschilderten Problems zwischen dem Angebot und der Nachfrage von Marketinginformationen. Es lässt sich eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage beobachten, wie Wissen erworben, gemanagt und umgesetzt werden kann. Diskussionen und Beiträge rund um das Thema 10 Vgl. Burmann 2001, S. 17f.; Helm/Meckl/Sodeik 2007, S. 231. 11 Vgl. Tsai/Shih 2004, S. 528f. 12 Vgl. Wimmer/Göb 2005, S. 390f. Einleitung 5 Lernende Organisation13, Wissensmanagement14 oder Organisatorische Intelligenz 15 sind inzwischen zahlreich vorhanden und auch bereits teilweise auf den Marketingbereich angewendet. Die anzutreffenden Handlungsempfehlungen beziehen sich allerdings fast ausschließlich auf den organisationalen Umgang mit Wissen. Dessen Wirkung auf die Entscheidungsfindung und somit auf die Entscheider- und Entscheidungsunterstützung wird in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung jedoch vernachlässigt. Andere Forschungsarbeiten analysieren die Wahrnehmung Marktinformationen und im tatsächliche Unternehmen. Nutzung Im von Rahmen Marktforschungsdieser Arbeiten bzw. werden insbesondere Einflussfaktoren diskutiert, welche die Zusammenarbeit zwischen Marktforscher und Marketingmanager determinieren. 16 Schließlich lässt sich eine Forschungsrichtung identifizieren, die auf Basis entscheidungstheoretischer Grundlagen die Ausgestaltung der Markforschungsaufgabe analysiert. So werden beispielsweise kognitive Stile der Marketingmanager berücksichtigt oder auch bestehende Informations- und Wissensbarrieren untersucht, um eine effektive Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Marketing und Marktforschung zu gewährleisten.17 Entsprechende Forschungsbeiträge implizieren durchaus bedeutsame Erkenntnisse und Einsichten; auf eine Darstellung der Gesamtsicht der Problematik, die sich an der Schnittstelle zwischen der Informations- und der Entscheidungsseite im Marketing ergibt, wird in der Regel jedoch verzichtet. Diese Lücke möchte die vorliegende Arbeit schließen: Ihr Ziel ist es, der Frage nachzugehen, wie Marketingdaten und -informationen in die Entscheidungsprozesse des Marketings zu integrieren sind, damit sie Marketingentscheidern als Entscheidungshilfe dienen. Im Vordergrund steht dabei in prozessualer Hinsicht die Transformation von Marketingdaten in Marketinginformationen und schließlich in Marketingwissen; in diesem Zusammenhang wird vom Marketing Intelligence-Cycle gesprochen. Marketing Intelligence ist zum einen aus der Nachfrager- und zum anderen aus der Angebotsperspektive zu betrachten. Seitens der Nachfrager von 13 Vgl. z. B. die Arbeiten von Wengelowski 2000; Probst/Büchel 1994; Hennemann 1997. 14 Vgl. z. B. die Arbeiten von Troilo 2006; Amelingmeyer 2004; Wicki 2003; Güldenberg 2003; Neumann 2000; Willke 2001. 15 Vgl. z. B. die Arbeiten von Mähr 2003; Komus 2001; Momm 1997; Oberschulte 1994. 16 Vgl. z. B. die Arbeiten Deshpandé 1982; Deshpandé/Zaltman 1982; Wimmer 2002; Roleff 2001; Roleff/Wimmer 1999. 17 Vgl. z. B. die Arbeiten von Wierenga/van Bruggen 2000, Klose 1993. 6 Einleitung Marketinginformationen geht es darum, welche Entscheidungsunterstützung hinsichtlich spezifischer Fragestellungen im Einzelfall (praktische Sicht) bzw. typischerweise (generalisierende wissenschaftliche Sicht) benötigt bzw. gewünscht wird und wie bereitgestellte Informationen tatsächlich genutzt werden; diese Perspektive wird in der vorliegenden Arbeit nicht betrachtet. Marketing Intelligence wird hier aus der Angebotsperspektive – insbesondere aus Sicht der traditionellen Marktforschung – untersucht. Daher geht es vor allem um die Frage, wie die Angebotsseite von Marketinginformationen den Prozess von Marketing Intelligence unterstützen kann und welche Funktion dabei der betrieblichen Marktforschung 18 zukommt. Hierzu möchte die vorliegende Arbeit Verbesserungsansätze und Gestaltungsempfehlungen liefern. Im Sinne des Wissensmanagements verkörpert Marketing Intelligence eine umfassende Integration und ein ganzheitliches Management von Marketingwissen. Daher geht es nicht Marketinginformationen darum, die stattfindenden innerhalb Prozesse der Angebotsseite der Wissensgenerierung von aufzuzeigen, sondern vielmehr um die grundsätzliche Fragestellung, wie aus Perspektive der Angebotsseite von Marketinginformationen – insbesondere der Marktforschung – das Zusammenspiel mit der Entscheidungsseite im Sinne einer Marketing Intelligence zu gestalten ist, damit sich eine verbesserte Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing ergeben. Es ist also zu thematisieren, wie Marketingdaten und -informationen in die Entscheidungsprozesse des Marketings zu integrieren sind, um tatsächlich entscheider- und entscheidungsrelevantes Marketingwissen zu generieren. Hierzu wird ein Konzept für Marketing Intelligence entwickelt, das es erlaubt, vornehmlich die inhaltliche Ausgestaltung des zugrundeliegenden Prozesses darzulegen. Die geschilderte Thematik wird zum einen aus Sicht der Literatur erforscht und zum anderen werden die daraus gewonnenen theoretisch-argumentativen Ausführungen durch eine eigene qualitative Erhebung ergänzt. 18 In Unternehmen der Konsumgüterindustrie arbeitet die betriebliche Marktforschung in der Regel eng mit externen Marktforschungsinstituten zusammen. In der vorliegenden Arbeit wird beides, sowohl die betriebliche als auch die institutionelle Marktforschung, ins Auge gefasst und allgemein von der Marktforschungsaufgabe bzw. von Marktforschung gesprochen. Einleitung 1.3 7 Empirische Untersuchung Da bislang, wie bereits erwähnt, nur wenige Forschungsergebnisse zur Integration von Marketinginformationen in die Entscheidungsprozesse des Marketings vorliegen, erschien es für die vorliegende Arbeit notwendig, eine eigene empirische Erhebung durchzuführen. Deren Ziel bestand darin, Einblicke in die Entscheidungsprozesse des Marketings zu erlangen, Verbesserungsbedarf bei der Zusammenarbeit zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen zu identifizieren sowie Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing aufzuzeigen. Auf Basis dieser empirischen Erkenntnisse sollte ein Konzept für Marketing Intelligence entwickelt werden. Grundsätzlich besteht der Fokus wissenschaftlichen Arbeitens darin, Erkenntnisse zu erzielen. Dabei lassen sich drei Erkenntnisziele unterscheiden: Erklären, Verstehen und Gestalten. Während es beim Erklärungsziel darum geht, die Wirklichkeit kausal zu erklären, stehen beim Verstehensziel interpretative Ansätze im Mittelpunkt. Das Gestaltungsziel hingegen ist darauf ausgerichtet, praktisches Handeln mittels wissenschaftlicher Anleitungen beispielsweise in Form von Modellen, Entscheidungsund Reflexionshilfen zu unterstützen; im Vordergrund der angewandten Marketingforschung stehen die Überprüfung der Fragestellungen anhand der Praxis sowie die Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse. 19 In der vorliegenden Arbeit soll die Empirie dazu beitragen, ein Verständnis für die Zusammenhänge und Hintergründe des Verhaltens der befragten Personen zu erlangen sowie darauf aufbauend praktisch-normative Aussagen in Form von Handlungsempfehlungen abzuleiten. In einem ersten Schritt wurde eine umfassende Literatursichtung durchgeführt, um einen Überblick über bisherige Erkenntnisse zu bekommen und einen theoretischen Rahmen zu erarbeiten. Da die Literaturbetrachtung allerdings nur eine Reflexion bereits bekannter Aspekte ermöglicht, sollten mittels der empirischen Untersuchung neue Erkenntnisse gefunden und einige Fragestellungen anhand der Praxis überprüft werden.20 Die Auswahl der empirischen Forschungsmethode im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung, die letztendlich auch das Forschungsdesign determiniert, muss sich stets an den spezifischen 19 Vgl. Dyllick/Tomczak 2007, S. 67f.; Kleinig 2007, S. 211ff. 20 Vgl. Kleining 2007, S. 196. Anforderungen der 8 Einleitung zugrundeliegenden Fragestellungen orientieren. 21 Da in der vorliegenden Arbeit Verstehens- und Gestaltungsziele im Vordergrund stehen, kamen für die empirische Erhebung vorwiegend qualitative Verfahren in Betracht. Während sich Methoden der quantitativen Sozialforschung eher mathematisch-statistischer Verfahren bedienen, zeichnen sich Methoden der qualitativen Sozialforschung durch interpretative, kommunikative, offene und theorieentwickelnde Charakterzüge aus. 22 Qualitative Forschung zielt also auf das Erkennen, Beschreiben und Verstehen von Zusammenhängen ab, nicht aber auf deren Messung; relevante Fragestellungen sollen möglichst ganzheitlich erfasst und interpretiert werden, um hierzu Einblicke aus Sicht der befragten Person zu erlangen. 23 Für die vorliegende Arbeit bot sich daher eine qualitativ angelegte Studie an; der Objektbereich der Studie wurde auf die Branche der Konsumgüterindustrie beschränkt. Marketingmanager sehen sich hier einer sehr dynamischen und komplexen Umwelt gegenüber und benötigen daher als Entscheidungshilfe eine Vielzahl an Informationen aus unterschiedlichen Quellen. Aus diesem Grund erscheint in dieser Branche eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen von großer Bedeutung zu sein. Die Studie orientiert sich an ausgewählten Unternehmen der Konsumgüterbranche; es besteht kein Anspruch auf Repräsentativität oder Vollständigkeit. Vielmehr sollten – wie bereits erwähnt – Möglichkeiten der Integration von Marketinginformationen in die Entscheidungsprozesse des Marketings empirisch erfasst und anschließend diskutiert werden, um ein realitätsnahes Konzept von Marketing Intelligence erarbeiten zu können. Als Instrument der Datenerhebung bot sich hierfür vornehmlich das Experteninterview an, da für die Entwicklung von Lösungen und Handlungsempfehlungen insbesondere Wissensbestände der Experten aus Marketing und Marktforschung Gegenstand des Forschungsinteresses der vorliegenden Arbeit waren. 24 Eine Forschungsstrategie als Fundament für qualitative Forschung stellt die von Glaser/Strauss (1967) entwickelte Grounded Theory dar. Diese Theorie zielt darauf ab, ein tiefgründiges Verständnis menschlichen Verhaltens und sozialer Prozesse zu 21 Vgl. Atteslander 2003, S. 6; Kepper 1996, S. 131. 22 Vgl. Kleining 2007, S. 207; Naderer 2007a, S. 20ff.; Lamnek 2005, S. 117-123. 23 Vgl. Flick 2005, S. 12f.; Kepper 1996, S. 18. 24 Vgl. Bähring et al. 2008, S. 91ff.; Pfadenhauer 2007, S. 452; Mey/Mruck 2007, S. 254f.; Kurz et al. 2007, S. 465; Gläser/Laudel 2004, S. 10f. Einleitung 9 erlangen und auf Basis empirischer Daten eine realitätsnahe Theorie zu entwickeln, um sie für die Praxis anwendbar zu machen. Wie schon der Begriff „Grounded Theory“ zum Ausdruck bringt, „gründet“ die Theorie sozusagen in den Aussagen von befragten Personen; es handelt sich um einen qualitativen Forschungsansatz zur Erarbeitung von „empirisch gegründeten“ Theorien. 25 Grundsätzlich kann die Grounded Theory auch auf Fragestellungen des Marketings übertragen werden. 26 Anwendungsfeld der Grounded Theory sind Sachverhalte mit weitgehend offener Fragestellung.27 Die zur Theoriebildung erhobenen Daten können dabei aus unterschiedlichen Quellen stammen, wie zum Beispiel Interviews, Beobachtungen, Gesprächen, Fokusgruppen, Tagebüchern oder auch Statistiken. Neben qualitativen Daten können demnach auch quantitative Daten Verwendung finden. 28 Die Zielsetzungen der vorliegenden Arbeit entsprechen den Anforderungen der Grounded Theory. Einerseits geht es darum, auf Basis qualitativer Experteninterviews systematisch einen theoretischen Bezugsrahmen für das Konzept von Marketing Intelligence zu entwickeln, welcher auf den Aussagen, Handlungsweisen und Erfahrungen der Zielgruppen – also der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen – basieren sollte. Andererseits sollten sich neue Perspektiven bezüglich der bearbeiteten Fragestellungen eröffnen, um Handlungsempfehlungen für eine Marketing Intelligence ableiten zu können. Die empirische Studie wurde in den Jahren 2006 und 2007 durchgeführt. Insgesamt wurden 16 Interviews geführt; dabei fanden acht Interviews mit Marktforschern und acht Interviews mit Marketingentscheidern statt. Bei der Befragung von Marketingmanagern wurde bewusst eine breite Streuung über verschiedene Branchen der Konsumgütern, Konsumgüterindustrie Finanzdienstleister, (Automobilbranche, Dienstleister für Hersteller von Unterhaltungselektronik, Handelsunternehmen) gewählt. Damit sollte sichergestellt werden, dass eine möglichst große Bandbreite denkbarer Ausprägungen einer Zusammenarbeit zwischen Angebots- und Nachfrageseite von Marketinginformationen erfasst wird. 29 Die Interviews mit den Marktforschern wurden bis auf eine Ausnahme persönlich 25 Vgl. Charmaz 2006, S. 4ff.; Suddaby 2006, S. 633f.; Strübing 2004, S. 13f.; Strauss/Corbin 1996, S. 7ff.; Strauss 1994, S. 31. 26 Vgl. hierzu beispielsweise Goulding 2005; Goulding 2000 sowie Gummesson 2005. 27 Vgl. Lueger 2007, S. 202f. 28 Vgl. Lueger 2007, S. 196f.; Corbin 2006, S. 71; Strauss 1994, S. 25. 29 Vgl. hierzu ausführlich Schreier 2007. 10 Einleitung durchgeführt, während die Befragung der Marketingentscheider telefonisch erfolgte. Die persönlichen Gespräche dauerten ca. eine Stunde; die Telefoninterviews im Durchschnitt etwa 45 Minuten. Als Grundlage für die Interviews wurde ein Gesprächsleitfaden erarbeitet. Die beiden Leitfäden für die Marktforscher und die Marketingenscheider unterscheiden sich nur geringfügig voneinander (siehe Anhang). Die Interviews wurden unter Verwendung eines Tonträgers mitgeschnitten, da die umfassende Dokumentation des erhobenen Datenmaterials eine grundlegende Voraussetzung für die Güte qualitativer Auswertungen ist. Anschließend wurden die Interviews getrennt nach Marktforschern und Marketingentscheidern inhaltsanalytisch ausgewertet. Dabei wurden systematisch aus den transkribierten Daten Informationen extrahiert. Der Vorteil dieser qualitativen Inhaltsanalyse besteht darin, dass eine problemadäquate Strukturierung bezüglich der Fragestellung geschaffen werden kann. 30 Die gewonnenen empirischen Ergebnisse wurden sukzessive im Laufe der Arbeit eingearbeitet und ergänzen somit die Überlegungen zu den jeweiligen theoretischen Zusammenhängen. 1.4 Aufbau der Arbeit Um die Herangehensweise an die genannten Zielsetzungen der vorliegenden Arbeit zu veranschaulichen, wird im Folgenden der Aufbau der Arbeit kurz vorgestellt. In Kapitel 1 werden – nach Darstellung des Problemhintergrunds sowie der Ziele – die methodischen und formalen Grundlagen der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten empirischen Erhebung erläutert. In Kapitel 2 wird die Entscheidungssituation im Marketing beschrieben, die den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit darstellt. Ausgehend von den Grundlagen eines markt- und kundenorientierten Marketings wird insbesondere auf die Verknüpfung von Aktions- und Informationsseite im Rahmen des Marketingentscheidungsprozesses abgestellt, um darauf aufbauend zu erläutern, dass 30 Marketinginformationen eine wichtige Entscheidungsbasis für das Vgl. ausführlich zur Dokumentation und Auswertung qualitativer Daten Bähring et al. 2008, S. 101ff.; Naderer 2007b, S. 369ff.; Gläser/Laudel 2004, S. 191ff. Einleitung 11 Marketingmanagement darstellen. Abschließend wird die Notwendigkeit von Marketing Intelligence zur Verbesserung der Entscheidungsqualität im Marketing begründet. Kapitel 3 widmet sich Marketinginformationen. der Nachfrage- Zunächst erfolgt und eine der Angebotsseite detaillierte von Analyse der Entscheidungsseite im Marketing. Ausgehend von grundlegenden Aufgaben des Marketings sowie idealtypischen Ausprägungen von Marketingentscheidungen interessieren insbesondere die jeweils erforderlichen Informationsbedarfe des Marketingmanagements. Neben dieser sachlich-objektiven Ebene der Marketingentscheidung wird in einem weiteren Schritt insbesondere auf die persönlich-subjektive Ebene des Marketingentscheiders abgestellt. Auf Basis einer theoretischen Analyse des Entscheiderverhaltens werden unterschiedliche kognitive Stile und Entscheidertypen charakterisiert. In einem nächsten Abschnitt wird die Angebotsseite von Marketinginformationen – die Datenseite – betrachtet. Nach einer kurzen Abgrenzung relevanter Begrifflichkeiten erfolgt eine detaillierte Analyse des Leistungsspektrums auf der Angebotsseite von Marketinginformationen. Hierzu wird das vielfältige Daten- Zusammenfassend wird und Informationsangebot dargelegt, dass zur im Marketing Schaffung einer aufgezeigt. fundierten Informationsgrundlage für das Marketing vielfältige Daten aus heterogenen Informationsquellen und zu verschiedenen Entscheidungstatbeständen erforderlich sind. Abschließend werden in diesem Kapitel bestehende Diskrepanzen zwischen der Angebots- und Nachfrageseite von Marketinginformationen dargelegt und aufgrund der sich daraus ergebenden Informations- bzw. Wissenskluft die Notwendigkeit von Marketing Intelligence begründet. Kapitel 4 spannt einen Bezugsrahmen für das Konzept einer Marketing Intelligence auf. Nach einer begrifflichen Präzisierung werden die theoretischen Grundlagen zur Entwicklung des Konzepts von Marketing Intelligence erläutert, deren Zusammenführung schließlich in einen Bezugsrahmen für Marketing Intelligence – den Marketing Intelligence-Cycle – mündet. Dieser Bezugsrahmen, der Marketing Intelligence als intermediäre Funktion zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen charakterisiert, wird in den folgenden Kapiteln konzeptionell und inhaltlich ausgefüllt. Kapitel 5 beschreibt anhand des Marketing Intelligence-Cycles, der die Daten-, die Informations- und die Wissensebene umfasst, Entwicklungsschritte zur 12 Einleitung Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing. Auf der Datenebene werden vornehmlich die Definition des Marketingproblems sowie die darauf aufbauende Informationsbedarfsanalyse thematisiert. Auf der Informationsebene finden die Datenintegration sowie die anschließende Analyse der relevanten Marketingdaten statt, wodurch letztendlich Marketing Insights entstehen. Die Wissensebene greift schließlich die Generierung und Verteilung von Marketingwissen auf. Insgesamt wird dabei aufgezeigt, dass der Marketing Intelligence-Cycle im Sinne einer Lernspirale zu einer stetigen Verbesserung der Marketingwissensbasis beiträgt. Kapitel 6 widmet sich der Marktforschung – einem der Hauptakteure auf der Angebotsseite von Marketinginformationen. Dabei wird argumentiert, dass der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence ein erweiterter Aufgabenbereich zukommt. Es wird als grundsätzliche Aufgabe der Marktforschung gesehen, den Prozess von Marketing Intelligence zu koordinieren und zu steuern. Dies hat auch Auswirkungen auf den Marktforscher selbst, von dem neue Fähigkeiten und Kompetenzen verlangt werden. Zentraler Gedanke dieses Kapitels ist deshalb die Notwendigkeit eines Selbstverständnis- und Imagewechsels der Marktforschung bzw. des Marktforschers zur Sicherstellung einer bedeutsamen Rolle bei der Umsetzung von Marketing Intelligence. Kapitel 7 rundet die Arbeit mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick auf Ansatzpunkte für weitere Forschungsbemühungen ab. 2 Entscheidungssituation im Marketing Entscheidungssituation im Marketing Ausgangspunkt der Arbeit ist die Entscheidungssituation im Marketing. Einleitend werden grundlegende Aspekte eines markt- und kundenorientierten Marketings beschrieben, um im Anschluss auf die enge Verknüpfung von Aktions- und Informationsseite im Rahmen des Marketingentscheidungsprozesses einzugehen. Damit wird verdeutlicht, dass Marketinginformationen eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für das Marketingmanagement darstellen. Vor diesem Hintergrund wird abschließend die Notwendigkeit der Entscheidungsunterstützung durch Marketing Intelligence begründet, um die Qualität von Marketingentscheidungen verbessern zu können. 2.1 Marketing als markt- und kundenorientiertes Entscheidungsverhalten Die Begriffsabgrenzungen von „Marketing“ sind äußerst vielschichtig und divergent – es ist jedoch auch illusorisch anzunehmen, dass sich in Literatur und Praxis jemals eine einheitliche, allgemeingültige Definition durchsetzen wird. 31 Nach vorherrschender Ansicht ist Marketing „die bewusst marktorientierte Führung des gesamten Unternehmens oder marktorientiertes Entscheidungsverhalten in der Unternehmung“32. Im Sinne dieser ganzheitlichen Interpretation ist Marketing als marktorientierte Unternehmensführung aufzufassen und kann dabei als ein duales Führungskonzept verstanden werden. Einerseits wird dem Marketing die Rolle einer gleichberechtigten Unternehmensfunktion im Sinne eines institutionalisierten Marketingbereichs zugestanden; andererseits ist Marketing auch als Leitkonzept des Managements zu verstehen, das eine marktorientierte Koordination sämtlicher Unternehmensaktivitäten sicherstellt und somit eine dauerhafte Befriedigung von Kundenbedürfnissen unter Schaffung komparativer Wettbewerbsvorteile gewährleistet.33 Marketing ist somit als eine Form der Unternehmensführung zu 31 Vgl. hierzu beispielsweise Backhaus 1999, S. 7ff. 32 Meffert 2000, S. 8 sowie ähnlich Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 10. 33 Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 13f.; Kotler/Bliemel 2006, S. 37f.; Homburg/Krohmer 2006, S. 10; Bruhn 2004, S. 14ff. Dieses Marketingverständnis im Sinne eines dualen Führungskonzepts kommt auch in der Definition der American Marketing Association (AMA) zum Ausdruck: „Marketing is the activity, set of institutions, and processes for creating, communicating, delivering, and exchanging offerings that have value for customers, clients, partners, and society at large” (American Marketing Association 2007). 14 Entscheidungssituation im Marketing charakterisieren, die sich am Markt, insbesondere an den Kunden und deren Bedürfnissen, sowie an der Konkurrenz orientiert. Grundsätzlich kann Marketing sowohl im institutionellen als auch im funktionalen Sinne verstanden werden: Marketing in institutioneller Hinsicht betrifft die Marketingorganisation34 und umfasst damit alle Stellen/Positionen im Unternehmen, die bei Marketingentscheidungen beteiligt sind; Marketing in funktionaler Hinsicht betrifft die Inhalte und damit die Tätigkeiten des Marketingmanagements. „Marketing managers typically play a lead role in this task through their responsibility to interpret the environment and make the crucial choices of which customers to serve, competitors to challenge, and products and services to offer.“ 35 Gerade die erforderliche Orientierung am Markt erhöht die Komplexität der Marketingentscheidung, denn neben der Beachtung von unternehmensbezogenen Gegebenheiten ist hier zudem eine Ausrichtung auf den Markt nötig. 36 Die Aufgabenbereiche des Marketingmanagements lassen sich daher differenzieren in unternehmensbezogene, marktbezogene sowie gesellschafts- und umweltbezogene Aufgaben; diese sind im Rahmen eines integrierten Marketingkonzeptes parallel zu berücksichtigen. Die konkrete Akzentuierung der jeweiligen Aufgaben ist allerdings abhängig vom individuellen Unternehmenstyp und von der Unternehmenssituation. 37 Grundsätzlich erfordert die Verwirklichung von Unternehmens- und Marketingzielen eine konsequente Ausrichtung sämtlicher Aktivitäten eines Unternehmens an den Bedürfnissen der Kunden und am Markt.38 Die Kunden- bzw. Marktorientierung steht daher bei vielen Unternehmen am Anfang eines jeden Wertschöpfungsprozesses und zieht sich systematisch durch die gesamte Wertkette. So beginnt beispielsweise der Innovationsprozess idealtypisch mit der Beobachtung von Kundenbedürfnissen sowie der Sammlung innovationsrelevanter Marktinformationen. Auch die weiteren Phasen der Ideengewinnung und -selektion über die Entwicklung einer Produkt- und Vermarktungskonzeption bis hin zur Einführung auf dem Markt erfordern eine 34 Siehe hierzu ausführlich Roleff 2001, S. 23ff. 35 White/Varadarajan/Dacin 2003, S. 63, zitiert nach Day 1984. 36 Vgl. Meffert 2000, S. 57. 37 Vgl. Meffert 2000, S. 11ff. 38 Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 2002, S. 14f.; Esch/Herrmann/Sattler 2006, S. 3f. Entscheidungssituation im Marketing 15 konsequente Berücksichtigung der Erwartungen des Absatzmarktes, um eine größtmögliche Kunden- und Marktorientierung sicherzustellen. 39 An kundengerichteten Wertschöpfungsprozessen des Marketings sind in der Regel zahlreiche Individuen aus verschiedenen Abteilungen beteiligt. Ein reibungsloser Ablauf ist nur möglich, wenn die einzelnen Aktivitäten zwischen den verschiedenen Abteilungen aufeinander abgestimmt sind. 40 Viele Unternehmen bedienen sich daher eines konsequenten Prozessmanagements, das darauf abzielt, durchgängige kundenbezogene Prozesse zu institutionalisieren und zu managen. Auch im Marketing ist eine stärkere Prozessorientierung erforderlich, die eine Ausrichtung aller Marketingaktivitäten und -entscheidungen auf den Markt erforderlich macht. 41 Eine zielgerichtete Umsetzung eines markt- und kundenorientierten Entscheidungsverhaltens im Marketing ist jedoch nur zu gewährleisten, wenn dem Marketingmanagement als Entscheidungsgrundlage entsprechende Marketing- informationen zur Verfügung stehen. 2.2 Marketinginformationen als Entscheidungsgrundlage Um schließlich markt- und kundenorientiert handeln zu können, benötigen Entscheidungsträger im Marketing zur Erledigung ihrer Aufgaben in der Regel umfassende Informationen. Sie müssen ständig aktuelle Informationen über Entwicklungen im Unternehmensumfeld berücksichtigen, immer flexibler auf Umfeldänderungen reagieren und demzufolge Entscheidungen in immer kürzerer Zeit fällen. Für Marketingmanager ist es daher wichtig, immer schneller an Informationen zu kommen. Daneben ist jedoch auch die Qualität der Informationen von Bedeutung. Entscheider im Marketing fordern zudem immer aussagekräftigere Informationen, die speziell auf ihre Frage- bzw. Problemstellung zugeschnitten sind. Das Marketingmanagement benötigt solche fundierten, tatsächlich entscheidungsrelevanten Marketinginformationen einerseits zur Unterstützung der Entscheidungs- 39 Vgl. hierzu beispielsweise Rath 2008, S. 30; Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 413ff.; Homburg/Krohmer 2006, S. 570ff.; Betz 2003, S. 111. 40 Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 15; Narver/Slater 1990, S. 22. 41 Vgl. Diller/Ivens 2006a, S. 5f.; Diller/Ivens 2006b; Diller/Haas/Ivens 2005, S. 52f. 16 Entscheidungssituation im Marketing findung und andererseits zur Absicherung von bereits getroffenen Marketingentscheidungen. 42 Diese Ausführungen verdeutlichen die enge Verknüpfung zwischen der Informationsund der Aktionsseite im Rahmen des Entscheidungsprozesses im Marketing. Marketingentscheidungen sind somit als „systematischer Prozess der Gewinnung und Verarbeitung von Informationen“ 43 zu verstehen. Damit kommt zum Ausdruck, dass die Informationsbedarfe Entscheidungsprozessen eines beeinflusst Marketingentscheiders werden. Zum einen von den variiert der Informationsbedarf des Marketingmanagements je nach Art der zu treffenden Marketingentscheidung. So sind bei strategischen Entscheidungen eher Informationen erforderlich, die eine Auswahl attraktiver strategischer Geschäftsfelder sowie die Aufstellung von Marketingzielen (Absatz, Marktanteil, Image etc.) ermöglichen. Für operative Routineentscheidungen, die primär die Ausgestaltung und Kombination von Marketing-Mix-Instrumenten betreffen, sind vorwiegend detaillierte Marketinginformationen über Wirkungen und Interdependenzen der einzelnen Marketingmaßnahmen erforderlich.44 Zum anderen ist der Informationsbedarf von der Phase des Marketingentscheidungsprozesses abhängig, in der sich ein Marketingentscheider jeweils befindet. Zu Beginn des Entscheidungsprozesses werden umfassende Informationen sowohl über die Unternehmensumwelt als auch über unternehmensinterne Sachverhalte benötigt, um eine spezifische Problem- bzw. Fragestellung analysieren sowie darauf aufbauend beispielsweise für ein neu einzuführendes Produkt wahrscheinliche Absatz- und Marktentwicklungen prognostizieren zu können. Nach den Phasen der Detailplanung und Umsetzung bestimmte der gewählten Informationen aus Marketingmaßnahmen, Konsumentensicht wofür insbesondere (beispielsweise über Preisbereitschaft, Produktakzeptanz, Kommunikationswirkung etc.) erforderlich sind, gilt es, in der Kontrollphase fortlaufend im Rahmen von Abweichungs- und Ursachenanalysen die Zielerreichung anhand von Umsatz- und Absatzgrößen, mengen- und wertmäßigem Marktanteil etc. zu überwachen. 45 Obgleich sich der Bedarf an Marketinginformationen nur fallbezogen in Bezug auf eine spezifische Entscheidungssituation konkretisieren lässt, ist dennoch offen42 Vgl. Wimmer/Göb 2005, S. 387. 43 Vgl. Meffert 1992, S. 5. 44 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.1.1.2. 45 Vgl. Meffert 1992, S. 5f. Entscheidungssituation im Marketing 17 kundig, dass das Marketingmanagement generell zur Entscheidungsfindung eine Vielzahl heterogener Informationen, die sowohl aus unternehmensinternen als auch aus unternehmensexternen Quellen stammen, benötigt. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass Marketinginformationen als wesentliche, wenn nicht sogar wichtigste Entscheidungsgrundlage für das Marketingmanagement zu bezeichnen ist. 2.3 Verbesserung der Entscheidungsqualität im Marketing durch Marketing Intelligence In den vorhergehenden Ausführungen wurde bereits kurz angesprochen, dass die Tätigkeit des Marketingmanagements und damit letztendlich auch die Entscheidungsfindung als Prozess46 aufzufassen sind. Daher wird in der vorliegenden Arbeit in Abgrenzung zur entschlussorientierten Betrachtungsperspektive eine prozessorientierte Sichtweise der Marketingentscheidung eingenommen. Bei dieser Sichtweise rücken der gesamte Entscheidungsprozess und somit auch die vor dem finalen Entschluss liegenden Vorgänge in den Mittelpunkt der Betrachtung. 47 Mit „Marketingentscheidung“ – egal ob dies eine strategische Grundsatzentscheidung oder eine operativ geprägte Routineentscheidung betrifft – wird hierbei das Resultat des gesamten Marketingentscheidungsprozesses bezeichnet. Um Marketingentscheidungen schließlich bewerten und eine Differenzierung in „bessere“ und „schlechtere“ Entscheidungen vornehmen zu können, wird ein Vergleichsmaßstab zur Beurteilung ihrer Güte benötigt. In diesem Zusammenhang wird in der Regel das Gütekriterium der „Qualität“ herangezogen, womit im betriebswirtschaftlichen Sprachgebrauch ganz generell der Beitrag zur Zielerreichung bzw. Zweckerfüllung verstanden wird. 48 „Qualität“ ist demnach ein sehr allgemeines 46 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.1.1.1. 47 Vgl. Martin 1998, S. 60. In der einschlägigen Literatur dominiert die inhaltliche Gleichstellung der Begriffe Entscheidung und Entscheidungsprozess (vgl. hierzu beispielsweise Witte 1992, Sp. 552f.; Simon 1981, S. 16; Bronner 1980, S. 9ff.; Kirsch 1977, S. 70ff.). Im Gegensatz zu prozessorientierten Ansätzen werden entschlussorientierte Ansätze als geschlossene Modelle bezeichnet, da sie sich auf den Beschluss, das heißt auf den Akt der Auswahl zwischen Handlungsalternativen, beschränken. Vorgelagerte Prozesse, wie beispielsweise das Heranziehen oder auch die Verarbeitung von Daten und Informationen, hingegen bleiben ausgeblendet (siehe hierzu Laux/Liermann 2003, S. 2; Hammann 1994, S. 9; Witte 1992, Sp. 552 sowie Mag 1969, S. 31). 48 Vgl. ausführlich Cramme 2005, S. 42. 18 Entscheidungssituation im Marketing Konstrukt; die Bewertung von Marketingentscheidungen erfordert hingegen gerade auch aufgrund ihrer Komplexität ein differenzierteres Vorgehen. Für die Beurteilung von Entscheidungen bzw. Entscheidungsprozessen im Marketing kann man auf konkreterer Ebene die betriebswirtschaftlichen Zielkategorien der Effektivität und Effizienz heranziehen. 49 Diese beiden Kriterien bieten sich hier als Teilaspekte der Entscheidungsqualität im Marketing an. Effektivität wird als Maßgröße für den Grad der Zielerreichung (Output) verwendet; sie gibt an, inwiefern das Ergebnis einer Handlung die festgelegten bzw. vorgegebenen Erwartungen erfüllt. Die Effektivität ist damit auch für die Beurteilung von Maßnahmen zur Erreichung gegebener Ziele geeignet. Effizienz hingegen wird als Maßgröße für Wirtschaftlichkeit angesehen und spiegelt das Verhältnis von Input und Output (Input-Output-Relation) wieder. Zur Berechnung der Effizienz einer Aktivität findet ein Vergleich zwischen Zielerreichung und den hierfür eingesetzten Mitteln statt.50 Mit Drucker plakativ formuliert: Effektivität heißt „doing the right things“, Effizienz heißt „doing the things right“.51 Effektivität verkörpert somit die Wirksamkeit von Handlungen und Aktivitäten vor dem Hintergrund der ex ante formulierten Ziele und Erwartungen; Effizienz hingegen ist auf den Faktoreinsatz fokussiert, der zur Erreichung der Ziele und Erwartungen benötigt wurde. Überträgt man die beiden Maßgrößen Effektivität und Effizienz als Teilaspekte der Entscheidungsqualität auf die Entscheidungssituation im Marketing, so kann eine Marketingentscheidung beispielsweise effektiv sein, wenn auf Basis der vorliegenden Daten und Informationen eine Produktmodifikation vorgenommen wurde, die schließlich zur angestrebten Absatzsteigerung des betreffenden Produkts führt. Effizient ist eine Marketingentscheidung, wenn der eingesetzte Mitteleinsatz in günstiger Relation zu dieser Absatzsteigerung steht. So können unnötig hohe Kosten (zum Beispiel mehrfache Durchführung identischer (Marktforschungs-)Studien) oder auch fehlerhafte Aktivitäten im Rahmen des Entscheidungsprozesses (zum Beispiel falsche Interpretation vorliegender Informationen) die Effizienz einer Entscheidung reduzieren. Des Weiteren ist der zeitliche Aspekt zu berücksichtigen: die Effizienz der Marketingentscheidung sinkt, wenn sie lediglich durch unzählige Meetings und langwierige Abstimmungsrunden beispielsweise zwischen Marketing und Vertrieb 49 Vgl. Diller/Ivens 2006a, S. 5; Diller/Ivens 2006b, S. 23f.; Bauer/Stockburger/Hammerschmidt 2006, S. 22ff.; Diller/Haas/Ivens 2005, S. 58ff. 50 Vgl. Cramme 2005, S. 43 und die dort angegebene Literatur. 51 Vgl. Drucker 1974, S. 45 sowie Drucker 2006, S. 96. Entscheidungssituation im Marketing 19 oder auch mit der Marktforschungsabteilung realisiert wurde. Der Output der Marketingentscheidung, in diesem Beispiel eine Erlössteigerung durch Mehrverkäufe, würde somit aufgrund zusätzlicher Kosten und eines erhöhten Zeitaufwands geschmälert werden. Bei sämtlichen Handlungen im Marketing, wie zum Beispiel bei der Modifikation eines Produkts, wird zuvor in der Regel eine Abfolge bestimmter Tätigkeiten durchlaufen. Häufig ist am Prozess der Entscheidungsfindung zudem eine Vielzahl von Akteuren beteiligt. Der Entscheidungsverantwortliche (gegebenenfalls der Marketingmanager) muss oftmals, um zu einer fundierten Entscheidung zu gelangen, sowohl mit internen als auch mit externen Akteuren zusammenarbeiten bzw. ist auf deren Arbeit und Know-how angewiesen. Regelmäßig wiederkehrende Entscheidungen, wie es häufig auf operativer Ebene der Fall ist, erfordern meist keine enge Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Akteuren; der Entscheider greift lediglich auf problemrelevante Informationen aus anderen Bereichen bzw. Abteilungen zu und berücksichtigt diese bei seiner Entscheidungsfindung. Denkbar ist beispielsweise, dass der Marketingentscheider bestimmte Kundendaten vom Vertrieb (wie soziodemographische Merkmale, Kaufhäufigkeit, Beschwerdeverhalten eines Kunden etc.) oder auch unternehmensexterne Daten aus der Marktforschung (wie Marktpotenziale, Marktsegmentierungen etc.) benötigt. Trotz der enormen Datenflut, die in heutigen Unternehmen meist vorherrscht, sieht sich der Marketingentscheider in einer Vielzahl von Entscheidungssituationen jedoch auch unvollkommenen Informationen gegenüber. Zudem können in der Regel aufgrund seiner begrenzten Informationsverarbeitungskapazität nicht alle möglichen, potenziell entscheidungsrelevanten Daten Berücksichtigung finden. Kurz gesagt: „The inability to use information effectively is the Archilles’ heel of many decision-making processes.”52 Auf der Nachfrageseite von Marketinginformationen sehen sich Marketingmanager mit immer komplexeren Entscheidungen konfrontiert, die sie häufig in immer kürzerer Zeit fällen müssen. Für Marketingmanager ist es daher wichtig, immer schneller aktuelle, entscheidungsrelevante Informationen heranziehen zu können. Im Gegenzug steigt auf der Angebotsseite von Marketinginformationen die Fülle von Marketingdaten permanent an. Neben Marktforschungsdaten stehen Kunden-, Wettbewerbs- und Branchendaten, Vertriebsdaten sowie Daten aus dem Controlling zur Verfügung. Diese Vielzahl an 52 Smith/Fletcher 2001, S. 220. 20 Entscheidungssituation im Marketing Daten hat der Marketingentscheider alle auf sein Entscheidungsproblem zu beziehen. Eine verbesserte Entscheidungshilfe für die komplexer gewordenen Marketingentscheidungen scheint diese Datenflut jedoch nicht zu bringen. Vielmehr stellt es für Marketingentscheider eine immer größere Herausforderung dar, fundierte Entscheidungen zu treffen: er muss aus den verfügbaren (Einzel-)Daten die tatsächlich relevanten Informationen selektieren, diese problembezogen integrieren sowie darauf bestehende basierend Kluft aussagekräftige zwischen der Schlussfolgerungen Nachfrage- und der ziehen. Angebotsseite Diese von Marketinginformationen kann sogar insgesamt zu einer Verschlechterung der Qualität von Marketingentscheidungen führen. Vor diesem Hintergrund hat sich im Marketing das Bedürfnis nach Selektion und Integration problemrelevanter Informationen sowie insbesondere nach einer besseren Entscheider- und Entscheidungsunterstützung verstärkt. Fraglich ist jedoch, ob der Entscheidungsprozess im Marketing ohne ein bewusstes Management effektiv und effizient ablaufen kann. Genau an dieser Stelle setzt Marketing Intelligence an, die eine bessere Verknüpfung von Nachfrage- und Angebotsseite im Marketing postuliert. Sicherlich äußern die Marketingentscheider ihren Daten- bzw. Informationsbedarf und ebenso selbstverständlich werden diese von der Datenseite – sei es von unternehmensinternen Akteuren (wie etwa dem Vertrieb oder der betrieblichen Marktforschung) oder auch von externen Anbietern (wie etwa der institutionellen Marktforschung) – gedeckt; selten jedoch ist hierbei ein systematisches Vorgehen erkennbar. Genau dieses systematische Vorgehen ist Gegenstand von Marketing Intelligence. Der Fokus soll hierbei primär auf der inhaltlichen Ausgestaltung einer Marketing Intelligence liegen, damit eine Integration von Informationen in den Marketingentscheidungsprozess erfolgt. Erst wenn das „Zusammenspiel“ zwischen der Entscheidungs- und der Datenseite im Marketing, das sowohl den bloßen Austausch von Informationen als auch die Zusammenarbeit verschiedener Akteure betreffen kann, funktioniert, ist es möglich, Marketingentscheider bei der Entscheidungsfindung durch die Generierung von entscheidungsrelevantem Marketingwissen zu unterstützen; erst auf Grundlage von Marketingwissen gelangen erfolgsversprechenden Entscheidungsträger Marketingentscheidung. Durch zu die einer fundierten, Entscheider- und Entscheidungsunterstützung mit Marketingwissen kann Marketing Intelligence schließlich auch dazu beitragen, die Entscheidungsqualität im Marketing zu verbessern. 3 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 3.1 Der Entscheidungstheoretische Analyse der Nachfrageseite von Marketinginformationen – Die Entscheidungsseite im Marketing nachfolgende Abschnitt beleuchtet die Nachfrageseite von Marketinginformationen, die Entscheidungsseite im Marketing. Zunächst werden spezifische Tätigkeiten des Marketingmanagements betrachtet. Um diese näher konkretisieren sowie insbesondere die hierfür benötigten Marketinginformationen strukturieren zu können, erscheint ihre Untergliederung in einzelne Phasen sowie Einteilung in idealtypische Ausprägungen von Marketingentscheidungen sinnvoll. Insgesamt kann auf diese Weise ein Rahmen zur inhaltlichen Analyse der Informationsbedarfe im Marketing entsprechend des jeweiligen Entscheidungstatbestands geschaffen werden. Neben dieser eher sachlich-objektiven Ebene ist auf der Nachfrageseite von Marketinginformationen auch die subjektiv-persönliche Ebene des im Marketing tätigen Entscheidungsträgers, des Marketingentscheiders, von Bedeutung. Einleitend wird zunächst auf entscheidungstheoretische Grundlagen eingegangen, um darauf aufbauend das Entscheidungsverhalten von Marketingmanagern zu untersuchen und deren charakteristisches Informations- und Problemlösungsverhalten aufzuzeigen. 3.1.1 Objektiv-sachliche Ebene 3.1.1.1 Aufgaben des Marketingmanagements Vor dem Hintergrund eines prozessorientierten Marketings 53 erfordern in inhaltlicher Hinsicht sämtliche Aktivitäten und Aufgaben des Marketings eine Planung und Festlegung der Ziele, konkrete Handlungsprogramme für deren Umsetzung sowie entsprechende Kontrollmaßnahmen zur Ziel- und Maßnahmenanpassung. Die Tätigkeit des Marketingmanagements ist als systematischer, marktorientierter Prozess der Entscheidungsfindung – als Managementprozess – anzusehen. Marketingmanagement ist folglich ein institutionalisierter „Planungs- und Durchführungsprozess [sowie Kontrollprozess] der Konzipierung, Preisfindung, Förderung 53 und Verbreitung Siehe hierzu Abschnitt 2.1. von Ideen, Waren und Dienstleistungen, um 22 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Austauschprozesse zur Zufriedenstellung individueller und organisationeller Ziele herbeizuführen“54. Ausgangspunkt des Marketingmanagement-Prozesses ist die Analyse der internen und externen Umwelt. Nach Festlegung der Rahmenbedingungen geht es in der Planungsphase darum, Marketingziele zu definieren und Maßnahmen zur Zielerreichung auszuwählen. Hierbei lassen sich drei Ebenen der Planung differenzieren, die sich auf unterschiedliche Objekte beziehen und somit jeweils durch spezifische Entscheidungen gekennzeichnet sind: die strategische Unternehmensplanung, die strategische Marketingplanung und die operative Marketingplanung. 55 Im Rahmen der strategischen Unternehmensplanung gilt es, das Selbstverständnis des Unternehmens, das seinen Ausdruck in der Mission und den grundlegenden Zielen des Unternehmens findet, festzulegen. Auch die Definition der strategischen Geschäftsfelder sowie die damit verbundene Abgrenzung der für das Unternehmen relevanten Märkte erfolgt auf dieser Planungsebene. Derartige Entscheidungen determinieren neben der Unternehmensidentität insbesondere allgemeine Grundsätze und setzen somit einen Rahmen, innerhalb dessen die einzelnen Unternehmensbereiche agieren können. Sie beziehen sich folglich auf das Objekt Gesamtunternehmen und werden von der obersten Führungsebene, in der Regel von der Unternehmensleitung, getroffen. Bei der strategischen Marketingplanung geht es vorrangig um die Formulierung marktorientierter Strategien und Ziele (externe Ausrichtung) sowie um die Festsetzung des notwendigen Marketingbudgets (interne Ausrichtung). Die strategischen Geschäftsfelder bzw. Geschäftseinheiten sollen so gestaltet bzw. umgestaltet werden, dass sie einen langfristig gültigen Handlungsrahmen schaffen, in dem sich einzelne, konkrete Handlungen im Marketing abspielen können. Die strategische Marketingplanung wird in größeren Unternehmen in der Regel durch die Sparten- und Geschäftsbereichsleitung vollzogen. Nachdem der strategische Marketingplan ausgearbeitet ist, werden im Rahmen des operativen Marketingmanagements Maßnahmenprogramme für die praktische 54 Kotler/Bliemel 2006, S. 25. 55 Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 20ff.; Kotler/Bliemel 2006, S. 107ff. sowie Meffert 1994, S. 24ff. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 23 Umsetzung der Strategien und Marketingziele entwickelt. Hierbei wird hauptsächlich über konkrete Handlungen im Markt oder Unternehmen entschieden. Nachdem das Marketingbudget fixiert ist, muss festgesetzt werden, wie dieses auf die einzelnen Instrumente des Marketing-Mixes56 verteilt werden soll. Die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung des Marketing-Mixes für einzelne Produkte bzw. Produktgruppen steht somit im Mittelpunkt der operativen Marketingplanung. Als Entscheidungsträger der operativen Marketingplanung kommen Marketingmitarbeiter der mittleren und unteren Managementebene, insbesondere das Produktmanagement, in Betracht. Bereits in der Planungsphase des Marketingentscheidungsprozesses – sei es auf strategischer oder auf operativer Ebene – ist eine Fülle an Informationen erforderlich, um das Problem zunächst zu erkennen und schließlich analysieren zu können. Grundsätzlich bedarf es hierzu neben Informationen zu unternehmensinternen Sachverhalten und Gegebenheiten (zum Beispiel interne Kostenkalkulationen, Bestandsplanungen etc.) auch einer Vielzahl an externen Informationen über die Unternehmensumwelt. Unternehmensexterne Informationen lassen sich in Datenund Instrumentalinformationen kategorisieren: 57 Dateninformationen dienen insbesondere der Analyse und Beschreibung der Unternehmensumwelt. Hierfür werden hauptsächlich wirtschaftliche Informationen über gesamtwirtschaftliche Größen sowie die Branchen- und Marktentwicklungen benötigt. Darüber hinaus beinhalten Dateninformationen auch rechtliche und gesellschaftliche Aspekte. Instrumentalinformationen hingegen erfassen die Wirkung spezifischer Entscheidungen bzw. Maßnahmen des Marketings; zum einen legen solche Informationen die Reaktionen des eigenen Unternehmens auf Aktivitäten der Umwelt dar (wie zum Beispiel Reaktionsinformationen in Bezug auf Maßnahmen der Konkurrenz oder des Handels) und zum anderen handelt es sich um Informationen, welche die Umweltreaktionen auf die vom Unternehmen selbst durchgeführten marketingpolitischen Maßnahmen aufzeigen (beispielsweise Informationen über Abnehmer- oder Konkurrenzreaktionen). Nachdem das bestehende Marketingproblem bzw. die vorliegende Fragestellung auf Basis unternehmensinterner und -externer Informationen analysiert wurde, gilt es im Anschluss an die Planungsphase, die Marketingpläne zu verwirklichen. Die Phase 56 Nach Kotler/Bliemel ist der Marketing-Mix „eine Kombination aus den Marketinginstrumentarien, die das Unternehmen zur Erreichung seiner Marketingziele auf dem Zielmarkt einsetzt“ (Kotler/Bliemel 2006, S. 149). 57 Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2004, S. 22f.; Altobelli 2007, S. 3. 24 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen der Steuerung dient der Umsetzung bzw. Durchführung dieser Marketingpläne. Hierzu werden beispielsweise für die Koordination von Marketingmaßnahmen Informationen über deren Einsetzbarkeit und Wirkung benötigt. In der letzten Phase, der Kontrollphase, werden die Ergebnisse abschließend überprüft und bewertet. Es wird festgestellt, ob der geplante Erfolg eingetreten ist bzw. ob neue Maßnahmen notwendig sind, um erforderliche Korrekturen vornehmen zu können. Für die Kontrollphase sind Informationen über die geplanten (Soll-Werte) und erzielten Ergebnisse (Ist-Werte) erforderlich. Vielfach handelt es sich hierbei um Kennzahlen, wie beispielsweise Umsätze nach Kundensegmenten oder Produktgruppen. Um abschließend eine Ursachenforschung für mögliche Abweichungen durchführen zu können, bedarf es daher detaillierter Informationen über mögliche Ursachen von SollIst-Abweichungen. 58 „Der Marketingprozess besteht [folglich] aus der Analyse von Marketingchancen, der Ermittlung und Auswahl von Zielmärkten [(= strategische Unternehmensplanung)], der Erarbeitung von Marketingstrategien [(= strategische Marketingplanung)], der Planung des taktischen Vorgehens mit Marketingprogrammen [(= operative Marketingplanung)] sowie der Organisation, Durchführung und Steuerung [sowie Kontrolle] der Marketingaktivitäten.“59 Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass Marketingmanagement als Prozess der Planung, Durchführung und Kontrolle zu verstehen ist. Diese Struktur beschreibt sicherlich einen idealtypischen Prozess, der nicht zwingend in dieser Form durchlaufen werden muss. Diese idealtypische Betrachtung lässt allerdings deutlich erkennen, dass es sich bei dem Managementprozess im Marketing um einen Entscheidungsprozess handelt. In dessen Mittelpunkt Marketingmanager Marktpositionierung, stehen im verschiedenartige Rahmen der Produktentwicklung Entscheidungen: Marketingplanung und -gestaltung, über So hat der Zielmärkte, Distributionskanäle, Preisgestaltung oder auch Fragestellungen bezüglich der Kommunikationspolitik zu entscheiden. 58 Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2004, S. 24. 59 Kotler/Bliemel 2006, S. 146. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 25 3.1.1.2 Idealtypische Ausprägungen von Marketingentscheidungen Neben einer Analyse der Tätigkeiten und Aufgaben im Marketingmanagementprozess ist eine Differenzierung typischer Entscheidungstatbestände sinnvoll. Hierzu erfolgt eine Unterteilung im Hinblick auf die Fragestellung, ob eine Entscheidung eher strategisch oder eher routiniert und fortlaufend ist. Allerdings gilt, dass „the nature of decision [...] multifaced and continually variable“ 60 ist. Eine eindeutige Klassifizierung ist daher aufgrund der Vielfältigkeit bzw. Vielschichtigkeit sowie der Dynamik von Entscheidungen nur begrenzt möglich. Dennoch werden in dieser Arbeit anhand exemplarischer Veranschaulichungen strategisch geprägte Entscheidungen und operativ geprägte Routineentscheidungen als idealtypische Ausprägungen von Marketingentscheidungen voneinander abgrenzt. 3.1.1.2.1 Strategisch geprägte Marketingentscheidungen Strategisch geprägte Entscheidungen betreffen die langfristige Ausrichtung einer Unternehmung und sind daher losgelöst vom operativen Tagesgeschäft zu betrachten. Es handelt sich hierbei um mittel- bis langfristig ausgerichtete Grundsatzentscheidungen, die einen Orientierungsrahmen für alle nachgeordneten Entscheidungen darstellen. 61 Der Fokus strategischer Entscheidungen liegt häufig auf der Entwicklung von neuen Produkten und der Erschließung von neuen Märkten. Die bekannte Produkt-MarktMatrix von Ansoff (Abbildung 1) liefert Hinweise für strategische Stoßrichtungen eines Unternehmens. 60 Ansoff 1988, S. 3. 61 Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 21f.; Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 2002, S. 176. 26 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Märkte Gegenwärtig Neu Gegenwärtig Marktdurchdringungsstrategie Marktentwicklungsstrategie Neu Produktentwicklungsstrategie Diversifikationsstrategie Produkte Abbildung 1: Quelle: Alternative strategische Stoßrichtungen (Produkt-Markt-Matrix) Ansoff 1966. Die Wachstumsvektoren zeigen an, in welche Richtungen sich das Unternehmen von seinem derzeitigen strategischen Ausgangspunkt aus bewegen kann. Als solcher wird Wachstum mit bestehenden Produkten in bereits bearbeiteten Märkten angesehen. Ziel dieser Strategie der Marktdurchdringung ist es, im gegenwärtigen Markt mit bestehenden Produkten weitere Abnehmer zu finden. Die Marktentwicklungsstrategie impliziert, die im Unternehmen existierenden Produkte neuen Zielgruppen und Kundensegmenten anzubieten. Das Gegenstück ist die Strategie der Produktentwicklung, bei der neue Produkte entwickelt und in den herkömmlichen Märkten abgesetzt werden sollen. Die Diversifikationsstrategie bildet die Synthese dieser beiden Dimensionen; hierbei sollen neue Produkte auf neuen Absatzmärkten vermarktet werden. 62 Für das Marketingmanagement verkörpern diese Richtungspfade verschiedene Entscheidungstatbestände. 63 Insbesondere Entscheidungen bezüglich der langfristigen Marktausrichtung sind für ein Unternehmen essenziell, um die Schaffung und Ausnutzung von Wettbewerbsvorteilen sicherzustellen. Mit der Wahl der strategischen Produkt-Markt-Kombination determiniert das Unternehmen seine richtungsweisenden Aktivitäten; hierin finden alle anderen Entscheidungen ihren Ursprung.64 62 Vgl. Ansoff 1985, S. 98f. 63 Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 2002, S. 188. 64 Vgl. Becker 2002, S. 174; Benkenstein 2001, S. 9ff. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 27 Strategische Entscheidungen bezüglich der Marktentwicklung unterliegen einem äußerst komplexen Entscheidungsprozess. Das Marketingmanagement muss hierbei relevante Daten und Informationen konsistent auswerten und richtige Schlussfolgerungen ziehen, um darauf aufbauend im nächsten Schritt eine sinnvolle Marktabgrenzung und die Wahl der zu bearbeitenden Markt- bzw. Kundensegmente vornehmen zu können. Darüber hinaus müssen grundsätzliche Entscheidungen bezüglich Zielsetzung und Vorgehensweise getroffen werden, die in strategischen, langfristig ausgerichteten Marketingzielen resultieren und letztendlich das Konzept für die eigenen unternehmerischen Stoßrichtungen im Markt determinieren. 65 Entscheidungen, welche die Absatzmärkte sowie die generelle Marktentwicklung betreffen, erfordern neben einer Vielzahl an Informationen aus heterogenen Quellen ein enormes Feingefühl für Trends und Veränderungen und sind in hohem Maße risikobehaftet. Häufig steht jedoch nicht die Erschließung von neuen Märkten, sondern eher die Weiterentwicklung des aktuellen Marktes im Vordergrund. Des Weiteren müssen sich Unternehmen stetig mit Entscheidungen bezüglich Entwicklung und Einführung innovativer Produkte beschäftigen. Gerade in der Konsumgüterbranche existiert eine deutliche Produktbezogenheit; das Produkt bildet den Vermarktungsgegenstand eines Markenartikelherstellers und bestimmt damit sämtliche produkt- bzw. produktgruppenbezogenen Aktivitäten. 66 Die strategischen Aufgaben im „Produktmarketing“ umfassen die marktorientierte Konzept- und Produktgestaltung und die damit einhergehende Planung und Festlegung des Vermarktungskonzepts, das insbesondere die strategische Ausgestaltung des Marketing-Mixes – der Preis-, Kommunikations-, Distributions- und Servicepolitik – betrifft.67 Darüber hinaus spielen auch die Innovationsplanung und damit verbundene Entscheidungen im Verlauf des Prozesses der Neuproduktentwicklung eine entscheidende Rolle.68 Für derartige strategische Entscheidungstatbestände ist es notwendig, dass der Marketingmanager über aktuelle Branchen- und Marktentwicklungen sowie generelle Gesellschafts- und Verbrauchertrends informiert ist. Neben Informationen über gesamtwirtschaftliche Kennziffern eines Landes (zum Beispiel die Entwicklung des 65 Vgl. Benkenstein 2001, S. 16ff. 66 Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 2002, S. 579. 67 Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 397f. 68 Für eine detaillierte Beschreibung und Analyse der Aufgabenbereiche des Produktmarketings siehe Roleff 2001, S. 31ff. 28 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Bruttoinlandprodukts, das Konsumklima usw.) sind für Entscheidungsträger im Marketing daher detaillierte Brancheninformationen sowie Informationen über entsprechende Marktentwicklungen relevant. Dazu bedarf es zunächst Informationen über aktuelle und potenzielle Kunden, wie beispielsweise die Zahl der Bedarfsträger und deren Bedarfsintensität sowie Informationen Zielgruppe(n). Des Weiteren sind für strategische Konkurrenzinformationen wichtig; in diesem über die Kaufkraft der Marketingentscheidungen Zusammenhang kommt der strategischen Wettbewerbsbeobachtung, häufig zusammengefasst unter dem Begriff „Competitve Intelligence“, eine entscheidende Bedeutung zu. 69 Grundsätzlich steht bei strategischen Marketingentscheidungen die Prognose von zukünftigen Entwicklungen auf Basis solcher Dateninformationen im Vordergrund, um auf diese Weise möglichst frühzeitig potenzielle Chancen und Risiken für das Unternehmen erkennen und möglichst rechtzeitig auf Gesellschaftstrends bzw. Änderungen im Verhalten der relevanten Zielgruppe(n) reagieren zu können. 70 Strategische Marketingentscheidungen bestimmen maßgeblich die grundsätzliche Richtung der Entwicklung im Marketing. Sie determinieren die externe und interne Ausrichtung des Unternehmens, also dessen Position im Markt sowie die Ausgestaltung seiner Ressourcenbasis mit dem Ziel, Wettbewerbsvorteile zu erlangen und auf diese Weise den langfristigen Erfolg eines Unternehmens zu sichern.71 Derartig strategisch geprägte Marketingentscheidungen werden in der Konsumgüterindustrie, gerade bei größeren Unternehmen, vorwiegend von der Marketingleitung getroffen. 3.1.1.2.2 Operativ geprägte Routineentscheidungen im Marketing Operativ geprägte Routineentscheidungen sind von operativen Ebenen des Marketingmanagements eher kurzfristig und fortlaufend zu treffen. Hier geht es hauptsächlich um die konkrete Gestaltung und Umsetzung des „Marketing-Mixes“ für einzelne Produkte bzw. Produktgruppen vor dem Hintergrund der festgelegten Marketingstrategie; im Fokus stehen hierbei die auf McCarthy zurückgehenden so genannten „4 Ps“ – das Produkt (product), die Distribution (place), der Preis (price) 69 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.2.2.3. 70 Vgl. für eine mögliche Kategorisierung der Informationsbereiche Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2004, S. 23. 71 Vgl. Hungenberg 2001, S. 4ff. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 29 und die Kommunikation (promotion). 72 Ihre konkrete Umsetzung finden diese im Rahmen von Produkt-, Distributions-, Preis- sowie Kommunikationspolitik. Auch für eine effektive und effiziente Gestaltung des Marketing-Mixes benötigt der Marketingentscheider je nach Entscheidungstatbestand die entsprechenden Marketinginformationen. Für die Produktpolitik, welche sämtliche Entscheidungen im Hinblick auf das gegenwärtige und zukünftige Produktangebot eines Unternehmens umfasst, interessieren den Marketingentscheider in der Regel, wie Innovationen bzw. Produktmodifikationen bei den Verbrauchern ankommen und wie sie von ihnen beurteilt werden. Die Vertriebspolitik bezieht sich auf marktgerichtete akquisitorische sowie vertriebslogistische Aktivitäten; so werden beispielsweise bei der Implementierung eines neuen Vertriebskanals (zum Beispiel Online-Vertrieb) Informationen von Bedeutung sein, die unter anderem erfassen, wie dieser von den Konsumenten angenommen wird und welche Auswirkungen sich dadurch auf die übrigen, bereits bestehenden Distributionskanäle ergeben. Die Preispolitik betrifft alle Entscheidungen über das vom Kunden zu entrichtende Entgelt des Leitungsangebots; hierbei interessieren den Marketingentscheider beispielsweise die Preisbereitschaft und damit verbunden die Preis-Absatz-Funktionen verschiedener Kunden- bzw. Zielgruppen. Derartige Informationen ermöglichen ihm, die Wirkung von Preisänderungen zu prognostizieren und letztendlich einen möglichst gewinnoptimalen Preis festzulegen. Operative Entscheidungen bezüglich der Kommunikationspolitik umfassen sämtliche Maßnahmen des Unternehmens, die zur Steuerung von Meinungen, Einstellungen oder auch Verhaltensweisen bei den Verbrauchern eingesetzt werden. Der Marketingentscheider benötigt daher frühzeitig Informationen, inwieweit eine Kampagne die zu vermittelnde Werbebotschaft auch tatsächlich kommuniziert und somit die gewünschten psychologischen (zum Beispiel Steigerung der Bekanntheit oder Verbesserung des Images einer Marke bzw. eines Produkts) und ökonomischen Kommunikationsziele (zum Beispiel Erhöhung des Absatzes) möglichst gut erreicht werden. Bei operativen Marketingentscheider Entscheidungstatbeständen insbesondere die ist demnach Wirkungsprognose für den spezifischer Marketingmaßnahmen von Bedeutung. Die entscheidende Frage lautet: Wie werden Änderungen bezüglich der Vermarktung eines Produktes bzw. einer Marke beim 72 Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 22; Webster 1992, S. 10. 30 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Verbraucher wahrgenommen und welche Auswirkungen (beispielsweise auf Umsatz, Absatz, Markenbekanntheit etc.) haben diese? Zur Beantwortung dieser Frage benötigt der Marketingentscheider vorwiegend Instrumentalinformationen, die ihm detaillierte Kenntnisse über Reaktionen der Umwelt (insbesondere der Abnehmer, aber auch der Wettbewerber) auf die eigenen Marketingmaßnahmen liefern. 73 In der Konsumgüterbranche kommt in diesem Zusammenhang insbesondere dem Markenmanagement eine besondere Bedeutung zu. 74 Es gilt, auf Basis der Markenstrategie und des damit verbundenen Markenauftritts spezifische Ziele sowie konkrete Maßnahmenprogramme zu vereinbaren. Derartige Entscheidungen im Rahmen der Markenpolitik betreffen Aktivitäten aller Marketing-Mix-Bereiche, deren entsprechende Gestaltung die Umsetzung der angestrebten Markenstrategie unterstützen soll. 75 Darüber hinaus ist im Rahmen eines integrativen Einsatzes der operativen Marketinginstrumente das Kundenbeziehungsmanagement zu nennen. Hierbei steht die Geschäftsbeziehung mit dem Kunden im Mittelpunkt der Betrachtung.76 Customer Relationship Management (CRM) als eine technologiegestützte, kundenorientierte Unternehmensstrategie umfasst nicht nur die systematische Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle der auf den aktuellen Kundenstamm ausgerichteten Strategien und Maßnahmen. Es betrifft neben der Gestaltung der Beziehung zu aktuellen, bereits gewonnenen Kunden (Kundenbindungsmanagement) die Kundengewinnung, mit dem Ziel, diese langfristig an das Unternehmen zu binden, abgewanderter Kunden. verschiedene 77 Produktgestaltung, die gegebenenfalls auch die Rückgewinnung Für die einzelnen Marketing-Mix-Instrumente existieren Ansatzpunkte beziehungsmanagements. sowie zur Förderung Beispielsweise Implementierung und lassen von Gestaltung sich des Kunden- kundenindividuelle Bonusprogrammen oder auch regelmäßige Außendienstbesuche als Ansatzpunkte eines Kundenbeziehungsmanagements bezeichnen.78 Hierbei handelt es sich vorwiegend um operative Routineentscheidungen. Die Gestaltung und Umsetzung eines erfolgversprechenden 73 Vgl. für eine mögliche Kategorisierung der Informationsbereiche Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2004, S. 23. 74 Konsumgüterhersteller werden daher häufig auch als „Markenartikler“ bezeichnet. 75 Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 349ff.; Homburg/Krohmer 2006, S. 627ff. 76 Vgl. Homburg/Krohmer 2006, S. 945ff. 77 Vgl. Hippner 2006, S. 17f.; Hippner 2005, S. 118; Müller 2004, S. 81. 78 Siehe hierzu bei Homburg/Krohmer 2006 einen Überblick beispielhafter Ansatzpunkte eines Kundenbeziehungsmanagements für einzelne Marketing-Mix-Instrumente (vgl. Homburg/ Krohmer 2006, S. 946). Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 31 Kundenbeziehungsmanagements gelingt nur durch Kombination verschiedener Marketing-Mix-Aktivitäten, wofür der Marketingentscheider bestimmte Informationen (in der Regel) aus Konsumentensicht benötigt. Die Vorbereitung operativ geprägter Routineentscheidungen fällt meistens – wie bereits dargelegt – in den Aufgabenbereich von Marketingmitarbeitern der mittleren und unteren Managementebene. Der Beschluss und somit die Entscheidung selbst sind wiederum von der Marketingleitung zu genehmigen und letztendlich zu treffen; die Verantwortung für derartige Entscheidungen liegt daher bei der Marketingleitung. Wie bereits erörtert, sind die Begriffe der „strategisch geprägten Entscheidung“ und der „operativ geprägten Routineentscheidung“ nicht eindeutig gegeneinander abzugrenzen. Zum einen ist es erforderlich, dass die Unternehmens- bzw. Geschäftsfeldstrategie operativ – und damit kurzfristig – umgesetzt wird; zum anderen sind die operativen Maßnahmen auf strategische – und damit langfristige – Marketingziele und -programme ausgerichtet. Da die gewählte Klassifizierung von Marketingentscheidungen jedoch sowohl in der Wissenschaft als auch, wie die durchgeführten Experteninterviews zeigten, in der Praxis weit verbreitet ist, wurde sie trotz der Abgrenzungsprobleme für die vorliegende Arbeit herangezogen. Generell sieht sich das Marketingmanagement bei der Entscheidungsfindung einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber. Die Auseinandersetzung mit globalem Wettbewerb, rasantem technologischem Fortschritt und den damit verbundenen kürzeren Produktlebenszyklen geht einher mit wachsendem Kostendruck sowie dem Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt. Konsequenz dieser dynamischen Veränderungen ist eine kontinuierlich zunehmende Marketingmanagern zu bewältigenden Aufgaben. 79 Komplexität der von Des Weiteren nimmt aufgrund der zunehmenden Bedeutung einer wertorientierten Unternehmensführung und der damit verbundenen Ausrichtung finanzwirtschaftlichen Erfolgsgrößen bzw. Orientierung des Managements an auch im Marketing die Forderung, die Performance des Marketings zu optimieren und dessen Erfolgsbeiträge messbar zu machen, einen immer größeren Stellenwert ein. 79 Vgl. Kotler/Bliemel 2006, S. 3f.; Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 2002, S. 9ff.; Meffert/Burmann/ Kirchgeorg 2008, S. 15ff.; Homburg/Krohmer 2006, S. 2ff.; Matsatsinis/Siskos 2003, S. 26f. 32 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 3.1.2 Subjektiv-persönliche Ebene Neben der sachlich-objektiven Ebene, welche die Marketingentscheidung betrifft, ist auf der Nachfrageseite von Marketinginformationen auch die subjektiv-persönliche Ebene des im Marketing tätigen Entscheidungsträgers, des Marketingentscheiders, von Bedeutung. Einleitend werden zunächst entscheidungstheoretische Grundlagen aufgezeigt, im Anschluss wird darauf aufbauend die subjektiv-persönliche Ebene des Entscheidungsverhaltens Marketingentscheider betrachtet. bzw. Es wird daher Marketingmanager insbesondere abgestellt und auf deren charakteristisches Informations- und Problemlösungsverhalten aufgezeigt. 3.1.2.1 Theoretische Grundlagen zum Entscheidungsverhalten von Managern Marketingentscheider müssen regelmäßig Entscheidungen treffen – sei es in alleiniger Verantwortung oder als Mitglied einer Gruppe, sei es mit weit reichenden oder verhältnismäßig bedeutungslosen Konsequenzen. Das Treffen von Entscheidungen, sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene, gehört auch im Marketing zu den wichtigsten Aufgaben eines jeden Managers. 80 Den theoretischen Hintergrund hierfür bildet die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre. „Die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre versucht, die Phänomene und Tatbestände der Praxis aus der Perspektive betrieblicher Entscheidungen zu systematisieren, zu erklären und zu gestalten.“81 In der vorliegenden Arbeit wird, wie bereits dargelegt wurde, eine prozessorientierte Sichtweise der Marketingentscheidung eingenommen; das heißt, es wird nicht nur der finale Beschluss Marketingentscheidung bzw. die bezeichnet, Auswahl sondern einer es Handlungsalternative werden der als gesamte Problemlösungsprozess der Entscheidungsfindung einschließlich der Vorgänge der Informationsgewinnung und -verarbeitung betrachtet.82 Zur Beschreibung und Erklärung des Informations- und Entscheidungsverhaltens von Entscheidungsträgern können dabei die Erkenntnisse der Entscheidungstheorie herangezogen werden. Die Entscheidungstheorie beschäftigt sich mit der Auswahl 80 Vgl. Hammond/Keeny/Raiffa 2006, S. 118 sowie die Ausführungen in Abschnitt 3.1.1. 81 Heinen 1991, S. 12. 82 Siehe hierzu Abschnitt 2.3. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 33 von Handlungsalternativen und „umfasst sowohl die Analyse logischer Implikationen des Postulates zielentsprechender Wahlhandlungen als auch Systeme empirisch gehaltvoller Erklärungen darüber, wie Entscheidungen in der Realität gefällt werden“83. Aus dieser Definition geht bereits hervor, dass sich prinzipiell zwei Forschungsrichtungen differenzieren lassen: die deskriptive Entscheidungstheorie einerseits sowie die normative (präskriptive) andererseits. 84 Während die deskriptive Entscheidungstheorie beschreiben will, wie sich ein Individuum in realen Entscheidungssituationen tatsächlich verhält, versucht die normative bzw. präskriptive Richtung, Entscheidungsmodelle zu entwerfen, die als Grundlage für optimale Entscheidungen dienen können. Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, dass die deskriptive Entscheidungstheorie empirische Beschreibungen und Erklärungen liefert, warum sich (Marketing-)Entscheider so verhalten, wie sie sich verhalten; mittels der normativen Entscheidungstheorie hingegen wird aufgezeigt, wie sich rational handelnde Marketingentscheider bei Entscheidungsprozessen verhalten sollten. Die normative Entscheidungstheorie verwendet ein allgemeines Grundmodell, um zu zeigen, was ein Entscheider in unterschiedlichen Entscheidungssituationen tun soll. Als elementare axiomatische Annahmen werden vollständige bzw. weitgehende Rationalität des Entscheidungsträgers sowie dessen Streben nach Nutzen- bzw. Vorteilsmaximierung unterstellt.85 Ziel der normativen Entscheidungstheorie ist also die Bereitstellung oeconomicus“ 86 von Handlungsanweisungen, um im rationale Entscheidungen treffen zu können. 87 Sinne des „homo Ihren idealtypischen Vorstellungen gemäß muss der Entscheidungsträger zum einen festlegen, welche Ziele er verfolgt. Hierzu stehen ihm spezifische Entscheidungsregeln zur Verfügung, mit deren Hilfe unterschiedliche Entscheidungsalternativen verglichen werden. Die Präferenzen eines Entscheiders sind dabei, so die Annahme, gemäß seiner Entscheidungslogik klar geordnet und konsistent. Zum anderen ist ein so genanntes Entscheidungsfeld gegeben, das für die einzelnen Handlungsalternativen bei verschiedenen Umweltzuständen die mit der jeweiligen Aktion verbundenen 83 Sieben/Schildbach 1994, S. 1. 84 Die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie wird im Allgemeinen in diese beiden Richtungen unterteilt; der Begriff der präskriptiven Entscheidungstheorie wird dabei als Synonym für die normative Theorie verwendet (vgl. Rehkugler/Schindel 1990; Bamberg/Coenenberg 2006, S. 1ff.; Sieben/Schildbach 1994). 85 Vgl. Laux 2005, S. 15ff. 86 Vgl. hierzu beispielsweise Kirsch 1977, S. 27; Kirchgässner 1991; Dietz 2005. 87 Vgl. Laux 2005, S. 2; Bamberg/Coenenberg 2006, S. 3f.; Simon 1959, S. 254. 34 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Konsequenzen (Ergebnisse) abbildet. Entsprechend der jeweiligen Entscheidungssituation lassen sich dabei verschiedene Arten von Entscheidungen differenzieren: Entscheidungen bei Sicherheit, Unsicherheit oder Risiko. 88 Das geschlossene Entscheidungsmodell ermöglicht es, in einer Ergebnismatrix jeder Kombination aus der jeweiligen Handlungsalternative und dem jeweiligen Umweltzustand anhand einer so genannten zuzuordnen.89 Ergebnisfunktion Entsprechend den den Annahmen entsprechenden der Rationalität Ergebniswert und Nutzen- maximierung wählt der Entscheidungsträger die Alternative mit dem höchsten Ergebniswert aus und trifft somit für die jeweilige Situation die optimale Entscheidung; in diesem Sinne handelt er (zweck-)orientiert. Vor dem Hintergrund der normativen Entscheidungstheorie lässt sich folgern, dass Informationen eine notwendige Grundlage von Entscheidungen darstellen. Erst durch die Beschaffung von Informationen ist es für Entscheidungsträger möglich, potenzielle Umweltzustände detaillierter beschreiben sowie deren Eintrittswahrscheinlichkeit abschätzen zu können, um letztendlich für jede Handlungsalternative einen spezifischen Ergebniswert zu berechnen. Diesbezüglich besteht jedoch in der Praxis ein erhebliches Informationsproblem: es ist unmöglich, vollständige Informationen über sämtliche Umweltzustände, über alle möglichen Handlungsalternativen sowie über alle Ergebnisfunktionen bzw. Ergebniswerte zu beschaffen. Vielmehr sollte eine solche modellhafte Betrachtung des Entscheidungsproblems dazu dienen, das Entscheidungsfeld (Umweltzustände, Handlungsalternativen und Annahmen bezüglich potenzieller Ergebnisfunktionen bzw. -werte) möglichst umfassend abzustecken sowie ein spezifisches Zielsystem des Entscheidungsträgers festzulegen. (Marketing-)Entscheider werden durch diese Modellbetrachtung besser beurteilen können, welche Marketinginformationen sie tatsächlich für das bestehende Entscheidungsproblem benötigen. Hierbei wird es sich neben generellen Informationen über bestehende Rahmenbedingungen hauptsächlich um Wirkungsprognosen von Marketingmaßnahmen sowie die Aufstellung plausibler Reaktionsfunktionen handeln. Auf Basis der vorliegenden Informationen soll der Entschei88 Eine Entscheidung bei Sicherheit liegt vor, wenn dem Entscheidungsträger bekannt ist, welches Ergebnis sich bei Wahl einer Handlungsalternative einstellen wird. Bei Unsicherheit kennt der Entscheidungsträger nur die Menge der möglichen Umweltzustände, aber nicht deren spezifische Eintrittswahrscheinlichkeiten. Schließlich gibt es Entscheidungen bei Risiko, bei denen der Entscheidungsträger zumindest den Umweltzuständen (objektive und subjektive) Eintrittswahrscheinlichkeiten zuordnen kann (vgl. March/Simon 1977, S. 41; March/Simon 1958, S. 137; Kirsch 1977, S. 27; Meyer 1999, S. 18). 89 Vgl. Sieben/Schildbach 1994, S. 15ff.; Laux 2005, S. 16ff.; Heinen 1991, S. 26-35; Mag 1977, S. 10ff.; Rehkugler/Schindel 1990, S. 15-42; Frese 1998, S. 48-50. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 35 dungsträger schließlich eine weitgehend im Sinne des Rationalitätsprinzips vernünftige Entscheidung treffen. Die deskriptive Entscheidungstheorie „sieht ihre Aufgabe anders als die praktisch normative Entscheidungstheorie nicht in der Aufdeckung von Implikationen rationalen Handelns, sondern darin, die Gesetzesmäßigkeiten zu erforschen, nach denen Entscheidungen in der Realität gefällt werden. Die empirisch realistische Entscheidungstheorie strebt also nach einem möglichst umfassenden System empirisch gehaltvoller und daher durch die Realität widerlegbarer Hypothesen, die das Entscheidungs- und Problemlösungsverhalten der Menschen erklären.“ 90 Hier rückt also das Entscheidungsverhalten von Individuen in den Mittelpunkt der Betrachtung; Ziel ist es, eine Antwort auf die Frage zu finden: „Wie werden Entscheidungen in der Wirklichkeit getroffen und warum werden sie so und nicht anders getroffen?“91 Die deskriptive Entscheidungstheorie betrachtet dabei den individuellen Entscheidungsprozess, bei dem die dem finalen Entschlussakt vorausgehenden Informations- und Kommunikationsprozesse ebenso wie der Entschlussakt selbst zum Analysegegenstand werden; der Entscheidungsprozess wird als umfassender Problemlösungsprozess aufgefasst.92 Im Mittelpunkt stellt die deskriptive Theorie auf eine verhaltenswissenschaftliche Analyse von Problemlösungs- und Entscheidungsprozessen ab, die sich als kognitive Prozesse des einzelnen Entscheidungsträgers darstellen. Kognitive Prozesse sind als gedankliche Vorgänge des Entscheiders zu verstehen, die durch Aufnahme und Verarbeitung von Informationen dessen Verhalten steuern. Hieraus wird deutlich, dass Marketinginformationen grundsätzlich einen enormen Einfluss auf das Entscheidungsverhalten von Marketingentscheidern und damit auf die Problemlösungs- und Entscheidungsprozesse im Marketing besitzen. Entscheidungsprozesse laufen jedoch in der Regel nicht nach einem festen Schema ab. Die psychologische Erkenntnis der deskriptiven Theorie des Entscheidungsverhaltens in diesem Zusammenhang besteht darin, dass ein Entscheidungsträger aufgrund seiner begrenzten Informationsgewinnungs- und Informationsverarbeitungskapazität eine 90 Sieben/Schildbach 1994, S. 177. 91 Bamberg/Coenenberg 2006, S. 4f. 92 Vgl. Witte 1992, Sp. 552ff. Idealtypisch kann der individuelle Entscheidungsprozess in folgende Phasen unterteilt werden: Anregungsphase, Suchphase, Konkretisierungsphase, Evaluationsphase und Auswahlphase (siehe hierzu Laux 2005, S. 8; Heinen 1991, S. 35; Bronner 1993, S. 734; Rehkugler/Schindel 1990, S. 221). 36 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen limitierte Rationalität („bounded rationality“) besitzt.93 Rationales Handeln meint die Fähigkeit eines Entscheidungsträgers, abschätzen zu können, welche Mittel und Wege zur Erreichung eines spezifischen Ziels nötig sind.94 Abgesehen von der vollkommenen Rationalität, die vollständige Informationen über alle Umweltzustände und über alle Handlungsalternativen einschließlich der jeweils damit verbundenen Konsequenzen bzw. Ergebnisse voraussetzt, erfordert schon die Abschätzung solcher Ursache-Wirkungsketten aufgrund der Komplexität von Marketing- entscheidungen eine Vielzahl an Marketinginformationen, die häufig, sofern sie überhaupt vorliegen, vom Marketingentscheider aufgrund seiner beschränkten Informationsverarbeitungskapazität nicht aufgenommen und verarbeitet werden können. Darüber hinaus kann die Entscheidungsfindung von Personen nicht nur auf Regeln der Logik zurückgeführt werden. Die limitierte Rationalität von Entscheidungsträgern lässt sich auch dadurch belegen, dass die Informationsgewinnungsund Informationsverarbeitungsprozesse von Entscheidern nicht einer objektiven, sondern vielmehr einer so genannten subjektiven Psycho-Logik entsprechen. 95 Dies bedeutet, dass der Marketingentscheider individuellen Denkgewohnheiten und -präferenzen folgt und den Entscheidungsprozess durch Beurteilungsmuster vereinfacht.96 Insgesamt versucht die deskriptive Entscheidungstheorie durch Berücksichtigung des individuellen Entscheidungsprozesses, Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, nach denen das Entscheidungsverhalten in der Realität abläuft. 97 Hinsichtlich des Bedarfs an Marketinginformationen sowie deren Nutzung durch (Marketing-)Entscheider lässt sich festhalten, dass diese vor dem Hintergrund der normativen Entscheidungstheorie dazu dienen, die Eintrittswahrscheinlichkeit über Umweltzustände besser beurteilen und/oder die Ergebnisse einer Handlungsalternative präziser prognostizieren zu können. Informationen können folglich die Unsicherheit bzw. das Risiko von Entscheidungssituationen im Marketing minimieren oder sogar beseitigen. Es ist daher wichtig, zu erkennen, welche Marketinginformationen für die entsprechende Entscheidungssituation benötigt werden. Marketinginformationen stellen auf der objektiv-sachlichen Ebene die entscheidungs93 Vgl. Simon 1976, S. 68; March/Simon 1977, S. 42; Kirsch 1977, S. 64; Lindstädt 2006, S. 14; Cramme 2005, S. 82. 94 Vgl. Grünig/Kühn 2004, S. 45ff. 95 Vgl. March/Simon 1958, S. 107 und S. 120; Kirsch 1977, S. 64. 96 Vgl. hierzu ausführlich in Bezug auf das Verhalten von Konsumenten Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009, S. 343ff. sowie Foscht/Swoboda 2007, S. 94ff. 97 Vgl. Bamberg/Coenenberg 2006, S. 4ff.; Sieben/Schildbach 1994, S. 177ff.; Kirsch 1977; Cyert/March 1963. Kroeber- Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen logische Grundlage von Marketingentscheidungen dar: 37 je geeigneter die Informationsgrundlage ist, desto bessere Entscheidungen können (unter der Annahme rationalen Handelns des Marketingentscheiders) getroffen werden. Oftmals werden jedoch Marketinginformationen – obwohl sie für die jeweilige Marketingentscheidung von Bedeutung sind – vom Marketingentscheider nicht als solche wahrgenommen und folglich bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt. Das individuelle Informations- und Problemlösungsverhalten von Entscheidungsträgern entspricht häufig nicht den Implikationen rationalen Handelns; eben damit befasst sich die deskriptive Entscheidungstheorie. Auf dieser subjektivpersönlichen Ebene spielen insbesondere Persönlichkeitsmerkmale von Entscheidungsträgern sowie deren beschränkte Rationalität eine Rolle; dies kann zu Inkonsistenzen im Entscheidungsverhalten führen. Gerade die Annahme der limitierten Informationsverarbeitungskapazität wirft die Frage auf, welche Marketinginformationen tatsächlich entscheidungs- und entscheiderrelevant sind. Es wird deutlich, dass eine Analyse des Prozesses der Entscheidungsfindung im Marketing auf einer Synthese von objektiv-sachlicher und subjektiv-persönlicher Ebene beruhen muss. Die objektiv-sachliche Ebene liefert die Informationsgrundlage zur entscheidungslogischen Fundierung von Entscheidungsprozessen im Marketing, während die subjektiv-persönliche Ebene den Marketingentscheider selbst bzw. dessen Entscheidungsverhalten berücksichtigt. Einerseits können umso effektivere und effizientere Marketingentscheidungen getroffen werden, je geeigneter die bereitgestellten Informationen sind; andererseits erfolgt eine umso bessere Unterstützung des Marketingentscheiders, je mehr die Informationsgrundlage auf dessen kognitiven Entscheidungsstil zugeschnitten ist. Aus der empirischen und verhaltenstheoretisch fundierten Analyse der individuellen Problemlösungs- und Entscheidungsverhaltensweisen von Marketingentscheidern – also dem deskriptiven Ansatz – 38 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen können schließlich auch Gestaltungsempfehlungen für die bereitzustellenden Informationen – und damit präskriptive Aussagen – abgeleitet werden. 98 3.1.2.2 Einfluss kognitiver Merkmale auf das Entscheiderverhalten Das individuelle Entscheidungsverhalten wird vornehmlich Entscheidungskontext sowie von den Persönlichkeitsmerkmalen 99 vom des jeweiligen Entscheiders determiniert. 100 Kontextfaktoren sind generell als Bedingungen zu bezeichnen, unter denen Entscheidungsverhalten stattfindet. Im Rahmen des organisationalen Entscheidungsverhaltens werden insbesondere Macht, Ziele sowie Anreiz- und Kontrollsysteme als Determinanten des Entscheidungskontextes verstanden.101 Die geführten Experteninterviews verdeutlichten, dass Marketingentscheidern klar definierte Ziele gesetzt werden und sie sich daher einer enormen Zielverantwortung ausgesetzt fühlen. Dabei sollen auch im Marketing Anreize die Mitarbeiter motivieren, die festgesetzten Zielvereinbarungen zu erfüllen. Kontrollsysteme kommen letztendlich zur Überprüfung des Zielerreichungsgrades zum Einsatz. Der Entscheidungskontext, der größtenteils durch das Unternehmen und dessen Philosophie Marketingentscheider determiniert häufig vorab wird, festgelegt; ist daher für hat sich er den einzelnen quasi in den Entscheidungskontext einzufügen. Für die vorliegende Fragestellung ist es daher relevant, auf das Entscheiderverhalten in diesem Kontext und somit auf solche Persönlichkeitsmerkmale von Entscheidungsträgern abzustellen, die einen signifikanten Einfluss auf das Entscheiderverhalten (im Marketing) haben. Generell ist anzunehmen, dass aufgrund kognitiver Persönlichkeitsmerkmale individuelle Unterschiede im Problemlösungsverhalten gegeben sind. 98 Bei Differenzierung der entscheidungstheoretischen Ansätze in eine präskriptive bzw. normative und eine deskriptive Richtung muss berücksichtigt werden, dass sich im Hinblick auf den betriebswirtschaftlichen Erkenntnisgewinn beide Ansätze ergänzen. Die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie muss daher auf einer Synthese der praktisch normativen und der empirisch realistischen Entscheidungsforschung basieren (vgl. Bamberg/Coenenberg 2006, S. 11f.; Sieben/Schildbach 1994, S. 199ff.; Rehkugler/Schindel 1990, S. 316; Pfohl/Braun 1981, S. 74ff.). „Die präskriptive Entscheidungstheorie liefert notwendige Grundlagen zur entscheidungslogischen Fundierung betrieblicher Entscheidungsprozesse, die deskriptive Entscheidungstheorie liefert Grundlagen für die Fundierung notwendiger Analysen und Prognosen“ (Bamberg/Coenenberg 2006, S. 12). 99 „Zum Kern der Persönlichkeitsmerkmale gehören Anlagen und Züge (traits) wie Intelligenz, Musikalität usw. Darüber hinaus sind die wesentlichen Persönlichkeitsmerkmale die dauerhaften Komponenten bzw. Muster der […] Zustandskonstrukte Gefühle, Wissen, Motive, Einstellungen und Werte“ (vgl. Trommsdorff 2004, S. 214 (im Original Fettdruck)). 100 Vgl. Wiemann 1998, S. 76f. 101 Vgl. O’Reilly 1990, S. 97. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 39 Persönlichkeitseigenschaften sind relativ zeitstabile Variablen, die Merkmale des Verhaltens einer Person in bestimmten Situationen beschreiben und vorhersagen sollen.102 Als grundlegendes und einflussreichstes Paradigma zur Erklärung menschlichen Verhaltens kann der S-O-R-Ansatz103 herangezogen werden. Überträgt man dieses Modell auf Entscheidungsprozesse, so wirkt ein bestimmter Stimulus in Form einer Problem- bzw. Fragestellung auf ein Individuum ein und hierfür wird eine Reaktion in Form einer Entscheidung gefunden bzw. getroffen. Persönlichkeitsmerkmale des Entscheidungsträgers – im so genannten Organismus als „black box“ – beleuchten den Zusammenhang zwischen dem Problem und der individuellen Reaktion auf diesen Stimulus. 104 Es lassen sich zwei grundlegende Kategorien von Persönlichkeitsmerkmalen bei Entscheidungsträgern unterscheiden: affektive und kognitive Eigenschaften. Abbildung 2 verdeutlicht den S-O-R-Ansatz und damit die maßgeblichen Persönlichkeitsmerkmale des Entscheiderverhaltens. Stimulus (S) Organismus (O) aktivierende Prozesse Problem/ Fragestellung Response (R) kognitive Prozesse • Aktivierung • Emotionen • Motivationen • Wahrnehmung • Lernen • Gedächtnis Entscheidung Persönlichkeit Kognitiver Stil Abbildung 2: Quelle: Die Persönlichkeitsvariablen des Entscheidungsverhaltens in Anlehnung an Foscht/Swoboda 2007, S. 30. Grundsätzlich lässt sich das Entscheidungsverhalten durch die intervenierenden Variablen – die aktivierenden und die kognitiven Prozesse – erklären. Als 102 Vgl. Brauchlin/Heene 1995, S. 51; Gallèn 1997, S. 541. 103 S-O-R steht für Stimulus, Organismus und Response bzw. Reaktion. Damit wird das in der Psychologie verwendete Modell des Behaviorismus um eine Innensicht erweitert. Im SR-Modell wird der Organismus als Black-Box gesehen; im Mittelpunkt der Betrachtung stehen nur Reiz und Reaktion (vgl. Foscht/Swoboda 2007, S. 29) 104 Vgl. Rehkugler/Schindel 1990, S. 220; Fink 1987, S. 5. 40 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen aktivierende Prozesse werden jene Vorgänge bezeichnet, die aufgrund innerer Erregungen und Spannungen das Verhalten antreiben. Dabei ist Aktivierung als Grunddimension des Entscheidungsverhaltens zu bezeichnen, da sie die generelle Bereitschaft eines Entscheidungsträgers betrifft, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten.105 Sie stellt demnach die Voraussetzung dafür dar, dass ein Marketingentscheider überhaupt ein bestehendes Marketingproblem erkennt bzw. wahrnimmt. Des Weiteren haben auch Emotionen einen entscheidenden Einfluss auf das Entscheidungsverhalten, da Marketingentscheider häufig nicht im Sinne des Rationalitätsprinzip entscheiden, sondern vielmehr Entscheidungen „aus dem Bauch“ heraus treffen.106 Problemlösungs- Zudem und beeinflussen auch Entscheiderverhalten motivationale von Individuen. Merkmale 107 Motive das sind „Energien“, die das Handeln auf gesetzte oder selbst gewählte Ziele hin ausrichten und steuern; sie sind als relativ stabile Prädispositionen aufzufassen und stellen die vom Entscheidungsträger angestrebten Zielzustände dar, die durch bestimmte situative Stimuli aktiviert werden.108 So können auch Motive, wie beispielsweise die Risikoeinstellung oder auch die Leistungsmotivation eines Marketingentscheiders 109, verantwortlich für dessen individuelles Entscheidungsverhalten sein. Neben den aktivierenden Prozessen haben auch kognitive Prozesse einen Einfluss auf das Entscheiderverhalten im Marketing. Kognitive Vorgänge betreffen die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen und damit grundlegende Aufbauelemente des Denkens von Individuen. Dabei wird differenziert zwischen festen Komponenten und flexiblen, jedoch nur langfristig veränderbaren Bestandteilen. Während feste Strukturen die Informations- bzw. Wissensspeicherung in den verschiedenen Teilen des Gedächtnisses betreffen, beziehen sich flexible Strukturen auf Grundeinstellungen, Werthaltungen und Erfahrungen. 110 Bezogen auf das Entscheiderverhalten im Marketing lassen sich kognitive Vorgänge 105 Vgl. ausführlich zum Konstrukt der „Aktivierung“ Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009, S. 60ff.; Foscht/Swoboda 2007, S. 37ff.; Trommsdorff 2004, S. 47ff. 106 Vgl. ausführlich zum Konstrukt der „Emotion“ Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009, S. 99ff.; Foscht/Swoboda 2007, S. 44ff.; Trommsdorff 2004, S. 67ff. 107 Vgl. ausführlich zum Konstrukt der „Motivation“ Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009, S. 167ff.; Foscht/Swoboda 2007, S. 52ff.; Trommsdorff 2004, S. 117ff. 108 Vgl. Dörner 1987a, 238ff.; Döner et al. 1988, S. 217ff.; Endres 1999, S. 75ff. 109 Vgl. hierzu ausführlich Wiemann 1998, S. 93ff. 110 Vgl. ausführlich zu kognitiven Prozessen Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009, S. 274ff.; Foscht/Swoboda 2007, S. 73ff.; Trommsdorff 2004, S. 87ff. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 41 zusammenfassend als gedankliche Prozesse zum geistigen Bewältigen von Marketingproblemen kennzeichnen. 111 Unterschiedlich ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale – sowohl hinsichtlich der aktivierenden als auch hinsichtlich der kognitiven Prozesse – können also Ursache für Divergenzen im Verhalten einzelner Entscheidungsträger sein; spezifische Persönlichkeitsmerkmale kognitiven Stil. 112 eines Der Entscheidungsträgers kognitive Stil formen stellt folglich ein dessen psychologisches Persönlichkeitskonstrukt dar und beschreibt über verschiedene Situationen und Zeitabläufe hinweg relativ konsistente Modi der Informationsaufnahme und -verarbeitung; er bringt zum Ausdruck, wie Informationen wahrgenommen und bewertet werden.113 „Jeder hat [also] eine bestimmte, bevorzugte Weise, in der er wahrnimmt und beurteilt.“114 Marketingentscheider stets Demzufolge ein ist spezifisches davon auszugehen, Informations- und damit dass auch Entscheidungsverhalten entsprechend ihres kognitiven Stils aufweisen. Der kognitive Stil wird daher häufig auch als Entscheidungsstil bezeichnet. 115 Auch in der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe Entscheidungs- bzw. Entscheiderstil synonym zum Terminus des kognitiven Stils verwendet. Anhand der kognitiven Stile lassen sich spezifische Persönlichkeitstypen unterscheiden sowie spezifische Vorgehensweisen beim Problemlösestrategien Treffen von charakterisieren, Entscheidungen die bzw. verschiedene naturgemäß auch die Entscheidungsfindung und damit letztendlich Marketingentscheidungen von damit befassten Entscheidern prägen.116 Generell werden in der vorliegenden Arbeit diejenigen Personen als Marketingentscheider werden bezeichnet, die an der Marketingentscheidung beteiligt sind und entsprechend Verantwortung tragen; dabei kann es sich beispielsweise um Entscheidungsträger aus dem Markenmanagement, dem Produktmanagement, dem Vertrieb, dem Kundenmanagement etc. handeln. Häufig sind jedoch bei 111 Vgl. Dörner/Schaub/Strohschneider 1999, S. 198; Endres 1999, S. 63ff. 112 Vgl. Dörner 1987b; Hough/Ogilvie 2005, S. 418; Landauer 1996, S. 52-54 sowie ausführlich Sternberg 1997. So definiert Messick kognitive Stile als „charateristic self-consistencies in information processing that develop in congenial ways around underlying personality trends" (Messick 1984, S. 6). 113 Vgl. Fink 1987, S. 6; Blackman/Goldstein 1978, S. 3; Gupta/Rout 2007, S. 81. 114 Bents/Blank 1995, S. 7. 115 Vgl. Henderson/Nutt 1980. 116 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.1.2.3. 42 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Marketingentscheidungen mehrere Personen beteiligt. In dieser Hinsicht ist daher zwischen Individual- und Individual-Entscheidungen Kollektiv-Entscheidungen sind intraindividuelle zu differenzieren. Entscheidungsprozesse Unter zu verstehen, bei denen eine Person den Prozess alleine steuert und auch die Entscheidung alleine trifft. Kollektiv-Entscheidungen hingegen setzen sich aus einer Menge von individuellen Entscheidungsprozessen zusammen und werden in der Gruppe getroffen. Neben dem individuellen Verhalten eines Entscheidungsträgers sind unter anderem auch Gruppengröße, Risikoverhalten Verhaltenseigenschaften innerhalb der Gruppe von Bedeutung. 117 und Obgleich im Marketing auch kollektive Entscheidungen zu treffen sind, wird in der vorliegenden Arbeit insbesondere auf das individuelle Informations- und Entscheiderverhalten von Marketingmanagern abgestellt; von daher werden Aspekte, wie zum Beispiel Gruppenstrukturen oder soziale Eigenschaften von Gruppen, bei den folgenden Ausführungen nicht berücksichtigt. 3.1.2.3 Entscheidungsstile und Entscheidertypen Eine Vielzahl von Studien – auch zu betriebswirtschaftlichen Fragestellungen – beschäftigt sich mit Entscheiderstilen bzw. unterschiedlichen Entscheidertypen, deren Ausprägungen den Entscheidungsprozess beeinflussen. Neben „rationalen“ Informationen sind auch irrationale Beweggründe bei der Entscheidungsfindung von Bedeutung. Da die vorliegende Arbeit Gestaltungsempfehlungen für die Entscheiderund Entscheidungsunterstützung im Marketing aus Perspektive der Angebotsseite von Marketinginformationen liefern möchte, werden exemplarische kognitive Stile aufgezeigt, welche die Informationswahrnehmung, -aufnahme und -verarbeitung betreffen. Darauf aufbauend werden anschließend idealtypische Problemlösestrategien im Marketing verdeutlicht. 3.1.2.3.1 Kognitive Stile von Persönlichkeitstypen Wie bereits erläutert, lässt sich die Verschiedenartigkeit menschlichen Handelns bzw. Entscheidens auf unterschiedlich ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale zurückführen. Zur Abgrenzung spezifischer Persönlichkeitstypen entwickelte Carl 117 Vgl. Bronner 1993, S. 725; Berg 1973, S. 25. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 43 Gustav Jung (1960) eine Persönlichkeitstypologie. Die psychologischen Typen von Jung beschreiben Muster für die Art und Weise, wie Informationen bevorzugt aufgenommen und auf ihrer Basis Entscheidungen getroffen werden. Die darauf aufbauende Myers-Briggs-Typologie nimmt eine Unterscheidung von Persönlichkeitstypen anhand von vier Dimensionen vor: Die beiden kognitiven Funktionen „Wahrnehmung“ (sinnliche/intuitive Wahrnehmung) und „Beurteilung“ (analytische/gefühlsmäßige Beurteilung) sowie die beiden Elemente der Einstellung „Lebenseinstellung“ (beurteilende/wahrnehmende Einstellung) und „Einstellung zur Umwelt“ (Extraversion/Introversion).118 Abbildung 3 veranschaulicht diese Persönlichkeitsdimensionen: Einstellung E – Extroversion Extrovertiert oder I – Introversion Introvertiert Einstellung zur Umwelt Funktionen P – Perceiving Wahrnehmend oder S – Sensing F – Feeling oder Gefühlsmäßig Lebenseinstellung Abbildung 3: Quelle: N – Intuition Intuition Wahrnehmung J – Judging Beurteilend oder Sinnesempfindung T – Thinking Analytisch Beurteilung Die Dimensionen der Persönlichkeit in Anlehnung an Bents/Blank 1995, S. 50. Die erste Form der Einstellung – die so genannte Einstellung zur Umwelt – bezieht sich auf die Einstellung zur äußeren bzw. inneren Welt, der Extraversion (E) und der Intraversion (I). Anhand dieser Dimensionen wird beschrieben, inwieweit eine Person bei der Entscheidungsfindung mit anderen interagiert. Da sich die vorliegende Arbeit 118 Vgl. Bents/Blank 1995, S. 12f.; Attems/Heimel 1991, S. 17. 44 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen weitgehend auf das individuelle Verhalten eines Marketingentscheiders beschränkt, wird dies nicht genauer ausgeführt. Die zweite Form der Einstellung betrifft die so genannte Lebenseinstellung, die zum einen wahrnehmend (P) und zum anderen beurteilend (J) erfolgen kann. Die einzelnen Ausprägungen dieser Dimension finden sich in den kognitiven Funktionen119 wieder, die genauer beschreiben, wie Entscheider Informationen wahrnehmen und beurteilen. Aus der Kombination des Wahrnehmungsmodus (sinnliche Wahrnehmung: S; intuitive Wahrnehmung: N) und des Beurteilungsmodus (analytisches Beurteilen: T; gefühlsmäßiges Beurteilen: F) lassen sich schließlich vier Typen des Informationsverhaltens voneinander unterscheiden: der SF-Entscheidertyp, Entscheidertyp sowie der NT-Entscheidertyp. der 120 ST-Entscheidertyp, der NF- Diese Persönlichkeitstypen werden im Folgenden näher charakterisiert und exemplarisch auf Entscheidungsträger im Marketing übertragen. Der SF-Entscheidertyp (Sinneswahrnehmung und gefühlsmäßige Beurteilung) Entscheider, bei denen die Sinneswahrnehmung dominant ist, nehmen Informationen – vorzugsweise konkrete, objektiv überprüfbare Fakten – bewusst über die fünf Sinne wahr. Studien belegen, dass solche Personen eher detailorientiert sind und eine gewisse Zeit brauchen, um sich mit der Problem- bzw. Fragestellung auseinanderzusetzen. 121 Die Beurteilung der Informationen und damit das Fällen der Entscheidungen erfolgen beim SF-Entscheider eher gefühlsmäßig. Eine Entscheidung wird vorwiegend aus persönlicher Überzeugung getroffen, weshalb persönliche und soziale Werte im Entscheidungsprozess von Bedeutung sind. Entscheider dieses Typus gelten als äußerst verständnisvoll und einfühlsam; sie möchten ein harmonisches Gleichgewicht erreichen und Probleme vermeiden. Permanente Rücksichtnahme auf involvierte Personen und die jeweiligen Umstände lassen die Entscheidung stark personalisiert werden. 122 Übertragen auf den Gegenstandbereich der vorliegenden Arbeit bedeutet dies, dass Marketingentscheider, die dem SF-Typ zugeordnet werden können, für ihre 119 Siehe hierzu Abschnitt 3.1.2.2. 120 Vgl. Fink 1987, S. 76; Henderson/Nutt 1980, S. 373; Gardner/Martinko 1996, S. 54f. 121 Vgl. Bents/Blank 1995, S. 19ff.; Attems/Heimel 1991, S. 18; Fink 1987, S. 85. 122 Vgl. Bents/Blank 1995, S. 25ff.; Attems/Heimel 1991, S. 20; Fink 1987, S. 93. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Entscheidungen vermutlich insbesondere quantitative 45 Marketinginformationen benötigen. Sie treffen ihre Entscheidungen sehr subjektiv, weil sie stark auf ihr Gefühl vertrauen. Dabei ist ihnen die interpersonelle Ebene wichtig, weshalb sie bei der Entscheidungsfindung Meinungen und Wünsche anderer Personen berücksichtigen. Als typische Einsatzbereiche im Marketing können für den SFEntscheidertyp der Vertrieb oder auch das Kundenmanagement in Betracht kommen. Aufgaben in diesen Bereichen erfordern einerseits eine Orientierung an objektiven Fakten und andererseits bestehen gerade im Key-Account-Management zum Teil intensive zwischenmenschliche Kontakte mit Kunden. Der ST-Entscheidertyp (Sinneswahrnehmung und analytische Beurteilung) Der ST-Typ zeichnet sich analog zum bereits vorgestellten SF-Typ durch bewusste Wahrnehmung und Aufnahme von Informationen aus. Die gefühlsmäßige Beurteilung einer Situation wird allerdings durch einen objektiven, systematischen Entscheidungsprozess ersetzt. Dabei werden alle Informationen sorgfältig analysiert und gegeneinander abgewogen. Der Problemlösungsprozess des ST-Entscheiders orientiert sich an einem festen Handlungsplan, der sich in der Regel bereits in der Vergangenheit bewährt hat. Dabei lässt er sich von Vorgaben und Regeln, weniger hingegen von Emotionen und persönlichen Affinitäten leiten. Grundsätzlich sind seine Entscheidungen klar nachvollziehbar, weil sie sich auf Daten und Fakten stützen und unabhängig von Personen, Situationen und Umständen getroffen werden. Da dieser Entscheidertyp laut Studien eher risikoavers ist, beschafft er relativ viele Informationen, um sich abzusichern und seine Unsicherheit zu reduzieren.123 Marketingmanager, die dem ST-Typ zugeordnet werden können, lassen sich als systematische Entscheider charakterisieren. Sie treffen Entscheidungen auf Basis von Faktenwissen; ihr Entscheidungsverhalten zeichnet sich durch analytisches Denken und systematische Beurteilung aus. Häufig vertrauen sie dabei auf Dinge, die sich in der Vergangenheit bereits bewährt haben. Ein solches Vorgehen erweist sich jedoch gerade im Marketing teilweise als problematisch, da es wichtig ist, Trends frühzeitig zu erkennen, um beispielsweise rechtzeitig mit neuen bzw. 123 Vgl. Gallèn 1997, S. 543; Bents/Blank 1995, S. 25; Attems/Heimel 1991, S. 54f.; Fink 1987, S. 93ff.; Henderson/Nutt 1980, S. 379. 46 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen modifizierten Produkten auf sich ändernde Konsumentenbedürfnisse reagieren zu können. Dennoch werden auch im Marketing ST-Entscheider benötigt. So könnten solche Entscheider beispielsweise als Marketinganalysten im Bereich der Markt- und Wettbewerbsanalyse eingesetzt werden, wo insbesondere ein analytisches, objektives Handeln erforderlich ist. Des Weiteren könnte auch das Preismanagement ein passendes Aufgabenfeld für den ST-Entscheidertyp darstellen. Der NF-Entscheidertyp (intuitive Wahrnehmung und gefühlsmäßige Beurteilung) Der NF-Typ weist als dominante Funktionen eine intuitive Wahrnehmung sowie eine gefühlsmäßige Beurteilung auf. Intuitive Persönlichkeitstypen nehmen Informationen unbewusst wahr; die intuitive Wahrnehmung ist eine Informationsaufnahme, die quasi über den so genannten sechsten Sinn erfolgt. Derartige Entscheider besitzen die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte relativ gut in ihrer Gesamtheit zu erfassen sowie bestehende Zusammenhänge und Muster zu erkennen. Eine Entscheidung wird mehr einem Gespür folgend und damit „aus dem Bauch heraus“ getroffen; der Entscheidungsträger bezieht sich bei der Entscheidungsfindung vorwiegend auf seine Erfahrungen und persönlichen Eindrücke.124 Laut Studien gilt der NFEntscheidertyp als zukunftsorientiert und innovativ; seine Überzeugungskraft und persönliche Hingabe werden durch Inspiration und Kreativität ergänzt. 125 Marketingmanager, die das Entscheidungsverhalten des NF-Typs aufweisen, lassen sich prinzipiell eher als heuristische Entscheider 126 charakterisieren. Sie stützen Entscheidungen auf Erfahrungen, die jedoch durch klare Zukunftsvisionen ergänzt werden. Bei der Entscheidungsfindung vertrauen solche Entscheider hauptsächlich auf ihr Gefühl. Vermutlich ist daher auch die Nachfrage nach Marketinginformationen relativ begrenzt; Marketingentscheidungen treffen sie häufig auf Grundlage weniger Information. Stattdessen berücksichtigen sie bei der Entscheidungsfindung ihr soziales Umfeld, da sie eine umfassende Sensibilität für die Bedürfnisse anderer Personen besitzen. Vor allem aufgrund seiner kreativen Fähigkeiten und seiner zwischenmenschlichen Offenheit scheint der NF-Entscheidertyp für den Bereich der 124 Vgl. Bents/Blank 1995, S. 19f.; Attems/Heimel 1991, S. 18f.; Fink 1987, S. 85. 125 Vgl. Gallèn 2006, S. 120; Attems/Heimel 1991, S. 52f.; Henderson/Nutt 1980, S. 375. 126 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.1.2.3.2. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 47 Kommunikationspolitik geeignet zu sein. Des Weiteren stellt auch die Neuproduktentwicklung einen idealen Aufgabenbereich für diesen Entscheidertyp dar. Der NT-Entscheidertyp (intuitive Wahrnehmung und analytische Beurteilung) Beim NT-Entscheider erfolgt die Aufnahme von Informationen intuitiv; er interessiert sich für das Neue und seine Handlungen sind zukunftsorientiert. Charakteristisch sind ausgeprägte analytische Fähigkeiten; daher wird er auch als so genannter „Thinking-First“-Entscheider bezeichnet.127 Grundsätzlich betrachtet er weniger Einzelaspekte, sondern vielmehr den Gesamtzusammenhang. Er generiert eine solide Entscheidungsgrundlage; intuitive Wahrnehmungen und Eingebungen werden durch ausführliche Analysen ergänzt. Aufgrund seines eher visionären Denkens legt er häufig den Grundstein für Pilotprojekte und Prototypen. Kritisch ist, dass er zwar viele neue Konzepte aufstellt und kreative Ideen generiert, deren Durchführung und Umsetzung aber oft vernachlässigt. 128 Bei der Entscheidungsfindung zeigen NTEntscheider allerdings eine ausgeprägte Entschlossenheit auf. Strategische Entscheidungen, die auf einer Symbiose aus intuitiver Wahrnehmung und analytischer Begründung beruhen, sind laut einer Untersuchung Erfolg versprechender als bei anderen Entscheidertypen. 129 Marketingentscheider, die das Verhalten eines NT-Typs aufweisen, werden ein bestehendes Marketingproblem erst definieren und sich bei der Generierung der Lösung auf einen konkreten Handlungsplan stützen. Hierfür benötigen sie eine umfassende Informationsgrundlage, auf die sie sich verlassen können. Entscheidungen werden zwar auf Marketinginformationen gestützt, aber gleichzeitig durch Intuition beeinflusst. Auf diese Weise werden vom Marketingentscheider in der Regel fundierte, kritisch reflektierte Marketingentscheidungen getroffen. Solche NTEntscheider lassen sich beispielsweise im Produktmarketing finden; in diesem Bereich könnten insbesondere Analyse und Management von Produktlebenszyklen ihrem Aufgabenbereich zugeordnet sein. Neben der Entwicklung von Neuprodukten 127 Vgl. Mintzberg/Westley 2001, S. 89f. 128 Vgl. Bents/Blank 1995, S. 69; Attems/Heimel 1991, S. 85f.; Gupta/Rout 2007, S. 82; Gallèn 2006, S. 120f. 129 Vgl. Hough/Ogilvie 2005, S. 440. 48 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen zählen auch die Verbesserung und Modifikation bestehender Produkte zu geeigneten Tätigkeitsbereichen für diesen Entscheidertyp. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es in der Praxis keinen reinen SF-, STNF- oder auch NT-Entscheidertyp gibt. Jede Person verfügt grundsätzlich über beide Wahrnehmungsfunktionen (sinnliche und intuitive Wahrnehmung) sowie über beide Beurteilungsfunktionen (analytische und gefühlsmäßige Beurteilung); jedoch wird sich jeweils eine der beiden Funktionen als dominant erweisen. 130 Obgleich es sich bei der Persönlichkeitstypologie von Carl Gustav Jung um eine allgemeine Typologie handelt, scheint eine Übertragung auf den betrieblichen Entscheider durchaus als plausibel. So weisen unterschiedliche (Marketing-)Entscheider zwar individuelles Informations- und Kommunikationsverhalten auf, wobei sie dennoch vermutlich jeweils eine dominante Funktion bei der Wahrnehmung sowie der Beurteilung von Informationen besitzen. Manche Marketingentscheider werden daher Marketinginformationen eher sinnlich wahrnehmen, andere hingegen eher intuitiv; ebenso wird es im Marketing Entscheider geben, die Marketinginformationen vorwiegend analytisch beurteilen, während andere Entscheider eher gefühlsmäßig vorgehen. Insofern lassen sich auch Entscheidungsträger im Marketing zumindest einem spezifischen Typ zuordnen, auch wenn sie dessen Charaktereigenschaften nicht vollständig aufweisen. Schlussfolgernd lässt sich daher vor diesem Hintergrund festhalten, dass nicht jede Information für einzelne Entscheidungsträger im Marketing gleich nützlich ist. Aus diesem Grund sollte idealerweise bereits bei der Informationsbedarfsanalyse der kognitive Stil von Marketingentscheidern berücksichtigt werden. 131 Bedeutsam für die Nachfrageseite von Marketinginformationen – die Datenseite – ist insbesondere, ob Marketingentscheider eher analytisch vorgehen und eine Vielzahl an Marketinginformationen als Entscheidungsgrundlage benötigen oder ob sie eher heuristisch handeln und daher bei der Entscheidungsfindung vorwiegend auf ihre Erfahrung, ergänzt um Vereinfacht kann daher ausgewählte zwischen Marketinginformationen, einem analytischen und zurückgreifen. heuristischen Entscheidungsstil differenziert werden, wie sie im folgenden Abschnitt erläutert werden. 130 Vgl. Bents/Blank 1995, S. 42. 131 Vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 5.2.2. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 49 3.1.2.3.2 Analytischer versus heuristischer Entscheidungsstil Individuen besitzen, wie bereits erläutert, eine limitierte Informationsverarbeitungskapazität. Gerade im Marketing stehen Entscheidungsträger schon allein aufgrund einer dynamischen Umwelt- und Unternehmenssituation vor komplexen Entscheidungssituationen, die eine hohe Nachfrage nach Marketinginformationen mit sich bringen. Selbst wenn die Angebotsseite von Marketinginformationen vollständige Informationen über sämtliche Umweltzustände und die antizipierten Ergebnisse einer jeden Handlungsalternative bereitstellen könnte, könnten vom Marketingentscheider nicht alle notwendigen und vorhandenen Informationen aufgenommen und verarbeitet werden. Es kommt daher je nach Entscheidungssituation und Entscheidertyp zu einer mehr oder minder ausgeprägten Selektion von Informationen und damit zu einer Komplexitätsreduktion. 132 Heuristische Entscheidungen Die limitierte Informationsverarbeitungskapazität von Entscheidungsträgern führt dazu, dass Entscheidungsprozesse im Marketing nicht vollkommen rational verlaufen; stattdessen ziehen Entscheider zur Problemlösung oftmals Heuristiken heran.133 „Eine Heuristik ist eine Methode, welche die Suche nach besseren Problemlösungen 134 beschränkt.“ nach dem Auffinden einer funktionsfähigen Alternative Es handelt sich also um Such- bzw. Lösungsverfahren, die sich in bestimmten Situationen bereits bewährt und zu einer zufriedenstellenden Lösung geführt haben. Ein solches Auswahlprinzip, das vorrangig auf Erfahrungen basiert, schließt also von vornherein einige potenzielle Such- und damit auch Lösungsprozesse aus. 135 Heuristiken kommen auch im Marketing in vereinfachten Problemlösungs- und Entscheidungsprozessen zum Ausdruck; Marketingentscheider entwickeln häufig solche Vereinfachungstechniken. Dem Heuristiker ist es wichtig, funktionsfähige Lösungen für Problemsituationen zu finden; er betrachtet hierzu die Gesamtsituation anstelle separater Teilbereiche. 132 Vgl. Sieben/Schildbach 1994, S. 179f.; Kirsch 1977, S. 88ff. 133 Vgl. Dörner et al. 1983, S. 399ff.; Endres 1999, S. 88f.; Schwenk 1988, S. 44f.; Fink 1987, S. 34. 134 Fink 1987, S. 34. 135 Vgl. Klix 1971, S. 723; Kirsch 1977, S. 94f.; Henderson/Nutt 1980, S. 372; Heinen 1991, S. 41f.; sowie Rehkugler/Schindel 1990, S. 81f.; Dörner 2002, S. 126ff. 50 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Gesunder Menschenverstand, Intuition, Gefühle und Erfahrungen spielen bei seiner Entscheidungsfindung eine große Rolle. Sein Lernen erfolgt durch Handeln; daher ist für ihn Feedback besonders wichtig. 136 Die Informationssuche des Heuristikers erfolgt eher spontan und ist weniger zielgerichtet. Er fragt zwar viele Informationen nach, selektiert diese allerdings relativ frühzeitig und verwendet nur noch Informationen bezüglich ausgewählter Sachverhalte (zum Beispiel lediglich über die wichtigsten Distributionskanäle oder Schlüsselkunden). Als Entscheidungsgrundlage präferieren Heuristiker aggregierte Kurzberichte. Sie schätzen Entscheidungsfindung die Unterstützung durch andere Personen. 137 bei der Daher werden sie vermutlich Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen der Datenseite begrüßen und diese auch bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen. Insgesamt sucht der Heuristiker nicht nach einer optimalen Lösung im mathematischen Sinne, sondern nach einer befriedigenden Handlungsalternative, die seinem Anspruchsniveau entspricht. Sobald er eine akzeptable Lösung gefunden hat, bricht er den Problemlösungs- bzw. Entscheidungsprozess ab.138 Dabei bedient er sich – wie bereits erwähnt – in der Regel so genannter Heuristiken. Gerade im Marketing, wo sich Entscheidungsträger komplexen Situationen gegenübersehen und zudem oftmals unter Zeitdruck entscheiden müssen, kann sich daher eine heuristische Vorgehensweise als vorteilhaft erweisen. Exemplarisch sollen im Folgenden drei Heuristiken skizziert werden, die für das Marketing als typisch erachtet werden. 139 Eine erste Vereinfachungstechnik stellt die so genannte Verfügbarkeits-Heuristik dar, für die eine starke Orientierung an leicht verfügbaren Informationen bezeichnend ist. Dabei handelt es sich vorrangig um Informationen, die bereits im Gedächtnis des Entscheidungsträgers in Form von Erfahrungen vorhanden oder aber leicht zugänglich sind. 140 Für das Marketing ist es demnach wichtig, Marketingdaten beispielsweise in Datenbanken bzw. in einem Data Warehouse abzuspeichern, so dass Marketingentscheider bei der Entscheidungsfindung möglichst schnell und unkompliziert auf die benötigten Daten zugreifen können. 136 Vgl. Fink 1987, S. 35. 137 Vgl. Fink 1987, S. 164ff. 138 Vgl. Kirsch 1977, S. 88; Dörner 2002, S. 126ff. 139 Vgl. Wierenga/van Bruggen 2000, S. 18. Weitere Vereinfachungstechniken von Managern siehe bei Einhorn 2005, S. 150ff.; Scholz/Mieg/Weber 2003, S. 21ff.; Bazerman 1990; Schwenk 1988, S. 43f. sowie Dörner et al. 1983, S. 399ff. 140 Vgl. Wierenga/van Bruggen 2000, S. 18; Schwenk 1988, S. 51. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 51 Des Weiteren kann sich ein Entscheider der so genannten Heuristik des Symbolcharakters bzw. der Repräsentativitätsvermutung bedienen. Im Prinzip beruht sie darauf, dass bestimmte Aspekte auf Basis ähnlicher Ereignisse aus der Vergangenheit geschätzt bzw. abgeleitet werden. Ein Produktmanager kann zum Beispiel die Abverkaufszahlen eines neuen Produkts auf Basis eines ähnlichen, bereits etablierten Produktes schätzen. Er überträgt demnach den Erfolg eines älteren Produkts auf ein neues Produkt, was jedoch nicht zwangsläufig zutreffend sein muss.141 Ein derartiges Vorgehen kann auch im Rahmen der Neuproduktentwicklung zum Einsatz kommen. So orientierte man sich beispielsweise bei der Konzeption einer digitalen Zeitung im Internet an der klassischen Zeitung. Anstatt ein neues Konzept zu entwerfen, waren die Internetseiten der Zeitung ähnlich aufgebaut wie die der gedruckten Zeitung. 142 Die Heuristik des Verankerns und Anpassens orientiert sich schließlich an einem Ankerwert. Im Marketing werden bei der Festlegung von quantitativen Größen häufig subjektive Schätzverfahren angewendet. Ein derartiges Vorgehen kann beispielsweise bei der Aufstellung des Werbebudgets für ein Produkt bzw. eine Marke zum Einsatz kommen: Die Budgethöhe für das kommende Jahr würde auf Basis des aktuellen Jahres geschätzt werden, ohne eventuelle Änderungen im Markt näher zu betrachten und gegebenenfalls zu berücksichtigen. 143 Auch bei der Prognose zukünftiger Absatzmengen kommen früher erzielte Ergebnisse als Ankerwerte zum Einsatz. So werden beispielsweise bereits realisierte Verkaufsvolumina als Ausgangswert für solche Schätzungen verwendet. In dynamischen Märkten kann diese Methode allerdings Vorhersagen und damit zu falschen Entscheidungen führen. zu unzuverlässigen 144 Eine heuristische Vorgehensweise kann sich bei Problemlösungs- und Entscheidungsprozessen im Marketing prinzipiell als effizient erweisen. Allerdings kann es auch zu Fehlentscheidungen bzw. zu Verzerrungen im Sinne eines ManagementBias kommen, wie beispielsweise zum „Escalation-of-Commitment-Effect“145. 141 Vgl. Wierenga/van Bruggen 2000, S. 19. 142 Vgl. Hammond/Keeny/Raiffa 2006, S. 121. Als weiteres Beispiel nennen die Autoren die Entwicklung der ersten Autos, die noch stark an eine Kutsche ohne Pferd erinnern. 143 Vgl. Wierenga/van Bruggen 2000, S. 19; Roleff 2001, S. 54. 144 Vgl. Hammond/Keeny/Raiffa 2006, S. 120. 145 Der „Escalation-of-Commitment-Effect“ beschreibt das Festhalten an einer einmal eingeschlagenen Handlungsrichtung, die nicht abgebrochen wurde, obwohl sie unter rationalen Gesichtspunkten schon längst hätte abgebrochen werden müssen (vgl. Wiemann 1998, S. 2f.). 52 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Insbesondere die häufige Anwendung von Entscheidungsheuristiken führt oftmals zu verfestigten Denkstrukturen bzw. -mustern bei Marketingentscheidern. Dies hat zur Folge, dass Marketinginformationen nur noch eingeschränkt oder auch überhaupt nicht mehr verarbeitet werden. Analytische Entscheidungen Im Gegensatz zum Heuristiker entwickelt der Analytiker bei seiner Problemlösung eine Art Modell für die jeweilige Entscheidungssituation. Auf diese Weise sollen die hinter dem Problem stehenden Kausalzusammenhänge analysiert werden, um möglichst rationale Entscheidungen zu treffen. Entscheider, die analytisch vorgehen, beschäftigen sich daher vornehmlich mit dem einzelnen Problem und betrachten weniger die Gesamtsituation. Das Lernen findet eher durch die Analyse der Situation als durch das eigentliche Handeln statt, weshalb der Analytiker weniger Wert auf Feedback legt. 146 Die Informationssuche erfolgt über formale und rationale Analysen, wobei der Analytiker, der umfassende Detailinformationen nachfragt, eher auf quantitative Daten zurückgreift. Bei regelmäßigen Routineentscheidungen fragen analytisch orientierte Entscheider weniger Informationen nach als bei neuartigen Entscheidungen, da sie bereits eine gewisse Vertrautheit mit der Materie besitzen und daher Informationen gezielter nachfragen. Diese gezielte Informationsnachfrage führt schließlich dazu, dass sie größtenteils Informationen bereitgestellt bekommen, die auch tatsächlich für die jeweilige Entscheidungssituation relevant sind. Analytiker arbeiten weitgehend selbstständig und verlassen sich weniger auf die Unterstützung von anderen Personen. 147 Insgesamt lässt sich festhalten, dass im Marketing beide Vorgehensweisen – sowohl der analytische als auch der heuristische Stil – in bestimmten Situationen eine effektive und effiziente Problemlösung ermöglichen und sich demnach ergänzen. Einerseits ist es aufgrund der Dynamik und Komplexität der Marketingumwelt sowie der limitierten Informationsverarbeitungskapazität der Marketingentscheider nötig, den Entscheidungs- und Problemlösungsprozess zu vereinfachen und die Realität 146 Vgl. Fink 1987, S. 34f.; Henderson/Nutt 1980, S. 372. 147 Vgl. Estrin/Mock/Vasarhelyi 1972, S. 134. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 53 nur in einer vereinfachten Modellperspektive wahrzunehmen. Andererseits fordert die dynamische und komplexe Marketingumwelt auch eine analytische Vorgehensweise; so kann es wichtig sein, wesentliche (Problem-)Bereiche zu identifizieren und losgelöst vom Gesamtzusammenhang zu betrachten (beispielsweise eine spezifische Produktgruppe, die im letzten Jahr enorme Absatzeinbußen hinnehmen musste), gezielt die entsprechenden Informationen nachzufragen und die hinter dem Problem stehenden Kausalzusammenhänge zu analysieren, um zu einer möglichst rationalen Entscheidung zu gelangen. Auch die durchgeführten Experteninterviews belegen, dass im Marketing häufig eine analytische, informationsgestützte Vorgehensweise notwendig ist und daher für die Entscheidungsfindung vielfältige Marketinginformationen heranzuziehen sind. 3.1.2.3.3 Idealtypische Problemlösestrategien von Marketingentscheidern Der Problemlösungs- bzw. Entscheidungsprozess im Marketing bewegt sich also – je nach Entscheidungssituation und Entscheidertyp – auf einem Kontinuum zwischen analytischer und heuristischer Vorgehensweise. Vor diesem Hintergrund haben Wierenga und van Problemlösestrategien Bruggen für abgeleitet: den Marketingbereich „Optimizing“ vier idealtypische (Optimierung), „Reasoning“ (Modelldenken), „Analogizing“ (Analogieschluss) und „Creating“ (Kreierung). 148 „Optimizing“ Bei der Problemlösestrategie des „Optimizing“ agiert der Marketingentscheider sehr analytisch und systematisch; das Marketingproblem ist dabei mittels eines objektiven Modells klar strukturiert. Schließlich wird jene Handlungsalternative ausgewählt, die gemäß einer mathematischen Optimierung am besten geeignet ist, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Es ist anzunehmen, dass Marketingentscheider, die nach der Strategie des „Optimizing“ handeln, vermehrt quantitative Marketinginformationen nachfragen, da sie häufig für spezifische Entscheidungsprobleme objektive bzw. mathematische Modelle heranziehen, um zu einer optimalen Problemlösung zu gelangen.149 Beispielsweise kommen derartige Modelle in der Mediaplanung zum 148 Vgl. Wierenga/van Bruggen 2000, S. 21-33. 149 Vgl. Wierenga/van Bruggen 2000, S. 22f. 54 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Einsatz, wenn der Zusammenhang zwischen Ausgaben einer Werbekampagne und der Platzierung in verschiedenen Medien optimiert werden soll. Das vorhandene Werbebudget kann dann je nach Wunsch auf entsprechende Medien verteilt werden, die sich in Hinblick auf Zielgruppe, Reichweite und Kosten voneinander unterscheiden. Als weiteres Beispiel ist die optimale Zuordnung der Anzahl des Verkaufspersonals auf einzelne Marken und/oder Regionen zu nennen. 150 „Reasoning“ Eine weitere Problemlösestrategie im Marketing wird von Wierenga und van Bruggen als „Reasoning“ bezeichnet. Da Marketingentscheider in der Regel mit unstrukturierten und häufig auch komplexen Entscheidungsproblemen konfrontiert werden, neigen sie dazu, die Realität in einer vereinfachten Weise – in Form eines „mentalen Modells“ – abzubilden. „A mental model is a symbolic structure, a representation of a body of knowledge in the human mind.“ 151 Ein mentales Modell beinhaltet alle für den Entscheider relevanten Variablen sowie erwarteten UrsacheWirkungs-Zusammenhänge zwischen diesen Variablen. Mit Hilfe eines derartigen „Modelldenkens“, also der Abbildung seiner subjektiven Realität, versucht das Individuum, das Problem zu lösen. „In the reasoning mode, decision makers construct a representation of the marketing phenomenon in their minds. These mental models are the basis for the manager’s reasoning about the problem.” 152 Eine solche Vorgehensweise im Sinne des “Reasoning” wäre beispielsweise für einen Produktmanager denkbar, der den Markterfolg eines neuen Produkts abschätzen möchte. Hierfür existieren keine eindeutigen mathematischen Modelle; der Manager wird daher zusätzlich eigene Erwartungen und Hoffnungen an „sein Produkt“ mit einfließen lassen. Insgesamt kreiert er sich auf diese Weise eine plausible Einschätzung, die er als Entscheidungsgrundlage heranzieht. 153 Die Problemlösestrategie des „Reasoning“ ist daher mit einer heuristischen Vorgehensweise vergleichbar. Mentale Modelle sind eher qualitativer Art und durch Subjektivität und Unvollständigkeit gekennzeichnet; „although mental models may 150 Siehe Vorgehensweise sowie konkrete Einsatzbereiche der Problemlösestrategie des „Optimizing“ ausführlich bei Albers et al. 2007; Albers/Götz 2006; Albers/Skiera 2002; Albers 2000. 151 Wierenga/van Bruggen 2000, S. 24. 152 Wierenga/van Bruggen 2000, S. 24. 153 Vgl. Roleff 2001, S. 58. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 55 not always be correct, they are useful because they offer the marketer a framework for interpreting and reasoning about marketing problems and their solutions.” 154 Ein mentales Modell ist daher als subjektiver Bezugsrahmen eines Entscheidungsträgers für das jeweilige Marketingproblem zu verstehen. „Analogizing“ Neben der Strategie des „Reasoning“ ist auch die Problemlösestrategie des „Analogizing“ im Marketing von Bedeutung. Hierbei greifen Marketingentscheider, sofern sie schon länger im Marketing tätig sind, auf ihre Erfahrungen zurück und leiten daraus ihre Entscheidungen ab. „When confronted with a problem, a person has a natural inclination to bring to bear the experience gained from solving similar problems in the past.”155 Marketingmanager können auf ihren Erfahrungsschatz, der in der Regel unterschiedliche Neuprodukteinführungen, Marketingerfahrungen, Preisänderungen, beispielsweise Werbekampagnen etc., über umfasst, zurückgreifen und ihre Entscheidung vor dem Hintergrund dieses Erfahrungswissens treffen, indem sie entsprechende Parallelen bzw. Analogieschlüsse ziehen. Der entscheidende Vorteil dieser Problemlösestrategie besteht darin, dass Entscheidungen, die auf Erfahrung und Analogien basieren, schneller gefunden bzw. getroffen werden; es muss nicht erst ein Modell entworfen werden, wie es beim „Reasoning“ der Fall ist.156 Aufgrund des häufig enormen Zeitdrucks im Marketing ist diese Problemlösestrategie in der Praxis vermutlich von besonderer Bedeutung. Schwierigkeiten können allerdings dadurch entstehen, dass Marketingentscheider unpassende Analogien ziehen und damit fehlerhafte Entscheidungen treffen. „Creating“ Die vierte Problemlösestrategie wird schließlich als „Creating“ bezeichnet. „The marketing decision maker is searching for novel and effective ideas and solutions by means of mapping, exploring and transforming of the problem’s conceptual space, 154 Wierenga/van Bruggen 2000, S. 25. 155 Wierenga/van Bruggen 2000, S. 26. 156 Vgl. Wierenga/van Bruggen 2000, S. 27. 56 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen expanding the number of possible solutions through divergent thinking.” 157 Gerade im Marketing ist viel Kreativität erforderlich, um dauerhaft den Erfolg eines Unternehmens zu sichern. Oftmals sind Marketingprobleme nur grob in Bezug auf Ziele, Inhalte und mögliche Vorgehensweisen definiert. Dies eröffnet dem Marketingentscheider einen enormen Handlungsspielraum, innerhalb dessen er seiner Kreativität freien Lauf lassen kann. So wird von Marketingentscheidern beispielsweise gefordert, innovative Produkte für den Markt zu entwickeln. Diese Herausforderung verlangt einen eher unkonventionellen Lösungsweg, um zu neuen Konzepten und Ideen zu gelangen. Durch eine offene Denkhaltung und das Reflektieren verschiedener Handlungsalternativen können neuartige Lösungen entstehen. Oftmals werden diese auch durch Kombination bekannter Elemente erreicht, über deren Zusammenspiel vorher nicht nachgedacht wurde. Eine derartige Problemlösestrategie ist notwendig, wenn völlig oder teilweise unklare Entscheidungssituationen vorliegen. 158 Als Hilfsmittel kommen daher beispielsweise bei der Neuproduktentwicklung insbesondere in der Phase der Ideengenerierung Kreativitätstechniken, wie Brainstorming, Brainwriting etc., zum Einsatz. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass (Marketing-)Entscheider bei der Entscheidungsfindung verschiedene Problemlösestrategien heranziehen. Diese sind zum einen vom zugrunde liegenden Marketingproblem (hinsichtlich dessen Komplexität, Strukturierungsgrad etc.) und zum anderen von der Persönlichkeit des Entscheidungsträgers abhängig. Auch im Marketing ist zu differenzieren zwischen unterschiedlichen kognitiven Stilen von Marketingentscheidern und demnach zwischen verschiedenen Entscheidertypen, die sich bezüglich ihres Informationsund Problemlösungsverhaltens voneinander unterscheiden. Darüber hinaus wirft auch die Annahme der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität eines Marketingentscheiders die Frage auf, welche Marketinginformationen tatsächlich entscheidungs- und entscheiderrelevant sind. Eine für die vorliegende Arbeit wichtige Erkenntnis besteht folglich darin, dass die Datenseite, die im nächsten Abschnitt näher beschrieben wird, bei der Bereitstellung von Marketinginformationen neben der objektiv-sachlichen Ebene der Nachfrageseite von Marketinginformationen – der Marketingentscheidung – auch deren subjektiv-persönliche Entscheiderverhalten – zu berücksichtigen hat. 157 Wierenga/van Bruggen 2000, S. 31. 158 Vgl. Wierenga/van Bruggen 2000, S. 29f. Ebene – das Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 3.2 57 Analyse der Leistungen auf der Angebotsseite von Marketinginformationen – Die Datenseite im Marketing Nachdem im vorausgegangenen Abschnitt wesentliche Aspekte der Entscheidungsseite im Marketing aufgezeigt wurden, wird in diesem Abschnitt die Angebotsseite von Marketinginformationen – die Datenseite – näher beleuchtet. Nach Klärung der für diese Arbeit grundlegenden Begrifflichkeiten der Datenseite wird im Folgenden das Informationsangebot im Marketing aufgezeigt, indem zunächst relevante Quellen von Marketinginformationen sowie deren Inhalte beschrieben werden. Abschließend wird zusammenfassend dargelegt, dass zur Schaffung einer umfassenden Informationsgrundlage für das Marketingmanagement sowohl unternehmensinterne als auch unternehmensexterne Marketinginformationen erforderlich sind. 3.2.1 Grundlegende Begrifflichkeiten Ziel von Marketing Intelligence sind effektive und effiziente Marketingentscheidungen. Hierzu ist es erforderlich, wie bereits erwähnt, sämtliche entscheidungs- bzw. problemrelevanten Informationen heranzuziehen. Dabei handelt es sich in der Regel eben nicht nur um Marktforschungsinformationen, sondern beispielsweise auch um unternehmensinterne Informationen aus dem Vertrieb oder aus dem Controlling/Rechnungswesen. Grundsätzlich sind für Marketing Intelligence daher „Marketinginformationen“ und nicht nur „Marktforschungsinformationen“ notwendig. Zur Abgrenzung dieser grundlegenden Begrifflichkeiten wird auf entsprechende Definitionen aus der Literatur zurückgegriffen, wo eine Differenzierung zwischen „Marketingforschung“ und „Marktforschung“ vorgenommen wird.159 Marketingforschung beinhaltet die Beschaffung, Analyse und Interpretation zweckorientierter Informationen, die zur Identifikation und Lösung von Problemen des Marketings bedeutsam sind. Gegenstand der Marketingforschung sind dabei zum einen Informationen über die Wirkung der eigenen Marketingaktivitäten hinsichtlich Produkt-, Kommunikations-, Distributions- und Preisforschung sowie 159 Vgl. hierzu Meffert 1992, S. 15f.; Hammann/Erichson 2000, S. 33f.; Weis/Steinmetz 2002, S. 16; Altobelli 2007, S. 5. 58 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Informationen über innerbetriebliche Sachverhalte, wie zum Beispiel Vertriebskosten, Lagerplanung etc., sofern sie für Marketingentscheidungen relevant sind. Zum anderen umfasst die Marketingforschung auch Informationen über den Absatzmarkt; dies betrifft sowohl aggregierte Absatzmarktinformationen (zum Beispiel Marktpotenzial, Marktvolumen, Marktwachstum, Wettbewerbssituation etc.) als auch Informationen über einzelne Absatzmarktteilnehmer (Konsumenten, Wettbewerber, Handel etc.) sowie deren Verhaltensweisen, Einstellungen, Handlungen und Reaktionen. Solche (absatz-)marktbezogenen Informationen gehören auch zum Aufgabenspektrum der Marktforschung, die sich ausschließlich mit den Märkten eines Unternehmens beschäftigt; sie bezieht sich nicht nur auf Absatzmärkte, sondern auch auf Beschaffungsmärkte (zum Beispiel Arbeitsmarkt, Kapitalmarkt etc.).160 Abbildung 4 verdeutlicht die Abgrenzung zwischen „Marketingforschung“ und „Marktforschung“. Marketingforschung (Absatzforschung) Innerbetriebliche Sachverhalte • Produktpolitik • Distributionspolitik • Kommunikationspolitik • Preispolitik • Vertriebskosten • Lagerkosten • EDV-Planung … Absatzmarkt Beschaffungsmarkt • Marktpotenzial • Marktvolumen • Marktwachstum • Wettbewerbssituation • Kaufverhalten • Markentreue … • Arbeitsmarkt • Kapitalmarkt • Rohstoffmarkt … Marktforschung Abbildung 4: Quelle: Abgrenzung zwischen Marketingforschung und Marktforschung in Anlehnung an Meffert 1992, S. 16. In der vorliegenden Arbeit wird das Augenmerk auf den Absatzmarkt gerichtet und somit werden der Beschaffungsmarkt sowie die Beschaffungsmarktforschung 160 Marktforschung ist definiert als „eine systematische, empirische Untersuchungstätigkeit mit dem Zweck der Informationsgewinnung oder -verbesserung über objektiv bzw. subjektiv bedingte Markttatbestände und -phänomene als Grundlage beschaffungs- und absatzpolitischer Entscheidungen“ (Hammann/Erichson 2000, S. 30 (im Original Fettdruck)). Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen ausgeklammert. Daher findet der Terminus der 59 Marketingforschung bzw. Absatzforschung Verwendung, da es stets um absatzseitige Marketingforschung geht. Die absatzmarktgerichtete Marktforschung stellt, wie auch in Abbildung 4 ersichtlich ist, einen Teilbereich der Marketingforschung dar. Demzufolge sind in materieller Hinsicht unter „Marketinginformationen“, wie sie bei Marketing Intelligence benötigt werden, sämtliche Informationen zu verstehen, die für die Identifikation und Lösung von Marketingproblemen bzw. -fragestellungen relevant sind und Marketingentscheidern als Entscheidungshilfe dienen; die zugrunde liegenden Marketingdaten können unternehmensexternen sowohl aus unternehmensinternen stammen. 161 Quellen „Marktforschungsinformationen“ hingegen „Marketinginformationen“ zu verstehen; Absatzmarktinformationen sowie als auch „Marktinformationen“ sind als sie anonymisierte Teilmenge umfassen Daten aus bzw. von aggregierte über spezifische Absatzmarktteilnehmer, wie Konsumenten, Wettbewerber oder den Handel. Solche Markt- bzw. Marktforschungsinformationen werden von der betrieblichen Marktforschung oder von Marktforschungsinstituten durch Primärforschung oder Sekundäranalyse gewonnen. 162 Demnach stellen „Marketinginformationen“ das gesamte Informationsangebot an das Marketing dar, das sich sowohl aus innerbetrieblichen als auch aus außerbetrieblichen Daten zusammensetzt. 163 In der Praxis arbeitet die betriebliche Marktforschungsabteilung in der Regel eng mit externen Marktforschungsinstituten zusammen. In der vorliegenden Arbeit wird beides, sowohl die betriebliche als auch die institutionelle Marktforschung, ins Auge gefasst und allgemein von der Marktforschungsaufgabe bzw. von der Marktforschung gesprochen.164 Die Verzahnung zwischen betrieblicher Marktforschung und Institutsmarktforschung erlaubt es, von einem Marktforschungssystem zu sprechen. Aus systemtheoretischer Perspektive unterteilt sich das System „Marktforschung“ demnach 161 in die Elemente der betrieblichen Marktforschung und der Zur Abgrenzung der Begriffe „Marketingdaten“ und „Marketinginformationen“ siehe Abschnitt 4.3.1. 162 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.2.2.4. 163 In Analogie zu diesen Ausführungen werden auch die Begriffe „Marktdaten“ und „Marktforschungsdaten“ synonym verwendet; unter „Marketingdaten“ ist das gesamte Datenangebot zu fassen, das potenziell für das Marketing verfügbar ist. 164 Für das Marketing stellen die betriebliche Marktforschung und die Institutsmarktforschung die wichtigsten Akteure bzw. Träger von Marktforschungsleistungen dar. Roleff spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „Marktforschungsdreieck“ und bezeichnet die betriebliche Marktforschung, die Institutsmarktforschung sowie das Marketing als die drei Parteien, die maßgeblich an der Marktforschungsaufgabe im Unternehmen beteiligt sind (vgl. Roleff 2001, S. 81). 60 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Institutsmarktforschung, die miteinander vernetzt sind und sich durch eine wechselseitige Zusammenarbeit auszeichnen. Bei einer derartigen Betrachtungsweise kann prinzipiell offen bleiben, wie die Marktforschungsaufgabe zwischen den einzelnen Systemelementen im Detail strukturiert und organisiert ist. 165 Die Marktforschung ist grundsätzlich als bedeutsamer Akteur der Datenseite von Marketing Intelligence aufzufassen. Zudem werden jedoch auch Aufgaben der Datenseite von anderen Stellen innerhalb des Unternehmens wahrgenommen, beispielsweise vom Vertrieb, vom Kundenservice oder auch vom Controlling. Darüber hinaus verfügt ein Unternehmen in der Regel auch über operative Informationssysteme, die wertvolle Informationen für das Marketing beinhalten. In der vorliegenden Arbeit werden Akteure der Angebotsseite von Marketinginformationen, das heißt, diejenigen, die Tätigkeiten der Datenseite im Sinne von Marketing Intelligence in Bezug auf Informationssammlung, gegebenenfalls -aufbereitung und -bereitstellung ausüben, als innerbetriebliche Informationslieferanten bzw. Informationsmanager bezeichnet. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine dritte Person; vielmehr sind damit Marktforscher und/oder Entscheider gemeint, die mit Aufgaben der Angebotsseite von Marketinginformationen betraut sind. 166 3.2.2 Informationsangebot für das Marketing 3.2.2.1 Systematisierung potenziell entscheidungsrelevanter Marketingdaten Nachdem grundlegende Begrifflichkeiten der Angebotsseite von Marketinginformationen erläutert wurden, wird im Folgenden aufgezeigt, dass dem Marketingmanagement in der Praxis ein umfassendes Angebot potenziell entscheidungsrelevanter Informationen aus heterogenen Quellen zur Verfügung steht. Ein Unternehmen besitzt in der Regel einen umfassenden Basisbestand an Daten, der neben unternehmensstrategischen Vorgaben sämtliche Daten über interne Unternehmensmerkmale (z.B. Unternehmensgröße, Finanzkraft, die vom Unternehmen ausgewählten Märkte und Vertriebskanäle) und Leistungsmerkmale 165 Vgl. hierzu ausführlich Roleff 2001, S. 81f.; Wimmer 2002, S. 9f. sowie Weber 1996, S. 24ff. 166 Dies soll jedoch keineswegs heißen, dass der Marktforscher in der vorliegenden Arbeit lediglich als Informationslieferant betrachtet wird, der für die Informationssammlung und gegebenenfalls -aufbereitung zuständig ist; vielmehr wird eine grundlegende Veränderung und Weiterentwicklung der Marktforschung gefordert, so dass ihr auch weiterhin eine entscheidende Rolle im Sinne von Marketing Intelligence beigemessen wird (siehe hierzu ausführlich Kapitel 6). Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 61 (beispielsweise produktbezogene Daten über technische Aspekte, Features oder auch bezüglich der beinhaltet. 167 Produktgestaltung) Solche Daten über unternehmensinterne Vorgaben und Rahmenbedingungen beinhalten durchaus auch relevante Aspekte für Entscheidungsprozesse des Marketings. Da sie vom Unternehmen selbst gesetzt werden, sollte diesbezüglich eigentlich kein Informationsproblem bestehen und das Marketing sollte problemlos auf sie zugreifen können. Daher wird auf diese Kategorie von potenziell entscheidungsrelevanten Marketingdaten in den folgenden Ausführungen nicht näher eingegangen. Weitere potenziell relevante Marketingdaten, die dem Unternehmen intern vorliegen, werden „automatisch“ im Rahmen der operativen Geschäftsprozesse eines Unternehmens generiert und zeigen Geschäftsvorgänge innerhalb des Unternehmens auf. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette lässt sich eine Vielzahl relevanter Datenquellen identifizieren; hierbei kann es sich neben den klassischen Kundenkontaktstellen auch um Fachabteilungen wie Forschung und Entwicklung, Logistik, technischer Kundendienst oder auch Rechnungswesen bzw. Controlling handeln, um nur einige zu nennen. Ein Großteil der benötigten Marketingdaten muss aber erst extra (extern) erhoben werden. Darüber hinaus können aggregierte Markt- bzw. Marktforschungsdaten über Kunden(gruppen) und Märkte zur Entscheidungsunterstützung des Marketings beitragen. 168 Zusammenfassend lassen sich drei Kategorien potenziell entscheidungsrelevanter Marketingdaten unterscheiden: Intern anfallende Marketingdaten, extern zu erhebende Marketingdaten und aggregierte Markt- bzw. Marktforschungsdaten. Zur Analyse der Inhalte dieser einzelnen Datenkategorien in den folgenden Abschnitten werden neben Literatur insbesondere die Erkenntnisse der Praxis aus den eigenen Experteninterviews – sowohl von den befragten Marketingentscheidern als auch den interviewten Marktforschern – herangezogen. 167 Vgl. Forsyth/Hölscher 2006, S. 33. 168 Dies soll jedoch keinesfalls heißen, dass sämtliche verfügbaren Marketingdaten bei der Entscheidungsfindung auch zu berücksichtigen sind; welche bzw. wie viele Informationen Marketingentscheider benötigen, um eine „gute“ Entscheidung treffen zu können, ist vielmehr vom Informationsbedarf der einzelnen Entscheidungsträger abhängig (siehe hierzu ausführlich Abschnitt 5.2.2). 62 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 3.2.2.2 Intern anfallende Marketingdaten Im Rahmen der Marktbearbeitung werden unternehmensintern eine Vielzahl an Daten generiert, die automatisch über Informationssysteme erfasst werden. Neben Abrechnungssystemen aus der Finanzbuchhaltung kommen Administrations- und Dispositionssysteme, die Daten bezüglich der Auftragsabwicklung und Vertriebslogistik beinhalten, zum Einsatz. Diese Daten stellen gewissermaßen zusammen mit den Basisdaten über unternehmensinterne Vorgaben und Rahmenbedingung den Datengrundstock eines Unternehmens dar. Automatisch anfallende interne Daten beinhalten einerseits solche des Rechnungswesens bzw. Controllings und andererseits auch Daten aus innerbetrieblichen Statistiken und Datenbanken. Sie bilden Mengen-, Erlös-, Kosten- und Erfolgsgrößen ab und beziehen sich typischerweise auf Produkte, in Zeiten des Beziehungsmarketings und Key-Account-Managements aber vor allem auch auf Kunden bzw. Kundengruppen. Besondere Bedeutung für das Marketing erlangen in diesem Zusammenhang „Vertriebsdaten“. Diese entstammen dem internen Vertriebscontrolling, umfassen aber auch Außendienstinformationen; Vertriebsinformations- und hier liegt -steuerungssysteme. das Einsatzfeld Insbesondere moderner Außendienst- mitarbeiter erlangen durch ihre Arbeit frühzeitig Kenntnisse und Einsichten bezüglich aktueller und zukünftiger Entwicklungen am Markt, über Kundenbedürfnisse und damit einhergehende neue Marktsegmente, aber auch über Aktivitäten der Wettbewerber. 169 Vertriebsdaten werden beispielsweise benötigt, um zu ermitteln, wie viel Umsatz mit einzelnen Produkten bzw. Produktgruppen erwirtschaftet wird, wie viel Umsatz die einzelnen Außendienstmitarbeiter generieren oder auch wie rentabel einzelne Kunden(gruppen) für das Unternehmen sind. Grundsätzlich besteht das primäre Ziel des operativen Vertriebscontrolling also darin, sämtliche Vertriebsaktivitäten zu analysieren und deren finanzielle Auswirkungen abzuschätzen sowie letztendlich die Vertriebseffizienz sicherzustellen. Hierzu greift das operative Vertriebscontrolling auf messbare Steuerungsgrößen aus dem Rechnungswesen bzw. Controlling zurück, wie etwa Umsatz, Gewinn und Kosten, die auf spezifische Objekte bezogen werden. 170 Für das Marketing sind als Analyseobjekte insbesondere strategische Geschäftsfelder, Produkte bzw. Produktgruppen, Kunden bzw. Kundengruppen sowie Vertriebswege von Bedeutung. Darüber hinaus benötigt 169 Siehe hierzu Ken Le 2006, S. 713f.; Le Bon/Merunka 2006, S. 396f.; Homburg/Schäfer/ Schneider 2008, S. 258ff.; Cross et al. 2001; Festervand/Grove/Reidenbach 1988. 170 Vgl. Pufahl 2006, S. 175f.; Becker 2001, S. 35f. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen das Marketingmanagement Vertriebsdaten zur 63 Planung und Kontrolle absatzpolitischer Maßnahmen. Im Rahmen des operativen Vertriebscontrolling werden zur Anwendung solcher Kostenrechnungsinformationen durch das Marketingmanagement verschiedene Methoden herangezogen. Weite Verbreitung im Marketing besitzen neben Voll- und Plankostenrechnungen sowie Prozesskostenrechnungen insbesondere Deckungsbeitragsrechnungen (nach Produkten, Märkten, Schlüsselkunden etc.). Darüber hinaus sind für Marketingentscheider Kundenerfolgsrechnungen als Variante der Absatzsegmentrechnung von Bedeutung, um durch Gegenüberstellung kunden(gruppen)spezifischer Kosten und Erlöse die Erfolgsbeiträge einzelner Kunden(gruppen) zu Geschäftsbeziehungen optimieren, so können ermitteln. Will betrachten auf man und hingegen beispielsweise den die Verlauf Kundenstruktur Basis von Kostenrechnungsinformationen Kundenlebenszyklusrechnungen durchgeführt werden. von auch 171 Neben Vertriebsdaten stellen heute aufgrund des Bedeutungszuwachses des Beziehungsmarketings individuelle Kundendaten eine zentrale Grundlage für Marketingentscheidungen dar. Interne Kundendaten fallen „an den einzelnen Customer Touch Points entlang der gesamten Wertschöpfungskette“172 an. Sie werden durch Kundenkommunikation und -interaktion sowie durch Kundentransaktionen im Rahmen von Marketing-, Vertriebs- und Serviceprozessen generiert und in einer Kundendatenbank aufgenommen und gespeichert. 173 Das Konzept des Customer Relationship Management (CRM), das eine Ausrichtung sämtlicher Geschäftsprozesse auf den Kunden hin postuliert, umfasst neben Strategien und Maßnahmen, die sich auf aktuelle, bereits bestehende Kunden beziehen (Kundenbindungsmanagement) (Interessentenmanagement) sowie die Gewinnung gegebenenfalls die neuer Kunden Rückgewinnung abgewanderter Kunden (Rückgewinnungsmanagement). 174 Der Fokus über alle Phasen hinweg Kundenansprache liegt und dabei insbesondere -interaktion sowie einer bei einer Ausrichtung individualisierten auf profitable 171 Siehe ausführlich zu einzelnen Methoden des operativen Vertriebscontrolling beispielsweise Winkelmann 2008, S. 647ff.; Duderstadt 2006, S. 133ff.; Karlshaus 2000, S. 99ff. 172 Hippner/Leber/Wilde 2004, S. 158. 173 Vgl. Reichhold 2006, S. 32f.; Alt/Puschmann/Österle 2005, 186; Einhorn 2005, S. 78f.; Hippner/Leber/Wilde 2004, S. 163ff.; Hippner/Leber/Wilde 2002, S. 20ff.; Glazer 2000, S. 33ff.; Homburg/Sieben 2000, S. 477. 174 Vgl. Hippner 2006, S. 18; Hippner 2005, S. 118; Müller 2004, S. 81. 64 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Kundenbeziehungen, die letztendlich die Kenntnis bzw. Abschätzung des (potenziellen) Customer Lifetime Values voraussetzt. 175 Hierfür bedarf es so genannter Customer Relationship Analytics, welche „die Gesamtheit aller Aufgaben zur Auswertung und Analyse der Kundenbeziehungen mit dem Ziel der kontinuierlichen Verbesserung der CRM-Prozesse“176 beinhalten. Für solche Analysen sind vielfältige Informationen über die Struktur, das Verhalten und die Bedürfnisse der Kunden erforderlich. Das Interessentenmanagement betrifft die Anbahnung neuer Kundenbeziehungen. In dieser Phase ist insbesondere die Optimierung von Akquisitionskampagnen von Bedeutung. Obgleich über potenzielle Kunden unternehmensintern bislang nur wenige Daten vorliegen, kann das Unternehmen beispielsweise auf Basis vorhandener Daten über aktuelle Kunden analysieren, welche Kundensegmente für das Unternehmen wertvoll sind (Zielgruppenselektion) bzw. welche Kundengruppen besonders häufig auf frühere Aktionen des Unternehmens reagiert haben (Response-Analyse) und auf dieser Grundlage nur potenzielle Neukunden ansprechen, die ein ähnliches Profil aufweisen. 177 Grundsätzlich geht es demnach um die Bestimmung und Selektion einer geeigneten Zielgruppe für eine Marketingaktion, die spezifische, bereits bekannte Eigenschaften aufweisen soll. Hierzu sind neben Reaktions- und Transaktionsdaten aktueller Kunden insbesondere auch deren sozio-demographische und geographische Kundenmerkmale von Interesse, um auf Basis solcher Eigenschaften aus dem bestehenden Kundenstamm beispielsweise potenzielle Neukunden genauer beschreiben oder auch Nachbarschaftsaffinitäten berechnen zu können. Gerade in dieser ersten Phase des Customer Relationship Managements ist häufig jedoch der Zukauf externer Adressdaten178 oder auch mikrogeographischer Daten notwendig. Das Kundenbindungsmanagement als zweite Phase des Customer Relationship Managements zielt auf die Festigung und Intensivierung von bestehenden Kundenbeziehungen ab, wobei profitable Kunden im Fokus stehen. Zur gezielten Ansprache benötigen Marketingentscheider daher eine Bewertung der Kunden hinsichtlich ihres aktuellen und zukünftigen Werts für das Unternehmen. Die Berechnung bzw. Prognose des Kundenwerts erfolgt unter anderem auf Basis von 175 Vgl. Wimmer/Göb 2006, S. 403f.; Homburg/Schäfer/Schneider 2008, S. 202ff.; Day 2000, S. 4. 176 Neckel/Knobloch 2005, S. 47. 177 Vgl. Hippner/Leber/Wilde 2002, S. 28. 178 Siehe Abschnitt 3.2.2.3. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 65 Umsatz, aktuellem und erwartetem Bedarfsvolumen, Kundendeckungsbeitrag, Dauer der Kundenbeziehung sowie der Kosten der Kundenbetreuung.179 Darüber hinaus stellt im Rahmen des Kundenbindungsmanagements die Warenkorbanalyse für Marketingentscheider ein aussagekräftiges Instrument zur Beschreibung des Kaufverhaltens von Kunden dar. Neben der Untersuchung des Warenkorbinhalts (wie beispielsweise Anzahl der gekauften Produkte und Warengruppen, Anzahl von Aktionsartikeln etc.) kann hierbei eine Analyse beschreibender Merkmale eines Einkaufs, wie Warenkorbgesamtwert, Einkaufszeit etc. erfolgen. Auch kann mittels einer Warenkorbanalyse untersucht werden, welche Produkte überdurchschnittlich häufig zusammen gekauft werden. Des Weiteren können Cross- und Up-SellingAnalysen durchgeführt werden, um dem Kunden zur Erhöhung seines Ertragspotenzials weitere und höherwertige Produkte anzubieten. 180 Da ein Unternehmen in der Regel vielfältige Daten über aktive Kunden 181 besitzt, können entsprechend der jeweiligen Problem- bzw. Fragestellung des Marketings unterschiedliche Customer Relationship Analytics durchgeführt werden, deren Ergebnisse dem Marketingmanagement umfassende Anhaltspunkte für die Planung und Gestaltung von Marketingaktionen bieten. Schließlich beinhaltet die Phase des Rückgewinnungsmanagements die Vermeidung von Kündigungen sowie die Rückgewinnung abgewanderter Kunden. Für das Marketingmanagement ist es daher wichtig, möglichst frühzeitig „gefährdete“ Kunden zu erkennen, um durch gezielte Maßnahmen (beispielsweise spezielle Angebote) mögliche Kündigungen und damit die Beendigung der Beziehung von Kunden mit hohem Ertragspotenzial Kundensegmentierung zu verhindern. durchgeführt Hierzu werden, kann um zunächst eine Gruppe der die abwanderungsgefährdeten sowie der verlorenen Kunden zu identifizieren und von den aktiven Kunden abzugrenzen. In einem weiteren Schritt können dann mögliche Abwanderungsgründe ermittelt und analysiert werden. Diese Erkenntnisse kann der Marketingentscheider im Sinne eines Frühwarnsystems zur Identifizierung 179 Siehe hierzu ausführlich Günter/Helm 2006, S. 360ff.; Neckel/Knobloch 2005, S. 199; Cornelsen 2000. 180 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 337ff.; Hippner/Leber/Wilde 2002, S. 28f. 181 Eine unternehmensinterne Quelle zur Gewinnung von Kundeninformationen insbesondere im Rahmen des Kundenbindungsmanagements stellen Maßnahmen des Direktmarketings dar. Neben Preisausschreiben, Bonusprogrammen und Kundenclubs bieten sich auch Kundenkarten an, um wertvolle Informationen über den Kunden zu erlangen. Mittels Kundenkarten, die Kunden durch Anreize in Form von Prämien oder Rabatten dazu bewegen sollen, die Karten zu beantragen und ihre Einkäufe registrieren zu lassen, erhalten Unternehmen sozio-demographische Daten der Kunden verknüpft mit Daten über deren Kaufhistorie (vgl. Einhorn 2005, S. 112ff.; Hippner/Leber/Wilde 2004, S. 160; Tomczak/Dittrich 2000). 66 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen abwanderungsgefährdeter Kunden heranziehen. 182 Dies erfolgt häufig durch so genannte Churn-Analysen, welche die Abwanderungsneigung und –wahrscheinlichkeit einzelner Kunden prognostizieren. Analysegrundlage stellen dabei neben persönlichen Daten insbesondere Transaktions- und Nutzungsdaten der Kunden sowie Informationen aus dem Beschwerdemanagement und dem Vertrieb dar. 183 Im Hinblick auf das Management von Kundenbeziehungen benötigen Marketingentscheider in den einzelnen Phasen des Beziehungslebenszyklus vielfältige Kundendaten, um auf Basis der Erkenntnisse aus den entsprechenden Analysen fundierte Entscheidungen fällen zu können. Abbildung 5 verdeutlicht die für das Marketingmanagement potenziell entscheidungsrelevanten Kundendaten über die einzelnen Phasen des Customer Relationship Managements hinweg: Potenzielle Kunden Aktive Kunden Kunden mit hohem Wert Zielmarkt Reagierer Neukunden Kunden mit geringem Wert Erfolgsbeitrag eines Kunden Aufgaben Kunden mit hohem Potenzial Anbahnung von neuen Geschäftsbeziehungen Interessentenmanagement Festigung der Beziehungen Reaktivierte Kunden Freiwillige Kündiger Zurückgewonnene Altkunden Gezwungene Kündiger Zeit Intensivierung der Beziehungen Kundenbindungsmanagement Verlorene Kunden Vermeidung von Rücknahme von ungewollten Kündigungen Kündigungen Rückgewinnungsmanagement Vom Marketing • Zielgruppenselektion • Responseanalyse benötigte Informationen • etc. • Warenkorbanalysen • Cross- und Up-Selling-Analyse • Kundenbewertungen • etc. • Churn-Analysen • etc. Verfügbare Daten • Transaktions- und Kaufhistorie • Zahlungshistorie • Kosten der Kundenbetreuung • Kundendeckungsbeitrag • etc. • Abwanderungs- bzw. Kündigungsgründe • Beschwerden • etc. Abbildung 5: Quelle: • zugekaufte Adressen • soziodemographische und geographische Kundenmerkmale • Kontakthistorie • etc. Entscheidungsrelevante Kundendaten entlang des Beziehungslebenszyklus in Anlehnung an Berry/Linoff 2000, S. 72ff. und Stauss 2000, S. 452ff. 182 Vgl. Michalski 2006, S. 586ff.; Neckel/Knobloch 2005, S. 356ff. 183 Vgl. Tecklenburg 2008, S. 25ff.; Schöler 2006, S. Diller/Haas/Ivens 2005, S. 269ff.; Homburg/Fürst/Sieben 2003. 620ff.; Bruhn/Michalski 2003; Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 67 Die Interaktion mit dem Kunden im Rahmen eines Customer Relationship Managements erfolgt in der Regel über unterschiedliche Kommunikations- und Vertriebskanäle. Ein solches Multi-Channel-Management erfordert jedoch vom Unternehmen eine kundenorientierte Ausgestaltung und Koordination der Kanäle. 184 Dies ist nur möglich, Kundendaten in einer wenn sämtliche potenziell entscheidungsrelevanten zentralen Datenbank (vorzugsweise in einem Data Warehouse185) zusammengeführt und gespeichert werden. Für die Speicherung und insbesondere spätere Nutzung der Kundendaten ist jedoch eine sinnvolle Strukturierung notwendig. So empfiehlt sich beispielsweise folgende Systematisierung von Kundendaten: 186 Profildaten, Kontaktdaten, Transaktionsdaten und Servicedaten. Profildaten beinhalten grundlegende Identifikationsdaten von Kunden, wie Name, Titel, Anschrift und Bankverbindung, sowie sozio-demographische Merkmale einer Person, wie Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss, Beruf, Einkommen, Familienstand etc. Darüber hinaus werden auch Daten zur Psychographie eines Kunden, wie beispielsweise Interessen, Einstellungen, Hobbys, Freizeitaktivitäten etc., erfasst. Diese Art von Kundendaten zeichnet sich dadurch aus, dass diese auf längere Sicht relativ stabil und zudem produktunabhängig sind. Grundsätzlich ermöglichen solche Kundendaten neben der eindeutigen Identifizierung und Beschreibung eines Kunden Einblicke in und gegebenenfalls Erklärungen für dessen Konsumverhalten. 187 Meist können die Profildaten einer Person nicht in ihrer Gesamtheit abgebildet werden, dennoch sollten sie möglichst vollständig erfasst werden, um eine individualisierte Kundenansprache und -interaktion zu ermöglichen. Kontaktdaten beziehen sich auf alle kundenspezifischen Aktionen eines Unternehmens. Hierbei werden Art und Häufigkeit von Kommunikationsaktivitäten (wie zum Beispiel Katalogzustellung, Mailings, Außendienstbesuche etc.), Zeitpunkt einer Aktion sowie anteilige Kosten erfasst. Darüber hinaus werden für einzelne Aktionen die Reaktionen der Kunden festgehalten. Die Erfassung und Analyse der gesamten Kommunikationshistorie zwischen Kunde und Unternehmen ermöglicht 184 Vgl. Hippner 2006, S. 36; Hippner 2005, S. 118f. 185 Vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 5.3.2. 186 Vgl. Wimmer/Göb 2006, S. 405. Siehe hierzu ähnliche Kategorisierungen von Kundendaten beispielsweise bei Winkelmann 2008, S. 368; Homburg/Schäfer/Schneider 2008, S. 181; Krumb 2002, S. 113; Homburg/Sieben 2000, S. 477. 187 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 66; Hippner/Leber/Wilde 2004, S. 164ff.; Hippner/Leber/Wilde 2002, S. 20ff. 68 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen eine individuelle, auf den Kunden abgestimmte Kommunikation. Kontaktdaten bilden für das Marketing die Grundlage für einen langfristigen, interaktiven Dialog mit dem Kunden.188 Transaktionsdaten fallen im operativen Tagesgeschäft an und zeigen die Kaufhistorie eines Kunden auf. Solche Daten umfassen Kaufmengen, Kaufhäufigkeit, Kaufzeitpunkte, Wieder- und Zusatzkäufe, Zahlungsverhalten etc. Hieraus lassen sich wiederum weitere Informationen über das Kaufverhalten des Kunden ableiten; so erlangt das Marketingmanagement beispielsweise Kenntnisse über Produkt- und Markenaffinitäten eines Kunden, die Akzeptanz bestimmter Vertriebskanäle oder über dessen Preissensibilität und Zahlungsgewohnheiten. 189 Eine letzte Kategorie von Kundendaten stellen Servicedaten dar. Diese Daten umfassen neben allgemeinen Anfragen eines Kunden die Inanspruchnahme von Serviceleistungen sowie die Erfassung von Reklamationen, Retouren und Beschwerden.190 In diesem Zusammenhang kommt dem Beschwerdemanagement eine besondere Bedeutung zu. Dieses umfasst die Planung, Durchführung und Kontrolle sämtlicher Maßnahmen, die ein Unternehmen bezüglich Beschwerden ergreift, und generiert hierbei relevante Daten über eher unzufriedene Kunden. Beschwerdeinformationen betreffen zum einen das jeweilige Beschwerdeobjekt, in der Regel vom Unternehmen angebotene Produkte und/oder Dienstleistungen, und zum anderen Daten über das Beschwerdeproblem, wie die Art des Problems oder auch konkrete Umstände des jeweiligen Vorfalls. 191 Kundendaten besitzen insbesondere für eine fundierte, aussagekräftige Kundenanalyse eine besondere Bedeutung. „Bei der Kundenanalyse handelt es sich […] um einen analytischen Prozess der Durchleuchtung und Bewertung [aktueller und] potenzieller Kunden […] mit dem Ziel einer Priorisierung und Klassifikation.“ 192 Ergebnis solcher Kundenbewertungen, 188 Analysen können Kundensegmentierungen etwa und Kundenpotenzialanalysen, Kundenpräferenzanalysen Vgl. Hippner/Leber/Wilde 2004, S. 173f.; Hippner/Leber/Wilde 2002, S. 25f.; Hippner/Wilde 2001, S. 28; Schulze 2000, S. 41. 189 Vgl. Hippner/Leber/Wilde 2004, S. 172f.; Hippner/Leber/Wilde 2002, S. 24f. 190 Vgl. Wimmer/Göb 2006, S. 405. 191 Vgl. ausführlich Stauss/Seidel 2007, S. 145ff.; Wimmer 1985, S. 231f. 192 Diller/Haas/Ivens 2005, S. 157. Siehe hierzu auch Wimmer/Göb 2006, S. 404ff. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 69 sein.193 Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass Marketingentscheider zur Optimierung von CRM-Aktivitäten und damit zur Unterstützung ihrer Entscheidungen auf umfassende und aussagekräftige Daten sowohl über aktuelle als auch über potenzielle Kunden angewiesen sind. Wiedmann, Buxel und Siemon plädieren daher für die Implementierung einer „Customer Management Scorecard“ als Variante der bekannten Balanced Scorecard 194, die als kundenmanagementbezogenes Kennzahlensystem die Bereitstellung potenziell entscheidungsrelevanter Kundeninformationen zum Ziel hat. 195 3.2.2.3 Extern zu erhebende Marketingdaten Die internen Marketingdaten, die im Rahmen der Geschäftsprozesse in der Regel automatisch anfallen und durch entsprechende Systeme erfasst werden, sind um externe Marketingdaten zu ergänzen. Unternehmensexterne Marketingdaten werden häufig speziell für den jeweiligen Entscheidungstatbestand des Marketings extra erhoben. Insbesondere für strategische Marketingentscheidungen benötigt das Marketingmanagement umfassende Informationen über Entwicklungen und Trends am Markt, über aktuelle und potenzielle Wettbewerber sowie über Kundensegmente und deren Bedürfnisse. Im Rahmen einer Umfeldanalyse, die einerseits die Analyse der externen unternehmerischen Umwelt (Makroumwelt) und andererseits die Analyse der internen unternehmerischen Funktionsumwelt (Mikroumwelt) beinhaltet, ist daher die Bereitstellung solcher Informationen erforderlich. In diesem Zusammenhang kommt dem strategischen Vertriebscontrolling eine besondere Bedeutung zu. Dessen Informationsfunktion bezieht sich konkret auf die Entwicklung des Gesamtmarktes in Form von Konjunktur-, Markt- und Branchendaten sowie langfristiger Umsatz- bzw. Absatzpotenziale spezifischer Kunden(segmente) und die Identifizierung potenzieller Chancen und Risiken sowie Stärken und Schwächen des Unternehmens. 196 Als Analyseinstrumente und -methoden im Rahmen der strategischen Marketingplanung und -kontrolle werden beispielweise 193 Portfolioanalysen, SWOT-Analysen, GAP-Analysen Vgl. Diller/Haas/Ivens 2005, S. 157ff.; Neckel/Knobloch 2005, S. 195. 194 Vgl. ausführlich Kaplan/Norton 1997; Kaplan/Norton 2006. 195 Vgl. hierzu ausführlich Wiedmann/Buxel/Siemon 2005; Wiedmann/Buxel 2003. 196 Vgl. Becker 2001, S. 41; Homburg/Schäfer/Schneider 2008, S. 89ff. und 70 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Szenarioanalysen herangezogen.197 Hierzu bedarf es neben unternehmensinternen Daten aus dem operativen Vertriebscontrolling 198 der Einbindung externer Markt- und Umfelddaten. Unter Marktdaten sind, wie bereits erläutert, klassische Marktforschungsdaten zu verstehen. Es handelt sich um aggregierte, anonymisierte Daten, zum Beispiel über Gesamtmärkte, Segmente bzw. Zielgruppen oder auch Marktanteile, sowie um Daten zum Informations-, Kauf- und Verwendungsverhalten tatsächlicher und potenzieller Kunden.199 Des Weiteren gehört das Feld der Adressendaten, die von spezialisierten Anbietern bzw. kommerziellen Adressverlagen bezogen werden können, zur Kategorie unternehmensexterner Marketingdaten. Adressdaten liegen in individualisierter Form vor und sind häufig in hohem Maße „qualifiziert“; das heißt, sie ermöglichen Aussagen über Wohnverhältnisse, Mediennutzung oder Kaufverhalten von Personen.200 Gleichsam zwischen aggregierten Marktdaten und personalisierten Kundendaten stehen mikrogeographische Daten. Derartige Daten ermöglichen mikrogeographische Marktsegmentierungen, indem der geographische Faktor, das Wohnumfeld des Kunden, sowie demographische Informationen miteinander in Beziehung gesetzt werden. und verhaltensbezogene 201 Umfelddaten erfassen sämtliche unternehmensexternen Faktoren, die einen Einfluss auf Marketingentscheidungen haben können. Diese Einflüsse können technologischer, gesellschaftlicher, politisch-rechtlicher und wirtschaftlicher Art sein.202 In technologischer Hinsicht ist für das Marketing insbesondere die Weiterentwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien von Bedeutung, da sich dies beispielsweise auf die Kommunikation zwischen Konsument und Unternehmen (über neue Medien wie SMS, Kundenforen etc.) oder auch auf den Vertrieb von Gütern (beispielsweise über das Internet oder auch Handy) auswirken kann. In Bezug auf die gesellschaftliche Dimension interessieren Marketingentscheider insbesondere Informationen über den gesellschaftlichen Wertewandel sowie generelle Verhaltenstendenzen der Konsumenten, wie etwa steigendes Umweltbewusstsein oder erhöhte Qualitätsorientierung, 197 Siehe hierzu ausführlich Pufahl 2006, S. 62ff.; Becker 2001, S. 61ff. 198 Siehe hierzu Abschnitt 3.2.2.2. die 199 Siehe ausführlich zu Markt- bzw. Marktforschungsdaten Abschnitt 3.2.2.4. 200 Vgl. Wimmer/Göb 2006, S. 406; Hippner/Wilde 2001, S. 31; Kraus 2002, S. 39f. 201 Vgl. Böhler/Scigliano 2005, S. 44f.; Hippner/Leber/Wilde 2004, S. 162; Baecker-Neuchl 2002, S. 33; Hippner/Leber/Wilde 2002, S. 18; Arnold 2002, S. 37; Meinert 1997, S. 452. 202 Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 63f.; Homburg/Krohmer 2006, S. 471f. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Auswirkungen auf das Kaufverhalten haben 71 können. Politisch-rechtliche Informationen betreffen Normen und Verordnungen des Gesetzgebers und der Rechtssprechung, wie zum Gewährleistungsgarantien Beispiel usw. Vorgaben bezüglich Marketingentscheider Preisbindungen, benötigen häufig zur Festlegung von Marketingstrategien sowie zur konkreten Gestaltung operativer Marketingmaßnahmen detaillierte Kenntnisse über entsprechende politisch-rechtliche Regelungen. In Bezug auf die wirtschaftliche Dimension sind für das Marketing zum einen Informationen über konjunkturelle Einflüsse von Interesse. So können sich makroökonomische Kennziffern, wie eine gestiegene Arbeitslosenquote oder auch ein gesunkenes Durchschnittseinkommen der Bevölkerung, sowohl auf das Informationsverhalten (beispielsweise über die Mediennutzung) als auch auf das Kaufverhalten (beispielsweise durch einen erhöhten Kauf von Sonderangeboten oder durch eine Verschiebung geplanter Anschaffungen) von Konsumenten auswirken. Zum anderen erfassen wirtschaftliche Informationen auch die Dynamik und Intensität des Wettbewerbs Frühaufklärung 203 auf den Märkten. Die Aufgabe einer strategischen muss darin bestehen, Umfeldentwicklungen rechtzeitig zu erkennen und potenzielle Einflussfaktoren auf die Unternehmenstätigkeit sowie die Entscheidungsprozesse des Marketings zu identifizieren. Grundsätzlich sind daher im Rahmen der Entscheidungsunterstützung des Marketingmanagements auch Wettbewerbsanalysen bezüglich direkter Konkurrenten bzw. Konkurrenten der gleichen Branche von Bedeutung. Wettbewerbsanalysen konzentrieren sich dabei auf folgende grundlegende Fragestellungen: Wer sind meine Konkurrenten (bei welchen Produkt(gruppen), auf welchen Märkten)? Welche Strategien und Ziele verfolgt die Konkurrenz? Demnach sind für das Marketingmanagement Wettbewerbsdaten vor allem in strategischer Hinsicht entscheidungsrelevant. Zur Beantwortung solcher Fragen sind zum Beispiel Daten über Branchen- und Technologieentwicklungen, neue Patente, Wettbewerbsprodukte, Wettbewerbsstrukturen, die Markt- und Produktstrategie der Wettbewerber sowie deren Vertriebskanäle und -wege relevant.204 Wettbewerbsanalysen liefern also dem Marketingentscheider aussagekräftige Informationen über Aktivitäten der Konkurrenz.205 Solche wettbewerbsorientierten Aktivitäten werden heute unter dem Stichwort „Competitive Intelligence“ 203 Vgl. Ansoff 1975; Nick 2008, S. 15ff. 204 Vgl. Winkelmann 2008, S. 695ff.; Homburg/Schäfer/Schneider 2008, S. 219ff.; Aaker 1998, S. 65. 205 Vgl. ausführlich zu Wettbewerbsinformationssystemen Gilad/Gilad 1988. 72 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen zusammengefasst. Competitive Intelligence ist zu verstehen als „analytical process that transforms disaggregated competitor, industry, and market data into actionable strategic knowledge about competitor’s capabilities, intentions, performance, and position”206. Im Fokus steht demnach die handlungsorientierte Analyse des Wettbewerbsumfeldes zur Generierung von Wissen über Wettbewerber bezüglich deren Positionierung, Leistungsfähigkeiten und beispielsweise Daten über Finanz- und Absichten.207 Hierzu werden Ertragslage, betriebswirtschaftliche Kennzahlen der Konkurrenten gesammelt und zusammengetragen. In Abgrenzung dazu bezieht sich „Competitor Intelligence“ als Subsystem der Competitve Intelligence darauf, „zusätzliches Wissen über die Aktivitäten, Eigenheiten und Strategien eines bekannten Wettbewerbers zu sammeln“208. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse von für das Unternehmen bedeutsamen Wettbewerbern, um deren Verhalten detaillierter untersuchen und sie besser verstehen zu können. Insgesamt wird somit deutlich, dass neben unternehmensinternen im Rahmen von Geschäftsprozessen anfallenden Daten dem Marketingmanagement eine Vielzahl potenziell entscheidungsrelevanter Marketingdaten zur Verfügung steht, die extra (außerhalb) des Unternehmens erhoben werden muss. Darüber hinaus bilden auch aggregierte Markt- bzw. Marktforschungsdaten, die im folgenden Abschnitt erläutert werden, eine bedeutsame Informationsgrundlage für das Marketing. 206 Choo 2002, S. 86. 207 Vgl. hierzu auch Michaeli 2006, S. 21ff.; Mody 2005, S. 17; Lux/Peske 2002; Wright/Pickton/ Callow 2002; Kunze 2000, S. 64ff. 208 Kunze 2000, S. 65. Vgl. hierzu auch Sammon 1984, S. 62. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 73 3.2.2.4 Aggregierte Markt- bzw. Marktforschungsdaten Bei der Beschaffung von Marktforschungsdaten wird generell zwischen Primär- und Sekundärforschung differenziert.209 Diese Differenzierung ist für die vorliegende Arbeit nicht entscheidend, da die Frage, ob die benötigten Marktforschungsdaten aus sekundären Datenbeständen erhoben werden (können) oder ob es dazu der Primärforschung bedarf, nachrangig zur Fragestellung des erforderlichen „Inhalts“ der Daten ist. Es soll vielmehr aufgezeigt werden, welche Aussagen sich aus den jeweiligen Marktforschungsinformationen bzw. -studien ableiten lassen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich zwischen quantitativen und qualitativen Marktforschungsdaten differenziert werden kann. Während quantitative Informationen häufig in Form von Kennzahlen zum Ausdruck kommen und demnach eher so genannte (messbare) „hard facts“ repräsentieren, steht bei qualitativen Marktforschungsinformationen die Frage nach dem „Warum“ bzw. „Wie“ und damit die erklärende, inhaltliche Komponente (so genannte „soft facts“) im Vordergrund. Die Informationsbedarfe des Marketingmanagements sind, wie bereits ausführlich erläutert, zum einen von der einzelnen Problem- bzw. Fragestellung und damit vom jeweiligen Entscheidungstatbestand und zum anderen von der Phase eines Entscheidungsprozesses, in der sich ein Marketingentscheider jeweils befindet, abhängig.210 Im Marketing bestehen daher einerseits generelle, marktbezogene und andererseits spezifische, prozessbegleitende Informationsbedarfe. 211 Die für diese Arbeit geführten Experteninterviews mit den Marktforschern sowie frühere empirische Untersuchungen212 belegen jedoch, dass die Denkweise eines Marktforschers in der Regel eher methoden- bzw. verfahrensorientiert ist. Für einen Marktforscher stellt sich die Frage, welche Methoden bzw. Verfahren geeignet sind und damit welche Art von Studie notwendig ist, um zu bestimmten Marketinginformationen zu gelangen. Im Folgenden werden daher die Informationsbedarfe des Marketings – unterteilt in 209 Werden speziell zur Beantwortung einer Fragestellung oder zur Lösung eines Problems Daten erhoben, so handelt es sich um Primärforschung; es geht also um die Gewinnung originärer Daten. Sekundärforschung hingegen bezeichnet das Zugreifen auf vorhandene Daten, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt und gegebenenfalls für einen anderen Zweck erhoben wurden. Vorteile der Sekundärforschung liegen hauptsächlich in der Schnelligkeit und Kostengünstigkeit der Datenerhebung. Häufig liegen jedoch Sekundärdaten für spezifische Entscheidungstatbestände nur in unzureichender Quantität und Qualität vor, so dass in bestimmten Fällen eine Primärerhebung unumgänglich ist (vgl. hierzu beispielsweise Altobelli 2007, S. 28ff.; Neckel/Knobloch 2005, S. 91; Böhler/Scigliano 2005, S. 30ff.; Böhler 2004, S. 63ff.; Wilson 2003, S. 34ff.). 210 Siehe Abschnitt 3.1.1. 211 Vgl. Roleff 2001, S. 68. 212 Vgl. Roleff 2001, S. 91. 74 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen generelle, marktbezogene und spezifische, prozessbezogene Informationsbedarfe – inhaltlich erläutert und vor diesem Hintergrund mögliche Marktforschungsstudien sowie die zugrunde liegenden Marktforschungsverfahren bzw. -methoden aufgezeigt. Generelle, marktbezogene Informationsbedarfe des Marketingmanagements sind nicht nur auf den Absatzmarkt des eigenen Unternehmens bezogen, sondern betreffen neben makroökonomischen Kennziffern grundsätzliche Branchen- und Marktcharakteristika sowie zukünftige Marktentwicklungen. Hierfür werden von der Marktforschung mittels Methoden der Ad-hoc-Forschung umfassende Marktstrukturanalysen bereitgestellt, die den Gesamtmarkt bzw. ausgewählte Teilmärkte untersuchen. Marktstrukturanalysen liefern dem Marketingentscheider Informationen über Wettbewerber, alternative Marken und Produkte sowie auch EinkaufsstättenMarktinformationen, und wie Bedarfsdeckungsraten, Konsumenteninformationen. 213 beispielsweise Distributionsquoten Neben Marktpotenzialen, etc., werden quantitativen Käuferreichweiten, auch qualitative Informationen, wie etwa Stärken-Schwächen-Profile und Kommunikationsauftritte, ausgewiesen. Des Weiteren sind für den Marketingentscheider im Rahmen der generellen, marktbezogenen Informationsbedarfe allgemeine Gesellschafts- und Verbrauchertrends von Interessen, um frühzeitig die Marketingstrategie des eigenen Unternehmens anpassen zu können. Marktforschungsinstitute führen daher im Bereich der Ad-hoc-Forschung so genannte Grundlagenstudien durch, die in der Regel einen qualitativen Forschungsansatz aufweisen. Derartige Studien, die oft auf qualitativ-psychologischen Verfahren (zum Beispiel Einzelexploration, Gruppendiskussion, projektive und assoziative Verfahren) basieren, analysieren vorwiegend Bedürfnisse, Motive, Einstellungen und Präferenzen von Konsumenten und identifizieren somit das Konsumentenverhalten am Markt bzw. in bestimmten Absatzmärkten.214 So werden im Rahmen der Marktsegmentierung detaillierte Zielgruppen- und Verbraucheranalysen durchgeführt, die zum Teil auch länderübergreifend Gültigkeit besitzen. Neben sozioökonomischen Segmentierungskriterien 213 Vgl. exemplarisch Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2004, S. 332ff. 214 Vgl. Buber/Klein 2007, S. 54 sowie Holzmüller/Buber 2007, S. 7ff. Für eine detaillierte Beschreibung spezifischer Anwendungsbereiche qualitativer Verfahren siehe Salcher 1995, S. 129ff. sowie für eine zusammenfassende Darstellung der wichtigsten Methoden siehe Salcher 1995, S. 124f. Für eine ausführliche Beschreibung einzelner Methoden siehe beispielsweise den Herausgeberband „Qualitative Marktforschung“ von Buber und Holzmüller (2007) sowie den Herausgeberband „Qualitative Marktforschung in Theorie und Praxis“ von Naderer und Balzer (2007). Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 75 sind bei Marktsegmentierungen zunehmend psychographische Merkmale von Relevanz. Die Marktforschung bietet im Bereich der Marktsegmentierung aufwendige Life-Style-Typologien an, wodurch die Gesamtheit der Konsumenten in Segmente eingeteilt wird, die hinsichtlich Wertvorstellungen, Lebensmaximen, Konsumgewohnheiten oder auch Einstellungsmustern in sich homogen sind.215 Neben Lebensstilstudien werden, um das Marketing über generelle Verbraucher- und Gesellschaftstrends zu informieren, auch qualitative Trendstudien konzipiert, die versuchen, möglichst frühzeitig Entwicklungstendenzen im Konsum- und Freizeitverhalten der Gesellschaft aufzudecken. Darüber hinaus ist das Marketingmanagement auch an der Positionierung von (eigenen) Produkten interessiert. Hierfür sind unter anderem auch Verfahren der Adhoc-Forschung von Bedeutung. Bei qualitativen Verfahren wird das Produkt mittels Ansätzen der Motiv-, Image- und Einstellungsforschung positioniert; als Grundlage dienen dabei detaillierte Zielgruppenbeschreibungen. Daneben ermöglichen multivariate Analyseverfahren, wie die Faktorenanalyse, Clusteranalyse und Multidimensionale Positionierung Produkten. 216 Skalierung, eine Marketingentscheider eher quantitative erhalten aus solchen von Grundlagen- untersuchungen erkennbare Trendentwicklungen im Freizeit- und Konsumverhalten der Gesellschaft und damit relevante Informationen über ihre Zielgruppe. Auf Basis solcher aggregierter Marktinformationen können frühzeitig Anpassungen für einzelne Waren- bzw. Produktgruppen abgeleitet werden. Ferner sind für Marketingentscheider neben allgemeinen marktbezogenen Informationen auch spezifische prozessbegleitende Marketinginformationen relevant. Solche Informationen lassen sich in der Regel einer bestimmten Prozessstufe zuordnen und beziehen sich auf Produkte bzw. deren Erfolg. Entsprechend der Aufgabenbereiche des Produktmarketings lassen sich vier Phasen unterscheiden, in denen Marketingentscheider Marktanalyse und spezifische Positionierung, Informationsbedarfe Produktgestaltung, entwickeln: Produktvermarktungs- konzeption sowie Produktmonitoring und -anpassung. 217 Vor der Markteinführung eines neuen Produktes sind zunächst dessen Marktchancen innerhalb bestimmter Zielsegmente zu analysieren. Dabei gilt es zu überprüfen, ob 215 Vgl. hierzu auch Baumann/Hofmann/Schubert 2006; Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2004, S. 247ff. 216 Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2004, S. 352f. 217 Siehe hierzu ausführlich Roleff 2001, S. 34ff. 76 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen das Produkt(konzept) von der Zielgruppe akzeptiert wird und mit welchem Absatzpotenzial bei der Zielgruppe zu rechnen ist. Hierfür liefert neben Hintergrundinformationen aus qualitativen Zielgruppenanalysen insbesondere die Testmarktforschung218 relevante Marktforschungsinformationen für das Marketing. So soll ein Konzepttest, bei dem die spezifische Idee bzw. Konzeption für ein neues Produkt von Konsumenten beurteilt wird, prüfen, ob jenes aus Konsumentensicht einen deutlichen Vorteil gegenüber bereits bestehenden Produkten liefern kann und ob ein ausreichend großes Nachfragepotenzial vorhanden ist. Ein Konzepttest kann zum einen zur Beurteilung der Positionierung eines Produkts herangezogen werden, zum anderen treten durch einen Konzepttest bereits erste Hinweise bezüglich Ausgestaltung oder auch Verbesserung des Produkts bzw. des Konzepts zum Vorschein. Für den Marketingentscheider sind solche Informationen wichtig, um die Akzeptanz und zukünftige Nachfrage des neuen Produkts aus Verbrauchersicht besser einschätzen zu können. Im Anschluss an die Produktgestaltung Marktanalyse und Positionierung darum, erfolgversprechende Konzepte geht in es bei der reale Produkte (Prototypen) zu überführen. Der Marketingmanager hat hierbei insbesondere über die Kombination und letztendlich die Auswahl einzelner Gestaltungsparameter zu entscheiden. In einem weiteren Schritt wird für das konkrete Produkt eine Vermarktungsstrategie im Rahmen der Kommunikations-, Preis- und Distributionspolitik festgelegt. Für experimentelle Untersuchungen der Produktgestaltung und -vermarktung bietet sich insbesondere ein Produkttest an, bei dem die subjektive Qualität eines Produkts überprüft wird. Hierbei soll insbesondere ermittelt werden, wie ausgewählte Testpersonen (in der Regel aus der Zielgruppe) ein physisches Produkt als Ganzes (Volltest) bzw. einzelne Produktbestandteile (Partialtest) beurteilen. Bei einem Partialtest wird die Wirkung einzelner Produkteigenschaften oder -merkmale, beispielsweise von Preis (Preistest), Name (Namenstest), Verpackung (Packungstest) oder Geschmack (Geschmackstest), untersucht. Aus derartigen durch einen Produkttest generierten Informationen lassen sich Verbesserungsmöglichkeiten von Produktgestaltung und Marketingkonzeption sowie Aussagen bezüglich der Marktchancen eines Produktes ableiten. Ein weiteres gängiges Testverfahren, das vorrangig die Verkaufsfähigkeit von Produkten ermittelt, ist der Storetest. Der Storetest bezeichnet einen probeweisen Verkauf von Produkten 218 Siehe hierzu ausführlich Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2004, S. 160ff.; Hammann/Erichson 2000, S. 205ff.; Altobelli 2007, S. 413ff. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 77 unter kontrollierten Bedingungen in ausgewählten Einzelhandelsgeschäften. Dabei wird insbesondere die Wirksamkeit von Marketingmaßnahmen, wie alternative Packungsgrößen, unterschiedliche Preisstellungen, alternative Produktplatzierungen etc., überprüft. Nachteilig hierbei ist allerdings, dass keine Werbung berücksichtigt wird. Des Weiteren liefern vor der Markteinführung eines Produktes Testmarktverfahren bzw. Testmarkt-Ersatzverfahren219, welche die gesamte Marketingkonzeption inklusive der realen Distributionssituation im Handel erfassen und den Markterfolg eines Produkts auf dem Gesamtmarkt prognostizieren, für das Marketing nützliche Informationen zur Produktgestaltung und -vermarktung. Der regionale Markttest bezeichnet die probeweise Einführung eines Produktes in einen regional abgegrenzten Teilmarkt. Mittels spezieller Hochrechungsverfahren können für den nationalen Gesamtmarkt Absatz-, Umsatz- und Marktanteilsprognosen aufgestellt werden. Dennoch besitzt der regionale Markttest in der Marktforschungspraxis vor allem aus Kosten- und Zeitgründen sowie aufgrund seiner mangelnden Geheimhaltung gegenüber Wettbewerbern kaum noch Bedeutung. Daher werden von der Marktforschung so genannte Testmarkt-Ersatzverfahren eingesetzt, die den aufgezeigten Schwächen des regionalen Markttests entgegen wirken können. Zu den gängigen Testmarkt-Ersatzverfahren der Marktforschung zählen der Minimarkttest und die Testmarktsimulation. Bei einem Minimarkttest werden mehrere Testgeschäfte in einzelnen Gebieten angeworben und an ein Handelspanel angeschlossen. Zusätzlich wird in jedem dieser Gebiete ein lokales Haushaltspanel rekrutiert. Somit können Marketinginformationen auf Geschäftsebene, beispielsweise Abverkäufe, Verkaufsanteile, Umschlagsgeschwindigkeit etc., und auf Haushaltsebene, zum Beispiel Informationen über Käufer, Wiederkäufer, Einkaufsintensitäten und Ähnliches, gewonnen werden. Als Weiterentwicklung des Minimarkttests bezieht der elektronische Minimarkttest (wie zum Beispiel der GfK Behavior Scan) auch Fernsehwerbung mit ein. Damit erfasst dieser die vollständige Marketingkonzeption und eignet sich insbesondere auch für Werbetests. Der elektronische Minimarkttest liefert dem Marketingmanagement detaillierte Informationen über reales Einkaufsverhalten sowie Informationen über Marktanteile und Austauschbeziehungen nach Einführung des Testprodukts. Bei der Testmarktsimulation (zum Beispiel TESI der GfK) hingegen handelt es sich im Prinzip um einen Produkttest, 219 Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder Pepels 2007, S. 232ff. 2004, S. 168ff.; Hammann/Erichson 2000, S. 210ff.; 78 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen der durch eine Werbe- und Kaufsimulation erweitert ist. Ziel dieses Verfahrens ist die Prognose der Marktchancen von neuen Produkten vor deren Markteinführung; für das Testprodukt werden Erstkauf, Wiederkauf und Marktanteil geschätzt. Darüber hinaus werden umfangreiche diagnostische Informationen zur Verbesserung des Testprodukts und/oder dessen Marketingkonzeption generiert. Obgleich die externe Validität aufgrund der nicht voll-biotischen Situation eingeschränkt ist, stellt die Testmarktsimulation aus Kosten- und Zeitgründen sowie der Möglichkeit einer Geheimhaltung gegenüber Konkurrenzunternehmen ein beliebtes Verfahren zum Test von neuen Produkten in der Marktforschungspraxis dar. Insgesamt liefern Testmarktverfahren bzw. Testmarkt-Ersatzverfahren für das Marketingmanagement nützliche Informationen zur Produktgestaltung sowie bezüglich potenzieller Vermarktungskonzeptionen von Produkten. Nach der Einführung eines neuen bzw. modifizierten Produkts möchte der Marketingentscheider insbesondere dessen Erfolg überprüfen. Hierzu benötigt er neben qualitativen Informationen (beispielsweise über die von Konsumenten geäußerte Zufriedenheit oder auch wahrgenommene Qualität) umfassende quantitative Informationen (wie Produktumsatz und -absatz, Marktanteil des Produkts etc.). In der Phase des Produktmonitorings und der Produktanpassung stellen daher Panelstudien eine der wichtigsten Informationsquellen für das Marketing dar.220 Unter einem Panel versteht man eine Erhebung bei einem bestimmten, im Wesentlichen gleichbleibenden Kreis von Personen (zum Beispiel Haushalte, Verbraucher, Individuen) oder Organisationen (zum Beispiel Einzelhandelsgeschäfte), bei der über einen längeren Zeitraum hinweg in regelmäßigen zeitlichen Abständen Daten zum gleichen Untersuchungsgegenstand zusammengetragen werden. Ziel (zum ist Beispiel daher nicht Einkäufe nur die bzw. Verkäufe) Erfassung des Marktgeschehens, sondern insbesondere die Ermittlung von Marktveränderungen und langfristigen Entwicklungen am Markt. Von besonderer Relevanz für das Marketing sind das Verbraucher- und das Handelspanel, die Daten über täglich notwendige Konsumgüter (FMCGs) sowie gängige Gebrauchsgüter beinhalten. Für diese Warengruppen werden dem Marketing zum einen kontinuierlich Informationen im Wesentlichen über Käuferzahlen und Käuferstrukturen sowie über Umsatz- und Absatzmengen der eigenen und der Produkte von Wettbewerbern sowie die daraus resultierenden 220 Oftmals werden mehr als 50% des Marktforschungsbudgets für Paneldaten ausgegeben (vgl. Roleff 2001, S. 97). Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 79 eigenen und Konkurrenz-Marktanteile bereitgestellt. Neben solchen Standardberichten können zum anderen auch umfassende Sonderanalysen, wie zum Beispiel Bedarfsdeckungsanalysen, Gain-and-Loss-Analysen, oder Preiselastizitäten, durchgeführt werden. Distributionsentwicklungen 221 Darüber hinaus werden zur Erfolgsmessung im Rahmen der Tracking-Forschung Wellenerhebungen insbesondere im Bereich der Werbeforschung und der Kundenzufriedenheitsforschung durchgeführt. Beim Tracking erfolgt – analog zum Panel – in Form von „Wellen“ eine laufende Überprüfung des jeweiligen Untersuchungsgegenstands; die Stichprobe ist allerdings bei den einzelnen Wellenerhebungen nicht identisch. So wird beispielsweise beim Werbetracking die Wirkung der Werbung für das neue bzw. modifizierte Produkt überprüft. Auf diese Weise lassen sich etwa Reichweite, Bekanntheit, Aufmerksamkeits- und Erinnerungswirkung messen. Das Marketing erhält somit nützliche, quantitative Informationen über die Wirkung und letztendlich den Erfolg einer Kommunikationskampagne. 222 Durch unterschiedliche Erhebungs- bzw. Untersuchungsmethoden – in Form von Adhoc-Forschung, Testmarktforschung, Panelforschung und Tracking-Forschung – wird gewährleistet, dass das Marketing auf ein umfassendes, für die entsprechende Entscheidungssituation adäquates Informationsangebot aus der Marktforschung zurückgreifen kann. In der Praxis arbeiten dabei, wie bereits erwähnt, betriebliche und institutionelle Marktforschung oftmals sehr eng zusammen. Der Tätigkeitsbereich der betrieblichen Marktforschung liegt neben der Sekundärforschung vorrangig in der Konzeption und Kontrolle von Primärstudien. Darüber hinaus stellt die Fachberatung des Marketings eine wichtige Aufgabe der betrieblichen Marktforschung dar. Die institutionelle Marktforschung hingegen ist primär für die so genannte „Feldarbeit“ zuständig; die Gestaltung des Erhebungsdesigns sowie die Durchführung und Auswertung von Primärstudien erfolgen daher, in der Regel in Absprache mit der betrieblichen Marktforschung, von Institutsseite. 223 Abschließend sei noch anzumerken, dass dem Marketing die gewünschten Marktforschungsinformationen in der Regel über die betriebliche Marktforschung zur Verfügung gestellt werden. Die betriebliche Marktforschung agiert daher häufig als „strategischer Brückenkopf des 221 Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2004, S. 127ff.; Hammann/Erichson 2000, S. 160ff. sowie ausführlich Günther/Vossebein/Wildner 2006. 222 Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2004, S. 190ff.; Altobelli 2007, S. 434. 223 Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2004, S. 36ff.; Hüttner 1997, S. 443ff. 80 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Anbietersystems Marktforschung im Unternehmen“ 224. In eher seltenen Fällen wird die betriebliche Marktforschung außen vor gelassen, und es besteht ein direkter Kontakt zwischen Institut und Marketing. Dies ist auch der Fall, wenn ein Unternehmen keine betriebliche Marktforschungsabteilung besitzt. 225 3.2.3 Schaffung einer fundierten Informationsgrundlage für das Marketing Die vorangegangenen Ausführungen machten deutlich, dass eine grundlegende Aufgabe der Angebotsseite von Marketinginformationen darin besteht, für das Marketing eine aussagekräftige Informationsgrundlage bereitzustellen. Dies ist nur gegeben, wenn für die zentralen Entscheidungstatbestände des Marketings ausreichend Informationen vorliegen und Marketingentscheider bei ihrer Entscheidungsfindung auf die erforderlichen problemrelevanten Marketinginformationen zugreifen können. Vor diesem Hintergrund ist für die Angebotsseite von Marketinginformationen – die Datenseite – eine aktive und permanente Auseinandersetzung mit den benötigten Informationsbedarfen des Marketings von besonderer Bedeutung. Die grundlegenden Informationsbedarfe des Marketings lassen sich auf Basis des strategischen Leitkonzepts des Beziehungsmarketings – als Gegensatz zum herkömmlichen Transaktionsmarketing – ableiten.226 Im Zuge des Beziehungsmarketings bildet der Kunde den zentralen Bezugspunkt aller unternehmerischen Tätigkeiten. Insbesondere die im Sinne des Beziehungsmarketings geforderte Orientierung am langfristigen Beziehungserfolg macht eine Priorisierung auf wertvolle Kunden sowie eine interaktive und individualisierte Kundenansprache erforderlich. Verdeutlicht man sich diesbezüglich den Tätigkeitsbereich von Konsumgüterherstellern, so zeichnen sich diese durch eine klare Produkt- bzw. Markenbezogenheit aus. Vermarktungskonzepte Distributions-Mix sind Produkte mit bzw. Festlegung demnach im Marken von sowie Preis-, zugrunde liegende Kommunikations- Beziehungsmarketing kunden- und bzw. marktorientiert zu gestalten. Um im Sinne einer marktorientierten Unternehmens224 Roleff 2001, S. 101 (im Original mit Fettdruck). 225 Siehe ausführliche Erläuterungen bezüglich der Distributionskanäle für Marktforschungsinformationen bei Roleff 2001, S. 100ff. 226 Vgl. für eine Gegenüberstellung von Transaktions- und Beziehungsmarketing Diller 2001b, S. 165; Diller/Haas/Ivens 2005, S. 27. Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 81 führung agieren zu können, muss darüber hinaus gewährleistet sein, dass sich sämtliche Entscheidungen des Marketings an den Marktgegebenheiten bzw. Marktchancen und -risiken sowie an den Branchen- und Wettbewerbsstrukturen orientieren. Prinzipiell ist ein derartiges Vorgehen im Sinne des Beziehungsmarketings nur möglich, wenn Entscheidungsträgern im Marketing umfassende Informationen über die jeweiligen Objektbereiche zur Verfügung stehen. Die Informationsbedarfe von Marketingentscheidern werden daher vorwiegend durch ein beziehungsorientiertes Marketingmanagement determiniert; sie ergeben sich aus den Rahmenbedingungen eines beziehungsorientierten Marktgeschehens und lassen sich in „Kunde“, „Produkt/Marke“, „Markt“ und „Wettbewerb“ aufgliedern. Auch die im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführten Expertengespräche machten deutlich, dass diese Objektbereiche die wesentlichen Informationsbedarfe von Marketingentscheidern eines Konsumgüterherstellers umfassen. Für die einzelnen Objektbereiche benötigt das Marketingmanagement bei der Entscheidungsfindung – sowohl bei strategischen als auch bei operativen Marketingentscheidungen – je nach Entscheidungstatbestand spezifische Informationen. Diese Marketinginformationen stammen aus heterogenen Quellen und umfassen neben internen „automatisch“ anfallenden Marketingdaten auch (extra) extern zu erhebende Daten sowie aggregierte Markt- bzw. Marktforschungsdaten. Für die Entscheidungsund Entscheiderunterstützung im Marketing werden also sowohl unternehmensinterne als auch unternehmensexterne Marketingdaten benötigt. Die Notwendigkeit einer Ergänzung bzw. Anreicherung der internen „automatisch“ anfallenden Daten kann ein Unternehmen grundsätzlich dazu veranlassen, externe Marketingdaten zu ordern; diese reichern die intern vorliegenden Daten häufig durch eine erklärende Komponente an und sind im Marketing insbesondere für die Analyse hypothetischer Konstrukte, wie beispielsweise Image, Einstellung und Zufriedenheit, von Bedeutung. Aussagekräftige Informationen erhält das Marketing also erst, wenn die unternehmensinternen Marketingdaten durch unternehmensexterne Daten angereichert werden; interne und externe Marketingdaten ergänzen sich wechselseitig. Diese beiden Kategorien sind insofern komplementär, als – abhängig von Quantität und Qualität der Daten, die dem Marketing bereits intern vorliegen, – mehr oder weniger auf externe Daten zugegriffen werden muss, um eine adäquate 82 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Marketingdatenbasis für den Prozess der Entscheidungsfindung zu schaffen. 227 Obwohl die heutige Informations- und Kommunikationstechnologie die Speicherung und Verarbeitung enormer Datenvolumina ermöglicht, sollten bei der Informationsbeschaffung und -bereitstellung dennoch ökonomische Restriktionen im Sinne eines ausgewogenen Kosten-Nutzen-Verhältnisses beachtet werden. Das Marketingmanagement hat sich stets die Frage zu stellen, ob die Informationen „nice to know“ oder „need to know“ sind. Im Sinne des „need to know“-Prinzips sind nur diejenigen Marketingdaten zu erheben, welche auch tatsächlich für die Entscheidungsfindung im Marketing benötigt werden. 3.3 Kluft zwischen Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen In den vorangegangenen Abschnitten wurden zum einen die Nachfrageseite von Marketinginformationen – die Entscheidungsseite des Marketings – und zum anderen die Angebotsseite von Marketinginformationen – die Datenseite des Marketings – detailliert analysiert. Auf der Nachfrageseite von Marketinginformationen wurden die Aufgaben und prozessorientierten Tätigkeiten im Marketing aufgezeigt sowie idealtypische Ausprägungen von Marketingentscheidungen charakterisiert. Dabei wurde festgestellt, dass Marketingentscheider für einzelne Tätigkeitsbereiche sowie für unterschiedliche Arten von Entscheidungen jeweils spezifische Informationen benötigen. Des Weiteren wurde neben dieser eher objektiv-sachlichen Ebene der Marketingentscheidung das Informations- und Entscheidungsverhalten von im Marketing tätigen Entscheidern untersucht. Die grundlegende Erkenntnis diesbezüglich besteht darin, dass Marketingentscheider offenbar schon allein aufgrund ihrer limitierten Informationsverarbeitungskapazität nur begrenzt rational handeln. Entscheidungsträger besitzen in der Regel einen eigenen kognitiven Stil – determiniert durch spezifische aktivierende und kognitive 227 Im Hinblick auf Kosten-Nutzen-Aspekte ist stets abzuwägen, ob es vorteilhafter ist, möglichst viele Daten intern zu beschaffen oder angesichts des Aufwands und der damit verbundenen Kosten die Datenbeschaffung zu externalisieren bzw. vermehrt auf externe Daten zuzugreifen. Welche bzw. wie viele Daten letztendlich intern erhoben werden und bei welchen Daten auf unternehmensexterne Quellen zugegriffen wird, gestaltet sich bei einzelnen Unternehmen unterschiedlich und ist von einer Vielzahl von Faktoren, wie zum Beispiel der Unternehmensgröße, dem vorhandenen Fachwissen einzelner Abteilungen oder auch von unternehmenspolitischen Grundsätze abhängig (siehe ausführlich zur Diskussion über Vor- und Nachteile der Externalisierung von Informationsdiensten Roleff 2001, S. 271ff.; Hammann/Erichson 2000, S. 52f.). Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 83 Dimensionen –, der sich vor allem im Verhalten der Informationsgewinnung und -verarbeitung niederschlägt. Dahingehend lassen sich im Marketing spezifische Entscheidungsstile und Entscheidertypen sowie spezifische Problemlösestrategien von Marketingmanagern unterscheiden. Im Gegenzug stand auf der Datenseite die Analyse des Informationsangebots im Mittelpunkt der Betrachtung. Dabei wurde verdeutlicht, dass die Angebotsseite von Marketinginformationen neben intern in der Regel automatisch anfallenden Marketingdaten auch extern (extra) zu erhebende Daten sowie aggregierte Marktbzw. Marktforschungsdaten bereitstellen muss, um die komplexen Entscheidungstatbestände des Marketings ausreichend erforschen zu können. Zusammenfassend besteht die wichtigste Erkenntnis für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand der Arbeit demnach darin, dass es die Aufgabe der Angebotsseite von Marketinginformationen sein muss, eine aussagekräftige, fundierte Informationsgrundlage für das Marketing zu schaffen, um die vielfältigen Informationsbedarfe des Marketings möglichst gut zu befriedigen. Sicherlich ist in Abhängigkeit vom jeweiligen Entscheidungsproblem eine unterschiedliche Art der Zusammenarbeit zwischen Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen erforderlich. So erscheint es in manchen Fällen als ausreichend, wenn ein Marketingentscheider zur richtigen Zeit auf die für ihn relevanten Informationen zugreifen kann. Bei komplexeren Frage- bzw. Problemstellung hingegen ist eine engere Zusammenarbeit zwischen den Akteuren beider Seiten erforderlich. Grundsätzlich sind ein erfolgreiches Agieren und damit eine Verbesserung der Entscheidungsqualität im Marketing nur möglich, wenn das „Zusammenspiel“ zwischen der Nachfrage- und der Angebotsseite von Marketinginformation funktioniert. Dies ist jedoch nicht immer gegeben; vielmehr besteht im Marketing oftmals eine Kluft zwischen diesen beiden Seiten. Eine grundlegende Ursache für die existierende Kluft zwischen der Nachfrage- und der Angebotsseite von Marketinginformationen liegt häufig in der bestehenden Diskrepanz zwischen Informationsnachfrage und Informationsangebot. Aufgrund der zunehmenden Komplexität und Dynamik von Marketingentscheidungen benötigen Marketingmanager immer schneller aktuelle Informationen aus heterogenen Quellen. Auf der Datenseite steigt aufgrund der verbesserten Informations- und Kommunikationstechnologie das Angebot von Marketingdaten permanent an; neben Daten des Controllings stehen Kunden-, Vertriebs- und Wettbewerbsdaten sowie 84 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen Markt- und Marktforschungsdaten zur Verfügung. Eine solche Datenflut aus heterogenen Informationsquellen bedeutet jedoch keineswegs eine verbesserte Entscheidungshilfe für den Marketingentscheider, sondern oftmals wird es für den Marketingentscheider immer schwerer, aus der Vielzahl der verfügbaren Daten die tatsächlich für sein Entscheidungsproblem relevanten Informationen zu selektieren und darauf basierend eine fundierte Entscheidung zu treffen. Zudem fehlen häufig Verknüpfungen zwischen den heterogenen Marketingdaten, so dass keine einheitliche Datenbasis gegeben ist, auf die Marketingentscheider zugreifen können. Darüber hinaus bestehen für spezifische Informationsbedarfe des Marketings dennoch Daten- bzw. Informationslücken. Neben diesem objektiv-sachlichen Informationsbedarf, der sich vorwiegend an der Art der zu treffenden Marketingentscheidung sowie an der jeweiligen Phase des Entscheidungsprozesses Marketinginformationen einzelner orientiert, auch den Marketingentscheider Informationsbedarf resultiert muss die Angebotsseite subjektiv-persönlichen befriedigen. einerseits aus der Der von Informationsbedarf subjektiv-persönliche beschränkten Informations- verarbeitungskapazität von Menschen und andererseits aus den kognitiven Stilen von Entscheidungsträgern. So treffen manche Marketingmanager – unter anderem geprägt von bestimmten Persönlichkeitseigenschaften – Entscheidungen eher heuristisch, andere hingegen eher analytisch; vielfach kommen daher gerade in komplexen Entscheidungssituation, wie es im Marketing der Fall ist, spezifische Problemlösestrategien zum Einsatz. Marketingentscheider zeigen individuell differierendes Entscheiderverhalten entsprechend ihrer subjektiven Persönlichkeitsmerkmale und treffen Marketingentscheidungen entsprechend ihres eigenen kognitiven Stils. In Abhängigkeit vom jeweiligen kognitiven Entscheiderstil fragen demnach manche Marketingentscheider tendenziell mehr Informationen nach, andere hingegen verlassen sich eher auf ihr Bauchgefühl und benötigen daher für die Entscheidungsfindung im Allgemeinen weniger Informationen. Zudem ist nicht jede Information für einzelne Entscheidungsträger im Marketing gleich nützlich. Neben dieser faktisch vorliegenden Diskrepanz zwischen Informationsbedarf und Informationsangebot scheint eine weitere Ursache für die bestehende Kluft zwischen der Entscheidungs- und der Datenseite im Marketing in einer häufig sehr eingeschränkten Zusammenarbeit der beiden Parteien begründet zu sein. In diesem Zusammenhang verdeutlichen die im Rahmen dieser Arbeit geführten Experteninterviews, dass aus Sicht der Nachfrageseite von Marketinginformationen Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen 85 die Datenseite vielfach ein unzureichendes Leistungs- und Serviceprofil aufweist. Einerseits wird moniert, dass die Angebotsseite von Marketinginformationen sich nicht ausreichend bemüht, dem Marketing entscheidungs- und entscheiderrelevante Informationen zeitnah zur Verfügung zu stellen. Andererseits werden häufig auch fehlende Kompetenzen der Informationslieferanten bezüglich der Aufbereitung, Analyse und Interpretation von Daten kritisiert. Des Weiteren beklagen sich einige Marketingmanager über die Passivität der Angebotsseite von Marketing- informationen. So interessieren sich Akteure der Datenseite oftmals gar nicht für die Problem- und Fragestellungen des Marketings und bringen sich daher auch nicht proaktiv in die Entscheidungsprozesse (beispielsweise durch Erfahrungswissen aus früheren (ähnlichen) Fragestellungen) ein. Da sie zudem oftmals nur unzureichende Markt- und Branchenkenntnisse besitzen, können sie dem Marketing auch keine wirklich relevanten sachbezogenen Marketinginformationen liefern sowie zusätzliche Serviceleistungen (beispielsweise in Form von beratenden Tätigkeiten) bieten. Aufgrund dieser oder ähnlicher Punkte beurteilen Marketingentscheider die Angebotsseite von Marketinginformationen häufig als unzureichend oder gar schlecht.228 Diese Tatsache führt zu einem weiteren Aspekt, der die bestehende Kluft zwischen der Nachfrage- und der Angebotsseite noch vergrößern kann: Aufgrund eines solchen nur geringen Ansehens der Datenseite erachten Marketingentscheider es häufig nicht als notwendig, diese frühzeitig in die Entscheidungsprozesse des Marketings zu integrieren. Schon allein aus diesem Grund ist es der Angebotsseite von Marketinginformationen oft nur möglich, die Aufgabe eines „reinen Datenlieferanten“ für das Marketing zu übernehmen. Manche Entscheidungsträger wollen ferner nicht, dass sich die Datenseite in die Entscheidungsprozesse des Marketings „einmischt“; sie sehen diese eben nur als Datenlieferanten und wünschen auch keine zusätzlichen Serviceleistungen von der Angebotsseite von Marketinginformationen. Darüber hinaus zeigen Marketingentscheider oftmals lediglich ein geringes Interesse an der eigentlichen Arbeit der Datenseite. Ihnen ist es nur wichtig, dass sie die gewünschten Marketinginformationen in ausreichender Qualität möglichst schnell erhalten. Aufgrund derartiger Aspekte beklagen Akteure 228 Vgl. auch Mahmoud 2004, S. 576ff. 86 Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen der Angebotsseite von Marketinginformationen oftmals eine mangelnde Einbindung in die Marketingprozesse. 229 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, diese bestehende Kluft zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen zu überbrücken und so die Entscheidungsqualität im Marketing nachhaltig zu verbessern. Genau an dieser Stelle setzt der Gedanke von Marketing Intelligence an, welche das Ziel einer Verknüpfung von Entscheidungsund Datenseite im Marketing verfolgt. Erst wenn das „Zusammenspiel“ zwischen diesen beiden Seiten funktioniert, ist eine effektive und effiziente Entscheidungs- und Entscheiderunterstützung durch die Generierung von entscheidungs- und entscheiderrelevantem Marketingwissen möglich. Auf diese Weise kann Marketing Intelligence schließlich dazu beitragen, die Entscheidungsqualität im Marketing zu verbessern. Nachdem nun die Notwendigkeit von Marketing Intelligence zur Überbrückung der bestehenden Kluft zwischen der Nachfrage- und der Angebotsseite von Marketinginformationen begründet wurde, folgt im nächsten Abschnitt zunächst eine theoretisch-konzeptionelle Fundierung. Darauf aufbauend werden anschließend Handlungsempfehlungen für eine inhaltliche Ausgestaltung von Marketing Intelligence abgeleitet. 229 Vgl. auch Mahmoud 2004, S. 569ff. 4 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence – Entwicklung eines Konzepts zur Überbrückung der Kluft zwischen Angebots- und Nachfrageseite von Marketinginformationen Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence In diesem Kapitel werden nun nach einer kurzen begrifflichen Präzisierung von Marketing Intelligence theoretisch-konzeptionelle Grundlagen aufgezeigt, um darauf aufbauend ein Rahmenkonzept abzuleiten, welches Marketing Intelligence als intermediäre Funktion zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen charakterisiert. 4.1 Begriffliche Präzisierung von Marketing Intelligence 4.1.1 „Intelligenz“ – Ambivalenz eines Begriffs Der Begriff „Intelligenz“ leitet sich vom lateinischen Verb „intellegere“ ab, das sich aus „inter“ und „legere“ zusammensetzt, und eigentlich „zwischen etwas auswählen“ bedeutet. Übersetzt wird „intellegere“ in der Regel jedoch mit „erkennen, verstehen“.230 „Erkennen, verstehen“ hat demnach offenbar etwas mit „auswählen, orientieren“ zu tun. Unter Intelligenz wird die Fähigkeit eines Individuums verstanden, durch selektive Aufnahme, Speicherung und Anwendung von Informationen eine gewisse Kenntnis seiner Umgebung zu erlangen, sich durch problemlösendes und vorausschauendes Verhalten in neuen Situationen zurechtzufinden sowie die Reaktionen der Umwelt zumindest zum Teil vorherzusehen. 231 Intelligenz im umfassenden Sinne beinhaltet demnach zwei zentrale Aspekte: Zum einen die Fähigkeit, Sachverhalte zu begreifen, das heißt nicht nur von ihnen Kenntnis zu erlangen, sondern sie mittels Intellekts zu verstehen und zu deuten (Prozess der Intelligenz); zum anderen als Resultat die Lösung von Problemen, die Bewältigung neuer Anforderungen und Situationen (Produkt der Intelligenz). Der englische Begriff „Intelligence“ steht neben „Intelligenz“ auch für „Informationen“ sowie für „Geheim- und Nachrichtendienst“. Bei Intelligenz im Sinne von Geheimund Nachrichtendienst handelt es sich um „Nachrichten“ und „Meldungen“, wie etwa 230 Vgl. Brockhaus 1996, S. 590. 231 Vgl. Winterheller 2000, S. 18. 88 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence bei der „Central Intelligence Agency“ (CIA), dem amerikanischen Geheimdienst.232 In diesem Zusammenhang wird „Intelligence“ insbesondere aus dem Blickwinkel der Suche beschrieben, da die zentralisierte und konzentrierte Suche als eine der wesentlichen Aufgaben der CIA anzusehen ist. Diese Begriffsannäherung hebt zwei Aspekte hervor: Die Suche nach relevanten Informationen sowie die Integration der bestehenden Informationen in einen umfassenderen Prozess. 233 Im betriebswirtschaftlichen Kontext ist der Terminus „Intelligence“ am treffendsten mit „tiefgehende Kenntnisse und Einsichten in einen Sachverhalt“ zu übersetzen. 234 Hierfür ist zunächst die Beschaffung und Analyse von Informationen über das Unternehmen und sein Umfeld erforderlich. In einem weiteren Schritt werden die relevanten Informationen interpretiert, um Einsichten zu erlangen sowie schließlich mögliche Alternativen bewerten und gegebenenfalls auswählen zu können. 235 Zu differenzieren ist hierbei zwischen „Strategic Intelligence“ und „Tactical Intelligence“: Während „Strategic Intelligence“ für die Implementierung zukünftiger Unternehmensstrategien herangezogen wird, werden auf Basis der „Tactical Intelligence“ vor allem Entscheidungen im Rahmen der operativen Geschäftstätigkeit getroffen.236 In diesem Zusammenhang wird häufig auch der Begriff „Business Intelligence“ verwendet, worunter – sofern man diesen in informations- technologischer Verkürzung nicht einfach gleich setzt mit Data Warehouse und Data Mining237 – „die entscheidungsorientierte Sammlung, Aufbereitung und Darstellung geschäftsrelevanter Informationen zur Planung, Steuerung und Kontrolle des Unternehmens“238 verstanden wird. Grundlegender Ausgangspunkt der Intelligenzforschung sind Theorien239, die versuchen, die menschliche Intelligenz zu erklären. Erst in den 70er Jahren begann man, diese psychologischen Erkenntnisse auf Systeme und Unternehmen zu 232 Vgl. Matsuda 1993, S. 13; Wilensky 1967, S. 8f. 233 Vgl. Grothe/Gentsch 2004, S. 20f. 234 Vgl. Boch/Echter/Haidvogl 1997, S. 46. 235 Vgl. Boch/Echter/Haidvogl 1997, S. 46ff. 236 Vgl. Rothberg/Erickson 2005, S. 5; Boch/Echter/Haidvogl 1997, S. 46. 237 Vgl. beispielsweise Amberg 2004, S. 52. 238 Schimmel-Schloo 2003, S. 54. Vgl. hierzu auch Gentsch/Grothe 2000, S. 17; Schildhauer et al. 2004, S. 20ff. 239 Zu den bedeutendsten Ansätzen der Intelligenzforschung zählen psychometrische Theorien (vgl. u. a. Spearman 1904 und 1927; Thurstone 1938), der Ansatz der Informationsverarbeitung (vgl. u. a. Sternberg 1977; Vernon 1987) sowie die Theorie der Multiplen Intelligenz von Howard Gardner (vgl. Gardner 1993 und 2002) und die Triarchische Theorie von Robert Sternberg als neuere Forschungsansätze (vgl. Sternberg 1996). Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 89 projizieren. In Analogie zur menschlichen Intelligenz umfasst der Begriff der Intelligenz in der Forschungsrichtung der Künstlichen Intelligenz die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen, Sprache zu verstehen und zu produzieren, über Wissen zu verfügen, zu lernen sowie logische Schlussfolgerungen zu ziehen. Den Zusammenhang zwischen Wissen und intelligentem Verhalten von Regierung und Industrie erörtert Wilensky bereits 1967 und prägt damit den Begriff der organisationalen Intelligenz. Zentraler Bestandteil der Intelligenz einer Unternehmung sind nach Wilensky analysierte und bewertete Informationen 240 im Sinne von Wissen, die gefiltert und bereinigt sind. Wissen fasst er dabei als Kern einer „intelligenten” Entscheidungsfindung auf. „Intelligence turns intellectual capital into actionable knowledge for strategic decision-makers in the organization.”241 Dies bedeutet, dass Intelligenz erst durch die Nutzung oder Aktivierung von Wissen entstehen kann. Zusammenfassend lässt sich für die Übertragung der Intelligenzansätze auf Organisationen somit sagen, dass jene über Intelligenz verfügen, die Zusammenhänge erkennen und verstehen sowie darauf aufbauend ein kompetentes Verhalten ableiten können. Dabei entscheiden Aspekte wie die Problemlösungsfähigkeit, die Veränderungs- und Lernfähigkeit einer Organisation, aber auch das Vorhandensein einer organisationalen Wissensbasis sowie das Wissen der Mitarbeiter über die „Intelligenz“ eines Unternehmens. Intelligenz eines Unternehmens erfordert insgesamt eine erfolgreiche Anwendung organisationaler Wissens- und Lernpotenziale.242 240 „High-quality intelligence designates information that is clear because it is understandable to those who must use it; timely because it gets to them when they need it; reliable because diverse observers using the same procedures see it in the same way; valid because it is cast in the form of concepts and measures that capture reality (the tests include logical consistency, successful prediction, congruence with established knowledge or independent sources); adequate because the account is full (the context of the act, event, or life of the person or group is described); and wide-ranging because the major policy alternatives promising a high probability of attaining organizational goals are posed or new goals suggested” (Wilensky 1967, S. VIIIf.). 241 Rothberg/Erickson 2005, S. 4. 242 Vgl. Neumann 2000, S. 3f.; North 2005, S. 32ff. 90 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 4.1.2 Terminologische Hintergründe von Marketing Intelligence Die Auslegung des Begriffs „Marketing Intelligence“ ist maßgeblich von den Fragestellungen des jeweiligen Autors und seinem wissenschaftlichen Umfeld geprägt. Einige Autoren verwenden ein ziemlich reduziertes, eingeschränktes Begriffsverständnis: Marketing Intelligence ist für sie lediglich die Versorgung des Marketingmanagements mit verfügbaren, entscheidungsrelevanten Informationen. 243 So sieht beispielsweise Kelley (1965 und 1968), einer der Pioniere von Marketing Intelligence, dieses Konzept als kontinuierliche Beobachtung sich ändernder Gegebenheiten. 244 Die Aufgabe einer Marketing Intelligence besteht also in der fortlaufenden Versorgung des Managements mit aktuellen Informationen, die sowohl internen als auch externen Quellen entstammen. 245 Die zielgerichtete Aufbereitung interner und externer Informationen sowie deren systematische Weiterleitung an entsprechende Stellen im Unternehmen sollten durch eine zentrale Unternehmensabteilung erfolgen, die direkt der Unternehmensführung unterstellt ist. Resultat ist die Versorgung des Managements mit aktuellen und verlässlichen Informationen, die schnellere Reaktionen auf Umweltveränderungen und eine Verbesserung strategischer Entscheidungen ermöglicht.246 Zusammenfassend charakterisiert folgendes Zitat das Begriffsverständnis von Marketing Intelligence in diesem Sinne: „The right information must get to the right people at the right time.” 247 Andere Autoren hingegen verwenden ein vergleichbar enges, aber anderes Begriffsverständnis; sie gebrauchen den Terminus „Marketing Intelligence“ im Kontext von Marketing-Informationssystemen bzw. Marketing-Entscheidungs- unterstützungssystemen. 248 In diesem Sinne ist Marketing Intelligence etwa für Kotler das „Marketing-Nachrichtensystem“249, innerhalb dessen nur öffentlich verfügbare Informationen über Wettbewerber und Entwicklungen der Unternehmensumwelt 243 Vgl. beispielsweise Kelley 1965; Kelley 1968; Drake/Millar 1969. 244 Vgl. Kelley 1965; Kelley 1968. 245 Vgl. Kelley 1968, S. 1ff.; Kelley 1965, S. 19ff. Hierbei differenziert Kelley in Abhängigkeit von der zu treffenden Entscheidung des Managements zwischen „Strategic Marketing Intelligence“ und „Tactical Marketing Intelligence“: „Strategic Marketing Intelligence“ bezieht sich auf strategische Entscheidungen, welche die grundlegenden, langfristig festgesetzten Ziele eines Unternehmens betreffen; „Tactical Marketing Intelligence“ hingegen findet ihre Anwendung bei taktischen bzw. operativen Marketingentscheidungen, welche sich auf einen kürzeren Zeithorizont beziehen und nicht fundamental für das Überleben des Unternehmens sind (vgl. Kelley 1968, S. 8ff.). 246 Vgl. Kelley 1968, S. 21ff. 247 Kelley 1968, S. 167. 248 Vgl. Kotler 2002; Le Bon/Merunka 2006; Lackman/Saban/Lanasa 2000. 249 Vgl. Kotler/Bliemel 2006, S. 192. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 91 erfasst werden. 250 Er sieht Marketing Intelligence lediglich als Subsystem eines Marketing-Informationssystems (siehe Abbildung 6). Marketing Managers and Other Users Analysis Planning Implementation Organization Control Marketing Information System Developing needed information Assessing information needs Internal databases Information analysis Marketing Intelligence Marketing research Distributing and using information Marketing Environment Target markets Abbildung 6: Quelle: Marketing channels Competitors Publics Macroenvironment forces Das Marketing-Informationssystem (MAIS) Kotler/Armstrong 2006, S. 102. Aus Abbildung 6 wird ersichtlich, dass Marketingmanager oder auch andere SystemUser zur Analyse, Planung, Durchführung, Organisation und Kontrolle ihrer Maßnahmen Informationen über das Marketingumfeld benötigen, beispielsweise über Zielmärkte, Marketingkanäle, Wettbewerber, externe und interne Interessengruppen sowie Faktoren aus der Makroumwelt. Dazu ist zunächst der Informationsbedarf eines Marketingentscheiders zu ermitteln. Die Bereitstellung der benötigten Informationen erfolgt sodann durch die vier Subsysteme des MarketingInformationssystems: die Subsysteme „Internal Databases“, „Marketing Intelligence“ und „Marketing Research“ sammeln die Informationen und das Subsystem 250 Marketing Intelligence ist für Kotler „systematic collection and analysis of publicly available information about competitors and developments in the marketplace […] to improve strategic decision making, assess and track competitors’ actions, and provide early warning of opportunities and threats” (Kotler/Armstrong 2006, S. 104). 92 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence „Information Analysis“ bereitet diese auf. Die entscheidungsrelevanten Informationen werden schließlich dem Entscheidungsträger zur Verfügung gestellt bzw. von diesem abgerufen, um ihn bei seiner Entscheidungsfindung zu unterstützen. Grundsätzliches Ziel des Marketing Intelligence-Subsystems ist die Verbesserung der strategischen Entscheidungsfindung durch kontinuierliche Bereitstellung von Informationen über entscheidungsrelevante Entwicklungen im Marketingumfeld. Im Vordergrund steht die frühzeitige Aufdeckung von Chancen und Risiken des Unternehmens und insbesondere die Beobachtung und Analyse des Verhaltens der Wettbewerber. Interne Datenbanken, beispielsweise aus Controlling oder Vertrieb, sowie Daten aus der Marktforschung werden allerdings nicht unter den Begriff Marketing Intelligence subsumiert, sondern als separate Subsysteme des Marketing-Informations-Systems gesehen. Während Kotler Marketing Intelligence lediglich als Subsystem eines Marketing-Informationssystems betrachtet, verstehen andere Autoren unter einem Marketing Intelligence-System ein System, das für die Sammlung, Analyse, Interpretation und Weiterleitung von Informationen zuständig ist. Allerdings handelt es sich auch hierbei lediglich um aufbereitete Informationen, die den Entscheidungsträger im Marketing bei seiner Entscheidungsfindung unterstützen sollen.251 Wieder andere Autoren legen Marketing Intelligence ein umfassenderes Begriffsverständnis zugrunde und verstehen darunter analysierte und interpretierte Informationen, welche gegenwärtige und zukünftige Situationen im Marketing erklären.252 „Intelligence“ information“253, das bedeutet heißt in diesem glaubwürdige, Zusammenhang aussagekräftige und „evaluated relevante Informationen, die für die Erstellung von betriebswirtschaftlichen Kennzahlen, wie etwa Marktanteil, Absatz- und Umsatzschätzungen, sowie für Prognosen herangezogen werden. Die Bereitstellung, Analyse und Interpretation entsprechend unternehmensinterner und -externer Informationen, die an Marketingmanager in entscheidungsadäquater Form weitergeleitet werden, erfolgen in der Regel durch ein Marketing-Intelligenz-System. Bei Marketing Intelligence handelt es sich folglich um aufgewertete Informationen – dem Marketingmanager werden analysierte und interpretierte Informationen zur Verfügung gestellt, Entscheidungsfindung im Marketing zu verbessern. 251 Vgl. beispielsweise Lackman/Saban/Lanasa 2000, S. 6. 252 Vgl. Jaffe 1979, Grooms 2001. 253 Jaffe 1979, S. 54. um die Qualität der Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 93 Daneben existieren zahlreiche, zum Teil eher praxisorientierte Beiträge, welche sich mit Marketing Intelligence beschäftigen. 254 Auch die Autoren dieser Beiträge verwenden den Begriff „Marketing Intelligence“ sehr divergent; gemeinsamer Ausgangspunkt der Betrachtung ist hier die Marktforschung. Häufig wird auf die Notwendigkeit der Integration von Marktforschungsdaten mit unternehmensinternen Daten verwiesen. Hierzu ist es erforderlich, die heterogenen Daten bzw. Datenbestände zu systematisieren, zu komprimieren sowie sachlich, zeitlich und formal zu harmonisieren, um deren Verknüpfbarkeit und Aussagefähigkeit zu steigern. Weiterhin appellieren einige Autoren an den Einsatz innovativer Methoden der Datenerhebung sowie an die Implementierung spezieller Systeme, welche eine an den Informationsbedürfnissen der Anwender orientierte Analyse und Interpretation der integrierten Datenbestände ermöglichen. Auf diese Weise können „Insights“ – tiefgründige Einblicke insbesondere in das Verhalten der Konsumenten – generiert werden. Darüber hinaus wird häufig die Notwendigkeit einer Marketingberatung durch die Marktforschung – im Sinne von „Fact Based Marketing Consultancy“ – in den Kontext von Marketing Intelligence gestellt. Prinzipiell werden in diesen Beiträgen vornehmlich Aspekte angesprochen, wie sich die traditionelle Marktforschung verändern muss, damit ihr auch weiterhin eine entscheidende Rolle bei Entscheidungsprozessen im Marketing zukommt. Es wird deutlich, dass sowohl in der Theorie als auch in der Praxis keine einheitliche Verwendung des Begriffs „Marketing Intelligence“ vorliegt. Vielfach wird unter Marketing Intelligence primär die Informationsversorgung des Marketing- managements verstanden. In Erweiterung bzw. Ergänzung der traditionellen Marktforschungsaufgabe sollen alle relevanten unternehmensinternen und -externen Informationen aus dem Unternehmen und dessen Umfeld bereitgestellt (und gegebenenfalls aufbereitet) werden, die dem Marketingmanagement sodann „gute“ Entscheidungen ermöglichen. Marketing Intelligence dient dazu, Marketingmanager rechtzeitig auf Chancen und Risiken, die aus dem Marketingumfeld des Unternehmens resultieren, aufmerksam zu machen. Neuere Beiträge gehen in dieser Hinsicht bereits einen Schritt weiter: Es geht nicht mehr um die bloße Versorgung des Managements mit (aufbereiteten) Informationen, sondern vor allem um die Gewinnung und Bereitstellung von Marketing Insights. Ausgangspunkt dieser Ansätze ist – wie bereits erwähnt – die Marktforschung. Durch Analyse und 254 Vgl. Smith 2007a; Rosinski 2007; Oktar/Erdo÷an 2007; Diller 2007, S. 333ff.; Wimmer/Göb 2006; Wimmer/Göb 2005; Zerr 2004; Weßner 2003; Smith/Fletcher 2001, S. 169. 94 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Interpretation integrierter, problemrelevanter Marketinginformationen ist die Generierung von Marketing Insights möglich, die tiefgehende Einblicke in die jeweiligen Entscheidungstatbestände des Marketings gewährleisten. Weitgehend unbeachtet bleibt allerdings auch hier, dass handlungsorientiertes Marketingwissen und damit ein Mehrwert für das Marketing erst entstehen, wenn Marketinginformationen bzw. Marketing Insights auch in die Entscheidungsprozesse des Marketings integriert werden. Der Entscheider muss also die tatsächlich problemrelevanten, integrierten Informationen in den Kontext seines Erfahrungswissens einbetten und sie mit seinem Verstand bewerten, um zu entscheidungs- und entscheiderorientiertem Marketingwissen zu gelangen; erst daraus lassen sich schließlich konkrete Schlussfolgerungen für sein Handeln ziehen. 4.1.3 Marketing Intelligence als Konzept zur Verbesserung der Entscheiderund Entscheidungsunterstützung im Marketing Das Kernproblem des in der vorliegenden Arbeit betrachteten Praxisausschnitts besteht darin, relevante Marketinginformationen in die Entscheidungsprozesse so zu integrieren, dass sie für Entscheidungsträger im Marketing auch tatsächlich nützlich sind. Nur dann kann entscheider- und entscheidungsrelevantes Marketingwissen generiert und verfügbar gemacht werden, das der Unterstützung von Marketingentscheidern dient. Von daher ist für Marketing Intelligence eine Definition zu entwickeln, die beide Seiten, die Angebotsseite von Marketinginformationen (Datenseite) und die Nachfrageseite von Marketinginformationen (Entscheidungsseite), zusammenbringt. Die zentrale Aufgabe auf der Datenseite stellt die Datenintegration dar. Die vielfältigen, heterogenen Daten und Informationen (wie Marktforschungsdaten, Kunden-, Wettbewerbs- und Branchendaten, Vertriebsdaten sowie Daten aus dem Controlling)255 sind zu einer einheitlichen Datenbasis zu verdichten. Hierdurch entstehen integrierte Marketingdaten, die mittels ausgewählter Methoden analysiert und aufbereitet werden können. Im Rahmen von Marketing Intelligence soll also die Datenseite 255 für die Bereitstellung Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.2.2. einer integrierten, holistischen Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 95 Marketinginformationsbasis sowie für die Generierung von Marketing Insights zuständig sein.256 Auf der Entscheidungsseite besteht die zentrale Aufgabe in der Datenanreicherung, die über die Analyse der Marketinginformationen hinaus eine problembezogene Interpretation sowie eine entscheidungsorientierte Aufbereitung der Ergebnisse in Richtung umsetzbarer Handlungsempfehlungen erforderlich macht. Ausgehend von einer konkreten Problem- bzw. Fragestellung sollte ein Marketingentscheider auf problemrelevante (und nur auf solche!) sowie integrierte Marketinginformationen bzw. Marketing Insights zugreifen können, die ihm von der Datenseite zur Verfügung gestellt werden. Wenn er diese dann noch in seinen Erfahrungsschatz einbettet und mit seinem Verstand bewertet, so entsteht Marketingwissen bzw. wird Marketingwissen genutzt. Auf Basis dieses Wissens kann er – häufig ergänzt durch eine profunde Marketingberatung der Datenseite – Entscheidungen treffen, die ein „intelligentes“ Handeln im Marketing ermöglichen können. 257 Für die Generierung von Marketingwissen ist demnach eine enge Zusammenarbeit von Daten- und Entscheidungsseite unabdingbar. Sowohl von den Marketingentscheidern als auch von den Informationsanbietern 258 sind bestimmte Aufgaben zu erfüllen, damit eine effektive und effiziente Integration der Informationen in den Marketingentscheidungsprozess erfolgen kann. Erst auf diese Weise ist es möglich, zu entscheidungs- sowie auch entscheiderrelevantem Marketingwissen zu gelangen, das Marketingentscheider bei der Entscheidungsfindung unterstützt. Mit „Marketing Intelligence“ wird in diesem Sinne eine Verknüpfung der Datenseite mit der Entscheidungs- bzw. Managementseite postuliert. Kurz gesagt: Die Kernaufgabe von Marketing Intelligence ist „applying information to decision-making“259. Vor diesem Hintergrund wird den weiteren Ausführungen folgende Definition von Marketing Intelligence zugrunde gelegt: „Marketing Intelligence ist ein kontinuierlicher Prozess der Bildung von Marketingwissen aus marketingrelevanten Daten bzw. 256 Vgl. Wimmer/Göb 2005, S. 391ff. 257 Vgl. Wimmer/Göb 2005, S. 395ff. 258 Wenn in der vorliegenden Arbeit von Informationsanbietern bzw. Informationsmanagern gesprochen wird, so sind damit Marktforscher oder Mitarbeiter anderer Bereiche (Marketing, Vertrieb etc.) gemeint, die Tätigkeiten der Angebotsseite von Marketinginformationen, das heißt des Informationsmanagements im Marketing, ausführen. 259 Smith/Fletcher 2001, S. 3. 96 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Informationen sowie subjektiven Erfahrungen mit dem Ziel, Marketingentscheidungen zu verbessern und Marketingentscheider zu unterstützen.“260 Marketing Intelligence überführt in prozessualer Hinsicht vorliegende Daten in Informationen und diese in Wissen. Im Vordergrund steht demnach die Idee, von bloßen Daten über tatsächlich problemrelevante Informationen hin zu entscheiderund handlungsorientiertem, umsetzbarem Marketingwissen zu gelangen. Im Sinne von Marketing Intelligence erscheint demnach die bloße Versorgung des Marketingmanagements mit Informationen nicht als ausreichend. Vielmehr ist die Generierung von entscheider- und entscheidungsorientiertem Wissen notwenig, das Marketingentscheider in Form von aussagekräftigen Schlussfolgerungen und fundierten Handlungsempfehlungen bei der Entscheidungsfindung unterstützt. Grundsätzlich geht es bei Marketing Intelligence auch darum, Fähigkeiten – sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite von Marketinginformationen – zum Management von marketingrelevantem Wissen zu erlangen, um auf diese Weise die bestmögliche Marketingentscheidung treffen zu können. Angebotsseite von Marketinginformationen (Datenseite) Abbildung 7: Marketing Intelligence Nachfrageseite von Marketinginformationen Entscheidung (Entscheidungsseite) Verbesserung der Entscheidungsqualität Begriffliche Abgrenzung der Marketing Intelligence Abbildung 7 verdeutlicht noch einmal den zentralen Ansatzpunkt: Marketing Intelligence steht zwischen Marketinginformationen. Die der Angebots- Datenseite und analysiert der den Nachfrageseite Markt sowie von das marktrelevante Umfeld des Unternehmens und generiert somit Informationen; die Entscheidungsseite bearbeitet den Markt und ist letztendlich für den Marketingerfolg verantwortlich. In ihrer intermediären Position trägt Marketing Intelligence dazu bei, beide Seiten besser zu integrieren und hierdurch die Entscheidungs- und 260 Wimmer/Göb 2005, S. 390. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Entscheiderunterstützung im Marketing sowie 97 letztendlich die Qualität von Marketingentscheidungen zu verbessern. 4.2 Theoretisch-konzeptionelle Einordnung von Marketing Intelligence Im Folgenden wird eine theoretische Fundierung der Aufgaben von Marketing Intelligence vorgenommen, indem einschlägige Konzepte aus der Marketingwissenschaft diskutiert werden. Dabei wird Marketing Intelligence zunächst im Kontext von Marketing Controlling betrachtet, um bestehende Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden Konzepte zu erarbeiten sowie darauf basierend erforderliche unternehmensinterne Prozesse und Strukturen einer Marketing Intelligence aufzuzeigen. Diese Ausführungen stellen insbesondere auf die sachlichobjektive Ebene von Marketing Intelligence – die Marketingentscheidung – ab. Des Weiteren wird Marketing Intelligence vor dem Hintergrund des Beziehungsmanagements sowie des Konzepts eines internen Marketings betrachtet. Diese marketingtheoretischen Überlegungen aufgreifend erfolgt zunächst die Begründung einer internen Kunden-Lieferanten-Beziehung zwischen der Angebotsund der Nachfrageseite von Marketinginformationen; darauf aufbauend werden generelle Gestaltungsempfehlungen einer Marketing Intelligence abgeleitet. Diese Überlegungen beleuchten insbesondere die persönliche Interaktion zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen und betreffen daher vorwiegend die subjektiv-persönliche Ebene von Marketing Intelligence – den Marketingentscheider. 4.2.1 Marketing Intelligence im Kontext von Marketing Controlling Grundsätzlich wird unter Marketing Controlling Informationsversorgung für das Marketing-Management“ 261 die „koordinierte verstanden. Im Hinblick auf den Marketingentscheidungsprozess bedeutet dies, dass das Marketing Controlling die Teilprozesse – insbesondere die Planung, Organisation und Kontrolle – einer marktorientierten Unternehmensführung durch eine koordinierende 261 Köhler 2005, S. 435. 98 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Informationsversorgung zu unterstützen hat.262 Aufgabe des Marketing Controlling ist daher die „Sicherstellung der Führungsfähigkeit des Marketing-Managements, die sich insbesondere in der ständigen Reaktions- und Anpassungsfähigkeit der Marketing-Führung an veränderte Umwelt- und Unternehmensentwicklungen durch rechtzeitiges Erkennen und Berücksichtigen von Parameteränderungen sowie die frühzeitige Adaption zukünftiger Entwicklungen zeigt“263. Hierzu bedarf es neben der Versorgung des Marketingmanagements mit internen Daten, beispielsweise aus dem Rechnungswesen, auch der Bereitstellung von unternehmensexternen Daten, wie zum Beispiel Marktforschungsdaten. 264 Grundsätzlich soll Marketing Controlling in den einzelnen Phasen des Marketing-Führungsprozesses durch eine umfassende Informationserfassung, -aufbereitung und -darstellung zur Unterstützung des Marketingmanagements beitragen.265 Neben der koordinationsorientierten informationsorientierte Sichtweise Betrachtungsperspektive ist des hiermit Marketing bereits die Controlling angesprochen. 266 Im Mittelpunkt steht eine ziel- bzw. aufgabenorientiert gestaltete Informationsversorgung für alle Funktionen des Marketingmanagements mit dem Ziel, die Effizienz im Marketing zu verbessern. Die inhaltliche Festsetzung der Marketingziele und -pläne sowie die Ausgestaltung mittels spezifischer MarketingMix-Instrumente fallen jedoch in den Aufgabenbereich des Marketingmanagements; das Marketing Controlling soll lediglich geeignete unternehmensinterne Strukturen und Prozesse schaffen, um die Informationsversorgung für den Marketingentscheidungsprozess sicherzustellen.267 Abbildung 8 veranschaulicht die Aufgaben des Marketing Controlling nach Köhler: 262 Vgl. Weber/Schäffer 2006, S. 65f.; Köhler 2006, S. 42f.; Köhler 2001, S. 967; Köhler 2005, S. 435; Weber/Schäffer 2001, S. 8f.; Link/Gerth/Vossberg 2000, S. 14; Horváth 1998, S. 144; Kiesel 1995, S. 50f. 263 Palloks 1991, S. 349. Siehe hierzu auch Weber/Schäffer 2006, S. 68ff. 264 Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 796; Möhlen/Zerres 2006, S. 4; Reinecke 2004, S. 55; Reinecke 2000, S. 16. 265 Vgl. Palloks 1991, S. 349; Reichmann 2001, S. 441. 266 Nach Deutschendorf zeichnet sich die deutschsprachige Marketing Controlling-Forschung insbesondere durch die koordinations- und informationsorientierte Betrachtungsperspektive aus (vgl. Deutschendorf 2006, S. 47). 267 Vgl. Köhler 2006, S. 42f.; Köhler 2001, S. 967; Köhler 2005, S. 435 sowie ter Haseborg 1995, Sp. 1543. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 99 Problemspezifische Informationsbereitstellung für verschiedene Marketing-Organisationseinheiten Koordination der Informationsversorgung durch Marketing-Controlling Informationen für die Marketingplanung (strategisch/operativ) Informationen zur Mitarbeiterführung im Marketingbereich Informationen zur Marketingkontrolle sowie Überwachung im Rahmen von Marketingaudits Abbildung 8: Quelle: Informationsorientierte Aufgaben des Marketing Controlling in Anlehnung an Köhler 2006, S. 43. Die Einordnung von Marketing Intelligence in den Kontext des Marketing Controlling ermöglicht es, grundlegende Rahmenbedingungen in organisatorischer und struktureller Hinsicht für eine Marketing Intelligence-Konzeption abzuleiten. Dies lässt sich insbesondere daran festmachen, dass Marketing Controlling systemkoppelnde als auch systembildende Abstimmungsaufgaben erfüllt. sowohl 268 Als systemkoppelnde Funktion zählt die Koordination zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite Integration von von Marketinginformationen Marketinginformationen in sowie die damit einhergehend die Entscheidungsprozesse des Marketings zu den wesentlichen Aufgaben des Marketing Controlling; damit ist genau eine der zentralen Aufgaben von Marketing Intelligence angesprochen. Für solche systemkoppelnden Abstimmungsaufgaben umfassen beide Konzepte unter anderem auch systembildende Koordinationsaufgaben: „Die systembildende Funktion besteht in der Entwicklung und Implementierung eines Marketing-Planungs- und -Kontrollsystems sowie eines Marketing-Informationsversorgungssystems [bzw. eines Data Warehouses]. Diese Aufgabe der Metaplanung beinhaltet inhaltliche, 268 Vgl. Köhler 2001, S. 967f. 100 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence strukturelle und prozessuale Formalisierungsvorgänge.“ 269 Insgesamt wird damit deutlich, dass Marketing Intelligence – wie auch Marketing Controlling – zur Unterstützung des Marketingentscheidungsprozesses sowohl systemkoppelnde als auch systembildende Abstimmungsaufgaben auszuüben hat. Diese Ausführungen illustrieren, dass zwischen Marketing Intelligence und Marketing Controlling durchaus einige Parallelen bezüglich interner Strukturen und Prozesse erkennbar sind. Neben der Informationsversorgung des Marketingmanagements fällt es in den Aufgabenbereich beider Konzepte, die Planungs- und Kontrollsysteme mit den jeweils verantwortlichen zentralen Serviceabteilungen, wie zum Beispiel der EDV, zu koordinieren. Hierfür sind in der Regel organisationale Richtlinien sowie die Implementierung eines Marketing-Informationssystems bzw. Data Warehouse notwendig.270 In dieser Hinsicht wird beiden Konzepten eher ein instrumenteller Charakter zugeschrieben; es sollen auf der objektiv-sachlichen Ebene geeignete unternehmensinterne Strukturen und Prozesse zur Koordination der Informationsversorgung und damit für die Integration von Marketinginformationen in die Entscheidungsprozesses des Marketings etabliert werden. Darüber hinaus zeichnet sich Marketing Intelligence – im Gegensatz zum Marketing Controlling – auch durch einen inhaltlichen Charakter aus. Dabei geht es insbesondere um die Frage, welche Tätigkeiten aus Perspektive der Angebotsseite von Marketinginformationen erforderlich sind, um Marketingentscheider bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen. Marketing Intelligence betrifft zudem nicht nur die bloße Versorgung des Marketingmanagements mit Daten und Informationen, sondern vielmehr die entscheidungsadäquate Integration interner und externer Daten, deren problembezogene Interpretation und Aufbereitung sowie letztendlich die Bereitstellung von Wissen zur Entscheider- und Entscheidungsunterstützung des Marketings. Des Weiteren hat Marketing Intelligence neben der Effizienz, deren Steigerung als das grundlegende Ziel des Marketing Controlling anzusehen ist, auch die Effektivität von Marketingentscheidungen sicherzustellen. Demnach steht hier zusätzlich das „Verstehen“ typischer Fragestellungen des Marketings im Vordergrund, um durch den Einsatz von „richtigen“ Maßnahmen die gesetzten Ziele erreichen zu können. Die Entscheidungen sollen auf Marketing Insights bzw. Marketingwissen basieren, 269 Horváth/Stark 1982, S. 185. 270 Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 832ff. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 101 wodurch ein tiefgründiges Verständnis ausgewählter Problem- und Fragestellungen des Marketings gewährleistet wird. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Konzept des Marketing Controlling grundsätzlich als theoretische Fundierung von Marketing Intelligence herangezogen werden kann. Derartige Ausführungen beziehen sich insbesondere auf die objektiv-sachliche Ebene von Marketing Intelligence; es lassen sich unternehmensinterne organisatorische und strukturelle Rahmenbedingungen ableiten, die für eine problemadäquate Informationsversorgung des Marketingmanagements und damit für eine Integration von Marketinginformationen in die Marketingentscheidungsprozesse notwendig sind. Bei Marketing Intelligence ist jedoch – im Gegensatz zum Marketing Controlling, wo die Effizienzsteigerung im Vordergrund steht – auch die Effektivität von Marketingentscheidungen von Bedeutung. Marketing Intelligence besitzt insgesamt einen umfassenderen Geltungsbereich als das Marketing Controlling; neben instrumentellen Aufgaben zeichnet sich Marketing Intelligence zudem durch einen inhaltlichen Charakter aus. 4.2.2 Beziehungsmanagement und internes Marketing als marketingtheoretische Fundierung Wie bereits erläutert, wird eine bloße Bereitstellung von Marketingdaten (beispielsweise über eine Datenbank) für das Marketingmanagement häufig nicht als befriedigend angesehen. Vielmehr verlangt das Marketingmanagement – auch bedingt durch die zunehmende Komplexität von Marketingentscheidungen – nach handlungsorientiertem Marketingwissen, auf dessen Grundlage gute Entscheidungen getroffen werden können. Um solches Wissen generieren zu können, ist eine interaktive Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen notwendig. Eine problembezogene, fallweise Interaktion zwischen den beteiligten Akteuren erscheint häufig nicht als ausreichend. Es ist vielmehr eine dauerhafte, enge Beziehung erforderlich. Damit ist die subjektivpersönliche Ebene von Marketing Intelligence angesprochen. Deren inhaltliche Gestaltung basiert in theoretischer Hinsicht insbesondere auf Erkenntnissen des internen Marketings. Zunächst ist jedoch auf die interne Kunden-LieferantenBeziehung zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen einzugehen, welche als Kernelement des internen Marketings zu verstehen 102 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence ist. Hierfür kann das umfassendere Konzept des Beziehungsmanagements als theoretisches Dachkonzept von Marketing Intelligence herangezogen werden. „Im kundenorientierten Prozessmanagement werden wesentliche innerbetriebliche Leistungsprozesse, ausgehend von den [End-]Kundenanforderungen an das Leistungsergebnis, abteilungsübergreifend konzipiert. Auf diese Weise werden Ketten von innerbetrieblichen Kunden-Lieferanten-Beziehungen geschaffen.“271 Eine solche Prozesskette kennzeichnet auch den Prozess von Marketing Intelligence. Die Zusammenarbeit zwischen der Daten- und der Entscheidungsseite im Marketing lässt sich als interne Kunden-Lieferanten-Beziehung interpretieren. In dieser Hinsicht ist die Nachfrageseite von Marketinginformationen, die Entscheidungsseite, als interner Kunde und die Angebotsseite von Marketinginformationen, die Datenseite, als interner Lieferant zu verstehen (siehe Abbildung 9). Top-Management Angebotsseite von Marketinginformationen Interne Kundenorientierung von Marketing Intelligence Nachfrageseite von Marketinginformationen Vertrieb Mittelbare Kundenorientierung von Marketing Intelligence Kundenservice Handel Kundenorientierung des Unternehmens Endverbrauchermarkt Beitrag von Marketing Intelligence zur externen Entscheidungsseite Externe Datenlieferanten (MarktforschungsInstitute) Datenseite Abbildung 9: Quelle: Mehrstufige Kundenorientierung von Marketing Intelligence272 in Anlehnung an Roleff 2001, S. 7. 271 Stauss 1995a, Sp. 1052. Vgl. auch Neuhaus 1996, S. 10ff. und Töpfer 1995, S. 548ff. 272 Roleff hat sich in seiner Arbeit ausführlich mit der mehrstufigen Kundenorientierung der Marktforschung beschäftigt (vgl. Roleff 2001, S. 199ff.). Da die Marktforschung zweifelsohne einen der Hauptakteure auf der Angebotsseite von Marketinginformationen – der Datenseite – darstellt, erscheint es zweckmäßig, dieses Modell für die Analyse der internen Kunden-LieferantenBeziehung im Sinne von Marketing Intelligence heranzuziehen. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 103 Die erfolgreiche Etablierung einer internen Kunden-Lieferanten-Beziehung zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen im Sinne von Marketing Intelligence ist nur möglich, wenn es der Datenseite gelingt, „ein echtes internes Marketing- bzw. Kundenverständnis gegenüber den Managern im […] Marketing entwickeln“ 273 zu Intelligence). Eine solche (= interne interne Kundenorientierung Kundenorientierung stellt von Marketing wiederum die Voraussetzung dafür dar, dass Marketing Intelligence die externe Kunden- bzw. Marktorientierung hinsichtlich der Kunden im Endverbrauchermarkt fördern kann (= externe Kundenorientierung von Marketing Intelligence). Ob im Rahmen der externen Kundenorientierung die privaten Endverbraucher direkt oder indirekt über den Handel erreicht werden, soll in dieser Arbeit nicht weiter thematisiert werden. Neben unternehmensinternen Daten bezieht das Marketing, wie bereits erwähnt, in der Regel auch externe Daten (beispielsweise von Marktforschungsinstituten). Solche externen Datenlieferanten müssen sich zunächst an der Angebotsseite von Marketinginformationen – ihrem Auftraggeber – orientieren bzw. sich mit ihr abstimmen; zum Marketingmanagement – der Nachfrageseite von Marketinginformationen – besteht daher häufig nur eine mittelbare Form der Kundenorientierung (= mittelbare Kundenorientierung von Marketing Intelligence). Das Konzept von Marketing Intelligence zeichnet sich demnach durch eine mehrstufige Kundenorientierung aus (vgl. Abbildung 9). Eine derartige Interpretation der Zusammenarbeit zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen impliziert, dass diese in der Regel durch ein langfristiges Beziehungsverhältnis geprägt ist. Darüber hinaus führt der Austausch von Leistung und Gegenleistung zu einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis der beiden Subsysteme; so ist die Entscheidungsseite gewissermaßen abhängig von der Güte der bereitgestellten Marketingdaten und -informationen, während die Datenseite zum Beispiel auf Anfragen und „eindeutige“ Briefings des Marketings angewiesen ist. 274 Zur Etablierung und insbesondere Gestaltung einer internen Kunden-LieferantenBeziehung zwischen Angebots- und Nachfrageseite von Marketinginformationen können entsprechende marketingtheoretische Konzepte – insbesondere das Beziehungsmanagement und das Konzept des internen Marketings – herangezogen 273 Roleff 2001, S. 198. 274 Vgl. hierzu Roleff 2001, S. 184f. 104 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence werden. Beziehungsmanagement, das auch im Rahmen von internen KundenLieferanten-Beziehungen eine tragende Rolle einnimmt, ist allgemein definiert als die „Gesamtheit der Grundsätze, Leitbilder und Einzelmaßnahmen zur langfristig zielgerichteten Ausrichtung, Steuerung und Kontrolle von Geschäftsbeziehungen“275. Einen systematischen Zugang zu derartigen langfristigen, interaktiven Beziehungen kann das Beziehungsebenenmodell nach Diller verschaffen. 276 Die Analyse der Beziehungen erfolgt dort anhand einer Unterteilung in vier Interaktionsebenen: Sachebene, menschlich-emotionale Ebene, Organisationsebene und Machtebene. 277 Auf der Sachebene, welche die Effektivität einer Beziehung determiniert, findet der gegenseitige Ressourcenaustausch der beiden Subsysteme statt. „Auf der menschlich-emotionalen Ebene geht es […] um ein Konglomerat von Werttransaktionen, die von persönlicher Anerkennung und menschlicher Zuneigung über Offenheit, Dankbarkeit und Vertrauenswürdigkeit sowie sachlicher Kompetenz bis hin zur Selbstfindung und Bewusstseinserweiterung durch die Kommunikation mit dem Partner reichen.“278 Die Organisationsebene regelt die Arbeitsabläufe für die Zusammenarbeit, wodurch die Grundlage für eine effiziente und stabile Beziehung geschaffen wird. Auf der Machtebene findet ein Interessenabgleich der „Beziehungspartner“ statt; hierbei werden Konflikte, die auf der Sachebene nicht verhindert werden können, in Form von Kompromissen gelöst. Diese vier Beziehungsebenen lassen sich mit den drei Komponenten der Dienstleistungsqualität – Potenziale, Prozesse und Ergebnisse – kombinieren. Hierdurch werden die Interaktionen in Potenzial-, Prozess- und Ergebnisgrößen unterteilt, wodurch eine Zwölf-Felder-Matrix entsteht (siehe Abbildung 10).279 Das so strukturierte Modell der verschiedenen Beziehungsebenen kann auch für eine detaillierte Analyse der Beziehungsqualität der internen Kunden-LieferantenBeziehung zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von 275 Vgl. Diller/Kusterer 1988, S. 212. 276 Analog zu den Ausführungen von Zaharia (vgl. Zaharia 1996, S. 60ff.) werden mittels des Beziehungsebenenmodells von Diller/Kusterer 1988 Möglichkeiten eines internen Beziehungsmanagements zwischen den beiden Subsystemen im Marketing verdeutlicht. 277 Vgl. Diller/Kusterer 1988, S. 214-216. 278 Diller 2001a, S. 161. 279 Vgl. Diller 1995, S. 15f. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Marketinginformationen im Sinne von Marketing 105 Intelligence herangezogen werden.280 Abbildung 10 stellt bezogen auf Marketing Intelligence mögliche Gestaltungsaspekte einer interaktiven internen Kunden-Lieferanten-Beziehung zwischen der Angebotsseite und der Nachfrageseite von Marketinginformationen auf den verschiedenen Ebenen dar. Sachebene • Daten und Informationen • Fachliche Kompetenz • Ausstattung • Leistungsfähige Markforschung • etc. D A T E N S E I T E • Leistungserstellung • Konzept- und Methodenentwicklung • Produktentwicklung • Serviceleistungen • etc. • Bedürfnisgerechte Problemlösungen • Effektivität der Zusammenarbeit • Einhalten von Terminen • etc. Menschlich-emotionale Ebene • Soziale Kompetenz • Kooperationsförderndes Verhalten • Kompatibilität (Ziele, Wissenskultur,…) • etc. • Private Kontakte • Beziehungspflege • Anpassung an den Gegenüber • Verhandlungsführung • etc. • Beziehungsstil der Zusammenarbeit • Angenehme Atmosphäre • Personifizierung der Zusammenarbeit • etc. Organisationsebene • Organisatorische Strukturen • Informationsstruktur • Entscheidungskompetenz • IuK-Technologie • Vertragliche Abmachungen • etc. • Schnittstellenmanagement • Operatives Management der Zusammenarbeit • Informationsfluss • Auftragsabwicklung • etc. • Kooperationsförderndes Verhalten • Kompromissbereitschaft • Macht • etc. • Vertrauensbildung • Machtgebrauch • Konfliktmanagement • etc. • Effizienz der Zusammenarbeit • Vereinbarungen / Regeln • Organisationsstil • etc. Machtebene Potenziale Prozesse • Vertrauen / Commitment • Machtverteilung • Beziehungsklima • Stabilität der Zusammenarbeit • etc. E N T S C H E I D U N G S S E I T E Ergebnisse Abbildung 10: Das Beziehungsebenenmodell zwischen Daten- und Entscheidungsseite im Marketing Quelle: in Anlehnung an Diller 1996, S. 179. 280 Die subjektiv empfundene Beziehungsqualität dieser internen Kunden-Lieferanten-Beziehung wird durch die Wahrnehmung der jeweiligen Austauschprozesse auf den einzelnen Beziehungsebenen determiniert (vgl. Diller 2001a, S. 161). 106 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Während die Sachebene die inhaltliche Ausgestaltung von Marketing Intelligence betrifft, beleuchtet die Organisationsebene in instrumenteller Hinsicht – wie es bei Marketing Controlling281 der Fall ist – die erforderlichen unternehmensinternen organisationalen Strukturen und Prozesse. Die menschlich-emotionale Ebene analysiert die persönliche Interaktion zwischen der Angebots- Nachfrageseite von Marketinginformationen. Daraus resultierende und der potenzielle Konflikte und Abhängigkeiten zwischen diesen beiden Parteien werden schließlich auf der Machtebene ausgetragen; hier entsteht im Verlauf einer „guten“ Beziehung die Bildung von Vertrauen und Commitment282. Neben inhaltlichen und strukturellen Determinanten spielen daher bei internen Kunden-Lieferanten-Beziehungen insbesondere auch persönliche Aspekte eine entscheidende Rolle; eine „gute“ Beziehung zwischen der Daten- und der Entscheidungsseite im Marketing wird als eine grundlegende Voraussetzung für Marketing Intelligence gesehen. Darüber hinaus kann die Ausgestaltung der internen Kunden-Lieferanten-Beziehung zwischen der Daten- Erkenntnissen des Marketingansatz, berücksichtigt der und der Konzepts Entscheidungsseite im eines ursprünglich insbesondere die internen aus dem Marketing Marketings Dienstleistungsbereich innerorganisationalen, auf basieren. sozialen den Dieser stammt, Interaktions- beziehungen zwischen den Unternehmensmitgliedern und damit die Gestaltung von unternehmensinternen Austauschbeziehungen. 283 Dabei zielt internes Marketing als Methode auf die interne Steuerung aller im Hinblick auf die externen Märkte ausgerichteten Austauschprozesse ab.284 Internes Marketing betrifft daher „die systematische Optimierung unternehmensinterner Prozesse mit Instrumenten des Marketing- und Personalmanagements, um durch eine konsequente und gleichzeitige Kunden- und Mitarbeiterorientierung das Marketing als interne Denkhaltung durchzusetzen, damit die marktgerichteten 281 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 4.2.1. 282 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 5.4.2.2. 283 Vgl. Stauss 1995a, S. 1046 sowie Stauss/Schulze 1990, S. 3. 284 Hinsichtlich einer internen Marketingkonzeption lassen sich daneben noch zwei weitere Ansätze differenzieren: Internes Marketing wird auch als Maxime im Sinne einer unternehmerischen Grundhaltung ausgelegt, welche postuliert, dass sämtliche Entscheidungen in Einklang mit den Bedürfnissen der Mitarbeiter stehen sollen. Des Weiteren bezeichnet internes Marketing als Mittel die internen Marketinginstrumente, die zur Verhaltenssteuerung und personalorientierten Informationsbeschaffung eingesetzt werden (vgl. Stauss/Schulze 1990. S. 3ff.; Schulze 1992, S. 105ff.; Neuhaus 1996, S. 17ff.). Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Unternehmensziele effizient erreicht 107 werden.“ 285 Übertragen auf den Gegenstandsbereich der vorliegenden Arbeit bedeutet dies, dass Marketing Intelligence, wie hier als Konzept gedacht, ein „Stück internes Marketing“ darstellt; internes Marketing soll dazu beitragen, den innerbetrieblichen Prozess von Marketing Intelligence systematisch zu gestalten, so dass dieser im Sinne einer verbesserten Kunden- und Marktorientierung effektiv und effizient verläuft. Zur Ausgestaltung einer internen Marketingstrategie sind entsprechende Instrumente heranzuziehen. Bruhn differenziert hierbei zwischen zwei Klassen von Instrumenten: Instrumente des personalorientierten Marketingmanagements und Instrumente des marketingorientierten Personalmanagements. 286 „Dem personalorientierten Marketingmanagement [– dem sog. Outside-in-Ansatz –] sind jene klassischerweise externen Marketinginstrumente zuzuordnen, durch deren systematischen, unternehmensinternen Einsatz hohe Mitarbeiterzufriedenheit und hohes Commitment gewährleistet werden sollen.“287 Hierbei sind insbesondere Maßnahmen der Kommunikationspolitik von Bedeutung, die eine regelmäßige interne Kommunikation zwischen dem internen Lieferanten und dessen internen Kunden gewährleisten. Für Marketing Intelligence bieten sich hierbei interne Trainings an, um die Mitarbeiter der beiden Subsysteme beispielsweise hinsichtlich etwaiger Zielvorgaben der Zusammenarbeit, des Leistungsprogramms oder auch im Umgang miteinander zu schulen.288 Zudem können auch Workshops eingesetzt werden, an denen sowohl Mitarbeiter der Datenseite als auch der Entscheidungsseite teilnehmen, um interaktiv Probleme der Zusammenarbeit zu diskutieren und gemeinsam Ansätze für deren Lösung zu erarbeiten.289 „Demgegenüber sollen dem marketingorientierten Personalmanagement [– dem sog. Inside-out-Ansatz –] jene Instrumente subsumiert werden, die die absatzmarktorientierten Marketingaktivitäten durch die Optimierung unternehmensinterner 285 Bruhn 1999, S. 20. 286 In Abgrenzung zu Bruhn unterscheidet Stauss, der eine personalorientierte Auffassung des internen Marketings vertritt, drei Instrumente des internen Marketings: (1) Absatzmarktorientierter Einsatz personalpolitischer Instrumente (zum Beispiel Personalbeschaffung, Personaleinsatz, Personalführung), (2) Absatzmarktorientierter Einsatz interner Kommunikationsinstrumente (zum Beispiel interne Individualkommunikation, interne Massenkommunikation) sowie (3) Personalorientierter Einsatz externer Marketinginstrumente (zum Beispiel Werbung, Public Relations) (vgl. hierzu Stauss/Schulze 1990, S. 10ff.; Stauss 1995b, S. 265). 287 Bruhn 1999, S. 27. (Im Original mit Fettdruck) 288 Vgl. beispielsweise Stauss/Schulze 1990, S. 7f.; George/Grönroos 1999, S. 59. 289 Vgl. Roleff 2001, S 165. 108 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Strukturen und Prozesse unterstützen.“ 290 Diese Instrumente zielen darauf ab, durch ein marketingorientiertes Personalmanagement eine möglichst reibungslose Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern aus verschiedenen Abteilungen – und damit auch zwischen jenen in einer internen Kunden-Lieferanten-Beziehung, wie es bei Marketing Intelligence zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen der Fall ist – sicherzustellen. Eine systematische Personalpolitik291, die bereits bei der Akquisition und Einstellung neuen Personals ansetzt, ist daher auch für Marketing Intelligence ausschlaggebend. Zur Implementierung dieser Instrumente und letztendlich der Strategie des internen Marketings bedarf es eines längerfristigen Prozesses, der insbesondere durch eine Veränderung im Bewusstsein der Mitarbeiter zum Ausdruck kommt. Daher wird für die Implementierung von Marketing Intelligence im Rahmen einer internen Marketingkonzeption ein Phasenkonzept vorgeschlagen: 292 x Verpflichtung des Managements x Kommunikation mit den Mitarbeitern x Vermittlung des erforderlichen Know-hows x Verpflichtung der Mitarbeiter Eine grundlegende Voraussetzung für die Implementierung von Marketing Intelligence stellt die Unterstützung des Top-Managements dar; in einem weiteren Schritt sollte es dann gelingen, durch entsprechende Kommunikation das Verständnis und die Akzeptanz der Mitarbeiter zu gewinnen. Darüber hinaus müssen die Mitarbeiter über bestimmtes Know-how verfügen, so dass die geforderte interne Kunden-Lieferanten-Beziehung im Sinne einer Marketing Intelligence überhaupt funktionieren kann. Schließlich ist sicherzustellen, dass eine solche Denkhaltung auch von den Mitarbeitern gelebt wird. Eine erfolgreiche Implementierung von Marketing Intelligence gestaltet sich daher eher als mittel- bzw. langfristiger Prozess. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass auf der subjektiv-persönlichen Ebene von Marketing Intelligence sowohl das umfassendere Konzept des Beziehungsmanagements, das quasi als theoretisches Dachkonzept dienen kann, 290 Bruhn 1999, S. 27 (im Original mit Fettdruck). 291 Vgl. beispielsweise Stauss/Schulze 1990, S. 8; Bruhn 1999, S. 31f. 292 Vgl. Bruhn 1999, S. 34ff. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 109 als auch die Strategie des internen Marketings bedeutsame Erkenntnisse für die inhaltliche Ausgestaltung einer internen Kunden-Lieferanten-Beziehung zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen liefern. Abbildung 11 veranschaulicht die aufgezeigte marketingtheoretische Fundierung von Marketing Intelligence. Beziehungsmanagement Interne Kunden-Lieferanten-Beziehung Angebotsseite von Marketinginformationen (Datenseite) Internes Marketing Nachfrageseite von Marketinginformationen (Entscheidungsseite) (Interner Kunde) (Interner Lieferant) Ziel: Interne Kundenorientierung Abbildung 11: Marketingtheoretische Grundlagen der internen Kunden-Lieferanten-Beziehung im Sinne von Marketing Intelligence 4.3 Ganzheitliches Management der Ressource Wissen als Grundlage von Marketing Intelligence Nachdem im vorangegangenen Abschnitt eine marketingtheoretische Fundierung für eine effektive und effiziente Zusammenarbeit zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen vorgenommen wurde, werden im Folgenden wissensbasierte Ansätze aufgezeigt, die im Sinne einer Marketing Intelligence zur Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing beitragen können. Ausgangspunkt hierfür ist die Ressource Wissen. Nach einer begrifflichen Abgrenzung zu Daten und Informationen, die für das Verständnis des Wissensmanagements bedeutsam ist, werden der Prozess der Wissensschaffung sowie daran anknüpfend der systematische Umgang mit Wissen im Marketing aufgezeigt. Die Synthese dieser konzeptionellen Erläuterungen mündet 110 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence schließlich in eine der zentralen Annahmen der vorliegenden Arbeit, dass nämlich das Management von Marketingwissen als Fundament von Marketing Intelligence zu verstehen ist. 4.3.1 Marketingwissen als Entscheidungshilfe für das Marketing Marketingwissen baut auf Marketingdaten und -informationen auf. 293 Daten bestehen aus Zeichen294 oder Zeichenfolgen, die in einem sinnvollen Zusammenhang zueinander stehen und bestimmten Syntaxregeln folgen; generell beziehen sich Daten auf objektive Fakten zu Ereignissen oder Vorgängen, die zusammenhanglos vorliegen – ohne Interpretation und Wertung. 295 Für den Entscheidungsträger werden Daten erst dann zu Informationen, wenn sie in einen Problemzusammenhang gestellt und zum Erreichen eines bestimmten Ziels verwendet werden. 296 Marketinginformationen sind also solche Marketingdaten, mit denen der Entscheider etwas anfangen kann, weil sie sein (Fakten-)Wissen im Hinblick auf einen bestimmten Entscheidungstatbestand erhöhen. Demnach setzen sich Marketinginformationen aus Marketingdaten zusammen, jedoch nur aus solchen, die für den Marketingentscheider inhaltlich tatsächlich bedeutsam und damit problemrelevant sind; Marketinginformationen sind folglich im Gegensatz zu Marketingdaten empfängerorientiert. Die neu erlangten Marketinginformationen muss der Entscheidungsträger schließlich mit dem ihm vorliegenden Wissen abgleichen bzw. verknüpfen, um zweckorientiertes Marketingwissen zu erlangen. Zweckorientiertes Marketingwissen entsteht durch die Verarbeitung, Filterung und Bewertung von Informationen; erst wenn der Entscheidungsträger diese in den Kontext seines Erfahrungswissens einbettet und mit seinem Verstand bewertet, erlangen sie einen Nutzen. 297 Gerade in der Praxis ist es aufgrund der Vielzahl an verfügbaren Marketinginformationen essenziell, dass die vom Entscheidungsträger herangezogenen Informationen für die entsprechende Frage- bzw. Problemstellung auch tatsächlich relevant und nützlich sind; es sollte sich also um „zweckorientiertes 293 Vgl. Probst/Raub/Romhardt 2006, S. 16; Amelingmeyer 2004, S. 43. 294 Als Zeichen gelten Ziffern, Buchstaben und Sonderzeichen. 295 Vgl. Davenport/Prusak 1998, S. 27f. 296 Vgl. Burmann 2001, S. 21. 297 Vgl. Al-Laham 2003, S. 27ff.; Güldenberg 2003, S. 158; Neumann 2000, S. 61f.; Albrecht 1993, S. 45; Kunze 2000, S. 31f.; Komus 2001, S. 24. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 111 Wissen“298 handeln. Solches Marketingwissen kann zusammenfassend bezeichnet werden als „eine Wertvorstellungen, fließende Mischung Kontextinformationen und aus strukturierten Fachkenntnissen, Erfahrungen, die in ihrer Gesamtheit einen Strukturrahmen zur Beurteilung und Eingliederung neuer Erfahrungen und Informationen bietet“ 299. Die wichtigsten Differenzierungsmerkmale von Wissen zu Daten und Informationen bestehen darin, dass Wissen an Personen gebunden ist (Personenbezogenheit) und sich auf spezifische Handlungen bezieht (Handlungsbezogenheit). 300 Nach Ryle lassen sich hinsichtlich des Merkmals der Handlungsorientierung zwei Arten von Wissen differenzieren: „Knowing that is knowledge of facts and relationships, the primary subject of formal education and news; it may be subdivided into knowingwhat and knowing-why […]. Knowing how, by contrast, is the ability to perform actions to achieve a desired result. It includes skill both in performance and in recognizing when and where this skill should be applied.” 301 Tatsächlich handlungsorientiertes Marketingwissen („Marketing Know-how“) entsteht demnach erst durch die Verknüpfung zweckorientierten Marketingwissens („Marketing Knowthat“) mit praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Entscheidungsträgers („Marketing Skills“). Wichtig ist dabei, dass im Sinne von Marketing Intelligence, die eine Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing postuliert, zweckorientiertes Marketingwissen eben nicht als ausreichend erscheint; vielmehr ist das Vorhandensein spezifischer Marketing Skills – auch bei den Entscheidern auf der Nachfrageseite von Marketinginformationen – erforderlich, so dass tatsächlich handlungsorientiertes Marketingwissen entstehen kann. Erst solches Marketingwissen, das vom Marketingentscheider in Form von entscheidungsorientierten Schlussfolgerungen sowie klaren Handlungsempfehlungen direkt umsetzbar ist, kann die Qualität von Marketingentscheidungen verbessern. Abbildung 12 verdeutlicht die aufgezeigten Zusammenhänge: 298 Vgl. Wittmann 1959, S. 14; Bode 1997, S. 474ff. 299 Davenport/Prusak 1998, S. 32. 300 Vgl. Zboralski 2007, S. 15; Burmann 2001, S. 16f. 301 Ryle 1960, S. 26. 112 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Unternehmensinterne und -externe Quellen Integration von neuem u. bestehendem Marketingwissen Auswahl entscheidungsrelevanten Marketingwissens Entscheidung/ Problemlösung Marketing Skills Verfügbares MarketingFaktenwissen („Marketing Know-what“) Marketingdaten Marketinginformationen Integrierte Marketinginformationen Vorhandenes HandlungsZweckorientiertes orientiertes Marketingwissen Marketingwissen („Marketing Know-that“) („Marketing Know-how“) MarketingErfahrungswissen („Marketing Know-why“) Marketing Skills Abbildung 12: Von Marketingdaten zu handlungsorientiertem Marketingwissen Quelle: in Anlehnung an Burmann 2001, S. 18. Zusammenfassend wird Marketingwissen für die vorliegende Arbeit wie folgt definiert: Handlungsorientiertes Marketingwissen („Marketing Know-how“) benötigt die Verknüpfung theoretischen Faktenwissens („Marketing Know-what“) sowie bestehenden Erfahrungswissens („Marketing Know-why“) mit subjektiven Fähigkeiten und Fertigkeiten des Entscheidungsträgers („Marketing Skills“). Es umfasst die Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Marketingentscheider zur Problemlösung heranziehen. Die Entstehung und Anwendung von Wissen vollzieht sich demnach vor allem in den Köpfen der Mitarbeiter. Seine Nutzbarkeit hängt folglich davon ab, dass es nicht nur implizit dort verbleibt, sondern in eine explizite Form transformiert und auch für Dritte verfügbar gemacht wird. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 113 4.3.2 Die Wissensbasis im Marketing Grundsätzlich lassen sich unterschiedliche Arten von Wissen charakterisieren. Dabei ist die Klassifikation von implizitem und explizitem Wissen von besonderer Bedeutung.302 Implizites Wissen umfasst sowohl kognitive Elemente, wie beispielsweise Intuition, subjektive Einsichten, Erfahrungen sowie Ideale, Werte und Gefühle einer Person, als auch spezifische individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Problemlösung. Aufgrund des subjektiven und intuitiven Charakters von implizitem Wissen ist dieses oft nicht direkt artikulierbar; vielmehr ist es unmittelbar in das Handeln von Individuen eingebettet. Zudem ist sich der Wissensträger solchen Wissens oftmals nicht bewusst; es wird daher auch als unbewusstes („tacites“) Wissen bezeichnet. 303 Deshalb ist es schwierig und häufig auch nicht möglich, implizites Wissen zu transferieren, zu archivieren und zu reproduzieren. Dem impliziten Wissen kommt jedoch eine enorme Bedeutung zu, da es dem expliziten Wissen notwendigerweise zugrunde liegen muss. Explizites Wissen, das im Gegensatz zu implizitem Wissen nicht an eine Person gebunden ist, wird als bewusstes, artikulierbares Wissen bezeichnet, das strukturiert und sprachlich umgesetzt in kodierter Form, beispielsweise in Datenbanken oder auch Dokumentationen, angelegt werden kann. Hierbei handelt es sich um Sach- und Faktenwissen, aber auch um dokumentierte Erfahrungen. Eine Bearbeitung, Weiterleitung bzw. Speicherung von explizitem Wissen ist somit problemlos möglich.304 Beide Wissensarten – explizites und implizites Wissen – sind grundsätzlich als komplementäre, zusammenwirkende Komponenten zu betrachten. Das heißt, die beiden Kategorien sind aufeinander bezogen: jede implizite Handlung weist in der Regeln auch bestimmte explizite Wissensanteile auf. 305 Des Weiteren kann auch eine Differenzierung von Wissen hinsichtlich des Wissensträgers306 in individuelles und kollektives Wissen erfolgen. Individuelles Wissen ist an einzelne Personen gebunden; es ist im Bewusstsein dieser Person 302 Diese epistemologische Kategorisierung in implizites und explizites Wissen wurde von Polanyi vorgeschlagen und von Nonaka und Takeuchi popularisiert (vgl. Polanyi 1966; Nonaka 1991, 1992 und 1994; Nonaka/Takeuchi 1997, S. 72). 303 Vgl. Schreyögg/Geiger 2005, S. 438f. Polanyi betont daher zusammenfassend: „We know more than we can tell“ (Polanyi 1966, S. 4). 304 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 18ff. Siehe zur Unterscheidung von explizitem und implizitem Wissen beispielsweise Ahlert/Blut 2006, S. 21f.; Schreyögg/Geiger 2005, S. 438ff.; Al-Laham 2004, S. 410; Amelingmeyer 2004, S. 47; Meynhardt 2004, S. 120ff.; Schwaninger 2000, S. 4ff. 305 Vgl. Reber 1993, S. 23. 306 Dabei kann zwischen personellen, materiellen und kollektiven Wissensträgern unterschieden werden (vgl. Amelingmeyer 2004, S. 55ff.). 114 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence verankert und somit auch nur dem Individuum selbst zugänglich. Analog zu solchem impliziten Wissen gibt es jedoch auch explizites Wissen, das durch Verschluss bzw. Geheimhaltung nur für ein Individuum zugänglich ist. Kollektives Wissen hingegen wird von mehreren Mitgliedern einer Organisation geteilt bzw. ist ihnen prinzipiell zugänglich. In impliziter Form ist dieses beispielswiese in aufgestellten Regeln, unternehmensinternen Prozessen und Strukturen oder auch in gemeinsamen Wertvorstellungen eingebettet, die von einer Abteilung oder dem ganzen Unternehmen geteilt bzw. gelebt werden; in expliziter Form liegt solches kollektive Wissen beispielsweise in Informationssystemen, Präsentationen oder auch Handbüchern und kann auf diese Weise mehreren bzw. allen Personen im Unternehmen zugänglich gemacht werden. Zusammen bilden individuelle und kollektive Wissensbestände die Wissensbasis. Beide Komponenten können – wie bereits erläutert – sowohl implizit als auch explizit vorliegen. 307 Im Marketing setzt sich das vorhandene Wissen prinzipiell sowohl aus „speicherbaren“ Daten und Informationen, welche den Entscheidungsträgern beispielsweise mittels einer Datenbank zugänglich gemacht werden, als auch in hohem Maße aus persönlichen Erfahrungen zusammen. Während das theoretische Faktenwissen („know-what“) in der Regel in eine explizite Form transformierbar ist, sind das Erfahrungswissen („know-why“) sowie die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Entscheidungsträgers überwiegend implizit. Bestimmtes Wissen ist auch an einzelne Marketingentscheider gebunden (wie beispielsweise detailliertes Wissen eines KeyAccount-Managers über seinen Kunden), während andere Bestandteile des Wissens prinzipiell allen Mitarbeitern im Marketing zugänglich sind (wie beispielsweise Wissen aus Marketing-Informationssystemen oder auch gemeinsame Werte und Richtlinien für das Marketing bzw. Unternehmen). Abbildung 13 veranschaulicht exemplarisch die Wissensbasis im Marketing, die sich aus individuellen und kollektiven Komponenten zusammensetzt, welche wiederum sowohl in impliziter als auch in expliziter Form vorliegen können. 307 Vgl. Al-Laham 2003, S. 31; Güldenberg 2003, S. 198f. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 115 Wissensbasis im Marketing Individuelles Wissen Explizites Wissen Implizites Wissen • Datenbanken • Fachzeitschriften • Patente •… Kollektives Wissen Implizites Wissen Explizites Wissen • Branchen-, Marktund Kundenwissen • Ergebnisse von Meetings, Workshops • Expertenwissen • Regeln, Strukturen • Erfahrung, Intuition • Gemeinsame Wertvorstellungen der Mitarbeiter •… • Formalisiertes, strukturiertes Wissen • Wissenssysteme • Wissenshandbuch •… •… Umwandlung Umwandlung Überführung Abbildung 13: Die Wissensbasis im Marketing Quelle: in Anlehnung an Gentsch 2001, S. 52. Häufig besonders wertvoll für Marketingentscheidungen ist implizites Wissen in den Köpfen einzelner Mitarbeiter. Soll solches Wissen auch anderen Mitarbeitern zugänglich gemacht werden, so bedarf es einer Umwandlung in explizites Marketingwissen sowie einer Überführung von individuellem in kollektives Wissen, um auch solches Wissen über einzelne Personen hinweg nutzbar zu machen. Die Schaffung einer expliziten, organisationalen Wissensbasis, die für alle Mitarbeiter des Marketings verfügbar und transparent ist, stellt daher eine grundlegende Aufgabe für Marketing Intelligence dar. Da die Entscheidungsqualität durch einen höheren Wissensbestand verbessert werden kann, ist eine detaillierte, möglichst vollständige Wissensbasis für ausschlaggebender Bedeutung. 308 Entscheidungsprozesse 308 Siehe hierzu auch Amelingmeyer 2004, S. 18. im Marketing von 116 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 4.3.3 Wissensschaffung im Unternehmen als „organisatorisches Lernen“ – Das Modell der „Wissensspirale“ Ausgehend von der Frage nach möglichen Gründen für die (damals so empfundene) Überlegenheit japanischer Unternehmen in der Produktentwicklung gegenüber ihren amerikanischen und europäischen Konkurrenten und darauf basierenden empirischen Untersuchungen in japanischen Unternehmen haben Nonaka und Takeuchi ein Modell der Wissensschaffung in Unternehmen entwickelt. Die Autoren gehen davon aus, dass verbal mitteilbares Wissen, das in Worten und Zahlen fassbar ist, nur die Spitze des Eisbergs menschlichen Wissens darstellt. Wissen ist ihrer Meinung nach überwiegend etwas Implizites und daher schwer vom subjektiven Erfahrungskontext des Einzelnen zu lösen und unabhängig davon zu vermitteln. Nach ihrer Ansicht ist jedoch gerade die Nutzung von implizitem Wissen im Rahmen der Ideenfindung und Produktentwicklung ausschlaggebend für den ökonomischen Erfolg japanischer Unternehmen. 309 Diesen Ansatz japanischer Unternehmen beschreiben Nonaka und Takeuchi in ihrem Modell der „Wissensspirale“. Dabei differenzieren sie in Anlehnung an Polanyi zwischen explizitem und implizitem Wissen 310 und formulieren vier Formen der Wissensumwandlung, die den Kern ihres Ansatzes darstellen (vgl. Abbildung 14). Idealtypisch beginnt die organisationale Wissensschaffung mit dem Austausch von „Sympathized Knowledge“ – der Sozialisation. Die Sozialisation beschreibt die Entstehung von implizitem Wissen aus bereits vorhandenem implizitem Wissen. Der Sozialisationsprozess führt zu einem Erfahrungsaustausch, in welchem durch Nachahmung und Beobachtung – und eben nicht durch Sprache – das Wissen vermittelt wird und auf diese Weise neues implizites Wissen geschaffen wird, zum Beispiel ein gemeinsames mentales Modell. 311 Zum Transfer impliziten Marketingwissens kommt es beispielsweise auf der Datenseite, wenn ein neuer Mitarbeiter in Zusammenarbeit und durch praktisches Mittun von seinen Kollegen erlernt, wie das Briefing eines Marktforschungsinstituts abläuft. Es findet somit eine Weitergabe impliziten Marketingwissens zwischen verschiedenen Personen statt. 309 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 18ff. 310 Siehe hierzu Abschnitt 4.3.2. 311 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 75-77. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 117 nach …implizit …explizit Sozialisation Externalisation „Sympathized Knowledge“ „Conceptual Knowledge“ „Operational Knowledge“ „Systemic Knowledge“ Internalisation Kombination implizit… Von explizit… Abbildung 14: Die Formen der Wissensschaffung Quelle: in Anlehnung an Nonaka/Takeuchi 1997, S. 85. Der Externalisierungsprozess wird durch konstruktiven Dialog oder durch kollektive Reflexion ausgelöst. Hierbei erfolgt eine Umwandlung von implizitem Wissen in explizites und damit kommunizierbares Wissen. Implizites Wissen wird zunächst mit Metaphern oder auch Analogien beschrieben, um dieses quasi in explizites Wissen zu „übersetzen“; das ursprünglich implizit vorliegende Wissen ist also in explizites Wissen konvertiert worden. Dieser Prozess dient der Herausbildung von „Conceptual Knowledge“.312 Ein Beispiel für die Externalisierung von Marketingwissen wäre, wenn sich ein Marketingmanager durch Gespräche mit Kollegen seine Erfahrungen aus einer Entscheidungssituation ins Bewusstsein ruft und diese anschließend schriftlich dokumentiert, um sie weiteren Personen zugänglich zu machen. Der Prozess der Kombination, der die häufigste Form der Wissensumwandlung in Unternehmen darstellt, verknüpft verschiedene Bereiche von explizitem Wissen miteinander. kommuniziert Hier wird Wissen über und in einem Medien gemeinsamen (zum Beispiel Datenbanken) Wissenszusammenhang neu zusammengestellt. Durch die Kombination von neu geschaffenem und bereits existierendem Wissen auch in anderen Abteilungen eines Unternehmens entsteht so 312 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 77-80. 118 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence genanntes „Systemic Knowledge“. 313 In Bezug auf Marketingwissen kommt es zu einer Kombination, wenn beispielsweise spezifische Kundenbeschwerden in einer Datenbank dokumentiert werden und solches Kundenwissen anschließend dem Produktmarketing übermittelt wird. Der Produktmanager greift dieses Wissen auf, kombiniert es mit vorhandenem (technischen) Produktwissen und führt auf Basis des integrierten Wissens gegebenenfalls entsprechende Produktmodifikationen durch. Internalisierung beschreibt schließlich eine Eingliederung expliziten Wissens in das implizite Wissen. Die Erfahrungen bei der Anwendung des expliziten Wissens („learning by doing“) führen zu einer Vertiefung der impliziten Wissensbasis. Dieser Prozess beinhaltet die Transformation von explizitem Wissen durch subjektive Erfahrung in spezifisches Know-how. So haben beispielsweise Marketinginformationen erst einen Nutzen, wenn sie vom Marketingentscheider bei der Entscheidungsfindung aktiv verwendet werden, um so ein individuelles, subjektives Gefühl für die jeweilige Problem- bzw. Fragestellung zu erlangen. Auf diese Weise entsteht durch die Anwendung von expliziten Wissen so genanntes „Operational Knowledge“.314 Das praktische implizite Erfahrungswissen eines Individuums aus dem Prozess der Internalisierung stößt die nächste Spiralbewegung an und löst somit einen neuen Kreislauf der Wissensentwicklung aus. Die Generierung von neuem Wissen erfolgt – auch im Marketing – in dem dargestellten 4-stufigen Zyklus, so dass der Wissensentstehungsprozess als Spiralmodell zu verstehen ist; auf diese Weise wird eine Wissensspirale zwischen implizitem und explizitem Wissen geschaffen.315 „Das dynamische Wechselspiel zwischen diesen beiden Wissensformen bildet den Schlüssel zur Wissensschaffung im Unternehmen [bzw. im Marketing] und vollzieht sich in einem spiralförmigen Prozess immer wieder aufs neue.“316 Der organisatorische Wissensgenerierungsprozess weist demnach eine dynamische und kontinuierliche Entwicklung auf, die durch den Wechsel zwischen unterschiedlichen Wissenstransformationsprozessen zustande kommt. Schließlich fügen Nonaka und Takeuchi diesem organisatorischen Wissensgenerierungsprozess neben der epistemologischen Dimension, die sich auf 313 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 81f. 314 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 82-84. 315 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 74ff. 316 Nonaka/Takeuchi 1997, S. 9. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 119 die Unterscheidung zwischen implizitem und explizitem Wissen bezieht, die ontologische Dimension hinzu. Die ontologische Dimension als zweite grundlegende Achse der Wissenserzeugung differenziert zwischen individuellem und kollektivem Wissen317. Auf einem Kontinuum zunehmender Kollektivierung wird zwischen verschiedenen Ebenen oder Einheiten im Prozess der Wissenserzeugung unterschieden: Individuum, Gruppe, Organisation und interorganisationale Ebene. Das Wissen eines Individuums Wissenstransformation Personenkreis. erweitert Diesen wird und Prozess durch erreicht die vier dabei einen beschreiben Nonaka Formen immer und der größeren Takeuchi als Wissensspirale, „in der die Interaktion von implizitem und explizitem Wissen auf dem Weg durch die ontologischen Schichten immer reicher wird“ 318. Epistemologische Dimension Externalisierung Explizites Wissen Kombination Sozialisierung Implizites Wissen Internalisierung Individuum Gruppe Unternehmen Unternehmensinteraktion Wissensebene Abbildung 15: Die Spirale der Wissensschaffung im Unternehmen Quelle: Nonaka/Takeuchi 1997, S. 87. 317 Siehe hierzu Abschnitt 4.3.2. 318 Nonaka/Takeuchi 1997, S. 86. Ontologische Dimension 120 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Durch die effektive Gestaltung der Übergänge zwischen implizitem und explizitem Wissen sowie zwischen individuellem und kollektivem Wissen, aus der eine spiralförmige Bewegung des Wissens von implizitem zu explizitem Wissen (und zurück) über die unterschiedlichen Ebenen im Unternehmen entsteht, kommt es zur organisationalen Wissensschaffung. Idealerweise sollen die vier Formen der Wissensschaffung in einem iterativen Prozess immer wieder auf einem höheren Wissensstand und unter Einbezug von immer mehr Organisationsmitgliedern, das heißt auf einer höheren ontologischen Dimension, wiederholt werden. 319 Dadurch wird jedes Mal eine neue, verbesserte Basis impliziten Wissens geschaffen, von der aus eine neue Wissensspirale in Gang gesetzt werden kann. Auf diese Weise werden letztendlich organisatorische Lernprozesse geschaffen, die neues Wissen hervorbringen und dadurch die organisationale Wissensbasis kontinuierlich verändern. 320 „Unter organisationalem Lernen ist der Prozess der Erhöhung und Veränderung der organisationalen Wert- und Wissensbasis, die Verbesserung der Problemlösungs- und Handlungskompetenz sowie die Veränderung des gemeinsamen Bezugsrahmens von und für Mitarbeiter innerhalb der Organisation zu verstehen.“ 321 Organisatorisches Lernen trägt letztendlich durch Wissenstransfer Intelligenz bei. und Wissensanwendung zur Entwicklung organisationaler 322 In Anlehnung an das Modell der Wissensspirale von Nonaka und Takeuchi werden in Abschnitt 5.4.1 ausführlich Möglichkeiten der Wissensschaffung im Marketing diskutiert. Organisationale Lernprozesse unterstützen demnach auch im Marketing die Generierung und den Transfer von Wissen. Auf diese Weise trägt Marketing Intelligence schließlich zur Vision einer lernenden Organisation bei. 319 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 84ff.; Nonaka 1991, S. 99. 320 Vgl. Pawlowsky 1994, S. 158. 321 Probst/Büchel 1994, S. 17. 322 Vgl. Willke 2001, S. 280; Wengelowski 2000, S. 29f. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 121 4.3.4 Systematischer Umgang mit Wissen – Das Modell der „Bausteine des Wissensmanagements“ Nach einer (modellhaften) Erläuterung, wie im Unternehmen Marketingwissen generiert werden kann, stellt sich die Frage, wie im Marketing solches Wissen gespeichert und genutzt werden kann. Die Ausführung zur Wissensschaffung sollen daher um Überlegungen zu einem umfassenden Management von Wissen im Unternehmen bzw. im Marketing ergänzt werden. Nicht selten ist es der Fall, dass prinzipiell vorhandenes Marketingwissen nicht (systematisch) genutzt wird, da es nicht transparent und verfügbar ist, wenn es benötigt wird. Zudem wird häufig ein und dasselbe Wissen (zum Beispiel annähernd gleiche Marktforschungsstudien) mehrfach in Auftrag gegeben, weil nicht bekannt ist, über welches Wissen andere Mitarbeiter bzw. Abteilungen verfügen. Derartige Überlegungen verdeutlichen die Notwendigkeit eines Wissensmanagements, denn die systematische Gestaltung von Prozessen und Systemen im Sinne eines ganzheitlichen Wissensmanagements ist auch für das Marketing von entscheidender Bedeutung. In diesem Zusammenhang erscheint es zweckmäßig, auf das Modell der „Bausteine des Wissensmanagements“ von Probst, Raub und Romhardt zurückzugreifen. Dieses Modell unterteilt Wissensmanagement in verschiedene Aktivitäten bzw. Prozesse, die untereinander in Verbindung stehen. Ein äußerer Kreislauf, der die strategischen Aspekte des Wissensmanagements wiedergibt, lehnt sich an den klassischen Managementprozess an und besteht aus den Bausteinen Zielsetzung, Umsetzung und Messung. Dieser Regelkreis hebt die Wichtigkeit strategischer Aspekte eines Wissensmanagements im Unternehmen hervor. Auch im Marketing müssen konkrete Wissensziele festgelegt werden, deren Realisation schließlich kontrolliert werden muss, um gegebenenfalls zielgerichtet eingreifen zu können. Aus den operativen Aufgaben des inneren Kreislaufs lassen sich konkrete Gestaltungsmöglichkeiten für ein Wissensmanagement im Marketing ableiten. Dieser innere Kreislauf umfasst die inhaltlichen Bausteine Wissensidentifikation, Wissenserwerb, Wissensentwicklung, Wissens(ver)teilung, Wissensnutzung und Wissensbewahrung.323 Abbildung 16 verdeutlicht Wissensmanagements nach Probst, Raub und Romhardt: 323 Vgl. Probst/Raub/Romhardt 2006, S. 33. die Bausteine des 122 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Wissensziele Feedback Wissensidentifikation Wissensbewertung Wissensbewahrung Wissenserwerb Wissensnutzung Wissensentwicklung Wissens(ver)teilung Abbildung 16: Die Bausteine des Wissensmanagements Quelle: Probst/Raub/Romhardt 2006, S. 32. Der Baustein der Wissensidentifikation betrifft die Schaffung einer internen und externen Transparenz über bereits vorhandenes Wissen. Gerade im Marketing, wo eine Vielzahl heterogener Informationen aus unternehmensinternen und -externen Quellen vorliegt, ist es notwendig, bereits vorhandenes Wissen zu identifizieren. Von daher muss eine gewisse Transparenz bezüglich des verfügbaren Marketingwissens geschaffen werden, so dass Marketingentscheider bei ihrer Entscheidungsfindung problemlos darauf zugreifen können. Darüber hinaus ist im Marketing häufig die Beschaffung bzw. der Zukauf externer Marketinginformationen (beispielsweise aggregierter Markt- bzw. Marktforschungsinformationen) erforderlich. Der Baustein Wissenserwerb bezieht sich daher auf die Akquisition von Marketingwissen und zeigt unterschiedliche Beschaffungsformen von unternehmensexternem Wissen auf. Eine weitere Möglichkeit, neues Wissen für das Marketing zu generieren, liegt in der Wissensentwicklung innerhalb des Unternehmens. Diese kann beispielsweise die Entwicklung neuer Fähigkeiten und Fertigkeiten, besserer Ideen sowie leistungsfähigerer Prozesse betreffen. Um jedoch das im Marketing verfügbare Wissen tatsächlich nutzbar zu machen bzw. zur Entscheidungsfindung heranzuziehen, bedarf es der Wissens(ver)teilung. Die Wissens(ver)teilung beinhaltet die Aufgabe, vorhandenes Wissen zielgerichtet und effizient den jeweiligen Marketingentscheidern zugänglich zu machen. Die Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 123 Generierung und Verteilung von Marketingwissen allein ist allerdings nicht ausreichend, erst durch dessen tatsächliche Anwendung kann für das Marketing ein Mehrwert (beispielsweise in Form von effektiveren und effizienteren Marketingentscheidungen) erzielt werden. Der Baustein Wissensnutzung betrifft daher den effektiven und effizienten Einsatz von Marketingwissen entsprechend der jeweiligen Frage- bzw. Problemstellung. Um sich vor Wissensverlusten zu schützen, gilt es, die Wissensbewahrung sicherzustellen. Diese umfasst neben der Selektion von bewahrungswürdigem Wissen die Speicherung und die Aktualisierung bzw. Pflege der Wissensbasis im Marketing.324 Die Unterteilung in einzelne Wissensbausteine ermöglicht es, spezifische Aufgaben abzuleiten und damit auch Verantwortungsbereiche zuzuordnen. Generell sieht das praxisorientierte Modell von Probst, Raub und Romhardt das Management von Wissen als Führungsaufgabe an; Erfolg und Misserfolg im Umgang mit Wissen sind hauptsächlich auf zurückzuführen.325 Entscheidungen Die Unterstützung und der Handlungen des Managements Unternehmensleitung bzw. des Marketingmanagements stellt also eine grundlegende Voraussetzung für ein Wissensmanagement im Marketing und damit für Marketing Intelligence dar. Für die konkrete Ausgestaltung eines jeden Bausteins stehen unterschiedliche Maßnahmen zur Verfügung. 326 Wissensziele lassen sich im Marketing beispielsweise mittels eines so genannten Wissensleitbildes determinieren; dadurch kann für das Marketing festgelegt werden, welche Fähigkeiten und Kompetenzen an welchen Stellen bzw. hinsichtlich welcher Prozesse in Zukunft ausgebaut werden sollen. Für die Identifikation von Marketingwissen können unter anderem so genannte Wissenskarten, welche die jeweiligen Wissensträger und Wissensbestände im Marketing festhalten, zum Einsatz kommen. Für den Wissenserwerb bietet sich die Akquisition von bzw. die Zusammenarbeit mit besonders wissensintensiven Unternehmen im eigenen Kompetenzfeld an. Hierfür kommt für das Marketing beispielsweise die Kooperation mit einem externen Marktforschungsinstitut in Betracht, das kontinuierlich Wissen über Markt und Konsumenten liefert. Die Wissensentwicklung, die sich unter anderem mit der Kreierung bislang nicht bestehender Fertigkeiten beschäftigt, kann beispielsweise durch die Errichtung von 324 Vgl. Probst/Raub/Romhardt 2006, S. 28ff. 325 Vgl. Soukup 2001, S. 100f. 326 Siehe für eine ausführliche Romhardt 1998, S. 69ff. Darstellung von Maßnahmen einzelner Wissensbausteine 124 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Kompetenzzentren (so genannter „think tanks“) gefördert werden. So könnte im Marketing ein Kompetenzzentrum „Web 2.0“ gegründet werden, dessen Mitglieder sich intensiv mit Chancen und Risiken des Web 2.0 als Kommunikationsmedium auseinandersetzen. Die Ausgestaltung der Infrastruktur, etwa die Implementierung eines Wissensnetzwerkes, kann den Baustein der Wissens(ver)teilung unterstützen. Auf diese Weise können Marketingentscheider genau auf das Wissen zugreifen, das sie zur Entscheidungsfindung benötigen. Darüber hinaus sollte die Nutzung von Marketingwissen beispielsweise durch eine nutzungsgerechte Gestaltung von Dokumenten (durch grafische Aufbereitung bzw. Visualisierung) oder auch durch eine einfache, benutzerfreundliche Handhabung von Datenbanken verbessert werden. Ein Instrument der Wissensbewahrung stellt die Bindung von wichtigen Wissensträgern an das Unternehmen mit Hilfe von Anreizsystemen und Austrittsbarrieren dar. So verfügt beispielsweise ein Key Account Manager über wertvolles Kundenwissen; es wird daher in der Regel versucht, solche Wissensträger durch monetäre Anreize in Form von Prämien etc. zu halten. Im Rahmen der Wissensbewertung wird schließlich das Erreichen der definierten Wissensziele untersucht. In diesem Zusammenhang kann zum einen versucht werden, die Veränderung bzw. Erweiterung der Marketingwissensbasis sichtbar zu machen. Zum anderen können für das Marketing als Grundlage eines Wissenscontrollings unterschiedliche Indikatoren oder auch Messsysteme, wie etwa die Balanced-ScoreCard, herangezogen werden. Insgesamt stellen die geschilderten Bausteine des Wissensmanagements einen umfassenden Wissensmanagementansatz dar. Diese Ausführungen verdeutlichen, dass es einer systematischen Handhabung von Marketingwissen bedarf, um Wissen bei Entscheidungsprozessen im Marketing effektiv und effizient einsetzen zu können. In Abschnitt 5.4.3 werden ausführlich konkrete Maßnahmen für ein ganzheitliches und systematisches Wissensmanagement im Marketing diskutiert. Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 125 4.3.5 Wissensmanagement als Fundament von Marketing Intelligence Aus Sicht des Wissensmanagements geht es vor allem darum, „Wissen in der erforderlichen Menge und Qualität zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort in effektiver und effizienter Weise verfügbar zu machen und […] die zukünftige Entwicklungsfähigkeit der Unternehmen durch eine entsprechende Dynamik der Wissensbasis sicherzustellen“ 327. Die Fähigkeit der Veränderung und Anreicherung der Wissensbasis sowie letztendlich die intelligente Nutzung von Marketingwissen werden für Unternehmen zu maßgeblichen Wettbewerbsfaktoren. Erst das Management von Marketingwissen und letztendlich dessen erfolgreiche Anwendung ermöglichen die Umsetzung innovativer Produktstrategien, wettbewerbsfähiger Marktstrategien sowie individueller Kundenstrategien. 328 Für das Marketing gewinnt, wie bereits erläutert, bereitgestelltes Wissen (im Sinne von zweckorientiertem Wissen („Marketing Know-that“)), das sich aus theoretischem Faktenwissen („Marketing Know-what“) und subjektivem Erfahrungswissen des Entscheidungsträgers („Marketing Know-why“) zusammensetzt, erst an Wert, wenn es in handlungsorientiertes Wissen, so genanntes Können („Marketing Know-how“), umgesetzt und als Grundlage für bestimmte Entscheidungen bzw. Handlungen herangezogen wird.329 Die bloße Bereitstellung von Faktenwissen genügt nicht, wenn nicht die Umsetzung von Wissen in Können erfolgt; hierzu sind über analytische Fähigkeiten hinaus spezifische Fertigkeiten – so genannte Marketing Skills – notwendig, damit problembezogene Lösungsvorschläge Marketingentscheider akzeptiert und genutzt entstehen, werden. Damit die vom ist bereits angesprochen, dass auch das Können noch nicht ausreicht, wenn beim Marketingentscheider die entsprechende Motivation zum Handeln nicht vorhanden ist. Darüber hinaus handlungsorientiertes ist auch die Marketingwissen Fähigkeit zielorientiert des in Marketingentscheiders, Entscheidungen bzw. Handlungen umzusetzen, notwendig für ein „intelligentes Marketing“, welches schließlich zu messbaren Resultaten führt. Abbildung 17 veranschaulicht zusammenfassend die erforderlichen Schritte einer Marketing Intelligence anhand der Wissenstreppe im Marketing: 327 Vgl. Amelingmeyer 2004, S. 20. 328 Vgl. North 2005, S. 31; Ackerschott 2001, S. 26ff. 329 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 4.3.1. 126 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence ches tegis Stra nt eme anag m s n e Wiss Intelligentes Marketing Anwendung Marketinginformationen Marketingdaten Zeichen + zielorientiert Wollen handeln Marketing- Können („know-how“) + Motivation zum Wissen Handeln („know-that“, „know-why“) + Fähigkeiten + Integration (Kontext, + Bedeutung Erfahrungen) + Syntax s ative oper t men nage sma n e s Wis Abbildung 17: Die Wissenstreppe im Marketing Quelle: in Anlehnung an North 2005, S. 32. Von einer wissensorientierten Unternehmensführung im Marketing kann nur gesprochen werden, wenn alle Stufen der Wissenstreppe gestaltet werden. Ist eine Stufe nicht ausgebildet, so kann diese einen Stolperstein auf dem Weg zu „intelligentem Marketing“ darstellen. Strategisches Wissensmanagement durchläuft die Wissenstreppe von oben nach unten; hierbei geht es darum, das Wissensmanagement im Marketing so zu gestalten, dass es im Sinne einer Marketing Intelligence die Entscheider- und Entscheidungsunterstützung von Marketingmanagern und damit letztendlich die Effektivität und Effizienz von Marketingentscheidungen verbessert. Ausgangspunkt in strategischer Hinsicht stellt daher die Zielsetzung eines umfassenden Wissensmanagements für das Marketing und daraus resultierend von Marketing Intelligence als System dar. Für Marketing Intelligence stellt sich auf dieser strategischen (System-)Ebene insbesondere die Frage, welche Kompetenzen ein Marketingentscheider besitzen sollte und welches Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 127 handlungsorientierte Marketingwissen („Marketing Know-how“) erforderlich ist, um „intelligente“ Entscheidungen treffen zu können. Operatives Wissensmanagement hingegen verläuft die Wissenstreppe von unten nach oben und impliziert die Überführung von Marketingdaten über Marketinginformationen hin zu Marketingwissen – also den Pfad, die (strategische) Zielsetzung einer Marketing Intelligence zu verwirklichen. Damit sind – jeweils für den konkreten Problem- bzw. Entscheidungsfall – die einzelnen Marketing Intelligence-Prozesse angesprochen, um auf dem Weg von bloßen Marketingdaten und -informationen möglichst weit in Richtung handlungsorientierten, umsetzbaren Marketingwissens voran zu kommen.330 Grundsätzlich sind daher für Marketing Intelligence im Sinne eines ganzheitlichen Wissensmanagements sowohl strategische als auch operative Aspekte von Bedeutung. Bei der Generierung von entscheider- und entscheidungsrelevantem Marketingwissen handelt es sich um einen operativen Prozess, in dessen Rahmen der Wissensbestand im Marketing kontinuierlich zu aktualisieren, zu integrieren und auf diese Weise zu erweitern ist. Zum einen ist darauf zu achten, dass das vorhandene Marketingwissen tatsächlich genutzt wird und in Entscheidungen einfließt, um den Wissensbestand im Marketing durch Lernprozesse verändern bzw. anpassen zu können; zum anderen ist es nötig, den Wissensbestand im Marketing fortlaufend zu erweitern bzw. zu aktualisieren, indem neu erworbenes Wissen mit vorhandenem Wissen integriert wird. In strategischer Hinsicht ist Marketing Intelligence als System zu verstehen, dessen grundlegende Zielsetzung in der Unterstützung des Marketingentscheiders und damit in einer generellen Verbesserung der Marketingentscheidung durch die Bereitstellung von entscheiderund entscheidungsrelevantem Marketingwissen besteht. Das Konzept des Wissensmanagements kann daher als das Fundament von Marketing Intelligence verstanden werden. Durch dessen zyklischen Verlauf in Form einer Wissensspirale wird kontinuierlich neues Marketingwissen geschaffen und die Wissensbasis im Marketing erweitert bzw. aktualisiert. Dies führt wiederum zu einer Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing. Marketing Intelligence ebnet somit durch kontinuierliche Lernprozesse den Weg für ein „intelligentes Marketing“. 330 Zur Differenzierung zwischen strategischem und operativem Wissensmanagement siehe auch das Modell der „Bausteine des Wissensmanagements“ von Probst, Raub und Romhardt (vgl. hierzu Abschnitt 4.3.4). 128 4.4 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence Konzeptioneller Bezugsrahmen von Marketing Intelligence Auf Grundlage der theoretischen Überlegungen lässt sich nun zusammenfassend ein konzeptioneller Bezugsrahmen erarbeiten, der in einer ganzheitlichen Betrachtungsperspektive möglichst viele Aspekte eines Marketing IntelligenceKonzepts abbildet. Marketing Intelligence ist als eine intermediäre Funktion zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen zu betrachten. Dies heißt jedoch keinesfalls, dass es sich hierbei um eine weitere Stelle zwischen den beiden Subsystemen handelt, sondern vielmehr ist Marketing Intelligence eine Funktion, die nur durch die Zusammenarbeit bzw. Verknüpfung der Daten- und der Entscheidungsseite im Marketing zu erbringen ist. Für die Generierung von entscheider- und entscheidungsorientiertem Marketingwissen – wie es im Sinne einer Marketing Intelligence gefordert wird – ist daher eine Integration der Marketingdaten bzw. -informationen in die Entscheidungsprozesse des Marketings notwendig. Marketing Intelligence im umfassenden Sinne beinhaltet zwei zentrale Aspekte: Zum einen die Fähigkeit, disaggregierte Daten über Kunden, Wettbewerber etc. in Informationen und diese in verwertbares, handlungsorientiertes Marketingwissen zu transformieren; zum anderen die Fähigkeit, auf diese Weise zur Lösung von Problemen, zur Bewältigung neuer Anforderungen und Situationen zu gelangen. Marketing Intelligence betrifft also das Management von marketingrelevantem Wissen, um auf diese Weise bestmögliche Marketingentscheidungen treffen zu können.331 Aus der in der vorliegenden Arbeit besonders beachteten Perspektive der Angebotsseite von problemrelevanten Marketinginformationen Marketingdaten stellt neben sich die aggregierten Frage, welche Markt- bzw. Marktforschungsdaten noch benötigt werden, damit tatsächlich entscheider- und entscheidungsrelevantes Marketingwissen entstehen kann. Die Nutzung des Marketingwissens und damit die eigentliche Entscheidung hingegen sind dem Aufgabenbereich des Marketinginformationen Marketingmanagements – zuzuordnen. Bezugsrahmen von Marketing Intelligence. 331 Vgl. Wimmer/Göb 2005, S. 389. – der Nachfrageseite von Abbildung 18 veranschaulicht den Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence 129 (Angebotsseite von Marketinginformationen) Informationsebene Wissensebene Datenebene Entscheidung ENTSCHEIDUNGSSEITE Marketing Intelligence-Cycle (Nachfrageseite von Marketinginformationen) DATENSEITE UNTERNEHMENSEINFLÜSSE UMWELTEINFLÜSSE Abbildung 18: Der Bezugsrahmen von Marketing Intelligence Grundsätzlich wird deutlich, dass Marketing Intelligence als eine intermediäre Funktion zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen zu charakterisieren ist. Im Sinne des Wissensmanagements umfasst Marketing Intelligence dabei drei Ebenen: die Datenebene, die Informationsebene sowie die Wissensebene. Marketing Intelligence überführt in prozessualer Hinsicht Marketingdaten in Marketinginformationen und diese wiederum in Marketingwissen. Dieses Wissen stellt schließlich die Grundlage von Marketingentscheidungen dar. Insgesamt entsteht auf diese Weise ein Kreislauf, der so genannte Marketing Intelligence-Cycle. Der Marketing Intelligence-Cycle in prozessualer (operativer) Hinsicht überführt vorhandene Daten in Informationen und diese über „Insights“ in Wissen, auf dessen Grundlage „intelligentes Marketing“, das heißt eine Verbesserung der Entscheidungsqualität, möglich ist. Hierfür ist im Marketing eine kontinuierliche, 130 Theoretische Fundierung von Marketing Intelligence interaktive Zusammenarbeit zwischen Daten- und Entscheidungsseite auf den einzelnen Prozessebenen notwendig. Die vom Marketingmanagement umgesetzte Entscheidung bzw. Handlung manifestiert sich in der Regel in konkreten Maßnahmen, deren Wirkungen auf der Datenebene in Form von Reaktionen (beispielsweise von Seiten der Kunden oder auch Wettbewerber) erfasst werden. Durch Analyse und Bewertung der neuen Daten gelangt man wiederum zu Informationen und letztendlich zu Wissen; auf diese Weise können zum einen Rückschlüsse auf die Qualität der realisierten Marketingentscheidung gezogen werden und zum anderen ergeben sich Möglichkeiten und Restriktionen für neue Lernprozesse bzw. Erkenntnisse bezüglich zukünftiger Frage- und Problemstellungen des Marketings. In strategischer Hinsicht kann der Marketing Intelligence-Cycle als System somit im Sinne des organisatorischen Lernens zu einer kontinuierlichen Erweiterung bzw. Aktualisierung der Marketingwissensbasis und damit zu einer stetigen Verbesserung Marketingentscheidungsprozesses beitragen. der Leistungsfähigkeit des 5 Der Marketing Intelligence-Cycle – Entwicklungsschritte zur Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing Der Marketing Intelligence-Cycle 5.1 Der Marketing Intelligence-Cycle aus System- und Prozesssicht Marketing Intelligence ist, wie bereits erläutert, im Sinne eines umfassenden Wissensmanagements sowohl aus strategischer als auch aus operativer Perspektive zu betrachten. In strategischer Hinsicht geht es darum, im Unternehmen einen Marketing Intelligence-Cycle zu implementieren, der quasi als System im Sinne des organisatorischen Lernens zu einer kontinuierlichen Generierung von Marketingwissen und damit zu einer stetigen Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung des Marketings beiträgt. Grundsätzlich soll ein solches System sicherstellen, dass auch der operative Prozess von Marketing Intelligence (bezogen auf einen konkreten Entscheidungsfall) im Sinne einer Lernspirale funktioniert. Hierbei überführt Marketing Intelligence in prozessualer Hinsicht vorhandene Daten in Informationen und diese wiederum in Wissen, das den Marketingentscheider in Bezug auf die jeweilige Frage- bzw. Problemstellung bei seiner Entscheidungsfindung unterstützt und damit letztendlich zu einer Verbesserung der Marketingentscheidung für einen konkreten Entscheidungstatbestand führt. 5.1.1 Der Marketing Intelligence-Cycle als System Marketing Intelligence zeichnet sich vor dem Hintergrund des Wissensmanagements durch einen holistischen Umgang mit der Ressource Wissen aus. Dennoch wird es aufgrund der komplexen Marketingumwelt bei gleichzeitig beschränkter Rationalität der handelnden Personen nicht möglich sein, eine zentrale Stelle zu schaffen, die für die Bereitstellung entscheidungsrelevanter Marketinginformationen sowie deren Allokation in die Entscheidungsprozesse des Marketings zuständig ist. Ganz im Gegenteil müssen alle Akteure der Daten- und Entscheidungsseite mitwirken, damit Marketingwissen geschaffen wird, das schließlich zu einer Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing führt. In dieser Hinsicht muss Marketing Intelligence als System quasi eine „Infrastruktur“ implementieren, die 132 Der Marketing Intelligence-Cycle im Sinne des organisatorischen Lernens zu einer stetigen Erweiterung der Marketingwissensbasis und damit zu einer kontinuierlichen Verbesserung der Entscheidungsprozesse im Marketing führt. Um diese Zielsetzung zu erreichen, hat Marketing Intelligence geeignete Strukturen zu entwickeln. Zum einen ist hierfür eine funktionale Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen erforderlich und zum anderen sind auch informationstechnologische Systeme zu implementieren, welche die Aufgaben einer Marketing Intelligence unterstützen bzw. überhaupt erst ermöglichen. Generell entsteht Marketing Intelligence, wie bereits erörtert, erst durch das Zusammenwirken von Angebots- und Nachfrageseite von Marketinginformationen. Als sinnvoll erscheint daher ein Kreislauf, der bestehende Marketingdaten und -informationen so in die Entscheidungsprozesse des Marketings integriert, dass durch Schaffung einer fundierten Marketingwissensbasis der Entscheidungsträger bei seiner Entscheidungsfindung unterstützt wird und somit die Qualität von Marketingentscheidungen verbessert wird. Der Marketing Intelligence-Cycle umfasst als Prozessstufen die Daten-, Informations- und Wissensebene (siehe Abbildung 19). Datenebene Informationsebene • Definition des Analyseziels • Prozess der Datenintegration • Informationsbedarfsanalyse • Verfahren zur Analyse von Marketingdaten Analyse, Anreicherung • Generierung von Marketing Insights Problemverständnis • Ganzheitliches Management von Wissen Problemlösung Abbildung 19: Der Marketing Intelligence-Cycle ati o pre t Wissensebene • Wissensschaffung und -verteilung (Sozialisation, Externalisierung, Kombination, Internalisierung) Int er on k ti ele -S Re n, Re fle xio n Se lek tio n Problemdefinition Datenseite (Angebotsseite von Marketinginformationen) Entscheidungsseite (Nachfrageseite von Marketinginformationen) Der Marketing Intelligence-Cycle 133 Ein grundlegendes Element des Marketing Intelligence-Cycles ist die Datenebene. Hier erfolgt die Selektion von Marketingdaten, die insbesondere durch die Systematisierung und Konkretisierung von Marketingproblemen sowie durch die darauf aufbauende Analyse des Informationsbedarfs determiniert wird. Auf diese Weise wird in Zusammenarbeit von Angebots- und Nachfrageseite von Marketinginformationen ein Rahmen gesteckt, der den Entscheidungstatbestand eingrenzt; sicherlich handelt es sich hierbei nicht um eine detaillierte Planung. Vielmehr soll das Handlungsfeld in Form einer Problemdefinition abgesteckt werden. Das stetige Wachstum der Datenbestände im Marketing macht allerdings den Zugriff auf die benötigten Marketinginformationen immer schwieriger. Daher ist es notwendig, die erforderlichen Daten aus der Vielzahl an verfügbaren Marketingdaten zu filtern, sie gegebenenfalls mit zusätzlichen (extra zu erhebenden) Marketingdaten zu ergänzen und anschließend zu aussagekräftigen Marketinginformationen zu integrieren. Durch Analyse der integrierten, entscheidungsrelevanten Marketingdaten wird schließlich ein umfassendes Problemverständnis erlangt. Der Übergang zur Informationsebene impliziert demnach die Anreicherung und Analyse entscheidungsrelevanter Marketingdaten, so dass für den Entscheidungsträger ein Informationswert entsteht. Diese Tätigkeiten fallen, wie auch in Abbildung 19 ersichtlich, insbesondere in den Tätigkeitsbereich der Angebotsseite von Marketinginformationen. Um die Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing zu verbessern, ist jedoch die Generierung von Marketingwissen erforderlich. Hierfür bedarf es einer Interpretation und Reflexion der Marketinginformationen, welche den Übergang zur Wissensebene ausmachen. Erst auf dieser Ebene erfolgt die eigentliche Integration der Marketinginformationen in die Entscheidungsprozesse des Marketings, weil erst hier Marketingentscheider das gewonnene Sach- bzw. Faktenwissen in den Kontext ihres Erfahrungswissens einbetten und mit ihrem Verstand bewerten, um daraus Schlussfolgerungen für ihr Handeln zu ziehen. Solches handlungsorientiertes Wissen umfasst die Gesamtheit der Fähigkeiten und Kenntnisse, die Marketingentscheider zur Problemlösung heranziehen; es kann damit unmittelbar in Handlungen umgesetzt werden. Die Kernelemente der Wissensebene bilden die Wissensschaffung sowie das systematische Management der Ressource Marketingwissen. Auf dieser Ebene des Marketing Intelligence-Cycles ist die Überbrückung der häufig bestehenden Kluft zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen besonders wichtig, da diese sich andernfalls in Form von Wissensbarrieren unmittelbar auf die Schaffung und das Management von Marketingwissen auswirkt; 134 Der Marketing Intelligence-Cycle dies würde schließlich die Entscheidungsunterstützung des Marketingmanagers bebzw. unter Umständen sogar verhindern. 5.1.2 Der Prozess von Marketing Intelligence als Lernspirale Marketing Intelligence entsteht durch einen Kreislauf über die Daten-, Informationsund Wissensebene hinweg. Der Marketing Intelligence-Cycle, der in systemischer Hinsicht insgesamt zu einer Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung des Marketings führt, stellt sicher, dass der (operative) Prozess von Marketing Intelligence für einen konkreten Entscheidungsfall im Sinne einer Lernspirale funktioniert. Der Prozess von Marketing Intelligence überführt – bezogen auf einen konkreten Einzelfall – die benötigten Marketingdaten in Informationen und diese wiederum in Wissen. Für einen einzelnen, spezifischen Entscheidungsfall stellt sich der Prozess folgendermaßen dar: Ausgangspunkt ist eine spezifische Problem- bzw. Fragestellung des Marketings. Nachdem diese ausreichend systematisiert und konkretisiert wurde und damit der Rahmen des jeweiligen Entscheidungsfalls in Form einer Problemdefinition abgesteckt wurde, wird der erforderliche Informationsbedarf festgelegt. In einem weiteren Schritt werden schließlich aus der Vielzahl der verfügbaren Marketingdaten die tatsächlich entscheidungs- und entscheiderrelevanten Daten selektiert und gegebenenfalls noch zusätzliche Daten, die für die Entscheidungsfindung benötigt werden, beschafft. Die relevanten Marketingdaten (und nur diese) werden zu einer einheitlichen Datenbasis verknüpft und anschließend mittels geeigneter Verfahren analysiert. Sie erlangen einen Informationswert und liefern somit ein tiefergehendes Verständnis für den jeweiligen Entscheidungsfall. Dieses generierte Faktenwissen verknüpft der Marketingentscheider schließlich mit seinem persönlichen Erfahrungswissen aus früheren (ähnlichen) Entscheidungssituationen, interpretiert sodann das zweckorientierte Marketingwissen mittels seiner praktischen Fertigkeiten und gelangt schließlich zu handlungsorientiertem Marketingwissen, das er direkt in Form einer konkreten Entscheidung bzw. Handlung umsetzen kann. Nachdem für eine spezifische Problem- bzw. Fragestellung eine Entscheidung getroffen wurde und diese durch spezifische Maßnahmen umgesetzt wurde, entstehen oft weitere, mit dem ursprünglichen Entscheidungsfall verbundene Fragebzw. Problemstellungen. Diese durchlaufen wieder die drei Prozessstufen des Der Marketing Intelligence-Cycle 135 Marketing Intelligence-Cycles, allerdings bereits auf einer höheren Wissensebene (vgl. Abbildung 20). Auf Grundlage dieser „besseren“ Marketingwissensbasis wird wieder eine Entscheidung getroffen, welche die ursprüngliche Marketingentscheidung in der Regel optimiert (beispielsweise in Form einer Modifikation). Auch diese angepasste Entscheidung bzw. Handlung kann wiederum weitere neue bzw. ergänzende Frage- bzw. Problemstellungen mit sich bringen und stößt somit einen neuen Durchlauf des Marketing Intelligence-Cycles an, jedoch auf einem noch höheren Wissensstand. Insgesamt entsteht somit ein spiralförmiger Prozess; das heißt, idealtypisch wird der Marketing Intelligence-Cycle immer wieder auf einem stetig steigenden Wissensstand durchlaufen. Dadurch wird für einen spezifischen Entscheidungstatbestand jedes Mal eine neue, verbesserte Marketingwissensbasis geschaffen, von der aus wieder eine neue Windung der Wissensspirale durchlaufen werden kann. Sicherlich ist es dem Marketing aufgrund begrenzter Zeit- und Budgetvorgaben nicht möglich, diesen Prozess für ein spezifisches Entscheidungsproblem beliebig häufig zu wiederholen. Offensichtlich ist jedoch, dass jeder weitere Durchlauf des spiralförmigen Prozesses von Marketing Intelligence grundsätzlich zu einer stetigen Erweiterung bzw. Aktualisierung des Marketingwissens für einen konkreten Entscheidungsfall beiträgt. Abbildung 20 veranschaulicht den beschriebenen Prozess von Marketing Intelligence für ein spezifisches Marketingproblem. Idealtypisch ergibt sich für jedes Entscheidungsproblem ein solcher spiralförmiger Verlauf des Marketing Intelligence-Cycles. Das bedeutet, dass im Marketing insgesamt eine Vielzahl solcher spiralförmiger Marketing Intelligence-Prozesse abläuft, nämlich für sämtliche Entscheidungsfälle. Der Marketing Intelligence-Cycle als System bringt somit einerseits eine permanente Verbesserung der Marketingwissensbasis und andererseits eine Erhöhung der Kompetenz der Marketingentscheider mit sich; er stellt sicher, dass der Prozess von Marketing Intelligence als Lernspirale durchlaufen wird. Auf diese Weise wird nicht nur der Wissensstand im Marketing erhöht, sondern auch der Marketing Intelligence-Cycle selbst optimiert, so dass der Prozess von Marketing Intelligence immer effektiver und effizienter ablaufen kann. 136 Der Marketing Intelligence-Cycle n Datenebene Informationsebene Wissensebene Kontinuierliche Verbesserung der Marketingwissensbasis für gleiche bzw. ähnliche Problemstellungen Datenebene Informationsebene Wissensebene Datenebene Informationsebene Wissensebene Datenebene Informationsebene Wissensebene Problem Abbildung 20: Der Prozess von Marketing Intelligence Der Marketing Intelligence-Cycle ist stets in seiner Gesamtheit zu betrachten. Nur so ist sicherzustellen, dass eine Lernspirale entsteht, welche den lernenden Charakter des Prozesses einer Marketing Intelligence widerspiegelt. Im Folgenden werden nun die einzelnen Elemente des Marketing Intelligence-Cycles genauer betrachtet und Handlungsempfehlungen für eine Integration von Marketinginformationen in die Entscheidungsprozesse des Marketings abgeleitet. Obwohl die einzelnen Prozessstufen des Marketing Intelligence-Cycles getrennt voneinander betrachtet werden, darf dabei der holistische, interdependente Charakter der Elemente nicht außer Acht gelassen werden. Der Marketing Intelligence-Cycle 5.2 137 Datenebene des Marketing Intelligence-Cycles Das Angebot von Marketingdaten steigt aufgrund der verbesserten Informations- und Kommunikationstechnologie permanent an. Neben unternehmensinternen Daten, die „automatisch“ im Rahmen der operativen Geschäftsprozesse anfallen, sehen sich Marketingentscheider zusätzlich mit (extra zu erhebenden) unternehmensexternen sowie aggregierten Markt- bzw. Marktforschungsdaten konfrontiert. 332 Es wird daher immer schwieriger, aus dieser Datenflut die tatsächlich relevanten, vom Entscheider benötigten Marketingdaten zu selektieren. Grundsätzlich geht es daher auf der Datenebene des Marketing Intelligence-Cycles darum, bestehende Frage- bzw. Problemstellungen zu konkretisieren und zu systematisieren sowie den erforderlichen Informationsbedarf zu analysieren. 5.2.1 Konkretisierung und Systematisierung von Marketingproblemen durch Analyseziele Ausgangspunkt des Marketing Intelligence-Prozesses bildet ein spezifisches Marketingproblem. Dieses kann entweder auf der strategischen Ebene angesiedelt sein und in einer strategischen Entscheidung resultieren oder die operative Ebene betreffen und dort gegebenenfalls zu einer Routineentscheidung führen. 333 Die Zielsetzung sowohl bei strategischen als auch bei operativen Entscheidungen besteht stets darin, das vorliegende Marketingproblem zu lösen; die zu gewinnenden Erkenntnisse sollten beispielsweise zur Beantwortung spezifischer Problem- bzw. Fragestellungen oder auch Handlungsmaßnahmen dienen. zur Gestaltung von Marktbearbeitungs- bzw. 334 Um überhaupt ein Marketingproblem zu erkennen, werden in der Regel schon Marketingdaten benötigt. So können Kontrolldaten dem Marketing Hinweise liefern, inwieweit beispielsweise bereits implementierte Marketingmaßnahmen den Kundenwünschen gerecht werden oder ob sie gegebenenfalls zu modifizieren bzw. anzupassen sind. Aus vorhandenen Situations- bzw. Prognosedaten hingegen kann häufig abgeleitet werden, ob und gegebenenfalls welche Aktionen geplant werden 332 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.2.2. 333 Siehe zur Differenzierung Abschnitt 3.1.1.2. 334 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 161ff. idealtypischer Ausprägungen von Marketingentscheidungen 138 Der Marketing Intelligence-Cycle sollten. Die Identifikation eines bestehenden Marketingproblems reicht jedoch noch nicht aus, um den erforderlichen Informationsbedarf abzuleiten und sich für ein geeignetes analytisches Vorgehen (zum Beispiel für ein bestimmtes Analyseverfahren) zu entscheiden. Darüber hinaus ist es notwendig, die bestehende Problem- bzw. Fragestellung zu konkretisieren. Hierfür liegen insbesondere zwei Gründe vor: Zum einen zeichnen sich auftretende Marketingprobleme anfangs durch einen eher allgemeinen Charakter aus, so dass die Ableitung spezifischer Handlungskonsequenzen oder auch analytischer Fragestellungen nur schwer möglich ist. Zum anderen können bei der Problemdefinition weitere bedeutsame Sachverhalte aufgedeckt werden, die durch die Konkretisierung erst zum Vorschein kommen.335 Obgleich eine Konkretisierung des Marketingproblems häufig eher vernachlässigt wird, ist sie durchaus von Bedeutung, da bei der anschließenden Datenanalyse nur diejenigen Problemaspekte berücksichtigt werden können, die bereits hier als relevant erachtet wurden. In einem weiteren Schritt ist es notwendig, das nunmehr konkretisierte Marketingproblem zu systematisieren und zu operationalisieren; das heißt, das Marketingproblem ist in beobachtbare und damit auf Basis von Daten messbare Sachverhalte zu zerlegen. Resultat ist hierbei die Formulierung eines Analyseziels – idealtypisch in Form einer analytischen Fragestellung. 336 Abbildung 21 verdeutlicht exemplarisch anhand eines CRM-Problems, wie aus anfangs noch generellen Marketingproblemen spezifische analytische Zieldefinitionen abgeleitet werden können. 335 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 163f. 336 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 165. Fragestellungen in Form von Der Marketing Intelligence-Cycle CRMProblem bzw. -Ziel Konkretisiertes CRM-Problem bzw. -Ziel 139 Basisstrategie Kundenrückgewinnung: Verringerung der Abwanderungsrate Untersuchung des Abwanderungsverhaltens Vermeidung der Abwanderung Entwicklung einer Kundenbindungskampagne Fachliche Ebene Analyseziel Welche Kunden sind bereits abgewandert? Was sind die typischen Abwanderungsgründe? Welche Kunden sind abwanderungsgefährdet? Welche Kunden sollen wir direkt ansprechen? Analyseebene Abbildung 21: Vom CRM-Problem zum Analyseziel (Beispiel Kundenrückgewinnung) Quelle: in Anlehnung an Neckel/Knobloch 2005, S. 167. Selbst für die Konkretisierung und Systematisierung von Marketingproblemen und -fragestellungen ist bereits eine Zusammenarbeit zwischen der Angebots- und Nachfrageseite von Marketinginformationen erforderlich: Während auf der fachlichen Ebene insbesondere das Konkretisieren eines CRM-Problems bzw. –Ziels eher in den Aufgabenbereich der Entscheidungsseite fällt, obliegt es auf der Analyseebene vorwiegend der Datenseite, hieraus spezifische Analyseziele abzuleiten. Ein Analyseziel bzw. eine analytische Fragestellung liefert zum einen erste Hinweise für Informationsmanager (bzw. Marketingentscheider), welche Marketingdaten hierfür benötigt werden, und zum anderen ergeben sich bereits Anhaltspunkte bezüglich geeigneter Verfahren und Methoden der Datenanalyse. 140 Der Marketing Intelligence-Cycle 5.2.2 Gap-Modell der Informationsbedarfsanalyse zur Aufdeckung möglicher Diskrepanzen zwischen Informationsnachfrage und Informationsangebot „Umfang, Genauigkeit und Häufigkeit bereitzustellender Informationen werden vom Informationsbedarf der einzelnen […] Entscheidungsträger […] bestimmt. Dieser Informationsbedarf hängt ab von den konkreten Aufgabenstellungen, den verfolgten Zielen und von sozial- und individualpsychologischen Eigenschaften der Entscheidungsträger.“ 337 Die Festlegung des jeweils im Einzelfall bestehenden bzw. subjektiv wahrgenommenen Informationsbedarfs wird also von diversen Faktoren determiniert. Grundsätzlich benötigen Marketingentscheider aufgrund unterschiedlicher kognitiver Stile338 divergierende Informationen für die Entscheidungsfindung; das heißt, nicht alle Marketinginformationen sind für den einzelnen Entscheidungsträger gleich nützlich. Darüber hinaus ordern Marketingentscheider nicht selten auch Informationen, die sie für bestimmte Fragestellungen bzw. Entscheidungen gar nicht benötigen; der subjektiv geäußerte Bedarf an Marketinginformationen differiert somit von den objektiven Erfordernissen des Entscheidungstatbestandes. Neben diesem eher durch den Entscheider selbst hervorgerufenen Auseinanderklaffen zwischen Informationsangebot und -bedarf kann es auch vorkommen, dass für spezifische Situationen gar keine oder nur wenige Informationen vorliegen bzw. beschafft werden können. Für andere Entscheidungen hingegen liegt eine Vielzahl heterogener Daten vor, die häufig kaum überschaubar sind. Hiermit sind die Probleme des Informationsmangels und des Informationsüberflusses angesprochen, welche auch bei der Informationsplanung339 im Marketing zu berücksichtigen sind. Vor diesem Hintergrund wird in den folgenden Ausführungen die Festlegung des Informationsbedarfs im Marketing erläutert, indem zum einen das mögliche Auseinanderklaffen von Informationsbedarf und Informationsangebot und zum anderen die eventuell daraus resultierenden Folgen des Informationsmangels und des Informationsüberflusses erörtert werden. Der Informationsbedarf ist als Auslöser der Informationsbeschaffung zu verstehen. Dem vom Marketingentscheider geäußerten Informationsbedarf wird zunächst ein 337 Picot/Reichwald 1991, S. 256. 338 Siehe ausführlich Abschnitt 3.1.2.3. 339 Die Informationsplanung als Subprozess des Informationsmanagements umfasst die Analyse der Informationsbedarfe sowie der potenziellen Informationsquellen (vgl. Christian 2002, S. 55). Der Marketing Intelligence-Cycle 141 Informationsangebot gegenübergestellt, wobei dieses nicht notwendigerweise mit den nachgefragten Informationen übereinstimmen muss. 340 Zudem kann auch, wie bereits angedeutet, die subjektive Nachfrage von den objektiven Erfordernissen abweichen. Folglich erweist es sich auch im Marketing als schwierige Aufgabe, den „[s]ubjektiven und objektiven Informationsbedarf, die Informationsnachfrage und das Informationsangebot möglichst weitgehend in Übereinstimmung zu bringen“ 341. Bevor detailliert auf die vielfältigen potenziellen Lücken zwischen der Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen eingegangen wird und insbesondere die daraus resultierenden Schwierigkeiten der Informationsplanung im Marketing aufgezeigt werden, erscheinen zunächst einige terminologische Klärungen dieser Konstrukte als sinnvoll. Beginnend mit dem Informationsbedarf ist zwischen objektivem und subjektivem Informationsbedarf zu unterscheiden. Der objektive Informationsbedarf wird unabhängig von der Person des Entscheidungsträgers definiert und leitet sich allein aus der jeweiligen Aufgabenstellung ab. 342 Es ist demnach exakt der Bedarf angesprochen, der für eine spezifische Entscheidungssituation notwendig wäre. Da dieser Bedarf kaum (und wenn überhaupt lediglich im Nachhinein) zu erfüllen ist, ist der objektive Informationsbedarf als hypothetisches Konstrukt aufzufassen. Im Gegensatz zum objektiven Informationsbedarf wird der subjektive Informationsbedarf aus Perspektive des Entscheidungsträgers definiert. Es handelt sich hierbei um den Bedarf an Informationen, welcher dem einzelnen Individuum für die jeweilige Entscheidungssituation als relevant erscheint. 343 In vielen Arbeiten werden die Begriffe „subjektiver Informationsbedarf“ und „Informationsbedürfnis“ synonym verwendet344; der Bedeutungsgleichheit dieser beiden Begriffe wird auch in der vorliegenden Arbeit gefolgt. Davon lässt sich der Begriff der Informationsnachfrage abgrenzen. Die Informationsnachfrage bezeichnet den „von einem Entscheidungsträger faktisch geäußerten (ausgesprochenen) Wunsch nach bestimmten Informationen“ 345 und 340 Vgl. Brockhoff 1983, S. 57. 341 Picot/Reichwald 1991, S. 276. 342 Vgl. Picot/Reichwald 1991, S. 275f.; Berthel 1992, Sp. 873; Gemünden 1993, Sp. 1728; Standop 1995, Sp. 964f.; Vornkahl 1997, S. 37; Garbe 1984, Sp. 1874. 343 Vgl. Picot/Reichwald 1991, S. 275; Vornkahl 1997, S. 36f.; Berthel 1992, Sp. 873; Gemünden 1993, Sp. 1726ff. 344 Vgl. u.a. Roleff 2001, S. 64; Vornkahl 1997, S. 36. 345 Roleff 2001, S. 66. 142 Der Marketing Intelligence-Cycle stellt daher für gewöhnlich nur eine Teilmenge des subjektiven Informationsbedarfs dar. Dies kann schon allein durch vorgegebene Budgetrestriktionen bedingt sein. Abbildung 22 veranschaulicht die dargestellten Zusammenhänge zwischen dem objektiven und subjektiven Informationsbedarf sowie der Informationsnachfrage: Subjektiver Informationsbedarf Objektiver Informationsbedarf Informationsstand Informationsangebot Tatsächliche Informationsnachfrage Abbildung 22: Zusammenhang zwischen objektivem und subjektivem Informationsbedarf, Informationsnachfrage und Informationsangebot Quelle: in Anlehnung an Picot/Reichwald 1991, S. 276. Aus Abbildung 22 geht hervor, dass bei der Informationsplanung zudem das Informationsangebot zu berücksichtigen ist. Deutlich wird hierbei, dass das Informationsangebot in der Regel nicht der Informationsnachfrage des Entscheidungsträgers entspricht. Konsequenzen hiervon können einerseits Informationsmangel (entspricht in Abbildung 22 dem Teil des Informationsnachfragekreises, der nicht durch den Kreis des Informationsangebots gedeckt wird) und andererseits Informationsüberfluss (entspricht in Abbildung 22 dem Teil des Informationsangebotskreises, der nicht durch den Kreis der Informationsnachfrage gedeckt wird) sein. Im Anschluss an diese theoretische Erläuterung der Begrifflichkeiten soll nun detailliert betrachtet werden, wie derartige Lücken zwischen der Nachfrage- und Angebotsseite von Marketinginformationen entstehen können. Das „Gap-Modell der Der Marketing Intelligence-Cycle Informationsbedarfsanalyse“ 143 (siehe Abbildung 23) veranschaulicht graphisch potenzielle Lücken bei der Informationsplanung im Marketing: 346 Objektiver Informationsbedarf Entscheidungsseite (Nachfrageseite von Marketinginformationen) Subjektiver Informationsbedarf Kommunizierter Informationsbedarf Erfasster Informationsbedarf Informationsstand Realisierbares Informationsangebot Datenseite (Angebotsseite von Marketinginformationen) Subjektives Informationsangebot Objektives Informationsangebot Menge an Marketinginformationen Abbildung 23: Das „Gap-Modell“ der Informationsbedarfsanalyse im Marketing Quelle: in Anlehnung an Christian 2002, S. 60. Ausgangspunkt ist die Nachfrageseite von Marketinginformationen. Ausgehend von einer spezifischen Frage- bzw. Problemstellung im Marketing beschreibt der objektive Informationsbedarf diejenige Menge an Informationen, die exakt für die jeweilige Entscheidungssituation notwendig wäre. Dazu muss die Fragestellung komplett beschreibbar und vollständig operationalisierbar sein; dies ist (wenn überhaupt) für Entscheidungstatbestände im Marketing bestenfalls im Nachhinein möglich.347 Folglich wird im Marketing immer eine Lücke zwischen objektivem und subjektivem Informationsbedarf bestehen. Der subjektive Informationsbedarf – in der vorliegenden Arbeit Marketingentscheiders auch als bezeichnet Informationsbedürfnis – beschreibt den eines Bedarf, einzelnen den der Marketingentscheider für die jeweilige Situation als nötig erachtet. Hierbei handelt es sich um Marketinginformationen, die aus Sicht des Marketingentscheiders zur 346 Vgl. hierzu auch Christian 2002, S. 60ff. 347 Vgl. Vornkahl 1997, S. 37; Christian 2002, S. 60; Roleff 2001, S. 64. 144 Der Marketing Intelligence-Cycle Vorbereitung, Unterstützung und Bestätigung einer Entscheidung als essenziell eingestuft werden. 348 Der subjektive Informationsbedarf ist demnach von zwei Faktoren abhängig: von der Entscheidungssituation und vom kognitiven Stil des Entscheidungsträgers. Diese beiden Faktoren determinieren maßgeblich die Lücke zwischen objektivem und subjektivem Informationsbedarf. 349 Die Abhängigkeit des subjektiven Informationsbedarfs von der Entscheidungssituation bedingt, dass bei Frage- und Problemstellungen, die in gleicher Art und Weise immer wieder auftreten, sich auch der Informationsbedarf in gleicher Form wiederholen wird. Auf Dauer wird es somit möglich sein, eine immer bessere Kongruenz zwischen objektivem und subjektivem Informationsbedarf zu erzielen. In einem dynamischen, sich permanent ändernden Umfeld – wie auch dem Marketing – hingegen wird dies nicht möglich sein, da auch der objektive Informationsbedarf sich stets ändert; der Marketingentscheider wird ständig mit neuen bzw. angepassten Frage- und Problemstellungen konfrontiert. Aus diesem Grund wird im Marketing die Entscheidungssituation weniger zu einer Anpassung von objektivem und subjektivem Informationsbedarf beitragen. Durchaus denkbar ist allerdings, dass jene Marketingentscheider, die aufgrund langjähriger Berufserfahrung einen umfassenden Erfahrungsschatz besitzen, in einzelnen Situationen besser abschätzen können, welche Marketinginformationen für die Entscheidungsfindung relevant und welche eher zu vernachlässigen sind. Die Erfahrung und der Marketingentscheiders damit häufig können somit einhergehende die Lücke kognitive zwischen Stil objektivem eines und subjektivem Informationsbedarf verringern. Dennoch wird der objektive Informationsbedarf in der Regel niemals mit dem subjektiven Informationsbedarf übereinstimmen; wie aus Abbildung 23 hervorgeht, sind einerseits nicht alle Marketinginformationen des objektiven Bedarfs im subjektiven Informationsbedarf enthalten, andererseits wünscht der Marketingentscheider Informationen, die objektiv nicht relevant sind. Um die Lücke zwischen objektivem und subjektivem Informationsbedarf jedoch möglichst gering zu halten, sind für die jeweilige Problem- bzw. Fragestellung vorab konkrete Analyseziele festzulegen; 350 je detaillierter und zielgerichteter diese sind, desto 348 Vgl. Berthel 1992, Sp. 873; Vornkahl 1997, S. 36f.; Roleff 2001, S. 64. 349 Vgl. Christian 2002, S. 60; Vornkahl 1997, S. 46ff.; Breyer 1992, S. 87ff.; Diller 1975, S. 13f. 350 Siehe hierzu Abschnitt 5.2.1. Der Marketing Intelligence-Cycle besser ist auch eine 145 Angleichung zwischen objektivem und subjektivem Informationsbedarf möglich. Darüber hinaus treten auf der Nachfrageseite von Marketinginformationen noch weitere Lücken auf; diese entstehen allerdings in erster Linie durch Kommunikationsund Verständnisprobleme. Sobald ein Entscheidungsträger im Marketing seinen subjektiven Informationsbedarf definiert (und gegebenenfalls auch mit Kollegen abgesprochen bzw. abgestimmt) hat, muss er sein Informationsbedürfnis der Datenseite mitteilen. Hierbei handelt es sich entsprechend Abbildung 23 um den kommunizierten Informationsbedarf (in Abbildung 22 als Informationsnachfrage bezeichnet). Vorwiegend aufgrund von Mitteilungs- und Verständigungsproblemen kommt es zu einer Lücke zwischen subjektivem und kommuniziertem Informationsbedarf. So passiert es nicht selten, dass Marketingentscheider nur einen Teil des subjektiven Informationsbedarfs in Worte fassen (können) und somit gegenüber der Datenseite nicht ihr komplettes Informationsbedürfnis äußern. Von den Informationsmanagern der Datenseite wird dieser kommunizierte Informationsbedarf wiederum häufig nicht vollständig verstanden, was zu einer nochmaligen Abweichung – dem erfassten Informationsbedarf – führt. Die Datenseite kann folglich nur den erfassten Informationsbedarf befriedigen, der allerdings nicht den gesamten subjektiven Informationsbedarf eines Marketingentscheiders abgedeckt. Die entstehenden Lücken zwischen subjektivem, kommuniziertem und erfasstem Informationsbedarf sind also hauptsächlich auf die verschiedenen „Sprachwelten“ der Entscheidungs- und Datenseite im Marketing zurückzuführen, woraus nicht selten Kommunikations- Missverständnisse resultieren. 351 und Verständnisprobleme sowie Der Informationsmanager geht daher von einem Informationsbedarf des Marketingentscheiders aus, der nur partiell mit dem subjektiven und noch weniger mit dem eigentlich relevanten objektiven Informationsbedarf übereinstimmt. Analog hierzu ergeben sich auch auf der Angebotsseite von Marketinginformationen Lücken bei der Informationsplanung bzw. -beschaffung. Ausgangspunkt ist das objektive Informationsangebot; hierbei handelt es sich um unternehmensinterne und 351 In diesem Zusammenhang spricht Christian 2002 von einem hermeneutischen Fehlschluss: Obwohl beide Seiten glauben, sich zu verstehen, entstehen Missverständnisse, da häufig unterschiedliche Bedeutungen derselben Worte zugrunde gelegt werden (vgl. Christian 2002, S. 61). 146 Der Marketing Intelligence-Cycle -externe Marketingdaten, die dem Unternehmen potenziell zugänglich sind. 352 Für Informationsmanager ist es so gut wie unmöglich, alle entscheidungs- und entscheiderrelevanten Daten zu kennen und diese auch noch zu berücksichtigen. Deshalb entsteht zwischen objektivem und subjektivem Informationsangebot eine erste Lücke auf der Angebotsseite von Marketinginformationen. Das subjektive Informationsangebot umfasst diejenigen Marketingdaten, Informationsmanagern bekannt sind und von ihnen für den die jeweiligen Entscheidungsfall als relevant erachtet werden. Jedoch können auch diese in der Regel nicht vollständig abgerufen werden, weshalb eine weitere Kluft zwischen subjektivem und realisierbarem Informationsangebot entsteht. Nicht selten werden Informationsmanagern strenge zeitliche Vorgaben vom Marketing gesteckt, so dass es nicht möglich ist, bestimmte, vorwiegend auch primär zu erhebende Daten zu beschaffen. Außerdem determiniert auch die Zugänglichkeit das Informationsangebot; manche Informationen, beispielsweise Konkurrenzdaten, können durch die Datenseite, obgleich sie interessant sein mögen, nicht abgefragt werden. Schließlich beschränkt oftmals das Informationsbeschaffung. 353 Informationsbudget als ökonomische Barriere die Darüber hinaus beeinflusst der Informationsmanager selbst die Informationsbeschaffung im Marketing; seine Fähigkeiten beispielsweise bezüglich Informationssuche und -verwaltung sowie sein Bemühen, möglichst alle relevanten Daten zu bekommen, determinieren zudem die Lücke zwischen subjektivem und realisierbarem Informationsangebot. 354 Der Informationsstand stellt schließlich die Schnittstelle zwischen dem erfassten Informationsbedarf auf der Entscheidungsseite und dem realisierbaren Informationsangebot auf der Datenseite dar. Lediglich in diesem Bereich wird das Informationsbedürfnis des Marketingentscheiders befriedigt, sofern der Austausch der Marketinginformationen zwischen Daten- und Entscheidungsseite reibungslos abläuft. Diese aufgezeigten Lücken bei der Informationsplanung im Marketing können folglich zu einer Diskrepanz zwischen Informationsbedarf und Informationsangebot führen, woraus schließlich Informationsmangel bzw. Informationsüberlastung entstehen. Die dargestellte Problematik macht deutlich, dass der Informationsbedarfsanalyse sowie 352 Siehe dazu die Ausführungen bezüglich des Informationsangebots im Marketing in Abschnitt 3.2.2. 353 Vgl. Vornkahl 1997, S. 96ff.; Christian 2002, S. 62. 354 Vgl. hierzu auch Ballin 2005, S. 187ff. Der Marketing Intelligence-Cycle 147 damit verbunden der Analyse des Informationsangebots im Marketing eine große Bedeutung zugemessen werden sollte. Sicherlich ist es dabei notwendig, dass die Datenseite das Angebot an Marketinginformationen sowie deren Inhalte besser kennt, dennoch sollte auch die Entscheidungsseite zumindest eine groben Überblick darüber haben. Zusammenfassend veranschaulicht das Gap-Modell etwaige Inkongruenzen, die bei der Bedarfsanalyse zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen entstehen können. Es bietet somit die Möglichkeit, den Ablauf der Informationsbedarfsanalyse detailliert darzustellen. Die Bedarfsanalyse ist im Sinne einer Marketing Intelligence von entscheidender Bedeutung; nur wenn es gelingt, bereits auf der Datenebene eine qualitativ hochwertige Datenbasis für die anstehende Marketingentscheidung zu schaffen, können auch die nachfolgenden Prozessschritte des Marketing Intelligence-Cycles erfolgreich verlaufen. Ziel soll es daher sein, die aufgezeigten Lücken möglichst klein zu halten. Im Folgenden werden insbesondere vor dem Hintergrund dieses Modells Gestaltungshinweise gegeben, um den ersten Prozessschritt des Marketing Intelligence-Cycles, die Beschaffung und Bereitstellung bedarfsgerechter Marketingdaten, zu optimieren. 5.2.3 Sicherstellung einer bedarfsgerechten Problemdefinition durch interaktive Zusammenarbeit von Daten- und Entscheidungsseite Grundsätzlich hat die Informationsbedarfsanalyse enorme Auswirkungen auf den Marketing Intelligence-Cycle. In erster Linie beeinflusst sie die Beschaffung und Bereitstellung tatsächlich entscheidungs- und entscheiderrelevanter Marketingdaten; je präziser der Informationsbedarf analysiert und übermittelt wird, desto effektiver und effizienter kann die Informationsbeschaffung und -bereitstellung im Marketing ablaufen. Zudem wirkt sich die Informationsbedarfsanalyse auf die anschließende Anreicherung und Auswertung der Marketingdaten aus; so ist zu berücksichtigen, dass eventuell Daten aufgrund fehlender Brücken-Variablen nicht mit bereits vorliegenden Daten verknüpft werden können oder spezielle Analyseverfahren nicht durchführbar sind, da methodische Voraussetzungen (Skalenniveaus etc.) nicht gegeben sind. Deshalb ist eine detaillierte Abstimmung zwischen Marketingentscheidern und Informationsmanagern bereits auf der Datenebene maßgeblich für die weiteren Prozessstufen des Marketing Intelligence-Cycles. 148 Der Marketing Intelligence-Cycle Zur Durchführung einer zielgerichteten Informationsbedarfsanalyse im Marketing ist es empfehlenswert, ein Analyseraster heranzuziehen. Abbildung 24 verdeutlicht exemplarisch ein derartiges Raster zur Analyse von Informationsbedarfen: Hintergrund: Zu welchem Analyseziel wird die Information erhoben? Wozu? Inhalt: Welche Informationen werden benötigt? Was? Form: In welcher Art und Weise sollen Informationen erhoben werden? Wie? Bedarfsanalyse Nutzer: Welche Managementposition benötigt Informationen? Wer? Zeit: Zu welchem Zeitpunkt werden die Informationen benötigt? Wann? Abbildung 24: Raster zur Analyse des Informationsbedarfs Quelle: In Anlehnung an Dannenberg/Barthel 2004, S. 113. Eine erste Dimension für die Analyse des Informationsbedarfs betrifft die Konkretisierung und Systematisierung des Marketingproblems in Form von klar definierten Analysezielen. 355 Darauf aufbauend sind für die analytischen Fragestellungen jene Marketinginformationen zu bestimmen, die dem einzelnen Marketingentscheider als relevant erscheinen (subjektiver Informationsbedarf) und möglichst tatsächlich auch benötigt werden (objektiver Informationsbedarf). Daneben sind erforderliche Form sowie gewünschter Zeitpunkt der bereitzustellenden Marketinginformationen festzulegen. Solche Aspekte können wiederum das Informationsangebot einschränken (realisierbares Informationsangebot). Mittels eines solchen Rasters zur Informationsbedarfsanalyse kann es gelingen, dass einerseits möglichst wenige Marketinginformationen vernachlässigt werden, die für die Entscheidungsfindung relevant sind, und andererseits möglichst wenige 355 Siehe ausführlich Abschnitt 5.2.1. Der Marketing Intelligence-Cycle 149 Marketinginformationen geordert werden, die für die jeweilige Frage- bzw. Problemstellung nicht bedeutsam sind. Die W-Fragen des Analyserasters können somit dazu beitragen, eine möglichst große Überschneidung zwischen subjektivem Informationsbedarf und realisierbarem Informationsangebot zu erzielen. Damit sind allerdings noch nicht die „Gaps“ der Informationsplanung, die aufgrund von Kommunikations- und Verständnisproblemen entstehen, angesprochen. Um die Lücken zwischen subjektivem, kommuniziertem und erfasstem Informationsbedarf möglichst gering zu halten, ist im Marketing insbesondere auf eine adäquate Übermittlung des Informationsbedarfs zwischen Entscheidungs- und Datenseite zu achten. Aus den im Rahmen dieser Arbeit geführten Experteninterviews ging hervor, dass die Bedarfsübermittlung im Marketing häufig schriftlich, meistens per E-Mail, oder auch telefonisch erfolgt. Abteilungsübergreifende Treffen zwischen Angebotsund Nachfrageseite von Marketinginformationen hingegen stellen nur selten die Regel dar; derartige Treffen finden lediglich bei größeren Projekten bzw. Studien statt. Häufig erfolgt sogar die Bedarfsplanung ausschließlich durch das Marketing; das heißt, die Datenseite ist gar nicht involviert, sondern eigentlich im Sinne eines bloßen Datenlieferanten lediglich für die Beschaffung und Bereitstellung der gewünschten Marketingdaten zuständig. Es ist daher nicht verwunderlich, dass bei der Artikulation des Informationsbedarfs etliche Lücken auftreten. Entscheidungsträgern im Marketing wird es sicherlich nicht immer gelingen, ihren subjektiven Informationsbedarf zum einen vollständig und zum anderen so präzise zu äußern, dass Informationsmanager diesen komplett verstehen. Um derartige Lücken zwischen Informationsbedarf und -angebot möglichst gering zu halten, ist schon bei der Informationsbedarfsanalyse eine enge und interaktive Zusammenarbeit zwischen der Entscheidungs- und Datenseite im Marketing sicherzustellen. Die Datenseite ist daher von Anfang an in den Marketing Intelligence-Cycle einzubinden. Beide Seiten müssen sich im Sinne einer internen Kunden-Lieferanten-Beziehung auf den Standpunkt der jeweils anderen Partei auch wirklich einlassen. Häufig ist sogar ein längeres Gespräch hierfür nicht ausreichend. Vielmehr bietet sich die Implementierung von Projektteams an, die sich sowohl aus Marketing- als auch aus Informationsexperten zusammensetzen – so genannte Marketing Intelligence-Teams. So kann gemeinsam beispielsweise in einem Workshop der erforderliche Informationsbedarf für Problem- bzw. Fragestellungen eruiert werden. Aus den durchgeführten Experteninterviews ging auch hervor, dass in manchen Fällen sogar ein derartiger Workshop als nicht ausreichend erscheint; 150 Der Marketing Intelligence-Cycle manchmal ist daher die Mitarbeit eines Informationsmanagers im Marketing über einen längeren Zeitraum notwendig. 356 Grundlegend für eine interaktive Zusammenarbeit ist, dass beide Seiten versuchen, ein gemeinsames (sprachliches) Arbeitsumfeld aufzubauen. Aufgrund unterschiedlicher Aufgabenbereiche bestehen häufig differierende Sichtweisen: Während Marketingentscheider eher marktorientiert denken, ist die Informationsmanagern eher methoden- und verfahrensorientiert. 357 Denkweise von Zudem entstehen über die Zeit hinweg häufig auch abteilungsspezifische sprachliche Welten, die sich durch charakteristische Redestile und daraus resultierend durch die Verwendung spezifischer Fachtermini voneinander unterscheiden. 358 Darüber hinaus werden bei der Analyse von Informationsbedarfen jeweils spezifische Sachkenntnisse von Marketingentscheidern und Informationsmanagern verlangt. Marketingentscheider sollten neben umfassenden Kenntnissen über das Entscheidungsproblem auf der Fachebene auch detaillierte Markt- und Branchenkenntnisse besitzen; Informationsmanager hingegen müssen ihr Expertenwissen bezüglich geeigneter Methoden und Verfahren sowie generell bezüglich der Ressource Information einbringen. Weiterhin kann eine Verbesserungsmöglichkeit der Informationsbedarfsanalyse im Marketing darin bestehen, dass der von Daten- und Entscheidungsseite gemeinsam eruierte Informationsbedarf abschließend schriftlich dokumentiert wird. Hierfür bietet sich ein Marketing Intelligence-Handbuch an, das eine Art Pflichtenheft darstellt. Die Ergebnisse der Informationsbedarfsanalyse sind im Marketing Intelligence-Handbuch schriftlich zu fixieren und sowohl vom Marketingentscheider als auch vom Informationsmanager abzuzeichnen. Das Marketing Intelligence-Handbuch dient darüber hinaus quasi als „Auftragsbestätigung“; auch bei einer internen KundenLieferanten-Beziehung muss sich einerseits der Kunde – die Entscheidungsseite – darauf verlassen können, dass die gewünschten Informationen bedürfnisgerecht aufbereitet und zur richtigen Zeit verfügbar sind; andererseits möchte der Lieferant – 356 Diesbezüglich ist anzumerken, dass sicherlich nicht bei allen Marketingentscheidern eine frühzeitige Einbindung der Datenseite in den Marketingentscheidungsprozess gewünscht ist. Dennoch ist eine bedarfsgerechte Problemdefinition, wie sie im Sinne von Marketing Intelligence gefordert wird, nur durch die frühzeitige Integration der Datenseite sicherzustellen. 357 Auch die durchgeführten Experteninterviews verdeutlichten die unterschiedlichen Denkweisen von Marketingentscheidern und Marktforschern. 358 Vgl. Christian 2002, S. 65. Der Marketing Intelligence-Cycle 151 die Datenseite – sicherstellen, dass die georderten Informationen vom Kunden abgenommen und entsprechend honoriert werden. Zusammenfassend ist es im Sinne von Marketing Intelligence entscheidend, dass zu Beginn eines jeden Projekts in interaktiver Zusammenarbeit zwischen Daten- und Entscheidungsseite Untersuchung eine ohne Operationalisierung, bedarfsgerechte konkrete sondern Problemdefinition Zielformulierung liefert auch keine erschwert klaren erfolgt. nicht Vorgaben „Eine nur die für das nachfolgende Urteilen und Entscheiden. Die Qualität der Denkprozesse vor der Datenerhebung ist die Hauptdeterminante der Qualität des gesamten Forschungsvorhabens und des nachfolgenden Entscheidungsprozesses“359. Auf der Datenebene stellt demnach der „gemeinsame Denkprozess“ zwischen der Angebotsund der Nachfrageseite von Marketinginformationen einen maßgeblichen Erfolgsfaktor für den Marketing Intelligence-Cycle dar; erst wenn eine zielgerichtete und bedarfsgerechte Problemdefinition vorliegt, ist es sinnvoll, auf der Informationsebene die nächste Phase des Marketing Intelligence-Cycles zu starten. 5.3 Informationsebene des Marketing Intelligence-Cycles Im Rahmen der Entscheidungsfindung sind nicht alle Daten von Bedeutung. Vielmehr kann ein Marketingentscheider nur mit denjenigen Marketingdaten etwas anfangen, die sein (Fakten-)Wissen erhöhen. Auf der Informationsebene des Marketing Intelligence-Cycles geht es also nur um solche Marketingdaten, die für den Marketingentscheider inhaltlich tatsächlich bedeutsam und damit problemrelevant sind; bei Marketinginformationen handelt es sich folglich um entscheidungs- und entscheiderrelevante Marketingdaten. Lediglich solche Daten sind schließlich zu integrieren und zu analysieren, um daraus für das Marketingmanagement fundierte, aussagekräftige Informationen im Sinne von zweckorientiertem Wissen ableiten zu können. 359 Schroiff 1994, S. 19. 152 Der Marketing Intelligence-Cycle 5.3.1 Von Marketingdaten zu integrierten Marketinginformationen – Der Prozess der Datenintegration Grundsätzlich liegen im Marketing vielfältige Daten aus heterogenen Quellen vor, oft jedoch bestehen lediglich Insellösungen. So fallen beispielsweise im Vertrieb umfassende Transaktionsdaten -steuerungssystemen an, gespeichert die werden, in Vertriebsinformations- während der Bereich und des Direktmarketings zum Beispiel über Profil- und Kontaktdaten der Kunden verfügt. Der Produktmanager besitzt Daten über Produktgestaltung und -vermarktung, dem Brand Manager hingegen liegen Daten bezüglich Markenführung und -entwicklung vor. Derartig fragmentierte Marketingdaten sind oftmals selbst innerhalb einzelner Marketingbereiche für die Entscheidungsfindung nicht ausreichend. Vielmehr benötigten Marketingentscheider – ob Key Account Manager, Produkt- oder auch Brand-Manager – neben Daten aus ihrem eigenen Bereich in der Regel Daten zu verschiedenen Sachverhalten (Produkt, Kunde etc.). Deshalb ist es – wie auch die im Rahmen dieser Arbeit geführten Experteninterviews belegen – notwendig, Daten aus heterogenen Informationsquellen zu aussagekräftigen Marketinginformationen zu verdichten. Die besondere Herausforderung liegt in einer entscheidungs- und entscheiderorientierten Datenintegration. Abbildung 25 verdeutlicht die einzelnen Schritte der Datenintegration, die im Folgenden ausführlich erläutert werden. Heterogene Datenquellen Vertriebsdaten Problem- bzw. Fragestellung Marktdaten Kundendaten Selektieren / Anreichern Bereinigen Transformieren Wettbewerbsdaten …. Entscheidung Marketingwissen Harmonisieren Interpretieren Abbildung 25: Schritte der Datenintegration Quelle: in Anlehnung an Schöll 2004, S. 8. Analysieren Fusionieren Der Marketing Intelligence-Cycle 153 5.3.1.1 Datenselektion als Voraussetzungen der Datenintegration Auf Grundlage der Problemdefinition (und damit der Analyse und Feststellung des Informationsbedarfs) als erste Prozessstufe des Marketing Intelligence-Cycles werden nun auf der Informationsebene entscheidungs- und entscheiderrelevante Marketingdaten ausgewählt. Die Datenselektion als originäre Aufgabe der Angebotsseite von Marketinginformationen umfasst dabei die Identifikation und Bereitstellung des benötigten Datenmaterials. 360 Hierzu sind die relevanten Marketingdaten zunächst zu katalogisieren, indem Datenquelle bzw. Datenstandort, Datenformate, -struktur und -volumen sowie Definition und Kodierung der Merkmale dokumentiert werden. 361 Bei der Datenselektion geht es in erster Linie darum, alle vorliegenden (möglicherweise) für das Marketing relevanten Daten zu identifizieren und für die weitere Nutzung bereitzustellen. Darüber hinaus ist kritisch zu hinterfragen, ob für die Problem- bzw. Fragestellung tatsächlich alle notwendigen Marketingdaten verfügbar sind. Zum einen ist zu überdenken, ob noch weitere unternehmensinterne bzw. -externe Datenquellen für spätere Analysen erforderlich sind. In diesem Zusammenhang ist insbesondere festzulegen, welche Marktforschungsdaten zur Ergänzung und Anreicherung der Marketingdaten berücksichtigt werden sollten, um beispielsweise Verhaltensmuster oder Hintergründe für spezifisches Kundenverhalten zu erkennen. Denn lediglich durch die Ergänzung um solche „soft facts“ ist es möglich, tiefgreifende Einblicke und hintergründige Erklärungen im Marketing zu erlangen. Zum anderen bezieht sich die Datenverfügbarkeit auf fehlende Datensätze und -felder.362 Damit ist bereits die Datenanreicherung angesprochen, die unmittelbar im Anschluss an die Selektion der Daten erfolgt. Die Anreicherung der Daten betrifft die Vervollständigung bzw. Ergänzung verfügbarer Datenbestände, mit dem Ziel, eine möglichst holistische Datengrundlage zu schaffen. Dabei können – je nach Erfordernis – ganze Datensätze hinzugefügt oder fehlende Einzelwerte ergänzt werden. Häufig können fehlende Informationen durch das Hinzufügen unternehmensexterner Daten oder durch die Ergänzung von Daten, die in anderen unternehmensinternen Quellen bereits vorliegen, generiert werden. Zudem ist es oft 360 Vgl. Knobloch 2000, S. 29; Knobloch/Weidner 2000, S. 349; Wang/Fu 2005, S. 1. 361 Vgl. Hippner/Wilde 2001, S. 24ff. 362 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 103; Hippner/Wilde 2001, S. 25. 154 Der Marketing Intelligence-Cycle möglich, die erforderlichen Daten auf Basis vorhandener Attributwerte zu berechnen bzw. zu schätzen. 363 5.3.1.2 Datenaufbereitung zur Sicherstellung der Datenqualität Im Mittelpunkt der Datenaufbereitung, welche die Schritte der Bereinigung, Transformation und Harmonisierung enthält 364, steht insbesondere die Sicherung der Qualität der selektierten Marketingdaten. Im Zuge der Datenbereinigung 365 gilt es, durch geeignete Maßnahmen Datenfehler zu beseitigen, die sich negativ auf die Qualität der Analyseergebnisse auswirken können. 366 Datenfehler – das heißt Attributsausprägungen, welche die Realität nicht korrekt abbilden – können zum einen durch die Eingabe falscher Werte entstehen. Fehlerhafte Werte können beispielsweise durch Falschangaben der Untersuchungsteilnehmer, Tippfehler oder auch Missverständnisse zustande kommen. Zum anderen kann es zu Datenfehlern in den operativen Datensystemen durch so genannte Platzhalter (zum Beispiel 9.9.9999 als Geburtsdatum) kommen, die aufgrund der Unkenntnis bzw. NichtVerfügbarkeit der realen Werte beliebig eingefügt werden. 367 Solche fehlerhaften Daten oder Datensätze sollten durch geeignete Maßnahmen der Datenbereinigung erkannt und je nach deren Bedeutung für den weiteren Prozess eliminiert oder korrigiert werden. 368 Des Weiteren sind die selektierten Daten zu transformieren und zu harmonisieren, das heißt, sie sind hinsichtlich Format und Struktur zu vereinheitlichen. 369 Da sich die 363 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 103f.; Knobloch 2000, S. 33. 364 Vgl. Wilde 2001, S. 15f. 365 Der Vorgang der Datenbereinigung wird auch als Data Scrubbing bzw. Data Cleansing bezeichnet (vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 104). 366 Vgl. Knobloch 2000, S. 34; Mayr 1999, S. 20; Krahl/Windheuser/Zick 1998, S. 42. 367 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 104; Berry/Linoff 2004, S. 73; Knobloch 2000, S. 34; Adriaans/ Zantinge 1997, S. 42; Grimmer/Mucha 1998, S. 113. 368 Vgl. Bauer/Günzel 2004, S. 41; Hippner/Wilde 2001, S. 54f. Der Umgang mit fehlenden Werten ist jedoch – sei es Eliminierung oder auch Korrektur – stets kritisch zu prüfen. So kann es durchaus der Fall sein, dass eine Kausalität zwischen fehlenden Werten und bestimmten Sachverhalten besteht, die beispielsweise zur Aufklärung von Betrugsdelikten bedeutsam sein kann. Auch Ausreißer, die in der Regel eliminiert bzw. korrigiert werden, können hilfreiche Hinweise beispielsweise auf Missbrauch, fehlerhafte Geschäftsprozesse oder auch profitable Nischenmärkte liefern (vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 104f.). 369 Die Schritte der Datentransformation und der -harmonisierung werden häufig unter den Begriff der Datenkonsolidierung subsumiert (vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 106; Knobloch 2000, S. 35). Der Marketing Intelligence-Cycle 155 vielfältigen, heterogenen Marketingdaten in den seltensten Fällen auf identische Abgrenzungen und Kodierungen beziehen und zudem teils personenbezogen und teils anonymisiert vorliegen, ist zunächst eine Datentransformation vorzunehmen. Hierzu werden alle Daten aus den verschiedenen unternehmensinternen und -externen Informationsquellen in ein einheitliches, für die Datenanalyse geeignetes Format überführt. Aufgrund unterschiedlicher Bezugsquellen entstehen häufig mehrfache oder uneinheitliche Repräsentationen einzelner Objekte und Attribute. Derartige Inkonsistenzen in den Daten sind durch Beseitigung von Redundanzen sowie durch Angleichung der Datenformate zu beheben. 370 So können die Identifikationsschlüssel für Untersuchungseinheiten aus verschiedenen Informationsquellen inkompatibel sein; verschiedene Datensätzen weisen häufig unterschiedliche Kundennummern zur Identifikation des einzelnen Kunden auf. Es ist dann erforderlich, „zusammengehörige“ gemeinsamer Merkmale durch Abgleich Kundennummern Strukturmerkmale, der Kunden (Name, zum von zu Identifikationsdaten bestimmen. Beispiel Adresse etc.), durch Dies der Kunden kann anhand soziodemographische erfolgen. 371 Neben derartig syntaktischen Komplikationen können auch semantische Probleme auftreten. So können Inkonsistenzen in den Marketingdaten durch eine unterschiedliche Kodierung bzw. Bezeichnung inhaltlich gleicher Merkmale hervorgerufen werden. Zuweilen werden inhaltlich gleiche Attribute in verschiedenen Datensätzen unterschiedlich kategorisiert, wie zum Beispiel die Werte {0,1}, {m,w} oder {m,f} für das Geschlecht. Auch nicht kodierte Merkmale, die in sprachlicher Form ausgedrückt werden und aufgrund uneinheitlicher betriebswirtschaftlicher Begriffsauffassungen oder der Verwendung von Synonymen und Homonymen nicht einheitlich vorliegen, müssen normiert werden.372 Nachdem die problemrelevanten Marketingdaten durch die Datentransformation in ein einheitliches, für die Datenanalyse geeignetes Format überführt wurden, gilt es in einem weiteren Schritt, die Daten zu harmonisieren; das heißt, diese in eine einheitliche Struktur zu bringen. Eine Vereinheitlichung der Datenstruktur ist beispielsweise notwendig, wenn in verschiedenen Datenquellen unterschiedliche Maßeinheiten (wie Euro, Dollar, Pfund etc.) verwendet werden. Insbesondere in 370 Vgl. Wilmes/Dietl/van der Velden 2004, S. 40ff.; Becker/Knackstedt 2004, S. 198f.; Knobloch 2000, S. 35; Wilde 2001, S. 8. 371 Vgl. Hippner/Wilde 2001, S. 33; Adriaans/Zantinge 1997, S. 85. 372 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 106f.; Becker/Knackstedt 2004, S. 198f.; Hannig 2002, S. 8; Knobloch 2000, S. 35. 156 Der Marketing Intelligence-Cycle internationalen Unternehmen, die ihre Informationen aus unterschiedlichen Ländern und Regionen beziehen, wird es zudem erforderlich sein, die Daten hinsichtlich ihrer zunächst oft unterschiedlichen Erhebungszeitpunkte anzugleichen und damit vergleichbar zu machen. Eine Harmonisierung der Marketingdaten erfolgt somit zum einen hinsichtlich der Struktur der Daten über Länder und Regionen hinweg und zum anderen hinsichtlich der Periodizität der Datenerhebung. 373 Wie bereits erwähnt, dienen die Schritte der Datenaufbereitung Datenbereinigung, -transformation und -harmonisierung – die – hauptsächlich der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Datenbasis. „Without the right data there is little gold to be mined; here again, we must apply the rule >garbage in, garbage out<.”374 Demnach ist es vor der Durchführung von Analysen unerlässlich, dass die Daten bezüglich ihrer Qualität geprüft werden. 375 Um den Datenbestand im Marketing insgesamt auf einem qualitativ hochwertigen Niveau zu halten, müssen Informationsmanager permanent veraltete Daten eliminieren und durch neue bzw. bessere Daten ersetzen. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass der Bezug von Marketingdaten auch mit Kosten verbunden ist. Es ist demnach zu prüfen, inwiefern Informationen tatsächlich zum Marketingerfolg und letztendlich zur Wertsteigerung des Unternehmens beitragen. Diese ökonomische Perspektive und die damit verbundene Abwägung von Informationskosten und Informationsnutzen werden in der vorliegenden Arbeit nicht näher thematisiert. 376 5.3.1.3 Datenfusion zur Generierung integrierter Marketinginformationen Abschließend ist der Schritt der Datenfusion – auch Data Matching genannt – notwendig, bevor schließlich durch zielgerichtete Analysen aus den Datenbeständen aussagekräftige Informationen gewonnen werden können. Bei der Datenfusion 373 Vgl. Schroiff 1999, S. 31ff.; Schöll 2004, S. 4. 374 Adriaans/Zantinge 1997, S. 9. 375 Datenqualitätsprobleme lassen sich in drei Bereiche einteilen: Verfügbarkeit, Inhalt und Repräsentation. Die Datenverfügbarkeit betrifft zum einen den Umfang der Datenbasis und deren Dynamik, zum anderen bezieht sie sich auch auf fehlende Datensätze und -felder. Probleme bezüglich der Dateninhalte können beispielsweise aufgrund von fehlenden oder auch fehlerhaften Werten, aber auch durch Redundanzen und semantische Inkonsistenzen entstehen; derartige Qualitätsmängel können letztendlich zu invaliden Analyseergebnissen führen. Der Aspekt der Repräsentation stellt auf die zur Durchführung von Analysen erforderlichen Formate und Darstellungsformen ab (vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 102ff.). 376 Vgl. hierzu beispielsweise Roleff 2001, S. 115ff. Der Marketing Intelligence-Cycle 157 werden mehrere Datensätze, die in bereinigter, transformierter und harmonisierter Form vorliegen, zu einer gemeinsamen Datenbasis aggregiert. Dafür ist das Vorhandensein so genannter „Link-Variablen“ notwendig, die identisch in den zu fusionierenden Datenquellen enthalten sind und deshalb als „Brücke“ fungieren. Voraussetzung des Data Matching ist, dass die Verknüpfungsmerkmale der „LinkVariablen“ in einem übereinstimmenden Datenformat vorliegen und eine einheitliche Datenstruktur aufweisen. 377 Dies ist durch die vorhergehenden Schritte der Transformation und Harmonisierung der Daten sicherzustellen. Unternehmensinterne Kundendaten, die in individualisierter Form vorliegen, können beispielsweise leicht anhand ausgewählter Verknüpfungsmerkmale mit unternehmensexternen Kundendaten fusioniert werden. Im Gegensatz zu solchen individuellen Daten Marktforschungsdaten Möglichkeit, die per lassen nicht sich einfach aber individuell Marktforschung anonymisierte, zuordnen. gewonnenen Hier generellen aggregierte besteht die Markt- und Kundendaten über die Identifikation gemeinsamer Strukturmerkmale (zum Beispiel gemeinsamer soziodemographischer Kundenmerkmale oder Daten zum Kauf- und Verwendungsverhalten der Kunden) mit einer gewissen Unschärfe auf homogene Kundengruppen zu projizieren. Dies kann lediglich mit einem bestimmten Grad an zutreffender Wahrscheinlichkeit erfolgen, der jedoch in der Praxis in der Regel als ausreichend betrachtet wird und für den Beitrag, den die Anreicherung der Marketingdaten und das mögliche Hinzufügen einer erklärenden Komponente leisten, in Kauf genommen wird. 378 Abbildung 26 veranschaulicht exemplarisch das Prinzip der Datenfusion (Data Matching): 377 Vgl. Shearer 2007, S. 431f.; Liehr 2004, S. 11; Liehr 2001, S. 730f.; Liehr 1999, S. 47; Hippner/Wilde 2001, S. 44ff. 378 Vgl. Wimmer/Göb 2006, S. 412f.; Holmes 1998, S. 340; Liehr 2001, S. 731. 158 Der Marketing Intelligence-Cycle Kundendatenbank Stammdaten Marktforschung LinkVariablen LinkVariablen Marktforschungsergebnisse Data Matching Zielgruppe Zielgruppe „Präferenzen“ Produktaffinität Marktstruktur Alter - Geschlecht ……….. Produktnutzung Produktnutzung Alter - Geschlecht ……….. Adressen Transaktionen ……….. Abbildung 26: Das Prinzip des Data Matching Quelle: Liehr 2001, S. 731. Voraussetzung des Data Matching ist, dass die einzelnen Kundendaten anhand von Verknüpfungsmerkmalen den anonymen Markt- bzw. Kundensegmenten eindeutig zugeordnet werden können. Erfahrungen der Praxis zeigen, dass die ausschließliche Berücksichtigung soziodemographischer Daten für das Data Matching nicht ausreichend ist, da auf diese Weise nur selten eine befriedigende Trennschärfe der Merkmalsschätzungen gegeben ist. Aus diesem Grund werden für die Datenfusion in der Regel Produktnutzungs- und Kaufhistorienmerkmale als Verknüpfungsmerkmale herangezogen. Um aggregierte Marktforschungsdaten für Data Matching-Projekte nutzen zu können, ist daher bereits bei der Konzeption des Forschungsdesigns darauf zu achten, dass Variablen vorhanden sind, welche sich im Anschluss als so genannte „Link-Variablen“ für das Data Matching eignen. Je mehr Verknüpfungsmerkmale, die zur Fusion von Kunden- und Marktforschungsdaten geeignet sind, vorhanden sind, umso höher ist die Differenziertheit bei der Zuordnung der Daten und umso geringer ist auch die Fehlerwahrscheinlichkeit. 379 Demnach gilt: „Both market researchers and database marketers should strive to use common measures 379 Vgl. Liehr 1999, S. 47; Hippner/Wilde 2001, S. 45f. Der Marketing Intelligence-Cycle 159 and units of measurement so data can be compared, contrasted and fused where this might be useful.“ 380 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Datenbestände einzelner Systeme bereinigt, transformiert und harmonisiert werden müssen, um eine konsistente Datenbasis im Marketing zu erhalten. Im Rahmen der Datenfusion entsteht durch Vereinheitlichung und Zusammenführung entscheidungsrelevanter Marketingdaten eine integrierte Datengrundlage für zielgerichtete Analysen. Dies soll jedoch nicht heißen, dass sämtliche Daten tatsächlich physisch integriert vorliegen müssen. Vielmehr sollte es möglich sein, diese im Bedarfsfall zu fusionieren, um auf eine integrierte Datenbasis zugreifen zu können. Ein derartiger Datentransfer und -zugriff ist allerdings ohne ein entsprechendes IT-System nicht denkbar; aus diesem Grund werden im Folgenden informationstechnologische Lösungen für das Marketing erläutert. 5.3.2 Das Data Warehouse als zentraler Baustein des MarketingInformationsmanagements Zweifelsohne führt die moderne Informationstechnologie zu einer zielgerichteteren und schnelleren Informationsversorgung und entwickelt sich damit auch im Marketing zunehmend zu einem strategischen Erfolgsfaktor.381 Vor dem Hintergrund der gestiegenen Anforderungen an Marketingentscheidungen bei gleichzeitig wachsender Überflutung mit Daten und Informationen hat sich das Bedürfnis der Marketingmanager nach Strukturiertheit und Selektion und damit auch nach einer besseren informationstechnologischen Unterstützung verstärkt. Das Kernproblem besteht aber nicht im Design von Systemen und deren Akzeptanz bei den Entscheidern. Die letztlich entscheidende Frage lautet vielmehr: Wie können die vielfältigen Marketinginformationen effektiv und effizient genutzt werden, um die Entscheidungsfindung zu unterstützen und die Qualität der Marketingentscheidung zu verbessern? Hierzu Lösungen bereitzustellen, ist Aufgabe des „MarketingInformationsmanagements“. 380 Stone/Bond/Foss 2004, S. 128. 381 Vgl. Wilde 2001, S. 1. 160 Der Marketing Intelligence-Cycle Literatur und Praxis richten in diesem Zusammenhang den Blick vor allem auf Marketing-Informationssysteme unterstützungssysteme Informationssysteme (MAIS) (Marketing sind eher bzw. auf Decision Marketing-Entscheidungs- Support datenorientiert, Systems, MDSS). Entscheidungsunterstützungs- systeme382 hingegen zusätzlich umsetzungsorientiert. 383 Insgesamt ermöglicht es die Informationstechnologie, große Mengen an Daten und Informationen zu speichern, durch den Einsatz entsprechender Methoden zu entscheidungsrelevanten Informationen aufzubereiten und einer Vielzahl von Personen mittels handhabbarer Analyse- und Präsentationstools zu jedem Zeitpunkt visuell und anschaulich verfügbar zu machen.384 Derartige Systeme weisen allerdings erhebliche Schwachpunkte auf: Neben fehlender Interaktivität und Dialogorientierung sowie der Ausrichtung auf bestimmte Personengruppen werden insbesondere die fehlende Vernetzung der Systeme sowie die Inflexibilität bezüglich Änderungen und Erweiterungen kritisiert. 385 In dieser Hinsicht stellt das Data Warehouse eine entscheidende Weiterentwicklung im Rahmen der Informationstechnologie dar; es ist „die ideale Basis für eine entscheidungsorientierte Auswertung der Unternehmensdaten“ 386. Dennoch stellt sich für die Praxis nicht die Wahl zwischen MDSS und Data Warehouse; vielmehr geht es – wie auch aus den Experteninterviews hervorging – um die Anbindung von MDSS an ein unternehmensweites Data Warehouse. Unter einem Data Warehouse versteht man ein Konzept, dessen Ziel darin besteht, eine unternehmensweite, einheitliche und konsistente zentrale Datenbasis zu schaffen. Diese von den operativen Datenbanken isolierte Analysedatenbank dient der Unterstützung der Entscheidungsprozesse im Unternehmen. 387 Für die im Data Warehouse abgelegten Daten wird eine themenorientierte, integrierte, zeitbezogene 382 Wierenga/van Bruggen verstehen unter einem Marketing Management Support System „any device combining (1) information technology, (2) analytical capabilities, (3) marketing data and (4) marketing knowledge, made available to one or more marketing decision maker(s) to improve the quality of marketing management“ (Wierenga/van Bruggen 2000, S. 7). Der Begriff „Marketing Knowledge“ steht hier für integrierte, aussagekräftige, entscheidungsrelevante Marketinginformationen. 383 Vgl. Wierenga/van Bruggen 2000, S. 9. 384 Vgl. hierzu den Übersichtsartikel von Banker/Kauffman 2004. 385 Vgl. Chamoni/Gluchowski 2006, S. 6ff.; ähnlich auch Troilo 2006, S. 140. 386 Wilde 2001, S. 2. 387 Vgl. beispielsweise Chamoni/Gluchowski 2006, S. 12; Bauer/Günzel 2004, S. 7f.; Mucksch/ Behme 2000, S. 6. Der Marketing Intelligence-Cycle 161 und nicht-volatile Speicherung gefordert. 388 Für das Marketing bedeutet dies eine themenbezogene Zuordnung einzelner Daten entsprechend spezifischer, geschäftsorientierter Kategorien, wie Kunden, Produkte, Regionen etc. Dabei sind unterschiedliche Daten zu integrieren, das heißt, sie sollen zueinander in Beziehung gesetzt und zu einer einheitlichen Datenbasis zusammengeführt werden. 389 Der Zeitbezug impliziert, dass die im Data Warehouse gespeicherten Daten lediglich eine Momentaufnahme sind und somit nur einen Schnappschuss des Markt- und Unternehmensgeschehens abbilden. Dieser kann daher zum Zeitpunkt der Abfrage bereits veraltet sein; eine zeitpunktgenaue Betrachtung der Daten, wie sie in operativen Datenbanken vorgenommen wird, ist oftmals für das Marketingmanagement von untergeordneter Bedeutung. Vielmehr werden bei Marketingentscheidungen Analysen über längere Zeithorizonte benötigt, die beispielsweise Trends oder Entwicklungen des Marktgeschehens aufzeigen. 390 Daher ist allerdings die Beständigkeit von Daten im Data Warehouse notwendig. 391 Nur durch eine dauerhafte Speicherung der Daten können Zeitreihenanalysen sowie Zeitreihenvergleiche über längere Zeiträume oder auch Trendanalysen über die Zeit hinweg durchgeführt werden. Zusammenfassend hat ein Data Warehouse für das Marketing die Aufgabe, themenorientierte und integrierte Marketinginformationen aus verschiedenen Datenquellen über längere Zeiträume zur Unterstützung des Marketingmanagements zu sammeln, nutzungsbezogen aufzubereiten und bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen. Abbildung 27 veranschaulicht die Architektur eines Data Warehouse: 388 Immon definiert ein Data Warehouse als „subject-oriented, integrated, time-variant, and nonvolatile collection of data in support of management’s decision-making process“ (Immon 1996, S. 33). 389 Siehe zum Prozess der Datenintegration ausführlich Abschnitt 5.3.1. 390 Vgl. Chamoni/Gluchowski 2006, S. 13f.; Mucksch/Behme 2000, S. 10f. 391 Die im Data Warehouse eingestellten Daten werden nicht mehr verändert oder überschrieben, sondern im Falle einer Aktualisierung neu abgelegt. 162 Der Marketing Intelligence-Cycle Datenanalyse Front-End-Werkzeuge Datenbereitstellung Anwendungs- Server OLAP Server Data Marts Datenhaltung Zentrale Data Warehouse Datenbank Archivierungssystem ODS Meta-Datenbank Datenbeschaffung Extraktions- und Transformationsprogramme unternehmensinterne Daten unternehmensexterne Daten Abbildung 27: Idealtypische Data Warehouse-Architektur Quelle: in Anlehnung an Mucksch/Behme 2000, S. 14. Grundlage eines Data Warehouse stellen auf der Datenbeschaffungsebene operative Systeme dar, die unternehmensinterne und -externe Daten enthalten können. Diese sehr heterogenen und zum Teil auch redundanten Daten werden aus den operativen Datenbanken extrahiert und mittels Transformationsprogrammen homogenisiert und verknüpft, um eine konsistente Datenbasis zu erlangen. Die zentrale Data Warehouse Datenbasis auf der Datenhaltungsebene enthält sowohl aktuelle als auch historische Daten Verdichtungsstufen. sämtlicher 392 in unterschiedlichen Daneben gibt es Data Marts, funktionsbereichs- bzw. personengruppenspezifische 392 Unternehmensbereiche Datenbanken, die sich insbesondere bei Da Extraktions-, Lade- und Integrationsprozesse sehr zeitintensiv sind, wurde das Konzept des Operational Data Store (ODS) eingeführt, das operative Daten zeitnah verknüpft und diese den Entscheidungsträgern integriert und insbesondere real-time verfügbar macht. Archivierungssysteme hingegen dienen der Auslagerung selten aufgerufener Daten bzw. der Wiederherstellung des Data Warehouse im Falle einer Beschädigung (vgl. Meyer/Winter 2000, S. 313). Der Marketing Intelligence-Cycle 163 abteilungsspezifischen Abfragen als effizient erweisen. 393 Für die Datenbereitstellung existieren neben Data Marts auch OLAP-Server; sie sorgen für eine multidimensionale Abbildung der Datenbasis, wodurch flexible und dynamische Analysen ermöglicht werden. Schließlich stehen einem Informationsmanager (bzw. Marketingentscheider) verschiedene Front-End-Werkzeuge zur Verfügung, die ihn bei der Analyse der Daten unterstützen. Gefordert werden hier insbesondere Werkzeuge, die eine einfache Abfrage der Informationen gewährleisten und zudem über eine benutzerfreundliche Gestaltung der Oberfläche verfügen. 394 Ein zentrales Data Warehouse oder eine vergleichbare Datenbank mit Anbindung an die jeweiligen operativen Datenbanken stellt demnach eine grundlegende Voraussetzung für die Extraktion und Nutzung aussagekräftiger Informationen zur Entscheidungsunterstützung des Marketingmanagements dar. Das Data Warehouse liefert eine für Marketingdaten. die Die Datenanalyse Aufdeckung geeignete der in den Aufbereitung der Marketingdaten relevanten verborgenen, erfolgversprechenden Muster und Strukturen erfordert spezielle Werkzeuge zur Analyse umfangreicher, mehrdimensionaler Datenbestände. Hierzu wurden insbesondere das Konzept des On-Line Analytical Processing (OLAP) und des Data Mining entwickelt. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über grundlegende Ansätze und Verfahren der Datenanalyse gegeben, wobei insbesondere die beiden genannten Analyseverfahren des OLAP und des Data Mining erläutert werden. 5.3.3 Verfahren zur Analyse von (integrierten) Marketingdaten Nach Vereinheitlichung und Zusammenführung der Marketingdaten in einem zentralen System, vorzugsweise einem Data Warehouse, können diese als integrierte Datenbasis für zielgerichtete Datenanalysen genutzt werden. Durch den Einsatz vordefinierter, spezieller Analysewerkzeuge lassen sich bestimmte Prozesse (wie zum Beispiel operative Prozesse des CRM) automatisiert auslösen. Zudem können fallweise auftretende Frage- und Problemstellungen des Marketings mittels 393 Die Grundidee des Data Mart-Konzepts besteht darin, einen inhaltlich beschränkten Fokus des Unternehmens oder einzelner Abteilungen als Teilsicht eines Data Warehouse abzubilden. Maßgebliche Gründe hierfür sind insbesondere die Komplexitätsreduktion sowie die Verringerung des Datenvolumens, das bei einer spezifischen Anfrage zu durchsuchen ist (vgl. Maur/Schelp/Winter 2003, S. 9ff.; Meyer/Winter 2000, S. 317f.). 394 Wilmes/Dietl/van der Velden 2004, S. 45ff.; Becker/Knackstedt 2004, S. 200f. 164 Der Marketing Intelligence-Cycle geeigneter Analysewerkzeuge nutzenbringend beantwortet werden. Ziel der Datenanalyse im Marketing ist es letztendlich, verständliche und nützliche Marketinginformationen aus der Vielzahl an heterogenen Daten zu gewinnen. 5.3.3.1 Grundlegende Ansätze und Verfahren der Datenanalyse Eine grundsätzliche Unterteilung von Datenanalyseansätzen kann zunächst danach erfolgen, inwiefern eine Vermutung – eine so genannte Hypothese 395 – vorliegt, die man im Rahmen der durchzuführenden Datenanalyse verifizieren möchte. Diesbezüglich lassen sich hypothesengetriebene und datengetriebene Verfahren der Datenanalyse unterscheiden.396 Hypothesengetriebene Analyseverfahren liegen vor, wenn eine im Vorfeld der Untersuchung aufgestellte Annahme im Zuge der Datenanalyse auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen ist. Ausgangspunkt von hypothesengetriebenen Verfahren stellt die analytische Fragestellung eines Marketingproblems dar. Damit ist in der Regel von Beginn an klar, nach welchen Kriterien bzw. Merkmalen in der Datenbasis zu suchen ist, um die entsprechende Frage beantworten zu können. Da die Datenbasis nur auf diese Annahmen hin durchforstet wird, wird der Suchraum erheblich eingegrenzt. Das Analyseziel derartiger Verfahren stellt die Hypothesenverifikation dar; es geht darum, die aufgestellte Hypothese anhand der Daten zu verifizieren oder zu falsifizieren. Das heißt, es wird überprüft, ob die Daten die Hypothese stützen oder widerlegen. Derartige Verfahren werden auch als Top-down-Verfahren bezeichnet, da sie die Datenbestände ausgehend von einer spezifischen Fragestellung, nämlich der aufgestellten Hypothese, nach Sachverhalten durchsuchen. Diese Vorgehensweise bei der Analyse von Daten wird als gängig angesehen; deshalb werden hypothesengetriebene Verfahren auch als „klassische“ Daten- analyseverfahren bezeichnet. Neben diversen statistischen Methoden, wie zum Beispiel der Regressions-, Faktoren- und Varianzanalyse, sind auch analytische 395 Eine Hypothese ist ganz allgemein eine Annahme oder ein Erklärungsvorschlag, der auf seine Gültigkeit hin zu überprüfen ist. 396 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 82ff.; Hippner/Merzenich/Wilde 2004, S. 244f. Der Marketing Intelligence-Cycle 165 Modelle, Datenbankabfragen und das On-Line Analytical Processing (OLAP) den hypothesengetriebenen Analyseverfahren zuzuordnen. 397 Bei datengetriebenen Analyseverfahren hingegen existiert zu Beginn der Datenanalyse noch keine konkrete Vorstellung darüber, was man eigentlich untersuchen möchte. Hauptsächlich geht es bei derartigen Verfahren darum, bestimmte Muster in den vorliegenden Daten zu erkennen. Folglich ist der Suchraum nicht eingeschränkt und der Informationsmanager sieht sich einer Vielzahl an Daten gegenüber, die er nur schwer bzw. gar nicht überblicken kann. Bei datengetriebenen Verfahren liegt der Fokus darauf, durch die Datenanalyse Vorstellungen oder Annahmen über bestimmte Sachverhalte zu erlangen. Man versucht, in den Daten Regelmäßigkeiten oder Zusammenhänge zu identifizieren, die dem Entscheidungsträger Hinweise für die Lösung einer Problem- bzw. Fragestellung liefern könnten. Derartige Analyseverfahren bezeichnet man als Bottom-upVerfahren, da man ohne konkrete Annahmen in den Datenbeständen nach Mustern sucht und auf diese Weise interessante Sachverhalte aufdecken möchte. Analyseverfahren, die geeignet sind, datengetriebene Untersuchungen mit dem Ziel der Mustererkennung durchzuführen, werden allgemein als Data Mining-Verfahren bezeichnet.398 Gängige Data Mining-Verfahren sind beispielsweise Entscheidungsbäume, künstliche neuronale Netze und Assoziationsmethoden. Geht es bei derartigen Verfahren nicht um die Analyse von Datenbeständen, sondern von Texten bzw. Inhalten aus dem Internet, so spricht man von Text Mining bzw. Web Mining.399 Abbildung 28 veranschaulicht die grundlegenden Ansätze der Datenanalyse – hypothesengetriebene und datengetriebene Analyseverfahren: 397 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 78ff.; Hippner/Merzenich/Wilde 2004, S. 244f. 398 Vgl. Fayyad/Grinstein 2002, S. 4; Meyer 2001, S. 568ff. 399 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 81ff.; Reichold 2006, S. 34 sowie ausführlich Beekmann/ Chamoni 2006. 166 Der Marketing Intelligence-Cycle Datenanalyse Hypothesenverifikation Datenmustererkennung Hypothesengetriebene Analyse (top-down) Datengetriebene Analyse (bottom-up) Untersuchungsproblem Analyseziel Anwendungsebene „Klassische“ Verfahren Data Mining-Verfahren • OLAP • Clusteranalyse • Faktorenanalyse • Varianzanalyse • Regressionsanalyse • Multidimensionale Skalierung • Portfolio-Analyse •… • Entscheidungsbäume • Heuristiken • Künstliche neuronale Netze • Assoziationsmethoden • Clusteranalyse • Evolutionäre Algorithmen • Bayesianische Netze •… Verfahrensklasse Verfahrensebene Abbildung 28: Grundlegende Ansätze und Verfahren der Datenanalyse Quelle: in Anlehnung an Neckel/Knobloch 2005, S. 83 sowie S. 84. Diese Unterteilung ist zweifelsohne als idealtypische Kategorisierung anzusehen, weil sich in der Praxis eine vollkommen hypothesenfreie Datenanalyse nicht realisieren lässt. Vergleichbar mit der viel zitierten Suche nach der Nadel im Heuhaufen – im Zusammenhang mit Verfahren der Datenanalyse auch als die Suche nach dem „Golden Nugget“ bezeichnet – wird diese in der überwiegenden Zahl der Fälle als nahezu aussichtslos erachtet.400 Generell versuchen Analyseverfahren, auf Basis des vorliegenden Datenbestandes (eines Data Warehouse) Zusammenhänge zwischen den Daten aufzuzeigen und letztendlich (theoretisches) Faktenwissen zu generieren. Insbesondere OLAP-Werkzeuge sowie das Verfahren des Data Mining ermöglichen es, bislang verborgene Erkenntnisse und Zusammenhänge aus den vielfältigen Daten des Data Warehouse zu gewinnen. Im Folgenden werden analytische Möglichkeiten des OLAP als hypothesengetriebenes Verfahren und des Data Mining als datengetriebenes Verfahren vorgestellt. Dabei stehen nicht die 400 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 83 und S. 143; Adriaans/Zantinge 1997, S. 5. Der Marketing Intelligence-Cycle 167 methodischen Vorgehensweisen dieser Verfahren im Vordergrund, sondern vielmehr deren inhaltliche Anwendungsmöglichkeiten für Fragestellungen des Marketings. 5.3.3.2 OLAP als hypothesengetriebenes Analyseverfahren Aufgrund der Komplexität und Vielschichtigkeit von Entscheidungstatbeständen im Marketing ist häufig eine gleichzeitige Betrachtung verschiedener Aspekte erforderlich. So ist beispielsweise ein Produktmanager an den Verkaufszahlen seiner Produkte in den jeweiligen Absatzgebieten über alle Monate hinweg interessiert. Ein Außendienstmitarbeiter hingegen möchte alle Transaktionsdaten seiner Kunden über das Jahr hinweg wissen. Derartige Problemstellungen erfordern unterschiedliche Sichtweisen auf die Daten. Für diesen Zweck wurde das Konzept des On-Line Analytical Processing (OLAP) entwickelt.401 Der Vorteil von OLAP-Werkzeugen für das Marketing besteht darin, dass eine multidimensionale Abbildung der Datenbasis und somit eine dynamische und flexible Analyse der Marketingdaten möglich sind. Generell ist für das OLAP-Konzept ein multidimensionales Datenmodell402 erforderlich. Hierfür werden multidimensionale Datenwürfel, so genannte Hypercubes, herangezogen. Auf diese Weise ist es möglich, betriebswirtschaftliche Kennzahlen, wie zum Beispiel Umsatz, Absatz, Deckungsbeiträge, nach unterschiedlichen Dimensionen, wie beispielsweise Kundengruppen, Produktgruppen, Verkaufsgebieten, zu analysieren. Die Grundmessgrößen – die zu analysierenden betriebswirtschaftlichen Kennzahlen – werden dabei als Datenwürfel dargestellt; die Dimensionen des Würfels bilden die Bezugsgrößen – die relevanten Gliederungskriterien – ab.403 Abbildung 29 veranschaulicht exemplarisch einen multidimensionalen Datenwürfel: 401 Vgl. Codd/Codd/Salley 1993. 402 Vgl. Hippner/Merzenich/Wilde 2004, S. 244; Chamoni 2001, S. 545f. Für die Umsetzung einer multidimensionalen Abbildung der Datenbasis lassen sich zwei grundsätzliche Technologien voneinander abgrenzen: Eine Alternative besteht in der Verwendung „klassischer“ rationaler Datenbanken. Dieses so genannte Rationale OLAP (ROLAP) greift auf rationale Datenbanken des Data Warehouse zu und überführt diese in eine mehrdimensionale Form. Die zweite Alternative stellt der Einsatz von OLAP-Datenbanken dar, welche eine multidimensionale Datenhaltung ermöglichen. Beim so genannten Multidimensionalen OLAP (MOLAP) sind die Daten bereits vor ihrer Nutzung in multidimensionaler Form gespeichert; hierfür werden sie in multidimensionaler Zellenform abgelegt (vgl. Chamoni/Gluchowski 2000, S. 344ff.; Wieken 1999, S. 83). 403 Vgl. Bauer/Günzel 2004, S. 97ff.; Neckel/Knobloch 2005, S. 79; Wilde 2001, S. 10. 168 Der Marketing Intelligence-Cycle Umsatz Markt 1 Markt 3 Produkt 4 Produkt 3 Produkt 2 Produkt 1 Q1 Q2 Q3 Q4 Zeit-Dimension uk t -D i Markt 4 m en si on Markt 2 Pr od Gewinn Markt-Dimension Kosten Abbildung 29: Dreidimensionale Datenansicht im Hypercube Quelle: in Anlehnung an Hahne 2005, S. 20. Aus Abbildung 29 geht hervor, dass sich je nach Fragestellung unterschiedliche Dimensionen betrachten lassen. Zusätzlich kann der Anwender auf bestimmte Navigationsfunktionen zugreifen, die ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Informationsgewinnung aus den Daten bieten. Zum einen ist es möglich, die jeweilige betriebswirtschaftliche Kennzahl bzw. Maßgröße entlang der Dimensionen auf unterschiedlichen Aggregationsstufen zu betrachten. Diese Funktionen werden als „Drill-down“ und „Drill-up“ bezeichnet. Bei der Funktion „Drill-down“ beginnt man bei der kompletten Datenübersicht, beispielsweise auf der Achse „Markt“ beim gesamten Umsatz, und hangelt sich über den landesspezifischen Umsatz bis hin zum gebietsspezifischen Umsatz. Die entgegensetzte Richtung verkörpert die Funktion „Drill-up“. Die Funktionen „Drill-down“ und „Drill-up“ ermöglichen demnach einen Wechsel der Aggregationsebene auf ein niedrigeres bzw. höheres Niveau. Auch für das Marketing ist diese Funktion von Bedeutung, da einzelne Marketingentscheider häufig unterschiedliche Aggregationsniveaus der Informationen benötigen; so verlangen Top-Manager in der Regel eher nach aggregierten Daten, die einen Überblick Der Marketing Intelligence-Cycle 169 beispielsweise über die Position Strategischer Geschäftsfelder oder der gesamten Marktsituation ermöglichen, während das mittlere bzw. untere Marketingmanagement vorwiegend detaillierte Informationen über einzelne Produkte bzw. Kunden oder auch Absatzgebiete benötigt. Zum anderen können mit Hilfe bestimmter Navigationsfunktionen „Schichten“ oder auch „Würfelecken“, die für die entsprechende Fragestellung von Interesse sind, extrahiert und angezeigt werden. Über die Funktion „Slice“ können Schichten aus dem Datenwürfel „herausgeschnitten“ werden. Beispielsweise ist es möglich, für Produkt 1 den Umsatz auf allen Märkten für das gesamte Jahr aus dem Würfel auszuschneiden und näher zu betrachten (vgl. gestrichelte Ellipse in Abbildung 29). Genauso wäre es denkbar, den Umsatz aller Produkte für das gesamte Jahr auf einem spezifischen Markt zu beleuchten. Die Funktion „Dice“ hingegen extrahiert einzelne Würfelecken. Somit könnte man beispielsweise durch die Betrachtung eines Teilwürfels den Umsatz von Produkt 1 im Markt 2 für das zweite Quartal analysieren (vgl. schraffiertes Kästchen in Abbildung 29). Mit Hilfe der Funktionen „Slice“ und „Dice“ ist es daher möglich, dass nur diejenigen Marketingdaten angezeigt werden, die für den Benutzer auch von Interesse sind. 404 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass dem Anwender (in der Regel dem Informationsmanager) mit Hilfe von OLAP-Werkzeugen auf Basis einer relativ einfach zu erlernenden und zu verstehenden Logik ein direkter Zugriff auf die benötigten Marketinginformationen gegeben wird. OLAP-Werkzeuge verfügen zudem in der Regel über eine benutzerfreundliche Gestaltung der Oberfläche und ermöglichen somit eine einfache Analyse der Marketingdaten. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass bei OLAP-Konzepten, wie es bei hypothesengetriebenen Analyseverfahren im Allgemeinen der Fall ist, im Vorfeld der Analyse eine Hypothese aufgestellt werden muss, die es zu untersuchen gilt. Demnach handelt sich bei OLAP um eine rein deskriptive Darstellung der Daten. Gerade im Marketing sind jedoch bestimmte Zusammenhänge vorab nicht ersichtlich. Der Anwender kann zwar mittels OLAP manuell nach interessanten Sachverhalten in den Daten suchen; dies übersteigt allerdings häufig sein Zeitbudget. Von daher sollte die Analyse von Marketingdaten neben OLAP-Tools in jedem Falle durch Methoden des Data Mining ergänzt werden. Data Mining ermöglicht eine maschinelle Suche nach interessanten Sachverhalten in den Marketingdaten. „Wer mit gängigen Abfragesprachen [wie auch 404 Vgl. Gluchowski/Chamoni 2006, S. 148ff.; Neckel/Knobloch 2005, S. 79f.; Dannenberg/ Barthel 2004, S. 299ff.; Bauer/Günzel 2004, S. 97ff.; Hannig 2002, S. 11. 170 Der Marketing Intelligence-Cycle OLAP] das Wesentliche herausfischen will, muss schon vorher wissen wonach er sucht. Data Mining […] lotst uns zu nützlichen Antworten, bevor uns die passenden Fragen einfallen und fördert aus den Tiefen des Datenmeeres Überraschendes zutage.“405 5.3.3.3 Data Mining als datengetriebenes Analyseverfahren Der Terminus „Data Mining“ – wörtlich übersetzt „Datenbergbau“ – stützt sich auf eine Metapher aus dem Bergbau, wo mit speziellen Geräten riesige Gesteinsmengen zur Förderung von Edelsteinen und Edelmetallen abgebaut und aufbereitet werden.406 Analog hierzu werden beim Data Mining große Datenmengen mit automatisierten Methoden durchsucht, um bedeutungsvolle Muster – im Sinne von Zusammenhängen, Abhängigkeiten und Regelmäßigkeiten – zu entdecken und bisher verborgene, nützliche Informationen zu extrahieren. 407 Im Gegensatz zu klassischen Abfragewerkzeugen muss der Anwender nicht von vornherein wissen, wonach er sucht. Vielmehr erstellt der Algorithmus automatisch aus einer gegebenen Datenmenge Hypothesen über interessante Sachverhalte. Daher wird von einer nicht-trivialen, das heißt einer datengetriebenen, hypothesenfreien Extraktion von Informationen gesprochen. 408 Datengetriebene Verfahren haben im Vergleich zu hypothesengetriebenen Verfahren ein weitaus größeres Potenzial, aus großen Datenvolumina handlungsrelevante Marketinginformationen zu extrahieren, da sie verborgene Zusammenhänge zwischen Marketingdaten erst identifizieren und darauf basierend Hypothesen über mögliche Zusammenhänge zwischen den Marketingdaten formulieren. Gerade im Marketing können dem Entscheider mittels ausgewählter Methoden des Data Mining hintergründige Informationen sowie tiefgreifende Erkenntnisse zu bestimmten Sachverhalten geliefert werden. Im Hinblick auf die Analyse von Marketingdaten ermöglichen 405 Janetzko/Steinhöfel 1997, S. 294. 406 Vgl. Adriaans/Zantinge 1997, S. 5. 407 Vgl. Hippner/Rentzmann/Wilde Hippner/Wilde 2001, S. 21. 408 Vgl. Fayyad/Piatetsky-Shapiro/Smyth 1996, S. 1. 2006, S. 51; Hippner/Merzenich/Wilde 2004, S. 245f.; Der Marketing Intelligence-Cycle 171 Data Mining-Verfahren insbesondere Einsichten in das Verhalten der Kunden, die ohne Data Mining nicht bzw. nur mit sehr großem Aufwand zu erhalten sind.409 Insgesamt umfasst Data Mining ein umfangreiches Spektrum an Verfahren und Methoden, die den Forschungsgebieten der Statistik, der Künstlichen Intelligenz, des maschinellen Lernens sowie der Datenbank- und Expertensystemforschung zuzuordnen sind.410 Aufgrund der Existenz vielfältiger Data Mining-Methoden ist es wichtig, dass die Auswahl der jeweiligen Methode dem Analyseproblem entspricht. Es ist der methodische Ansatz auszuwählen, der für die jeweilige analytische Fragestellung am besten geeignet ist. Diesbezüglich kann generell zwischen Beschreibungs- und Beschreibungsproblemen Prognoseproblemen differenziert liegt auf der Fokus der werden. Bei Identifikation von entscheidungsrelevanten Mustern in der Datenbasis; hierbei handelt es sich beispielsweise um Fragestellungen wie „Welche Artikel bzw. Produktarten werden gemeinsam gekauft?“ oder „Anhand welcher charakteristischen Merkmale können welche Kundengruppen identifiziert werden?“. Prognoseprobleme hingegen liegen vor, wenn auf Basis der vorliegenden Merkmale eines Untersuchungsobjekts auf unbekannte oder zukünftige Merkmalswerte geschlossen werden soll; potenzielle Fragestellungen hierfür betreffen beispielsweise die Bonität eines Kunden oder den prognostizierten Wert eines Kunden in fünf Jahren.411 Die Anwendungsfelder des Data Mining im Marketing sind äußerst vielfältig: Neben der Analyse kundenbezogener Aspekte, beispielsweise zur Identifikation spezifischer Verhaltens-, Präferenz- oder Kaufmuster, kommen Data Mining-Verfahren unter anderem auch bei der Preisfindung, Markt- und Kundensegmentierung, Sortimentsund Warenkorbanalyse sowie im Rahmen des Risikomanagements zum Einsatz. 412 Grundsätzlich gibt es eine Vielzahl von Data Mining-Verfahren für unterschiedlichste Fragestellungen im Marketing. Allerdings sind für die Lösung eines Problems nicht alle Verfahren gleichermaßen geeignet. Von daher ist es wichtig, die Auswahl eines Lösungsansatzes anhand spezifischer Kriterien zu treffen. Maßgeblich sind hierbei 409 Schätzungen zufolge sind ca. 20% der in den Datenbeständen verborgenen, essenziellen Informationen ohne den Einsatz von Data Mining-Techniken nicht zugänglich (vgl. Adriaans/Zantinge 1997, S. 128). 410 Vgl. beispielsweise Bissantz/Hagedorn/Mertens Knobloch 2000, S. 3; Wölfel 2008, S. 7f. 411 Vgl. Hippner/Merzenich/Wilde 2004, S. 249ff.; Neckel/Knobloch 2005, S. 82; Hippner/Wilde 2001, S. 63ff.; Fayyad/Piatetsky-Shapiro/Smyth 1996, S. 12ff.; Knobloch 2000, S. 16ff.; Meyer 2001, S. 568f. 412 Vgl. hierzu Meyer 2001, S. 576 und die dort angegebene Literatur. 2000, S. 379; Küsters 2001, S. 95f.; 172 Der Marketing Intelligence-Cycle neben methodenbezogenen Aspekten auch daten- und anwenderorientierte Merkmale. Abbildung 30 veranschaulicht Kriterien zur Auswahl von Data MiningMethoden: Anwenderorientierte Kriterien Interessantheit der Ergebnisse Verständlichkeit von Ergebnis und Verfahren Autonomiegrad der Durchführung Methodenorientierte Kriterien Datenorientierte Kriterien Anforderungen an Transformation Charakterisierung von Unsicherheit Auswahl von Data MiningMethoden Explizite und implizite Annahmen Regularisierung (Über-/Unteranpassung) Empfindlichkeit auf mangelnde Datenqualität Verarbeitbare Datenmenge Abbildung 30: Kriterien zur Auswahl von Data Mining-Methoden Quelle: Knobloch 2000 S. 24. Wie aus Abbildung 30 hervorgeht, sollte das zur Anwendung kommende Verfahren des Data Mining neben methoden- und datenorientierten Kriterien auch dem Anwender (sowohl dem Informationsmanager als auch dem Marketingentscheider) selbst Genüge leisten. Dies entspricht dem Gedanken einer Marketing Intelligence, dass neben der Seite der Daten und Informationen auch der Marketingentscheider, der letzten Endes die jeweiligen Marketinginformationen für seine Entscheidungsfindung benötigt, zu berücksichtigen ist. Daher wird unter anderem von Data Mining-Verfahren gefordert, dass sie interessante und nützliche Ergebnisse erzeugen; das heißt Ergebnisse, die für das Marketing handlungs- bzw. entscheidungsrelevant sind. Zudem ist es wichtig, dass diese auch den Marketingentscheidern, die nicht immer über umfassende statistische und methodische Kenntnisse verfügen, in einer verständlichen Form präsentiert werden. Schließlich sollte das Verfahren des Data Mining aus Gründen der Arbeitserleichterung und des knappen Zeitbudgets weitgehend autonom ablaufen Der Marketing Intelligence-Cycle 173 und keine permanente Interaktion mit dem Anwender (in der Regel dem Informationsmanager) erfordern. Insgesamt stellt Data Mining daher nicht eine bloße Analysemethode dar, sondern ist als Prozess aufzufassen. Der Prozess des Data Mining im Marketing beinhaltet die Gewinnung und Aufbereitung entscheidungsrelevanter Marketinginformationen aus großen Datenbeständen. Viele Autoren gehen noch einen Schritt weiter und verwenden Data Mining synonym mit dem so genannten KDD-Prozess (Knowledge Discovery in Databases; Wissensentdeckung in Datenbanken). 413 Der Begriff Knowledge Discovery wird von diesen jedoch mit der Extrahierung nützlicher Informationen gleichgesetzt und vernachlässigt somit wesentliche Bestandteile der Entstehung von Wissen. In dieser Arbeit wird Data Mining nur als eine Phase innerhalb des übergeordneten KDD-Prozesses verstanden. 414 Die Entstehung von tatsächlich handlungsorientiertem Marketingwissen hingegen erfordert die Interpretation und Reflexion der Ergebnisse durch Marketingentscheider (bzw. Informationsmanager) und damit deren aktive Beteiligung. 415 Insgesamt lässt sich festhalten, dass Fragestellungen des Marketings – schon allein aufgrund ihrer Komplexität – ein Nebeneinander verschiedener Analyseverfahren erfordern. Aus diesem Grund ist eine Kombination von hypothesengetriebenen Analyseverfahren, die so genannte Top-down-Probleme untersuchen, mit datengetriebenen Verfahren, welche zur Analyse so genannter Bottom-up-Probleme herangezogen werden, vorteilhaft, um auf diese Weise möglichst viele relevante Marketinginformationen aus den Datenbeständen ziehen zu können. Die Verknüpfung der beiden Analyseverfahren lässt sich als Datenanalysezyklus (vgl. Abbildung 31) beschreiben: 413 Vgl. Frawley/Piatetsky-Shapiro/Matheus 1991, S. 3; Adriaans/Zantinge 1997, S. 5; Küppers 1999, S. 2; Knobloch 2000, S. 3. 414 Vgl. hierzu Fayyad/Piatetsky-Shapiro/Smyth 1996, S. 1. 415 Vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 5.4. 174 Der Marketing Intelligence-Cycle Datengetriebene Analyse (Generieren von Hypothesen) Data Mining-Analyse Bottom-upProbleme Hypothese Hypothese Top-downProbleme „Klassische“ Datenanalyse Hypothesengetriebene Analyse (Verifizieren/Falsifizieren von Hypothesen) Abbildung 31: Der Datenanalysezyklus Quelle: in Anlehnung an Neckel/Knobloch 2005, S. 176 sowie Knobloch 2000, S. 11. In einem ersten Schritt wird versucht, mit Data Mining-Verfahren Muster in den Marketingdaten zu entdecken und diese durch die Formulierung von Hypothesen zu erklären, die in einem zweiten Schritt anhand von „klassischen“ Analyseverfahren überprüft werden. Ist die aufgestellte Hypothese zu falsifizieren (abzulehnen), so beginnt der Zyklus von neuem. Mittels der Verfahren des Data Mining werden neue Hypothesen generiert, die es wiederum zu untersuchen gilt. Zu Recht bezeichnen Knobloch und Neckel die Kombination „Königsdisziplin“ der Datenanalyse der Marketingdaten ermöglicht verschiedener Verfahren als die 416 , da auf diese Weise eine detaillierte Analyse wird und vielfältige, entscheidungsrelevante Marketinginformationen extrahiert werden können. 5.3.4 Generierung eines tiefgründigen Problemverständnisses durch Marketing Insights Zweifelsohne trägt im Marketing die Informations- und Kommunikationstechnologie zu einer effektiven und effizienten Informationsversorgung und -aufbereitung bei. Ausgehend von einem umfassenden Netzwerk aus unternehmensinternen und -externen Marketingdaten ermöglichen der Prozess der Datenintegration sowie 416 Vgl. Neckel/Knobloch 2005, S. 175. Der Marketing Intelligence-Cycle 175 diverse Datenanalyseverfahren (wie OLAP-Tools, Data Mining-Verfahren) die Generierung umfassender und hintergründiger Marketinginformationen, so genannter Marketing Insights. Häufig beziehen sich Marketing Insights auf (potenzielle) Kunden („Customer Insights“ bzw. Consumer Insights“ 417 ): „Insights combines several ideas. It includes „classic“ areas, such as knowing who consumers are, what they do, where they are, what they buy, what they would like to buy, what media they are exposed to and what media they choose to view, listen to or read. It also includes more psychological areas – what consumers think and feel, what their objectives and strategies are, and how these influence how they behave.”418 Marketingentscheider erlangen mit Insights tiefgründige Einsichten in das Verhalten des Kunden bzw. Konsumenten und können ihn idealerweise besser verstehen. Sicherlich steht im Marketing der Kunde im Mittelpunkt, da sich sein Agieren und Verhalten in nahezu allen Marketingbereichen widerspiegelt; so kommen beispielsweise die getätigten Einkäufe des Kunden in den Abverkaufszahlen eines Produktes zum Ausdruck und diese haben wiederum Auswirkungen auf den Erfolg – zum Beispiel den Marktanteil – eines Produkts bzw. einer Marke am Markt. Daher benötigt das Marketing neben umfassenden produktbzw. markenbezogenen Kenntnissen (beispielsweise zur effektiven Gestaltung des Marketing-Mixes eines Produkts aus Sicht der Endverbraucher) auch weitreichende Einblicke in das Marktgeschehen (wie Marktentwicklungen, Markttrends etc.) und das Agieren der Konkurrenz (beispielsweise um die relative Imageposition zum Wettbewerber bestimmen zu können), um überhaupt kunden- und marktorientiert handeln zu können. Der Begriff der „Marketing Insights“ bezieht sich demnach nicht nur auf den Kunden, sondern umfasst alle relevanten Entscheidungstatbestände des Marketings – Kunde, Produkt/Marke, Markt und Wettbewerb419 als die wesentlichen Objektbereiche von Marketing Intelligence. Um Marketing Insights zu erhalten, werden quantitative (häufig im Rahmen der Geschäftsprozesse „automatisch“ anfallende unternehmensinterne) Marketingdaten mit aggregierten Markt- und Kundendaten zu Verhaltensweisen des Kunden, wie Kaufverhalten, 417 Konsumgewohnheiten und Mediennutzung, sowie zu sozial- Während sich der Begriff der „Customer Insights“ auf bestehende Kunden bezieht, wird der Terminus der „Consumer Insights“ bei potenziellen Kunden bzw. bei Konsumenten allgemein angewandt (vgl. Enders 2006, S. 54). Siehe ausführlich zum Begriff „Consumer Insights“ Föll 2007, S. 14ff. 418 Stone/Bond/Foss 2004, S. 2f. 419 Siehe hierzu Abschnitt 3.2.3. 176 Der Marketing Intelligence-Cycle psychologischen Verhaltenshintergründen, wie Präferenzen, Motiven, Einstellungen und Wahrnehmungen, angereichert. Während es sich bei quantitativen Daten häufig um individuelle Daten handelt, die direkt einem bestimmten Kunden zugeordnet werden können, liegen qualitativ-psychologische Marktforschungsdaten in anonymisierter, aggregierter Form vor. Diese vielfältigen Daten müssen daher integriert und anschließend bedarfsgerecht analysiert werden. Das heißt, sie werden zueinander in Beziehung gesetzt, in einen breiteren Kontext gebettet, möglicherweise verglichen und in die Zukunft extrapoliert, so dass sie für ihren Betrachter eine Bedeutung und infolgedessen Entscheidungsrelevanz haben. In diesem Sinne kann damit nicht mehr von bloßen Marketingdaten gesprochen werden, sondern es handelt sich hierbei bereits um Marketinginformationen, die zu Einsichten, so genannten Marketing Insights, verdichtet werden. Abbildung 32 veranschaulicht die Generierung von Marketing Insights: Quantitative Marketingdaten Qualitative Marketingdaten „Dokumentierte Vorfälle“ Hintergründe, Zusammenhänge, Motivation + wer, was, wann, wie viel? warum? Individuelle Daten Aggregierte Daten Datenintegration und -analyse Umfassende, hintergründige Marketinginformationen „Marketing Insights“ Abbildung 32: Die Generierung von Marketing Insights Quelle: in Anlehnung an Liehr 2002, S. 99. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass die Generierung von Marketing Insights stets der Ergänzung „klassischer“ quantitativer Marktforschungs- bzw. (individueller) Kundendaten um qualitativ-psychologische (aggregierte) Marktforschungsdaten Der Marketing Intelligence-Cycle bedarf. Vielmehr werden 177 schon allein durch die Integration von unternehmensinternen individuellen Kunden- bzw. Marketingdaten mit „klassischen“ (quantitativen) Marktforschungsdaten zusätzliche Insights generiert. Eine solche Verknüpfung diverser „harter“ Daten aus heterogenen Quellen bzw. zu unterschiedlichen Sachverhalten/Bezugsobjekten (Kunde, Produkt etc.) liefert dem Marketing aufgrund ihrer Einbettung in einen breiteren Kontext umfangreichere Einblicke bezüglich spezifischer Entscheidungstatbestände („broadening“). Daneben verbindet sich, wie bereits erläutert, mit dem Terminus der „Marketing Insights“ die Vorstellung einer vertieften Einsicht in Zusammenhänge und Hintergründe eines Sachverhaltes („deepening“); dies betrifft die Anreicherung bzw. Ergänzung quantitativer Marketingdaten um qualitative-psychologische Daten. Daher ist grundsätzlich zwischen einem „breiten“ und einem „tiefen“ Verständnis von Marketing Insights zu differenzieren: Für den jeweiligen Entscheidungstatbestand im Marketing wird zum einen durch Integration vielfältiger, entscheidungsrelevanter (quantitativer) Marketingdaten aus heterogenen Quellen ein breiter und umfassender Kontext geschaffen, zum anderen werden durch deren Anreicherung um qualitativpsychologische Daten vertiefte und hintergründige Einsichten ermöglicht. Nachdem die relevanten Marketingdaten aus heterogenen Informationsquellen bzw. zu unterschiedlichen Sachverhalten, gegebenenfalls noch ergänzt um qualitativpsychologische Marktforschungsdaten, zu einer einheitlichen Datenbasis integriert wurden, sind diese anschließend bedarfsgerecht zu analysieren. Mittels ausgewählter Analyseverfahren (wie OLAP, Data Mining) können Aussagen bzw. Vorhersagen über das gegenwärtige und zukünftige Verhalten von Kunden sowie deren Bedürfnisse und Einstellungen getroffen und somit aus den integrierten Marketingdaten bedeutsame Einsichten für das Marketing offen gelegt werden. Analyseverfahren, die zur Vorhersage zukünftiger Verhaltenstrends bzw. -muster geeignet sind, werden unter dem Begriff „Predictive Analytics“ zusammengefasst. 420 „Predictive Analytics“ liefern wertvolle Informationen für das Marketing, da Marketingentscheider das Verhalten der Kunden besser verstehen und antizipieren können. Erst dadurch ist es letztendlich möglich, umfassende und hintergründige Marketinginformationen zu erlangen, die für Marketingentscheider handlungsorientierte Einsichten zum Vorschein bringen sowie verschiedene Entscheidungstatbestände des Marketings aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Eine entscheidungs- und entscheiderorientierte Analyse der integrierten 420 o.V. 2004, S. 3; Bauer 2004, S. 23. 178 Der Marketing Intelligence-Cycle Marketingdaten stellt demnach eine wesentliche Voraussetzung für die Generierung von Marketing Insights dar. Marketingentscheider bekommen ein 360-Grad-Bild von Entscheidungssituationen und erlangen damit ein detailliertes Problemverständnis. Die systematische Erhebung und Integration aller entscheidungsrelevanten Marketingdaten stellen, wie bereits erläutert, originäre Aufgaben der Datenseite dar. Auch der Aufgabenkomplex der Datenanalyse fällt im Normalfall in den Tätigkeitsbereich der dafür kompetenten Informationsexperten. Sicherlich kann man dem Marketingmanagement auch Analysewerkzeuge für Auswertungen zur eigenen Nutzung zur Verfügung stellen. In der Regel verlangt aber das Management weniger nach Marketingdaten, um eigene Analysen durchzuführen, als vielmehr nach Marketing Insights und Entscheidungsunterstützung. 5.4 Wissensebene des Marketing Intelligence-Cycles Die Bereitstellung von Marketing Insights im Sinne von zweckorientiertem Marketingwissen allein trägt noch nicht zu einer Verbesserung der Entscheidungsund Entscheiderunterstützung im Marketing bei. Vielmehr ist hierfür tatsächlich handlungsorientiertes Marketingwissen erforderlich; solches Wissen entsteht jedoch erst durch Verknüpfung zweckorientierten Marketingwissens mit praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Entscheidungsträgers. Auf der Wissensebene ist daher die Integration von Marketinginformationen bzw. Marketing Insights in die Entscheidungsprozesse des Marketings notwendig; durch deren Interpretation und Reflexion wird sodann handlungsorientiertes Marketingwissen generiert. Erst solches Marketingwissen kann vom Marketingentscheider direkt in Handlungen umgesetzt werden und somit die Qualität von Marketingentscheidungen verbessern. 5.4.1 Schaffung und Verteilung von Marketingwissen Grundsätzlich besteht Marketingwissen sowohl aus expliziten als auch aus impliziten Bestandteilen: Explizites Marketingwissen ist strukturierbar, kommunizierbar und damit prinzipiell leichter zu verteilen; implizites Marketingwissen hingegen steuert Der Marketing Intelligence-Cycle 179 unmittelbar das Handeln im Marketing. 421 In Anlehnung an die Wissensspirale von Nonaka und Takeuchi werden vier Arten der Wissensschaffung im Marketing unterschieden: Internalisierung. die 422 Sozialisation, Externalisierung, Kombination und Zweifelsohne stellt dieses Modell lediglich ein Denkraster dar, aber dennoch kann es herangezogen werden, um die Entstehung und Verteilung von Marketingwissen zu beleuchten. Im Folgenden werden die einzelnen Möglichkeiten der Wissensschaffung näher erläutert und jeweils Maßnahmen bzw. Instrumente aufgezeigt, die geeignet sind, die Wissensgenerierung im Marketing zu optimieren und gegebenenfalls bestehende Defizite zu beseitigen. Hierbei werden Vorschläge aus den im Rahmen dieser Arbeit geführten Experteninterviews aufgegriffen und um Anregungen aus der Literatur ergänzt. 5.4.1.1 Die Sozialisation – Transfer von implizitem Marketingwissen Die Sozialisation betrifft den Transfer von implizitem Wissen zwischen Marketingentscheidern und/oder Informationsmanagern durch Nachahmung und Beobachtung; auf diese Weise wird implizites Marketingwissen unmittelbar für Dritte zugänglich gemacht. Das neu geschaffene Wissen liegt allerdings wiederum nur in impliziter Form vor. Im Vordergrund steht bei dieser Art der Wissensversorgung insbesondere der Erfahrungsaustausch zwischen Individuen. 423 Implizites Marketingwissen kann nur in neues bzw. anderes implizites Marketingwissen transferiert werden, wenn die beteiligten Akteure direkt miteinander in Kontakt treten.424 Der Austausch von implizitem Wissen kann zum einen durch so genanntes Beobachtungs- und Modelllernen funktionieren. Diese Form des „Überdie-Schulter-Schauens“ kommt vorwiegend ohne Sprache aus. Für das Marketing bietet sich ein „Training on the Job“ an, durch das Entscheider und Informationsmanager gegenseitige Einblicke in die Arbeiten der anderen Seite erlangen.425 Gerade für Informationsmanager ist dies von enormer Bedeutung, weil sie erst die Entscheidungsprozesse im Marketing verstehen müssen, um überhaupt 421 Vgl. ausführlich Abschnitt 4.3.2. 422 Vgl. ausführlich Abschnitt 4.3.3. 423 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 75. 424 Vgl. Augier/Vendelø 1999, S. 253. 425 Vgl. hierzu exemplarisch Schüppel 1996, S. 262f. 180 Der Marketing Intelligence-Cycle die vom Marketingmanagement benötigten Informationen bereitstellen zu können. Zum anderen kann der Austausch von implizitem Marketingwissen durch direkten Dialog zwischen Marketingentscheidern und Informationsmanagern, das heißt durch Interaktion und Kommunikation, erfolgen. Daher ist es notwendig, dass die Datenund Entscheidungsseite im Marketing möglichst häufig miteinander in Kontakt treten – sei es in Form von formellen als auch in Form von informellen Treffen. Nonaka und Konno schlagen zur Förderung der Sozialisation das Konzept des so genannten „Ba“ vor. Am treffendsten lässt sich der japanische Begriff „Ba“ mit dem Wort „Platz“ bzw. „Raum“ übersetzen. Das Konzept des „Ba“ – als „Medium und Katalysator für Kommunikation“ 426 – dient im Grunde der Schaffung von Räumen zur Wissensgenerierung und zum Wissenstransfer. Damit ist nicht notwendigerweise ein physischer Ort gemeint; es kann sich durchaus auch um einen virtuellen Raum als Plattform zur Wissenskonversation handeln.427 In dieser Hinsicht gibt es auch für das Marketing einige Gestaltungsoptionen, die je nach Unternehmen umsetzbar sind. Eine erste Maßnahme zur Förderung des Transfers von implizitem Marketingwissen stellen Großraumbüros dar, welche quasi eine „grenzenlose Zusammenarbeit“ begünstigen. 428 Da jedoch die Daten- und Entscheidungsseite in der Regel räumlich getrennt voneinander sitzen, sollte versucht werden, durch Teamarbeit den Transfer von implizitem Marketingwissen zwischen den beiden Parteien zu fördern. So agieren gerade funktionsübergreifende Teams, die eine heterogene Zusammensetzung der Mitglieder aufweisen, mit Blick auf die Qualität ihrer Entscheidungen besonders erfolgreich. 429 Zur Verbesserung der Entscheidungsqualität im Marketing sollten daher in einzelnen Projektteams (Marketing Intelligence-Teams) Mitarbeiter beider Seiten vertreten sein: Marketingentscheider, die umfassende Markt- und Branchenkenntnisse besitzen, sowie Informationsmanager, die den Umgang mit Daten und Informationen beherrschen.430 Darüber hinaus kann ein gezielter Personaltransfer die Weitergabe von implizitem Wissen zwischen Individuen begünstigen. So ist es nicht unüblich, 426 Christian 2002, S. 93. 427 Vgl. Nonaka/Konno 1998, S. 45ff. 428 Vgl. Mendelson/Ziegler 2001, S. 78. 429 Vgl. Schüppel 1996, S. 274. 430 Zudem können Maßnahmen der Teambildung, etwa ein Outdoor-Training oder auch andere gemeinsame, eher arbeitsfremde Aktivitäten, zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Interaktionspartnern und einem gleichzeitigem Erfahrungsaustausch beitragen (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 77). Der Marketing Intelligence-Cycle 181 dass Marktforschungsinstitute direkt in der Marketingabteilung von Schlüsselkunden einen eigenen Marktforscher platzieren, wodurch eine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen der Daten- und Entscheidungsseite gewährleistet wird. Eine weitere Maßnahme ist Ideenwerkstätten, die Institutionalisierung Kompetenzzentren oder spezifischer Einrichtungen, Kommunikationsforen, regelmäßigen Interaktion zwischen den Mitarbeitern beitragen. 431 die wie zur Außerdem können Workshops und Konferenzen gezielt zum Transfer von implizitem Marketingwissen eingesetzt werden. Neben diesen eher formellen Maßnahmen weisen informelle Kontakte und Gespräche in lockerer Atmosphäre, beispielsweise in Kaffeeküchen oder Kantinen, ein hohes Potenzial zum Transfer und damit zur Schaffung von implizitem Wissen auf.432 Ein solcher Erfahrungsaustausch im Rahmen der Sozialisation sollte jedoch nicht ausschließlich auf die Mitarbeiter innerhalb des Marketings beschränkt sein; vielmehr ist es notwendig, dass sich die Zusammenarbeit auf das ganze Unternehmen und zudem über die Grenzen des Unternehmens hinaus auf Kunden, Lieferanten etc. erstreckt. Nur so ist es einem Unternehmen möglich, die Bedürfnisse der Kunden zu berücksichtigen sowie das Verhalten der Konkurrenz zu beobachten, um kundenund marktorientiert agieren zu können. 5.4.1.2 Die Externalisierung – Artikulation und Überführung von implizitem Marketingwissen in explizites Marketingwissen Die Weitergabe von impliziten Wissensbestandteilen durch den Prozess der Sozialisation ermöglicht es zwar, dass derartiges Marketingwissen von zusätzlichen Personen geteilt wird, nicht aber, dass daraus explizites Wissen wird, welches ohne persönliche Interaktion bzw. Kommunikation von „Wissensnachfragern“ genutzt werden kann. Dazu bedarf es im Rahmen der Externalisierung der Artikulation und Überführung von nicht-verbalisierbarem, implizitem Wissen in explizites Marketingwissen; implizites Marketingwissen soll für weitere Entscheider bzw. Informationsmanager verfügbar und somit für Problem- bzw. Fragestellungen des Marketings direkt nutzbar gemacht werden. 431 Beispielsweise führt die Firma Honda regelmäßig „Brainstroming-Camps“ durch, bei denen die Mitarbeiter gemeinsam über bestimmte Frage- und Problemstellungen diskutieren (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 75f.). 432 Vgl. Davenport/Prusak 1998, S. 184ff. 182 Der Marketing Intelligence-Cycle Im Marketing besitzt (fast) jeder Mitarbeiter individuelles Wissen, das anderen häufig verborgen bleibt bzw. für sie nicht unmittelbar anwendbar ist. So verfügen beispielsweise Vertriebsmitarbeiter über detailliertes Kunden- und Marktwissen; Produktmanager hingegen besitzen umfassende produkt- bzw. markenbezogene Kenntnisse. Solches Wissen ist für die jeweils anderen (Marketing-)Bereiche äußerst wertvoll; es muss nur systematisiert und strukturiert aufbereitet werden, um zugänglich zu sein. Diese Tätigkeit fällt vorwiegend in den Aufgabenbereich der Datenseite. Prinzipiell stehen hierfür zwei Möglichkeiten zur Verfügung: die standardisierte sowie die offene Externalisierung. 433 Die standardisierte Externalisierung läuft im Marketing zum Teil weitgehend automatisiert ab, beispielsweise durch Implementierung von CRM- oder Vertriebssystemen. Darüber hinaus sollten beispielsweise interne Datenbanken eingerichtet werden, in die Entscheider einzelner (Marketing-)Bereichen jeweils ihr bereichsspezifisches Wissen eintragen. So sollten beispielsweise Key Account Manager, die in der Regel umfangreiches implizites Kundenwissen bezüglich ausgewählter Schlüsselkunden besitzen (beispielsweise Anregungen bzw. Äußerungen der Kunden), dazu angehalten werden, dies schriftlich festzuhalten. Durch Dokumentation von solchem impliziten Kundenwissen werden Customer Insights zumindest bruchstückweise externalisiert und damit auch für andere Marketingentscheider zugänglich. Interne Datenbanken sind daher grundsätzlich zur Externalisierung von Marketingwissen geeignet; das implizite Marketingwissen eines Entscheiders und/oder Informationsmanagers kann festgehalten und für andere Marketingbereiche bzw. im gesamten Unternehmen zur Diskussion gestellt werden. Häufig verfügen Mitarbeiter jedoch auch über Wissen, das nicht direkt artikulierbar ist; dessen Externalisierung bereitet weitaus größere Schwierigkeiten. Durch bildhafte Erläuterungen und Umschreibungen (wie etwa Metaphern, Analogien, „Erzählen von Geschichten“) wird versucht, bislang lediglich intuitiv greifbare Sachverhalte erfassbar zu machen. 434 Für diese offene Externalisierung bieten sich daher regelmäßig stattfindende Gesprächs- bzw. Diskussionsrunden zwischen Marketingentscheidern und/oder Informationsmanagern an, deren Ergebnisse in Form von Erfahrungs- oder Sonderberichten schriftlich zu fixieren sind. Auf diese Weise werden bislang verborgene Wissensbestandteile nach und nach bezeichnet 433 Vgl. Christian 2002, S. 90f. 434 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 77ff. Der Marketing Intelligence-Cycle 183 bzw. artikuliert. Das Festhalten derartiger Sachverhalte ist jedoch mit enormem Aufwand verbunden. Nichtsdestotrotz sollte die offene Externalisierung nicht vollkommen außer acht gelassen werden, da sonst wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse im Verborgenen bleiben. Insgesamt dient die Externalisierung der dauerhaften Verankerung zunächst implizit vorliegender Wissensbestandteile. Von besonderer Bedeutung für das Marketing ist hinsichtlich dieser Form der Wissensentstehung und -versorgung insbesondere die Implementierung Wissenssystemen von Marketing-Informationssystemen bzw. Marketing- 435 . Auf diese Weise können aus implizitem Marketingwissen, das häufig lediglich in den Köpfen der Mitarbeiter vorliegt, entscheidungsrelevante Informationen generiert und einer Vielzahl von Personen mittels benutzerfreudlicher Analyse- und Präsentationswerkzeuge visuell zu jedem Zeitpunkt verfügbar gemacht werden. 5.4.1.3 Die Kombination – Verknüpfung und Multiplikation expliziter Wissensbestandteile im Marketing Ist Wissen schließlich erfasst und steht es dem Marketing in materialisierter Form zur Verfügung, kann die Integration expliziter Wissensbausteine – die Kombination – erfolgen. Wissensbereiche, die im Marketing bislang getrennt vorliegen, werden zusammengetragen. Hierbei geht es neben der Verknüpfung und dem Abgleich verschiedener Marketingkonzepte auch um die Sammlung von Informationen aus dem gesamten Unternehmen, die vom Marketingentscheider und/oder Informationsmanager durch Interpretation und Bewertung zu Wissen verarbeitet und anschließend häufig in einem Marketingbericht dokumentiert werden. Auf diese Weise können zum einen bestehende Konzepte eine neue Bedeutung erlangen und zum anderen neue Wissensgebiete entstehen. 436 Auch wenn es auf den ersten Blick scheint, dass die Kombination von Wissensbausteinen mit der Integration von Marketingdaten gleichzusetzen ist, so lässt sich diese doch klar abgrenzen. Bei der Datenintegration 437 geht es um die 435 Vgl. hierzu Abschnitt 5.4.3. 436 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 81f.; Nonaka 1992, S. 97f. 437 Siehe ausführlich Abschnitt 5.3.1. 184 Der Marketing Intelligence-Cycle Transformation, Harmonisierung und Fusion heterogener Marketingdaten aus verschiedenen Quellen zu einer einheitlichen Datenbasis. Die hier diskutierte Kombination hingegen umfasst die Verknüpfung verschiedener, im Marketing isoliert vorliegender Wissensbestandteile. Fokus der Kombination ist die Zusammenstellung und gegebenenfalls Verteilung von Informations- bzw. Wissenspaketen für spezifische Entscheidungstatbestände bzw. einzelne Entscheidungsträger. Mit anderen Worten geht es sozusagen um die „Logistik“ von Marketingwissen. Wissenslogistik im Marketing betrifft „all jene Maßnahmen […], mit denen das differenzierte Wissenspotenzial […] systematisch integriert wird, um sicherzustellen, dass bezüglich der anfallenden Problemstellungen das notwendige Wissen tatsächlich zur Verfügung steht“ 438. Voraussetzung ist also eine entsprechende Wissenstransparenz. Im Marketing sind daher für die Kombination – wie auch schon für die Externalisierung von implizitem Wissen – in erster Linie informationstechnologische Systeme und Instrumente von Bedeutung. Mit Hilfe von wissensbasierten Systemen kann das explizite Marketingfachwissen Anwendungsgebieten – gespeichert – und kategorisiert abgerufen nach werden. 439 spezifischen Neben der Implementierung von Methoden-, Studien- und Ergebnisdatenbanken können in solchen Systemen zudem auch Literatur- und Rechercheauswertungen mit Hilfe von Meta-Daten bibliothekarisch archiviert werden. Marketingentscheidern und Informationsmanagern ist es somit möglich, je nach Bedarf auf problemspezifisches Wissen zuzugreifen. Wichtig ist dabei, dass Mitarbeiter ungefilterten Zugriff auf relevante Wissensinhalte haben. Daneben bieten sich für die Kombination von expliziten Marketingwissensbausteinen so genannte Wissensverzeichnisse an, etwa in Form von Wissenslandkarten oder Wissensbranchenbüchern.440 Wissenslandkarten erweisen sich als vorteilhaft, wenn es darum geht, bestimmte Abläufe im Marketing, beispielsweise einen Innovationsprozess, zu beschreiben und zu visualisieren. Neben der Dokumentation des für die einzelnen Innovationsphasen benötigten Wissens ist eine systematische Auflistung aller Entscheidungs- und Wissensträger, die am Produktentwicklungsprozess beteiligt sind, möglich. Zur besseren Übersichtlichkeit bietet es sich an, Wissenskarten mittels spezieller Software (zum Beispiel mittels des 438 Schüppel 1996, S. 205. 439 Siehe hierzu Abschnitt 5.4.3. 440 Vgl. hierzu Schüppel 1996, S. 199; Davenport/Prusak 1998, S. 152ff. Der Marketing Intelligence-Cycle 185 Programms MindManager) in visueller Form aufzubereiten. Wissensbuch, das marketingrelevantes in Form Wissen eines auflistet, Ein Marketing- Stichwortverzeichnisses ist hingegen als explizites umfassendes Nachschlagewerk zu sehen, das spezifisches Marketingwissen beinhaltet und somit Marketingentscheider bzw. Informationsmanager bei der Suche nach spezifischem Wissen unterstützt. Solche Wissensverzeichnisse können sowohl in elektronischer Form als auch in Papierform vorliegen. Elektronische Verzeichnisse, die über das Intranet bereitgestellt werden, haben den Vorteil, dass sie zum einen durch den Einsatz von Meta-Daten eine schnellere und systematischere Suche des gewünschten Wissens ermöglichen und zum anderen auch leichter zu aktualisieren und zu pflegen sind. Aufgrund der Komplexität und Dynamik von Entscheidungstatbeständen im Marketing werden sich daher vermutlich elektronische Wissensverzeichnisse als nützlicher erweisen (zum Beispiel auch in Form einer elektronischen Enzyklopädie vergleichbar mit Wikipedia). Die Kombination als Form der Wissensschaffung und -verbreitung fällt im Marketing vornehmlich in den Aufgabenbereich der Datenseite. Neben der Implementierung und Pflege von informationstechnologischen Systemen und Instrumenten haben Informationsmanager dafür zu sorgen, dass die Wissensverteilung im Marketing insgesamt möglichst reibungslos verläuft. Das heißt jedoch nicht, dass der Informationsmanager für einzelne Entscheider spezifische Wissenspakete schnürt und diese quasi in der Funktion eines Lieferanten überbringt; vielmehr kommt ihm hierbei die Rolle eines Moderators zu, der dem Marketingentscheider bei Fragen und Problemen beratend zur Seite steht. 441 5.4.1.4 Die Internalisierung – Verankerung des expliziten Marketingwissens in die individuelle Wissensbasis eines Marketingentscheiders Mit der Dokumentation impliziter Wissensbestandteile sowie deren Kombination ist gewährleistet, dass dem Marketingmanagement eine erweiterte Wissensbasis 442 für die Entscheidungsfindung zur Verfügung steht. Wissensverfügbarkeit alleine ist 441 Vgl. Christian 2002, S. 83f. Siehe hierzu ausführlich Kapitel 6. 442 Siehe hierzu Abschnitt 4.3.2. 186 jedoch Der Marketing Intelligence-Cycle noch nicht ausreichend; vielmehr sollte das explizit vorliegende Marketingwissen, zumindest was grundsätzlich bedeutsame Sachverhalte anbelangt, in das implizite, individuelle Wissen der einzelnen Marketingentscheider überführt werden. Entscheidend ist dabei, dass explizites Wissen nicht nur „konsumiert“, sondern einer kritischen Reflexion unterzogen und somit aktiv aufgenommen wird. Auf diese Weise ergänzen und verändern Marketingentscheider ihre individuelle Wissensbasis. Erst wenn explizites Marketingwissen im impliziten Wissen einer Person verankert ist, ist davon auszugehen, dass dieses auch zur Entscheidungsfindung herangezogen wird. Internalisierung ist somit gleichzusetzen mit einem individuellen Lernprozess.443 Die Internalisierung ist auch für Marketing Intelligence maßgeblich; erst wenn ein Marketingentscheider die von der Datenseite bereitgestellten (integrierten) Marketinginformationen bzw. Marketing Insights verarbeitet und in sein implizites Wissen integriert, können diese zu einer Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing beitragen und durch die Umsetzung effektiver und effizienter Marketingentscheidungen erfolgswirksam werden. Entscheidend hierbei ist allerdings, dass das vorliegende (Fakten-)Wissen für Marketingentscheider nützlich ist. Eine nutzenstiftende Verankerung expliziten Marketingwissens im impliziten Wissen eines Entscheidungsträgers ist in der Regel nur im Dialog zwischen Daten- und Entscheidungsseite sicherzustellen. „Durch die Interaktion, die nochmalige Klärung der Problemstellung einerseits und die sukzessive Beantwortung der Ergebnisse der [… Datenseite] andererseits, generiert das Entscheidungssystem [… Marketingwissen].“444 Im Gegensatz zur Sozialisation sollten solche Treffen zwischen der Angebots- und Nachfrageseite von Marketinginformationen formellen Charakter haben. Dabei sollte das eigentliche Entscheidungsproblem im Mittelpunkt stehen. Darüber hinaus bieten sich für das Marketing zur Internalisierung von Wissen Weiterbildungsmaßnahmen (Seminare, Schulungen, Workshops etc.) an, die Erarbeiten und Verstehen von spezifischem Fachwissen bzw. Übung und Erlernen bestimmter Fähigkeiten (beispielsweise zur erfolgreichen Wissensnutzung) zum Ziel haben. Schließlich sollten den Mitarbeitern Freiräume für eine individuelle Beschäftigung mit expliziten Wissensinhalten gewährt werden, indem beispielsweise 443 Vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, S. 83. 444 Vgl. Christian 2002, S. 87. Der Marketing Intelligence-Cycle 187 ein bestimmter Anteil der Arbeitszeit für Forschung und Studium (zum Lesen aufgabenbezogener Marketing-Fachbücher bzw. -Fachartikel) zur Verfügung steht. Obgleich solche Maßnahmen die implizite Wissensbasis von Individuen erweitern und deren Leistungen unter Umständen erheblich verbessern können, wird dies in Unternehmen bislang nur unzureichend erkannt bzw. berücksichtigt. Zusammenfassend veranschaulicht Abbildung 33 die erläuterten Formen der Wissensschaffung und -verteilung im Marketing. Im Sinne einer Wissensspirale nimmt das Wissen im Marketing auf diese Weise kontinuierlich zu. Dabei sind Marketingentscheider, Informationsmanager, Marketing Intelligence-Teams, die gesamte Marketingabteilung, das gesamte Unternehmen und das Unternehmensumfeld einzubeziehen. Zielpunkt implizit neu neu Implizites Wissen implizit Implizites Wissen Dialog, Interaktion Kommunikation Sozialisation explizit Implizites Wissen Erklären, Dokumentieren Explizites Wissen neu Externalisierung Ausgangspunkt neu Implizites Wissen explizit Verarbeiten, aufnehmen, reflektieren Integration Explizites Wissen Internalisierung Kombination Abbildung 33: Die Formen der Wissensschaffung und -verteilung im Marketing Quelle: in Anlehnung an Ackerschott 2001, S. 31. neu 188 Der Marketing Intelligence-Cycle 5.4.2 Voraussetzung für eine effektive Wissensschaffung und -verteilung im Marketing Obgleich im Marketing zu vielen Entscheidungstatbeständen ein umfassender Wissensschatz bereits vorliegt bzw. potenziell zu erreichen ist, wird dieser von den Entscheidungsträgern nicht immer herangezogen. Es stellt sich die Frage, warum es in manchen Fällen nicht zur Nutzung der verfügbaren Marketinginformationen bzw. Marketing Insights kommt und warum die Generierung von implizitem und explizitem Wissen limitiert bleibt. Offenbar liegen Determinanten vor, welche die Schaffung und Verteilung von Marketingwissen be- bzw. verhindern. Unter dem Schlagwort „Market Information Utilization“ wurde in den 80er Jahren eine Reihe meist empirischer Studien durchgeführt, die sich mit der Nutzbarkeit und tatsächlichen Nutzung von Marktforschungsinformationen beschäftigen und mögliche Determinanten der Marktforschungsnutzung herausarbeiten. In diesem Zusammenhang sind vorrangig die Studien von Deshpandé und Zaltman zu nennen. Die Autoren evaluierten mit Hilfe eines Kausalmodells, inwiefern sich spezifische Determinanten auf die Nutzung von Marktforschungsinformationen auswirken. Dabei wurde sowohl eine Managerbefragung („Managermodell“) als auch eine Marktforscherbefragung („Marktforschermodell“) durchgeführt. 445 Obgleich es bei diesen Studien speziell um die Nutzung von Marktforschungsinformationen ging, können ihre Ergebnisse auch dafür herangezogen werden, mögliche Einflussfaktoren der Nutzung und Akzeptanz von Marketingwissen bei der Entscheidungsfindung im Marketing zu erläutern. Marketingwissen entsteht schließlich erst durch Interpretation und Reflexion von Marketinginformationen. Bei Marketing Intelligence geht es jedoch – im Gegensatz zu den angesprochenen Studien – nicht darum, die Menge genutzten Marketingwissens zu maximieren. Vielmehr steht die Frage im Mittelpunkt, inwieweit tatsächlich solche Marketinginformationen bzw. Marketing Insights herangezogen werden, die für den Marketingentscheider in der jeweiligen Entscheidungssituation relevant sind und inwieweit somit die Nutzung von Marketingwissen zu einer Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing beiträgt. Dennoch 445 Vgl. Deshpandé/Zaltman 1982 und 1984. Diese marketingtheoretischen Studien basieren auf den Forschungsarbeiten zu „Knowledge Use in Social Science“, die sich eher allgemein auf Politik und Gesellschaft beziehen (vgl. Deshpandé/Zaltman 1982, S. 15). Vergleiche hierzu als einschlägige Literatur dieser Forschungsrichtung Caplan/Morrison/Stambaugh 1975; Cherns 1979; Lingwood 1979; Weiss/Bucuvalas 1980; Beyer/Trice 1982; Deshpandé/Zaltman 1983; O’Reilly 1983; Shrivastava/Mitroff 1984 und O’Reilly/Chatman/Anderson 1987. Der Marketing Intelligence-Cycle 189 lassen sich die Erkenntnisse der Studien auch auf diese Fragestellung übertragen. Daher zeigen die folgenden Ausführungen, die aus den Studien von Deshpandé und Zaltman sowie weiterer einschlägiger Forschungsliteratur abgeleitet und mit Erkenntnissen aus den selbst durchgeführten Experteninterviews angereichert werden, mögliche Ursachen für Wissensbarrieren im Marketing auf und versuchen gleichzeitig, Empfehlungen abzuleiten, um bestehende Barrieren der Wissensschaffung und -verteilung im Marketing möglichst zu überwinden. 5.4.2.1 Integration der Datenseite in die Entscheidungsprozesse des Marketings Eine intensive Interaktion zwischen der Angebots- und Nachfrageseite von Marketinginformationen ist, wie bereits an anderen Stellen beschrieben, für das Funktionieren einer internen Kunden-Lieferanten-Beziehung, wie sie im Rahmen von Marketing Intelligence postuliert wird, von großer Bedeutung. So zeigen auch die Studien von Deshpandé und Zaltman, dass nach Meinung der Befragten eine ausgeprägte Kommunikation die Zusammenarbeit zwischen Marktforscher und Marketingmanager intensiviert und damit einen positiven Einfluss auf die Nutzbarkeit bzw. tatsächliche Nutzung von Marktforschungsinformationen sowie der daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen durch den Marktforscher haben. 446 Dabei wird eine wechselseitige Interaktion von beiden Befragtengruppen als besonders wichtig angesehen, wenn es darum geht, wesentliche Aspekte der Gestaltung einer Marktforschungsstudie – die inhaltliche und formale Qualität einer Studie sowie die unternehmenspolitische Akzeptanz und Marktforschungsempfehlungen – festzulegen. praktische Umsetzbarkeit von 447 In diesem Zusammenhang belegen die Ergebnisse von Deshpandé und Zaltman, dass der Einfluss des Forschungsansatzes 448 auf die Nutzung von Informationen durch Marketingmanager von diesen selbst und von den Marktforschern unterschiedlich eingeschätzt wird. Während Marketingentscheider Informationen aus 446 Vgl. Deshpandé/Zaltman 1982, S. 19; Deshpandé/Zaltman 1984, S. 36f. 447 Vgl. Deshpandé/Zaltman 1982, S. 24ff. 448 Der Forschungsansatz einer Studie kann entsprechend der Frage- bzw. Problemstellung eher explorativ oder eher konfirmatorisch ausgerichtet sein. „Research which is exploratory in purpose is intended to identify new or previously unconsidered courses of action. Confirmatory research is intended to affirm a predetermined direction or course of action. Exploratory and confirmatory purposes are not mutually exclusive. Most research is likely to have both components” (Deshpandé/Zaltman 1982, S. 17f.). 190 Der Marketing Intelligence-Cycle konfirmatorischer Forschung für nützlicher halten, schreiben Marktforscher Informationen aus explorativer Forschung eine höhere Nützlichkeit zu. 449 Zur Erklärung dieser Einschätzung lässt sich die Dissonanz- bzw. Assimilations-KontrastTheorie450 heranziehen: Konfirmatorische Forschung führt weniger häufig zu unerwarteten Ergebnissen als dies bei explorativen Studien der Fall ist; die Informationen stimmen eher mit den Vermutungen und Erwartungen der Entscheider überein, da sich die aufgestellten Hypothesen auf spezifische Annahmen stützen, die häufig theoretisch oder auch bereits empirisch begründet sind. Marktforscher hingegen gehen davon aus, dass ein exploratives Erhebungsdesign für den Marketingmanager nützlicher ist, da es neue, noch nicht bedachte Informationen sowie tiefere, hintergründige Einblicke und Kenntnisse in spezifische Sachverhalten – so genannte Marketing Insights – ermöglicht.451 Entsprechend den Ergebnissen von Deshpandé und Zaltman ist also anzunehmen, dass Marketingentscheider – bei noch weitgehend unerforschten Sachverhalten – tendenziell eher konfirmatorische Forschungsansätze bevorzugen, während Informationsmanager eher einem explorativen Erhebungsdesign den Vorzug geben. Hier gilt es, beiden Parteien zu verdeutlichen, dass sich diese Forschungsrichtungen wechselseitig ergänzen und beide für die Generierung von stichhaltigem Marketingwissen ausschlaggebend sind. Vor dem Hintergrund einer bedarfsgerechten Gestaltung von Studien ist daher eine möglichst frühzeitige Einbindung der Informationsmanager in den Entscheidungsprozess notwendig. Wie auch die durchgeführten Experteninterviews belegen, klagen Informationsmanager häufig über eine (zu) geringe Integration in die Entscheidungsplanung und -findung im Marketing. Dies führt dazu, dass Informationsmanager die Bedürfnisse und Wünsche der Marketingmanager häufig nicht kennen und somit Informationen liefern, die für Marketingentscheider wenig, teilweise sogar überhaupt nicht hilfreich sind. Um jedoch nützliches und zweckorientiertes Wissen bereitzustellen, müssen Informationsmanager wesentliche Aspekte spezifischer Entscheidungstatbestände kennen und mit der Denkweise 449 Vgl. Deshpandé/Zaltman 1982, S. 23ff. und Deshpandé/Zaltman 1984, 34ff. 450 Nach der Dissonanztheorie werden konsonante Informationen, welche die Ansicht des Entscheidungsträgers stützen, von Marketingentscheidern eher wahrgenommen und genutzt als dissonante Informationen (vgl. Frey/Gaska 1993, S. 275ff.). 451 Darüber hinaus belegen die Ergebnisse von Deshpandé und Zaltman in diesem Zusammenhang, dass Marketingmanager überraschende Informationen für weniger nützlich halten, während Marktforscher vermuten, überraschende Informationen hätten eine höhere Nützlichkeit für den Entscheidungsprozess (vgl. Deshpandé/Zaltman 1982, S. 25 und Deshpandé/Zaltman 1984, 34f.). Der Marketing Intelligence-Cycle 191 einzelner Marketingentscheider vertraut sein. Nur wenn eine Einbindung der Datenseite in die Entscheidungsprozesse des Marketings gegeben ist, kann es gelingen, entscheidungs- und entscheiderorientiertes Marketingwissen bereitzustellen, das für Marketingentscheider von Nutzen ist und auch tatsächlich bei der Entscheidungsfindung Verwendung findet. „Effektivere Kommunikations- und Interaktionsabläufe zwischen [… Angebots- und Nachfrageseite von Marketinginformationen] können aber generell erst dann erreicht werden, wenn es beiden Parteien gelingt, den Standpunkt der jeweiligen anderen Gruppe zunächst wirklich verstehen und begreifen zu wollen, was deren eigentliches Problem darstellt. Diese Kunst des bewussten Zuhörens und der Empathie wird jedoch von vielen Mitarbeitern nicht wirklich beherrscht.“ 452 Ein Marketingentscheider weist nicht immer per se ein Interesse bezüglich der Datenbeschaffung und -bereitstellung auf; es sollte daher versucht werden, ihn grundsätzlich von der Notwendigkeit eines umfassenden Informations- bzw. Wissensmanagements im Marketing zu überzeugen, so dass er schließlich eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Datenseite forciert und selbst von der Wichtigkeit der Verwendung von Marketinginformationen im Entscheidungsprozess überzeugt ist. Wechselseitig fehlendes Zuhören, geringe Empathie und letztendlich unzureichende Interaktion zwischen der Daten- und Entscheidungsseite im Marketing sind als wesentliche Ursachen für eine Nichtverwendung vorhandener Marketing- informationen und damit für die mangelnde Schaffung von Marketingwissen aufzufassen. Im Sinne von Marketing Intelligence empfiehlt sich daher eine frühzeitige Einbindung der Datenseite in die Entscheidungsprozesse des Marketings. Informationsmanager erlangen nur so bessere Kenntnisse über Bedürfnisse und Erwartungen von Marketingentscheidern und können Marketinginformationen problembezogener sowie entsprechend der kognitiven Stile von Entscheidern bereitstellen. 5.4.2.2 Vertrauen und Commitment zwischen Daten- und Entscheidungsseite Im Rahmen einer internen Kunden-Lieferanten-Beziehung ist es außerdem wichtig, dass die betroffenen Personen sich aufeinander verlassen und das Verhalten des 452 Roleff 2001, S. 221 (im Original mit Fettdruck). 192 Der Marketing Intelligence-Cycle Gegenübers einschätzen können. Maßgeblich in derartigen Beziehungen ist Vertrauen. „Trust is defined as a willingness to rely on an exchange partner in whom one has confidence. This definition spans the two general approaches to trust in the literature [...]. First, trust has been viewed as a belief, sentiment, or expectation about an exchange partner’s trustworthiness that results from the partner’s expertise, reliabilty, or intentionality [...]. Second, trust has been viewed as a behavioral intention or behavior that reflects a reliance on a partner and involves vulnerability and uncertainty on the part of the trustor [...].”453 Eine von Vertrauen geprägte Beziehung zwischen Marketingentscheidern und Informationsmanagern trägt insbesondere zu einer Reduktion der Unsicherheiten gegenüber dem Vertrauensobjekt – den bereitgestellten Marketinginformationen bzw. Marketing Insights – bei.454 Derartige Unsicherheiten können beispielsweise hinsichtlich der Qualität von Marketinginformationen entstehen, da Marketingmanager oftmals nur unzureichende Einblicke in die Prozesse der Datenerhebung und -analyse haben und zudem – selbst wenn sie darüber verfügen – aufgrund mangelnder Kenntnisse häufig gar nicht in der Lage sind, die Güte der bereitgestellten Informationen zu beurteilen. Marketingmanager müssen sich aber dennoch auf die ihnen vorliegenden Marketinginformationen verlassen können. Im Sinne von Marketing Intelligence sollte aber Vertrauen nicht nur einseitig bestehen; vielmehr ist wechselseitiges Vertrauen zwischen den Interaktionspartnern wichtig.455 Für Marketing Marketingmanagement sich Intelligence auf die bedeutet dies, Datenseite dass und einerseits das Qualität der die Marketinginformationen sowie der daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen verlassen kann. Andererseits sollten Informationsmanager ihrerseits Vertrauen haben, tatsächlich auch in die Entscheidungsprozesse des Marketings eingebunden zu sein. Wechselseitiges Vertrauen, das sich die Daten- und Entscheidungsseite im Rahmen einer internen Kunden-Lieferanten-Beziehungen entgegenbringen sollten, führt idealerweise auch zu Commitment. „Commitment to a relationship is defined as an enduring desire to maintain a value relationship. […] In other words, commitment generally does not change often. More often, people are unlikely to be committed to 453 Moorman/Zaltman/Deshpandé 1992, S. 315 (im Original mit Kursivdruck). Siehe ausführlich zur Begriffsbestimmung von Vertrauen Greschuchna 2006, S. 70ff. 454 Vgl. Moorman/Deshpandé/Zaltman 1993, S. 81; Zaltman/Moorman 1988, S. 18f. 455 Vgl. Luhmann 2000, S. 8ff.; Graeff 1998, S. 18f.; Lorbeer 2003, S. 86f. Der Marketing Intelligence-Cycle 193 something they do not value.”456 Commitment im Rahmen von Marketing Intelligence bedeutet folglich, dass die Zusammenarbeit von Daten- und Entscheidungsseite sich nicht ausschließlich aus fachlich-sachlichen Gründen oder auch mangels Alternativen begründen lässt, sondern dass die Interaktionspartner eine innere Verpflichtung zur sachlichen und persönlichen Zusammenarbeit empfinden. 457 Fehlendes bzw. wenig ausgeprägtes Commitment hingegen kann grundsätzlich zu einer Wissensbarriere führen und demnach die Nutzung von Marketingwissen im Rahmen der Entscheidungsfindung beeinträchtigen bzw. verhindern. 5.4.2.3 Schaffung struktureller Rahmenbedingungen Schließlich können auch strukturelle Determinanten den Wissenstransfer zwischen Personen oder auch Gruppen blockieren und so Einfluss auf die Entstehung von Marketingwissen beim Entscheider haben. In diesem Zusammenhang ist zunächst die Unternehmenskultur zu betrachten. Diese umfasst „die Gesamtheit der im Unternehmen bewusst oder unbewusst kultivierten, symbolischen oder sprachlich tradierten Wissensvorräte und Hintergrundüberzeugungen, Denkmuster und Weltinterpretationen, Wertvorstellungen und Verhaltensnormen, die im Laufe der erfahrungsreichen Erfolgssicherung nach außen und der sozialen Integration nach innen entwickelt worden sind und im Denken, Sprechen und Handeln der Unternehmensangehörigen zum Ausdruck kommen.“ 458 Auch für das Funktionieren einer Marketing Intelligence ist eine adäquate Unternehmenskultur, die durch entsprechende Basisannahmen, Normen und Werte zum Ausdruck kommt, von Bedeutung. Sie vermag das Verhalten der Mitarbeiter im Sinne der Kunden- und Marktorientierung zu steuern, indem sie sowohl die unternehmensinternen Abläufe als auch die Anpassung des Unternehmens nach außen beeinflusst. „Having an organizational culture that is internally and externally focused, should motivate the need for information, while fostering the effective transmission and utilization of information.”459 Vor diesem Hintergrund stellt die Unternehmenskultur eine grundsätzliche Rahmenbedingung für die interne Kunden456 Moorman/Zaltman/Deshpandé 1992, S. 316 (im Original mit Kursivdruck). 457 Vgl. Morgan/Hunt 1994, S. 23. 458 Ulrich 1984, S. 312. 459 Griffiths/Grover 1998, S. 314. 194 Der Marketing Intelligence-Cycle Lieferanten-Beziehung zwischen Marketinginformationen integrationsfördernd Idealerweise ist dar, auf das es der indem durch Angebotssie Verhalten der gezielte und Nachfrageseite von motivations- und koordinations-, beteiligten Gestaltung Akteure einer einwirkt. 460 entsprechenden Unternehmenskultur möglich, einen gemeinsamen Grundkonsens für eine effektive und effiziente Wissensgenerierung zur Entscheider- und Entscheidungsunterstützung des Marketings zu schaffen, der die Entwicklung unterschiedlicher Subkulturen der Angebots- und Nachfrageseite im Marketing zumindest größtenteils unterbindet. Ausdruck einer solchen Unternehmenskultur ist auch die Organisationsstruktur, die eine weitere Barriere für die Wissensschaffung und -verteilung im Marketing darstellen kann. Die Organisationsstruktur wird insbesondere durch den Grad der Formalisierung und Zentralisierung bestimmt. Formalisierung meint dabei das Ausmaß, in dem festgesetzte Regeln, Verantwortlichkeiten und Prinzipien die Arbeitsabläufe innerhalb eines Unternehmens und damit auch die Autorität der Mitarbeiter einschränken. Zentralisierung determiniert das Ausmaß der Entscheidungsbefugnis sowie die Teilnahme am Entscheidungsprozess. Wie zu vermuten, belegen verschiedene Studien einen negativen Zusammenhang zwischen diesen Variablen und der tatsächlichen Verwendung von Marketinginformationen: Je stärker die Strukturen Entscheidungsprozesse formalisiert ablaufen, desto sind und begrenzter je zentralisierter ist die Nutzung die von Marketinginformationen. 461 Die Wissensschaffung im Marketing und damit die Umsetzung von Marketing Intelligence hängen also in hohem Maße auch von organisatorischen Voraussetzungen ab. Auf konkrete organisatorische Gestaltungsmöglichkeiten wird in der vorliegenden Arbeit allerdings nicht näher eingegangen. 462 Insgesamt werden flexible Arbeitsstrukturen und Aufgabenumgebungen gefordert, um eine Dialogorientierung sowie eine direkte Interaktion zwischen der Daten- und Entscheidungsseite im Marketing zu gewährleisten und zu fördern. 460 Vgl. Griffiths/Grover 1998, S. 314; Meffert 1994, S. 438. 461 Vgl. Deshpandé 1982, S. 99; Deshpandé/Zaltman 1982, S. 24; Kohli/Jaworski 1990, S. 6ff.; Menon/Varadarajan 1992, S. 60ff.; Jaworski/Kohli 1993, S. 61ff. sowie Jayachandran et al. 2005, S. 182ff. 462 Vgl. hierzu die Ausführungen von Roleff, der grundlegende Organisationsformen zur Lösung der Marktforschungsaufgabe diskutiert (vgl. Roleff 2001, S. 265ff). Der Marketing Intelligence-Cycle 195 5.4.3 Ganzheitliches Management von Marketingwissen Die bisherigen Ausführungen beleuchteten insbesondere die Wissensschaffung und -verteilung als grundlegende Bausteine eines Wissensmanagements im Marketing. Fundament einer Marketing Intelligence bildet jedoch ein ganzheitliches Wissensmanagement.463 Wissensmanagement ist in diesem Zusammenhang als Prozess zu verstehen, bei dem insbesondere Führungsaufgaben zum Management von Wissen im Mittelpunkt stehen. Damit ist bereits die notwendige Vernetzung der strategischen und operativen Ebene des Wissensmanagements angesprochen: „Sobald das Management – seiner Rollenerwartung entsprechend – eine Verknüpfung zwischen der [… Marketingstrategie] und dem im [… Marketing] vorhandenen und zu erzeugenden Wissen hergestellt hat, ist alles Weitere lediglich Umsetzungsaufgabe, die durch den dem Management zugeordneten Wissensarbeiter geleistet wird und die durch das Management nur gesteuert werden muss.“464 Im Sinne eines umfassenden Wissensmanagements beinhaltet, wie bereits ausführlich erläutert, ein äußerer Kreislauf mit den Elementen Zielsetzung, Umsetzung und Messung die strategischen Aspekte eines Wissensmanagements; im inneren Kreislauf befinden sich die inhaltlichen Bausteine der Wissensidentifikation, des Wissenserwerbs, der Wissensentwicklung, der Wissens(ver)teilung, der Wissensnutzung sowie der Wissensbewahrung, welche die operativen Aufgaben eines Wissensmanagements darstellen.465 Zwar sind die einzelnen Bausteine an unterschiedlichen Stellen bereits diskutiert worden, jedoch ist insbesondere die Verknüpfung der beiden Kreisläufe, welche eine Einbettung der operativen Elemente in einen strategischen Managementprozess impliziert, die Herausforderung eines Wissensmanagements im Marketing. Für das Marketing ist es somit nicht ausreichend, Wissen zu schaffen, zu teilen und zu bewahren. Vielmehr geht es um das Management von Marketingwissen in seiner Gesamtheit, das ein holistisches Wissensmanagement im Marketing voraussetzt. Dabei spielt, wie bereits angedeutet, die Informations- und Kommunikationstechnologie eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die gesammelten Daten 463 Siehe hierzu Abschnitt 4.3.5. 464 Soukup 2001, S. 100. 465 Siehe hierzu ausführlich die Erläuterung zum Modell der Wissensbausteine nach Probst, Raub und Romhardt in Abschnitt 4.3.4. 196 Der Marketing Intelligence-Cycle zu Informationen und schließlich zu Wissen zu transformieren. „Decision-makers will make their analysis visually, can create their reports by using this data in an integrated way with their documentation systems and communicate with their colleagues to share their findings.”466 Dies begründet die Notwendigkeit eines Systems für das Management von Marketingwissen – eines Marketing IntelligenceSystems. Im Vorfeld der Konzeption eines Marketing Intelligence-Systems, welches das Management mit entscheidungs- und entscheiderorientiertem Marketingwissen unterstützen soll, sind zwei Aspekte zu beachteten: Einerseits gilt es, entscheidungsbezogen zu untersuchen, welche Marketingdaten bzw. -informationen die Manager regelmäßig benötigen, welche Analysen sie typischerweise auf Basis dieser Informationen durchführen und welche Entscheidungen vor allem daraus abgeleitet werden. Andererseits sind entscheiderbezogen typische mentale Modelle bzw. kognitive Stile von Marketingentscheidern zu analysieren: Wie gehen Entscheidungsträger mit der Komplexität und Dynamik im Marketing um bzw. bewältigen diese und wie gelangen sie schließlich zu einer Entscheidung? Sicherlich weisen einzelne Marketingentscheider in der Regel äußerst unterschiedliche und zudem sehr komplexe Entscheidungsstile auf,467 aber dennoch sollte versucht werden, durch deren Analyse zumindest ein Gespür für den Prozess der Entscheidungsfindung und damit für das Entscheiden im Marketing zu bekommen. Aspekte, welche das individuelle Entscheidungsverhalten eines Marketingmanagers betreffen, sollten daher bei der Gestaltung eines Marketing Intelligence-Systems unbedingt ebenfalls Berücksichtigung finden. Häufig wird die Analyse der kognitiven Stile von Entscheidern sogar als „key to the design of a successful internal intelligence system“468 gesehen. Grundsätzlich lässt sich also festhalten, dass sich selbst in der Konzeption eines Marketing Intelligence-Systems die im Sinne einer Marketing Intelligence geforderte Verknüpfung zwischen Angebots- und Nachfrageseite von Marketinginformationen widerspiegeln muss: Neben der Bereitstellung entscheidungsrelevanter Marketingdaten und -informationen sind (typische) kognitive Stile von Entscheidern zu berücksichtigen; erst auf diese Weise wird eine entscheiderorientierte 466 Oktar/Erdo÷an 2007, S. 86. 467 Siehe hierzu Abschnitt 3.1.2.3. 468 Schroiff 2007b, S. 217. Schroiff postuliert in diesem Zusammenhang die Etablierung eines so genannten „Business Intelligence Systems“ für den transnationalen Konzern Henkel. Der Marketing Intelligence-Cycle 197 Aufbereitung von Marketinginformationen ermöglicht. Das Ziel ist es, „Competitive Intellectual Capital“ 469 im Sinne von entscheidungs- und entscheiderrelevantem Marketingwissen zu schaffen. Entsprechend der Informationsbedarfe im Marketing von Konsumgüterherstellern könnte ein Marketing Intelligence-System generell folgende Module umfassen: 470 das Modul „Market Intelligence“, das Modul „Customer Intelligence“, das Modul „Product/Brand Intelligence“ sowie das Modul „Competitive Intelligence“. Klar ist jedoch, dass sich die konkrete Ausgestaltung eines Marketing Intelligence-Systems im Unternehmen nach den jeweiligen Besonderheiten und Anforderungen zu richten hat. Abbildung 34 veranschaulicht exemplarisch ein solches Marketing IntelligenceSystem, wie es bei einem Konsumgüterhersteller aussehen könnte: Endkunden (Consumer Insight): Segmente Lifestyles, Motive Kauf-/Informationsverhalten … Handel: Distribution … Absatz, Umsatz, Markt-/Kundenanteil DB, Gewinn Marktpotenzial/-volumen Markenwert Image, Bekanntheit Markenbild/-persönlichkeit Markenbewusstsein … Market Intelligence Product/Brand Intelligence Customer Intelligence Competitive Intelligence Kundenwert Kundenzufriedenheit Kundenloyalität Kundenwünsche/-bedürfnisse Kundeneinstellungen Customer Profiling Predictive Analytics … Wettbewerbs- und Lieferantenaktivitäten Technologietrends Wettbewerbsintensität und -dynamik Competitor Benchmarking Gesellschaft und Ökologie Politisches Klima … Abbildung 34: Typische Module eines Marketing Intelligence-Systems Konsumgüterhersteller Quelle: in Anlehnung an Wimmer/Göb 2005, S. 397. bei einem Grundlage eines Marketing Intelligence-Systems stellt zunächst ein Data Warehouse dar, in dem unter anderem sämtliche unternehmensinternen und -externen Marketingdaten abgelegt sind. Auf Basis dieser einheitlichen und integrierten 469 Schroiff 2007b, S. 213. 470 Siehe hierzu Abschnitt 3.2.3 sowie Abschnitt 5.3.4. 198 Der Marketing Intelligence-Cycle Datenbasis gelangt das Marketingmanagement im Falle einer konkreten Problemstellung bzw. eines Marketingentscheidungsproblems zur Beantwortung verschiedener Fragestellungen: 471 x Was ist geschehen? x Warum ist es geschehen? x Was wäre bzw. würde geschehen, wenn…? x Wie kann etwas umgesetzt werden? Die Beantwortung der ersten Fragestellung erfolgt in der Regel in Form von Reports. Dabei sollte es sich um integrierte Reports handeln, die sämtliche entscheidungsrelevanten internen und externen Marketinginformationen beinhalten. Auf diese Weise kann dem Marketingmanager ein ganzheitlicher Überblick über das für seine Fragestellung relevante Unternehmens- bzw. Marketinggeschehen gegeben werden. Maßgeblich ist dabei, dass ein Marketing Intelligence-Report systematisch und logisch aufgebaut ist. Die Gliederung eines solchen Marketing Intelligence-Reports kann entsprechend der einzelnen Module erfolgen: 1. Teil: Market Report 2. Teil: Customer Report 3. Teil: Product/Brand Report 4. Teil: Competitive Report Innerhalb dieser einzelnen Reports ist eine hierarchische Datenstruktur von Vorteil, die einen Zugriff auf verschiedenen Aggregationsebenen gewährleistet; konkret heißt dies, dass beispielsweise bei Market Reports quantitative Marktzielgrößen, wie Marktanteil, Umsatz etc., über sämtliche Aggregationsstufen hinweg, etwa auf SGEEbene, Länder-, Regionen- bis hin zur Gebietsebene vorliegen. Darüber hinaus ist durch einen Vergleich von harmonisierten Zeitreihen eine Analyse über die Zeit hinweg möglich. Standardisierte Reports, die in einer gesicherten Intranet-Umgebung etabliert werden, gewährleisten so einen einfachen, schnellen und aufgrund der grafischen Aufbereitung vor allem auch übersichtlichen Überblick über wesentliche Schlüsselindikatoren von Entscheidungstatbeständen im Marketing. Um die Usability derartiger Reports für den Marketingmanager zu erhöhen, sind neben einem 471 Vgl. Schroiff 2006, S. 865 sowie Schroiff 2007b, S. 218ff. Der Marketing Intelligence-Cycle 199 standardisierten Aufbau eine logische Strukturierung und übersichtliche Aufbereitung der Marketing Insights von besonderer Bedeutung. Darüber hinaus ist eine einheitliche, abgestimmte Aufmachung solcher Standardreports wichtig, damit eine schnelle, gezielte Suche der benötigten Marketinginformationen gewährleistet ist. 472 Neben Standardreports, die automatisiert in regelmäßigen Abständen generiert werden, sollte ein Marketing Intelligence-System auch die Erstellung von Spezialreports ermöglichen. Ein Spezialreport kann je nach Bedarf, entsprechend einer spezifischen Fragestellung, vom Marketingentscheider angefordert werden. Ein Marketing Intelligence-System sollte darüber hinaus über Software verfügen, die es erlaubt, den Einfluss unterschiedlicher Marketing-Mix-Determinanten auf eine bestimmte Zielgröße quantifizieren. 473 (wie zum Beispiel Absatz, Umsatz, Marktanteil) zu Ein Instrument für derartige Analysen stellt beispielsweise der Brand Simulator der GfK SE474 dar. Der GfK Brand Simulator greift auf die jeweiligen Zeitreihen zu, die idealerweise in einem Data Warehouse abgelegt sind. Über mathematische Rechenschritte wird der relative Einfluss einzelner Marketing-MixElemente, wie zum Beispiel Preisaktionen oder Promotions, auf die Abverkäufe ermittelt. Der Marketingentscheider erhält auf diese Weise bereits erste Anhaltspunkte, wie sich in dieser Hinsicht Marketing-Mix-Änderungen vermutlich auswirken werden. Neben der Bewertung der Effektivität einer Marketingmaßnahme – im Sinne ihrer tatsächlichen Auswirkung – werden so bereits empirisch begründete Hinweise auf deren Effizienz gegeben. Daneben beinhaltet der GfK Brand Simulator auch Verfahren des Modelling, die auf Basis von Vergangenheitswerten retro- bzw. prospektive Simulationen ermöglichen. Erhält der Marketingentscheider auf Basis der gewonnenen Ergebnisse eine Vorstellung über Auswirkungen einer bestimmten Entscheidung, so können deren mögliche Ursachen und Hintergründe anschließend mittels kausalanalytischer Verfahren untersucht werden. 475 Derartige Erklärungsversuche erfordern allerdings neben ausgeprägten Statistik- bzw. Verfahrenskenntnissen ein umfassendes Marketingverständnis. Daher wird auch hierfür der Einsatz von Marketing Intelligence-Teams postuliert. „The [… Marketing] Intelligence Team is a group of 472 Vgl. hierzu auch Neuner 2006, S. 43. 473 Schroiff spricht in diesem Zusammenhang von so genannter „Sales Decomposition“ (vgl. Schroiff 2006, S. 866f.). 474 Vgl. ausführlich Wildner/Scherübl 2005. 475 Schroiff nennt derartige Verfahren so genannte „Road Maps“ (vgl. Schroiff 2006, S. 868 sowie Schroiff 2007b, S. 222ff.) 200 Der Marketing Intelligence-Cycle people who are temporarily taken out of their line jobs in order to collect explicit and tacit knowledge about business [and marketing] intelligence procedures. According to the best practice doctrine, they search for and select the most appropriate and most advanced procedures, transform these procedures into standardized approaches and implement them as standard [… marketing] intelligence modules within the [… Marketing Intelligence-System] front-end tool.”476 Auf diese Weise werden Key Learnings herausgefiltert, die anschließend in das Marketing Intelligence-System eingepflegt werden und den „Grundstein für ständig aktualisierte Best-PracticeAnalysen und deren logisch begründete Abfolge“ 477 legen. Insgesamt fördert ein Marketing Intelligence-System schließlich eine kontinuierliche „Akkumulation empirisch fundierter Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu übergreifenden „Company Learnings“, die für zukünftige Projektkonzeptionen und unschätzbarer Bedeutung sind“ -umsetzungen von 478 . „Entscheidend für eine nutzenbringende Anwendung […] ist nicht allein die Inspektion von Daten, sondern die ganzheitliche Wertung von Ergebnismustern durch ein interdisziplinäres Team“ 479, das sowohl aus Marketing- als auch aus Informationsmanagern besteht. Die Entscheidungsgrundlage im Marketing lässt sich folglich nicht durch das bloße Sammeln sowie den Zukauf vielfältiger Daten und Informationen verbessern; vielmehr geht es darum, die vorhandenen Informationen zu verdichten, intelligent miteinander zu verknüpfen und zu analysieren sowie anschließend mit dem Fach- und Erfahrungswissen des Entscheiders bzw. Informationsmanagers anzureichern. Erst dann entsteht entscheider- und entscheidungsorientiertes Marketing Know-how, das zu einer Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing führt. „The critical point […] is putting forward a methodology for bridging the decision-making processes of corporations with business intelligence provided from different sources, from operational systems to marketing research.”480 Um im Sinne von Marketing Intelligence agieren zu können und somit letztendlich die Qualität von Marketingentscheidungen zu verbessern, bedarf es demnach im Marketing eines ganzheitlichen Wissensmanagements in diesem beschriebenen Sinne. 476 Schroiff 2007b, S. 221. 477 Schroiff 2006, S. 868. 478 Schroiff 2006, S. 868. 479 Schroiff 2006, S. 860. 480 Oktar/Erdo÷an 2007, S. 87. Der Marketing Intelligence-Cycle 201 Marketing Intelligence lässt sich daher idealtypisch in Form eines kontinuierlich durchlaufenen Regelkreises – des Marketing Intelligence-Cycles – abbilden. Der Marketing Intelligence-Cycle umfasst die erläuterten drei Prozessschritte: die Daten-, Informations- und Wissensebene. Abbildung 35 gibt abschließend einen Überblick über die inhaltliche Ausgestaltung von Marketing Intelligence: Intelligente Handlung Instruktion Know-that Skills Marketingwissen Reflexion Interpretation Präsentationswerkzeuge Marketing Insights Datenanalyse OLAP Data Mining Data Warehouse 1 2 3 4 Datenselektion u. -anreicherung Datenbereinigung Datentransformation u. -harmonisierung Datenfusion Integrierte Marketinginformationen Marketingdaten Interne Marketingdaten Externe Marketingdaten Aggregierte Markt-/ Marktforschungsdaten Abbildung 35: Die inhaltliche Ausgestaltung von Marketing Intelligence über den Marketing Intelligence-Cycle Grundsätzlich ist Marketing Intelligence demnach als kontinuierlicher Lernprozess zu interpretieren. Lernen bedeutet hierbei allerdings nicht nur Kumulieren von Daten und Informationen, sondern auch gezieltes Eliminieren von Daten und Informationen. Einerseits sollen zwar permanent neue Marketinginformationen dem Marketingentscheidungsprozess zugeführt werden, andererseits ist es jedoch auch notwendig, dass veraltete oder auch falsche und damit obsolet erscheinende Daten entfernt werden. 6 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence – Marktforschung als wissensbasierte Marketingberatung Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence Im vorangegangenen Kapitel wurden anhand des Marketing Intelligence-Cycles Gestaltungsempfehlungen zur Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing aufgezeigt. Hier schließt sich nun die Darstellung der für eine erfolgreiche Umsetzung von Marketing Intelligence nötigen Steuerung und Koordination innerhalb des Unternehmens an. Einleitend wird verdeutlicht, dass eine erfolgreiche Umsetzung von Marketing Intelligence als System nur mit Unterstützung der Unternehmensleitung möglich ist. Zudem muss es eine Abteilung bzw. einen Bereich geben, der die (operativen) Prozesse von Marketing Intelligence und damit den Lernprozess hin zu Marketingwissen koordiniert. Der Marktforschung – als einem der Hauptakteure auf der Angebotsseite von Marketinginformationen – kommt hierbei im Vergleich zu anderen in Frage kommenden Abteilungen bzw. Bereichen besondere Bedeutung zu; sie sollte daher im Unternehmen „federführend“ für die operative Umsetzung und Gestaltung von Marketing Intelligence verantwortlich sein. Dazu ist es allerdings notwendig, dass sie ihr Selbstverständnis verändert: dies muss sich von einem traditionellen hin zu einem erweiterten Verständnis im Sinne von Marketing Intelligence entwickeln, das für die Marktforschung bzw. den Marktforscher neue Aufgaben sowie veränderte Anforderungen mit sich bringt. In den nachfolgenden Abschnitten wird daher ausführlich die Rolle der Marktforschung bzw. des Marktforschers im Sinne von Marketing Intelligence aufgezeigt. 6.1 Steuerung und Koordination von Marketing Intelligence Als Grundlage der funktionalen Wirkungsweise von Marketing Intelligence ist deren Institutionalisierung von Bedeutung; das heißt, es muss eine Institution bzw. eine Abteilung geben, die für Marketing Intelligence verantwortlich ist und den kompletten Marketing Intelligence-Cycle als System steuert und koordiniert. Um in einem Unternehmen das Konzept einer Marketing Intelligence einführen zu können, ist es notwendig, dass auch die Unternehmensspitze dieses Vorhaben unterstützt. Grundsätzlich ist von der Unternehmensleitung eine „Marketing IntelligencePhilosophie“ zu vermitteln, um die Mitarbeiter von Marketing Intelligence zu überzeugen und ihr Verhalten in diesem Sinne zu steuern. Ausgehend vom internen Marketing als marketingtheoretischer Fundierung von Marketing Intelligence ist sie Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 203 als interne Denkhaltung im Unternehmen durchzusetzen; der Marketing IntelligenceProzess ist im Rahmen innerbetrieblicher Leistungsprozesse zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite von Marketinginformationen systematisch zu gestalten, so dass dieser im Sinne einer verbesserten Kunden- und Marktorientierung effektiv und effizient verläuft. Eine erfolgreiche Implementierung von Marketing Intelligence bedarf neben der Unterstützung der Unternehmens- bzw. Marketingleitung auch des Verständnisses und der Akzeptanz der Mitarbeiter. Sie lässt sich daher im Unternehmen in der Regel nur im Rahmen eines mittel- bis langfristigen Prozesses verwirklichen.481 Insgesamt stellt sich die Frage, welche Abteilung bzw. welcher Bereich im Unternehmen für die Koordination und konkrete Ausgestaltung des Marketing Intelligence-Prozesses zuständig sein sollte. Obgleich der Marketing IntelligenceCycle die Verknüpfung zwischen der Daten- und Entscheidungsseite im Marketing impliziert, sollte dessen operative Steuerung und Koordination auf den einzelnen Prozessstufen vorwiegend durch die Angebotsseite von Marketinginformationen erfolgen. Diese Empfehlung resultiert daraus, dass das Management von Daten und Informationen, durch welches letztendlich erst die Generierung von Marketingwissen möglich ist, grundsätzlich in den Tätigkeitsbereich der Datenseite fällt. Prinzipiell kommen auf der Angebotsseite von Marketinginformationen für die Koordination des Marketing Intelligence-Prozesses verschiedene Bereiche bzw. Abteilungen in Frage. So bietet sich etwa die strategische (Marketing-)Planung an, deren generelle Aufgabe die Schaffung und Sicherung von Wettbewerbsvorteilen ist. Inhaltlich zielt die strategische (Marketing-)Planung insbesondere auf eine Analyse der Nachfrage- und Wettbewerbsbedingungen, eine Definition und Auswahl von strategischen Geschäftseinheiten eines Unternehmens sowie die Festlegung einer Strategie für Gestaltung und Einsatz aller absatzpolitischen Instrumente bei jeder Produkt-Markt-Kombination ab. Aufgabe der strategischen Marketingplanung ist demnach die generelle Steuerung von Entscheidungen im Marketing.482 Sie soll hauptsächlich zur Frühaufklärung eines Unternehmens beitragen und damit vorwiegend als Entscheidungshilfe für das Top-Management dienen. Marketing Intelligence hingegen ist schon allein in inhaltlicher Hinsicht wesentlich breiter aufgestellt als die strategische Planung; es geht sowohl um die Verbesserung der 481 Siehe hierzu die Ausführungen zum internen Marketing als marketingtheoretische Fundierung von Marketing Intelligence in Abschnitt 4.2.2. 482 Vgl. Diller 2007, S. 368ff.; Diller 1998, S. 33ff. 204 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence Qualität strategischer als auch operativer Marketingentscheidungen. Der Bereich der strategischen Planung, der in der Regel direkt dem Top-Management unterstellt ist, erscheint daher weniger geeignet, die operativen Prozesse einer Marketing Intelligence zu koordinieren. Potenziell würde für die Koordination des Marketing Intelligence-Prozesses in einem Unternehmen auch das analytische Customer Relationship Management (aCRM) in Frage kommen, das „Kundenkontakte und Kundenreaktionen systematisch aufzeichnet (Customer Data Warehouse) und zur kontinuierlichen Optimierung der kundenbezogenen Geschäftsprozesse auswertet“483. Gegenstand des analytischen CRM sind vorwiegend individuelle Kundendaten, die in der Regel im Rahmen der operativen Geschäftsprozesse eines Unternehmens automatisch anfallen; sie werden größtenteils aus Kundentransaktionen und -interaktionen gewonnen. Die zielgerichtete und intelligente Auswertung solcher Kundendaten kann man als Kundenanalyse bezeichnen. 484 Das Aufgabenspektrum des analytischen CRM umfasst insbesondere die Archivierung der Kundendaten in einer (Kunden-)Datenbank und die Auswertung dieser Kundendatenbasis zur Verbesserung des Kundenmanagements im Unternehmen. Diese Schilderung lässt schon erkennen, dass sich das analytische CRM (fast) ausschließlich mit der Erhebung und Auswertung von Kundendaten befasst. Im Sinne von Marketing Intelligence werden zur Verbesserung der Entscheidungsprozesse im Marketing jedoch nicht nur Kundendaten, sondern entscheidungsrelevante Daten aus allen relevanten Bereichen und zu unterschiedlichsten Sachverhalten benötigt. Erst eine Integration der heterogenen Marketingdaten (wie beispielsweise Vertriebs-, Wettbewerbs- und Marktdaten) ermöglicht die Generierung einer holistischen Marketingwissensbasis. Marketing Intelligence ist demnach wesentlich umfassender ausgerichtet als der Bereich des analytischen CRM. Die Koordination des Marketing IntelligenceProzesses sollte daher auch nicht in den Tätigkeitsbereich des (häufig eher informationstechnologisch ausgerichteten) analytischen CRM fallen. Des Weiteren könnte es sich anbieten, die operative Umsetzung von Marketing Intelligence im Unternehmen dem Marketing Controlling zuzuordnen. Wie bereits ausführlich in Abschnitt 4.2.1 erläutert, kann Marketing Controlling als Teilbereich von Marketing Intelligence aufgefasst werden. Marketing Controlling beinhaltet auf 483 Hippner/Rentzmann/Wilde 2006, S. 49. Siehe hierzu auch Abschnitt 3.2.2.2. 484 Im Unterschied zur „Marktanalyse“ als Aufgabe der (traditionellen) Marktforschung; vgl. Wimmer/Göb 2006, S. 401. Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 205 objektiv-sachlicher Ebene die Schaffung geeigneter unternehmensinterner Strukturen und Rahmenbedingungen zur Koordination der Informationsversorgung (wie etwa Implementierung eines Data Warehouse) und besitzt somit eher instrumentellen Charakter. Marketing Intelligence hingegen weist darüber hinaus auch einen inhaltlichen Charakter auf; diesbezüglich geht es insbesondere um die Frage, welche Tätigkeiten aus erforderlich sind, Perspektive um der Angebotsseite Marketingmanager bei von der Marketinginformationen Entscheidungsfindung zu unterstützen. Eine bloße Versorgung mit Daten und Informationen ist hierfür nicht ausreichend. Vielmehr Marketingmanagements eine ist zur Entscheidungsunterstützung entscheidungsadäquate Integration des heterogener Marketingdaten, deren problembezogene Aufbereitung und Interpretation sowie letztendlich die Bereitstellung von handlungsorientiertem Marketingwissen erforderlich. Derartige Tätigkeiten fallen aber in der Regel nicht in den Aufgabenbereich des Marketing Controlling; schon allein aus diesem Grund sollte die Koordination des Marketing Intelligence-Prozesses nicht dem Tätigkeitsbereich des Marketing Controlling zugeordnet werden. Schließlich lässt sich noch die Marktforschung – als einer der Hauptakteure auf der Angebotsseite von Marketinginformationen – nennen. Betrachtet man deren originäre Aufgaben, so können, wie bereits an einigen Stellen der Arbeit angedeutet, sämtliche Aktivitäten, welche die Marktforschung im traditionellen Sinne verrichtet, einzelnen Prozessstufen des Marketing Intelligence-Cycles zugeordnet werden. Darüber hinaus lassen sich in den letzten Jahren einige Entwicklungen der (traditionellen) Marktforschung erkennen, die sie zunehmend in Richtung einer Marketing Intelligence-Einheit charakterisieren lassen. 485 Daher erscheint die Marktforschung prädestiniert, den Marketing Intelligence-Prozess zu steuern und zu koordinieren. Auch die Experteninterviews verdeutlichten in diesem Zusammenhang, dass eine derartige Funktion prinzipiell von der betrieblichen Marktforschung innerhalb des Unternehmens übernommen werden sollte. In organisationaler Hinsicht ist es bedeutsam, dass im Unternehmen die innerbetrieblichen Prozesse an die neuen Strukturen einer Marketing Intelligence angepasst werden. Eine erfolgreiche Umsetzung von Marketing Intelligence ist, wie bereits in Abschnitt 5.4.2.3. beschrieben, von organisatorischen Voraussetzungen abhängig. Wenn – wie in der vorliegenden Arbeit vertreten – die betriebliche 485 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 6.2. 206 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence Marktforschung die Steuerung und Koordination des Marketing IntelligenceProzesses übernehmen soll, so muss ihre organisatorische Eingliederung im Unternehmen die Aufgaben von Marketing Intelligence möglichst gut unterstützen. 486 Es ist ein organisatorischer Ansatz zu schaffen, wie die betriebliche Marktforschung als Marketing Intelligence-Einheit in einem Unternehmen die Ressource Wissen managen kann und wie sie für diesen Zweck strukturell im Unternehmen zu verankern ist. Grundsätzlich lassen sich in dieser Hinsicht zwei unterschiedliche Möglichkeiten differenzieren. Die Unterscheidung betrifft vorwiegend die Frage, ob die Marktforschungsabteilung, wie sie derzeit in der Regel in einem Unternehmen besteht, sich auflösen sollte und eine neue zentrale Abteilung zu schaffen ist, welche für die komplette Umsetzung des Marketing Intelligence-Prozesses verantwortlich ist, oder ob die Marktforschungsabteilung prinzipiell in ihrer bisherigen Form bestehen bleiben und lediglich die Steuerung und Koordination (und damit nicht die komplette Umsetzung) des Marketing Intelligence-Cycles übernehmen sollte. Die Einrichtung einer zentralen Gesamtabteilung würde bedeuten, dass sämtliche Abteilungen, die am Prozess einer Marketing Intelligence beteiligt sind bzw. entscheidungsrelevante Marketingdaten und -informationen liefern, hierunter zusammengefasst werden. In Abgrenzung zu einer solchen organisatorischen Gesamtlösung muss sich Marketing Intelligence jedoch nicht zwangsläufig in einem eigenen Organisationsbereich widerspiegeln. Vielmehr wäre es durchaus auch denkbar, dass sämtliche Aktivitäten des Marketing Intelligence-Cycles, die von unterschiedlichen Akteuren verschiedener Abteilungen bzw. Bereiche erbracht werden, von der betrieblichen beiden Marktforschung Vorteilhaftigkeit dieser Intelligence ist jeweils unternehmensspezifisch organisatorischen koordiniert Lösungen werden. von Die Marketing hinsichtlich Effektivitäts- und Effizienzüberlegungen zu prüfen. Gerade für Markenartikelhersteller, die im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen, erscheint schon allein aufgrund der vielfältigen entscheidungsrelevanten Marketingdaten, die in unterschiedlichsten Abteilungen bzw. Bereichen generiert werden, eine Zusammenlegung der am Marketing Intelligence-Prozess beteiligten Einheiten und damit eine organisatorische Gesamtlösung von Marketing Intelligence wenig sinnvoll. Die vorliegende Arbeit plädiert daher für die Beibehaltung der 486 Gemäß „structure follows strategy“ forderte Chandler, dass die Struktur eines Unternehmens bzw. einer Abteilung auf die festgesetzte Strategie anzupassen ist anstelle diese zu determinieren (vgl. Chandler 1962 sowie auch Frese 1998, S. 282ff.). Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 207 einzelnen Bereiche bzw. Abteilungen; die betriebliche Marktforschung sollte lediglich für die Steuerung und Koordination des Marketing Intelligence-Prozesses zuständig sein. Dadurch weiten sich jedoch Aufgabenbereich und Tätigkeitsfeld der betrieblichen Marktforschung aus. Aber auch der institutionellen Marktforschung sollte im Rahmen von Marketing Intelligence grundlegende Bedeutung beigemessen werden, da auch sie (neben der betrieblichen Marktforschung) empirisch fundierte Handlungsempfehlungen liefern und somit den Prozess einer Marketing Intelligence beratend unterstützen kann. Im Sinne von Marketing Intelligence sehen sich demnach sowohl die betriebliche als auch die institutionelle Marktforschung mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Im Folgenden wird – wie auch bisher – nicht zwischen betrieblicher und institutioneller Marktforschung differenziert, sondern zusammenfassend vom System „Marktforschung“ gesprochen, das betriebliche und institutionelle Marktforschung umfasst. 6.2 Von der traditionellen Marktforschung zur Marketing Intelligence-Einheit 6.2.1 Leistungs- und Servicespektrum der traditionellen Marktforschung „The underlying belief is that Market Research can be accomplished by a rather short-term, low and discontinuous effort, it is believed that a flashgun aimed at consumers and markets is sufficient to reveal their dynamic, unfathomable, and interwoven nature, it is believed that a sort of “still life” flash allows us to reconstruct the storyline of a whole movie with all its complexity.” 487 Häufig werden Marktforschungsdaten – diesem Zitat entsprechend – nur bei Bedarf erhoben. Marktforschung fungiert daher in vielen Unternehmen hauptsächlich als „Ad hocService“. Sicherlich gibt es in der Praxis zunehmend auch (betriebliche) Marktforscher, die einen engen Kontakt zum Marketing pflegen und aufgrund ihrer Sachkenntnis und Erfahrung in die Entscheidungsprozesse des Marketings integriert sind. Entsprechend der Schwerpunkte im Aufgabengebiet sowie der übernommenen „Marketing-Rolle“ unterscheiden Roleff und Wimmer verschiedene Marktforschungskonstellationen mit Zahlenverwalter“ jeweils unterschiedlichen (Zahlenautorität), den Qualitäten: „aktiven den „passiven Informationsrouter“ (Informationsautorität), den „passiven Methodenspezialist“ (Methodenautorität) sowie 487 Schroiff 2007a, S. 99. 208 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence den „aktiven Marketingberater“ (Marketingautorität). 488 Abbildung 36 veranschaulicht die Typologie von Marktforschungskonstellationen nach Roleff und Wimmer: Einbindung in Marketingprozess sehr hoch, aktiv tätig (in Eigeninitative) Typ II: Typ IV: Der aktive Informationsrouter Der aktive Marketingberater gering sehr hoch Kompetenz in Marktforschungsmethodik Typ I: Typ III: Der passive Zahlenverwalter Der passive Methodenspezialist gering, passiv tätig (durch Aufforderung) Abbildung 36: Typologie von Marktforschungskonstellationen Quelle: Diese Roleff 2001, S. 128; Wimmer 2002, S. 20. Marktforschungstypen zeichnen sich, wie bereits erwähnt, durch unterschiedliche Qualitäten aus, durch die sich letztendlich auch die Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen Marketing und Marktforschung charakterisieren lassen. „Der ‚passive Zahlenverwalter‘ sowie ‚passive Methodenspezialist‘ sind Ausprägungen eines ‚produktorientierten‘ Marktforschungsverständnisses; der ‚aktive Informationsrouter‘ sowie vor allem der ‚aktive Marketingberater‘ stehen für Kundenorientierung in der Marktforschung.“489 Den Idealfall stellen zweifelsohne betriebliche Marktforscher vom Typ des „aktiven Marketingberaters“ dar. Sie sind aktiv am Marketingprozess beteiligt und bringen sich eigenständig in die Entscheidungen des Marketings ein. Zudem verfügen sie neben einem reichen persönlichen Erfahrungsschatz über ein breites Methodenwissen. Insgesamt 488 Vgl. Roleff/Wimmer 1999 sowie Roleff 2001, S. 126ff. 489 Wimmer 2002, S. 19. Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 209 besitzen solche Marktforscher eine hohe Kundenorientierung gegenüber dem Marketing als ihren internen Kunden. 490 Eine solche Kundenorientierung erfordert auch eine stetige Anpassung bzw. Erweiterung des Leistungsspektrums. Neue Fragestellungen des Marketings, die sich mit dem Verhalten der interessierenden Marktteilnehmer sowie der detaillierten Analyse von beschäftigen, Bedürfnissen, haben Forschungsmethoden zu und Marktforschung geführt. 491 Einstellungen, einem damit Entscheidungsstrukturen verstärkten zur etc. Interesse an qualitativen „Wiederentdeckung“ der qualitativen „Qualitative Marktforschung zielt auf eine möglichst vollständige Erfassung und Interpretation problemrelevanter Themen ab, um Einblicke in die verschiedenen Untersuchungsperson zu erlangen.“ 492 Problemdimensionen aus Sicht der Es wird deutlich, dass insbesondere der Erkenntnisgewinn durch tiefergehendes Verstehen des Untersuchungsobjekts im Vordergrund steht. „Je nach Ziel der Untersuchung können hieraus kreative Ideen oder produktbezogene Problemlösungsmöglichkeiten entwickelt, Meinungen und Einschätzungen gesammelt sowie Erklärungsmuster abgeleitet werden.“ Im Zuge des gestiegenen psychologische und soziologische 493 Interesses der Marketingentscheider an Verhaltensbeobachtungen und Verhaltenshintergründen – an Consumer Insights – wurden auch einige neue Verfahren entwickelt. „Many researchers are shifting from the familiar group discussions and interviews to embrace new methods of semiotics, linguistics, bricolage, diaries, observations, workshops and neuroscience.” 494 Vereinfachend lassen sich diesbezüglich ethnographische, neuropsychologische sowie semiotische Marktforschungsmethoden unterscheiden. Ethnographische Marktforschung zielt darauf ab, Konsumenten dabei zu beobachten, wie sie Marken, Produkte und Dienstleistungen im alltäglichen Gebrauch (im Haushalt, beim 490 Siehe für eine ausführliche Charakterisierung der einzelnen Marktforschungstypen Roleff 2001, S. 128ff. 491 Vgl. Holzmüller/Buber 2007, S. 5f.; Mruck/Mey 2007, S. 23f. Bereits 1940 prägte Wilhelm Vershofen die Begriffe „qualitative Verbrauchsforschung“ und „qualitatives Interview“ (vgl. Vershofen 1940). Auch Tomczak (1992) und Trommsdorff (1993) haben vor 15 Jahren für einen verstärkten Einsatz qualitativer Methoden plädiert. 492 Kepper 1996, S. 18 (im Original mit Hervorhebung). 493 Kepper 1996, S. 17 (im Original mit Hervorhebung). Qualitative Marktforschung umfasst demnach auch psychologische Marktforschung, welche „die Analyse des Verbrauchers, die über die reine Verhaltensschilderung hinaus zur Erklärung von Ursachen und zur Aufdeckung von nur teilweise bewussten Wünschen, Vorstellungen und Bedürfnissen führt“ (Salcher 1995, S. 6) betrifft. 494 Havermans 2005, S. 13. 210 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence Einkaufen etc.) tatsächlich nutzen; Marketingentscheider erlangen damit relativ unverstellte Einblicke in den Alltag des Konsumenten. Zu den ethnographischen Methoden zählen beispielsweise so genannte Home-Visits, Video-Ethnographie 495, visuelle Tools Einkaufstouren. 496 wie Fotoalben, Tagebücher Neuropsychologische etc. oder Marktforschung auch hingegen begleitete misst die Gehirnaktivität von Probanden bei spezifischen Reizen (zum Beispiel einer Werbebotschaft) körperlichen und versucht Reaktionen und dadurch, späterem die Wechselwirkungen Kaufverhalten der zwischen Verbraucher zu analysieren. Instrumente hierfür sind bildgebende Verfahren wie zum Beispiel die Kernspin-Tomographie entscheider erhalten oder die mittels Magnetresonanz-Tomographie. 497 neuropsychologischer Methoden Marketing- beispielsweise aussagekräftige Informationen über die affektive Wirkung einer Werbekampagne bei Verbrauchern. Schließlich lässt sich auch semiotische Marktforschung als eine innovative, qualitative Methode bezeichnen, die Codes, Zeichen und die dazugehörigen (zum Teil impliziten) Zeichensysteme bzw. deren Bedeutung analysiert.498 Im Marketing kommt semiotische Marktforschung beispielsweise zum Einsatz, wenn Entscheider wissen wollen, welche Position eine Marke im Semiotischen Raum einnimmt, was sie also kommuniziert. Semiotische Verfahren liefern dem Marketingentscheider auch marken- und unternehmensrelevante Informationen, die durch systematische Analysen von Texten bzw. Inhalten von Blogs, virtuellen Plattformen, Foren etc. generiert werden. Die „Wiederentdeckung“ qualitativer Marktforschung ist also weniger zu Verstehen als Renaissance altbewährter qualitativer bzw. spezifischer psychologischer Methoden, sondern als erneut erwachsendes Interesse an Verhaltenshintergründen und -erklärungen, wozu die moderne Marktforschung eine Reihe neuartiger Methoden entwickelt oder übernommen hat. Dabei soll nicht der Anschein entstehen, dass quantitative Methoden für das Marketing an Bedeutung verloren haben; vielmehr ist in der Praxis ein gleichberechtigtes Nebeneinander von quantitativer und qualitativer Marktforschung festzustellen. Je nach Fragestellung und Untersuchungszweck kann sich der Einsatz 495 Vgl. ausführlich Knoblauch/Schnettler 2007. 496 Vgl. ausführlich Hitzler Mariampolski 2007. 497 Vgl. ausführlich Kenning/Plassmann/Ahlert 2007; Hain/Kenning/Lehmann-Waffenschmidt 2007; Penn 2007; Schilke/Reimann 2007. 498 Vgl. ausführlich Woesler de Panafieu 2007; Valentine 2007. 2007; Mathews/Kaltenbach 2007; You/Kaltenbach 2007; Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 211 einer spezifischen Methode – sei sie quantitativer oder qualitativer Art – als vorteilhafter erweisen. Daher wird bisweilen vor allem in der Literatur eine Entwicklung in Richtung Multi-Methoden- bzw. Multi-Modell-Ansätzen vorgeschlagen, die sich durch Kombination quantitativer und qualitativer Untersuchungen auszeichnen.499 Die Ausführungen verdeutlichen, dass die Marktforschung bereits erkannt hat, dass sie sich im Sinne einer internen Kunden-Lieferanten-Beziehung permanent den Anforderungen des Marketings zu stellen und dementsprechend ihr Leistungsangebot anzupassen hat. Insbesondere der Idealfall des „aktiven Marketingberaters“ verdeutlicht, dass Marktforschung nicht mehr nur als „Ad hocService“ zu verstehen ist, sondern dass typischerweise eine dauerhafte Geschäftsbeziehung zwischen Marktforschung und Marketing bestehen sollte. Allerdings sind auch solche Marktforscher nur für die Bereitstellung von „klassischen“ Markt- bzw. Marktforschungsdaten zuständig. Marketing Intelligence erfordert jedoch eine Integration sämtlicher relevanter Marketingdaten, deren entscheider- und entscheidungsbezogene Aufbereitung sowie deren problembezogene Interpretation. Will die Marktforschung auch zukünftig als Partner des Marketings agieren und in diesem Sinne eine aktive Rolle bei der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung des Marketingmanagements einnehmen, so sieht sie sich daher mit einem noch erweiterten und komplexeren Aufgabenspektrum konfrontiert; ein solcher Selbstverständniswechsel im Sinne von Marketing Intelligence stellt daher eine der zentralen aktuellen Herausforderungen an die Marktforschung dar. In den letzten Jahren zeigen sich schon ansatzweise Entwicklungen, welche die Weiterentwicklung der Marktforschung hin zu einer Marketing Intelligence-Einheit erkennen lassen. Insgesamt hat sich ein solches Rollenverständnis der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence, wie es in der vorliegenden Arbeit gefordert wird, in der Praxis allerdings bislang noch wenig durchgesetzt. 499 Vgl. Srnka 2007, S. 253ff.; Srnka/Koeszegi 2007. 212 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 6.2.2 Weiterentwicklungen der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 6.2.2.1 Verstärkte strategische Ausrichtung der Marktforschung Eine der Entwicklungen, die in den letzten Jahren die Marktforschung einer Marketing Intelligence näher bringen, ist ihre stärkere strategische Ausrichtung. Denn die zunehmende Bedeutung einer strategischen Unternehmensplanung und -führung sowie die damit einhergehende langfristige Ausrichtung unternehmerischer Entscheidungen erfordert auch eine strategische Orientierung der Marktforschung. So wird es als wichtig angesehen, dass Marketingentscheider stets über generelle Markt- und Branchenentwicklungen, über allgemeine Gesellschafts- und Verbrauchertrends sowie über Konkurrenzsituationen informiert sind. 500 Da die Qualität von Entscheidungen maßgeblich von den Informationen abhängt, die zu ihrer Unterstützung herangezogen werden, muss der Informationsbedarf des Managements besonders beachtet werden; demnach ist auch die Bereitstellung adäquater Informationen für das strategische Marketing unverzichtbar. Solche strategischen Marketinginformationen zeichnen sich im Wesentlichen durch drei zentrale Charakteristika aus:501 x Frühaufklärung Die Leitidee der Frühwarnung impliziert, dass strategische Informationen eine in die Zukunft gerichtete zeitliche Reichweite aufweisen müssen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass das Marketing Entwicklungen und Trends möglichst frühzeitig erkennt. Strategische Informationen besitzen daher die Funktion der Vorsteuerung des Unternehmenserfolgs, da sie sich grundsätzlich an der Erhaltung bzw. Schaffung zukünftiger Erfolgspotenziale orientieren. x Geringer Aggregationsgrad Strategische Marketinginformationen sollten zudem ein geringes Aggregationsniveau aufweisen, weil bei hoch aggregierten Erfolgsgrößen (wie zum Beispiel Marktattraktivität) die Rückführung auf die strategisch relevanten „Urdaten“ (wie zum Beispiel Einstellungen oder Images) abhanden kommt; die Möglichkeit einer Disaggregation auf dahinterstehende Kausalfaktoren sollte daher bei strategischen Informationen gegeben sein. 500 Siehe hierzu auch Abschnitt 3.2.2.3. 501 Vgl. Weber 1996, S. 8f.; Weßner 1989, S. 20ff. und die dort angegebene Literatur. Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 213 x Geringer Grad der Strukturierung Ein drittes Kennzeichen strategischer Informationen besteht darin, dass ihr Nutzen objektiv Entscheidungen Ungewissheit, nur beschränkt häufig kaum welche Entscheidungssituation festzustellen strukturiert Informationen relevant ist. sind, überhaupt sind. Neben Da strategische besteht für eine die diesem hohe jeweilige Aspekt der problemrelevanten Vollständigkeit strategischer Informationen ist es unsicher, wie sich diese in Zukunft entwickeln werden. Darüber hinaus liegt der „bewertbare Nutzen solcher Informationen […] weniger in den jeweiligen Informationen selbst als vielmehr in deren subjektiven Verknüpfung, Interpretation und Umsetzung“502. Um solche Informationen für das strategische Marketing bereitstellen zu können, wird eine strategische Ausrichtung der Marktforschung gefordert; die konventionelle eher taktisch-operativ und projektspezifisch ausgerichtete Marktforschung ist also um eine solche strategische Dimension zu ergänzen. 503 „[Die] strategische Marktforschung beschäftigt sich mit der Erhebung und Auswertung (absatz-)marktbezogener Daten, die als Informationsgrundlage zur Absicherung strategischer Marketing- entscheidungen herangezogen werden können. Es geht [dabei] um grundlegende und zukunftsorientierte Anregungs-, Alternativen-, Prognose- und Kontrollinformationen für die strategische Marketingplanung bzw. das strategische Marketing.“504 In inhaltlicher Hinsicht soll die strategische Marktforschung dazu beitragen, generelle Informationen über Entwicklungen und Trends sowohl auf unternehmens- bzw. geschäftsfeldstrategischer Ebene (zur Abgrenzung strategischer Geschäftsfelder) als auch auf produktstrategischer Ebene (zum Beispiel zur Auswahl geeigneter Distributionskanäle) bereitzustellen, an denen sich die Marketingkonzepte zu orientieren haben. In methodischer Hinsicht zeichnet sich die strategische Marktforschung dadurch aus, dass sie systematisch und fortlaufend strategisch ausgerichtete Informationen über zukunftsrelevante Aspekte generiert. Zwar bedient sie sich der Informationsquellen und Erhebungsmethoden der konventionellen Marktforschung (beispielsweise der Handels- und Verbraucherpanels zur Erhebung von Marktanteilen, Marktvolumina, Distributionsstrukturen etc.), aber da eine 502 Weßner 1989, S. 24. 503 Vgl. Czenskowsky 1988, S. 64f. 504 Wimmer/Weßner 2001a, S. 1624. 214 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence zukunftsorientierte Datenanalyse im Vordergrund steht, ist eine Ergänzung um quantitative und qualitative Prognosemethoden erforderlich. 505 Typische Methoden der strategischen Marktforschung sind beispielsweise auch die Szenario- oder die Kohortenanalyse506. strategischen Die mittels derartiger Marktforschungsinformationen Analysemethoden bilden die generierten Grundlage von Früherkennungssystemen und fließen in die strategischen Planungsmethoden des Marketings ein, so etwa in Portfolioanalysen, Stärken-Schwächen-Analysen, GapAnalysen, Branchenstrukturanalysen, Positionierungsanalysen, Imageanalysen, Marktsegmentierungsstudien oder in das Produktlebenszyklus-Konzept.507 Insgesamt führt die strategische Ausrichtung bereits zu einer Erweiterung des traditionellen Aufgabenspektrums der Marktforschung. Dabei erscheint es notwendig, dass „die Marktforschung in den Prozess der strategischen Führung integriert wird und ihrerseits Untersuchungsmethoden anbietet, die auf die Eigenart der strategisch orientierten Informationssuche zugeschnitten sind“ 508. Aufgrund komplexer, strategischer Entscheidungssituationen sind Methoden erforderlich, die ein Denken in vernetzten Zusammenhängen unterstützen und eine zukunftsgerichtete Analyse der Daten gewährleisten. Darüber hinaus bringt die strategische Ausrichtung die Aufgabe mit sich, die Ergebnisse entscheidergerecht – entsprechend den Bedürfnissen und Anforderungen Unternehmensführung – zu des strategischen kommunizieren. Marketings Anliegen der bzw. der strategischen Marktforschung soll es sein, nicht die konventionelle Marktforschung zu ersetzen, sondern sie um die strategische Dimension zu erweitern. 509 6.2.2.2 Neue Aufgaben der Marktforschung im Zeichen des Beziehungsmarketings Eine zweite, jüngere Entwicklung in Richtung Marketing Intelligence stellt die Ausrichtung der Marktforschung auf das Beziehungsmarketing dar. „Beziehungsmarketing […] ist ein strategisches Konzept des Marketing, bei dem der Marketingerfolg durch systematisches Management (d.h. Analyse, Planung, Kontrolle 505 Vgl. Wimmer/Weßner 2001a, S. 1624f. 506 Siehe ausführlich zur Kohortenanalyse Wimmer/Weßner 2001b, S. 777-780. 507 Vgl. Czenskowsky 1988, S. 241ff.; Weber 1996, S. 49ff. 508 Köhler 1986, S. 113. 509 Vgl. Weber 1996, S. 17ff. Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 215 und Organisation) individueller Kundenbeziehungen im Hinblick auf die Etablierung und Pflege kooperativer, d.h. auf langfristigen, gegenseitigen Nutzen ausgerichteter Geschäftsbeziehungen gesucht wird.“ 510 Nachdem in den 90er Jahren geeignete Instrumente des Beziehungsmarketings entwickelt wurden, geht es mittlerweile vorrangig um dessen Professionalisierung. Insbesondere zur Ausrichtung auf profitable Kundenbeziehungen, beispielsweise durch Implementierung von Kundenwertsystemen, sowie zur individuellen Kundenansprache und -interaktion benötigen Unternehmen ein umfassendes Kundeninformationsmanagement, das sowohl individuelle Kundendaten als auch aggregierte Marktdaten umfasst. Um die Professionalisierung des Beziehungsmarketings zu unterstützen, haben sich einerseits hinsichtlich Fragestellung und Zielsetzung und andererseits hinsichtlich Art und Inhalt der benötigten Informationen spezifische Anforderungen an die Marktforschung ergeben.511 Generell ist zwischen individuellen Kundendaten und aggregierten Marktdaten zu differenzieren. Während individuelle Kundendaten konkret einzelnen Personen bzw. Haushalten oder Institutionen zugeordnet werden können, liegen aggregierte Marktdaten, wie sie klassischerweise im Rahmen der Marktforschung erhoben werden, grundsätzlich in anonymisierter Form vor und beziehen sich nicht auf einzelne Kunden, sondern auf Ziel- bzw. Kundengruppen sowie auf definierte (Teil-)Märkte. Individuelle Kundendaten bringen typischerweise so genannte „hard facts“ zum Ausdruck, wie sie bei Transaktionen im Unternehmen anfallen und darüber hinaus gezielt erhoben werden. Aggregierte Marktdaten umfassen neben generellen Markt- und Konsumenten- bzw. Abnehmerstudien typischerweise Verhaltensweisen und -hintergründe im Bereich des Informations-, Kauf- und Verwendungsverhaltens.512 Abbildung 37 verdeutlicht die im Beziehungsmarketing benötigten Informationen aus Kundenanalyse und Marktforschung. 513 Interne Kundendaten fallen einerseits unternehmensintern an; andererseits muss ein großer Teil der individuellen Kundendaten auch extern erhoben werden. 514 Zudem werden aggregierte Daten über Märkte und Kunden(gruppen) benötigt. 515 510 Diller 2001b, S. 163f. 511 Vgl. Diller 2002, S. 4ff. 512 Vgl. Wimmer/Göb 2006, S. 404ff.; Liehr 2001, S. 727f.; Liehr 1999, S. 47. 513 Siehe hierzu ausführlich Wimmer/Göb 2006, S. 404ff. 514 Siehe hierzu Abschnitt 3.2.2.2. 515 Siehe hierzu Abschnitt 3.2.2.4. 216 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence Marktforschung Kundenanalyse Kundendaten (indivuell) Marktdaten (aggregiert) Intern anfallend Extern zu erheben • Sekundärdaten: Amtliche Statistiken, vorhandene Marktstudien, Datenbanken • Ex ante individuelle Kundendaten: Adressdaten, Strukturdaten etc. - (Qualifizierte) Adressdaten - Profildaten - Kauf-, Service- und Kontaktdaten • Primärdaten: Studien zum Informations-, Kauf- und Verwendungsverhalten von Zielgruppen/Segmenten - Verhaltensweisen - Verhaltenshintergründe • Profildaten: • Kontaktdaten: Art und Häufigkeit von Kommunikationsaktivitäten, Kundenreaktionen etc. • Ex post individualisierbare Marktdaten: • Transaktionsdaten: - Mikrogeographische Daten - Lifestyles, Motive, Einstellungen - Konsumgewohnheiten - Mediennutzung etc. Kaufmengen, -häufigkeit etc. • Servicedaten: Anfragen, Reklamationen etc. Abbildung 37: Kundenanalyse vs. Marktforschung Quelle: in Anlehnung an Wimmer/Göb 2006, S. 405. Zur Generierung beziehungsmarketingrelevanter Daten bedarf es also der Kundenanalyse und der Marktforschung. Der Bereich der Kundenanalyse gehört jedoch – weder im traditionellen noch in einem erweiterten Verständnis – zum Aufgabenspektrum der Marktforschung; er sollte deshalb auch weiterhin ein eigenständiger Aufgaben- (und Methoden-)bereich bleiben. Für Entscheidungen im Beziehungsmarketing kommt es jedoch darauf an, alle relevanten Daten aus Kundenanalyse und Marktforschung zu aussagekräftigen Informationen über potenzielle und aktuelle Kunden zu verdichten. Die Aufgabe der Marktforschung muss vor diesem Hintergrund darin bestehen, die vielfältigen, heterogenen Daten aus Kundenanalyse und Marktforschung (Marktanalyse) zusammenzuführen; die besondere Herausforderung liegt in dieser entscheidungs- und entscheiderorientierten Datenintegration. 516 Darüber hinaus sieht sich die Marktforschung zur Unterstützung des Beziehungsmarketings neuen Parametern und Messgrößen gegenüber. Hierbei steht zunächst der Kundenwert als zentrale Orientierungsgröße im Mittelpunkt. Die Marktforschung hat die Aufgabe, entsprechende Daten für eine branchen- und kundengruppenspezifische zusammenzuführen. 516 Neben Siehe hierzu Abschnitt 5.3.1. Betrachtung dem des (potenziellen) ökonomischen Kundenerfolg Kundenwerts sind der Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 217 Referenzwert, der Informationswert sowie der Cross-Selling-Wert von Kunden als Komponenten des Kundenwerts möglichst präzise zu prognostizieren. Des Weiteren ergibt sich für die Marktforschung die Aufgabe, umfassende Informationen über Kundenbindung bzw. die Wirkung entsprechender Bindungsaktivitäten bereitzustellen. So kann man auf Basis von Transaktionsdaten beispielsweise Besuchshäufigkeiten der Kunden, Erstkaufpräferenzen, Kundenpenetration, Markenoder Ladentreue bzw. Churn-Rates sowie Cross-Selling-Rates ermitteln und auf entsprechende Kundenbindungsinstrumente zurückführen. Zudem lassen sich beispielsweise Kundenzufriedenheit, Kundenloyalität sowie Wiederkauf- und Weiterempfehlungsbereitschaften durch Kundenbefragungen messen. 517 Im Hinblick auf diese Parameter und Messgrößen des Beziehungsmarketings muss sich die Marktforschung auch neuer Methoden bedienen. Neben traditionellen Marktforschungsverfahren, wie zum Beispiel der Zufriedenheitsmessung, nutzt die Marktforschung im Rahmen des Beziehungsmarketings unter anderem neue, durch das Internet ermöglichte Erhebungsmethoden. 518 So können Online-Befragungen von Kunden oder auch Verfahren des User Tracking herangezogen werden, die beispielsweise Click Stream- oder Conversion-Analysen ermöglichen, um Aufschluss über die Präferenzbildung beim Online-Kauf zu geben. Des Weiteren kommen auch Verfahren des Information Filtering, speziell des Collaborative Filtering, zum Einsatz, bei denen Kunden anhand vordefinierter Merkmale einer Gruppe ähnlicher Kunden zugewiesen werden.519 Darüber hinaus stellen beispielsweise Scannerkassen und Kundenkarten geeignete quantitative Methoden zur Erhebung von Kundendaten dar; auch qualitative Methoden, wie zum Beispiel Kundenbeobachtungen oder Beschwerdeanalysen kommen als Marktforschungsmethoden im Zeichen des Beziehungsmarketings in Betracht. 520 Insbesondere vor dem Hintergrund der kundenzentrierten Sichtweise in Unternehmen, des dadurch bedingten Ausbaus der Erhebung von Kundendaten und der Implementierung vielfältiger, benutzerfreundlich handhabbarer Analysetools ist jedoch die Tendenz zu beobachten, dass sich das Marketingmanagement bei der Entscheidungsfindung verstärkt auf interne Kundendaten und daraus extrahierte 517 Vgl. Wimmer/Göb 2006, S. 409f.; Wiedmann/Bruxel/Siemon 2005, S. 34ff.; Diller 2002, S. 15ff. 518 Siehe zur Systematisierung von Online-Datenerhebungsverfahren für das Customer Profiling Wiedmann/Buxel 2004, S. 301. 519 Vgl. Diller 2002, S. 22f. 520 Vgl. Einhorn 2005, S. 107ff. 218 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence Informationen anstelle von Marktforschungsdaten stützt. Folglich dienen immer häufiger marktforschungsfremde Daten, welche primär aus den Prozessen des analytischen CRM resultieren, als Entscheidungsgrundlage. 521 „Marktforschung und CRM“ – die Beziehung zwischen diesen beiden Bereichen sowie als Aufgabe von Marketing Intelligence die Integration von Markt- und Kundendaten – ist in diesem Zusammenhang ein dominierendes Thema in Literatur und Praxis. Insbesondere auf Seiten der Marktforschung – sowohl der Institute als auch der betrieblichen Marktforschung – wird intensiv die Frage diskutiert, inwieweit vom (analytischen) CRM eine Wettbewerbsbedrohung ausgeht. 522 Sicherlich divergieren Zielsetzungen und Ansatzpunkte von analytischem CRM und Marktforschung zum Teil; daneben existieren jedoch auch einige gemeinsame Analyseziele, wie Kundensegmentierungen, Zielgruppenanalysen, Kundenpotenzialanalysen etc.523 Als entscheidender Vorteil von CRM-Systemen hinsichtlich derartiger Analyseziele gilt, dass „konkretes Kundenverhalten (wie zum Beispiel Kaufverhalten oder Produktnutzung) kurzfristig valider, das heißt, in Bezug auf Verhaltensausprägungen und hinsichtlich Segmentunterschieden differenzierter vorausgesagt werden kann als dies ceteris Marktforschungsdaten und -modelle möglich ist“ paribus auf Basis typischer 524 . Ein weiterer Vorteil von CRM- Systemen besteht darin, dass sie in der Regel relativ einfach mit anderen operationalen Datenbanken innerhalb des Unternehmens zusammengeführt werden können; auf diese Weise ist es möglich, umfassende Kundeninformationen über unterschiedliche Kanäle hinweg zu sammeln und sie miteinander in Beziehung zu setzen bzw. zu integrieren. Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um Daten aus der Vergangenheit; folglich sind nur eingeschränkte Rückschlüsse auf potenzielle Kunden möglich. In diesem Zusammenhang entstehen jedoch entscheidende Vorteile für die Marktforschung. Während Daten aus CRM-Systemen sich auf vergangene Kundentransaktionen beschränken, ist durch Marktforschung die Bereitstellung umfassender Informationen über Einstellungen, Motive, Emotionen 521 Vgl. Wimmer/Göb 2006, S. 396; Bauer 2004, S. 23; McElhatton 2004, S. 20. Unternehmen geben große Teile ihres Marktforschungsbudgets an branchenfremde Informationsanbieter, die sich auf Data Mining, Data Fusion etc. spezialisiert haben. Hierbei handelt es sich um Unternehmen wie beispielsweise Siebel, SAP, SPSS, Telephia Inc. (vgl. hierzu o.V. 2007, S. 2ff; Flores/Briggs 2001, S. 170). 522 Vgl. Flores/Briggs 2001, S. 170ff. 523 Vgl. zur Anwendungspraxis des analytischen CRM ausführlich Jost/Merzenich/Wilde 2005. 524 Bauer 2004, S. 23. Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 219 etc. möglich, die zur Erklärung von Verhaltensweisen und -mustern herangezogen werden können. Dabei können derartige Daten sich sowohl auf aktuelle als auch auf potenzielle Kunden beziehen.525 Insgesamt steht bei Marktforschungsdaten, sofern sie eher die so genannten „soft facts“ erfassen, häufig das inhaltliche Verständnis im Vordergrund; breiter angelegte Aussagen sowie hintergründige, tiefere Einsichten bezüglich des Kundenverhaltens von Ziel- bzw. Kundengruppen Verhaltensvorhersagen auf Basis sind somit des inhaltlichen möglich. Während also Verständnisses von Konsumentenverhalten als der Anspruch und damit als das Alleinstellungsmerkmal der Marktforschung anzusehen sind, werden mittels des analytischen CRM äußerst präzise und differenzierte statistische Prognosemodelle, so genannte „Predictive Analytics“, ermöglicht. 526 Schon alleine diese Aspekte verdeutlichen, dass der Einsatz von analytischem CRM und Marktforschung nicht eine „entweder/oder“Entscheidung darstellen kann, sondern die Antwort vielmehr „sowohl/als auch“ lauten muss.527 Aufgabe der Marktforschung ist es daher, Defizite und Grenzen des analytischen CRM aufzudecken, so ihre Rolle im Sinne des Beziehungsmarketings bzw. des CRM zu finden und diese als Chance wahrzunehmen. 528 Das nachfolgende Zitat von Henri Wallard, CEO der IPSOS Group, illustriert anschaulich die zunehmende Bedeutung und Notwendigkeit der Integration von unternehmensinternen Datenbeständen und Marktforschungsdaten, wie sie im Sinne von Marketing Intelligence gefordert wird: „The database doesn’t speak on its own. It needs to be stereophonic with research.” 529 CRM ist also für die Marktforschung als Chance zu begreifen; „[i]f market researchers can update their codes of conduct, CRM related research could be one of the largest parts of their business.” 530 525 Vgl. Oktar/Erdo÷an 2007, S. 79ff.; Stone et al. 2004, S. 118f. 526 Vgl. Bauer 2004, S. 23. 527 Vgl. Wimmer/Göb 2006, S. 404ff.; McElhatton 2004, S. 21. 528 Vgl. Smith 2005, S. 10; Havermans 2002, S. 8; Martine-Cosnefroy 1998. 529 McElhatton 2004, S. 21. 530 Poynter 2007, S. 391. 220 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 6.2.3 Erweiterter Aufgabenbereich der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence „[…If] the marketing research industry is willing to produce information which will be discussed in the boardroom, it has to be ready to forget what it accumulated until today and revise its classical motto: ‘Marketing intelligence is something more than the marriage of the science of sampling and the art of asking questions’.” 531 Die zuvor erläuterten Entwicklungen verdeutlichen bereits das erweiterte Aufgabenspektrum sowie den damit einhergehenden Selbstverständniswechsel der (traditionellen) Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence. So bestand eine erste Anforderung darin, die traditionelle Marktforschung, der aufgrund ihrer taktischoperativen Schwerpunktsetzung ein „strategisches Defizit“ nachgesagt wurde bzw. teilsweise auch noch wird, um eine strategische Dimension zu erweitern. 532 Neben vergangenheitsorientierten Daten, die in der Regel lediglich punktuell und einzelfallbezogen vorliegen, sollten zukunftsorientierte Daten über Markt- entwicklungen und -potenziale, Verhaltensweisen und Einstellungen von Ziel- und Kundengruppen sowie zu anderen Marktteilnehmern, Wettbewerbskonstellationen und Wettbewerberstrategien etc. bereitgestellt werden. Oftmals ist die traditionelle Marktforschung durch ein projektorientiertes Vorgehen gekennzeichnet. Die Arbeit der Marktforschung beginnt häufig erst, wenn von Seiten des Marketings der Auftrag erteilt wurde. Dies führt dazu, dass Marktforscher sich hauptsächlich mit isolierten Problem- und Fragestellungen in Form isolierter Marktforschungsprojekte befassen. Marktforschung im Sinne einer Marketing Intelligence hingegen Marktforschungsstudien ist als proaktive Instanz zu nicht nur durchführt, sondern auch begreifen, initiiert die sowie kontinuierlich den Markt beobachtet und relevante Informationen sammelt, aufbereitet und dem Marketing präsentiert bzw. entscheidungsorientiert verfügbar macht.533 Proaktiv handelnde Marktforscher erkennen frühzeitig mögliche Chancen und Risiken auf dem Markt und weisen Marketingentscheider auf neue bzw. zukünftige Problem- und Fragestellungen hin. Auf diese Weise tragen sie zum Anstoß neuer Entscheidungsprozesse im Marketing bei und arbeiten zudem aktiv an der Implementierung zukünftiger Strategien mit. Vor diesem Hintergrund ist Marktforschung nicht mehr nur als Instrument zur Kontrolle und Risikominimierung zu 531 Oktar/Erdo÷an 2007, S. 93. 532 Vgl. Knauer 1998, S. 161f. sowie Abschnitt 6.2.2.1. 533 Vgl. Oktar/Erdo÷an 2007, S. 68ff.; Frishammer 2002, S. 146. Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 221 verstehen, sondern Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence fungiert zusätzlich als Instrument der strategischen Planung und Entscheidungs- unterstützung. Um jedoch eine wirkliche Entscheidungshilfe für das Marketing darzustellen, kann die Marktforschung sich nicht ausschließlich der Beschaffung von Informationen widmen. Vielmehr ist eine Integration der Marktforschungsdaten mit anderen Marketingdaten aus unternehmensinternen und -externen Quellen notwendig; 534 die vorhandenen unternehmensinternen und -externen Informationen sind intelligent zu verknüpfen und anschließend durch Anwendung geeigneter Analyseverfahren aufzubereiten. Somit lassen sich schließlich Einsichten genieren, auf deren Basis sich problembezogene Lösungsvorschläge sowie empirisch begründete Handlungsempfehlungen ableiten lassen. 535 „The key role of the market research function in an organisation is to provide reliable evidence which helps managers take better decisions.”536 Diesem Zitat entsprechend soll die Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence durch die Generierung von entscheider- und entscheidungsrelevantem Marketingwissen zur Verbesserung der Entscheidungsqualität im Marketing beitragen. Dies soll jedoch nicht heißen, wie bereits ausführlich erläutert, dass die komplette Umsetzung des Marketing Intelligence-Prozesses durch die Marktforschung zu erfolgen hat; vielmehr sind an diesem Prozess eine Vielzahl von Akteuren aus verschiedenen Bereichen bzw. Abteilungen beteiligt. Aufgabe der Marktforschung soll es sein, den Prozess von Marketing Intelligence zu steuern und zu koordinieren. Wie auch Marketing Intelligence hat die Marktforschung daher vor dem Hintergrund des Wissensmanagements zu erfolgen; die (traditionelle) Marktforschung sieht sich also grundsätzlich mit der Notwendigkeit eines Selbstverständnis- und Imagewechsels konfrontiert: Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence ist als wissensbasierte Marketingberatung („Fact based Marketing Consultancy“) zu charakterisieren. Insgesamt kommt der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence ein komplexeres und anspruchsvolleres Aufgabenspektrum zu; damit verbunden werden 534 Vgl. Smith 2007a, S. 23; Oktar/Erdo÷an 2007, S. 79f.; Baker/Mouncey 2002, S. 703ff.; Holmes 1998, S. 332ff. 535 „Taking an holistic approach with [… marketing] teams, […] market researchers and [… the] research strategies is the key to ensuring productive results that move from consumer insight to viable new products, brand positioning and marketing strategy” (Blache/Hofmann 2007, S. 65). Vgl. auch Smith 2004, S. 766; Smith/Fletcher 2001, S. 178ff.; Blache/Hofmann 2007, S. 54f.; Alioto 2007, S. 51f.; Hickey/Wunder 2003, S. 39ff. 536 Philips 2007, S. 37. 222 auch Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence neue Fähigkeiten und Kompetenzen vom Marktforscher verlangt. 537 Marktforschung in diesem erweiterten Verständnis ist nicht mehr mit Datenerhebung und -aufbereitung sowie Analyse und Interpretation gleichzusetzen; vielmehr liegt ihr ein umfassenderes Verständnis von Marktforschung zugrunde. Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence versteht sich als „the fundamental resource for [marketing and] business insights, measurement, knowledge, and tools that are systematically used for achieving higher levels of market performance and stakeholder value.“538 Sie agiert als „overall intelligence filter“ 539 zwischen dem Marketing und der Marketing- bzw. Unternehmensumwelt. Ein solches Rollenverständnis der Marktforschung kommt in einigen Unternehmen bereits durch die Einrichtung neuer Abteilungen bzw. die Umbenennung der herkömmlichen Marktforschungsabteilung zum Ausdruck: „Klassische“ Markt- forschungsabteilungen haben sich weiterentwickelt zu Abteilungen wie „Market Insights“, „Consumer Insights“ oder auch „Marketing Intelligence“ bzw. „Customer Intelligence“.540 Daraus lässt sich ableiten, dass die Praxis zumindest partiell schon die Notwendigkeit einer „revolutionären“ Veränderung der Marktforschung, wie sie in der vorliegenden Arbeit im Sinne einer Marketing Intelligence gefordert wird, erkannt hat. 537 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 6.3. 538 Schroiff 2007a, S. 102 sowie Schroiff/Borrell 2002, S. 32; ähnlich auch Havermans 2002, S. 9. 539 Schroiff 2007a, S. 102. 540 Vgl. beispielsweise Phillips 2007, S. 57; Rosinski 2007, S. 98ff. Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 6.3 223 Erweitertes Selbstverständnis des Marktforschers im Sinne von Marketing Intelligence Die Entwicklung der traditionellen Marktforschung in Richtung einer Marketing Intelligence-Einheit führt zwangsläufig auch zu neuen Herausforderungen für den Marktforscher. Dies hat einerseits Auswirkungen auf die Position des Marktforschers, andererseits werden von ihm aufgrund des erweiterten Aufgabenspektrums neue Fähigkeiten und Kompetenzen verlangt. 6.3.1 Vom Informationslieferanten zum Marketing Intelligence-Spezialisten Die neue Rolle des Marktforschers wird in der eines Marketing IntelligenceSpezialisten gesehen, der in die Entscheidungsprozesse des Marketings eingebunden ist und diese auf Grundlage von empirisch fundiertem Wissen aktiv mitgestaltet. Neben der Aufgabe, Zusammenhänge und Hintergründe transparent darzustellen, ist der Marketing Intelligence-Spezialist gefordert, selbst Stellung zu beziehen und Handlungsempfehlungen aufzuzeigen. „Today decision-makers want presenters to start at the end by focusing on the overall implications of the evidence for the end decision. They want market researchers to be action orientated, to take risks, and to become involved and engaged in the decision.” 541 Entscheidend ist, dass der Marktforscher als neutraler Partner auftritt; seine Aussagen über Erfolg bzw. Misserfolg einzelner Marketingmaßnahmen sollten aufgrund objektiver und rationaler Handhabung von Informationen empirisch begründet sein. Damit gewinnt neben analytischen und methodischen Fähigkeiten eines Marktforschers nunmehr auch seine Beratungsleistung an Bedeutung. 542 Diese Anforderungen implizieren, dass sich im Sinne von Marketing Intelligence die Funktion des Marktforschers zu der eines qualifizierten Marketingberaters entwickeln muss, der dem Marketingmanagement empirisch begründete, problembezogene Lösungsvorschläge 541 unterbreiten kann. 543 Wichtig ist allerdings, dass sich Smith 2004, S. 771; ähnlich auch Smith 2007b, S. 4. 542 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 6.3.2. 543 „The critical role of the researcher from the organisation’s perspective is evolving from an information technologist into an advisor, but one whose advice is firmly grounded on solid evidence” (Philips 2007, S. 57). Auch Smith bezeichnet die Funktion der Marktforscher als „decision advisers“ bzw. „decision facilitators“ (vgl. Smith 2007a, S. 25). 224 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence Marktforscher gleichwohl von Unternehmensberatern abgrenzen. 544 Während Unternehmensberater eher top-down orientiert sind und betriebswirtschaftliche Problemstellungen aus einer funktionsübergreifenden und interdisziplinären Problemsicht im Rahmen eines klar abgesteckten Beratungsprojektes aufgreifen 545, sollten Marktforscher an der „bottom line“ interessiert sein und so genannte „Fact Based Marketing Consultancy“ bieten. Qualifizierte Marketingberater offerieren dem Marketing detailliertes, faktenbasiertes Hintergrundwissen, dessen Nutzen für den Marketingentscheider während Bedeutung Gegensatz ist. Im des zur Entscheidungsprozesses projektorientierten von enormer Arbeitsweise einer Unternehmensberatung ist der Marketingberater als Partner des Marketings zu betrachten, deren beider Zusammenarbeit sich im Sinne einer internen KundenLieferanten-Beziehung durch Beständigkeit und Vertrauen charakterisieren lässt. Zusammenfassend erfordert eine solche Funktionserweiterung im Sinne von Marketing Intelligence eine unmittelbare Beteiligung des Marktforschers an den Entscheidungsprozessen des Marketings. Sicherlich ist die Entscheidung letztendlich vom Marketingmanager selbst zu treffen, der sie auch verantworten muss. Dennoch kann der Marktforscher dem Marketingentscheider bei seiner Entscheidungsfindung durch empirisch begründete Handlungsempfehlungen – abgeleitet aus einer fundierten Marketingwissensbasis – beratend zur Seite stehen. Marketing Intelligence erfordert demnach Marktforscher, „whose role it is to understand the world and use this knowledge and insight to help take some of the risk out of business decision-making“546. Als integriertes und gleichwertiges Mitglied des Marketing Intelligence-Teams hat der Marktforscher auch Verantwortung zu übernehmen. Der Marktforscher muss die Beziehung zwischen Unternehmenswert und strategischen Marketingentscheidungen, die auf Grundlage seiner Aussagen und Handlungsempfehlungen getroffen wurden, verstehen. In diesem Zusammenhang wird zunehmend von der Marktforschung erwartet, dass sie ihren Wert, das heißt ihren Beitrag zum Marketing- bzw. Unternehmenserfolg messbar nachweist. 547 Obgleich von heutigen Marktforschern das beschriebene Tätigkeitsfeld eines Marketing Intelligence-Spezialisten bei weitem noch nicht erschöpfend angegangen 544 Vgl. hierzu beispielsweise Smith 2007b, S. 4; Schroiff 1999, S. 34. 545 Für eine detaillierte terminologische Abgrenzung „Unternehmensberatung“ siehe Jeschke 2004, S. 14ff. 546 Smith 2007a, S. 33. 547 Vgl. Alioto 2007, S. 41f.; Wimmer 2002, S. 15. und Definition des Begriffs Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 225 wird, so bringen schon teilweise in Unternehmen verwendete Bezeichnungen für die Berufsgruppen der Marktforscher deren erweitertes Selbstverständnis im Sinne von Marketing Intelligence zum Ausdruck. Beispielsweise lassen sich folgende Titel für Marktforscher finden: „Consumer & Market Insight Manager“, „Head of Consumer Insight“, „Head of Customer Understanding“, „Customer Knowledge and Strategy“ oder auch „Associate Director, Global Trends, Strategic Planning“. 548 Auch wenn es sicherlich nicht darauf ankommt, die Bezeichnung des Marktforschers durch derartige Titel zu ersetzen, sondern vielmehr die Neudefinition seiner Aufgabeninhalte im Vordergrund steht, kann man daran in der Praxis bereits erste Schritte hin zu einem veränderten Rollenverständnis eines Marktforschers erkennen. 6.3.2 Anforderungsprofil des Marketing Intelligence-Spezialisten Aufgrund der Neupositionierung des Marktforschers im Sinne von Marketing Intelligence werden ihm neue Fähigkeiten und Kompetenzen abverlangt. Insgesamt entsteht für den Marktforscher ein umfassenderes Anforderungsprofil. Über analytische und methodische Grundfähigkeiten hinaus sind spezifische Fähigkeiten und Kompetenzen notwendig, damit aus Daten problembezogene Lösungsvorschläge entstehen, die vom Marketingentscheider auch wirklich akzeptiert und genutzt werden. „Decision-making in today’s fast moving business environment requires both types of market research expertise: the supplier of professionally collected data and the business information consultant.”549 Vom Marktforscher werden demnach zusätzlich “Knowledge Skills” und “Consultancy Skills” erwartet. Das geforderte Anforderungsprofil eines Marktforschers – das eines Marketing IntelligenceSpezialisten – lässt sich daher in drei Kompetenzkategorien unterteilen: 550 x Analytische und methodische Grundfähigkeiten x Knowledge Skills (Kompetenzen hinsichtlich des Managements von Wissen) x Consultancy Skills (Kompetenzen hinsichtlich der Beratungskomponente) Die Grundfähigkeiten betreffen die originären Aufgaben eines Marktforschers. Die empirische Datenerhebung mittels validierter, standardisierter Verfahren sowie die 548 Vgl. Rosinski 2007, S. 100. 549 Havermans 2004, S. 18 im Interview mit Smith. 550 Vgl. Wimmer/Göb 2005, S. 396f. Siehe zur Darstellung notwendiger Fähigkeiten und Kompetenzen von Marktforschern Smith 2007b, S. 4-13; Smith/van Hamersfeld 2007b, S. 42; Alioto 2007, S. 46ff.; Marinopoulos 2007, 369ff.; Thun/Brandt 2007, S. 542f. sowie Phillips 2007, S. 45ff. 226 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence Auswertung mittels statistischer Methoden werden traditionell als die Kernaufgabe der Marktforschung verstanden. Hierfür sind ausgeprägte statistisch-methodische Kenntnisse beispielsweise über Fragebogengestaltung, Befragungs-, Beobachtungsund Testmethoden, Auswahlverfahren von Erhebungseinheiten, Analyseverfahren etc. notwendig. Von einem Methodenspezialisten wird jedoch auch gefordert, dass er sich permanent mit der Entwicklung und Anwendung innovativer und kreativer Methoden auseinandersetzt, um bessere Einsichten und Erkenntnisse bezüglich des Verhaltens von Kunden zu erlangen. Der Marktforscher muss sich neben der Aneignung von Kenntnissen über etablierte Methoden (wie persönliche Befragung, Telefon-Interview etc.) auch um methodische Zugänge innovativer Verfahren (wie ethnographische Interviews, neurowissenschaftliche Untersuchungen etc.) sowie die Qualität daraus resultierender Ergebnisse bemühen. Da prinzipiell alle Marktforschungsmethoden und -verfahren spezifische Programme und Techniken der Informationsverarbeitung benötigen, ist ein gewisses IT-Verständnis des Marktforschers (fast) unumgänglich. Neben derartigen analytischen und methodischen Fähigkeiten werden vom Marktforscher zunehmend Knowledge Skills gefordert, welche die Generierung und Anreicherung von Wissen ermöglichen. In diesem Zusammenhang benötigt der Marktforscher die Fähigkeit, intelligente Fragen zu stellen, um das Marketing beispielsweise proaktiv auf potenzielle Problem- bzw. Fragestellungen hinzuweisen. Darüber hinaus ist es notwendig, dass Marketingprobleme bzw. -fragestellungen klar abgegrenzt und definiert werden; nur dann ist es möglich, den vom Marketingentscheider benötigten Informationsbedarf zu eruieren. Der Marktforscher sollte demnach über so genannte „Problem Definition Skills“ verfügen. Um zu einer umfassenden Informations- und letztendlich Wissensbasis zu gelangen ist es unumgänglich, Informationen aus unterschiedlichen Quellen in Beziehung zu setzen bzw. miteinander zu verknüpfen. Der Marktforscher sollte daher Methoden des Data Matching beherrschen, um dem Marketingmanagement integrierte Marketinginformationen offerieren zu können. Eine Anreicherung der Daten mit Wissen erfordert zudem vom Marktforscher die Fähigkeit, die integrierten Informationen mit Vorwissen und Intuition zu verknüpfen sowie projektübergreifende Erfahrungen einfließen zu lassen. Letztendlich sollte der Marktforscher im Sinne eines „Knowledge Filters“ agieren und eigenständig entscheiden können, ob die gefundenen Insights bzw. das generierte Wissen auch tatsächlich für den Marketingentscheider von Relevanz sind. Insgesamt wird deutlich, dass vom Marktforscher eine weitgehend umfassende Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 227 Vorgehensweise gefordert ist: Zum einen sollte er die Komplexität einer Entscheidungssituation in ihrer Gesamtheit überblicken und erfassen können, zum anderen erfordern die vielfältigen Informationen sowie deren Zusammenführung eine ganzheitliche Handhabung der Ressource Information bzw. Wissen. Neben der Wissenskomponente rückt im Sinne von Marketing Intelligence auch die Beratungskomponente immer stärker in den Vordergrund der Marktforschungstätigkeit. Um seiner Beratertätigkeit nachzukommen, benötigt der Marktforscher Consultancy Skills. Als Marketingberater muss er neben fachlichen Kenntnissen über ein fundiertes Marketingverständnis sowie über detaillierte Marktkenntnisse verfügen; er sollte ein umfassendes Verständnis für Besonderheiten des Geschäfts und der Branche aufweisen. Neben betriebswirtschaftlichen Kenntnissen sollte ein Marktforscher auch Einsicht in die organisatorischen Zusammenhänge des Marketings und des Unternehmens besitzen. Erst dann wird es ihm möglich sein, dass er Rückhalt im Marketing gewinnt und als Partner des Marketings angesehen wird. Neben diesem eher objektiven Expertenwissen sind für die Beratungstätigkeit zunehmend auch weiche Faktoren, wie Intuition, Vorstellungskraft oder auch Bauchgefühl, von Bedeutung. 551 „[M]arket Researchers have recognized the need to adapt their approach to better reflect what we now know about the nature of intuitive creative thought and decide how best to factor this into the decision process. Specifically they have been active in finding checks and balances that allow us to combine flair and imagination with the hard consumer evidence.” 552 Marketingberater sollten daher die Fähigkeit besitzen, Intuition und Bauchgefühl, die häufig aus früheren Erfahrungen resultieren, in die Marketing Intelligence-Prozesse einzubringen. Für die Beratertätigkeit eines Marktforschers sind neben solchen Business Consultancy Skills auch Communication Skills erforderlich. Marketing IntelligenceSpezialisten sollten Analyseergebnisse prägnant, umsetzungsorientiert und überzeugend in Form von Problemlösungen präsentieren können. Hierbei sollten sie sich nicht der Sprache des daten- und methodenzentrierten Forschers bedienen, sondern der des Marketingmanagements und insbesondere die kognitiven Stile der 551 Siehe hierzu ausführlich Smith/Fletcher 2004, S. 27-36; Smith 2003. 552 Smith 2007b, S. 10. 228 Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence Marketingentscheider berücksichtigen.553 Insgesamt ist es somit möglich, dem Marketing nachvollziehbare, hilfreiche Handlungsempfehlungen an die Hand zu geben, die letztendlich eine gute Entscheidungshilfe darstellen. Zusammenfassend verdeutlicht folgendes Zitat die Rolle des Marktforschers und die von ihm geforderten Fähigkeiten und Kompetenzen im Sinne von Marketing Intelligence sehr treffend: „Thus today, the call is for market researchers to be, on the one hand, objective, methodologically sound collectors and analysts of data, but at the same time, creative “interpreters” of what consumers are trying to tell us. In addition, market researchers need the added skill of being able to map out – in an impactful, credible way – the implications of their findings for busy decision-makers. [...] The future of marketing intelligence is about the industry’s ability to develop its existing technical skill-set, while at the same time equipping researchers with the skills they need to be more creative and to operate as evidence-based information consultants.”554 Im Sinne von Marketing Intelligence verschiebt sich also das Anforderungsprofil eines Marktforschers vom Informationslieferanten hin zu einem Marketing Intelligence-Spezialisten, der dem Marketingmanagement vor dem Hintergrund einer fundierten Marketingwissensbasis beratend zur Seite steht. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die benötigten Qualifikationen von Marktforschern und somit auf deren Ausbildung. 555 Erste Schritte in der universitären Ausbildung lassen sich beispielsweise durch die Einrichtung des Lehrstuhls Marketing Intelligence sowie des Studienbereichs Marktinformationsmanagement (SBM) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg verzeichnen. Der Studienbereich Marktinformationsmanagement steht für eine interdisziplinäre Fächerkombination, bei der Studierende neben Marketing und Statistik auch Wirtschaftsinformatik, Psychologie und Kommunikationswissenschaft lernen sowie Einblicke in die Marktforschungspraxis erhalten. Diese Ausbildung stellt auf den Tätigkeitsbereich eines Marketing Intelligence-Spezialisten ab, wie er in der vorliegenden Arbeit für notwendig erachtet wird. 553 Vgl. Rosinski 2007, S. 101; Oktar/Erdo÷an 2007, S. 93 sowie eine fallbezogene Darstellung der Implementierung von Marktforschung auf strategischer Ebene bei Reckitt Benckiser (vgl. Dimopoulos/Rabson/McCall 2007). 554 Smith 2007a, S. 34. 555 Vgl. hierzu mögliche Ansätze bei Smith/van Hamersveld 2007a; Cook/MacFarlone 2007. Rolle der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence 229 Marketing Intelligence beinhaltet also für die Marktforschung die Notwendigkeit eines entsprechenden Selbstverständnis- bzw. Imagewechsels. Zum einen soll es, wie in der vorliegenden Arbeit vorgeschlagen wird, die Aufgabe der Marktforschung sein, den Marketing Intelligence-Prozess zu steuern und zu koordinieren; die Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence sieht sich daher einem erweiterten Tätigkeitsbereich gegenüber. Zum anderen muss sich auch die Rolle des Marktforschers ändern. Marktforscher müssen über analytische Fähigkeiten hinaus „Knowledge Skills“ und „Consultancy Skills“ besitzen. Die Funktion des Marktforschers wird sich zu der eines Marketing Intelligence-Spezialisten entwickeln müssen, der dem Marketingmanagement empirisch begründete, problembezogene Lösungsvorschläge unterbreiten kann. Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence ist als wissensbasierte Marketingberatung zu charakterisieren; erst dann ist es möglich, dass Marktforschung einen echten Mehrwert für das Marketing liefert und im Sinne einer Marketing Intelligence funktioniert. Abbildung 38 veranschaulicht zusammenfassend ein solches Rollenverständnis der Marktforschung: Marketing Intelligence Wissensbasierte Marketingberatung Marketing beratung Consultancy Skills • Problembezogene Lösungsvorschläge Marketingwissen Knowledge Skills Traditionelle Marktforschung Integrierte Marketinginformationen Marktforschungsinformationen • Erkenntnisse und Einsichten (Insights) • Empirisch begründete Handlungsempfehlungen Integration mit weiteren unternehmensinternen und -externen problemrelevanten Marketingdaten Analytische Fähigkeiten Marktforschungsdaten Abbildung 38: Die Marktforschung als wissensbasierte Marketingberatung 7 Zusammenfassung und Ausblick Zusammenfassung und Ausblick Marketing Intelligence trägt zweifelsohne zu einer Verbesserung der Entscheiderund Entscheidungsunterstützung im Marketing bei. In prozessualer Hinsicht überführt Marketing Intelligence entscheidungsrelevante Marketingdaten in Marketinginformationen und diese wiederum in Marketingwissen, das dem Marketingentscheider als Entscheidungshilfe dient und letztendlich zu einer Verbesserung der Qualität von Marketingentscheidungen führt. Die erfolgreiche Umsetzung einer Entscheidung durch das Marketingmanagement bedingt, dass dem Marketing Intelligence-Cycle schon allein dadurch neue Daten zugeführt werden, die wiederum zu Marketinginformationen transformiert und – nach deren Interpretation und Reflexion – in Form von Wissen in Entscheidungen einfließen. Auf diese Weise wird die Wissensbasis im Marketing kontinuierlich erweitert und aktualisiert; zukünftige Marketingentscheidungen können somit auf Basis einer höheren Wissensebene gefällt werden. Vor dem Hintergrund einer lernenden Organisation entsteht auf diese Weise die Vision für ein lernendes Marketing. Wissensmanagement und Lernen sind als normative Zielsetzungen von Marketing Intelligence zu begreifen, nach deren Richtlinien und Grundsätzen sich die beteiligten Akteure zu verhalten haben. Insgesamt bilden Wissensmanagement und Lernen das Fundament von Marketing Intelligence, was gleichzeitig eine der zentralen Thesen der Arbeit ist. Die deskriptive-inhaltliche Gestaltung einer Marketing Intelligence als intermediäre Funktion zwischen der Daten- und Entscheidungsseite im Marketing erfolgt auf Grundlage der Strategie des Beziehungsmarketings und des internen Marketings. Daher basiert die Zusammenarbeit dieser beiden Akteure auf einer internen KundenLieferanten-Beziehung, die einerseits die Lücke zwischen der Angebots- und Nachfrageseite im Marketing verringert und andererseits die Integration der Marketinginformationen in die Entscheidungsprozesse des Marketings ermöglicht. Erst wenn entscheidungsrelevante Informationen in die Entscheidungsprozesse integriert, vom Marketingentscheider verarbeitet und das generierte Marketingwissen tatsächlich zur Entscheidungsfindung verwendet wird, kann Marketing Intelligence erfolgswirksam werden und die Entscheidungsqualität im Marketing erhöhen. Grundlegende Voraussetzung für die Gestaltung von Marketing Intelligence und damit gleichzeitig eine weitere zentrale These der vorliegenden Arbeit ist eine interaktive, kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen der Daten- und Zusammenfassung und Ausblick 231 Entscheidungsseite im Marketing im Rahmen einer internen Kunden-LieferantenBeziehung. Marktforschung kann und sollte eine wichtige Rolle bei einer Marketing Intelligence zukommen. Als einem der Hauptakteure auf der Datenseite kommt ihr die Aufgabe zu, den Marketing Intelligence-Prozess zu steuern und zu koordinieren. Daraus resultieren maßgebliche Veränderungen für die Marktforschung – insbesondere wird von der Marktforschung ein systematisches Management der Ressource Marketingwissen gefordert. In normativer Hinsicht ist die Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence als wissensbasierte Marketingberatung zu begreifen. Hiermit ist – eine weitere zentrale These der vorliegenden Arbeit – die Notwendigkeit eines Selbstverständnis- und Imagewechsels der Marktforschung verbunden. Zum einen sieht sie sich einem umfassenderen und komplexeren Aufgabenbereich gegenüber; eine zentrale Herausforderung der Marktforschung im Sinne von Marketing Intelligence liegt in der Integration sämtlicher relevanter Marketingdaten, deren entscheidungs- und entscheiderorientierten Aufbereitung sowie deren problembezogenen Interpretation. Zum anderen ist eine Verlagerung des Selbstverständnisses des Marktforschers maßgeblich; während er bislang als Informationslieferant gesehen wurde, ist sein neues Tätigkeitsfeld das eines Marketing Intelligence-Spezialisten im Sinne eines qualifizierten Marketingberaters, der neben analytischen und methodischen Fähigkeiten auch Knowledge Skills und Consultancy Skills besitzen sollte. Dieses neue Leitbild ermöglicht der Marktforschung, im Sinne von Marketing Intelligence als aktiver, strategischer Partner des Marketings zu handeln und damit unmittelbar zu einer Verbesserung der Entscheider- und Entscheidungsunterstützung im Marketing beizutragen. Da sich die Marketingforschung bislang nur wenig mit der Integration von Informationen in die Entscheidungsprozesse des Marketingmanagements beschäftigt hat, erschien es für die vorliegende Arbeit sinnvoll, eine explorative Untersuchung in Form von Experteninterviews durchzuführen. Auf diese Weise konnten umfassende Einblicke sowohl in die Angebots- als auch in die Nachfrageseite von Marketinginformationen erlangt und auf Basis dieser Erkenntnisse ein Konzept für Marketing Intelligence abgeleitet werden. Im Rahmen der Untersuchung wurde der Marketing Intelligence-Cycle entwickelt, der als System die Überführung von Daten über Informationen in Wissen beschreibt und vor dessen Hintergrund für das Marketing Gestaltungsempfehlungen für ein optimiertes Zusammenspiel zwischen 232 Zusammenfassung und Ausblick Daten- und Entscheidungsseite aufzeigt wurden, damit die Effektivität und Effizienz von Marketingentscheidungen erhöht werden kann. Im Laufe der Arbeit wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass sich auch das Marketing vor dem Hintergrund eines Shareholder Value Managements – als neuem Managementparadigma – der Maximierung des Unternehmenswertes als oberstes Unternehmensziel zu stellen hat. Im Sinne einer Kunden- und Marktorientierung fokussieren sich die Bemühungen und Aktivitäten des Marketings auf eine optimale Befriedigung der Kundenbedürfnisse durch Produkt- und Leistungsangebote. Demnach wird im Marketing vornehmlich das Ziel der Effektivität verfolgt, wohingegen das Ziel der Effizienz bislang weniger Beachtung findet. Es entsteht jedoch zunehmend die Forderung für das Marketing, neben Markt- und Kundenzielen auch finanz- und erfolgsorientierte Ziele zu berücksichtigen und zu prüfen, inwiefern mit den eingesetzten Ressourcen ein Beitrag zur Unternehmenswertsteigerung geleistet wird. Einem solchen wertorientierten Marketingmanagement hat sich zweifelsohne auch das Konzept einer Marketing Intelligence zu stellen. Es gilt zu messen, inwieweit die Aktivitäten der Angebotsseite von Marketinginformationen und letztendlich die Ressource Marketingwissen einen Beitrag zur Kunden- und Markenwertsteigerung und schließlich zur Unternehmenswertsteigerung leisten. In dieser Hinsicht besteht für die Zukunft weiterer Forschungsbedarf. Es gilt im Rahmen einer empirisch-repräsentativen Untersuchung zu überprüfen, inwieweit Marketing Intelligence tatsächlich zur Verbesserung der Effektivität und Effizienz von Marketingentscheidungen sowie zu einer Steigerung des Marketing- und Unternehmenserfolges beitragen kann. Das vorgestellte Konzept von Marketing Intelligence sowie die daraus abgeleiteten Gestaltungs- und Handlungsempfehlungen, die aus empirischen Einsichten gründen und vorwiegend durch theoretische Aspekte angereichert wurden, müssen sich in der Praxis noch bewähren. Betrachtet man die in dieser Arbeit dargelegten Aspekte und Argumente, ist aber davon auszugehen, dass sie den Beweis ihrer Tauglichkeit erbringen werden. Anhang Anhang Gesprächsleitfaden Marktforschung ......................................................... 234 Gesprächsleitfaden Marketing ................................................................... 238 234 Anhang Gesprächsleitfaden Marktforschung Allgemeines zur Marktforschung 1. Was sind Ihre wichtigsten Aufgabenfelder? 2. Wer sind Ihre wichtigsten Kunden (Nutzer)? Informationsbedarf / Informationsangebot (Datenseite) Im Folgenden möchte ich gerne auf den Informationsbedarf bzw. das Informationsangebot eingehen. Hierfür ist die Unterscheidung zwischen Daten und Informationen wichtig. Diesem Gesprächsleitfaden liegt folgendes Verständnis von Daten und Informationen zugrunde: „Daten“ liegen zunächst zusammenhanglos vor. Sie werden erst zu „Informationen“, wenn sie in einen Problemzusammenhang gestellt und zur Erreichung eines bestimmten Ziels verwendet werden (d.h. Daten werden erst dann zu Informationen, wenn sie in einen zweckbezogenen Kontext gebracht werden). 1. Welche Informationen benötigen Ihre Kunden? Um welche Art von Daten handelt es sich hierbei? (…Umfeld- und Unternehmensdaten, Vertriebsdaten, Kundendaten, Marktforschungsdaten, Marktdaten…) 2. Welche Anforderungen bzw. Erwartungen werden von den Nutzern bezüglich der Marktforschungsdaten gestellt? (…Datengüte, zeitliche Anforderungen, Aufbereitung, Interpretation, Präsentation…) 3. Erfüllt Ihr Informationsangebot diese Anforderungen? Inwiefern ja, nein? 4. Was ist hinsichtlich des angebotenen Leistungsspektrums verbesserungsfähig? 5. Aus welchen Gründen setzt ein Unternehmen externe Marktforscher ein? 6. Datenportale an einer zentralen Stelle Annahme: Verschiedene Kunden benötigen identische Informationen Ist es sinnvoll, die Daten an einer zentralen Stelle (innerhalb der GfK) zu Anhang 235 speichern, so dass ein gemeinsamer Zugriff auf die Daten möglich ist? Wenn ja: Wie könnte dies organisatorisch umgesetzt werden? Wer könnte die Organisation / Pflege eines derartigen Datenpools übernehmen? Wenn nein: Warum nicht? 7. Integration von Daten aus unterschiedlichen Quellen (Datenintegration) Werden Ihre Daten mit Daten aus dem Unternehmen integriert? Wenn ja: Erfolgt diese Datenintegration durch Ihr Institut oder durch das Unternehmen selbst? Wo treten Schwierigkeiten auf? Wenn nein: In Zukunft erstrebenswert? Nutzung und Akzeptanz von Marktforschung im Unternehmen (Entscheidungsseite/Kundensicht) 1. Für welche Marketingentscheidungen werden Informationen aus der Marktforschung genutzt? Eher für strategische oder eher für taktische (operative) Entscheidungen? 2. Von welchen Abteilungen/Bereichen werden Ihre Marktforschungsergebnisse hauptsächlich genutzt? (…Marketing, Strategische Planung, Kundenanalyse, Marketing Controlling, …) 3. Wie hoch schätzen Sie die Nutzung von Marktforschungsdaten im Rahmen der Entscheidungsfindung ein? (sehr hoch, hoch, mittel, eher niedrig, niedrig) 4. Gibt es Ihrer Meinung nach von Seiten des Kunden Faktoren, welche die Nutzung bzw. Akzeptanz von Marktforschungsdaten bzw. -ergebnissen erhöhen bzw. verringern? (…Sachverstand sowie Problembewusstsein der Marktforscher, Qualität der Marktforschungsleistung, Image der Marktforschung, …) 236 Anhang Zusammenarbeit/Kommunikation zwischen Marktforschern und Kunden (Marketing) 1. Wie würden Sie die Zusammenarbeit bzw. das Verhältnis zwischen Ihnen als Marktforscher und dem Kunden beschreiben? 2. Erfolgt die Zusammenarbeit überwiegend durch die betriebliche der betrieblichen Marktforschungsabteilung? Besteht ein auch direkter Kontakt mit dem Marketing? 3. Bestehen Unterschiede in der Zusammenarbeit mit Marktforschungsabteilung und dem Marketing? Worauf ist insbesondere bei der betrieblichen Marktforschung zu achten? Und worauf beim Marketingmanagement? 4. Unterscheiden sich Mitarbeiter der betrieblichen Marktforschung und aus dem Marketing in ihrer Denkweise? (…Karrierestreben, produktorientiert vs. methodenorientiert, Zeithorizont, Sozialkompetenz, Kritikfähigkeit, …) 5. Findet während des Projekts eine regelmäßige Kommunikation mit dem Auftraggeber statt? Auf welche Weise findet die Kommunikation statt (schriftlich, mündlich…)? 6. Funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Ihrem Kunden reibungslos? Oder gibt es vielleicht Probleme, z.B. Wissensstände, unterschiedliche Sprachwelten, Kommunikationsprobleme, zwischenmenschliche Beziehungen? 7. Berücksichtigung der kognitiven Stile von Marketingentscheider Ist es möglich, auf individuelle Charakteristika einzelner Entscheidungsträger im Marketing einzugehen? Inwiefern erfolgt dies? 8. Sind Sie insgesamt mit der Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Ihren Kunden zufrieden? 9. Gibt es – ganz generell gesehen – Anhaltspunkte/Aspekte, welche zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit bzw. Kommunikation zwischen Ihnen und Ihren Kunden beitragen würden? Anhang 237 10. Können Sie sich eine enge „Marktforschungspartnerschaft“ mit dem Kunden vorstellen, d.h. bis zu temporärem Personaltransfer in das Unternehmen? Warum bzw. warum nicht? Fähigkeiten und Kompetenzen des Marktforschers 1. Welche Fähigkeiten und Kompetenzen eines Marktforschers sind Ihrer Meinung für den Kunden entscheidend / am wichtigsten? (…Knowledge Skills, Consultancy Skills, …) Bestehen hierbei Unterschiede zwischen dem Marketing als Auftraggeber und der betrieblichen Marktforschung als Auftraggeber? 2. Sind Ihre Kunden Ihrer Meinung nach mit Ihren Fähigkeiten und Kompetenzen zufrieden? Rolle der Marktforschung 1. Zum Abschluss würde ich noch gerne auf die Rolle der Marktforschung eingehen. Wie würden Sie die derzeitige Rolle der Marktforschung charakterisieren? 2. Sollte die neue Rolle des Marktforschers mehr die eines Beraters sein? 3. Hat sich in den letzten drei bis fünf Jahre aus Ihrer Sicht in Bezug auf die Marktforschung etwas generell verändert (z. B. neue Aufgabe etc.)? ...Inwiefern? Warum? Vor welchem Hintergrund? 4. Haben sich die Anforderungen der Nutzer/Kunden an die von Ihnen bereitgestellten Marktforschungsdaten verändert? 5. Hat sich der Stellenwert von Marktforschungsdaten bei den Nutzern/Kunden in den letzten Jahren eher verstärkt, ist er unverändert geblieben oder hat er sich reduziert? 238 Anhang Gesprächsleitfaden Marketing Allgemeines zum Marketing 1. Was sind Ihre wichtigsten Aufgabenfelder? 2. Worüber treffen Sie immer wieder Entscheidungen in Ihrem Aufgabenumfeld? Informationsbedarf / Informationsangebot Zur Unterstützung Ihrer Entscheidungen ziehen Sie vermutlich Marketinginformationen heran. Mit Marketinginformationen sind in diesem Zusammenhang alle Informationen gemeint, die für Ihre Entscheidung hilfreich sind. 1. Welche Informationen ziehen Sie in erster Linie bei Ihrer Entscheidungsfindung heran? (Welche dieser entscheidungsrelevanten Informationen spielen in Ihrem Aufgabenumfeld eine Rolle?) …Wie wichtig sind dabei Marktinformationen bzw. Informationen aus der Marktforschung für Ihre Entscheidung? …Sie denken primär unternehmensinterne an Marktforschungsdaten, Informationen (wie z.B. wie wichtig sind Vertriebsinformationen, Kundeninformationen…)? 2. Für welche Entscheidungen benötigen Sie diese Marketinginformationen? Gibt es konkrete Beispiele? 3. Noch mal zusammenfassend gefragt: Welches sind die in Ihrem Aufgabenumfeld wichtigsten Informationsgrundlagen? 4. Von wem bzw. woher bekommen Sie die benötigten Informationen? Gibt es in Ihrem Unternehmen eine Stelle, die Entscheider wie Sie mit Daten und Informationen versorgt? …Informationsmanagement? …betriebliche Marktforschung? …Kundendatenbank? 5. Sind Sie mit den Informationen, die Ihnen bei der Entscheidungsfindung zur Verfügung stehen, sehr zufrieden (1), zufrieden (2), nicht ganz zufrieden (3) oder Anhang 239 sogar unzufrieden (4)? ….Mit welchen mehr, mit welchen weniger? …Was fehlt? 6. Jetzt ganz generell: Daten bzw. Information, die Sie heranziehen, können für Sie als Entscheider gut oder auch weniger gut geeignet sein. Welche Anforderungen bzw. Erwartungen stellen Sie an solche Daten, so dass sie für Sie eine gute Entscheidungshilfe darstellen? (…Datengüte, zeitliche Anforderungen, Aufbereitung, Interpretation, Präsentation…) 7. Erfüllen die Informationen, die Ihnen zur Verfügung stehen, Ihre Anforderungen? Inwiefern ja, nein? Was könnte verbessert werden? 8. Werden Daten, die Sie zur Verfügung haben, auch von anderen Kollegen genutzt? Häufig ist es der Fall, dass Daten nicht von anderen Kollegen genutzt werden, obgleich sie auch für sie relevant sind; gibt es in Ihrem Bereich solche Daten, die gleichermaßen für Ihre Kollegen interessant sein könnten? Der Hintergrund dieser Frage ist, dass in vielen Unternehmen jeder Entscheider auf seinen Daten sitzt und die anderen nicht wissen, welche Daten vorhanden sind – ganz nach dem Motto „Wenn ich nur wüsste, was das Unternehmen eigentlich alles weiß!“. Für wie sinnvoll halten Sie daher eine zentrale Datenbank bzw. Datenportale an einer zentralen Stelle? Wie könnte dies umgesetzt werden bzw. (organisatorisch) gestaltet sein? …computergestützt? …Datenbank? …physisch (Zimmer, in dem sämtliche Studien stehen)? Wie könnte Ihrer Meinung nach für ein zentrales Datenportal die Zuständigkeit geregelt sein? …eine Stelle zuständig? …Aufgabe der Marktforschung? Da es sich nicht nur um Marktforschungsdaten, sondern auch um interne Daten (wie Kundendaten etc.) handelt, würden Sie es als realistisch einschätzen, dass nur eine Stelle dafür zentral zuständig ist? 240 Anhang 9. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie man Daten aus unterschiedlichen Quellen in Bezug auf eine Problem- bzw. Fragestellung zusammenbringt / integriert. Ist das bei Ihnen der Fall? Werden verschiedene Daten miteinander verknüpft? In welchen Fällen erscheint Ihnen das als sinnvoll / wäre es sinnvoll? Für welche Entscheidungen muss man Marktforschungsdaten mit eigenen, unternehmensinternen Daten zusammenspielen? Wer ist in Ihrem Unternehmen dafür zuständig bzw. könnte dies übernehmen? 10. Gibt es Ihrer Meinung nach Ansatzpunkte, wie man die Informationsversorgung des Marketings verbessern bzw. den Informationsaustausch im Marketing fördern könnte? Wie könnte dies praktisch aussehen? …personell …auf System(e) bezogen (Datenbank für das Marketing) …organisatorisch Nutzung und Akzeptanz von Marketinginformationen 1. Benötigen Sie für Entscheidungen, die Sie in Ihrem Bereich regelmäßig zu treffen haben, Informationen bspw. aus dem Markt, über Kunden etc.? Brauchen Sie hierfür jedes Mal Informationen aus Markt, über Kunden etc. als Grundlage oder nur in bestimmten Fällen? Inwiefern ist dies bei Ihnen von der Sache her notwendig? Wenn Sie an sich persönlich denken, als jemand, der Entscheidungen zu fällen hat, wie würden Sie sich diesbezüglich einstufen? x Ich treffe meine Entscheidung i.d.R. erst, wenn ich ausreichend Informationen habe. x Ich treffe meine Entscheidung i.d.R. auch auf einer unvollkommenen, begrenzten Informationsgrundlage. x Ich treffe Entscheidungen i.d.R. unabhängig von Informationen. Anhang 241 2. Wovon hängt es denn Ihrer Meinung nach ab, wie intensiv marketingrelevante Daten und Informationen akzeptiert und genutzt werden? …Denken Sie beispielsweise mal an persönliche Faktoren (Entscheidertyp)! …Können auch interpersonelle Faktoren (wie Zusammenarbeit, Kommunikation, Vertrauen zwischen Informationslieferant und Ihnen) hierfür eine Rolle spielen? …Oder können auch strukturelle Faktoren, wie die technologische Infrastruktur oder auch Organisationsstrukturen, die Nutzung bzw. Akzeptanz von Informationen Ihrerseits beeinflussen? Zusammenarbeit/Kommunikation zwischen Marketing (Entscheidungsseite) und Informationslieferanten (Datenseite) Im Folgenden möchte ich auf die Zusammenarbeit zwischen Ihnen als Marketingentscheider und der Datenseite bzw. der Supply Side, welche die Daten und Informationen bereitstellt, eingehen. In diesem Zusammenhang werde ich unter anderem auch von Informationsmanagern bzw. Informationslieferanten sprechen. Hierbei soll es sich um Personen handeln, die für die Bereitstellung von Marketinginformationen zuständig sind. 1. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Ihnen als Marketingentscheider und denjenigen, die Ihnen die erforderlichen Daten und Informationen bereitstellen, beschreiben? 2. Arbeiten Sie hierbei überwiegend mit der betrieblichen Marktforschungsabteilung zusammen? Besteht auch direkter Kontakt zu einem Marktforschungsinstitut? 3. Findet während eines konkreten Projekts eine regelmäßige Kommunikation mit den Informationslieferanten bzw. -managern statt? Auf welche Weise findet die Kommunikation statt (schriftlich, mündlich…)? 4. Funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und der Informationsseite reibungslos? Oder gibt es vielleicht Probleme, z.B. Wissensstände, unterschiedliche Sprachwelten, Kommunikationsprobleme, zwischenmenschliche Beziehungen? 242 Anhang 5. Wir haben schon von persönlichen Entscheidungsstilen gesprochen. Ganz generell gefragt, inwiefern wird bei der Informationsbereitstellung versucht, auf individuelle Charakteristika, Entscheidungsstile eines Marketingentscheiders einzugehen? Wie bzw. in welchem Ausmaß erfolgt dies? Sollten kognitive/persönliche Stile einzelner Entscheidungsträger bei der Bereitstellung von Marketinginformationen stärker berücksichtigt werden? …Auf welche Weise könnte dies erfolgen? 6. Unterscheiden sich Mitarbeiter aus dem Marketing und Informationsmanager in ihrer Denkweise? (…Karrierestreben, produktorientiert vs. methodenorientiert, Zeithorizont, Sozialkompetenz, Kritikfähigkeit, …) 7. Gibt es – ganz generell gesehen – Anhaltspunkte/Aspekte, welche zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit bzw. Kommunikation zwischen Ihnen und den innerbetrieblichen Informationslieferanten beitragen würden? Fähigkeiten und Kompetenzen zur Generierung von Marketingwissen 1. Wir haben zwei Seiten betrachtet: die Supply Side, die Informationen bereitstellt, und die Demand Side, die Informationen braucht, um Entscheidungen zu treffen. In den letzten Jahren wurde sehr intensiv diskutiert, welche Fähigkeiten und Kompetenzen auf der Seite der betrieblichen Marktforschung bzw. des innerbetrieblichen Informationslieferanten vorhanden sein sollten, um eben nicht nur Daten zu sammeln und zu analysieren, sondern Ihnen als Entscheider wirklich Entscheidungshilfen zu geben. Über welche Fähigkeiten und Kompetenzen sollte Ihrer Meinung nach ein „guter“ Informationsmanager bzw. ein „guter“ Marktforscher verfügen? (…Knowledge Skills, Consultancy Skills …) Sind diese Fähigkeiten/Kompetenzen Ihrer Meinung nach auf der Supply Side vorhanden? Anhang 243 2. Und umgekehrt kann dies sicherlich auch für den Entscheider gelten. Welche Fähigkeiten und Kompetenzen müssten Ihrer Meinung nach bezüglich der Nutzung von Informationen bei Entscheidern vorhanden sein? Rolle der Marktforschung 1. Zum Abschluss würde ich noch gerne auf die Rolle der Marktforschung eingehen. Wie würden Sie in Ihrem Unternehmen die derzeitige Rolle der Marktforschung charakterisieren? 2. Aus welchen Gründen setzt man bei Ihnen ein Marktforschungsinstitut ein? 3. Sollte die Rolle der Marktforschung zusätzlich zu den herkömmlichen/üblichen Aufgaben verstärkt auch darin bestehen, aus den Daten Schlussfolgerungen zu ziehen bzw. Handlungsalternativen aufzuzeigen, also mehr die eines Beraters für das Marketing sein? Man kann der Meinung sein, dass die Marktforschung weiterhin Ihre bisherigen Aufgaben machen soll und das Treffen von Schlussfolgerungen eher Ihr Job – also Aufgabe des Marketings – ist. Man kann aber auch der Meinung sein, dass die Marktforschung, um an Bedeutung zu gewinnen, mehr als ein bloßer Datenlieferant sein sollte. (Die Entscheidung selbst werden natürlich immer noch sie selbst treffen.) Wie beurteilen Sie diese Aussagen? 4. Hat sich aus Ihrer Sicht in den letzten drei bis fünf Jahre in Bezug auf die Marktforschung etwas generell verändert (z.B. neue Aufgaben etc.)? …Inwiefern? Warum? Vor welchem Hintergrund? 5. Haben sich Ihre Anforderungen an Marktforschungsinformationen verändert? 6. Sind Sie mit dem Leistungsspektrum der Marktforschung zufrieden? Gibt es Ihrer Meinung nach hinsichtlich des Leistungsspektrums der Marktforschung Verbesserungspotenziale? 7. Hat sich der Stellenwert von Marktforschung in Ihrem Unternehmen in den letzten Jahren eher verstärkt, ist er unverändert geblieben oder hat er sich reduziert? Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis Aaker, A. (1998): Developing Business Strategies, 5. Auflage, New York u.a. Ackerschott, H. (2001): Wissensmanagement für Marketing und Vertrieb. Kompetenz steigern und Märkte erobern, Wiesbaden. Adriaans, P./Zantinge, D. (1997): Data Mining, Harlow. Ahlert, D./Blut, M. 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