Kapitel I Global Business Ethics SoSe21 GRUNDLAGEN DER ETHIK: ETHIKKONZEPTIONEN EINFÜHRUNG • • • Ausgangspunkt wirtschaftlicher Aktivität: Problem der Knappheit Ausgangspunkt des Wirtschaftsethischen Diskurs: Problem der Interaktion bei geg. Knappheit → Frage der Gerechtigkeit Wie sollen die Güter verteilt werden, dass alle Menschen möglichst gut (über)leben? Bsp.: Robinson Crusoe und Freitag auf der Insel WAS IST ETHIK? • • • • • • • Teilbereich der Philosophie Vernünftige Rede über das menschliche Handeln Rationalitätspostulat: menschliches Handeln muss sich stets begründen lassen Ratio (=Vernunft): Fähigkeit vom Menschen, die ihn in die Lage versetzt, sich seiner selbst, seiner Umwelt und der Beziehung zwischen ihm selbst und seiner Umwelt bewusst zu werden Ziel: Aussagen über das Gute und gerechte Handeln des Menschen ➔ Wie soll der Mensch handeln? ➔ Motive, Methoden und Folgen des Handelns Erstes Prinzip der Ethik: das Gute tun, das Schlechte meiden (bonum faciendum, malum vitandum esset) Analyserahmen: Differenz zwischen Sollen und Haben bzw. Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit → soll minimiert werden OBJEKT DER ETHIK a) Technische Fähigkeiten: kann auch jeder Affe (Fenster auf/zu) b) Vegetative Vollzüge: unterliegen nicht/ nur begrenzt dem eigenen Willen (Atmen, Blinzeln) c) Echt menschliche/ sittliche Handlungen: - frei (Freiheit = die Möglichkeit, das zu tun, was man tun will) - mit Willen (→ führt von der Überlegung zur Tat) - und Vernunft vollzogen (→ bedachte und begründete Wege zur Tat) - zielorientiert FORDERUNG DER ETHIK: VERANTWORTUNG … die Bereitschaft, Aufgaben zur Durchführung von Handlungen zu übernehmen … sich die Folgen dieser Handlungen an- und zurechnen lassen ➔ Notwendigkeit zur Entscheidung in Konfliktsituationen (Dilemmata) ➔ Ethik als Handlungslogik, Situationslogik und Entscheidungslogik, die ihren Ursprung in Konfliktsituationen hat 1 Kapitel I Global Business Ethics SoSe21 … von einem Subjekt vor einer Instanz für Konsequenzen • • • Subjekt: Gruppe, Individuum, Unternehmen, Gott Instanz: Öffentlichkeit, Gewissen/ Prinzipien, Psyche, Gericht, Gott Konsequenzen: Taten, Unterlassungen, Entscheidungen, Handeln/Verhalten DAS TROLLEY PROBLEM/ STRÖMUNGEN DER ETHIK Darf man, um das Leben anderer zu retten, den Tod einer Person in Kauf nehmen? Struktur des verantwortlichen Handelns Deontologische Ethik Tugendethik Utilitaristische Ethik Rechtfertigung vor Instanzen Handelndes Subjekt Rechtfertigung für Folgen Trolley: Dilemma Trolley: Unterstützung Trolley: Abwägung Welche Pflichten/ Vorgaben soll Was kann ich mit meinen Welcher (quantitative/ ich erfüllen? Fähigkeiten in einer bestimmten qualitative) Nutzen folgt aus Situation tun? meinem Handeln? z.B.: Kategorischer Imperativ*, z.B.: Best Practice innerhalb der z.B.: Ganzheitliches GG Art. 1 („Die Würde des eigenen Branche Risikomanagement, Risiko für Menschen ist unantastbar“), Stakeholder reduzieren UN Global Compact, Sullivan Principles * „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du auch zugleich wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz werde“ Ökonomische vs. Ethische Rationalität • Ganzheitlich konkurrierende Entscheidungslogik Interessensbasiert ➔ es zählt, was nützt Ökonomische Rationalität: Normative Logik des Vorteilstausches ➔ Marktprinzip Gerechtigkeitsbasiert ➔ es zählt, was legitim ist Intersubjektive Verbindlichkeiten Unbedingte wechselseitige Anerkennung und Achtung der Individuen als Personen gleicher Würde Interesse an privater Erfolgsmaximierung Vorteilsbedinge Kooperation zwischen wechselseitig desinteressierten Individuen ➔ homines oeconomici Anderer ist nur Mittel der eigenen Erfolgssicherung Anderer wird in seinem humanen Eigenwert respektiert, als 2 Ethische Vernunft: Normative Logik der Zwischenmenschlichkeit ➔ Moralprinzip Kapitel I Global Business Ethics ➔ Normativer Voraussetzung des Individualismus legitimen Erfolgsstrebens Marktmodell der Primat der politischen Gesellschaft im Ganzen Ethik für die Marktlogik ➔ Totale ➔ Zivilisierte Marktgesellschaft Marktwirtschaft SoSe21 ÖKONOMISCHE VS. ETHISCHE RATIONALITÄT: BRENT SPAR ÖLPLATTFORM • • • Versenkung des Zwischenlagers für Rohöl als legale, günstige und moralisch akzeptierte Lösung Greenpeace: Hester Prynne Sanktion Recycling statt Versenkung ➔ Ethik verlangt immer die Kommunikation von Entscheidungen ➔ Wirtschaftliche Ethik stellt Legalität und Legitimität einer Unternehmung als Bedingung für gesellschaftliche Akzeptanz („licence to operate“): Konzept mit Grenzen ÖKONOMISCHE VS. ETHISCHE RATIONALITÄT: BERÜHRUNGSPUNKTE • • • Ethik als Lehre des Umgangs mit Konflikten – ethische Entscheidungslogik - Entscheidungssituationen = Konfliktsituationen, da mehrere Handlungsalternativen - Insbesondere bei Nicht-Absehbarkeit der Folgen Prägung der Entscheidung durch rationale Motive (z.B. Gewissen) und/ oder nichtrationale Motive (Gefühle, Emotionen, Maximen) → begrenzte Rationalität - Weiterer Zugang: Güterabwägung unter Einbezug von (internen und externen) Normen sowie unter Berücksichtigung möglicher Sanktionen Ökonomik als Lehre des Umgangs mit Konflikten – ökonomische Entscheidungslogik - Klassisches Abstraktionsmodell des Homo Oeconomicus: Entscheidung unter der Prämisse des Nutzenmaximierungskalküls für die Handlungsalternative, die dem Handelnden den größten Nutzen bringt - Informationsasymmetrie: nicht vollständige Absehbarkeit von Folgen und Gewinnen, daher Prägung der Entscheidung durch nicht-rationale Motive wie Intention und Gefühle (Vertrauen) - Vgl. Ultimatum Spiel: rationale Güterabwägung unter Einbezug von Normen, Maximen und unter Berücksichtigung möglicher Sanktionen → Homo Oeconomicus Institutionalis/ Sociologicus Der Mensch führt zahlreiche seiner Handlungen unter der Prämisse der Bedürfnisbefriedigung (Satisficing statt Maximizing) und im Einklang mit seinem Umfeld und bestehenden Normen (Kultur, Anstand, Vertrauen, etc.) aus. Seite fehlt! 3 Kapitel II Global Business Ethics SoSe21 Marktimperfektion steckt die Grenzen einer effizienten und gerechten Marktkoordination von Transaktionen ab: Anzutreffendes Marktversagen stellt so die Unfehlbarkeit der „unsichtbaren Hand“, die gerechten Marktgesetze und den „klassischen Markt als Ort absoluter Gerechtigkeit“ nach Adam Smith und Mandeville (1724) in Frage. • • • Verzerrung der Pareto-Optimalität durch Marktmacht: - Marktmacht durch Anbieterkonzentration ermöglicht Preisdiskriminierung ➔ Verzerrung von Gleichgewichtspreisen und -mengen ➔ Verschiebung von Renten Resultat des Rentshifting - Wohlfahrtsverlust: ineffiziente Zu- und Verteilung von Ressourcen - Angebotsseitige Verzerrung geht zu Gunsten des Anbieters und zu Lasten des Abnehmers → Pareto-Verschlechterung ➔ Notwendigkeit zur staatlichen Regulierung!!! Konsequenzen aus dem Marktversagen – Notwendigkeit einer ethischen Betrachtung? - Empfindliche Störung des normativ-gerechten Marktmechanismus/ Determination der Funktionsweise der unsichtbaren Hand - Beschränkt gerechte und gleichgewichtige Verteilung von Renten - Aggregation individueller Nutzenmaxima führt nicht automatisch zum Wohlfahrts-Optimum - Agency-Problematik: einseitig-vorteilhafte (opportunistische) Handlungen zu Lasten des Transaktionspartners oder des Gemeinwohls ➔ Ausgehend von diesen Eigenschaften ist der unvollkommene Markt nur eingeschränkt in der Lage, „selbst unmoralische Motive, Untugenden und übertriebenes Streben nach „Mehr“ in ein Gut zu wandeln, das dem Gemeinwohl dient“ (Mandelville, 1724) ➔ In „rein egoistischem Handeln“ liegt selten „das Gute“ als positiver externer Effekt der Aggregation individueller Nutzenmaxima. Aufgrund der eingeschränkt disziplinierenden Wirkung des Marktes wird Opportunismus als negativer Effekt externalisiert und stört das empfindliche Gleichgewicht und damit die Wohlfahrt. ➔ Spannungsfeld zur Legitimation einer ethischen Betrachtung des Wirtschaftens ZIELVERSTÄNDNIS DER WUE • • • Systematisches Auseinanderklaffen des Handlungsmotivs und des sozial (un-)erwünschten Handlungsergebnisses → Notwendigkeit einer wirtschaftsethischen Betrachtungsweise Ziel der modernen Wirtschaftsethik: „Korrektiv des Marktversagens?“ - Best Case: Ex Ante Vermeidung amoralischen bzw. rücksichtslosen Wirtschaftens und dessen soziale Kosten durch anreizkompatible Strukturen und marktkonforme Institutionen - Second Best: Ex-Ante Eindämmung der sozialen Kosten und Folgen rücksichtslosen Strebens durch Sensibilisierung, Schaffung anreizkompatibler Strukturen und Institutionen Kernfragen der modernen Wirtschaftsethik: 1. Welche Werte und Normen sind für das globale Wirtschaften notwendig? 2 Kapitel II • • • • Global Business Ethics 2. Welche Institutionen müssen wie ausgestaltet werden, damit unter den Bedingungen der modernen Wirtschaft die moralische Norm und das Ideal der Gerechtigkeit zur Geltung gebracht werden kann? Begriffsdefinition: Institution - Moderne Soziologie (Institutionalismus): ▪ Regeln für alltägliche Problemlösung, definieren das, was möglich und sinnvoll ist, gewinnen objektive Macht über das Handeln des Menschen (Berger und Luckmann, 1977) ▪ Sozialer Zwang, der von Gewohnheit, Gebräuchen und sozialen Überzeugungen auf den Menschen wirkt, Regelmäßigkeit schafft stabile Erwartungen in der menschlichen Interaktion - Moderne Ökonomie (Institutionenökonomik): ▪ Humanly devices constraints that structure human interaction, made up of formal and informal constraints and their enforcement characteristics, which together define the incentive structure of societies and specifically economies (North, 1994) Klassifizierung gesellschaftlicher Spielregeln: - Formelle Institutionen: alle formgebundenen Regeln (Normen)wie Gesetze, Richtlinien, Rechte und Pflichten etc. - Informelle Institutionen: formungebundene Regeln (Normen): Moral, Verhaltensnormen, religiöse Grundsätze, Tugend und individuelle Erwartungen, selbstauferlegte Handelsmaxima, etc. ➔ Regelungsrahmen (zwischen-)menschlichen Handelns - Wirksamkeit von Institutionen entsprechend ihrem Durchsetzungs- und Überwachungsrahmen: Notwendigkeit eines glaubwürdigen Sanktions-Mechanismus zur Bestrafung regelinkonformen Verhaltens = Anreiz (Internalisierung) nicht vom sozial-erwünschten Aktionsplan abzuweichen → spieltheoretisch-institutionelles Gleichgewicht Aufgaben der modernen Wirtschaftsethik: 1. Gestaltung (in)formeller Institutionen zur ex ante Eindämmung opportunistischen und einseitigvorteilhaften Wirtschaftens (Internalisierung der sozialen Kosten) und Garantie eines für jedes Individuum als gerecht empfundenen Wirtschaftssystems 2. Implementierung von effektiven Sanktionierungsmechanismen, die eine effiziente Funktionsweise der Institutionen -als Steuerungs- und Beschränkungsmechanismus „moralischen Risikos“gewährleisten. Methoden der Wirtschaftsethik: „Re-Ethisierung der Ökonomie“ durch; - Sensibilisierung für ethische Fragestellungen und Konflikte auf Mikro-, Meso- und Makroebene (Staat, Gesellschaft, Organisationen, private Akteure etc.) - Einflussnahme auf den gesellschaftlichen Weiterbildungsprozess (informelle Institutionen) - Bewusste und zielgerichtete Einflussnahme auf den ordonomischen Regelungsrahmen in Hinblick auf Tauglichkeit und Angemessenheit für das Tun des Guten (Reflexion) - Schulungen und Auditing im Falle ethischer Dilemmata (Aufklärung und Beratung) ➔ Wirtschaftsethiker als Lobbyisten der Gerechtigkeit WAS IST WIRTSCHAFTS- UND UNTERNEHMENSETHIK? = vernünftige Rede über das wirtschaftliche (unternehmerische) Handeln • SoSe21 Teilbereich der Sozialethik 3 Kapitel II • Global Business Ethics SoSe21 Analysiert Entsprechung des wirtschaftlichen Handelns des Einzelnen/ eines Unternehmens als Ganzem mit universellen ethischen Prinzipien und Bewertung mit Kriterien einer universal geltenden Ethik BEREICHE ETHISCHER BETRACHTUNG INNERHALB DES WIRTSCHAFTENS Analog zur Aufteilung der allgemeinen Ethik… a) Wirtschaftsethische Metatheorie (vgl. Metaethik) b) Unternehmensethik (vgl. Individualethik) c) Wirtschaftsethik (vgl. Sozialethik) WIRTSCHAFTSETHISCHE METATHEORIE Fragt nach … … Begriffen (z.B. Wirtschaft, Gerechtigkeit, Gewinnprinzip) … Bedingungen (z.B. Markt- und Gesellschaftsordnung, Ordnungsprinzipien, Ziele, geschichtliche Entwicklung) … Elementen bzw. Faktoren (z.B. supranationale Institutionen, Rechtsordnungen, Staaten, Tarifpartner, gesellschaftliche Gruppen bzw. Interessen) … des wirtschaftlichen und unternehmerischen Handelns. UNTERNEHMENSETHIK • • • Fragt nach Pflichten, Normen und Zielen der einzelnen Unternehmung bzw. Korporation Fokus: ethische Ansprüche an die am unternehmerischen Prozess Beteiligten (Stakeholder) und mögliche Konfliktfelder zwischen den einzelnen Anspruchsgruppen Relevante Anspruchsgruppen - Arbeitnehmer/ Gewerkschaften - Lieferanten - Führungskräfte/ Management - Gläubiger - Eigentümer/ Aktionäre/ Anteilseigner - Staat - Kunden - Öffentliche Meinung, Medien WIRTSCHAFTSETHIK • • Fragt nach Pflichten, Normen und Zielen wirtschaftlicher bzw. wirtschaftsrelevanter sozialer Systeme Normative Ansätze der Wirtschaftsethik - Gerechtigkeit als umfassende Kategorie - Iustitia Commutativa = Zuteilungsgerechtigkeit → Jedem das Seine - Iustitia Distributiva = Verteilungsgerechtigkeit → Jedem das Gleiche - Naturrecht/ positives Recht - Gewaltfreiheit wirtschaftlich handelnder Subjekte 4 Kapitel II Global Business Ethics SoSe21 INHALT UND OBJEKT DER WIRTSCHAFTSETHIK 1. Über- und zwischenstaatliche Themen - Planwirtschaft vs. Marktwirtschaft - Protektionismus - Wettbewerb - Globalisierung • 2. Binnenstaatliche Themen - Tarifautonomie - Bestechung/ Korruption - Kartelle - Monopole - Steuern und Abgaben - Steuerhinterziehung Denkschulen und Paradigmen der modernen deutschsprachigen Wirtschaftsethik - Konversationsparadigmatischer Ansatz → Diskursethik - Ethische Ökonomie → Primat der Ethik - Ökonomische Ethik → Primat der Ökonomie WUE UND BUSINESS ETHICS IM VERGLEICH • Unterschiedliche Hintergründe, Methodik und Theoriebildung → strukturelle Differenzen zwischen der wirtschafts- und unternehmensethischen Betrachtung innerhalb des kontinentaleuropäischen Raumes (→ WUE) und des anglo-amerikanischen Raumes (Business Ethics) Business Ethics • • • Methodik: - Selbstverständnis als „applied ethics“, d.h. anwendungsorientiert, praktisch und positivistisch - Ausgangspunkt: konkrete Entscheidungsprobleme des Managements - Ziel: gezielter Aufbau von Problemlösungskonzepten im Umgang mit ethischen Managementkonflikten - Schulungen: Fallstudien und Best Practices Motivation: - Ausgangspunkt Great Depression, 1930: Mark allein ist nicht in der Lage, das Problem negativer Auswirkungen zu lösen - Korrektur der Marktversagens durch du US-Regierung durch enorme Einschränkung der unternehmerischen Freiheiten + Selbstverpflichtung von Großunternehmen zu ethischen Sozialprogrammen (Gesundheitsprogramme, Wohnungsbau) und zu anderen philanthropischen Zwecken (Sponsoring, Wohltätigkeitsveranstaltungen) - Maßgebliche ideengeschichtliche Mitbestimmung des modernen Konzepts der „Corporate Social Responsibility” durch die Werke „Social Responsibility of a Businessman“ (Bowen, 1953) und „Business and Society” (McGuire, 1963) Ideengeschichte: - USA und GB = residuale Sozialstaaten mit hohem Maß an Eigenverantwortung für Bürger und Unternehmen hinsichtlich der sozialen Sicherung → Liberalismus - Individuelle Freiheit > Kollektive Daseinsvorsorge 5 Kapitel II Global Business Ethics SoSe21 ➔ Angewiesenheit des Gemeinwesens auf umfangreiches unternehmerisches Engagement zur Kompensation fehlender existenzsicherndes und bedarfsdeckender Sozialsysteme → Ausgleich sozialer Härten - Gesellschaftliche Einforderung des Engagements im Rahmen des „Good Citizen“ im Sinne von „Giving Back to Society“: Profit der Unternehmen von nationalen Standortbedingung sowie aus den soziokulturellen Grundlagen der Gesellschaften (→ Social Contract Theory) schafft Interdependenzen, die zur teilweisen Rückgabe der Gewinne verpflichten (freiwillig, nicht gesetzlich eingefordert!) Wirtschafts- und Unternehmensethik • • • Methodik: - Systematische Begründung ethischer Handlungszwänge und normative Dimensionen der Ökonomie auf (meta-)theoretischer Ebene, Kritik: zu starke Begründungslastigkeit - Problem: „Ist angesichts des ohnehin schon weitreichenden sozialen Regelungsrahmens weiteres Engagement überhaupt noch notwendig?“ Motivation: - Lange Tradition der WUE in Kontinentaleuropa und der BRD: ▪ Jakob Fugger: Sozialsiedlungen für arme Bürger (15. Jhd.) ▪ Unternehmer Krupp: Bau von Krankenhäusern und Werkswohnungen (1870) ▪ Robert Bosch: sozialverträgliche Arbeitszeiten (1906) - Kulturanthropologischer „ehrbarer Kaufmann“ als feste Orientierungshilfe rechten Wirtschaftens (informelles Normenbild) - Zudem: Spezifische sozialstaatliche Tradition mit stark regulativem Charakter (formelle Institutionen) ▪ Sozialgesetzgebung unter Bismarck als Korrektiv der negativen sozialen Folgen der Industrialisierung (1883) ▪ „gezähmter Kapitalismus“ als Höhepunkt der staatlichen Korrektur das Marktversagens nach Beendigung des 2. Weltkrieges (1949): Ordnungsrahmen der sozialen Marktwirtschaft schreibt explizit (gesetzlich) soziale Aufgaben, Pflichten und Rechte zu ➔ Verpflichtung zur Einhaltung arbeits-, sozial- und umweltrechtlicher Regelungen ➔ Sozialversicherungsbeiträge zur Lösung des distributiven Marktversagens - „Unternehmensengagement“ aus USA/ GB in weiten Teilen Europas regulative Praxis Ideengeschichte: - Ursprung: akademischer und gesellschaftlicher Diskurs der 80er Jahre (urspr. 1968er) - Ausgangspunkt: verschärfte soziale Disparitäten, negative ökologische Auswirkungen eines globalen Kapitalismus und gradueller Abbau einer sozialstaatlichen Regulierungspolitik - Neoklassisches Marktversagen als Grundlage der Theoriebildung und Rollenbild von Unternehmen 1. organisationsindividuelle Nutzenmaximierung entspricht nicht mehr dem Nutzenmaximum der Gesellschaft 2. Kriterien der Nutzenmaximierung und ethisch-moralische Kriterien nicht mehr kongruent - Postmaterialistische Weltbilder ➔ Neue soziale Rollenfindung der Unternehmen, Forderung nach mehr Verantwortung seitens der Unternehmenspraxis entsprechend dem aufklärerischen Gedanken des Gesellschaftsvertrags (Hobbes, Kant) mit ordonomischem Regelungsrahmen (stärker regulativer Grundsatz) 6 Kapitel II Global Business Ethics ➔ 7 SoSe21 Kapitel III Global Business Ethics SoSe21 GLOBALISIERUNG: WIRTSCHAFTS- UND UNTERNEHMENSETHISCHE HERAUSFORDERUNG WAS IST GLOBALISIERUNG? = Veränderung der Weltwirtschaft hin zu mehr länderübergreifenden Transaktionen im wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereich • • „Prozess, durch den Märkte und Produktion in verschiedenen Ländern immer mehr voneinander abhängig werden – dank der Dynamik des Handels mit Gütern und Dienstleistungen und durch die Bewegung von Kapital und Technologie.“ (OECD) „Jenseits politischer Stellungnahme lässt sich Globalisierung als die raum-zeitliche Ausdehnung sozialer Praktiken über staatliche Grenzen, die Entstehung transnationaler Institutionen und Diffusion kultureller Muster beschreiben.“ (Klaus Müller, Globalisierung, 2002) GLOBALISIERUNG: EIN „ENTGRENZTER KAPITALISMUS“ • • • • Kein revolutionäres Verhältnis, sondern Ergebnis eines langanhaltenden Prozesses: Wirtschaftsgeschichtlich wiederkennbares Muster der Integration vormals autarker Gruppen, Gemeinschaften oder Regionen Neu: Dynamik und exponentieller Zuwachs an grenzüberschreitenden Interaktionen Unterschied zur Globalisierung „von früher“: Internationaler Herstellung und Handel aller Produkte (nicht nur wertvoller, sondern auch Massenwaren) Gespaltenes gesellschaftliches Meinungsbild: - Ökonomen: Vorteile für globalen Wohlstand, Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit (Demokratie!!!) - Mehrheit der Weltbevölkerung: Folgen der Globalisierung als „Entfesselung der Märkte“, „unmenschlich“, „ungerecht“, „Angriff auf Wohlstand und Demokratie“ und Ausdruck eines „Raubtierkapitalismus“ DIMENSIONEN DER GLOBALISIERUNG • • • „Globalisierung dokumentiert die zunehmende Verdichtung und Beschleunigung grenzüberschreitender weltweiter Interaktionen“ (Noll, 2010) Ökonomische Dimension der Globalisierung: - Wachstum des Welthandels - Wachstum der ausländischen Direktinvestitionen - Zunahme globaler Unternehmenskooperationen - Zunahme der Global Players (transnationaler Konzerne) - Globalisierung der Finanzmärkte Soziale Dimension der Globalisierung: - „Weltöffentlichkeit“ durch globalisierte Medien - Globale Verflechtung von Wissenschaft und Bildung - Harmonisierung der Kulturen (Ethik, Normen) - Harmonisierung des Rechtes (Menschenrechte, Patentrechte) - Weltweite Standardisierung (Produktnormen etc., z.B. Ladebuchsen für Handys) 1 Kapitel III - Global Business Ethics SoSe21 Bildung von supranationalen Organisationen (UN, WTO, etc.) Weltweiter Abbau von nationalen Handelsbarrieren (GATT) Liberalisierungs- und Deregulierungspolitik der Nationalstaaten Denationalisierung weicht die Bedeutung der Nationalstaaten auf URSACHEN DER GLOBALISIERUNG • • • Entsprechend der Vielfalt an Facetten der Globalisierung vielfältige Begründungen für sie, Hauptursache: Reduktion natürlicher und künstlicher Distanzkosten Technischer Fortschritt reduziert Transport- und Kommunikationskosten und fördert so die räumliche Entgrenzung von Tausch- und Produktionsaktivitäten Politische Deregulierungs- und Liberalisierungstendenzen beseitigen künstliche Interaktionsbarrieren und öffnen Märkte für den internationalen Wettbewerb; Zusammenbruch des Ostblocks → schnelle Transformation der Staaten in die globale Marktwirtschaft GLOBALISIERUNG: UNIVERSALE AUSWIRKUNGEN AUF UNTERNEHMEN? - Globalisierung von Unternehmungen Globalisierung der Märkte Produktion Marketing Vertrieb Strategie Personal Organisation Finanzen Beschaffung - Arbeitsmärkte Dienstleistungsmärkte Geld- und Kapitalmärkte Technologiemärkte Warenmärkte Globalisierung weiterer Lebensbereiche - Politik Recht Ethik Wissenschaft Technologie Medien Natur BETEILIGTE DER GLOBALISIERUNG: STAATEN UND UNTERNEHMEN • • • • • • Industriestaaten: benötigen für ihre Waren Märkte, die die Nachfrage ihrer heimischen Volkswirtschaft übertreffen Schwellenländer: haben durch niedrige Löhne bei niedrigen Lebenskosten die Möglichkeit, Anschluss an die Weltwirtschaft zu erreichen Entwicklungsländer: passive Teilnehmer, können meist selbst bei niedrigen Löhnen kaum ausländische Direktinvestitionen anziehen Regionalisierung: Globalisierung verstärkt den Druck auf Länder, sich zu regionalen Wirtschaftsräumen zusammenzuschließen (Schengen, ASEAN, BeNeLux) Produzierende Unternehmen: produzieren weltweit als Global Players und haben die Möglichkeit, die unterschiedlichen Bedingungen in den Ländern zu ihren Gunsten zu nutzen Banken und Finanzwesen: Finanzintermediäre als Hauptbeschleuniger der Globalisierung, weil sie durch die modernen Möglichkeiten der Geldwirtschaft die weltweiten Investitionen der Global Player 2 Kapitel III Global Business Ethics SoSe21 ermöglichen und den Nationalstaaten durch Anleihenkauf (Verschuldung) oder Anlage von Vermögen den Aufbau volkswirtschaftlicher Nachfrage ermöglichen ZENTRALER ASPEKT: GLOBALISIERUNG UND GERECHTIGKEIT • • • • Globalisierung als Moment der Wohlstandsförderung: 1. Arbeitsteilung und Spezialisierung: Spezialisierung einzelner Länder innerhalb der Produktion auf (komparativ) relativ kostengünstig herstellbare Güter → Nutzung von komparativen Kostenvorteilen ➔ Wohlfahrtswirkung durch Förderung gesamtwirtschaftlicher Produktivität, der globalen Produktion und des günstigen Tausches 2. Wettbewerb: Intensivierung der Rivalitätsbeziehungen ➔ Wohlfahrtswirkung: preisgünstige Angebote, steigende Leistungen, Produktvielfalt und differenzierung, Innovation Globalisierung als Moment der der Förderung von Freiheit: - Steigende Wohlfahrtswirkung der Globalisierung → emanzipatorisches Potential: je mehr Geld man hat, desto mehr Möglichkeiten bieten sich (Lebensoptionen, Güter, Handlungsspielräume), vormals Privileg einer Minderheit → mehr Freiheit - Historischer Konsens: Globalisierung → Möglichkeit zur Realisation individueller Lebensentwürfe für mehr Menschen & Förderung von Wertepluralismus → moralisches Gewicht der Globalisierung Globalisierung als Moment der kommutativen Gerechtigkeit (→ jedem das Seine, z.B. Spezialisierungsgewinne) - „Egalisierung der Chancen“ durch Abbau von Handelsbarrieren, d.h. theoretische Möglichkeit für jedes Land zur vorteilhaften Positionierung entsprechend eigener Spezialisierungsvorteile - Globalisierung zu Lasten armer Länder? NEIN! Vgl. Aufschwung der asiatischen Tigerstaaten: schnelle Entwicklungspotentiale und Wohlstandszuwachs durch Teilnahme an globalen Märkten - Nachfrage nach guten Produkten ist unabhängig von Nationalität, Glaube oder Hautfarbe - Wettbewerbsregime → positive Freiheitsgewinne und Wohlfahrtswirkungen vs. Freiheit (=Handlungspotentiale) und Zwang (zu Innovation und Effizienz) Globalisierung als Moment der distributiven Gerechtigkeit ( → jedem das Gleiche, z.B. allgemeine Wohlfahrtsgewinne): - Unterschiedliche Verteilungswirkungen abhängig vom Entwicklungsstand der VWL → ethisches Konfliktfeld im Spannungsfeld von kommutativer und distributiver Gerechtigkeit - Faktorpreisausgleichstheorem (Stolper, Samuelson, 1941): Exempel für Einkommenswirkung und Strukturwandel unterschiedlich entwickelter Länder FAKTORPREISAUSGLEICHSTHEOREM • Einkommensentwicklung in einem hochentwickelten Land: - komparativer Kostenvorteil in forschungs- und produktionsintensiven Produktionsprozessen - Handelsmuster: Export kapitalintensiver Produkte und Import arbeitsintensiver Güter 3 Kapitel III Global Business Ethics SoSe21 Steigender Marktpreis → steigende Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften → steigendes Einkommensniveau & sinkende Nachfrage nach geringqualifizierten Arbeitnehmern → sinkendes Einkommensniveau und steigende Arbeitslosigkeit der Geringqualifizierten ➔ Strukturwandel: Verschärfung sozialer Ungleichheiten und Disparitäten Einkommensentwicklung in einem nachholenden Land: - Komparativer Kostenvorteil: arbeitsintensive Produktionsprozesse - Handelsmuster: Export arbeitsintensiver Güter und Import kapitalintensiver Güter - Steigender Marktpreis → steigende Nachfrage nach gering qualifizierten Arbeitskräften → steigendes Einkommensniveau - Import vergleichsweise günstiger kapitalintensiver Güter aus hochentwickelten Ländern → sinkende Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften + erhöhter internationaler Wettbewerbsdruck ➔ Strukturwandel: mehr soziale (wirtschaftliche) Gerechtigkeit Fazit: Verteilungswirkung aus Perspektive der distributiven Gerechtigkeit ambivalent Problem: Annahme der Gleichheit aller anderen Faktoren, NICHT zutreffend (Bsp. Altersstruktur/ Geburtenraten) - • • • GERECHTIGKEIT? NOTWENDIGKEIT ETHISCHER BETRACHTUNG • • Liberale Wirtschaftsethik: soziale Disparitäten KEIN Handlungsgrund, Legitimierung lediglich gebunden an die Einhaltung der Spielregeln (Institutionen) → Vorliegen einer Verfahrensgerechtigkeit des Marktes in Bezug auf Verteilungsgerechtigkeit: gleiche Ausgangssituation und Bedingung für jeden Akteur Normative Wirtschaftsethik: soziale Disparitäten → Handlungsbedarf: Setzung geeigneter Institutionen und Spielregeln zur Garantie gerechter Umverteilung der Ressourcen und sozialer Absicherung (in Form staatlichen Zielsetzungen), Problem für hochentwickelte Länder: „Globalisierungsdilemma“ GLOBALISIERUNGSDILEMMA • • Ergebnis von Meinungsumfragen: wachsende gesellschaftliche Bereitschaft für Verzicht auf zusätzliche Freiheiten und Handlungsoptionen zu Gunsten sozialer Absicherung und zum Ausgleich sozialer Härten Entscheidung eines Landes zu Gunsten von Sicherheit und Gleichheit und gegen Innovation und Strukturwandel → Risiko: kein Anschluss an die globale Wissens- und Fortschrittsgemeinschaft, Wohlstandverluste, mehr Ungerechtigkeit ➔ Notwendigkeit für Institutionen und Spielregeln zur Garantie der Freiheits- und Gerechtigkeitsanliegen unter den Bedingungen globaler Märkte, Problem: WER soll Forderungen erfüllen und durchsetzen angesichts des Souveränitätsverlusts der Nationalstaaten? GLOBALISIERUNG UND MARKTVERSAGEN • • Fehlen eines international einheitlichen Ordnungsrahmens für globales Wirtschaften fördert Marktversagen und verzerrt gleiche Wettbewerbsbedingungen Determination der effizienten Ressourcenallokation durch Informationsasymmetrie, z.B. - Fehlen international einheitlicher Wettbewerbsrechte 4 Kapitel III • Global Business Ethics SoSe21 - Fehlender Rechtssicherheit (vgl. UN-Kaufrecht, Frauenrechte, Kinderrechte) - Fehlen einheitlicher internationaler Standards für Produkte - Kulturelle Unterschiede (Psychic Distance) - Unterschiedliche Umweltstandards Fehlen eines international einheitlichen Ordnungsrahmens für globales Wirtschaften fördert die grenzüberschreitende Ausnutzung von Marktmacht und manifestiert das „Gesetz des Stärkeren“ als Moral → Problem der Deinstitutionalisierung (Nicht-Beschränkung) der Gier auf globaler Ebene GLOBALES GEFANGENENDILEMMA/ RACE TO THE BOTTOM THESE Um Kapital und Arbeitsplätze im Lande zu halten oder ins eigene Land zu holen, richten sich alle Anstrengungen auf möglichst niedrige Löhne, soziale Leistungen, Unternehmenssteuern und Umweltstandards [...], mit dem aggressiven Kampf der Nationalstaaten wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt, bei der am Ende aber alle verlieren werden“ (Lafontaine, 1995) ➔ Wettbewerb produziert intranationale Gefangenendilemmata, die zu einer Erosion der Wertebilder und Moralität führen Beispiel: Rechtsstreit um Amazon Steuern in Luxemburg GLOBALES/ UNTERNEHMENSETHISCHES GEFANGENENDILEMMA • • • • • • • • Wertschöpfung in Unternehmen durch Ressourcen und Neu-Kombination (Schumpeter, 1934) Gesetze des Wettbewerbs → Zwang zu kontinuierlichem und kosteneffizientem Wirtschaften in Unternehmen Unterschiedliche regionale Rahmenbedingungen weltweit → unterschiedliche Restriktionen des Wirtschaftens mit Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit Beispiel: Konkurrenz eines deutschen Unternehmens mit hohen Sozialstandards und eines taiwanesischen Unternehmens hinsichtlich der Kostenstrukturen Unternehmensethische Pattsituation in hochentwickelten Ländern (hohe Sozialstandards) → Wie kann ich sozial verträglich wirtschaften und dennoch am Markt überleben? Weitere zentrale Frage der modernen Wirtschaftsethik: “The social responsibility of business is to increase its profits” (Friedman, 1970) ➔ Lediglich: Unternehmerische Verantwortung = ökonomische Verantwortung??? Möglicher Ausweg aus dem globalen Gefangenendilemma: - Akteure verpflichten sich gleichen Spielregeln/ moralischen Standards - Moralisches Handeln im Rahmen des globalen Marktgeschehens mit Wettbewerbsvorteilen Gibt es eine globale Ethik? → allgemeine, für jeden Menschen und in jedem Kontext geltende Spielregeln mit Bedeutung für die Globalisierung - Küng: Weltethos - „pacta sunt servanda“ - Goldene Regel - „bonum faciendum, malum vitandum esset” 5 Kapitel III Global Business Ethics SoSe21 ➔ Grundlegende, allgemeine, vage formulierte ethische Richtlinien ➔ Unterschiedliche ethische Ausformulierungen naheliegend, unterschiedliche Bildung, Kultur und Standards BEISPIEL GLOBALES GEFANGENENDILEMMA: KORRUPTION • • • • • • Definition: „Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandats zugunsten eines Anderen, auf dessen Veranlassung oder Eigeninitiative, zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten, mit Eintritt oder in Erwartung des Eintritts eines Schadens oder Nachteils für die Allgemeinheit (in amtlicher oder politischer Funktion) oder für ein Unternehmen (betreffend Täter als Funktionsträger in der Wirtschaft).“ Wesentliche Unterschiede zur normalen Kriminalität: - Schädigung Dritter/ der Allgemeinheit, unwissend beteiligt - Geringe Wahrscheinlichkeit zur Wiedergutmachung/ Aufklärung, da sich niemand unmittelbar betroffen fühlt Beispiele: - Bescheinigung von Prüfungen gegen Leistung - „Kuvert“ der Supermärkte für begehrte Regalpositionen - „freundliche Berichterstattung“ eines wirtschaftswissenschaftlichen Redakteures - Bestechung durch Baufirma für Bauauftrag - Gefälligkeitsgutachten gegen Geld Konsequenz der Korruption: - Korruption macht Gerechtigkeit und Verantwortung unmöglich (Bsp. Polizist oder Richter) - Korruption stellt sich der Wahrheitsfindung in den Weg (Bsp. Gefälligkeitsgutachten) - Korruption ist ein Anschlag auf die Demokratie bzw. den politischen Willensbildungsprozess einer Gesellschaft - Korruption verzerrt den Wettbewerb: Nicht der Beste gewinnt, sondern wer am meisten schmiert - Korruption betrügt den Konsumenten - Korruption gebiert neue Korruption Corruption Perceptions Index 2018: Platz 1 Dänemark, Platz 11 Deutschland, letzte Plätze: Diktaturen und failed states Auslandskorruption: - Seit den 1980ern: Kampf gegen Bestechung und Bestechlichkeit - 1999: Verbot der Auslandsbestechung, bisher aber nur weniger Verurteilungen - 2006: Korruptionsskandal von Siemens als Schockwelle → Einführung eines systematischen und umfassenden Risikomanagements (angemessene Unternehmensleitsätze, Verhaltensregeln, wirksame Überwachungs- und Compliance Strukturen) in den Chefetagen - Verbreitete Meinung der Notwendigkeit von Bestechung als Notwendigkeit für Geschäfte ▪ fehlendes Unrechtsbewusstsein ▪ keine glaubwürdige Unternehmenskultur ▪ Führungslinien a „Null-Toleranz gegenüber Bestechung“ kaum in kritischen Bereichen wie Ein- und Verkauf in Schwellen und Entwicklungsländern 6 Kapitel III Global Business Ethics ▪ - - - - SoSe21 „Geist der Doppelmoral“ mit Toleranz für korrupte Handlungsweisen und Schutz bis zum Auffliegen ▪ Kaum Bewusstsein über entstandene Schäden Schwere Fassbarkeit von Auslandskorruption: ▪ Kaum strafrechtliche Ermittlungen/ Kommentation in den Medien → keine öffentliche Wahrnehmung ▪ Geringes Risiko, entdeckt zu werden: keine Gewähr für die Übermittlung ausländischer Untersuchungsergebnisse an die inländischen Ermittlungsbehörden, Scheitern einer effizienten Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften an Rechts-, Sprach- und Kulturbarrieren ▪ Schwierigkeiten bei grenzüberschreitender Ermittlung und Beweisführung, Einbringbarkeit von prozess-robusten Aussagen ausländischer Zeugen/ Informationen nur über den Weg der „internationalen Rechtshilfe“ (v.a. bei Nicht-EU Staaten komplex und zeitaufwändig) ▪ → Präferenz der Ermittlungsbehörden zur Konzentration der Ressourcen auf leichtere, nationale Bestechungsfälle ▪ Bribe Prayers Index von Transparency International: Hinweise auf das aktuelle Korruptionsverhalten der Exportfirmen aus DE und 29 anderen Nationen, Deutschland mit Score 7.34 (Skala 0-10), 3 Punkte über Schlusslicht Indien → Bestechung durch deutsche Firmen im Ausland mit sektoral und regional weitaus größerer Rolle als meist bewusst Wie geschieht Auslandbestechung? ▪ Ein (1) Exporteur/ Verkäufer bietet Regierungsbeamten/ Kunden/ Einkäufer eine Bestechungszahlung/ andere Vorteile für die Erteilung eines Bau-/ Kaufauftrages oder (2) Regierungsbeamter im Importland/Einkäufer verlangt von dem Verkäufer einer Ware oder Dienstleistung eine Bestechungszahlung, ohne die er den Auftrag nicht erteilen (oder den Bestecher in die Short List aufnehmen, etc.) würde ▪ Häufig Nutzung von Vermittlern: Auf beiden Seiten Beauftragung von Beratern, technischen Sachverständigen, Ingenieurbüros/ alle Arten von Mittelspersonen und Agenten von der deutschen Muttergesellschaft oder einem ausländischen Tochterunternehmen mit der Anbahnung, dem Abschluss oder der Abwicklung von Geschäften → Maßgebliche Beeinflussung der Entscheidungen, Handlungen selten dem Auftraggeber zuzurechnen → beliebtes Instrument Formen von Missbrauch: ▪ „Beraterverträge“, denen keine wirkliche Beratungsleistung zu Grunde liegend ▪ Verträge deren Vergütung (Provision) in keiner Relation zur vage angedeuteten, geschuldeten Dienstleistung ▪ Keine schriftliche Hinterlegung des wirklichen Auftrages von Agenten ▪ Vergütungsregelungen, abgewickelt über Treuhandschaften oder Nummernkonten in Steueroasen/ Ländern mit besonderem Bankkundengeheimnis ▪ Kartellabsprachen in Ausschreibungsverfahren Schaden durch Auslandsbestechung ▪ Materieller und immaterieller Art ▪ Prinzipiell kein Unterschied zu Schäden durch nationale Korruption, allerdings meist hohe Vertragswerte und dementsprechend hohe Bestechungszahlungen 7 Kapitel III Global Business Ethics ▪ - - SoSe21 Oft Kombination mit anderen strafbaren Handlungen (Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Untreue) Auslandsbestechung… ▪ Außerkraftsetzen von internationalem Wettbewerb auf der Basis von Qualität und Preis ▪ Gefährdung von Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätzen der integer agierenden Wettbewerber ▪ Beitrag zur Lieferung unzulänglicher Qualität geliefert und Verzicht auf Innovationsbemühungen ▪ Begünstigung überdimensionierter oder in anderer Weise unökonomischer Investitionen ▪ Billigende Inkaufnahme der Umwelt- und Gesundheitsschäden ▪ Verursachung erhöhter Erwerbs- und Wartungskosten ▪ Verfestigung korrupter Systeme ▪ Beschädigung der Reputation des bestechenden Unternehmens und Gefährdung seiner internationalen Handlungs- und Wettbewerbsfähigkeit.: (mitunter durch internationale Geldgeber veranlasste) „schwarze Listen“ oder Ausschluss-Zentralregister → Ausschluss von öffentlichen Aufträgen von bestechenden Unternehmen für eine bestimmte Zeit ▪ Aussetzung der für ein Unternehmen handelnden Mitarbeiter dem Risiko der Strafverfolgung und dem Unternehmen selbst Schadensersatzansprüchen seitens der Abnehmer und der Mitbewerber ▪ Infragestellung der Wirksamkeit internationaler Verpflichtungen, nationaler Gesetze und der Strafverfolgung → Image des Wirtschaftsstandorts Deutschland ▪ Verschärfung des „Gefangenendilemma“ → von den Industrieländern ausgehende, weltweit spürbare Werte-Erosion und Verwässerung von globalen „Spielregeln“ von OECD, UNO und WTO nach dem Motto: „Das machen doch alle” ▪ Tragen des finanziellen Schadens bei Bestechung in ärmeren Ländern von den Ärmsten des Landes durch fehlende Geldmittel für soziale Investitionen/ notwendige Infrastrukturmaßnahmen ▪ Verteuerung der gerade für die Armen essentiellen Dienstleistungen des Staates (Investitionskosten, fehlende Wartung, …) Wie gegen Auslandsbestechung vorgehen: ▪ Repression → Staat: Anwendung der Straf- und Ordnungswidrigkeits-Gesetze. Durchsetzung zivil-, verwaltungs- und arbeitsrechtlicher Sanktionen, Ausschluss korrupter Unternehmen von künftigen Vergabeverfahren durch öffentliches Zentralregister ▪ Prävention → gleichermaßen von Staat, Verwaltung und privaten Unternehmen als essentieller Teil des Risikomanagements eingefordert: Einführung und Einhaltung von angemessenen Unternehmens-Leitsätzen und Verhaltensregeln, wirksame Kontroll- und Compliance-Strukturen o Unternehmens-Leitsätze/ Codes of Conduct: Verpflichtung auf Integrität und ethisches Verhalten, mit ausdrücklicher Thematisierung der Korruption und dem Hinweis auf die Vorbildfunktion der Geschäftsführung, klare Regeln für alle Mitarbeiter über den Umgang mit Lieferanten und Auftraggebern, über den Umgang mit Geschenken, Bewirtung und ähnlichem, und insbesondere über die Einschaltung von Agenten und Beratern; in letzterer Hinsicht sind besondere Sorgfalt bei deren 8 Kapitel III Global Business Ethics SoSe21 Auswahl ("due diligence"), klare Aufgabenstellung und Aufgabenbeschreibung, angemessene (begrenzte) Vergütung nur für legitime, tatsächlich geleistete Arbeit und Zahlung nur auf Namenskonten gefordert o Kontroll- und Compliance-Strukturen: Schwachstellen-Analyse, Vorsorge am Arbeitsplatz wie 4-Augen-Prinzip, Rotation und Aufgabentrennung, die Entwicklung von Korruptions-Indikatoren („Red Flags"), zentrale betriebliche Steuerung aller Verträge mit Agenten und Beratern (einschließlich vollständiger Agenten- oder Beraterlisten und Genehmigungspflicht), effektive interne und externe Kontrollorgane, eine Hotline für (auch anonyme) Hinweise, Ermunterung und Schutz von Hinweisgebern, einen internen Antikorruptionsbeauftragten und/oder einen externen Ombudsman (ein Rechtsanwalt kann Vertraulichkeit zusichern), systematische und konsequente Umsetzung von Sanktionen, regelmäßige Sensibilisierung aller Mitarbeiter, Risiko Reporting System 9 Kapitel IV Global Business Ethics SoSe21 EIN ALTER HUT: CORPORATE RESPONSIBILITY INSTRUMENTALISIERUNG DER WUE ODER UNTERNEHMENS VERANTWORTUNG 2.0 EINE GLOBALE ETHISCHE INITIATIVE: UN GLOBAL COMPACT • • = strategische Initiative für Unternehmen: Verpflichtung zur Ausrichtung der Geschäftstätigkeiten und Strategien an 10 universell anerkannten Prinzipien aus 4 Bereichen: - Menschenrechte - Arbeitsnormen - Umweltschutz - Korruptionsbekämpfung Initiative des UN-Generalsekretärs Kofi Anaan auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Mittlerweile >14000 global agierende Unternehmen als Unterzeichner → ethisches Fundament für globales wirtschaftliches Handeln Was ist UN Global Compact? Was ist UN Global Compact nicht? Freiwillige Initiative zur Förderung nachhaltiger Entwicklung und gesellschaftlichen Engagements Rechtsverbindlich Wertekatalog auf der Grundlage universell anerkannter Prinzipien Möglichkeit zur Überwachung/ Steuerung von Unternehmen Netzwerk von Unternehmen und Stakeholdern Norm, Managementsystem, Verhaltenskodex Forum für gemeinsames Lernen und Erfahrungsaustausch Kontrollgremium oder PR-Instrument CORPORATE RESPONSIBILITY: RENAISSANCE EINES LEITBILDES? • • • • • Leitbild des ehrbaren Kaufmanns mit langer geschichtlicher Tradition: Für den ehrbaren Kaufmann… … sind Moral und Wirtschaftlichkeit kein Gegensatz, sondern Bedingung … geht die Mehrung des eigenen Wohlstands mit dem des gesellschaftlichen Wohlstands einher (Steuerzahlungen, Profit durch Bildung, Beispiel: Fuggerei) … bedeutet Wirtschaftlichkeit das nachhaltige Schaffen von Werten (Anton Fugger: „Wir müssen so reich sein, dass auch unsere dekadenten Vorfahren in 500 Jahren noch reich leben können.“) „… Mein Sohn, sei mit Lust bei den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, dass wir bei Nacht gut schlafen können.“ (Thomas Mann, Die Buddenbrooks) - Glaubwürdigkeit - Ethische Standards haben überregionale Gültigkeit - Gezielte Suche nach Geschäftspartnern - Auch „Nein“ sagen/ Tabus - Produkte und Organisationsmethoden, deren Preis der Leistung entspricht Entwicklung eines ehrbaren Managers als möglicher Ausweg aus der Globalisierungsfalle? Vgl. Hippokratischer Eid der Mediziner, „Manager Eid“ in der Wirtschaft 1 Kapitel IV Global Business Ethics SoSe21 CR: TREND ODER MODEERSCHEINUNG? • • • • • Zentrale Rolle der Coporate Responsibility/ unternehmerischen Verantwortung in der aktuellen Debatte um Fluch und Segen der Globalisierung Fast alle Global Player: Selbstverpflichtung zum Leitbild verantwortungsvoller Unternehmensführung (Engagement in Umweltprogrammen, Unterstützung von Kultur- und Sozialprojekten), Selbstinszenierung als „verlässlicher Partner“ der Gesellschaft Akademische Fachwelt und öffentliche Diskussion: CR als Exit-Strategie aus der Globalisierungsfalle, angesichts der Ermangelung supranationaler Institutionen und Regelwerke kann die freiwillige Selbstverpflichtung der UN die Lücke schließen, Ziel: Garantie von sozial- und umweltgerechter Entwicklung Warum und für wen trägt das Unternehmen Verantwortung? Forderung nach Verantwortung gegenüber der Umwelt speist sich auf natürlichen (Inter-)Dependenzen der Akteure: - Zunehmend arbeitsteilige, spezialisierte Gesellschaft → zunehmende Abhängigkeit von sozialen Inter- und Transaktionen zur Bedarfs- und Bedürfnisbefriedigung - Steuerung dieser sozialen Austauschbeziehungen durch explizite (formelle) und implizite (informelle Verträge) - Entsprechend: Basis dieses „Gesellschaftsvertrages“ (vgl. Locke, Hobbes, Rousseau) gegenseitiges Vertrauen in Erfüllung bürgerlicher Rechte und Pflichten - Bürgerliche Pflicht: gegenseitige Achtung, Berücksichtigung gesellschaftlicher Interessen und Erwartungen und unbedingtes Pflicht- und Verantwortungsgebot zur aktiven Mitgestaltung des Umfelds → Verantwortungspostulat ➔ Unternehmen als „korporierter Bürger der Gesellschaft“ (Mesoebene) unterliegen naturgemäß ebenfalls dem Verantwortungspostulat 2 Kapitel IV FOKUS: GESELLSCHAFTSVERTRAG Global Business Ethics SoSe21 = wissenschaftliches Konstrukt von Staatsphilosophen • • • • Ausgehend von einem Ausgangszustand/ Urzustand - Robinson auf der Insel - Adam und Eva - Homo hominibus lupus (Hobbes) Entwicklung der Regeln für eine Gesellschaft - Beispiel Absolutismus: „L’état c’est moi“/ „Der Staat bin ich“ (Ludwig XIV) Hobbes: - Inkommodes Leben ohne Staat: Angst vor jedem, der ihm ein Wolf sein könnte → Kontakt vermeiden → Einsamkeit → hohe Transaktionskosten führen zu Armut - Absolutistischer Staat als Lösung: abgelegte Gewaltbereitschaft wird an eine Instanz (Staat/ Monarch) abgegeben → monopolisierte Gewalt, somit haben alle Angst vor dem Leviathan, der Staat wird zum gemeinsamen Gegner = Grundlage für gemeinsames Handeln/ Kooperation Locke und Rousseau: Gewaltenteilung CR? EINE POSITIVISTISCHE BEGRÜNDUNG • • Welche Interessen muss eine „verantwortungsbewusste Unternehmensführung“ berücksichtigen, welche Reichweite hat die Pflicht zur Gestaltung des Unternehmensumfeldes und was ist die originäre gesellschaftliche Verantwortung im Unternehmen? → Wem ist die Unternehmensführung in erster Linie verpflichtet? EXKURS: FRIEDMAN-FREEMAN-DEBATTE/ SHAREHOLDER- VS. STAKEHOLDER THEORY • Milton Friedman (1970): Shareholder Theory - “There is only and only one social responsibility of business – to use its resources and engage in activities designed to increase its profits so long as it stays within the rules of the game, which is to say, engages in open and free competition, without deception or fraud.” - Verantwortungsreichweite von Unternehmen gemäß Friedman (1976): ▪ Hauptaufgabe und gesellschaftlicher Auftrag der Unternehmen ist die Gewinnmaximierung ▪ die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen beschränkt sich auf die reine Gewinnmaximierung unter legalen Bedingungen (formelle Institutionen) ▪ „Goal“ des Wirtschaftens = „Purpose“ des Wirtschaftens (Ziel = Zweck) ▪ Reines Ziel der Gewinnmaximierung stellt der Gesellschaft ausreichend und auf effizienteste Weise Güter und Dienste zur Verfügung (Arbeitsplätze, Innovation usw.) ▪ Legitimität der Unternehmung = Legalität des Wirtschaftens (früher identisch, heute Diskrepanz, es bedarf der Legalität für die moralische Akzeptanz) 3 Kapitel IV Global Business Ethics SoSe21 ▪ - • Rechenschafts- und Verantwortungspflicht lediglich gegenüber den Eigentümern (Shareholder) und ihren Interessen als „sch(ä/)ützenwerteste Einheit“ (vgl. spezifische Investitionen) → Verantwortung in der Shareholder Theorie endet dort, wo die Interessen des Eigentümers befriedigt wurden → Nähe des Shareholder Values zu neoklassischen Ansätzen Paradigma des Shareholder Values als Leitbild „wertorientierter (tugendhafter?) Unternehmensführung“ der 1980er- und 1990er-Jahr Freeman, (1984): vom Social Contract zum Stakeholder Value Social Contract Theory nach Donaldson (1982) - Gründung von Unternehmen, weil die Gesellschaft sie benötigt: erheblicher Beitrag zur Bedürfnisbefriedigung und Existenz der Gesellschaft als Güterproduzent, Dienstleister, Sicherer von Arbeitsplätzen usw. - Unternehmen leben und zehren vom Human- und Sozialkapital der Gesellschaften, in denen sie aktiv sind → Verbindlichkeiten und Verpflichtungen zum gegenseitigen sorgsamen/ verantwortungsvollen Umgang als Good Citizen - Licence to operate/ right to exist = gesellschaftliche Betriebslizenz eines Unternehmens, Erhalt durch bewusste und proaktive Übernahme von Verantwortung und das bedingungslose Mitwirken bei der Gestaltung der Unternehmensumwelt ➔ Fokus: Legitimität von Unternehmen: nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn „social benefits exceed social costs“ - Problem: holistischer und normativer Ansatz, stößt bei praktischem Einsatz an seine Grenzen ➔ Dominanz des Stakeholder Ansatzes als modernes Leitbild und praktikablere Strategie wertorientierter Unternehmensführung Stakeholder Theory nach Freeman (1984) - - Verantwortungsbereiche von Unternehmen gemäß Freeman ▪ Rechenschafts- und Verantwortungspflicht gegenüber allen Anspruchsgruppen ▪ Gesellschaft als einzige „sch(ä/)ützenwerteste Einheit“ ▪ Nicht nur: Gewinnmaximierung unter legalen Bedingungen, sondern auch Anspruch: Schaffung eines Mehrwertes für alle strategischen Anspruchsgruppen → gesellschaftlicher Auftrag ▪ Aktiver und konstanter Dialog mit allen Stakeholdern, Identifikation konfligierender und komplementärer Interessen und Ansprüche und Berücksichtigung dieser innerhalb der Wertschöpfung ▪ Legitimität = Legalität + Erfüllung des Gesellschaftlichen Auftrages Verantwortung innerhalb der Stakeholder Theorie ausgehend von der Legalität Nähe des Stakeholder Ansatzes zur modernen Social Contract Theorie nach Donaldson Paradigma des Stakeholder Values als neues künftiges Leitbild nachhaltig wertorientierter Unternehmensführung seit Mitte der 1990er Jahre 4 Kapitel IV Global Business Ethics SoSe21 Stakeholder Value im Überblick: - Unternehmensziel: Langfristiges und dauerhaftes Wachstum im Einklang mit der Unternehmensumwelt Verantwortungsreichweite: sämtliche interne und externe Anspruchsgruppen (First-Bests), alles strategischen Anspruchsgruppen (Second-Bests) Erfolgsmaßstab: mehrdimensionale Wertsteigerung (ökonomisch und außerökonomisch), Befriedigung der Interessen strategischer Anspruchsgruppen Negative Perspektive in der praktischen Umsetzung: Heterogenität, Komplexität, Intransparenz der Ansprüche als Erschwernis für eine klare unternehmerische Zielpräzisierung Stakeholder eines Unternehmens: Wettbewerber Mitarbeiter Supplier Gläubiger, Aktionäre NGOs Kunden Staat, Gesellschaft, Öffentlichkeit HISTORISCHER PARADIGMENWECHSEL: VOM SHAREHOLDER ZUM STAKEHOLDER VALUE • • • • 80er Jahre: zahlreiche US-Unternehmen sich als „Sozialkassen mit Fabrik“ wirtschaftlich, zu viel soziales Engagement als für das Unternehmen/ die Innovation gut gewesen wäre 90er Jahre: „Reagonomics“ → US-Aktien sollen wieder attraktiv werden → nachhaltige Anreizstruktur Ab 2000: bedeutende Korruptionsskandale, z.B. Siemens „Schrumpfende Ressourcen, der Ruf nach größerer Transparenz und wachsende StakeholderErwartungen stellen wesentliche Gründe dar, weshalb sich Unternehmen mit der Thematik der nachhaltigen und ethischen Unternehmensverantwortung beschäftigen sollten.“ (Schütz, 2017) ➔ Gute Ideen ➔ Visionen/ Strategien 5 Kapitel IV Global Business Ethics SoSe21 NACHHALTIGE UND ETHISCHE UNTERNEHMENSFÜHRUNG Schrumpfende Ressourcen Mehr Transparenz Stakeholder Erwartungen - Energie Rohstoffe Trinkwasser Artenvielfalt Nahrung Soziale Gerechtigkeit Abbau seltener Erden Gentechnisch verändertes Saatgut Vermarktung von Trinkwasser - NGOs Aktivisten Whistleblower Medien Neue Technologien/ Social Media Beispiele Shell: Brent Spar Öl-Platform VW-Diesel Skandal NaBu Transparency International Greenpeace FFF - Behördern Kunden Lieferanten Mitarbeiter Investoren Umgang mit Korruption (Siemens, Daimler) Supply Chain Verantwortung/ Lieferkettengesetz (z.B. Produktionsbedingungen in der Textilindustrie) Socially Responsible Investing BEGRIFFSDSCHUNGEL C(S)R • • Keine definitorisch-einheitliche Eingrenzung und inhaltlich-konzeptionelle Abgrenzung der Begrifflichkeiten Corporate Responsibility, Corporate Governance, Corporate Citizenship, Nachhaltigkeit und CSR Carrol’s C(S)R Pyramid: - The social responsibility of business encompasses the economic, legal, ethical, and discretionary (philanthropic) expectations that society has of organization at a given point of time. - Wiederspiegeln der dynamischen Dimension von C(S)R: ständiger Wandel der StakeholderErwartungen, dementsprechend stetiger Wandel des Verantwortungsbegriffs, Ziel: ständiger Dialog mit der Umwelt, Identifikation der Forderungen und Berücksichtigung im Wertschöpfungsprozess Stufe 4: Unternehmerische Verantwortung, über die ethische und gesetzliche Verantwortung hinausgehend → Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt, basierend auf Freiwilligkeit, bspw. Kunst- und Sportförderung Stufe 3: Normen, deren Missachtung zwar nicht gesetzlich, aber gesellschaftlich sanktioniert werden Stufe 2: Gesetze Stufe 1: Profitables Wirtschaften → der ökonomischen Verantwortung gerecht werden 6 Kapitel IV • • • Global Business Ethics SoSe21 Martins Virtue Matrix of C(S)R - Erweiterung des reinen Legitimitätsgedanken Carrols um strategische Dimension: Realisierung von Reputations- und Wettbewerbsvorteilen gegenüber kompetitiven Marktteilnehmern durch weitergehendes Engagement, fernab jeglicher aktuellen Forderungen - Untere Quadranten: explizite (institutionell vorgegebene) und implizite (gesellschaftlich erwünschte) Normen → Einhaltung der Grundregeln ergänzt um die sozialen Normen als Legitimierung der Unternehmung - Obere Quadranten: Spielraum, innerhalb dessen sich die Geschäftsleitung bewegen kann - Steuerung der variablen Messlatte von verschiedenen Seiten der Unternehmung ▪ Strategisches Vorgehen als Pioniere durch individuelle Vorstöße mit der Chance auf Pioniergewinne (Reputation, Marktteile) und Risiko des langfristigen Wettbewerbsnachteils ▪ Freiwillig-kollektive Selbstbindung, z.B. in Form branchenweiter Standards und Verhaltenskodizes → keine Vor- und Nachteile für einzelne Unternehmen bei erhöhter CSRAktivität Virtue Matrix vs. CSR Pyramid - Martin: CSR als freiwilliges Engagement jenseits des institutionellen Rahmens und gesellschaftlicher Konventionen, Auftreten da, wo Gesetze und Normen aufhören → Schließen von Lücken (vgl. 4. Stufe von Carrols Pyramide) - Genauere Analyse bei Martin - Problem häufige Fehlinterpretation von Carrols CSR-Pyramid als sequenzielles Modell - Seit den 1980er Jahren: Gleiche Verwendung von CR und CSR Coroporate Responsibility: moderne Begriffssystematisierung nach E&Y 7 Kapitel IV • Global Business Ethics SoSe21 CSR -Triple-Bottom-Line: Kaleidoskop nach Schwartz - Theoretisch getrennt voneinander existierende Prozesse wirken wie die Spiegel im Kaleidoskop as Gesamtbild zusammen - Ökologische Verantwortung: ▪ Umweltverträgliche Wertschöpfungsprozesse ▪ Kontinuierliche Entwicklung, Investition und Optimierung von ökologischen Vermeidungs- und Verfahrenstechnologien - Ökonomische Verantwortung: ▪ Langfristige Wertschöpfung und auf Dauerhaftigkeit ausgelegte Unternehmensexistenz ▪ Dauerhafte Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit und Bonität - Soziale Verantwortung: ▪ Transparenz und Offenheit ▪ Berücksichtigung der Interessen der Gesellschaft und Mitarbeiter ▪ Verantwortung gegenüber dem Mitarbeiter (Weiterbildung, Work-Leisure-Balance, Health Care, Motivation) ▪ Kontinuierliche Entwicklung, Investition und Optimierung in körperschonende Produktionsprozesse (Ergonomie) ▪ Diversity-Management und aktiver Kampf gegen innerbetriebliche Diskriminierung CORPORATE DIGITAL RESPONSIBILITY • Kritische ethische Situation: - Ersetzt die Digitalisierung den Menschen? - Hoher Stromverbrauch der Digitalisierung/ Umweltschäden? • Drei Dimensionen der Digitalisierung - Digitalisierung des Produktes: analog (LKW) → digitale Produkt Information (Standortverfolgung eines LKW) → digitale Produkt Interaktion (Interaktion mit dem LKW auf Basis aktueller Infos, bspw. Optimierung von Lieferzeiten) → digitaler Zwilling (kein Fahrer, Steuerung aus der Zentrale) → digitales Substitut (keine Logistik mehr, nur noch Transport von Informationen; Beamen/ digitales Substitut) - Digitalisierung der Prozesse: analog (z.B. Kassenbon) → digitales Abbild (Scan) → maschinenlesbare Information (OCR-Software) → automatische Verarbeitung (automatische Buchung mit manueller Prüfung) → autonome Verarbeitung (vollständig autonome Buchung ohne manuelle Prüfung) - Digitalisierung der Wertschöpfungskette: betrifft: 1. Kultur und Werte: Agilität als festes Grundprinzip 2. Strategie: Klare Kommunikation und Umsetzung durch die Strategie 3. Information: Gemeinsame und eindeutige Perspektive (Single Point of Truth) 4. Organisation: Befähigung der Organisation zur Umsetzung der Transformation 5. Prozesse: Interdisziplinäres Know How anstatt starrer Verantwortlichkeiten 6. Technologie: Vollständige Integration und Nutzung der technischen Möglichkeiten 8 Kapitel IV • Global Business Ethics SoSe21 Ethik in der digitalen Transformation: WARUM CORPORATE RESPONSIBILITY? • CR auf zwei Kommunikationsebenen: Business Case und Social Case, beide suchen nach der volks- und betriebswirtschaftlichen Sinnhaftigkeit - Social Case of CR: Wertschöpfungsbeitrag der unternehmerischen Verantwortung für die Genesung und Sicherung einer gesunden und intakten Gesellschaft und Nutzen der Unternehmung für das gesellschaftliche Umfeld - Business Case of CR: Freiwillige Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung (z.B. im Rahmen eines Nachhaltigkeitsmanagements) als positiver Einfluss auf die Unternehmensperformance? ▪ Positiver Einfluss eines erfolgreichen Nachhaltigkeits- und Wertemanagements auf die klassischen Erfolgstreiber der Unternehmung (Kostenstruktur, Umsatz, Preis und Gewinnmarge, Risiko, Reputation, Werte und Marktwert, organisatorische Aspekte, Kooperationschancen mit Zulieferern, Kunden und Investoren) ▪ CR schafft Reputation und baut Wettbewerbsvorteile auf: Reputation = Fähigkeit zur Schaffung von Werten für sich und seine Interessensgruppen und zur Präsentation dieser in der Öffentlichkeit → Nähe zum Stakeholder Dialog ▪ CR steigert die Profitabilität der Unternehmung, nachhaltig Wirtschaften = auf allen Ebenen und mit allen betrieblichen Ressourcen „SCHONEND“ wirtschaften ➔ Kontinuierliche Investitionen in die Optimierung von Herstellungsprozessen und Ablaufplanungen (effiziente Inputsteuerung usw.) ➔ Intelligente Supply Chain und ressourcenschonende Distribution ➔ Optimierung von organisationalen Strukturen (Kommunikation, Koordination, usw.) ➔ Gesunde, offene, motivierte und innovative Unternehmenskultur (Mensch im Mittelpunkt) ➔ Investitionen in mitarbeitergerechtes Wirtschaften (Reduktion der psychischen und physischen Belastung) ➔ Ergonomische und organische Leistungserstellungsprozesse 9 Exkurs Global Business Ethics SoSe21 EXKURS: KLEINE GESCHICHTE DER KORRUPTION • • Korruption = „zweitältestes Gewerbe der Welt“ - → Moralische Anrüchigkeit - → seit jeher eine menschliche Schwäche (fatalistisch: Unausrottbarkeit des Übels, Motivierend: dringende Aufforderung zur Befreiung von der Geisel) Korruption = Dauerbrenner politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzung im hiesigen Kulturkreis - Verurteilung von franz. Ministerpräsident Sarkozy - Masken-Affäre im dt. Bundestag BEGRIFFSDEFINITION Korruption • heute: Verbreitung des Wortes Korruption mit ähnlicher Bedeutung in vielen Sprachen • Begrifflichkeiten in Deutschland: - Seit 19. Jhd.: Korruption - Frühe Neuzeit: miet =anstößige Einflussnahme auf Amtsträger (im Gegensatz zum erlaubten „Schenk“) - 14. Jhd.: Simonie/ Ämterkauf • Verwendung von „corruptio“ - Kirchenvater Augustinus: Unterschied zwischen dem perfekten Wesen Gottes und den moralisch fehlerhaften Menschen → unspezifischer Hinweis auf die Sündhaftigkeit der Erdenbewohner im Kontrast zur untadeligen Herrlichkeit Gottes • Standarddefinition von Korruption: Missbrauch von anvertrauter Macht (oder eines öffentlichen Amtes) zum privaten Nutzen • Spezifikationen: - Petty curruption = Alltagskorruption mit Bestechlichkeit in der öffentlichen Verwaltung + - Grand corruption = strukturelle Käuflichkeit ganzer Systeme - Allgemeiner: Korruption als Niedergang ganzer Gesellschaften, ihrer Moral und Sitten Käuflichkeit • Kaum klare Eingrenzung - Käuflichkeit nur bei Beeinflussung mit klingender Münze? → direkte Bestechung - Einbezug weiterer (begünstigter) Personen? → Klüngel-Netzwerke - Begünstigungssysteme? → Negativ konnotierte Seilschaften und old boys networks vs. Frauennetzwerke Vorteilsnahme • Keine Manipulation der Sachentscheidung, sondern Einnahmen für Beteiligte, die ihnen nach Auffassung der öffentlichen Meinung nicht zustehen • Aktuelles Beispiel: Maskenaffäre um Nikolas Löbel und Georg Nüßlein 1 Exkurs Global Business Ethics SoSe21 MODERNITÄT VON KORRUPTION • • • • • • • Um 1800: Entstehung der heutigen Vorstellung von Korruption als unmodern mit Aufkommen der Moderne → Nicht Korruption, sondern unsere (negative) Auffassung von Korruption ist modern ➔ 1. Politische Strategie Aufklärung/ 1800: Idee vom gesellschaftlichen Fortschritt (im Kontrast zur vorherigen Annahme der Geschichte als ein Zyklus auf Aufstieg und Verfall Französische Revolution: Zerstörung des altern Ordnung - Tiefgreifende Reformen von Staat und Verwaltung - Eindeutige Zweckbestimmung für öffentliche Ämter - Nutzung der Korruption als Argument gegen das Ancien Regime/ old corruption = Staatsordnung, gegen die die Fortschrittsorientierten kämpfen sollten ➔ 2. Trennung von privatem Interesse und Gemeinwohl Grundlage der Standarddefinition von Korruption: Gegensatz zwischen individuellem Interesse (Privatnutzen) und Gemeinwohl (öffentlichem Interesse) → Voraussetzung der strikten Trennung beider Interessengebiete Bis 1800: keine trennscharfe Abgrenzung - Systematische Begünstigung als möglicher Dienst an der Gemeinschaft - Teilweise Korruption als Lebensgrundlage bei Ausübung eines Amtes - Striktes verbot von Ämterkauf 1800: Verständnis von Staat als abstraktes Konstrukt - Trennung von Staatszweck und Interesse des Herrschers - Neues Lebensgefühl mit Demarkationslinie zwischen Privatem und Öffentlichem Seit 20. Jhd.: zunehmende Übertragung der Trennung auch auf Privatunternehmen → öffentliches Interesse = Unternehmensziel UNLÖSBARKEIT DES KORRUPTIONSPROBLEMS • Seit dem frühen 19. Jhd.: Gesetze zur Regulierung des Verhaltens in öffentlichen Ämtern - Zunächst Fokus auf den Beamten - Später: Inhaber politischer Funktionäre -→ britisches Unterhaus: Regeln zur Abwehr von Korruption und Vorteilsnahme, insb. im Kontakt mit der Privatwirtschaft - Industrialisierung = Ausgangspunkt der Lobbyismus → Treiber der Korruption - Heute: stark ausdifferenzierte Regelwerke, seit 1990 Compliance Regeln im Bereich der Privatwirtschaft, zusätzlich starke Medienpräsenz/ Aufmerksamkeit der öffentlichen Debatte der Thematik • Ursachen für nach wie vor auftretende Korruption ➔ 1. Schwere Trennbarkeit von Privatem und öffentlichen Interesse • Lebenswirklichkeit ≠ Definition in (in)formellen Institutionen/ Ideale → Bewertung des Verhaltens von Amtsträgern, Politikern und Unternehmensangehörigen als akzeptabel oder problematisch entsprechend den gesellschaftlichen und politischen Kontexten - König Louis Phillipe in Frankreich: Erwerb von Kolonien als Dienst des Landes (Gemeinwohl) oder zur Mehrung des Ruhms der Dynastie (Privatnutzen) - Dienstwagenaffären der Bundespolitik 2 Exkurs • • Global Business Ethics SoSe21 ➔ 2. Dehnbarkeit des Korruptionsbegriffs Beispiel: Peter Eugen (Transparency International) und Parteispendenaffäre um Helmut Kohl - Kohl: (illegale) Parteispenden zum Aufbau der Partei in den neuen Bundesländern - Eugen: Nutzung des Geldes zur Festigung der eigenen persönlichen Rolle innerhalb der Partei, eigennütziges Ziel der Machtabsicherung - → Konsequenz dieser Logik: alle Politiker sind korrupt, da wesentlicher Bestandteil von Politik das Anstreben von Ämtern und Machtausübung ist ??? Schärfe des modernen Korruptionsbegriff dennoch untauglich für moderne Lebenswirklichkeit WER KRITISIERT POLITISCHE KORRUPTION? • Machtverhältnisse bestimmen die Debatte über Korruption • Drei Phasen besonders intensiver Debatten über Korruption 1. Wende 18./19. Jhd.: Kritik am Ancien Regime und Old Curruption Agieren von reformorientierten Kräften des aufstrebenden Bürgertums → Ziel: Modernisierung alteuropäischer Rechts- und Moralvorstellungen 2. 1870-1930: Entstehung des politischen Massenmarktes - Aufkommen der Figur des Berufspolitikers, gängige Praxis des Stimmenkaufs bei Wahlen (vor Einführung der geheimen Wahl), Kritik an käuflichen Volksvertretern und käuflicher Wählerschaft - Negativbeispiel: Panamaskandal in Frankreich → Kauf positiver Berichterstattung über den Panamaskandal - Kritik in primär durch die sozialistische Opposition, mit Aufkommen rechter und nationalistischer Bewegungen zunehmend Aufgreifen von Korruption und Verbindung mit Antisemitismus, rechtem Antikapitalismus, parlamentarisches System als Bereicherungsmaschine → Korruptionsvorwurf als Standardargument aller Freunde totalitärer Regierungsmodelle - Versprechung der Beendigung politischer Korruption Kernprogramm von Diktatoren Mussolini, Franco und Hitler 3. Ab 1990: globale Korruptionsdebatte - Erstmalig globaler Bezug: Blick auf Schwellenländer und postsozialistische Länder des ehemaligen Ostblocks - Internationale Organisationen UNO, OECD, Weltbank als Treiber der Debatte - Kapitalismus als Teil der Lösung: Korruptionsbekämpfung zur Öffnung der Märkte im globalen Süden und durch Abbau von Staatlichkeit im globalen Norden → neoliberale Idee - Motiv des Staatsmistrauen: weitere Grundlage der Debatte = antiautoritäre, neue soziale Bewegung - Forderung nach Transparenz als Antikorruptionsstrategie, nahezu grenzenloses Misstrauen gegenüber der moralischen Integrität der politischen und ökonomischen Eliten → sensibler anschlagende Korruptionsskandale - Bildung privater Organisationen als Kämpfer gegen die Korruption 3 Exkurs Global Business Ethics SoSe21 Lehren aus der Geschichte? • Korruption = sehr formbarer Begriff, Bewertung abhängig vom gesellschaftspolitischen Kontext • Heutiges Unbehagen an Korruption = Ausdruck veränderter Normen und Werte eines sich wandelnden Gesellschaft • Fortschritt: seit 200 Jahren konstant negative Auffassung vom definierten Begriff Korruption • Trennung von privatem und öffentlichem Interesse stößt an die Grenzen der Realität • Bei allzu expansivem Postulat der Trennung: Gefahr der Generalverdächtigung aller politischen/ wirtschaftlichen Funktionäre, Vertrauensverlust • Korruptionskritik kann die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse ändern: - Positiv: Legitimierung von Reformen, vgl. Franz. Revolution - Negativ: Delegitimierung politischer Akteure, antidemokratische Stoßrichtung 4 Exkurs Global Business Ethics EXKURS: GRAUZONEN MODERNER KORRUPTION SoSe21 ➔ Normative und soziale Bedingungen von Handlungen an der Grenze zu korruptem Verhalten • • Sozialer Druck/ soziale Erwünschtheit der moralischen Verurteilung von Korruption, da Existenz klarer Normen, festgemacht in Gesetzestexten Gesetzesnormen für Korruption → Widerspiegeln des aktuellen juristischen Rahmens, der über die Zeit veränderlich ist: - Veränderte gesellschaftliche Perspektiven - Technologische Entwicklungen - Wirtschaftliche Modernisierung - Gesamtgesellschaftliche Herausforderungen, bspw. Pandemie POSITIVE SEITEN DER KORRUPTION • Überwindung von schlecht funktionierenden bürokratischen Prozessen - Aushebeln der schädlichen Wirkung staatlicher, wirtschaftshemmender Prozesse durch Korruption - Beschleunigung administrativer Vorgänge durch Korruption, sog. Speed Money - Negative Konsequenzen: ▪ Speed Money Geschäfte zu Lasten anderer Termine/ Aufgaben ▪ Sinkende Qualitätsstandards ▪ Normalisierung des Verhaltens → Abwertung der tatsächlichen Arbeit und Aufwertung der attraktiven Einnahmequelle • Überwinden gesamtgesellschaftlicher Negativeinflüsse: - Insbesondere mit Blick auf den globalen Süden • Entgegenwirken zu wirtschaftsfeindlicher Regierungspolitik - Zusatzeinkommen durch Korruption zur Bildung eines Kapitalgrundstocks - Kopplung dieses Vorteiles an Bedingungen: ▪ Bereitschaft zur Investition im eigenen Land ▪ Hohe Transaktionskosten für Investition im Ausland ▪ Entkopplung des Verwaltungshandelns vom geltenden Recht, ansonsten geringe Kalkulierbarkeit des eigenen Verhaltens für die Akteure • Reduktion der schädigenden Wirkung handelsfeindlicher Regierungen - Bei umfangreichem Protektionismus zum Schutz der heimischen Wirtschaft → Abschwächung des inländischen Wettbewerbs - Korrupte Zollverwaltung ermöglicht Umgehung der Hemmnisse → Stimulation des inländischen Wettbewerbes - ABER: nicht effizient, second best Lösung • Aushebeln menschenrechtsverachtenden Handelns von Regierungen - Abschwächung der Diskriminierung von Minderheiten durch Bestechungsgelder - Beispiele: ▪ Asiatische Gesellschaften ▪ Jüdische Bevölkerung zur NS-Zeit in Deutschland - Nachteile: geschmälertes Ansehen der Bürokraten und korrupte Kollaboration 1 Exkurs Global Business Ethics SoSe21 ➔ Korruption erhöht (unter eingeschränkten Bedingungen) den Handlungsspielraum von privaten, wirtschaftlichen und administrativen Akteuren, schafft einen „informellen Puffer“ zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren ➔ Ambivalente Bewertung von Korruption AKZEPTANZVERSCHIEBUNG IN DER FORSCHUNG • 1990: Zäsur in der wissenschaftlichen Literatur zu Korruption → negative gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Auswirkungen • Zeitgleich: Änderung der Strafgesetzgebung hinsichtlich Korruptionsdelikten - 1994: Abgeordnetenbestechung als Straftatbestand - 2012: Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen • Zunehmender öffentlicher Fokus auf der Korruption • Wissenschaftliche Einigkeit über negative Bewertung von Korruption (dichotome positiv-negativ Kategorisierung) → Beleuchtung von Grauzonen, unscharfe Grenzen zu korruptem Verhalten/ Nachspüren positiver Seiten in eine per se negativen System GRAUZONEN DER KORRUPTION • Insbesondere Analyse in der Politik: unscharfe Trennlinie zwischen legitimer Vertretung von Partikularinteressen (bspw. Lobbyismus) und illegitimen Praktiken (bisher keine juristische Handhabe) → korruptionsverschärfende soziale Logik • Teilweise juristische Absicherung der Grauzonen, bspw. Ausgestaltung des Kostenabrechnungssystems im Gesundheitswesen • Beeinflussung der Gesetzgebung durch legale (z.B. Rent Seeking) und illegale (z.B. Betrug) Praktiken • Zwingende Frage nach der Kontrolle der Kontrollinstanzen • Teilweise Nachteile der Korruptionsbekämpfung, die Vorteile ggf. überwiegen: soziale Grauzonen und das Entscheidungsverhalten korrupter Akteure: - Entscheidung für/ gegen Korruption als Wahl zwischen Loyalität (zu bekannten anderen) und Fairness (gegenüber fremden anderen) → andere soziale Logik dieser Bewertung, da positive Konnotation von Loyalität und Fairness - Dilemma der Whistleblower: allgemeinen Gesetzen folgen und die eigene korrupte Gruppe anschwärzen oder gruppenloyaler Schutz der „Freunde“ - Unterschiedliche Normen und Werte der „sozialen Ordnung“ im Kontrast zueinander FOLGERUNGEN • Notwendigkeit zu Empfehlungen für die Eindämmung von Korruption in Administrationen und Wirtschaftsunternehmen: Betonung gruppenunabhängiger Normen mit Relevanz und Verantwortung für die Gesamtorganisation • Frage: Umgang mit Nutzen von Korruption für die Gesamtorganisation? → anhaltender gesellschaftlicher Diskurs • Orientierung der Debatte nicht mehr an richtig/ falsch, sondern Abwiegen moralischer Positionen • Moralische Rechtfertigung des Handelns auch abhängig von der Position: moralische Heuchlerei ➔ Grauzonen korruptere Aktivitäten als Resultate sozialer Vorgänge 2 Exkurs Global Business Ethics 3 SoSe21