Hans Mathias Kepplinger Die Mechanismen der Skandalisierung Warum man den Medien gerade dann nicht vertrauen kann, wenn es darauf ankommt Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-95768-185-0 eISBN 978-3-95768-198-0 4. aktualisierte und erheblich erweiterte Auflage © 2018 Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek Internet: www.lau-verlag.de Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlagentwurf: pl / Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek Umschlagabbildung: © Istockphoto/DSGpro Satz und Layout: pl / Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek Inhalt Vorwort 1. Momente der Gewissheit 2. Was ist ein Skandal? 3. Der Umgang mit Ungewissheit 4. Die Etablierung von Schemata 5. Die Dramatisierung des Geschehens 6. Koorientierung und Konsens 7. Zweck und Mittel 8. Wirkungspotenziale 9. Die Zeit der Empörung 10. Der Umgang mit Nonkonformisten 11. Täter und Opfer 12. Trotz und Panik 13. Gewinner und Verlierer 14. Skandale und publizistische Konflikte 15. Die Illusion der Wahrheit 16. Der Nutzen des Schadens Literatur Personenregister Sachregister Vorwort Jeder Skandal ist einzigartig. Trotzdem besitzen alle Skandale gemeinsame Merkmale. Es geht um einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand, einen materiellen oder ideellen Schaden, der bereits eingetreten ist oder eintreten kann. Es gibt einen Täter, der den Missstand tatsächlich oder angeblich aus niederen Motiven verursacht oder zumindest nicht verhindert hat und folglich schuldig ist. Dabei kann es sich um eine einzelne Person, einen Verein, eine Partei, ein Unternehmen usw. handeln. Es gibt eine Welle von Medienberichten, die den Eindruck vermitteln, dass es sich bei dem Missstand um ein bedeutendes Problem handelt, und die den Verursacher des Missstands nahezu einhellig anprangern. Die Medienberichte rufen in der Bevölkerung eine mehr oder weniger starke Empörung hervor und vermitteln dem Täter auch dann den Eindruck, er sei Opfer einer Kampagne, wenn er die Vorwürfe nicht bestreitet. Skandale kann man unter drei Aspekten betrachten. Man kann den Verlauf einzelner Skandale rekonstruieren und dabei die Berechtigung der Vorwürfe untersuchen. Man kann bei einer möglichst großen Zahl von Skandalen die Rollen einzelner Personen oder Organisationen betrachten – der Skandalisierer und Skandalisierten, der Medien und ihres Publikums usw. Und man kann problemorientiert die Mechanismen analysieren, die einen Missstand zu einem Skandal machen, einen Täter zu einem hilflosen Opfer, ein desinteressiertes Publikum zu einer empörten Masse und den Skandal zur Quelle von großen Schäden. Hier geht es um den dritten Aspekt – die Mechanismen der Skandalisierung. Sie werden anhand zahlreicher Skandale der jüngeren Vergangenheit analysiert. Im Zentrum steht nicht der Verlauf einzelner Skandale oder die Frage, wer recht und unrecht hat. Diese Sachverhalte werden nur angesprochen, um allgemeine Eigenschaften von Skandalen zu illustrieren – das Verhalten der Protagonisten und der Journalisten, die charakteristischen Merkmale anprangernder Medienbeiträge; die Eigendynamik der Berichterstattung, ihren Einfluss auf den Verlauf eines Skandals; ihre direkten Auswirkungen auf die Protagonisten des Skandals und das Publikum der Medien sowie ihre indirekten Folgen für die Gesellschaft. Dazu gehören vor allem die unbeabsichtigten negativen Nebenfolgen der Skandalisierung von tatsächlichen und vermeintlichen Missständen. Die Mechanismen der Skandalisierung werden in 16 Kapiteln dargestellt. Jedes Kapitel behandelt ein praktisches Problem unter theoretischen Gesichtspunkten. Dies geschieht anhand von bekannten Fällen aus verschiedenen Bereichen – angefangen bei der Skandalisierung von BirkelNudeln, Uwe Barschel und der Brent Spar bis zur Skandalisierung von Christian Wulff, Franz-Peter Tebartz-van Elst und Wolfgang Schäuble, der Kernenergie, des Sturmgewehrs G36, der Pegida-Demonstrationen, der Abgasmanipulationen von VW und dem Drogenfund bei Volker Beck. An zahlreichen Stellen werden Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Untersuchungen herangezogen – systematische Befragungen von mehreren hundert Journalisten, Managern und Politikern sowie vergleichende Analysen von mehreren tausend Skandalberichten in Presse, Hörfunk und Fernsehen. Sie zeigen die Sichtweisen von Tätern, Opfern und Berichterstattern, die typischen Unterschiede zwischen neutralen und skandalisierenden Berichten sowie zwischen publizistischen Konflikten und Skandalen. Die Vorwürfe gegen die Skandalisierten werden vielfach mit Erkenntnissen konfrontiert, die sie zweifelhaft erscheinen lassen oder eindeutig widerlegen. Das geschieht nicht in der Absicht, die Skandalisierer ex post facto ins Unrecht zu setzen. Vielmehr wird anhand dieser Fälle deutlich, dass die Wirkung von Skandalisierungen nicht auf der Richtigkeit der Vorwürfe beruht: Sie wirken auch dann, wenn sie zweifelhaft oder erkennbar falsch sind, aber überzeugend präsentiert werden. Mit anderen Worten: Skandale sind keine natürlichen Reaktionen auf Missstände, sondern die Folge von erkennbaren Mechanismen öffentlicher Kommunikation. Die Grundlage der Darstellung bildet die Unterscheidung zwischen Missständen und Skandalen. Sie ist notwendig, weil nicht jeder Missstand zum Skandal wird und nicht jeder Skandal tatsächlich auf einem Missstand beruht. Eine weitere Grundlage ist die Unterscheidung zwischen der Skandalisierung eines Missstands und einem Skandal im engeren Sinn. Sie ist notwendig, weil die Anprangerung der meisten Missstände keinen Skandal im engeren Sinn auslöst. Eine dritte Grundlage ist die Unterscheidung zwischen Skandalen und publizistischen Konflikten. Sie ist notwendig, weil nur bei Skandalen eine Sichtweise eindeutig dominiert, während bei publizistischen Konflikten mehrere gegeneinanderstehen. Was aber ist ein Skandal? Umgangssprachlich bezeichnen wir eine Fahrpreiserhöhung, eine schlampige Reparatur oder die Ablehnung eines Antrags als Skandale. Das ist hier nicht gemeint. Ein Skandal im Sinne dieser Studie liegt nur dann vor, wenn die Mehrheit der interessierten Bevölkerung mit Empörung auf einen Missstand reagiert und Konsequenzen fordert. Dabei ist es unerheblich, ob der Missstand tatsächlich besteht oder nicht. Entscheidend ist die Vorstellung der Mehrheit. Die 16 Kapitel zeigen unter anderem, weshalb im Skandal alle glauben, sie wüssten genau Bescheid, obwohl die meisten keine Ahnung haben; weshalb sich alle maßlos empören und das später kaum noch verstehen; und weshalb sich auch Skandalisierte als Opfer fühlen, die zugeben, was ihnen vorgeworfen wird. Die einzelnen Kapitel sind Elemente einer empirisch fundierten Skandaltheorie, die den Verlauf aktueller Skandale, das Verhalten der Protagonisten und die Reaktionen des Publikums erklärt sowie ein rationales Urteil über den Nutzen und Schaden von Skandalen ermöglicht. Ein aufmerksamer Leser wird deshalb auch in zukünftigen Skandalen gleiche oder ähnliche Elemente und Verläufe erkennen. Hans Mathias Kepplinger Mainz, im Herbst 2017 1. Momente der Gewissheit Im Skandal kommt die Wahrheit ans Tageslicht – 1985 die Verseuchung von Birkel-Nudeln durch verdorbenes Flüssigei; 1987 die üblen Machenschaften des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel gegen den ahnungslosen Björn Engholm; 1988 die reaktionäre Rede von Bundestagspräsident Philipp Jenninger über das Dritte Reich; 1991 die Ölpest im Persischen Golf als Folge des Golfkrieges und die Flugreisen von Ministerpräsident Lothar Späth auf Kosten der Industrie; 1993 die kaltblütige Erschießung von Wolfgang Grams auf dem Bahnhof in Bad Kleinen und die Gefährdung der Bevölkerung durch einen Chemieunfall bei der Hoechst AG; 1995 die ökologische Bedrohung der Nordsee durch die geplante Versenkung der Brent Spar; 1999 die geheimen Konten der CDU und der Verfassungsbruch Helmut Kohls durch die nichtdeklarierte Annahme von anonymen Spenden; 2000 die Vernichtung von Daten im Bundeskanzleramt vor dem Regierungswechsel, der Kokainkonsum von Christoph Daum und die BSE-Gefahr durch in Deutschland geborene Rinder; 2001 der Tod von Patienten nach der Einnahme von Lipobay. Im Wahljahr 2002 ging es um die private Nutzung von Bonusmeilen durch Cem Özdemir und Gregor Gysi, die Bezahlung einer Boutiquenrechnung von Rudolf Scharping durch die PR-Agentur Hunzinger, eine Privatreise der Hanauer Oberbürgermeisterin Margret Härtel auf Kosten der Stadt, die Gefährdung der Verbraucher durch Nitrofen belastetes Futtergetreide; 2003 um die dunklen Finanzquellen von Jürgen W. Möllemann, die »Opfervolk«-Rede des CDU-Abgeordneten Martin Hohmann, die Kokainorgien des Fernsehjournalisten Michel Friedman und die Lungenseuche SARS; 2004 um die Silvesterfeier der Familie von Bundesbankpräsident Ernst Welteke auf Kosten der Dresdner Bank, den Autobahnraser Rolf F. wegen des Todes einer jungen Mutter und ihres Kindes, den Ausbruch der Vogelgrippe und die tödlichen Nebenwirkungen des Rheumamittels Vioxx. 2005 wurden der massenhafte Missbrauch der neuen Visa-Regelung von Ludger Volmer und Joschka Fischer skandalisiert, die Lustreisen von VWBetriebsräten auf Kosten des Unternehmens, die Berufung von Altkanzler Gerhard Schröder in den Aufsichtsrat eines russischen Unternehmens. 2006 wurden der Tod von 15 Menschen durch den Einsturz des Dachs der Eissporthalle in Bad Reichenhall, die Bespitzelung von Journalisten durch den BND und die Mitgliedschaft von Günter Grass in der Waffen-SS skandalisiert; 2007 der Brand eines Transformators im AKW Krümmel, die Schwangerschaft der Geliebten von Minister Horst Seehofer, die Behauptung von Günther Oettinger, Hans Filbingers Urteile als Marinerichter hätten niemanden das Leben gekostet sowie das Bedauern der Fernsehjournalistin Eva Herman über die Beseitigung des nationalsozialistischen Mutterbildes durch die 68er-Bewegung. 2008 ging es um den Verdacht der Steuerhinterziehung von Klaus Zumwinkel und seine Verhaftung vor laufenden Kameras, das illegale Ausspionieren von Mitarbeitern der Telekom und von Lidl; 2009 um das Filtern von E-Mails der Mitarbeiter der Deutschen Bahn, die private Nutzung des Dienstwagens von Ministerin Ulla Schmidt und die Gefahr einer Pandemie durch die Schweinegrippe; 2010 um den sexuellen Missbrauch von Schülern durch Lehrer der Odenwaldschule, die Ohrfeigen von Bischof Walter Mixa während seiner Tätigkeit als Stadtpfarrer, den Tod von 21 Menschen bei der Loveparade in Duisburg, die Anzeige des Wettermoderators Jörg Kachelmann wegen Vergewaltigung, die Äußerung von Bundespräsident Horst Köhler über den Einsatz militärischer Mittel zur Sicherung von Arbeitsplätzen, die Plagiate in der Dissertation von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, den Ehec-Tod von 53 Menschen, die geplante Tieferlegung des Stuttgarter Bahnhofs (Stuttgart 21) und dioxinbelastetes Hühnerfutter. 2011 wurden in Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe bei Fukushima die deutschen Kernkraftwerke skandalisiert, der angebliche Augenzeugenbericht von René Pfister über eine Szene im Haus von Horst Seehofer, das Verhältnis des CSU-Vorsitzenden in Schleswig-Holstein, Christian von Boetticher, mit einer damals 16-Jährigen, die Lustreisen von Mitarbeitern der Hamburg-Mannheimer und Wüstenrot nach Budapest und Rio de Janeiro, die Finanzierung des Einfamilienhauses und die Schnäppchenmentalität von Bundespräsident Christian Wulff. 2012 wurde die Schleichwerbung in »Wetten dass..?« skandalisiert, der mehrjährige Zwangsaufenthalt Gustl Mollaths in einer psychiatrischen Anstalt, die unzureichenden Zitierweisen von Annette Schavan in ihrer Dissertation und die Vortragshonorare des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück; 2013 eine anzügliche Bemerkung des FDP-Politikers Rainer Brüderle gegenüber der Journalistin Laura Himmelreich, der Pädophilie-Verdacht gegen Daniel Cohn-Bendit, die Steuerhinterziehung von Uli Hoeneß, die Luxusrenovierung des Bischofssitzes von Franz-Peter Tebartz-van Elst, die Beschäftigung der Verwandten von CSU-Abgeordneten im Landtag und die Entscheidung von Susanne Gaschke zu einem kostspieligen Vergleich mit einem Steuerschuldner. 2014 ging es um die Manipulation des ADAC bei der Kür des »Lieblingsautos der Deutschen«, Wolfgang Schäubles Vergleich der drohenden Besetzung der Ost-Ukraine mit dem Anschluss des Sudetenlandes durch Hitlerdeutschland, Innenminister Hans-Peter Friedrichs Information an Sigmar Gabriel über Ermittlungen gegen Sebastian Edathy, die Manipulation von Bestenlisten durch ARD und ZDF, Edathys Kauf der Nacktfotos von Kindern, den Crystal Meth-Konsum des SPD-Abgeordneten Michael Hartmann, Sibylle Lewitscharoffs Vergleich der künstlichen Befruchtung von Leihmüttern mit der Praxis in »Kopulationsheimen« der Nazis, den Handel von Hubert Haderthauer und seiner Frau mit Modellautos aus der Fertigung eines Psychiatrie-Insassen, die islam- und fremdenfeindlichen PegidaDemonstrationen sowie um den tödlichen Angriff des »Killers« und »Komaschlägers« Sanel M. auf Tugce Albayrak. 2015 wurden die Zusammenarbeit von BND und NSA skandalisiert, die Treffsicherheit des Sturmgewehrs G36 bei Dauerfeuer, das krebsgefährdende Pestizid Glyphosat, die geringen Zahlungen an die Hinterbliebenen der GermanwingsKatastrophe, die Identifikation einer Medienquelle im Bundeskanzleramt, der Vorschlag Wolfgang Schäubles zu einem »Grexit auf Zeit«, die Einschüchterung von Journalisten durch Ermittlungen gegen Netzpolitik.org, die Schwarzgeldzahlungen vor der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, die katholische Kita in Mainz-Weisenau wegen Quälereien von Kita-Kindern durch Kita-Kinder, die Nominierung von Xavier Naidoo für den Eurovision Song Contest wegen seiner politische Meinung, der Verzehr von Wurst weil sie laut WHO das Krebsrisiko um 18 Prozent erhöht, der Schriftsteller Akif Prinçci wegen seines Bedauerns über die Schließung der KZ bei einer Pegida-Kundgebung und die Manipulation von Abgasmessungen von VW mit Hilfe eines Computerprogramms. 2016 begann mit der Skandalisierung der sexuellen Belästigungen von Frauen durch Migranten in der Kölner Silvesternacht. Es folgten die Skandalisierungen Franz Beckenbauers wegen einer verschleierten Zahlung von 6,7 Millionen Euro vor der Fußball WM in Deutschland und des innen- und religionspolitischen Sprechers der Grünen, Volker Beck, wegen eines Drogenfundes, der Existenz von 214.000 geheimen Briefkastenfirmen in Panama und der satirischen Schmähkritik des Türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan von Jan Böhmermann. Im Skandal werden die Schuldigen bestraft. Der Absatz von BirkelNudeln brach ein, ca. 500 Mitarbeiter mussten entlassen werden, Jenninger und Späth mussten von ihren Ämtern zurücktreten. Barschel wurde abgewählt und starb unter ungeklärten Umständen in einem Genfer Hotel. Innenminister Seiters trat nach dem Einsatz der GSG 9 in Bad Kleinen zurück, Generalbundesanwalt von Stahl wurde entlassen. Die Hoechst AG musste Schadensersatz in Millionenhöhe leisten und litt noch Jahre später unter dem Imageverlust. Die Brent Spar wurde nicht versenkt. Shell ließ sie nach Norwegen schleppen und musste die erhöhten Kosten für die Abwrackung an Land tragen. Kohl legte den Ehrenvorsitz der CDU nieder, die gesamte Führung der CDU wurde abgelöst, die Partei verlor zwei sicher geglaubte Landtagswahlen. Daum wurde nicht Trainer der Nationalmannschaft und musste seinen Trainerposten bei Bayer Leverkusen aufgeben. Özdemir legte sein Bundestagsmandat nieder, Gysi trat als Berliner Wirtschaftssenator zurück. Hohmann wurde aus der CDU/CSU-Fraktion und der hessischen CDU ausgeschlossen. Scharping wurde als Verteidigungsminister entlassen. Härtel wurde von der Hanauer Bürgerschaft abgewählt. Friedman musste seine Fernsehsendungen abgeben und verzichtete auf das Amt des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Bundesbankpräsident Welteke trat zurück. Wegen der nitrofenbelasteten Futtermittel wurden 500 landwirtschaftliche Betriebe gesperrt. Wegen des Lipobay-Skandals stürzte der Kurs der Bayer-Aktien von fast 40 auf 10 Euro. Zudem musste das Unternehmen mehr als 200 Millionen Euro Schadensersatz leisten. Möllemann sprang in den Tod, während über 100 Beamte an zahlreichen Orten im In- und Ausland seine Büros und Privatwohnung durchsuchten. Volmer legte im Zuge der Visa-Affäre seinen Sitz im Auswärtigen Ausschuss und seine Funktion als außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen nieder. Der VW-Personalvorstand Hartz trat als Folge des VW-Skandals zurück und wurde wie weitere Mitarbeiter zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Zwei leitende Mitarbeiter der Firma Vattenfall, die das Kernkraftwerk Krümmel betreibt, wurden entlassen, der Vorstandsvorsitzende von Vattenfall Europa trat zurück. Der NDR beendete nach der Äußerung von Herman die Zusammenarbeit mit ihr und Johannes B. Kerner verwies sie demonstrativ aus seiner Talkshow. Zumwinkel wurde zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren und Geldzahlungen in Millionenhöhe verurteilt, Lidl zahlte wegen der Bespitzelung seiner Mitarbeiter ein Bußgeld in Millionenhöhe. Mehdorn musste wegen der Datenaffäre als Bahnchef zurücktreten, Bischof Mixa wegen der massiven Kritik an seinen Prügelstrafen. Kachelmann verlor seine Rolle als Wettermoderator im Fernsehen, seine Firma den Auftrag zur Produktion der Sendungen. Bundespräsident Köhler trat nach der Kritik an seiner Äußerung zum Einsatz der Bundeswehr zurück, zu Guttenberg als Verteidigungsminister. Dem Hersteller des dioxinbelasteten Tierfutters, Harles & Jentzsch, drohte die Insolvenz, mehrere Angestellte erhielten Morddrohungen. Die Jury des Henri-Nannen-Preises erkannte Pfister den Preis ab. Die Staatsanwaltschaft Duisburg erhob wegen der Durchführung der Loveparade 2010 Anklage gegen 10 Personen, der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland wurde aufgrund eines Bürgerentscheids abgewählt. Die deutschen Kernkraftwerke wurden nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima mit Verweis auf ungeklärte Sicherheitsfragen vorübergehend abgeschaltet, der vorgezogene Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Wulff trat vom Amt des Bundespräsidenten zurück und wurde wegen Vorteilsnahme angeklagt. Das Strafverfahren gegen Mollath wurde wieder aufgenommen, die fragwürdige Beschäftigung der Verwandten von CSUAbgeordneten beendet. Schavan wurde der Doktortitel aberkannt. Steinbrück hatte die Wahl schon verloren, bevor der Wahlkampf begann. Brüderle war so beschädigt, dass er in der Politik keine Rolle mehr spielt. Hoeneß wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Tebartz-van Elst verlor sein Bischofsamt. Die Kieler Oberbürgermeisterin Gaschke trat zurück. Der ADAC verlor eine halbe Million Mitglieder. Innenminister Hans-Peter Friedrich trat zurück. ARD und ZDF erklärten, die Manipulationen von Zuschauerabstimmungen seien nicht hinnehmbar. Edathy gab sein Bundestagsmandat auf und versteckte sich an einem unbekannten Ort. Hartmann legte sein Amt als innenpolitischer Sprecher der SPD nieder. Lewitscharoff sah sich nach ihrer Dresdner Rede einem Sturm der Entrüstung ausgesetzt, bei dem sich auch der Suhrkamp Verlag, in dem ihre Bücher erscheinen, von ihr distanzierte. Haderthauer trat als Chefin der Bayerischen Staatskanzlei zurück. Pegida-Demonstranten wurden von Gegendemonstranten niedergebrüllt und mit Gegenständen beworfen. Sanel M. wurde wegen des tödlichen Angriffs auf die Studentin Tugce zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Die Klassifikation von Glyphosat als »wahrscheinlich krebserregend« durch die WHO machte die 2016 anstehende Neuzulassung durch die EU-Kommission fraglich. Der Spiegel stellte wegen der Identifikation eines Informanten durch die NSA Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft. Der BND schränkte die Zusammenarbeit mit der NSA ein. Das Sturmgewehr G36 hat laut Verteidigungsministerin von der Leyen in seiner jetzigen Auslegung in der Bundeswehr »keine Zukunft mehr«. Schäuble wurde als »Totengräber der Eurozone« geschmäht, das Brüsseler Verhandlungsergebnis als »Diktat« geächtet. Generalbundesanwalt Harald Range wurde, nachdem er die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org verteidigt hatte, von Justizminister Heiko Maas in den Ruhestand versetzt. Wolfgang Niersbach, Vizepräsident des Organisationskomitees der Fußball-WM 2006, trat vom Amt des DFBPräsidenten zurück. Die Leiterin der katholischen Kita sowie weitere Angestellte wurden vom Bistum wegen Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht fristlos entlassen. Der NDR zog die Nominierung von Naidoo für den European Song Contest zurück und der Buchhandel stellte den Vertrieb von Prinçcis Büchern ein. Der VW-Vorstandsvorsitzende, Martin Winterkorn, trat zurück, die VW-Aktie verlor in wenigen Tagen 20 Prozent ihres Wertes. Nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht ermittelte die Bundespolizei innerhalb von zwei Wochen 32 Tatverdächtige, der Innenminister versetzte den Kölner Polizeipräsidenten, Wolfgang Albers, in den einstweiligen Ruhestand. Franz Beckenbauer beendete seine Zusammenarbeit mit Sky und verschwand weitgehend aus der Öffentlichkeit. Volker Beck gab seine Funktionen als innen- und religionspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen auf. Das ZDF nahm die Schmähkritik aus seiner Mediathek, Böhmermann sagte die folgende Sendung ab, die Bundesregierung ließ eine Klage nach § 103 des Strafgesetzbuchs gegen Böhmermann zu. Angesichts solcher und ähnlicher Vorgänge erscheint es nicht verwunderlich, dass die Süddeutsche Zeitung (18./19.03.2000) während des CDU-Spendenskandals den Skandal als »Instrument der Aufklärung« bezeichnete, in dem die »bürgerliche Öffentlichkeit … in multimedialer Verwandlung überlebt«. Damit nicht genug. Nach Ansicht des Soziologen Karl Otto Hondrich kann »die Bedeutung des politischen Skandals für demokratische Herrschaft … kaum überschätzt werden«. Sie geht jedoch darüber hinaus: »Der Skandal gewährt Einblick in die Tiefenschichtung der Moral. Wie ein Taucher mit Scheinwerfer leuchtet er in die Dunkelheit einer Unterwelt … Unterhalb der politischen Kultur und der Kultur schlechthin lebt eine Sub-Kultur von moralischen Grundvorgängen, die es eigentlich nicht mehr geben dürfte … Was sich im Skandal enthüllt, muss, im Lichte der herrschenden Moral, als Unmoral abqualifiziert werden.«1 Trifft diese Charakterisierung von Skandalen zu? Daran darf gezweifelt werden. In einigen Fällen waren die meisten Berichte irreführend oder gänzlich falsch, obwohl die Fakten erkenn- oder recherchierbar waren. Die Firma Birkel hatte sofort falsche Behauptungen über ihre Produkte zurückgewiesen. Sie drang bei der Masse der Medien damit aber nicht durch. Die Feststellung der Hoechst AG, dass ortho-Nitroanisol »mindergiftig« ist, war sachlich richtig, wurde jedoch als Verharmlosung der tatsächlichen Gefahren dargestellt. Die Brent Spar enthielt nicht, wie Greenpeace auf dem Höhepunkt des Skandals suggeriert hatte, 5.500 Tonnen Ölrückstände, sondern entsprechend den Angaben von Shell weniger als 200. Zudem wäre die Versenkung der Brent Spar billiger, ungefährlicher und ökologisch verträglicher gewesen als ihre Abwrackung in Ufernähe. Das Verfahren gegen Kohl wegen nicht ordnungsgemäß gemeldeter Spenden wurde von der Bonner Staatsanwaltschaft 2001 gegen Zahlung einer Geldbuße von 300.000 Euro eingestellt.2 Von einem Verfassungsbruch war nicht mehr die Rede, weil es sich um einen Verstoß gegen das Parteiengesetz handelte. Mit der Annahme der Spenden hatte Kohl genauso wenig gegen die Verfassung verstoßen wie ein Journalist, der das Jugendschutzgesetz verletzt. Die Ermittlungen wegen des Verdachts der Vernichtung von Akten im Bundeskanzleramt wurden 2003 eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft keine Belege dafür fand. Die Boutiquenrechnung von Scharping wurde nicht von der PR-Agentur Hunzinger bezahlt.3 Kachelmann wurde 2011 vom Landgericht Mannheim nach einem Strafprozess mit höchst fragwürdiger Medienbegleitung freigesprochen. zu Guttenberg hatte nicht bestritten, dass er fremde Texte ohne Quellenangabe benutzt hatte, sondern dass er es bewusst gemacht habe. Das wurde weder bewiesen, noch widerlegt. Köhler paraphrasierte in seinen Aussagen zur Anwendung militärischer Mittel das UN-Mandat zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sowie Erklärungen des Europäischen Rats. Die Krebsbehörde der WHO (IARC) schätzt im Unterschied zum Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) keine Risiken ein, sondern Gefahren. Bei der Einschätzung der Gefahren wird festgestellt, ob ein Stoff unter Laborbedingungen in sehr großen Mengen Krebs auslösen kann. Das trifft unter anderem auf Alkohol und Nikotin zu. Bei der Einschätzung der Risiken wird festgestellt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Stoff unter realistischen Bedingungen Krebs auslösen kann. Genau darum geht es bei der Einschätzung der mit Glyphosat verbundenen Risiken. Sie sind nach Einschätzung des BfR vernachlässigbar. Schäubles Vorschlag eines »Grexits auf Zeit« war kein Diktat. Vielmehr hatte die griechische Regierung selbst einen Grexit vorbereitet, aufgrund des von Schäuble erreichten Verhandlungsergebnisses aber nicht durchgeführt. Die Schadensersatzzahlungen der Lufthansa an die Hinterbliebenen der Germanwings-Opfer waren alles andere als gering. Das Unternehmen zahlte 50.000 Euro Soforthilfe, dazu 25.000 Euro Schmerzensgeld und 10.000 Euro an nähere Verwandte. Zudem zahlt die Lufthansa den überlebenden Ehepartnern von berufstätigen Partnern bis zu deren potenziellem Rentenalter Verdienstausfälle von bis zu einer Million Euro. Ein Gutachten im Auftrag des Verteidigungsministeriums stellte fest, dass das Sturmgewehr G36 im Unterschied zu amerikanischen und britischen Sturmgewehren nicht störanfällig ist und auch nach mehreren Jahren und über 100.000 Schüssen noch präzise schießt. Todesfälle und Verletzungen, die auf Mängel der Waffe zurückgeführt werden können, gibt es nicht. Mehrere Soldaten haben mit dem G36 Vergleichsschießen mit anders bewaffneten Verbündeten überlegen gewonnen. Die Beschuldigungen gegen die Mitarbeiterinnen der katholischen Kita erwiesen sich als falsch, das Bistum musste die Kündigung der ehemaligen Leiterin der Kita zurücknehmen. Das Risiko von Darmkrebs steigt nicht wie von der WHO gemeldet von z. B. 5 Prozent um 18 Prozent auf 23 Prozent, sondern von 5 auf 5,9 Prozent – was dem irreführenden Wert von 18 Prozent entspricht. Die Verdächtigungen Prinçcis waren falsch. Sein Bedauern über die Schließung der KZ bezog sich nicht ernsthaft auf die Flüchtlinge sondern ironisch auf die Kritiker der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. In einigen Fällen standen die unbeabsichtigten negativen Nebenfolgen in keinem Verhältnis zu den Ursachen. Die Skandalisierung Barschels, dessen Verhalten auch deshalb so empörend erschien, weil die Mitwisserschaft Engholms nicht bekannt war, endete mit dem Mord oder Selbstmord des teilweise zu Unrecht Beschuldigten.4 Auch der Tod von Möllemann steht in keinem Verhältnis zu den Anschuldigungen gegen ihn. Die Absage der Hoechst AG an eine stadtgängige Chemie und die Aufgabe der meisten Betriebe in Frankfurt-Höchst waren auch Folgen der Skandalisierung des Unternehmens wegen der Störfallserie im Frühjahr 1993 – tatsächlich gab es drei Störfälle sowie zahlreiche Betriebsstörungen minderer Bedeutung, die normalerweise kaum beachtet werden.5 Als Folge des BSE-Skandals verloren etwa 10.000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz. Der Rindfleischmarkt brach zusammen, über 80.000 Rinder wurden notgeschlachtet und auch dann vernichtet, wenn sie nicht infiziert waren. Die Belastung von Futtermitteln mit Nitrofen war so gering, dass zu keiner Zeit eine Gefahr für die Verbraucher bestand. Man hätte 200.000 Eier essen müssen, um den zulässigen Grenzwert zu erreichen. Trotzdem wurden mehrere hundert Betriebe stillgelegt, tausende Masthähnchen und Legehennen notgeschlachtet und verbrannt. An der Schweinegrippe sind in Deutschland 258 Menschen gestorben, an der saisonalen Grippe sterben jährlich zwischen 10.000 und 20.000 Menschen. An Ehec-Erkrankungen sind in Deutschland 58 Menschen gestorben, jedes Jahr sterben hier aber etwa 15.000 Menschen an Infektionen, die sie sich in Krankenhäusern zugezogen haben. Als Folge der EhecBerichterstattung brach der Markt für Gurken und anderes Gemüse aus Spanien ein, obwohl diese Produkte damit nichts zu tun hatten. Die Hanauer Oberbürgermeisterin Härtel wurde aufgrund ihrer Skandalisierung von der Bürgerschaft abgewählt, bevor das Landgericht Hanau das Strafverfahren gegen sie gegen Zahlung von 4.000 Euro einstellte. Den Schaden, den sie der Stadtkasse verursacht hatte, bezifferte das Gericht auf etwa 3.000 Euro. Die Anwaltskosten der Stadt Hanau im Verfahren gegen Härtel beliefen sich auf über 100.000 Euro. In der richterlichen Urteilsbegründung hieß es, »wegen einer strafrechtlichen Marginalie« sei die »Existenz eines Menschen schwer beschädigt worden«. Als der damalige Pfarrer Mixa sich mit Prügelstrafen durchsetzen wollte, war fast die Hälfte der Deutschen der Meinung, Schläge gehörten »auch zur Erziehung« und hätten »noch keinem Kind geschadet«. In Bayern galten derartige Züchtigungen damals als Gewohnheitsrecht.6 Einige Jahre nach Mixas Rücktritt lobte Papst Franziskus einen Vater, der seine Kinder gelegentlich ein »bisschen haut«. Rainer Brüderle hatte seine anzügliche Bemerkung ein Jahr vor der anprangernden Veröffentlichung des Sterns gemacht, und die Verfasserin des Berichts, die auch danach seinen Kontakt suchte, offensichtlich nicht ins Mark getroffen. Der Unfall im Kernkraftwerk Krümmel besaß keine Relevanz für den Betrieb der kerntechnischen Anlage und wurde deshalb von zwei unabhängigen Untersuchungskommissionen auf der 7-stufigen International Nuclear Event Scale mit dem niedrigsten Wert 0 eingestuft. Nach der Katastrophe von Fukushima stellte die Reaktor-Sicherheitskommission fest, dass die Reaktorkatastrophe in Japan keinen Einfluss auf die Einschätzung der Sicherheit der Kernkraftwerke in Deutschland hat und ihre Stilllegung aus sicherheitstechnischen Gründen nicht erforderlich ist. Die nach wenigen Tagen verfügte Stilllegung älterer Kernkraftwerke und der planlose Ausstieg aus der Kernenergie verursachen Kosten in Milliardenhöhe.7 Die UN stellte in einem Forschungsbericht über die gesundheitlichen Folgen der Reaktorkatastrophe in Fukushima für die japanische Bevölkerung fest, dass es keine Zunahme von Schilddrüsenkrebs, keine Änderungen der pränatalen Strahlenexposition und nur eine sehr geringe Zunahme von Brustkrebserkrankungen um 0,3 Prozent gibt.8 Die japanische Regierung beschloss, dass 2017 70 Prozent der evakuierten Bewohner wieder in ihre Häuser zurückkehren können. Die Badewanne von Tebartz-van Elst hat nicht 15.000 Euro gekostet, sondern laut Rechnung des Architekturbüros 1.795,21 Euro. Die Baukosten für den Gesamtkomplex des »Hauses der Bischöfe« in Limburg betrugen nicht – wie man meist lesen konnte – »mindestens« 31, sondern 28,5 Millionen Euro. Davon entfiel ein geringer Anteil – etwa 10 bis 15 Prozent – auf die Privatwohnung des Bischofs.9 Allerdings ging es, wie der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz, einer der schärfsten Kritiker des Bischofs nachträglich feststellte, »nur vordergründig um Geld. Tebartz war kein Verschwender und kein Protzbischof. Es ging um Macht« (Zeit, 03.04.2014). Über das Ergebnis der Baumaßnahmen schrieb der Architekturkritiker Rainer Schulze in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (26.06.2015): »Wer nach Spuren von Protz und Verschwendung sucht, der wird sich wundern«. Oberbürgermeisterin Gaschke hatte mit ihrer Eilentscheidung für einen Vergleich mit dem Steuerschuldner gegen die Gemeindeordnung verstoßen, dabei jedoch eine schon von ihrem Vorgänger Albig geplante Lösung vollzogen. Ein Jahr nach dem Rücktritt von Gaschke trat ein, was sie und Albig verhindern wollten: der Steuerschuldner stellte einen Insolvenzantrag. Das Strafverfahren gegen Edathy wurde gegen Zahlung von 5.000 Euro eingestellt. Das Schiedsgericht des Parteibezirks Hannover sah keine hinreichende Grundlage für einen Ausschluss aus der SPD. Konkrete Belege für eine Gefährdung von Soldaten durch das Sturmgewehr G36 gibt es nicht. Seine voreilig angekündigte Ausmusterung und die Ersatzbeschaffung werden vermutlich zwischen 200 und 600 Millionen Euro erfordern. Sanel M. wurde während der Untersuchungshaft von einem Mithäftling aus Wut über den Tod von Tugce das Nasenbein gebrochen. Sein Antrag auf Haftverschonung wurde wegen Fluchtgefahr aufgrund der begründeten Angst vor Racheakten abgelehnt. Weil Justizminister Maas in Zusammenhang mit Ermittlungen gegen Netzpolitik.org Generalbundesanwalt Range angewiesen hatte, einen externen Gutachter zu stoppen, der in einer vorläufigen Stellungnahme den Verdacht des Verrats eines Staatsgeheimnisses bestätigt hatte, wurde aus einem möglichen Eingriff Ranges in die Pressefreiheit (Netzpolitik.org) ein faktischer Eingriff von Maas in die Autonomie der Justiz (Generalbundesanwaltschaft). In einigen Fällen wurden Unschuldige mit zum Teil gravierenden Nebenfolgen öffentlich geächtet. Die Vorwürfe gegen das Vorgehen der GSG 9 bei ihrem Einsatz in Bad Kleinen wurden nie bestätigt. Der Erschossene war, wie sich später herausstellte, an der Ermordung des Treuhandchefs Carsten Rohwedder beteiligt. Trotzdem wurden weder Seiters noch von Stahl öffentlich rehabilitiert.10 Als Folge der falschen Behauptung, Rechtsradikale hätten im Schwimmbad von Sebnitz unter den Augen der Umstehenden einen Jungen ermordet, wurde die ganze Stadt kriminalisiert. Dem Rufmord durch die Zurschaustellung von Zumwinkel und Kachelmann folgten ein relativ mildes Urteil und ein Freispruch. Wulff wurde nach einem Ermittlungsverfahren von 24 Fahndern unter Leitung von vier Staatsanwälten, der Vernehmung von 93 Zeugen und Kosten in Höhe von mehreren Millionen Euro wegen einer Rechnung über 753,90 Euro angeklagt und freigesprochen.11 Roman Herzog, ehemaliger Bundespräsident und Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hatte bereits bei seinem Rücktritt festgestellt, das Grundgesetz weise einen Konstruktionsfehler auf: Einerseits könne nur das Bundesverfassungsgericht einen Bundespräsidenten aus dem Amt entfernen und das nur wegen eines schweren Verbrechens. Andererseits könne ein Staatsanwalt die Aufhebung seiner Immunität beantragen, was einer Entfernung aus dem Amt gleichkomme.12 Die Honorare von Peer Steinbrück waren weder ungewöhnlich hoch noch illegal, die Art ihrer Präsentation und Diskussion machte aber die geringen Wahlchancen der SPD völlig zunichte. Die Behauptung eines Juristen, nach der Einstellung des Verfahrens gegen Edathy gelte weiterhin »die Unschuldsvermutung«, mag juristisch zutreffen, sachlich ist das Gegenteil richtig. Sie wird für ihn nie mehr gelten. Bei den meisten der bis zu 25.000 Pegida-Demonstranten 2014 handelte es sich nicht um Rechtsradikale, sondern um Bürger, die das Gefühl hatten, dass die Politik und die Medien ihre Sorgen nicht ernst nehmen. Die Gewalt bei Pegida-Kundgebungen ging fast immer von linksradikalen Gegendemonstranten aus. Trotzdem vermittelten zahlreiche Medienberichte den gegenteiligen Eindruck. Das Landgericht Duisburg lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Beschuldigten wegen des LoveparadeUnglücks mit der Begründung ab, das Gutachten im Auftrag der Staatsanwaltschaft enthalte schwerwiegende sachliche Mängel. Die Ursachen des Unglücks sind folglich nach wie vor ungeklärt, die Abwahl des skandalisierten Oberbürgermeisters von Duisburg ist aber rechtsgültig. Kann man angesichts dieser Bilanzen die These vertreten, der Skandal sei ein Instrument der Aufklärung, in dem die bürgerliche Öffentlichkeit in multimedialer Verwandlung überlebt? Oder liefert die Skandalisierung von Missständen Beispiele für die fortdauernde Aktualität der Forderung des päpstlichen Legaten vor dem Sturm auf die Hochburg der Ketzer im Albigenserkrieg: »Tötet sie alle! Der Herr wird die Seinen erkennen«? Blickt man vom Ausland auf Skandale in Deutschland, erscheint das hiesige Verhalten häufig kurios. Aus britischer Sicht waren die Reaktionen der Deutschen auf die geplante Versenkung der Brent Spar reine Hysterie. In Frankreich, England, Spanien und den USA hätten sich Wulffs Kritiker mit ihren Vorwürfen lächerlich gemacht. In denselben Ländern ist die von Köhler geforderte Verteidigung von Wirtschaftsinteressen mit militärischen Mitteln eine historisch gewachsene Selbstverständlichkeit. In den USA rief die Deutsche Entscheidung nach Fukushima zum Ausstieg aus der Kernenergie ungläubiges Kopfschütteln hervor, in Großbritannien wurde der Bau neuer Kernkraftwerke beschlossen. Blickt man von Deutschland auf Skandale im Ausland, zeigen sich ähnliche Diskrepanzen. So empfanden die meisten Deutschen den Umgang der amerikanischen Medien mit Bill Clinton in der Lewinsky-Affäre als absurden Schauprozess. Dagegen wunderten sie sich über die Nachsicht der dortigen Medien mit George W. Bush, als im Irak nicht die Massenvernichtungswaffen gefunden wurden, die ein Anlass für den Krieg gegen Saddam Hussein waren. Soziologen erklären derartige Diskrepanzen mit kulturellen Unterschieden – und tatsächlich gibt es »Skandalkulturen«. In Großbritannien und den USA werden vor allem sexuelle Verhaltensweisen zu Skandalen, in Deutschland geldwerte Vorteile – Späth, Scharping, Gysi, Özdemir, Schröder, Steinbrück, Wulff und Tebartz-van Elst sind Beispiele dafür. In Frankreich ließ Premierminister Manuel Valls seine Kinder auf Kosten des Staates zum Champions-League-Finale nach Berlin fliegen, entschuldigte sich nach Kritik der Opposition, zahlte die anteiligen Reisekosten für seine Kinder und blieb im Amt. In Deutschland mussten Welteke und Wulff, obwohl ihre geldwerten Vorteile nicht zu Lasten des Staats gingen, ihre Ämter aufgeben. Besonders deutlich werden die Unterschiede zwischen Deutschland und den angelsächsischen Ländern beim ersten VW-Skandal 2005. In Deutschland wurden die geldwerten Vorteile zu Lasten des Unternehmens zum Skandal. Das hätte in den USA niemanden interessiert. Dort wäre zum Skandal geworden, dass die VW-Mitarbeiter ihre Ehefrauen und Lebensgefährtinnen betrogen haben. Davon war aber hierzulande nicht die Rede. Nach wie vor ist in Deutschland freiwilliger Sex zwischen Erwachsenen nicht skandalfähig, allerdings haben einige Medien Pädophilie als skandalträchtiges Thema erschlossen. Nationale Besonderheiten sind wichtig, sie erklären aber nur einen Teil der Diskrepanzen zwischen den Ländern. Wer versteht heute noch die Wut angesichts der geplanten Versenkung der Brent Spar, die Angst vor radioaktiv belasteter Molke und dioxinbelasteten Eiern, die gewaltbereite Verzweiflung angesichts der Stationierung der Pershing II und des Vorgehens der Polizei gegen die Gegner von Stuttgart 21? Wer kann heute noch die Empörung über die SS-Mitgliedschaft von Grass, über Wullfs Anruf bei Diekmann, über Lewitscharoffs Polemik gegen Katalogbabys nachvollziehen oder die Aufregung über die Rednerhonorare von Steinbrück und den Herrenwitz von Brüderle? Die Ursachen dieser emotionalen Reaktionen sind nicht nationale Wesenszüge, sondern Besonderheiten der medialen Darstellung von mehr oder weniger großen Missständen. Zwar ist bei den meisten Skandalen die Wahrheit erkennbar, sie hat aber keine Chance. Fast immer gibt es einige Medien, die dem, was man rückblickend als Wahrheit bezeichnen kann, sehr nahe kommen. Während des Skandals gehen ihre Berichte aber in einer Welle stark übertriebener oder gänzlich falscher Darstellungen unter. Die Oberhand gewinnt sie erst, wenn der Skandal zu Ende und die Flut der anklagenden Berichte verebbt sind. Dann interessiert sich aber kaum noch jemand dafür, weil sich die Medien und mit ihnen das Publikum längst anderen Themen zugewandt haben. 1 Hondrich, Karl Otto: Einblicke in die Unterwelt, S. 17 ff. 2 Vgl. Maier, Jürgen: Der CDU-Parteispendenskandal. 16 Jahre nach dem Skandal hat Wolfgang Schäuble in einer Nebenbemerkung behauptet, es habe keine Spender gegeben und »schwarze Kassen« als Quelle genannt. Das erscheint plausibel, ist jedoch nicht bewiesen. Vgl. dazu Aust, Stefan: Der Weg des »Bimbes«. In: Welt am Sonntag, 23.08.2015. Für die vorliegende Argumentation ist es nicht relevant, weil es an den von Kohl genannten Finanzproblemen der CDU und seinen Motiven nichts ändert. 3 Hunzinger hatte Berichtigungen und Gegendarstellungen bei mehreren Zeitungen erreicht, darunter die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau sowie die Financial Times, die jedoch in der Diskussion um Scharping untergingen. Quelle: schriftliche Mitteilung an den Verfasser. 4 Vgl. Mergen, Armand: Tod in Genf. 5 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Hartung, Uwe: Störfallfieber. 6 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth / Piel, Edgar (Hg.): Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1978–1983, S. 94. 7 Die endgültigen Kosten sind noch unbekannt. Im Frühjahr 2016 wurden nur für die Stilllegung der Kernkraftwerke Schadenersatzforderungen in Höhe von 22 Milliarden Euro genannt. Nicht eingeschlossen sind darin u.a. die Kosten für den erforderlichen Neubau von Stromtrassen. Vgl. FAZ, 07.04.2016. 8 United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation: UNSCEAR 2013 Report. 9 Vgl. rls: Kosten der Limburger Bischofsresidenz. Auf Spiegel Online, 10.10.2013. Vgl. auch Prüfkommission: Abschlussbericht über die externe kirchliche Prüfung der Baumaßnahme auf dem Domberg in Limburg, S. 101 ff.; Valentin, Joachim (Hg.): Der »Fall« Tebartz-van Elst. 10 Vgl. Mocken, Daniela: Bad Kleinen. Entstehung eines Skandals. 11 Der Vorwurf der »Schnäppchenmentalität« gegen Wulff war zynisch, weil Journalisten als vermutlich einzige Berufsgruppe Rabatte erhalten, sogenannte »Presserabatte« auf über 1.000 Angebote, darunter Autos, Reisen und Computer. 12 Vgl. Hefty, Georg Paul: Mit dem Auge des Verfassungsrechtlers. 2. Was ist ein Skandal? In der Umgangssprache bezeichnen wir viele negative Sachverhalte als »Skandale«: die Erhöhung der Fahrpreise, die Verspätungen der Deutschen Bahn, die Zustände in öffentlichen Toiletten usw. Jeder nennt das, was ihn besonders ärgert, einen Skandal. Mit einem derart ungenauen Begriff kann man keine systematischen Analysen durchführen. Im sozialwissenschaftlichen Sinn weisen Skandale sechs Merkmale auf.1 Erstens: Anlass von Skandalen sind materielle und immaterielle Missstände. Dabei handelt es sich oft um Tod oder Leid von Menschen und Tieren oder um die Verletzung gesellschaftlicher Normen und Werte. Die skandalisierten Missstände unterscheiden sich von Land zu Land – deshalb konnte Gerhard Schröder 1998 trotz des spektakulären Endes seiner Ehe mit Hillu Bundeskanzler werden, während Bob Dole 1996 als Präsidentschaftskandidat in einem Skandal unterging, weil er 24 Jahre vorher eine außereheliche Affäre hatte. Zweitens: Die Missstände wurden tatsächlich oder vermeintlich durch Menschen verursacht. Ist der Missstand die Folge eines natürlichen Ereignisses oder eines Zufalls, wird er nicht zum Skandal. Deshalb wurde der Reaktorunfall bei Fukushima in Deutschland erfolgreich skandalisiert, nicht aber der Tsunami, obwohl dieser weit mehr Menschenleben gekostet hat.2 Drittens: Die Verursacher der Schäden haben tatsächlich oder vermeintlich aus eigennützigen Motiven gehandelt. Deshalb wurden die finanziellen Gebaren von Bundespräsident Wulff und Bischof Tebartz-van Elst zu Skandalen, nicht aber das finanziell weitaus schwerwiegendere Versagen von Aufsichtsrat und Geschäftsführung der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH. Viertens: Die Verursacher kannten die Folgen ihres Verhaltens und hätten auch anders handeln können. Sie haben die Missstände nicht nur verursacht, sondern sind moralisch dafür verantwortlich. Deshalb wurde der Unfall bei der Hoechst AG 1993 zu einem großen Skandal, der Absturz einer LufthansaMaschine im gleichen Jahr, bei dem zwei Menschen starben, aber nicht. Im ersten Fall hätte der angetrunkene Mitarbeiter anders handeln können, im zweiten Fall hatte der Pilot aufgrund der Windverhältnisse keine Chance. Fünftens: Die Medien stellen das Geschehen sehr intensiv und weitgehend übereinstimmend dar. Nur dann wird es hinreichend vielen Menschen bekannt, erscheint ihnen bedeutsam und löst Ärger, Empörung und andere negative Emotionen aus. Deshalb führte die Anprangerung des Plagiats von zu Guttenberg zu einem Skandal, die diffuse Kritik an den pädophilen Selbstbekenntnissen von Cohn-Bendit dagegen nicht. Sechstens: Weil die Angeprangerten den Missstand nicht nur verursacht haben, sondern auch moralisch dafür verantwortlich sind, müssen sie zur Rechenschaft gezogen werden. Sie haben sich schuldig gemacht. Ihre Schuld erfordert Sühne, schmerzhafte persönliche Konsequenzen – die Schließung von Betrieben, die Vernichtung von Waren, die Entlassung von Funktionären usw. Besonders wirksam ist die Kombination der Elemente zu einem hierarchischen TäterOpfer-Schema: Der Täter ist oben und skrupellos, das Opfer ist unten und skrupulös. Zwischen Missständen und Skandalen besteht ein kategorialer Unterschied. Die größten Umweltskandale gibt es in Staaten, in denen die Umwelt am wenigsten geschädigt ist – in den westlichen Industrienationen. Die größten Umweltschäden gibt es in Staaten, in denen es keine oder fast keine Umweltskandale gibt – in Ländern der Dritten Welt, Indien und China. Dies trifft in ähnlicher Weise auf politische Skandale zu. Auch sie häufen sich nicht in den Staaten mit den größten politischen Missständen, sondern in den Ländern mit effektiven und transparenten politischen Institutionen. Zu dem gleichen Befund führt eine chronologische Betrachtung: Die größten Umweltschäden gab es in Deutschland in den 1950er- und 1960er-Jahren. Die meisten und größten Umweltskandale gab es dagegen ab den 1980erJahren, als die Belastung des Wassers, der Luft und der Böden als Folge der Umweltgesetzgebung der 1970er-Jahre längst deutlich geringer war. Eine wichtige Ursache des paradoxen Verhältnisses von realen Schäden und Skandalen ist die Asymmetrie unserer Risikobereitschaft: Zur Minimierung eines Schadens akzeptieren wir große Risiken, zur Maximierung eines Nutzens lehnen wir große Risiken ab.3 Deshalb ist in armen Ländern die Risikobereitschaft groß: Dort geht es um die Überwindung eines negativen Zustands. In reichen Ländern ist sie klein: Hier geht es um die Verbesserung eines positiven Zustands. Mit steigendem Lebensstandard wachsen die Schadensaversion der Bevölkerung, ihre Offenheit für Kritik an tatsächlichen und möglichen Schäden und die Glaubwürdigkeit der Skandalisierung von Missständen. Das gilt analog auch für die Tolerierung von Regelverstößen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft: Sie schwindet in dem Maße, in dem die Funktionsfähigkeit der erwähnten Bereiche zunimmt und zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung beiträgt.4 Die skizzierte Paradoxie ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die erfolgreiche Skandalisierung von Missständen. Zum Skandal wird ein Missstand erst durch die Perspektive, aus der man ihn betrachtet. Die Missstände selbst sind oft nicht neu, meist beweisbar und sachlich fast immer unstrittig. Dies alles trifft auf die skandalträchtige Perspektive nicht zu. Sie ist neu, im engeren Sinn nicht beweisbar und im Unterschied zum Missstand wirkmächtig. Es gibt viele Missstände, die nie zum Skandal werden, obwohl sie bekannt sind, und es gibt einige Skandale, ohne dass ein Missstand vorliegt. Deshalb kann man weder von der Größe und Häufigkeit der Skandale auf die Größe und Häufigkeit der Missstände schließen noch umgekehrt. Der wohlwollende Kommentar Werner Höfers im Berliner 12 Uhr Blatt (20.09.1943) zur Hinrichtung des Konzertpianisten Karlrobert Kreiten, der seine journalistische Karriere beendete, war seit 1962 bekannt. Mehrere Blätter, darunter Bild am Sonntag, hatten seit 1978 darüber berichtet, Musikhistoriker hatten den Vorgang analysiert und ihre Ergebnisse in Buchform publiziert, ein Schriftsteller hatte den Vorgang dramatisiert und in Koblenz auf die Bühne gebracht. Zum Skandal wurde der Kommentar jedoch erst Ende 1987 durch einen Artikel des Spiegels. Innerhalb weniger Tage musste Höfer unter entwürdigenden Umständen die Leitung des »Internationalen Frühschoppens« aufgeben.5 Über die Flugreisen von Ministerpräsident Späth hatte die Südwest Presse Ulm bereits 1980 berichtet. Sieben Jahre später beschrieben mehrere Autoren in einem biografischen Sammelband die ungewöhnlichen Reisen des Ministerpräsidenten. Zum Skandal wurden sie jedoch erst, als der Südwestfunk Ende 1990 im Zusammenspiel mit dem Spiegel den Sachverhalt erneut aufgriff.6 Über angeblich verdorbene Rohstoffe in Eiernudeln hatten lokale Medien im Raum Stuttgart bereits ein Jahr vor dem »Flüssigei-Skandal« berichtet. Einen bundesweiten Skandal haben die kaum variierten und ergänzten Behauptungen jedoch erst ein Jahr später ausgelöst.7 Über schwarze Konten der CDU hatte der Spiegel bereits 1995 berichtet. Einen Aufschrei der Empörung gab es damals weder in der Politik noch in den Medien. Über den sexuellen Missbrauch von Schülern durch Lehrer der Odenwaldschule hatte, nachdem sich zwei der Opfer an einen Journalisten gewandt hatten, Jörg Schindler Jahre vor dem Skandal in der Frankfurter Rundschau (17.11.1999) berichtet.8 Der Beschuldigte Gerold Becker, ehemaliger Leiter der Schule, gab danach die Mitarbeit in mehreren Gremien auf, einen Skandal löste der Bericht aber nicht aus. Becker wurde drei Jahre danach Mitherausgeber der Zeitschrift Neue Sammlung. Ein Lehrer der Odenwaldschule, Dr. Salman Ansari, informierte zu dieser Zeit die Bundestagsabgeordnete Antje Vollmer brieflich über Missbrauchsvorwürfe gegen Becker. Als Antwort erhielt er ein ausweichendes Schreiben. Einen Skandal löste keiner dieser Anlässe aus. In allen genannten Fällen war der Missstand, der den Kern des späteren Skandals ausmachte, bekannt. Insofern musste nichts aufgedeckt werden – die bereits bekannten Missstände hätten allemal für einen Skandal ausgereicht. Was fehlte, war der Aufhänger, die moralische Aufladung des Missstands sowie die Bereitschaft anderer Medien, die skandalträchtigen Vorwürfe aufzugreifen und die Beschuldigten anzuprangern. Fast alle Skandale beruhen auf Missständen, aber nicht alle Missstände führen zu Skandalen. Die Erschießung von fast 1.000 DDR-Flüchtlingen wurde in der BRD gewissenhaft registriert, die Verhaftung von Ausreisewilligen sorgsam verzeichnet. Zum Skandal wurde das im Gegensatz zum Terror des Schah-Regimes und der chilenischen Junta aber nicht. Kurz vor dem Ende der DDR gab es sogar energische Versuche, die zentrale Registrierung von DDR-Unrecht abzuschaffen. Anfang der 1980er-Jahre wies die SPD im Bundesanzeiger eine anonyme Sammelspende in Höhe von 6,3 Millionen DM aus.9 Das Geld hatte ihr verstorbener Schatzmeister Alfred Nau gesammelt und seinem Nachfolger Friedrich Halstenberg mit der ausdrücklichen Verpflichtung übergeben, die Namen der Spender zu verschweigen. Damals fragten weder die politischen Gegner noch die Presse nach der Herkunft des Geldes, obwohl der Sachverhalt 1984 im FlickUntersuchungsausschuss zur Sprache kam. Zu einem Skandal wurden die anonymen Spenden an die SPD deshalb nicht. Als im Winter 2002/2003 die Dramatisierung der Gefahr durch SARS die deutsche Bevölkerung in Atem hielt und Tausende ihre Flugreisen nach Asien stornierten, starben in Deutschland zwischen 12.000 und 20.000 Menschen an der saisonalen Grippe. Das waren 20-bis 30-mal mehr Menschen, als in China (einschließlich Hongkong) SARS zum Opfer fielen (633). In Deutschland gab es keinen einzigen SARS-Toten, aber aus Angst vor SARS wollten viele Deutschland nicht verlassen und verzichteten auf einen Urlaub. Als von Ende Mai bis Ende Juli 2011 die Erkrankung von 4.320 Menschen an Ehec-Infektionen und am Ende 50 Todesfälle die Medien alarmierten und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzten, starben in Deutschland zwischen 1.600 und 2.500 Menschen an Infektionen, die sie sich in Krankenhäusern zugezogen hatten. Das wird zwar gelegentlich in Medienbeiträgen behandelt, einen Skandal hat jedoch keiner dieser Berichte ausgelöst. Skandalträchtige Perspektiven entstehen gelegentlich durch die Betonung von bekannten, aber bisher vernachlässigten Aspekten. Während z. B. bei allen früheren Versuchen zur Skandalisierung von Höfer der tatsächliche oder vermeintliche Schreibtischtäter im Mittelpunkt stand, konzentrierte sich der Spiegel auf das Opfer, den Pianisten Kreiten – sein Leben, seine Freunde, seine Zukunftserwartungen. Das Mitleid mit dem Opfer ließ Höfers Kommentar wesentlich verwerflicher erscheinen als den Opportunismus des Autors. Was Höfer zu seiner Verteidigung vorbrachte, war deshalb bedeutungslos. Skandalträchtige Perspektiven sind zuweilen auch eine Folge von Umständen, die bekannte Fakten in einem anderen Licht erscheinen lassen – etwa die private Beziehung des Ministerpräsidenten Späth zu dem Vorstandsvorsitzenden der SEL Lohr, der wegen Untreue, Betrugs und Steuerhinterziehung vor Gericht stand. Als bekannt wurde, dass die Töchter von Späth und Lohr auf Kosten der SEL gemeinsame Ferien auf einem Reiterhof verbracht hatten, schien jeder Verdacht gegen Späth gerechtfertigt, obwohl dieser kaum wissen konnte, dass Lohr die Reiterferien der beiden Mädchen geschäftlich abgerechnet hatte.10 Ein ähnlicher Perspektivwechsel führte zum VW-Abgasskandal und seinen Ausweitungen. Die Unterschiede zwischen den Herstellerangaben zum Verbrauch ihrer Autos und deren tatsächlichen Verbrauch im Straßenverkehr waren seit Jahren bekannt, wurden von den Verfassern der Testberichte in Zeitungen und Zeitschriften immer wieder beklagt aber vom Publikum hingenommen, weil es Eigenwerbungen generell misstraut. Einen Skandal lösten die kritischen Testberichte nicht aus. Zum Skandal wurden sie erst, als bekannt wurde, dass VW mit einer speziellen Software den Verbrauch auf Testständen manipuliert hatte. Nun ging es nicht mehr primär um die Sache – die Unterschiede zwischen Verbrauchsangaben und Verbrauch – sondern um ihre moralische Aufladung, den Eigennutz von VW zu Lasten der Kunden durch einen Verstoß gegen geltende Regeln. Häufig beruhen skandalträchtige Perspektiven auf der Reduzierung mehrerer Alternativen auf eine einzige Handlungsmöglichkeit, deren Wahl verwerflich erscheint, weil die Nebenfolgen anderer Handlungsmöglichkeiten nicht thematisiert werden. Beispiele hierfür liefert die Skandalisierung der Nebenfolgen der Versenkung der Brent Spar, der Castortransporte11, der Kernenergie12, von Medikamenten13 und von Geheimdiensttätigkeiten. Die unbestreitbaren Nebenfolgen des Handelns der skandalisierten Personen und Sachverhalte erscheinen nur deshalb unerträglich, weil die Nebenfolgen der Alternativen – die Gefahren durch das Abwracken der Brent Spar an Land, die Risiken einer Zwischenlagerung von radioaktiven Gegenständen am Ort, die Risiken anderer Energien und die Risiken der Behinderung von Geheimdiensttätigkeiten – ausgeblendet werden. Ein immer wieder aktualisierter Fall ist die naheliegende aber trotzdem problematische Skandalisierung der Zusammenarbeit des BND mit der NSA. Die erwähnte Problematik ist auch für die Skandalisierung von Medikamenten typisch, bei der in der Regel zwei Aspekte ausgeklammert werden – zum einen die Tatsache, dass auch andere Medikamente tödliche Nebenwirkungen haben können und zum anderen die Frage, ob sie bei vergleichbar wirksamen Alternativpräparaten seltener oder häufiger vorkommen. Die Medien machen Missstände zu Skandalen, indem sie sie als schwerwiegend und als Folge schuldhaften Verhaltens darstellen: Die Handelnden waren in ihrer Entscheidung frei und hätten, wenn sie gewollt hätten, auch anders handeln können; sie haben aus niederen Motiven gehandelt und waren sich der negativen Folgen ihres Handelns bewusst. Sie haben nicht nur aufgrund von besonderen Umständen einen Fehler gemacht, sondern sich aus Eigennutz bewusst über bestehende Regeln hinweggesetzt. Journalisten übernehmen die skandalträchtigen Perspektiven vielfach von Skandalisierern im vormedialen Raum – von einzelnen Personen wie Heiner Geißler bei der Skandalisierung von Helmut Kohl, dem Rektor des CanisiusKollegs, Pater Mertes SJ, bei der Skandalisierung des sexuellen Missbrauchs von Kindern in kirchlichen Organisationen, dem Jura-Professor FischerLescano bei der Skandalisierung von zu Guttenberg, den Pfarrern Hubertus Janssen und Albert Dexelmann bei der Skandalisierung von Bischof Tebartzvan Elst,14 dem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden bei der Skandalisierung der NSA, dem ehemaligen DFG-Präsidenten Theo Zwanziger bei der Skandalisierung der Akquirierung der Fußball-WM 2006. Die bedeutendsten Skandalisierer dürften inzwischen NGOs sein, die vom Spendenaufkommen leben, das sie durch die professionelle Skandalisierung von Missständen generieren.15 Beispiele lieferten und liefern Greenpeace bei der Skandalisierung der Versenkung der Brent Spar, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei der Skandalisierung der Schweinegrippe, Foodwatch bei der Skandalisierung von zahlreichen Lebensmitteln, der BUND bei der Skandalisierung von Glyphosat, der International Council on Clean Transportation (ICCT) bei der Skandalisierung der Abgasmessungen von VW sowie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) bei der Skandalisierung von BMW, Daimler und Opel in Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal. Hinzu kommen neuerdings professionelle KampagnenPlattformen wie Compact, die über riesige Mengen von E-Mail-Adressen verfügen und unter anderem die Proteste gegen TTIP und Fracking organisieren. Das geschieht gelegentlich auch mit bezahlten Schauspielern, die geschminkt und kostümiert medienwirksam Emotionen schüren. Häufig entstehen skandalträchtige Sichtweisen in den Medien, wie im Falle der Skandalisierung von Höfer und Herman. Gelegentlich kooperieren Akteure im vormedialen Raum und Journalisten so eng, dass sich kaum entscheiden lässt, von wem die skandalträchtige Perspektive stammt. Beispiele hierfür sind die Skandalisierung der Molkerei Alois Müller (»Müller-Milch«) durch den Abgeordneten der Grünen im Bayerischen Landtag Raimund Kamm und den Journalisten Klaus Wittmann16 und die Zusammenarbeit zwischen anonymen Rechercheuren und Redakteuren bei der Skandalisierung von mehreren Politikern – darunter zu Guttenberg, Koch-Mehrin, Chatzimarkakis – sowie zwischen Staatsanwälten und Journalisten bei der Skandalisierung von Zumwinkel, Wulff17 und Edathy. Die Genese eines Skandals besitzt vermutlich einen Einfluss auf die Chancen der Skandalisierten, die Angriffe zu überstehen. So verloren von 1949 bis 1993 Politiker, deren Skandalisierung auf Recherchen von Journalisten oder einzelnen Informanten beruhte, deutlich häufiger ihr Amt als Politiker, die aufgrund der Aktivitäten von internen und externen Kontrollorganen, z. B. Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden, skandalisiert wurden.18 Oft kann man den Anteil der verschiedenen Akteure an einer Skandalisierung kaum bestimmen. Das ist für ihren Erfolg aber sekundär, weil die Erfolgschance einer Skandalisierung letztlich von Journalisten abhängt. Wenn sie sich, egal aus welchen Gründen, die Vorwürfe nicht zu Eigen machen, bleibt jeder Skandalisierungsversuch aus dem vormedialen Raum erfolglos. Nicht jeder Skandalisierungsversuch führt zu einem Skandal. Die meisten versickern bevor sie richtig wahrgenommen werden. Beispiele waren 2012 die gescheiterten Skandalisierungen der Schleichwerbung in »Wetten dass..?«, der manipulierten Zuteilung von Spenderlebern, des angeblichen Sozialbetrugs von Günter Wallraff und des Buchs von Thilo Sarrazin »Europa braucht den Euro nicht«; 2013 die gescheiterten Skandalisierungen der israelkritischen Kommentare von Jakob Augstein, der fragwürdigen Promotion des nordrhein-westfälischen Staatssekretärs Marc Jan Eumann, der Mängel des Sturmgewehrs G36 und des Helikopters NH 90 sowie der Aktivitäten der NSA; 2014 die gescheiterten Skandalisierungen der Rolle Franz Beckenbauers bei der Vergabe der Fußballweltmeisterschaft an Katar, des Honorars von Carsten Maschmeyer für die Autobiografie Gerhard Schröders und der Rolle der Hessischen Landesregierung beim Atomausstieg; 2015 die gescheiterten Skandalisierungen des internationalen Freihandelsabkommens TTIP, der Kooperation zwischen BND und NSA sowie der fragwürdigen Verbindungen von Horst Köhler, Gerhard Schröder und Otto Schily zu Nursultan Nasarbajew, Präsident von Kasachstan, der angeblichen »schwarzen Kassen« von Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller im Schreibtisch eines Mitarbeiters; 2016 die gescheiterte Skandalisierung des Drogenmissbrauchs von Beck. In fast allen Fällen griffen die meisten Medien die Vorlagen der Kollegen nicht auf. Damit fehlte eine Voraussetzung für die Entstehung einer allgemeinen Empörung. Die Abhörpraktiken der NSA wurden zwar durch hinreichend viele Artikel skandalisiert. Hier gab es jedoch zum einen keine klare personale Verantwortung, gegen die sich die Empörung hätte richten können. Zum anderen waren nur jene beunruhigt, die durch die Abhörpraktiken unmittelbare Nachteile befürchteten, und das war in der Bevölkerung – im Unterschied zum Journalismus – nur eine kleine Minderheit von 11 Prozent.19 Dies traf aus ähnlichen Gründen auch auf die Skandalisierung von Generalbundesanwalt Range zu, die zwar im Journalismus und in der Politik Wirkung zeigte, weil es um die Identifikation anonymer Informanten der Medien ging, die Masse der Bevölkerung jedoch kaum erregte. Im Fall des Drogenmissbrauchs von Beck erschienen trotz der Kritik aus der eigenen Partei zahlreiche Artikel, die sein Verhalten durch Verdienste in der Vergangenheit oder Verweise auf den Missbrauch legaler Drogen relativierten, so dass die Skandalisierung in einen publizistischen Konflikt mündete, der schnell versickerte. Im Fall der Schmähkritik von Böhmermann an Erdogan entwickelte sich nach anfänglichem Kopfschütteln über die Qualität des Textes ein publizistischer Konflikt zwischen zwei etwa gleich großen Lagern, die sein Verhalten kritisierten bzw. rechtfertigten. Das trifft aus anderen Gründen in ähnlicher Weise auch auf die Panama Papers zu, deren Präsentation zwar groß inszeniert wurde, die jedoch in den Medien wegen des Mangels an konkreten Belegen für Verfehlungen eine allenfalls zwiespältige Resonanz auslösten. Systematischen Aufschluss über das Verhältnis von Missständen und Skandalen gibt eine repräsentative Analyse von über 2.000 konkreten Fällen.20 Ihre wichtigsten Ergebnisse kann man folgendermaßen zusammenfassen: Eine Voraussetzung dafür, dass ein Missstand zum Skandal wird, ist, dass ein Sachverhalt als Missstand erkannt wird und zumindest einem kleinen Kreis von Personen bekannt ist. Das traf 1998 auf 2.015 verschiedene Missstände zu. Identifiziert wurden sie mit einer repräsentativen Befragung von 492 Vertretern verschiedener Organisationen – Gewerkschaften, Umweltverbänden, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern und Kirchen – sowie von 122 Journalisten, die in den gleichen Regionen tätig waren. Die nächste Voraussetzung besteht darin, dass ein Sachverhalt tatsächlich als Missstand eingestuft wird. Journalisten sahen das vielfach anders als die Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen. Sie nannten häufig Missstände, die nach ihrer Einschätzung die Folgen von Eigennutz waren (20 %). Die anderen Befragten erwähnten solche Missstände nur selten (5 %). Das deutet darauf hin, dass für Journalisten ein Sachverhalt vor allem dann ein Missstand ist, wenn er durch eigennütziges Verhalten verursacht wird. Andererseits verwiesen die Journalisten nur selten auf Missstände, die nach ihrer Überzeugung eine Folge von Fehlentwicklungen und Mangelzuständen waren (19 %). Die anderen Befragten erwähnten solche Missstände deutlich häufiger (30 %). Was den einen als Missstand erschien, nahmen die anderen oft nicht so wahr – und umgekehrt. Eine weitere Voraussetzung für einen Skandal sind Medienberichte über die Missstände. Solche Berichte gab es nach Aussage der Befragten über 80 Prozent der 2.015 Missstände.21 Besonders häufig haben die Medien über Missstände in den Kirchen (90 %), der Infrastruktur (87 %) und der Umwelt (86 %) berichtet, besonders selten über Missstände in den Medien (38 %). Das spricht – wenn man von den Medien absieht – gegen die generelle These von der »Schere im Kopf«. Sie existiert in bemerkenswerter Weise nur bei der Berichterstattung über Missstände im Journalismus. Eine letzte und entscheidende Voraussetzung für die Entstehung eines Skandals ist eine intensive und weitgehend konsonante Berichterstattung. Das traf nur auf 39 Prozent der 1.576 von Interessenvertretern genannten Missstände zu.22 Im engeren Sinne angeprangert wurden 20 Prozent der Missstände. Zu Skandalen im hier thematisierten Sinn wurden aber – je nach Abgrenzungskriterium – nur 5 bis 10 Prozent. Die Skandalisierung von Missständen folgte demnach oft dem Prinzip von Versuch und Irrtum: Es gibt von verschiedenen Personen und aus unterschiedlichen Motiven unzählige Skandalisierungen, von denen aber nur wenige erfolgreich sind. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 Vgl. hierzu auch Hartung, Uwe: Publizistische Bedingungen politischer Skandale. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Lemke, Richard: Instrumentalizing Fukushima. Vgl. hierzu Tversky, Amos / Kahneman, Daniel: Rational Choice and the Framing of Decisions. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Die Demontage der Politik in der Informationsgesellschaft, S. 56– 79. Vgl. Eps, Peter / Hartung, Uwe / Dahlem, Stefan: Von der Anprangerung zum Skandal. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Am Pranger. Der Fall Späth und Stolpe. Vgl. Lerz, Michael: Skandalberichterstattung. Vgl. zum Folgenden: Zastrow, Volker: Eine unabhängige Autorität? Vgl. Bannas, Günter: In Gelddingen ist nicht nur Kohl zugeknöpft. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Am Pranger. Der Fall Späth und Stolpe. Vgl. Schulz, Winfried / Berens, Harald / Zeh, Reimar: Der Kampf um Castor in den Medien. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Lemke, Richard: Framing Fukushima. Vgl. Linde, Otfried K. / Kepplinger, Hans Mathias / Ehmig Simone C.: Mehr Akzeptanz durch mehr Fachinformation? Zu den treibenden Kräften der Skandalisierung von Tebartz-van Elst wird man auch den Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz rechnen müssen. Vgl. dazu Lückemeier, Peter: Im Gespräch: Johannes zu Eltz nach dem Rücktritt von Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, über Freund-Feind-Denken, Vertraulichkeit und Zukunftswünsche. In: FAZ, 28.03.2014; zu Eltz, Johannes: Eben langt’s! – Der Fall Tebartz-van Elst aus Frankfurter Sicht. In: Valentin, Joachim (Hg.): Der »Fall« Tebartz-van Elst. Kirchenkrise unter dem Brennglas, S. 193–203. Vgl. Buchner, Michael / Friedrich, Fabian / Kunkel, Dino (Hg.): Zielkampagnen für NGO. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Hartung, Uwe: Am Pranger. Vgl. Götschenberg, Michael: Der Böse Wulff?, S. 257–262. Siehe hierzu auch Preuß, Roland / Schultz, Tanjev: Guttenbergs Fall. Vgl. Geiger, Thomas / Steinebach, Alexander: Auswirkungen politischer Skandale, S. 130. Vgl. Köcher, Renate: Deutsche Fragen – Deutsche Antworten. In: dieselbe: Wirkungslose Aufregung. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Ehmig, Simone C. / Hartung, Uwe: Alltägliche Skandale, S. 46. Vgl. ebenda, S. 68. Vgl. ebenda, S. 84. 3. Der Umgang mit Ungewissheit Der Sozialpsychologe Muzafer Sherif machte in den 1930er-Jahren Experimente zur Urteilsbildung auf der Grundlage unzureichender Informationen. Sherif nutzte dazu den sogenannten »autokinetischen Effekt«: Vor den Augen eines Beobachters in einem dunklen Raum scheint sich ein fester Lichtpunkt – vermutlich wegen der Eigenbewegung des Augapfels – zu bewegen. Falls man nah genug an den Lichtpunkt herangeht, erkennt man das als Illusion: Der Punkt ist regungslos. Die Versuchspersonen sahen den Lichtpunkt jedoch aus mehreren Metern Entfernung und urteilten notgedrungen auf der Grundlage unzureichender Informationen. Verschiedene Beobachter gewinnen in dieser Situation unterschiedliche Eindrücke – einige nehmen kleine Kreisbewegungen wahr, andere ein starkes Zittern usw. Beschreiben mehrere Personen in einer Gruppe nacheinander ihre Beobachtungen, gleichen sich ihre Urteile schnell an. Es entsteht eine allgemein akzeptierte Sichtweise, eine sogenannte Gruppennorm. Indem sich die Urteile der Einzelnen annähern, trägt jeder zur Bildung der Gruppennorm bei. Je eindeutiger sie wird, desto stärker beeinflusst sie die Einzelnen: Sie fühlen sich immer sicherer, weil die Urteile der anderen ihrer eigene Sichtweise bestätigen. Trotzdem behaupten fast alle später, sie hätten eigenständig geurteilt. So legen sie z. B. großen Wert auf die Feststellung, sie hätten ihr Urteil schon gebildet, bevor sich die anderen Gruppenmitglieder äußerten.1 Die Gruppennormen unterscheiden sich von Gruppe zu Gruppe. Sie sind Folgen der Urteile der jeweils dominierenden Mitglieder, denen sich die anderen bewusst oder unbewusst anschließen. Lässt man die bereits getesteten Personen nach einiger Zeit allein urteilen, beschreiben sie die »Bewegung« des Lichtpunkts wie zuvor in der Gruppe, weil die ehemaligen Gruppenmitglieder ihre Urteile scheinbar logisch aus der verinnerlichten Norm ableiten. Das gibt ihnen auch dann noch das Gefühl der Urteilssicherheit, wenn der ursprünglich vorhandene Gruppendruck keine Rolle mehr spielt. Indem Gruppennormen die Sichtweisen steuern, definieren sie, was die aktuellen und ehemaligen Mitglieder der Gruppen für wahr halten. Deshalb kann man Gruppennormen im Sinne von Sherif als Schemata betrachten, die die Wahrnehmung der Realität prägen. Die Urteilsbildung in einem Skandal folgt den gleichen Prinzipien. Auch hier geht es um objektive Tatsachen wie die Existenz von Schadstoffen in der Brent Spar, die kerntechnische Relevanz des Brands im AKW Krümmel, die Kosten der Renovierung des Bischofssitzes in Limburg, die Strafbarkeit des Erwerbs der Nacktbilder von Kindern durch Edathy, die Einstellungen und Ziele der Pegida-Anhänger, die Art der sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht usw. Die Richtigkeit solcher Informationen ist von den Meisten in der Regel nicht prüfbar, weil ihnen die dafür erforderlichen Informationen oder Fachkenntnisse fehlen. So war einige Tage lang unklar, wie viele Schadstoffe tatsächlich in der Brent Spar lagerten, wie der sechsjährige Junge in Sebnitz wirklich gestorben ist, welche Bilder sich Edathy tatsächlich beschafft hat, was die Mehrheit der Pegida-Anhänger antreibt usw. Das trifft in ähnlicher Weise auch auf die zunächst kaum abschätzbare Gefährdung durch SARS, Nitrofen, Dioxin, Ehec, Glyphosat und andere Gefahrenquellen zu. Schließlich gilt das auch für die serielle Skandalisierung von Missständen, etwa die im Wochen- und Monatsrhythmus wechselnden Vorwürfe gegen Bundespräsident Wulff, Bischof Tebartz-van Elst, den ADAC und VW, deren sachlicher Gehalt in der verfügbaren Zeit kaum prüfbar war. Aufgrund solcher Unsicherheiten bilden sich im Zusammenspiel zahlreicher Quellen landestypischer Normen bzw. Schemata, die die Wahrnehmung der Missstände steuern. Am Beginn eines Skandals beurteilen verschiedene Personen den fraglichen Sachverhalt meist unterschiedlich. Einige halten ihn für einen Missstand, andere nicht. Einige sind von der Schuld eines Akteurs überzeugt, andere bestreiten sie. Einige halten den Missstand für einen Skandal, andere sehen das anders. Je überzeugender die Deutungsmuster derjenigen sind, die den Sachverhalt für einen Skandal halten, und je mehr die Fakten ihre Sichtweise zu bestätigen scheinen, desto mehr nähern sich ihr die Sichtweisen anderer Menschen an. Die Sichtweise der Wortführer wird zur allgemein verbindlichen Norm, zu einem Schema für die Wahrnehmung von Realität. Ist ein solches Schema einmal etabliert, erscheinen alle Fakten und Interpretationen, die ihm widersprechen, als falsch oder irreführend, als Übertreibung oder Untertreibung. Dagegen wird alles, was das Schema zu bestätigen scheint, bereitwillig akzeptiert und notfalls stimmig gemacht. Geglaubt wird nur noch, was in das Schema passt. Die eigene Sichtweise erscheint nicht als subjektive Meinung, sondern als objektive Einsicht in die Natur der Sache. Andersdenkende haben folglich nicht nur eine abwegige Meinung, sondern können oder wollen die Wirklichkeit nicht erkennen. Sie sind realitätsblind oder verweigern sich der Realität. Nach der Empörung über einen angeblich rechtsradikalen Anschlag auf die jüdische Synagoge in Düsseldorf, der tatsächlich von Nationalisten arabischer Herkunft begangen worden war, nach einer Serie schwerer Straftaten von Rechtsradikalen in den neuen Bundesländern sowie nach einer monatelangen Kampagne führender Politiker gegen Rechtsradikale, die den Eindruck erweckte, das ganze Land stehe vor einem Abgrund, erschien vielen Beobachtern nichts mehr unmöglich – auch nicht die öffentliche Ermordung eines Kindes. Folgerichtig besuchte Ministerpräsident Kurt Biedenkopf einen Gedenkgottesdienst in Sebnitz und Bundeskanzler Gerhard Schröder empfing die Eltern des vermeintlichen Mordopfers im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Nicht alle kollektiven Schemata gehen so eklatant an der Realität vorbei wie im Fall Sebnitz. Bei zahlreichen Skandalen entsprechen sie weitgehend dem, was man nachträglich auch in Kenntnis aller Fakten als Wahrheit erkennt. Solche Fälle eignen sich jedoch nicht für die Analyse der Urteilsbildung in Skandalen, weil man hier den Einfluss kollektiver Schemata auf die Urteile nicht von der Orientierung an der Natur der Sache unterscheiden kann. Man schreibt die richtigen Urteile irrtümlicherweise einer Einsicht in die Art der Urteilsobjekte zu. Tatsächlich folgt die Urteilsbildung jedoch auch in diesen Fällen den skizzierten Prinzipien, weil auch hier die Wahrheit am Anfang nicht erkennbar ist – mit dem einzigen Unterschied, dass die kollektiven Schemata der später feststellbaren Wahrheit sehr nahekommen. Wissen können das während des Skandals jedoch nur wenige. Deshalb repräsentieren auch in solchen Fällen die selbstgewissen Urteile nichts anderes als den starken Glauben an die scheinbar eigene Einsicht. Befördert wird die beschriebene Urteilsbildung durch eine Eigenart der Berichterstattung über extrem negative Ereignisse – die nahezu vollständige Vernachlässigung ihrer relativen Häufigkeit. Ein Beispiel ist der Umgang mit BSE-Erkrankungen von Rindern.2 In Deutschland wurden von Dezember 2000 bis Ende 2001 von 2,8 Millionen Rindern 131 Rinder positiv getestet. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Rind an BSE litt, betrug folglich 1:22.400. Wie haben die deutschen Medien darüber berichtet? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung, Bild, Spiegel, Stern und Focus veröffentlichten von Anfang Dezember 2000 bis Anfang April 2001 insgesamt 487 Beiträge zum Thema BSE, CJK/vCJK und den damit verbundenen menschlichen Erkrankungen. Angaben über den Anteil der positiv getesteten Rinder fanden sich in einem Prozent der Beiträge. Informationen über die Zahl der in Deutschland registrierten Fälle von vCJK enthielten ebenfalls ein Prozent der Beiträge. Angaben über die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung an vCJK durch den Verzehr von Rindfleisch in Deutschland fanden sich in drei Prozent der Beiträge. Angesichts der wenigen Beiträge, die überhaupt Risikoinformationen enthielten, kann man die Frage vernachlässigen, ob sie dem damaligen Stand der Kenntnisse entsprachen. Zu einem rationalen Urteil und überlegten Handlungskonsequenzen war die Bevölkerung jedenfalls kaum in der Lage. Ihr blieb nur die Orientierung an der angstgetriebenen und angsttreibenden sozialen und medialen Umwelt. Neuere Beispiele liefert die Skandalisierung des Pestizids Glyphosat. Hierzu zählen Berichte der Art: »Ärzte fordern Glyphosat-Verbot«. Anlass war ein Appell an die EU-Kommission zum Verbot von Glyphosat, den angeblich 5.000 Ärzte unterschieben haben. Angaben über die Zahl der in Deutschland tätigen Ärzte fehlten. Zum Zeitpunkt der Publikationen im Jahr 2013 waren es 357.252 – ohne weitere 113.000, die nicht als Ärzte tätig waren. Nimmt man an, dass alle 5.000 Unterzeichner tatsächlich Ärzte waren, haben 1,39 Prozent der in Deutschland tätigen Ärzte die Forderung nach einem Verbot von Glyphosat unterschrieben. Von allen Ärzten waren es sogar nur 1,06 Prozent. Im Experiment wie im Skandal erliegen die Urteilenden ähnlichen Irrtümern. In beiden Situationen erleben die Einzelnen die Annäherung ihrer Urteile als Beleg für die Richtigkeit ihre Ansichten. Zur Gewissheit wird diese Einschätzung, wenn sich die Gruppennorm bzw. das Schema so verfestigt hat, dass alle zu dem gleichen Urteil kommen. Trotzdem glaubt auch bei Skandalen jeder, er urteile unabhängig von den anderen – sozusagen aus eigener Einsicht. Jeder betrachtet sich fälschlicherweise als autonome Person. Tatsächlich sind die Einzelnen Opfer der Illusion der autonomen Urteilsbildung: Was sie für ein individuelles Urteil halten, ist Ausdruck einer sich selbst bestärkenden Glaubensgemeinschaft. Diese Illusion ist eine Ursache der Entschiedenheit, mit der sie ihre Sichtweisen in einem Skandal verteidigen. Der Zweifel anderer erscheint als Zweifel an der eigenen Urteilsfähigkeit und damit als persönlicher Angriff. Das ist auch ein Grund dafür, dass nach dem Abklingen eines Skandals die meisten Menschen kein Interesse an der Berichtigung falscher Behauptungen haben. Sie würde ihr Urteil als das entlarven, was es ist – als Nachvollzug medialer Vorgaben. Während eines Skandals werden die verfestigten Sichtweisen nur durch Beweise erschüttert, die man unter keinen Umständen leugnen kann. Im Experiment wie im Skandal sind die Urteilenden auch davon überzeugt, dass sie mit ihren Aussagen den Sachverhalt beschreiben – die »Bewegung« des Lichtpunkts im Experiment, die »Größe« eines Umweltschadens oder das »Ausmaß« einer politischen Verfehlung. Tatsächlich erliegen sie auch hier einer Selbsttäuschung – einem essentialistischen Trugschluss: Was sie für ein Urteil über die Natur der Sache halten, ist in Wirklichkeit Ausdruck einer gruppen- oder länderspezifischen Sichtweise. Ihre Aussagen charakterisieren weniger die Eigenschaften der Objekte als die erlernten Schemata der urteilenden Subjekte: Wer eine Überschwemmung mit zehn Toten als Katastrophe bezeichnet, sagt wenig über das Geschehen aus, aber viel über seine eigenen Maßstäbe. Das ist den Urteilenden allerdings selten bewusst. So glaubten die Redakteure des Sterns (13.11.1986), die den Brand bei Sandoz in Basel auf der Titelseite ihres Blattes als »Tschernobyl am Rhein« bezeichneten, vermutlich wirklich, dass es sich um einen Unfall mit ähnlichen Dimensionen handelte. Tatsächlich gaben sie einer apokalyptischen Sichtweise Ausdruck, die sich vor dem Hintergrund des Reaktorunfalls in der Ukraine entwickelt hatte und durch die dramatischen Aufnahmen vom Unfallort in Basel scheinbar bestätigt wurde. Ein neueres Beispiel sind die empörten Reaktionen auf die Kinderpornografie-Vorwürfe gegen Edathy. Man kann sie als Folge der Natur der Sache, der Art seines Verhaltens, betrachten. Das wäre, wie ein Vergleich mit den Reaktionen auf die Vorwürfe gegen Cohn-Bendit belegt, ein Beispiel für die Illusion der autonomen Urteilsbildung verbunden mit einem essentialistischen Trugschluss. Bei Edathy ging es um Fotos von Kindern, bei Cohn-Bendit um Kontakte zu Kindern.3 Kann man sich vorstellen, dass Edathy nach der Einstellung des Strafverfahrens wegen seiner Foto-Nutzung aufgrund seiner Verdienste im NSUUntersuchungsausschuss mit dem Theodor-Heuss-Preiss geehrt wurde? Wohl kaum. Cohn-Bendit ist der Preis trotz einiger Proteste verliehen worden. Der Unterschied liegt hier wie in anderen Fällen nicht in der Natur der Sache, sondern in der Art und Weise, wie die Sachverhalte dargestellt und wahrgenommen wurden. Die Macht etablierter Sichtweisen erklärt auch, weshalb hiesige Skandale vom Ausland her betrachtet häufig eher kurios als empörend erscheinen: Dort haben sich die relevanten Normen bzw. Schemata nicht etabliert, weil die entsprechenden Missstände keine herausragenden Themen waren. Folglich ist aus der Distanz betrachtet kaum nachvollziehbar, warum man hierzulande so empört auf einen Missstand reagiert. Nicht der Missstand macht den Skandal aus, sondern die kollektive Sichtweise. Dagegen könnte man einwenden, dass der Missstand die Bevölkerung in dem Land, in dem er besteht, stärker bedroht, weshalb sie auch intensiver reagiert. Das trifft zwar meist zu, geht jedoch am Kern der Problematik vorbei. Das zeigen die Reaktionen auf die geplante Versenkung der Brent Spar. Sie hätte die britischen Gewässer und Küsten aufgrund der räumlichen Nähe ökologisch viel eher belastet als die deutschen, führte dort aber nicht zu einem Skandal – nicht weil die objektiven Fakten dagegensprachen, sondern weil das »richtige Bewusstsein« fehlte. Ein besonders folgenreiches Beispiel ist die Skandalisierung der deutschen Kernenergie nach der Reaktorkatastrophe bei Fukushima.4 Tatsächlich war die Gefahr durch Kernkraftwerke in Deutschland aufgrund ihres sehr hohen Sicherheitsstandards geringer als durch Kernkraftwerke in Frankreich, England und zahlreichen anderen Staaten. Dort wurde die heimische Kernenergie im Unterschied zu Deutschland nach Fukushima nicht skandalisiert. Ursache der Skandalisierung der Kernenergie in Deutschland waren nicht die kernkraftrelevanten Fakten, sondern das hier im Laufe von Jahrzehnten etablierte Angst-Schema. 1 Vgl. Lilli, Waldemar: Die Hypothesentheorie der sozialen Wahrnehmung. 2 Vgl. zum Folgenden Kepplinger, Hans Mathias: Realitätskonstruktionen, S. 99–115. Zur Wirkung der Konzentration auf Einzelfälle siehe Daschmann, Gregor: Der Einfluss von Fallbeispielen auf Leserurteile. 3 Vgl. Füller, Christian: Danys Phantasien und Träume. Derselbe: Das falsche Schauspiel der Grünen. 4 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Lemke, Richard: Framing Fukushima. 4. Die Etablierung von Schemata Die Leser, Hörer und Zuschauer folgern die Botschaften von Medienbeiträgen nicht aus den einzelnen Informationen, sondern orientieren sich an Schlüsselinformationen, die den Gesamtsinn vorgeben, und interpretieren die anderen Informationen entsprechend dem vorgegebenen Schema. Bei diesem Schema kann es sich um einen Interpretationsrahmen handeln, den sie bereits verinnerlicht haben, und um eine Sichtweise, die ein aktueller Medienbeitrag neu etabliert. Allerdings sind auch die bereits verinnerlichten Schemata häufig schon Folgen früherer Medienberichte.1 Rezipienten behalten schemakonsistente Informationen besser als schemainkonsistente, deuten neutrale Informationen schemagerecht und glauben, dass sie schemagerechte Informationen gelesen, gesehen oder gehört haben, die in den Beiträgen nicht enthalten waren.2 Das trifft nicht nur auf die Mediennutzung zu, sondern auch auf die Alltagskommunikation. Ein Beispiel für unsere schemageleitete Informationsverarbeitung ist das Verständnis folgender Situationsbeschreibung: »Peter ging in ein Restaurant und setzte sich an einen Tisch. Nachdem der Keller gekommen war, bestellte er ein Bier«. Jeder wird annehmen, dass Peter das Bier bestellt hat. Das ist aber nicht zwingend. Theoretisch könnte der Kellner das Bier bestellt haben. Unsere Interpretation der Beschreibung, der Sinn der Aussagen und unser Verständnis des beschriebenen Geschehens, folgt aus einer Schlüsselinformation – dem Wort »Kellner« – und unserem schemagesättigten Hintergrundwissen über die Tätigkeit eines Kellners. Aufgrund der schemageleiteten Rezeption gehen das Verständnis der Informationen und ihre Wirkung über ihren manifesten Gehalt hinaus. Das geschieht nicht individuell oder willkürlich, sondern wird vom Informationsangebot auf subtile Weise gesteuert. Die Grundlage können sprachliche Mittel, Bilder und Grafiken sein.3 Ein gut untersuchter Fall ist die Berichterstattung von Time und Newsweek über den Abschuss eines koreanischen Verkehrsflugzeugs am 1. September 1983 durch einen sowjetischen Kampfjet sowie über den Abschuss eines iranischen Verkehrsflugzeugs am 3. Juli 1988 durch eine Rakete eines amerikanischen Kriegsschiffs.4 In beiden Fällen wurden fast 300 Menschen getötet. Die humanitären Folgen beider Abschüsse, sozusagen die Größe des Missstands, waren folglich etwa gleich, nicht aber ihre Darstellungen und die Folgerungen, die sie nahegelegt haben. Time und Newsweek vermittelten nach dem Abschuss des koreanischen Verkehrsflugzeugs durch realistische Zeichnungen den Eindruck, das sowjetische Kampfflugzeug sei dem koreanischen Verkehrsflugzeug so nahe gewesen, dass der Pilot das Verkehrsflugzeug genau erkennen konnte. Beide Blätter verstärkten diesen Eindruck durch grafische Rekonstruktionen. In ihren Textbeiträgen charakterisierten sie den Abschuss als Angriff und gingen umfangreich auf seine Opfer ein. Nach dem Abschuss des iranischen Verkehrsflugzeugs vermittelte Newsweek dagegen auf der Titelseite durch das Foto einer startenden Rakete den Eindruck, sie sei zu einem unbekannten Ziel geflogen. Time erwähnte den Abschuss auf der Titelseite nur am Rande. Beide Blätter zeigten in ihren Innenteilen Fotos von amerikanischen Soldaten vor technischen Geräten und charakterisierten in ihren Texten den Abschuss als tragische Fehlentscheidung als Folge der komplexen Technik. Auf die Opfer gingen sie kaum ein. In ihren Berichten über den Abschuss des koreanischen Verkehrsflugzeugs gaben sie ein Täter-Schema vor und steuerten damit eine entsprechende Interpretationen des Geschehens durch ihre Leser: Der Kampfpilot wusste, was er tat und ist deshalb für seine Tat voll verantwortlich. Dieser Eindruck wurde durch Mitleid verstärkt, hervorgerufen durch Spekulationen über die Opfer seines verantwortungslosen Verhaltens. In ihren Berichten über den Abschuss des iranischen Verkehrsflugzeugs gaben sie dagegen ein Opfer-Schema vor und steuerten eine dementsprechende Interpretation: Die Marinesoldaten wussten nicht, welches Flugzeug sie vor sich hatten, sondern wurden selbst Opfer komplexer technischer Zusammenhänge. Dieser Eindruck wurde durch Mitleid mit den Opfern kaum gestört, weil sie nur nebenbei erwähnt wurden. Die beiden Magazine skandalisierten folglich durch ihre verbale und visuelle Darstellung auf subtile Weise den Abschuss des koreanischen Verkehrsflugzeugs, nicht jedoch den Abschuss des iranischen Verkehrsflugzeugs, obwohl es sich in beiden Fällen um ähnliche Vorfälle handelte. Schemata bzw. Frames besitzen vor allem dann einen erheblichen Einfluss, wenn sie am Beginn der Berichterstattung präsentiert werden, klare Deutungsmuster vorgeben und unwidersprochen bleiben. Deshalb kommt es für Skandalisierer darauf an, ihre Sichtweisen so schnell wie möglich öffentlich durchzusetzen – am besten, bevor der Missstand selbst allgemein bekannt wird. Ein Beispiel ist die Kommunikationsstrategie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor Beginn der Berichterstattung über die Schweinegrippe. Ursprünglich handelte es sich bei einer infektiösen Krankheit per definitionem nur dann um eine Pandemie, wenn ein großer Teil der Erkrankten stirbt. Demnach wäre die Schweinegrippe keine Pandemie gewesen. Da die WHO jedoch im Mai 2009 den Hinweis auf die Sterblichkeitsrate aus der Definition gestrichen hatte,5 wurde die Schweinegrippe aufgrund anderer Eigenschaften per definitionem zu einer Pandemie, was weitreichende Warnungen und Vorbereitungen ermöglichte sowie entsprechende Sorgen, Ängste und negative Nebenfolgen auslöste – etwa bei der Planung von Urlaubsreisen nach Mexiko. Ein Beispiel für die erfolgreiche Schemabildung im Vorfeld des Geschehens ist auch Frank Schirrmachers offener Brief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.05.2002) an Martin Walser, in dem er dessen neuen Roman »Tod eines Kritikers« als ein »Dokument des Hasses« bezeichnete, als antisemitisches Machwerk charakterisierte und einen Vorabdruck des Buchs ablehnte. Damit hatte Schirrmacher, bevor die Leser eine Chance hatten, sich selbst ein Urteil zu bilden, ein Interpretations- und Diskussionsschema vorgegeben, das die Rezeption des Buchs durch Rezensenten und andere Leser präformierte, zumal weitere Autoren im selben Blatt Schirrmachers Schema bekräftigten und ausmalten. Die gleiche Taktik prägte die Skandalisierung von Wulff. Schon in der Nacht bevor Bild mit einem Frontalangriff auf Wulffs Hausfinanzierung an den Verkaufsstellen auslag präsentierte Thorsten Denkler auf Sueddeutsche.de (13.12.2012) eine schlüssig erscheinende Verbindung zwischen Geld, Moral, Charakter und Amt: »Mit der Kreditaffäre hat Bundespräsident Wulff das Recht verwirkt, als moralische Instanz zu gelten. Er verliert damit die stärkste Legitimationskraft in diesem Amt. Wer Wulff kennt, weiß, dass es so kommen musste«.6 Er wusste es also schon vorher. Einen Tag später schlug Schirrmacher in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (14.12.2011) unter der Überschrift »Der Kredit des Präsidenten« in dieselbe Kerbe: »Kreditfragen (…) sind moralische Fragen. Es geht um Glauben und Vertrauen. Damit sind sie das Äquivalent zum höchsten Staatsamt. Es geht um moralischen Kredit«. Denkler und Schirrmacher haben damit ein Schema etabliert, das die folgenden Recherchen und Interpretation der Befunde geprägt hat. Das begann bei angeblich fragwürdigen Vergünstigungen (Urlaubsreisen, Flugreisen, Hotelaufenthalten, Buchwerbung, Handynutzung, Autokauf, Leihkleidung), Kontakten zu angeblich fragwürdigen Personen (Geerkens, Maschmeyer, Glaeseker, Schmidt, Groenewold), ungebetenen Telefonanrufen bei Springer-Verlagsangehörigen (Diekmann, Döpfner, Springer) und endete bei exotischen Themen (Tätigkeit als Anwalt, Rolle im VW-Aufsichtsrat, Ernst Jünger-Zitat, Bobby-Car usw.). Selbstverständlich wären auch andere Schemata möglich gewesen. Unter der Überschrift »Christian Wulff musste Uhr versetzen« hätte stehen können: »Wulff zahlt seiner geschiedenen Frau und seiner Tochter 4.200 Euro Unterhalt im Monat. Deshalb hat er Schulden gehabt. Allerdings haben ihm gute Freunde aus der Klemme geholfen, darunter sein langjähriger Mentor Egon Geerkens. Er hat ihm 90.000 Euro geliehen und ihm einen günstigen Kredit für sein Haus vermittelt. Wulff hat Geerkens dafür seine Rolex und wertvolle Bücher als Sicherheit überlassen müssen«. Darauf hätten die Leser vermutlich ganz anders reagiert, als 2011 – vielleicht mit Häme, Spott, Anteilnahme oder Respekt, aber kaum mit Ärger und Wut.7 Die Etablierung skandalträchtiger Schemata geschieht in den Medien wegen der starken Orientierung von Journalisten an ihren Kollegen oft sehr schnell – auch im Fall Wulff. Drei Tage nach Beginn der Skandalisierung von Wulff trafen sich mehrere Journalisten in der Kanzlei seines Anwalts Gernot Lehr. Dort konnten sie die Unterlagen zur Finanzierung des Hauses von Wulff einsehen. Nach Darstellung von Martin Heidemann und Nikolaus Harbusch war »von Jagdfieber … nichts zu spüren« – aber nicht, weil die Journalisten den Vorwürfen keine große Bedeutung beimaßen. Nach ihrer Darstellung ging es »in den Gesprächen, die einige Journalisten miteinander (führten,) weniger darum, ob der Bundespräsident zurücktritt. Vielmehr (war) die Frage, wann er den entscheidenden Schritt tut«.8 Drei Tage nach der Erstveröffentlichung von Bild und mehr als ein Jahr vor Abschluss der Vorermittlungen durch die Staatsanwaltschaft war demnach für wichtige Schlüsselfiguren vor Ort die Sache schon gelaufen. Analysiert man die wertenden Aussagen der Medien im Verlauf erfolgreicher Schemabildungen und trägt die Ergebnisse auf einer Zeitachse ab, bewegen sie sich innerhalb weniger Tage aufeinander zu. Bei der erfolgreichen Skandalisierung der Flugreisen von Ministerpräsident Späth stand das Urteil in den Medien nach etwa zwölf Tagen fest: Er hatte schwer gefehlt und musste zurücktreten.9 In Einzelfällen wie bei der Skandalisierung von Höfer wegen seines Kommentars im Dritten Reich10 und der Skandalisierung der Hoechst AG wegen des Austritts von ortho-Nitroanisol11 verlief der Prozess noch schneller. Hier genügten drei bis sieben Tage: Höfer erschien als Leiter des »Internationalen Frühschoppens« untragbar und musste gehen; ortho-Nitroanisol war als gefährliches Gift ausgemacht, und die Hoechst AG führte einschneidende Sanierungsmaßnahmen durch. Noch schneller verläuft die Schemabildung bei Missständen, die als akute Bedrohung erscheinen. So wurde der Nematodenbefall von Fischen an einem Tag erfolgreich skandalisiert. Dann stand das Urteil innerhalb und außerhalb der Medien fest und der Absatz von Fischen aus der Nordsee brach ein. Ähnlich schnell verlief die Skandalisierung des dioxinbelasteten Hühner- und Schweinefutters, der Ehec-verdächtigen Gurken, von Medikamenten wie Lipobay und Vioxx. Zwar ist die extrem schnelle Schemabildung typisch für aktuelle Bedrohungen, jedoch gibt es solche Fälle auch in der politischen Kommunikation. Beispiele sind die geradezu blitzartigen Schemabildungen bei der Skandalisierung der Gedenkrede von Jenninger und der Vorlieben von Edathy für Fotos von nackten Knaben.12 Viele Skandalisierungsversuche führen allerdings erst nach mehreren Anläufen zum Ziel. Ein Beispiel ist die Skandalisierung von Bischof Tebartzvan Elst. Den ersten Versuch gab es bereits ein halbes Jahr nachdem er die Nachfolge von Franz Kamphaus angetreten hatte. Dieser hatte sich 1999 im Konflikt um die Beratung von Schwangeren gegen den Papst gestellt und wurde 2002 von Johannes Paul II. auf Roms Linie gezwungen. Unter der Überschrift »Der Statthalter Roms« und einem großflächigen Foto, das Tebartz-van Elst mit aufgerissenem Mund und theatralisch gespreizten Armen zeigte, hieß es in der Nassauischen Neue Presse (NNP) am 6. September 2008, der Bischof sei »ein Missionar, aber keiner im Auftrag des Bistums, sondern im Auftrag Roms«. Ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter der Kirche wurde mit den Worten zitiert, das Handeln des Bischofs erzeuge ein »Klima der Angst und Einschüchterung«. Der zweite Versuch erfolgte ein Jahr später an derselben Stelle in zwei Artikeln mit teilweise den gleichen Vorwürfen (NNP 30.06.2009, 21.09.2009), die von zahlreichen Leserbriefen orchestriert wurden. Darin hieß es, Tebartz-van Elst wolle die von seinem Vorgänger eingeführte Laienseelsorge abschaffen und somit die Pfarrer stärker belasten. Er verteidige das Zölibat und lehne das Frauenpriestertum ab. Beide Skandalisierungsversuche waren Fehlschläge, weil bistumsspezifische Kontroversen nur einen kleinen Personenkreis berühren und keine nennenswerte mediale Resonanz auslösen. Das änderte sich, als ein weiteres Jahr später der Spiegel den dritten Versuch machte (15.11.2010). Zwar griffen die Autoren die bekannten Argumente auf, präsentierten Tebartz-van Elst nun aber als »jugendlichen Charismatiker« und potenziellen Anführer eines neokonservativen Fundamentalismus. Seine Kritiker charakterisierten die Autoren als besorgte Sprecher einer breiten Basisbewegung, und verliehen damit den Kontroversen eine über das Bistum hinausreichende Bedeutung. Neu war auch die ausbaufähige Nebenbemerkung, Tebartz-van Elst habe sich im Unterschied zu seinem Vorgänger, der »mit einem alten Golf durch die Stadt« fuhr, »einen schwarzen BMW mit abgedunkelten Scheiben« zugelegt. Zwar war der BMW schon während der Amtszeit von Bischof Kamphausen geleast worden. Mit dem Hinweis auf einen geldwerten Vorteil für Tebartz-van Elst hatten die Autoren aber ein in Deutschland skandalträchtiges Thema gefunden. Auch dieser Spiegel-Artikel löste jedoch keinen Skandal aus, obwohl einige regionale Medien die bistumsinternen Konflikte aufgriffen. Nach einem vierten Skandalisierungsversuch Anfang 2012 mit Plagiatsvorwürfen gegen Tebartz-van Elst, der wegen des Mangels an Substanz schnell verpuffte, schafften Martin U. Müller und Peter Wensierski im Spiegel (20.08.2012) im fünften Versuch den Durchbruch.13 Mit der Überschrift »First Class in die Slums« und einem großen Foto das Tebartzvan Elst offensichtlich begeistert beim Aussteigen aus einem luxuriösen Oldtimer-Cabriolet zeigte, griffen die Autoren ein Nebenthema des vorangegangenen Versuchs auf und bauten es zu einem Killerthema aus – die aufwendige Renovierung des Bischofssitzes in Limburg. Flankiert wurde das Luxus-Schema von einem ähnlich vernichtenden Lügen-Schema. Tebartz-van Elst hatte entsprechend den Reisekonditionen der Deutschen Bischofskonferenz einen Business Class-Flug nach Indien gebucht, aber durch den Einsatz von Bonusmeilen und eine private Zuzahlung in der ersten Klasse gesessen. Das war dem Spiegel aus der Antwort des Bistums auf seine Anfrage seit dem 5. April 2012, also seit mehreren Monaten, bekannt.14 Bei einem überfallartigen Interview mit Tebartz-van Elst am 11. August 2012 vor dem Limburger Dom, das heimlich gefilmt und auszugsweise veröffentlicht wurde, sagte der Bischof korrekt, er sei gemäß den »Reisekonditionen der Deutschen Bischofskonferenz und auch unseres Bistums« geflogen.15 Auf die Behauptung des Reporters: »Aber erster Klasse sind sie geflogen!« antwortete er spontan: »Business Class sind wir geflogen!« Damit saß Tebartz-van Elst, der im Unterschied zu Wensierski vermutlich nicht den Sitzplatz, sondern die Bezahlung meinte, in der Falle. In den Augen der Öffentlichkeit war er als Lügner überführt, und er verschlimmerte seine Lage noch durch fragwürdige juristische Schritte, darunter ein Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen den Spiegel mit einer verworrenen eidesstattlichen Erklärung, die eine Strafanzeige und ein Ermittlungsverfahren nach sich zog, das am 2. Dezember 2013 gegen Zahlung von 20.000 Euro eingestellt wurde. Einige Schemata sind das Ergebnis jahrelanger Anstrengungen von Aktivisten, die durch Schlüsselereignisse bekräftigt werden und – einmal etabliert – für lange Zeit wirksam bleiben. Ein Beispiel ist das in Deutschland wirkmächtige Anti-Atom-Schema, dessen Anfänge bis in die 1950er-Jahre zurückreichen.16 Der prägende Kern der Wahrnehmung der Kernenergie ist ihre Beziehung zu Atomwaffen. Das war und ist in Frankreich und England nicht anders, allerdings dort positiv und hier negativ besetzt, weil hier die atomare Aufrüstung verhindert werden sollte, wogegen dort die atomare Rüstung den Weltmachtanspruch der beiden Länder dokumentiert.17 Anfänglich war in Deutschland die Anti-Atombewegung eine belächelte Randerscheinung. Das änderte sich Mitte der 1970er-Jahre mit den massiven und medial viel beachteten Protesten gegen den Bau des Kernkraftwerks Wyhl. Schon einige Zeit vorher war die ursprünglich sehr positive Berichterstattung über Kernenergie skeptischer geworden; nun wurde sie wesentlich intensiver und durchgängig negativ. Aufgrund der Umwertung der Kernenergie berichteten die deutschen Medien extrem intensiv und negativ über den Reaktorunfall in Harrisburg 1979, der die Fundamentalkritik der Kernenergiegegner zu bestätigen schien. Endgültig verfestigt wurde das Negativ-Schema – die Risiken der Kernenergie sind generell nicht beherrschbar und ihre Nutzung ist folglich verantwortungslos – durch die Reaktorkatastrophe bei Tschernobyl 1986. Abgesehen von einem kleinen Gebiet in Bayern waren die radioaktiven Niederschläge in Deutschland ähnlich gering wie in Frankreich. Die objektiven Folgen waren in beiden Ländern nahezu gleich. In Frankreich wurde die Katastrophe als ein Problem der sowjetischen Kernenergie dargestellt, in Deutschland als ein generelles Problem der Kernenergie, das folglich auch die deutsche Kernenergie betrifft. Bei der finalen Skandalisierung der Kernenergie in Deutschland 25 Jahre später entfaltete das eindrucksvoll bestätigte Anti-Atom-Schema seine prägende Kraft. Nach der Reaktorkatastrophe bei Fukushima als Folge eines Tsunamis und unzureichender Sicherheitsmaßnahmen vermittelten die deutschen Zeitungen innerhalb von drei Tagen den schemabildenden Eindruck, sie beweise das generelle Risiko von Kernkraftwerken, folglich auch der deutschen Kernkraftwerke.18 In der Berichterstattung vergleichbarer Zeitungen in Frankreich und England spielte dagegen die Bedeutung der Vorgänge in Japan für die heimische Kernenergie kaum eine Rolle. Die Zeitungen der deutschsprachigen Schweiz folgten den deutschen moderater im Abstand von wenigen Tagen. Die unterschiedliche Darstellung der Relevanz der Vorgänge in Japan für die heimische Kernenergie schlug sich in der Thematisierung von Folgerungen nieder: Die deutschen Blätter veröffentlichten im Unterschied zu vergleichbaren Blättern in England und Frankreich zahlreiche Forderungen nach dem Ausstieg aus der Kernenergie. In allen Ländern erschien deshalb die Darstellung der notwendigen Konsequenzen für die heimische Kernenergie als quasi-logische Folge der schemabildenden Darstellung der Relevanz des Geschehens in Japan. Entsprechend waren die Reaktionen der Bevölkerung und der Regierung. Besonders deutlich wird das beim Vergleich Deutschland-Großbritannien: Die deutsche Regierung beschloss den Ausstieg aus der Kernenergie, die britische ihren Ausbau. In den meisten Fällen sieht man nur die Journalisten, die berechtigte, überzogene oder verfehlte Vorwürfe gegen Personen oder Organisationen in die Öffentlichkeit tragen. Das war bei der Skandalisierung der Versenkung der Brent Spar anders. In der ersten Phase konnte Greenpeace weitgehend ungestört seine Sichtweise verbreiten, in der zweiten Phase wirkte sich das dadurch etablierte Schema auf die Berichterstattung über die Informationen der Deutschen Shell AG aus. Die erste Phase begann am 30. April 1995 mit einer Presseerklärung von Greenpeace. Dort hieß es unter der Überschrift »Greenpeace besetzt Shell-Ölplattform in der Nordsee«: »Im Tank und in den Rohrleitungen der ›Brent Spar‹ lagern über 100 Tonnen Giftschlamm aus einem Cocktail von Öl, chlorhaltigen Substanzen wie PVC und PCB sowie Schwermetallen wie Arsen, Cadmium und Blei. Darunter sind auch 30 Tonnen radioaktiver Abfall.« Am Ende der Presseerklärung bot Greenpeace an: »Weitere Fragen beantworten Ihnen: Greenpeace-Experte Roland Hipp und Pressesprecher Fouad Hamdan (…) Achtung TV- und RadioRedaktionen: Rufen Sie uns an, wenn Sie mit Jörg Naumann … reden wollen.« Damit hatte sich Greenpeace als kundige, auskunftswillige und, wie sich bald herausstellte, für lange Zeit konkurrenzlose Quelle etabliert.19 In den folgenden elf Wochen gab Greenpeace 23 Presseerklärungen heraus. Sie lieferten Deutungsmuster, die die Vorstellungen der Journalisten, ihre Darstellung des Geschehens und dessen Wahrnehmung durch die Bevölkerung prägten. Ein Beispiel ist der Vergleich der erlaubten Versenkung der Brent Spar mit der verbotenen Versenkung eines Schrottautos. Das angebotene Schema lautete: »Wir da unten, die da oben.« Einige Presseerklärungen dienten vor allem der Dramatisierung des Geschehens. Das geschah durch Foto- und Fernsehaufnahmen sowie u. a. durch die Behauptungen, bei der Versenkung der Brent Spar handle es sich um einen Präzedenzfall für die Versenkung einer anderen Plattform, des »Giganten Troll«, sowie um den korrekten Hinweises auf »radioaktiven Abfall« in der Brent Spar, dessen geringes Gefahrenpotenzial aber gezielt im Dunkeln blieb. Die zweite Phase begann am 16. Juni 1995 – sieben Wochen nach der ersten Presseerklärung von Greenpeace. Die Deutsche Shell AG reagierte zum ersten Mal mit einer eigenen Presseerklärung und beschrieb den Sachverhalt anders. Laut Shell bestanden erhebliche »Sicherheitsrisiken (bei) einer Landentsorgung«: »Die Belastung des Meeresbodens (durch die Versenkung) wurde von unabhängigen Meeresbiologen als vernachlässigbar gering eingestuft (…) Die im Höchstfall verbleibenden 100 Tonnen feste Rückstände (sic!) bestehen zu 90 % aus Sand und zu 10 % aus bitumenähnlichen Rohölrückständen … Die Intensität der (radioaktiven) Strahlung entspricht … derjenigen von Häuserfassaden oder Gehwegplatten aus Granit.« Die publizistische Resonanz der Presseerklärung war aus Sicht des Unternehmens verheerend: Die Darstellung wurde entweder gar nicht oder auf abwertende Weise wiedergegeben. Das zeigen zwei Berichte der Kieler Nachrichten zum gleichen Thema. Das Blatt hatte am 10. Mai die Angaben von Greenpeace mit Quellenhinweis und ohne sprachliche Relativierungen als Tatsachen gebracht: »Nach Angaben von Greenpeace lagern in Tanks und Rohrleitungen des Shell-Wracks noch etwa 100 Tonnen Giftschlamm (sic!) und mehrere Tausend Kubikmeter verseuchtes Wasser.« Am 16. Juni berichtete das Blatt über die Stellungnahme der Deutschen Shell AG dagegen distanzierend: Nach Aussage von Shell »seien (nicht: »sind«) von den angeblich 100 Tonnen giftigen Schlamms (sic!), die nach Angaben von Greenpeace durch die Versenkung der Brent Spar ins Meer gelangen, der größte Teil Sand. Der Rest bestehe (nicht: »besteht«) aus Ölrückständen, wie sie auch im Straßenbelag enthalten seien (nicht: »sind«). Und die radioaktiven Rückstände? Die gleiche Menge könne (nicht: »kann«) man auch im Granit der Häuser … finden.« Vor dem Hintergrund der im Indikativ berichteten Sichtweise von Greenpeace erschien die in der indirekten Rede präsentierte Stellungnahme von Shell als fragwürdige Meinung. Der Grund für den Misserfolg der Presseerklärung von Shell lag nicht darin, dass die Informationen falsch waren. Sie waren richtig, widersprachen aber dem etablierten Schema und zudem den Überzeugungen der meisten deutschen Journalisten. Bereits Ende der 1980er-Jahre waren die meisten von ihnen der Überzeugung, dass »der Umweltschutz … Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen haben« sollte. Von den Journalisten, die sich politisch »rechts« einstuften, sahen 72 Prozent das so, von jenen, die sich als »links« bezeichneten, 86 Prozent.20 Dieser weitverbreiteten Sichtweise gaben die Presseerklärungen von Greenpeace vorzüglich Ausdruck. In der alles entscheidenden Phase des Konflikts vom 17. bis zum 22. Juni 1995 entsprachen 93 Prozent aller relevanten Aussagen den von Greenpeace etablierten Sichtweisen. Shell hatte folglich keine Chance, die eigene Sichtweise erfolgreich zu verbreiten. Erst nachdem der Konflikt entschieden war, konnte das Unternehmen sie besser zur Geltung bringen: In der Nachhallphase vom 23. Juni bis zum 9. September 1995 reflektierten nur noch 53 Prozent aller Beiträge die von Greenpeace etablierten Sichtweisen. Allerdings fiel die Berichterstattung nun wesentlich geringer aus und das Thema interessierte die Bevölkerung weitaus weniger.21 Ist ein Schema erst einmal etabliert, prägt es weitgehend unabhängig von der Ereignislage die nachfolgende Berichterstattung. Informationen und Meinungen, die dem etablierten Schema widersprechen, werden allenfalls am Rande erwähnt, relativiert oder überhaupt nicht aufgegriffen. Ein Beispiel ist der bereits erwähnte UNSCEAR-Bericht der Vereinten Nationen über die geringen gesundheitlichen Auswirkungen der Reaktorkatastrophe bei Fukushima. Er wurde von fast allen deutschen Medien totgeschwiegen: In 65 deutschen Zeitungen erschienen dazu insgesamt sieben Beiträge, von denen nur drei sachliche Informationen enthielten.22 Informationen und Meinungen, die das etablierte Schema bestätigen, werden dagegen umfangreich berichtet und verfestigen dadurch das bereits etablierte Schema. Gelegentlich werden auch fragwürdige oder eindeutig falsche Informationen gezielt hochgespielt, wenn sie das etablierte Schema zu bestätigen scheinen. So wurden die Kirchenaustritte im Bistum Limburg vielfach zur Skandalisierung von Bischof Tebartz-van Elst genutzt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (12.10.2013) berichtete z. B., die »Zahl der Kirchenaustritte« sei »offenbar … wegen der Affäre um den Bischof in den vergangenen Tagen … deutlich gestiegen«. Nach dem zunächst vorläufigen Amtsverzicht von Tebartz-van Elst konstatierte die Rhein Main Presse (31.10.2013) sogar eine »Austrittswelle«. Im Sommer des darauf folgenden Jahres erklärte der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx, die große Zahl der Kirchenaustritte im vergangenen Jahr mit dem »Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust« der katholischen Kirche und spielte damit nach Darstellung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.07.2014) »auf die Amtsführung des mittlerweile emeritierten Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst an«. Tatsächlich sind im Jahr 2013 in Deutschland erheblich mehr Katholiken aus der Kirche ausgetreten als 2012. Insgesamt waren es 178.805 Personen, was einem Anteil von 0,7 Prozent aller Katholiken entsprach. Der Anteil der Kirchenaustritte im Bistum Limburg betrug 0,5 Prozent. Er lag damit unter dem Gesamtwert und war erheblich niedriger als im Erzbistum München und Freising, das mit 0,9 Prozent einen Spitzenplatz einnahm. Der Logik der erwähnten Quellen entsprechend müsste man folgern, dass sich das Schalten und Walten von Bischof Tebartz-van Elst stabilisierend auf die Kirchenmitgliedschaft im Bistum Limburg ausgewirkt hat, während die große Zahl der Kirchenaustritte im Bistum München und Freising eine Folge des Verzichts von Erzbischof Kardinal Reinhard Marx auf ähnliche Aktivitäten war. Naheliegender ist jedoch folgende Interpretation: Als die genauen Zahlen noch nicht bekannt waren, wurden einige vorläufige Daten schemagerecht gegen Tebartz-van Elst interpretiert und anklagend veröffentlicht. Nachdem die genauen Zahlen vorlagen, wurden auch sie schemagerecht gegen Tebartz-van Elst fehlinterpretiert und erneut anklagend publiziert. Mit der Sache selbst – der behaupteten Kausalität – hatten die Behauptungen nichts zu tun. 1 Vgl. Scheufele, Dietram A.: Framing as a Theory of Media Effects; Kepplinger, Hans Mathias / Daschmann, Gregor: Today’s News – Tomorrow’s Context; Kepplinger / Lemke: Framing Fukushima. 2 Vgl. Brosius, Hans-Bernd: Alltagsrationalität und Nachrichtenrezeption. 3 Zur visuellen Schemabildung vgl. von Sikorski, Christian / Ludwig, Mark: Visual Framing in der 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 Berichterstattung. Vgl. zum Folgenden Entmann, Robert M.: Framing U.S. Coverage of International News. Vgl. chs/dpa: Experte warnt vor Viren-Hysterie. Auf Spiegel Online, 18.02.2009. Zitiert nach Heidemanns, Martin / Harbusch, Nikolaus: Affäre Wulff, S. 78. Einige Medien haben später über die finanzielle Lage Wulffs ausführlich berichtet und die erwähnten Fakten genannt, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung (07.10.2012) und der Spiegel (49/2012). Das war allerdings ein Jahr später und zu diesem Zeitpunkt hatte die Skandalisierung von Wulff längst ihr Ziel erreicht. Heidemanns, Martin / Harbusch, Nikolaus. Affäre Wulff, S. 100. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Am Pranger. Der Fall Späth und der Fall Stolpe. Vgl. Eps, Peter / Hartung, Uwe / Dahlem, Stefan: Von der Anprangerung zum Skandal. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Hartung, Uwe: Störfallfieber. Vgl. auch: Holbach, Thomas / Maurer, Marcus: Agenda-Setting-Effekte. Ein ähnlicher Beitrag war am 19. August 2012 auf Spiegel Online erschienen. In der Antwort auf eine Anfrage des Spiegels hatte das Bistum Limburg am 5. April 2012 geschrieben: »Bei allen Flügen reisten beide Herren (der Bischof und sein Generalvikar) nachweislich in der Economy-Class. Wegen des Langstreckenflugs und wegen vorausgegangener und sofort anschließender Terminverpflichtungen war für die Indienreise Business-Class zu einem Sondertarif gebucht worden. Aufgrund des Einsatzes von aufgesammelten Bonus-Meilen und einer Zuzahlung aus eigener Tasche konnte im konkreten Fall ein Upgrade erfolgen. Dritten sind dadurch keinerlei Kostenentstanden.« Quelle: Spiegel-Rechtsabteilung: Der Bischof und das 8. Gebot. http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelblog/bischof-von-limburg-ein-drama-in-fuenf-aktena-879255.html [Zugriff: 18.03.2015]. Die relevante Passage lautet verschriftlicht: Wensierski: »…mit dem [Generalvikar Kaspar) sind Sie ja Erster Klasse nach Indien geflogen, hin und zurück!« Tebartz-van Elst: »Nein, wir sind zu diesen Projekten hingeflogen, und zwar so wie es die Reisekonditionen der Deutschen Bischofskonferenz und auch unseres Bistums sind!« Wensierski: »Aber Erster Klasse sind Sie geflogen!« Tebartz-van Elst: »Business Class sind wir geflogen!« Vgl. Schäfers, Alfons: Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Bischof von Limburg. Andere Beispiele sind das Dioxin-Schema, das nach dem katastrophalen Chemieunfall 1976 bei Seveso etabliert wurde oder das Pädophilie-Schema, das Mitte der 1990er-Jahre in Zusammenhang mit den 1993 beginnenden »Wormser Kinderschänder«-Prozessen geprägt und 2004 durch den spektakulären Prozess gegen den bereits einmal verurteilten und begnadigten Wiederholungstäter Marc Dutroux etabliert wurde. Vgl. zum Folgenden Kepplinger, Hans Mathias / Lemke, Richard: Framing Fukushima. Vgl. zum Folgenden Kepplinger, Hans Mathias / Lemke, Richard: Instrumentalizing Fukushima. Vgl. Mikalsen, Yngve: Der Einfluss von Schemata; Mantow, Wolfgang: Die Ereignisse um Brent Spar. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Journalismus als Beruf, S. 129–148. Vgl. Berens, Harald: Prozesse der Thematisierung in publizistischen Konflikten. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Grenzwertiger Journalismus. 5. Die Dramatisierung des Geschehens Fast alle Skandale beruhen auf Dramatisierungen. Da meist viele Fakten unklar sind, charakterisierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.04.2015) das Verfahren treffend als »Dramatisierung des Unbewiesenen«. Sie ist eine Spezialität der Boulevardmedien, findet sich jedoch auch in anderen Medien, die mit Verweis auf die Boulevardpresse gerne von ihren eigenen Praktiken ablenken. Als erste Hinweise auf Ehec-Erkrankungen vorlagen, veröffentlichte z. B. die Rhein Main Presse die alarmierende Kurzmeldung: »Lebensgefährlicher Darmkeim entdeckt« (23.05.2011). Zwei Tage darauf titelte das Blatt: »Ehec – die ersten Toten«. Einen Tag später meldete eine Überschrift auf Seite 1: »Immer mehr schwere Ehec-Fälle«, weitere zwei Tage später lautete die Schlagzeile: »Ehec breitet sich rasant aus«. In der Unterzeile war zu lesen, dass es »jetzt schon sechs Tote« gab. Dieser relativ einfache Fall illustriert die Dramaturgie einer erfolgreichen Dramatisierung – die schrittweise Steigerung des Gefahrenpotentials. Typisch für die Skandalisierung von Risiken durch Dramatisierung sind zwei Merkmale, die die erwähnten Meldungen aufweisen – die verbale Aufblähung der Größe von Schäden und das Verschweigen ihrer geringen Wahrscheinlichkeit.1 Diese Rhetorik zeigen zahlreiche Beispiele. Bei der Skandalisierung des Militäreinsatzes gegen Saddam Hussein spekulierte der Spiegel (04.03.1991) in seiner Titelgeschichte »Schwarzen Regen« über mehrere Untergangszenarien: »Wird in Indien der Monsun ausbleiben? Wird das Weltklima gestört, der Treibhauseffekt weiter angeheizt?« Bereits im Vorspann hieß es: »Bis die Ölbrände gelöscht sind, können Jahre vergehen.« Zweifel von Experten an den Vorhersagen wurden als Beschwichtigungsversuche von Personen charakterisiert, »die auch den Atomkrieg noch für führbar halten wollten«. Der Spiegel, der normalerweise nicht durch Bibelgläubigkeit auffällt, unterfütterte seine Horrorszenarien mit einem Zitat aus Kapitel 9 der »Offenbarung«, in dem der Prophet den Untergang der Welt als Folge eines Kriegs um Babylon schildert: »Und er tat den Brunnen des Abgrunds auf, und es ging auf ein Rauch aus dem Brunnen wie der Rauch eines großen Ofens, und es ward verfinstert die Sonne und die Luft von dem Rauch des Brunnens.« Nach dem Austritt von orthoNitroanisol bei der Hoechst AG schrieb die Frankfurter Rundschau (23.02.1993): »Gelber Giftregen verseucht Frankfurts westliche Stadtteile«. Einen Tag späterer entdeckte Bild eine Langzeitbedrohung: »Frankfurter Gift-Explosion. Schwanheim ein Jahr verseucht«. Eine Woche nach dem Unfall verstieg sich der Toxikologe Otmar Wassermann im Hessischen Fernsehen zu der Forderung, Kinder müssten »jetzt in der akuten Phase« evakuiert werden. »Nach 14 Tagen (…) oder nach einer Woche« könnten sie dann wieder zurückkehren. Am folgenden Tag legte Bild nach: »HoechstSkandal. Mütter flehen: Holt unsere Kinder aus dem Gift«. Anfang März präsentierte die ARD Mitarbeiter der Hoechst AG, deren Stimmen technisch verzerrt und deshalb unverständlich waren. Dazu hieß es: »Wissenschaftlicher Werte-Wirrwarr und Inflation von sogenannter Information, aber nichts, was die Angst nehmen könnte in Sachen Gift und Langzeitwirkung.« »Die Giftbelastung soll«, so der Reporter, »abnehmen, doch die Angst nimmt zu«. Belegt wurde das durch Zeitlupenaufnahmen von Reinigungsarbeiten, windverwehten Plastikteilen und einem einsamen Kind auf weiter Flur. Ihm stellte der Reporter die verschlagene Frage: »Und wie ist es mit dir, hast du Angst vor dem Gift für dich?« Den Einsatz der GSG 9 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen, bei dem der mutmaßliche RAF-Terrorist Wolfgang Grams erschossen wurde, skandalisierte Bild (29.06.1993) mit der Behauptung, auf dem Bahnhof habe eine »wilde Schießerei« stattgefunden, die zu einem »Blutbad« geführt habe. Monitor (01.06.1993) und der Spiegel (05.06.1993) stellten die Erschießung von Grams als Hinrichtung bzw. Exekution dar. Den Einsatz bezeichnete er als »blutigen Shootout« und »Wildwest-Ballerei«. Die Zeit (23.06.1993) charakterisierte ihn als »Katastrophe« und »Desaster«. Fehler beim Einsatz der GSG 9 wurden als Folge von Unfähigkeit gebrandmarkt. Für die Zeit (20.08.1993) waren sie das Ergebnis »gedankenloser Versäumnisse«, der Spiegel (27.09.1993) sprach von »Schlampereien« und »Schludereien«. Für die Süddeutsche Zeitung (08.11.1993) war der Einsatz der GSG 9 in Bad Kleinen, bei dem mit der Verhaftung von Birgit Hogefeld die erste Festnahme seit Jahren gelungen war, »das größte Desaster der Sicherheitskräfte im Kampf gegen den linken Terrorismus«. Bei der Skandalisierung der BSE-Infektionen deutscher Rinder wurden 2000/2001 wochenlang erschreckende und ekelerregende Bilder von kranken, sterbenden und toten Tieren in Nachrichten, Magazinen und Sondersendungen des Fernsehens präsentiert, die das Elend der Tiere zeigten und entsprechende Emotionen weckten, mit BSE aber nichts zu tun hatten. Ausgiebig wurde das grauenhafte Schicksal von Menschen dokumentiert, die an der mit BSE verwandten Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) leiden. Die meisten Medien berichteten wie bei einem Preisschießen über jeden neuen Treffer. Positiv getestet wurden bis Ende 2001 131 Rinder. Die entscheidende Zahl, die man benötigt hätte, um sich ein Urteil über die Risiken zu bilden, brachten die meisten Medien allerdings nicht – die Zahl der getesteten Rinder. Auf dem Höhepunkt der Krise im Jahr 2001 waren es über 2.860.000. Folglich betrug der Anteil der positiv getesteten Rinder 0,004 Prozent. Wie wahrscheinlich war es demnach, dass man durch den Genuss von deutschem Rindfleisch an vCJK erkrankte? Die genaue Antwort ist bis heute unbekannt. Eine sachlich richtige Antwort hätte aber lauten können: Es ist gefährlicher zu heiraten als Rindfleisch zu essen, weil mehr Menschen von ihrem Partner ermordet werden, als durch den Verzehr von Rindfleisch ums Leben kommen. Trotzdem wurde BSE zum Anlass des größten Nahrungsmittelskandals der Nachkriegszeit. Ein sehr erfolgreicher Beitrag zur Skandalisierung der deutschen Kernenergie war die publizistische Dramatisierung des Brandes eines Transformators im AKW Krümmel am 28. Juni 2007. Die Entschlossenheit zur Dramatisierung zeigte sich besonders deutlich, als längst klar war, dass er kerntechnisch irrelevant war. Fünf Tage nach dem Brand behauptete n-tv, aufgrund des Brandes sei »es zu wesentlich weitgehenderen Störungen gekommen als bisher bekannt« wurde. Einen Tag darauf suggerierte der Sender mit der Behauptung, die Störungen hätten »Auswirkungen auch auf das ›Herz‹ des Atommeilers« gehabt, das Gegenteil dessen, was inzwischen bekannt war. Sueddeutsche.de legte am Morgen desselben Tages mit der falschen Behauptung nach, »auch (das) Reaktorgebäude (sei) vom Feuer betroffen«. Am späten Nachmittag schob Sueddeutsche.de die Behauptung nach, der Brand habe »sich auch auf den Reaktor ausgewirkt«, was den falschen Eindruck vermittelte, dass der Reaktor in irgendeiner Weise beschädigt worden sei. Zugleich bekannte Sueddeutsche.de, was das Ziel der Skandalisierung des Transformatorbrands war: eine generelle »Sicherheitsdebatte um die Kernkraft«. Als sich die Behauptungen über die Auswirkungen des Brandes auf die kerntechnischen Anlagen nicht mehr aufrechterhalten ließen, machten viele Medien aus den Kommunikationsmängeln des Unternehmens ersatzweise ein für die Zukunft der Kernenergie ebenso relevantes Drama. Die Skandalisierung von Missständen führt oft zu einer Häufung rhetorischer Mittel. Ein Beispiel ist die Skandalisierung der Frankfurter Kulturdezernentin Linda Reisch in der sogenannten »Intendantenaffäre«.2 Anlass war eine rechtlich fragwürdige Entscheidung Reischs, wegen der die Stadt Frankfurt am Main Anwaltskosten übernehmen musste, die in Zusammenhang mit der geplanten Umstrukturierung der städtischen Bühnen entstanden waren. Die Berichte, die das Verhalten von Reisch skandalisierten, enthielten signifikant mehr rhetorische Sprachfiguren als die Beiträge, die es nüchtern als Fehlentscheidung präsentierten. Je mehr rhetorische Mittel die Artikel enthielten, desto stärker vermittelten sie den Eindruck, dass es sich bei dem Vorgang um einen Skandal handelte. Einige rhetorische Figuren fanden sich besonders häufig. Dazu gehörten Metaphern (»ihre Fähigkeit, Hornhaut zu bilden«, »klebt an ihrem Stuhl«, »geht in Deckung«), Antonomasien (»Zoo- und Freizeitdezernentin«), Neologismen (»Reischs-Absäge-Versuche«) und rhetorische Fragen (»Sollte das wirklich alles gewesen sein?«). Einige Medien ließen das Geschehen mithilfe rhetorischer Figuren besonders verwerflich erscheinen, obwohl sie keine wesentlich andere Sachinformationen lieferten als andere. Während beispielsweise die Frankfurter Rundschau neutral einen materiellen Schaden meldete (»Der Stadt entstanden Kosten von 143.000«), behauptete die Frankfurter Neue Presse, »durch die Eigenmächtigkeit von Linda Reisch (wurden) fast 250.000 Steuergelder verplempert«. Letztlich setzte sich die Sicht- und Darstellungsweise der Skandalisierer durch und Reisch musste gehen. Eine besondere Form der Übertreibung ist die Aneinanderreihung tatsächlicher oder scheinbar ähnlicher Fehler und Verfehlungen, die einzeln betrachtet kaum Beachtung fänden, aber entsprechend zubereitet ein skandalträchtiges Schema bestätigen. Ein Beispiel ist die Skandalisierung von Wulff. In chronologischer Reihenfolge kann man 15 Hauptthemen seiner Skandalisierung unterscheiden: Hausfinanzierung, Geschäftsbeziehungen, Urlaubsaufenthalte, Buchfinanzierung, Reaktionen auf Vorwürfe, DiekmannAnruf, Nord-Süd-Dialog, Autos, Upgrades, Finanzierung Mitgliederzeitschrift, Anwaltstätigkeit, Glaeseker, Kleidung, Firmenförderung und kostenloses Handy. Die meisten dieser themenspezifisch zusammengefassten Vorwürfe bestanden ihrerseits aus Serien von Einzelvorwürfen – beim Hauptthema Hausfinanzierung ging es um einen Privatkredit von Edith Geerkens, ein Geldmarktdarlehen der BWBank, einen Privatkredit Egon Geerkens und ein Hypothekendarlehen der BW-Bank. Beim Hauptthema Urlaubsreisen ging es um Urlaube auf Mallorca 2010, in Florida 2009/2010, in Italien 2008, in Spanien 2003 und 2004, auf Norderney 2008 und 2009 sowie auf Sylt 2007 und 2008. Beim Hauptthema Autos ging es um einen Skoda, einen Audi Q3 und ein Bobby-Car.3 Vermutlich kann sich kaum noch jemand an alle Vorwürfe erinnern, die damals mosaikartig zum Bild eines Mannes zusammengefügt wurden, der charakterlich für sein Amt ungeeignet war. Vermutlich werden noch weniger wissen, welche Vorwürfe sich als substanziell erwiesen haben und welche nicht – falls sie das überhaupt erfahren haben. Eine effektive, weil suggestive Form der Dramatisierung sind schemagerechte Fotos und Filme. Ein Beispiel ist die stereotype Darstellung von Bischof Tebartz-van Elst aus der Froschperspektive möglichst im vollen Ornat mit segnenden Händen, geöffnetem Mund und aufgerissenen Augen.4 Zuweilen wird die suggestive Wirkung von Bildern durch Zeitlupen und Vergrößerungen gesteigert, so in einem Fernsehbericht über den orthoNitroanisol-Unfall bei der Hoechst AG. Mitunter werden tage- und wochenlang Angst bzw. Mitleid erregende Aufnahmen ohne Neuigkeitswert wiederholt, so bei der Berichterstattung der meisten deutschen Medien über Explosionen im Kernraftwerk bei Fukushima und bei der Berichterstattung von ARD und ZDF über Migranten, die zusammengedrängt in Schlauchbooten saßen oder vor Zäunen standen. Überblickt man die Dramatisierung zur Skandalisierung von Missständen, kann man sieben Typen erkennen: 1. Horror-Etiketten: Missstände oder Schäden werden mit extremen Begriffen bezeichnet (»Waldsterben«, »Giftregen«, »Schwarzer Regen«, »Killerbakterien«, »Katastrophe«, »Desaster«, »Super-GAU«, »Pandemie«, »dänische Killer-Wurst«). Dazu gehört zunehmend auch die irrführende, weil das reale Risiko ausklammernde, Verwendung des Begriffs »krebserregend«. 2. Verbrechens-Assoziationen: Normverletzungen werden als schwere Kriminalität oder als schwerere Verstöße gegen allgemeine ethische Grundsätze charakterisiert (»Lauschangriff«, »Verfassungsbruch«, »Wasserdiebstahl«, »Blutbad«, »Blutordensträger«, »Killer«, »Komaschläger«). 3. Schmähungen: Sie bilden bei politischen und kirchlichen Skandalen das Pendant zu den Horror-Etiketten und bei Industrie- und Umweltskandalen das Pendant zu den Verbrechensassoziationen (»Amigo«, »SalmonellenPate«, »Ekel-Bäcker«, »Protzbischof«, »wulffen«). 4. Katastrophen-Suggestionen: Mögliche Maximalschäden werden als aktuelle Gefahr präsentiert, ihre tatsächliche Unwahrscheinlichkeit ausgeblendet (BSE, Vogelgrippe, Schweinegrippe, Tschernobyl, Fukushima). 5. Katastrophen-Collagen: Missstände und Schäden werden in eine Reihe mit Extremfällen gestellt: »Nach dem unheimlichen Angriff der Aidsviren, des Rinderwahnsinns und der Schweinepest formieren sich nun die Killerbakterien zum finalen Schlag gegen die Menschheit« (Spiegel-TV, 29.05.1994).5 6. Serielle Skandalisierungen: Kleinere Normverletzungen, die kaum Beachtung finden würden, werden als Teil einer Serie von ähnlichen Fällen dargestellt, die den Eindruck eines großen Missstands hervorrufen, dessen Ursache im Charakter des Akteurs liegt (Krause: Raststätten-, Grundstücks-, Putzfrauen-, Umzugs-, Kneipen-Affäre; Biedenkopf: Gästehaus-, Koch-, Gärtner-, Putzfrauen-, Yacht-Affäre; Scharping: Pool- , Flugbereitschafts-, PR-Affäre).6 7. Optische Übertreibungen: Missstände, Schäden und Normverletzungen werden durch Fotos oder Filme als besonders schwerwiegend, gefährlich oder beängstigend dargestellt: die exzessive Darstellung von Schlachthofszenen bei der Skandalisierung von BSE. Gelegentlich werden Aufnahmen von Sachverhalten veröffentlicht, die ein Laie nicht interpretieren kann, jedoch Angst erregen: Bilder von Chinesen mit Mundschutz, dessen Effektivität höchst fragwürdig ist, bei der Skandalisierung von SARS. Die praktische Bedeutung skandalisierender Übertreibungen erkennt man gut anhand der Risikowahrnehmung: Die meisten Menschen überschätzen die tödliche Gefahr, die von selten auftretenden Risikofällen ausgeht. Der Grenzwert hierfür liegt etwa bei 1.000 Toten pro Jahr. Todesfälle, die seltener auftreten, werden überschätzt, Todesfälle, die häufiger auftreten, unterschätzt.7 So überschätzten in einem Experiment Studenten anhand eines neutralen Berichtes über angeblich neue BSE-Fälle in den USA und Kanada die Häufigkeit der BSE-infizierten Rinder in Deutschland um den Faktor 2.000. Diese generelle Fehlwahrnehmung wurde durch Übertreibungen noch erheblich vergrößert: Ein dramatisierender Bericht über neue Fälle in den USA und Kanada, der eine generelle Gefahr durch BSE suggerierte, steigerte die Fehlwahrnehmung auf mehr als das Doppelte.8 Ähnliche Fehlwahrnehmungen werden durch Darstellung atypischer Einzelfälle verursacht. Ein Beispiel ist die in einem Experiment getestete Wirkung von Berichten über Überfälle auf Autos (»carjacking«).9 In der Regel gehen diese Überfälle glimpflich aus, Todesfälle sind extrem selten. Enthielten Berichte über solche Überfälle aber Schilderungen von konkreten Fällen, überschätzten die Leser die Häufigkeit tödlicher Überfälle umso mehr, je brutaler die geschilderten Fälle waren – und zwar auch dann, wenn der Text korrekte Angaben zur tatsächlichen Häufigkeit tödlicher Fälle enthielt. Zudem hielten die Leser Extremfälle besonders häufig für typisch und betrachten Auto-Überfälle insgesamt häufiger als ein nationales Problem. Dadurch gewannen die individuellen Fehlurteile politische Relevanz. Die Dramatisierung von Risiken führte auch hier dazu, dass die Fehleinschätzungen noch größer wurden, als sie es ohnehin sind. Es handelt sich folglich bei den geschilderten Praktiken um grobe Irreführungen des Publikums. Was ist die Ursache von medialen Übertreibungen? Liegt es an einer allgemeinen Vorliebe von Journalisten für Übertreibungen? Das trifft, wie eine Befragung von Redakteuren bei Tageszeitungen im Winter 1998/1999 zeigt, nur bedingt zu.10 Basis ist folgende Sachdarstellung: »Journalisten stellen Probleme gelegentlich überspitzter dar, als sie nüchtern betrachtet sind. Halten Sie eine solche Darstellung für vertretbar oder nicht?« Ein Viertel der Redakteure (26 %) hielt überspitzte Darstellungen generell für akzeptabel. Dies ist eine bemerkenswerte Minderheit. Eine gewisse Bereitschaft zur Dramatisierung ist offensichtlich vorhanden; eine generelle Neigung zur Dramatisierung von Missständen lässt sich daraus jedoch nicht ableiten, zumal dieser Gruppe eine ähnlich große Minderheit (20 %) gegenüberstand, die Übertreibungen generell ablehnte. Für die meisten Redakteure (52 %) waren überspitzte Darstellungen nur »in Ausnahmefällen (…) vertretbar«. Welche »Ausnahmefälle« rechtfertigen Übertreibungen? Ihre Verwendung »als Stilmittel, zum Beispiel in Glossen« akzeptierte kaum ein Redakteur (2 %) als Grund. Ähnlich wenige waren der Meinung, die Möglichkeit zur »Diskussionsanregung« rechtfertige einen Verstoß gegen die Forderung nach objektiver Berichterstattung (5 %). »Die Zwänge des Wettbewerbs um Leser« nannten einige mehr. Allerdings war es nicht einmal ein Fünftel (18 %). Auch den »Reiz einer starken Geschichte«, den man durch eine Zuspitzung erreichen kann, ließ nur eine Minderheit (26 %) gelten. Ganz anders sieht es aus, wenn es um »die Beseitigung eines Missstandes« geht – und genau darum geht es bei einem Skandal. Das rechtfertigte nach Ansicht fast aller Journalisten (88 %), die nur in Ausnahmefällen Überspitzungen akzeptieren, übertriebene Darstellungen. Bei der Skandalisierung von Missständen hielt demnach nicht nur das Viertel der Redakteure Übertreibungen für vertretbar, das sie generell akzeptierte. Hinzu kamen jene, die Übertreibungen nur in Ausnahmefällen wie der Beseitigung eines Missstandes akzeptierten. Betrachtet man alle zusammen, hielten rund 70 Prozent der Redakteure bei Abonnementzeitungen Übertreibungen zur Beseitigung eines Missstandes für vertretbar. Der Anteil dieser Journalisten dürfte heute eher noch größer als kleiner sein. Aus der offensichtlich weitverbreiteten Billigung von Übertreibungen zur Beseitigung – und vermutlich auch der Vermeidung – von Missständen lassen sich drei Folgerungen ableiten: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Journalist einen Missstand übertreibt, ist generell groß, wenn er der Meinung ist, dass er ihn damit verhindern, vermindern oder beseitigen kann. Das Wissen eines Journalisten, dass die meisten seiner Kollegen eine übertriebene Darstellung billigen, fördert seine ohnehin vorhandene Bereitschaft zur Übertreibung zusätzlich. Der Journalist muss, falls sich seine übertriebene Darstellung als falsch erweist, nicht mit Kritik seiner Kollegen rechnen. Verschärft wird die Problematik durch einen weiteren Faktor – das Ausmaß der Missstände: Je schwerwiegender ein existierender oder drohender Missstand erscheint, desto eher erscheinen Übertreibungen im Interesse seiner Beseitigung oder Verhinderung akzeptabel. Deshalb geschehen die absurdesten Übertreibungen bei der Skandalisierung der vermeintlich größten Missstände – bei der Darstellung der Gefährdung der Bevölkerung im Umkreis der Hoechst-Werke durch ortho-Nitroanisol, der Bewohner im Nahen Osten durch brennende Ölquellen, der Patienten durch »Killerbakterien«, der deutschen Bevölkerung durch die Kernenergie usw. Die Akzeptanz von Übertreibungen im Journalismus hängt folglich auch davon ab, ob es den Wortführern eines Skandals gelingt, den Schaden möglichst groß erscheinen zu lassen. Je besser ihnen das gelingt, desto eher brechen die Dämme von ansonsten intakten Berufsnormen. Der Glaube an die Zulässigkeit von Übertreibungen hat eine manifeste und eine latente Ursache. Die manifeste Ursache ist der mit Übertreibungen verbundene moralische Anspruch: Es geht um die Bewahrung der Gesellschaft und einzelner Menschen vor Schäden aller Art. Die meisten Journalisten sind davon überzeugt, dass sie ein moralisches Verdienst daran haben, wenn ihre Berichte Missstände verhindern oder mindern. Die latente Ursache von Übertreibungen ist Eigennutz: Es geht um die Profilierung von Journalisten und um die Reichweite ihrer Medien. Beide Motive sind legitim, sofern die Übertreibungen nicht zulasten Dritter gehen. Genau das ist aber fragwürdig. Die Bereitschaft zur übertriebenen Darstellung und damit zur Skandalisierung von Missständen beruht nämlich auf einer Kette von impliziten Annahmen, über die sich die meisten Journalisten vermutlich nicht im Klaren sind. Der Missstand muss tatsächlich so groß sein, dass er eine übertriebene Darstellung rechtfertigt. Das ist oft nicht der Fall. Seine publizistische Übertreibung muss tatsächlich die beabsichtigten Folgen auslösen. Das ist oft nicht vorhersehbar. Die Folgen müssen allgemein als positiv gelten. Das trifft oft nicht zu, weil unterschiedliche Menschen unterschiedliche Interessen haben. Zudem darf die Übertreibung keine unbeabsichtigten negativen Nebenfolgen besitzen. Das ist aber häufig der Fall. Skandalisierende Übertreibungen verursachen ein breites Spektrum von negativen Nebenwirkungen. Dazu gehören die Irreführung des Publikums durch übertriebene Darstellung von Risiken – vor allem bei Arzneimittel- und Lebensmittelskandalen; die Verhaltenskonsequenzen solcher Irreführungen – darunter der Boykott von Lebensmitteln und die Nichteinnahme verschreibungspflich-tiger Medikamente (Non-Compliance); die gesundheitlichen Folgen und materiellen Kosten dieser Verhaltenskonsequenzen sowie fragwürdige politische und rechtliche Entscheidungen als Reaktionen auf übertriebene Hoffnungen, Ängste und Erwartungen des irregeführten Publikums. Zu den Nebenfolgen der Skandalisierung von Missständen gehören auch ihre problematischen Auswirkungen auf den Journalismus. Zwei Drittel der deutschen Journalisten äußerten 1989 auf die Frage, was »das Selbstverständnis und die Arbeitsweise von Journalisten … in der BRD in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren geändert« habe: »die Aufdeckung von Skandalen« wie die Flick-Affäre und die Affäre um die Neue Heimat. Je jünger die Journalisten waren, desto häufiger waren sie dieser Meinung.11 Eine Schlüsselstellung hatte die »Spiegel-Affäre«: Von den Journalisten, die die Verhaftung von Rudolf Augstein miterlebt und den Rücktritt von Franz Josef Strauß verfolgt hatten, war ein gutes Drittel der Ansicht, dass diese Auseinandersetzung das Selbstverständnis und die Arbeitsweise der deutschen Journalisten geprägt hat. Von ihren jüngeren Kollegen, die schon aufgrund ihres Alters den aktuellen Bericht des Spiegels über das NATOManöver »Fallex 62« nicht lesen konnten und die das Geschehen nur aus den Berichten anderer kannten, waren es mehr als die Hälfte: Die Schilderungen vor allem von Kollegen haben aus einem bedeutenden Ereignis einen journalistischen Mythos gemacht, der ein Eigenleben führt. Der Einfluss der Skandalisierung des Spiegels durch die Bundesregierung und der Skandalisierung der Bundesregierung durch den Spiegel, der Einfluss dieser wechselseitigen Skandalisierungen also, auf die nachwachsende Journalistengeneration dürfte ein Sonderfall, jedoch kein Einzelfall sein. Geht man von der plausiblen Vermutung aus, dass auch spätere Skandale – der Flick-Skandal, der Neue Heimat-Skandal usw. – das Selbstverständnis der aktuellen und zukünftigen Kollegen geprägt haben, kann man folgern, dass vergangene Skandale die Zukunft des Journalismus prägten und prägen. Eine Folge ist die zunehmende Skandalisierung von Missständen, die viele Journalisten als Erfolg und Fortschritt betrachten. Diese skizzierte Entwicklung hat Konsequenzen, die weit über den Journalismus hinausreichen: Wenn die Chancen steigen, durch die Skandalisierung anderer die eigenen Ziele zu erreichen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit derartiger Versuche. Seit den späten 1960er-Jahren wächst infolge der zunehmenden Skandalisierung von Politikern durch die Medien die Neigung von Politikern zur Skandalisierung von Konkurrenten. Einen Vorgeschmack lieferte 1973 die öffentliche Demontage Willy Brandts durch Herbert Wehner, die den Weg für die Skandalisierung seiner Frauenaffären bahnte. Einen ersten Höhepunkt bildete 1987 die Skandalisierung von Barschel, die mit seinem Tod endete.12 Es folgte 1999/2000 die Skandalisierung von Kohl wegen der Annahme und NichtDeklarierung von Spenden, die von CDU-Politikern wie Geißler und Merkel angeheizt wurde. Die vorläufigen Höhepunkte bildeten 2011/12 und 2012/13 die Skandalisierungen von Wulff, eine Eigenleistung der Medien, sowie von Tebartz-van Elst, eine Kollektivleistung innerkirchlicher Kritiker und gleichgesinnter Medien. Die erwähnten Fälle sind allerdings nur die Spitze eines Eisbergs, weil die Skandalisierung der Gegner in vielen Bereichen, darunter die Landes- und Regionalpolitik sowie die Wirtschaft und Wissenschaft, inzwischen zu den erfolgversprechenden Mitteln des Konkurrenz- und Machtkampfs gehört. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Vgl. dazu Berger, Charles R.: Making it worse than it is. Vgl. Schraewer, Claudia: Rhetorische Mittel bei der Skandalisierung von Linda Reisch. Vgl. Smajlovic, Mina: Die Skandalisierung bei Christian Wulff, S. 54–62. Vgl. Kettmann, Otto: Limburg 2013, S. 85-90. Siehe dazu auch von Sikorsky, Christian / Ludwig, Mark: Zur Relevanz und Wirkung visueller Skandalberichterstattung. Vgl. Kalt, Gero / Hanfeld, Michael (Hg.): Schlecht informiert. Wie Medien die Wirklichkeit verzerren. Aktuelle Beispiele sind die Skandalisierungen von Wulff, Tebartz-van Elst oder Steinbrück. Vgl. Lichtenstein, Sarah / Slovic, Paul / Fischhoff, Baruch / Layman, Mark / Combs, Barbara: Judged Frequency of Lethal Events. Vgl. Effgen, Thorsten: Der Einfluss von Frames auf die Einschätzung von BSE-Risiken. Vgl. Gibson, Rhonda / Zillmann, Dolf: Exaggerated Versus Representative Exemplification in News Reports; siehe hierzu auch von Sikorski, Christian / Ludwig, Mark: Visual Framing in der Skandalberichterstattung. Vgl. zum Folgenden Kepplinger, Hans Mathias: Journalismus als Beruf, S. 163–176. Vgl. Ehmig, Simone C.: Generationswechsel im deutschen Journalismus, S. 205–216. Vgl. Zons, Achim: Das Denkmal. 6. Koorientierung und Konsens Die Angehörigen aller Berufe orientieren sich in beruflichen Angelegenheiten vor allem an ihren Kollegen. Das machen Apotheker, Ärzte, Architekten und natürlich auch Journalisten. In keinem Beruf ist aber die Kollegenorientierung ein derart wichtiger Teil der Berufsroutine wie im Journalismus. Hörfunkmitarbeiter lesen am frühen Morgen Zeitungen, um passende Beiträge für Wort- und Musiksendungen zu finden; Zeitungsredakteure verfolgen von morgens bis abends Hörfunknachrichten; Fernsehjournalisten orientieren sich an der Einordnung des Geschehens durch die Leitartikel von Tageszeitungen – und alle verfolgen nahezu permanent, welche aktuellen Meldungen gerade im Internet aufkommen: Über ein Drittel (35 %) der oft in leitenden Positionen tätigen Journalisten erklärte 2014 bei einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach, die sozialen Medien würden bei der Diskussion über die Themenwahl eine große oder sehr große Rolle spielen. Allerdings deuten erste Untersuchungen darauf hin, dass die Online-Portale der traditionellen Medien, darunter Spiegel Online, ZDF.de, Sueddeutsche.de usw. – die mit Abstand größte Meinungsrelevanz besitzen.1 Die intensive Koorientierung der Journalisten dient mehreren Zwecken – der Suche nach Themen, der eigenen Recherche, der Bewertung eigener Beiträge durch den Vergleich mit Publikationen anderer Medien usw.2 Besonders wichtig ist bei der Bewertung der eigenen Berichterstattung der Blick auf ähnliche Medien: Redakteure überregionaler Zeitungen orientieren sich vor allem an der überregionalen Presse, Redakteure regionaler Zeitungen an der Regionalpresse, Radiojournalisten an Radiosendungen, Fernsehjournalisten an Fernsehsendungen. Ursachen und Folgen sind gattungsspezifische Eigenarten. Trotz der Orientierung der meisten Journalisten an der eigenen Mediengattung existieren gattungsübergreifende Hierarchien mit Schlüsselmedien und Schlüsselfiguren. An der Spitze stehen die überregionalen Abonnementzeitungen, wobei die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor allem bei den gemäßigt rechten und die Süddeutsche Zeitung vor allem bei den gemäßigt linken Journalisten als Leitmedien fungieren. Zudem spielen Spiegel und Zeit bei den eher linken Journalisten eine große Rolle. Für die Hörfunk- und Fernsehjournalisten sind Boulevardmedien wichtige Bezugsgrößen. Diese Schlüsselmedien sind bei Skandalen besonders dann einflussreich, wenn sie – wie Spiegel, Bild und Frankfurter Allgemeine Zeitung im Fall von Wulff und im Fall von Tebartz-van Elst – an einem Strang ziehen: Ihr gemeinsamer Tenor verleiht ihnen zusätzliche Glaubwürdigkeit und fördert in unterschiedlichen Teilen der Medien und der Gesellschaft ähnliche Sichtweisen. Aus der Skandalisierung eines Missstands durch fast alle Medien lässt sich nicht folgern, dass alle Journalisten und Medien ihn in gleicher Weise skandalisieren. Bei jedem Skandal gibt es im Journalismus wenige Wortführer, einige Mitläufer, viele Chronisten und kaum Skeptiker. Die Wortführer recherchieren meist intensiv, bevor sie einen Fall publik machen. Sie haben gute Kontakte zu Informanten, verfügen über Hintergrundinformationen und ausgezeichnete Detailkenntnisse. Ab einem bestimmten Punkt sind sie von der Wahrheit ihrer Sichtweise fest überzeugt. Sie glauben an die Schuld des Skandalisierten, interpretieren ihre Informationen dementsprechend, betrachten Zweifel an ihrer Darstellung als Vertuschungsversuch und revidieren ihre Sichtweise meist auch dann nicht, wenn sie sich als falsch erweist. Im Zweifelsfall haben sich die Gutachter geirrt, die Zeugen gelogen, die Gerichte falsch entschieden, oder die Skandalisierten sind selbst schuld, weil sie sich falsch verteidigt haben. Nach dieser Logik haben bei der Treibjagd nicht die Jäger den Hasen abgeschossen, sondern der Hase hat sich selbst umgebracht, weil er dummerweise in die falsche Richtung gesprungen ist. Bei den Wortführern der Skandalisierung von Missständen handelt es sich meist nur um drei bis fünf Journalisten. Die Skandalisierung von MüllerMilch im Jahr 1991 wurde von zwei Journalisten vorangetrieben: Klaus Wittmann, der für mehrere Blätter schrieb, und Andreas Roß von der Süddeutschen Zeitung. Die Wortführer der Skandalisierung von Lothar Späth waren drei Journalisten: Benno Bertsch und Martin Born vom Südwestfunk sowie Hans Leyendecker, der damals beim Spiegel tätig war und jetzt für die Süddeutsche Zeitung schreibt.3 Die Wortführer der Skandalisierung von Peter Gauweiler im Münchner Oberbürgermeister-Wahlkampf (»Kanzlei-Affäre«) waren ebenfalls drei Journalisten: Ulrike Heidenreich von der Abendzeitung sowie Michael Stiller und Sven Loerzer von der Süddeutschen Zeitung.4 Bei sehr großen Skandalen wie dem CDU-Spendenskandal oder der Skandalisierung von Wulff treiben mehr Wortführer den Fall voran, aber auch dann sind es allenfalls fünf bis zehn Journalisten. Der Erfolg oder Misserfolg der journalistischen Wortführer hängt von den Mitläufern und Chronisten ab. »Wir sind darauf angewiesen«, so Georg Mascolo, der wesentlichen Anteil an der Skandalisierung der CDU-Finanzen hatte, »dass sich Kollegen unterhaken, dass auch andere sagen: Da müssen wir weitermachen«.5 Nur wenn hinreichend viele Kollegen die Vorgaben der Wortführer aufgreifen, wird aus einem Skandalisierungsversuch ein Skandal. Diese Erfahrung hatte Mascolo im CDU-Spendenskandal selbst gemacht: Er hatte am 19. Juli 1999 – dreieinhalb Monate bevor die Berichte über die »Koffer-Million« an Walter Leisler Kiep Empörung über das Finanzgebaren der CDU auslösten – im Spiegel ohne erkennbare Resonanz über den gleichen Sachverhalt berichtet. Dort hieß es bereits damals, Leisler Kiep habe von Karlheinz Schreiber »eine Million Mark … bekommen«. Einige Wochen später schrieb er an gleicher Stelle, Leisler Kiep habe von Schreiber »eine Million Mark kassiert«. Einen Skandal entfachte beides nicht, weil andere Medien das Thema nicht aufgriffen. Was fehlte, war nicht das Wissen über den Sachverhalt, sondern der mafiöse Aufhänger – der Koffer, der Parkplatz, die Million in bar und der Haftbefehl gegen Leisler Kiep. Bei den Mitläufern handelt es sich um Journalisten, die meist keine eigenständigen Recherchen vor Ort betreiben. Sie stützen sich auf ihre kundigen Kollegen und reichern bekannte Tatsachen mit marginalen Details oder passenden Spekulationen an. Das trifft sogar auf sensationelle Fälle wie den vermeintlichen Mord in Sebnitz zu. Als am 23. November 2000 zahlreiche Zeitungs-, Radio- und Fernsehreporter in die sächsische Kleinstadt strömten, wurde die dortige Lokalredaktion der Sächsischen Zeitung innerhalb von zwei Tagen von mehr als 50 »Ersuchen nach Interviews, Informationsgesprächen, Fotos oder Kopien früherer Artikel« überschwemmt. Ein weiteres Ziel war das Dresdner Archiv der Zeitung. Allerdings kamen »von den vielen Dutzend Journalisten, die die Sebnitzer Redaktion um Hilfe baten, lediglich drei in die Landeshauptstadt …, um selbst zu recherchieren. Neun ließen sich Informationen zufaxen«.6 Eine Variante der Mitläufer sind Trittbrettfahrer, die sich selbst und ihre Anliegen ins Gespräch bringen wollen. Beispiele sind Alice Schwarzer und Heiner Geißler, die im Januar 2013 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und auf n-tv versuchten, die Skandalisierung von Brüderle wegen einer anzüglichen Bemerkung zu einer Journalistin in eine allgemeine Gender-Debatte umzumünzen. Damit hatten sie zwar keinen Erfolg, trugen aber zur Rufschädigung Brüderles bei. Neuere Beispiele sind die Deutsche Umwelthilfe und der Verkehrsclub Deutschland, die den VW-Abgasskandal für ihre Zwecke nutzten und mit mäßigem Erfolg mehrere andere Autohersteller verdächtigten. Weil der Erfolg der Wortführer vom Engagement der Kollegen abhängt, gibt es bei vielen Skandalen Absprachen zwischen den Wortführern untereinander sowie zwischen ihnen und Mitläufern. So spielten sich z. B. bei der Skandalisierung von Späth die Mitarbeiter des Spiegels und des Südwestfunks gegenseitig die Bälle zu. »Den längsten Kontakt gab es«, wie der SWF-Redakteur Born später berichtete, »in der letzten Woche vor dem Rücktritt. Am Samstag vor dem Rücktritt haben wir einen großen Beitrag gemacht, worin nicht nur unsere zusätzlichen Recherchen, sondern auch die Recherchen des Spiegels, die dann am Montag erscheinen sollten, mit verarbeitet waren. Wir hatten Freitagnacht noch lange mit den SpiegelKollegen gesprochen und denen unsere Beiträge geliefert«.7 Solche Absprachen funktionieren jedoch nicht immer. Wie die Frankfurter Rundschau später berichtete, hatte der Verfasser des ersten Spiegel-Artikels über die geheimen Konten der CDU »Kollegen anderer Druckerzeugnisse (beschworen), sich mit in die heikle Geschichte einzuklinken«.8 Er hatte damit keinen Erfolg und folglich scheiterte der damalige Skandalisierungsversuch. Absprachen sind normalerweise nur dann zielführend, wenn sie nicht bekannt werden. Deshalb dürften sie wesentlich häufiger sein als die Öffentlichkeit vermutet. Eine bedeutende Ausnahme und möglicherweise der Auftakt für eine neue Skandalisierungspraxis war am 3. April die sorgfältige geplante, gleichzeitige Berichterstattung zahlreicher Medien über die Panama Papers mit Informationen über angeblich 214.488 Briefkastenfirmen. In Deutschland waren daran die ARD und die Süddeutsche Zeitung beteiligt, die ARD mit mehreren Sendungen, darunter die Tagesschau und Anne Will. Auch in diesem Fall war, wie Anne Will am Beginn ihrer Sendung stolz bemerkte, strengste Geheimhaltung angesagt, aber nur bis zum spektakulären Start. Die Aktion ist auch deshalb bemerkenswert, weil die angesprochenen Medien im Unterschied zu den üblichen SkandalisierungsOuvertüren keine konkreten Verfehlungen anprangerten, sondern nur generelle Verdächtigungen gegen überwiegend unbekannte Personen und Organisationen verbreiteten. Es handelte sich folglich um eine bislang einzigartige PR-Aktion, die Interesse für das wecken sollte, was noch kommen würde. Neben den Mitläufern finden sich zahlreiche Chronisten, die selbst keine Wertungen einbringen, aber durch ihre Berichte über die Vorwürfe anderer der Skandalisierung Glaubwürdigkeit und Gewicht verleihen. Dabei engagieren sich meist einige Journalisten besonders eifrig. So stammte bei der Skandalisierung der bereits erwähnten Störfälle und Betriebsstörungen der Hoechst AG mehr als die Hälfte von 656 namentlich gekennzeichneten Beiträgen von 14 Journalisten. Der aktivste Autor hatte 75 Beiträge verfasst; zwei weitere 40 bzw. 34.9 Bei der Skandalisierung von Müller-Milch stammte die Hälfte von 116 namentlich gekennzeichneten Beiträgen von sechs Journalisten – den beiden Wortführern und vier Kollegen.10 Bei der Skandalisierung von Gauweiler während des Münchner OberbürgermeisterWahlkampfs stammte die Hälfte der 56 Artikel zur Kanzlei-Affäre von vier Journalisten, darunter die drei Wortführer.11 Bei nahezu allen Skandalen gibt es im Journalismus Skeptiker, die den allgemein verbreiteten Sichtweisen misstrauen, diese mit Argumenten und Fakten infrage stellen und nicht konforme Informationen neutral präsentieren. Deshalb kann man sich, eine breit gestreute Medienauswahl vorausgesetzt, fast immer dem Meinungsduck der Masse der Medien entziehen und eine relativ eigenständige Meinung bilden. Das trifft vor allem auf die Berichterstattung von Qualitätszeitungen zu, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Neue Züricher Zeitung und die Süddeutsche Zeitung. Beispiele finden sich jedoch auch in der Regionalpresse. So veröffentlichte das Flensburger Tageblatt (15.06.1995) auf dem Höhepunkt der Erregung über die geplante Versenkung der Brent Spar einen nüchternen und informativen Beitrag über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen. Und als ein Großteil der Medien eine Spiegel-Meldung über die angeblich falschen Angaben von Kohl auch noch zusätzlich dramatisierte, veröffentlichte der Trierische Volksfreund (07.06.2000) eine distanzierte Darstellung, die verschiedene Deutungen zuließ. Bei den Skeptikern handelt es sich allerdings nur um eine verschwindend kleine Minderheit, die innerhalb und außerhalb des Journalismus kaum Gehör findet. In seltenen Fällen werden auch ursprüngliche Wortführer zu Skeptikern, so bei der Skandalisierung von Wulff mehrere Redakteure der Süddeutschen Zeitung. Die Ausbreitung einer skandalisierenden Sichtweise gleicht formal der Etablierung von Schemata, besitzt aber andere Ursachen. Gruppenspezifische Schemata entstehen in Situationen ohne sachliche Urteilsgrundlage durch die wechselseitige Orientierung von Gruppenmitgliedern an dominanten Figuren, deren Realitätssicht sie mehr oder weniger bewusst und freiwillig übernehmen. Auch bei der Skandalisierung von Missständen fehlen oft wichtige Informationen, und deshalb folgt die Etablierung von Schemata den gleichen Mechanismen. Bei der Verbreitung der Skandalschemata in den Medien spielt jedoch ein weiterer Faktor eine wichtige Rolle – der Gruppendruck durch die schnell wachsende Zahl der Mitläufer und Chronisten. Hier geht es nicht nur um die Übernahme einer bestimmten Realitätssicht aus Mangel an Informationen, sondern auch um die Vermeidung der eigenen Isolation in einer bedeutsam erscheinenden Kontroverse. Dieses Bedürfnis besteht sogar dann, wenn hinreichende Informationen für die eigene Urteilsbildung vorliegen. Sie werden aber im Zweifelsfall nicht genutzt oder umgedeutet. Eine wesentliche Ursache der Ausbreitung skandalträchtiger Sichtweisen ist deshalb nicht kognitiver, sondern sozialer Art. Den Einfluss dieser Faktoren hat der Sozialpsychologe Solomon Asch mit einer Serie von Experimenten nachgewiesen.12 Asch ließ mehrere Personen in einer Gruppe nacheinander die Länge einer Linie mit der Länge mehrerer anderer Linien vergleichen. Eine der Linien entsprach unverkennbar der Vergleichslinie, die restlichen unterschieden sich davon deutlich. Die Betrachter teilten ihre Urteile nacheinander laut mit. Die eigentliche Testperson urteilte als Letzte; alle anderen waren Mitarbeiter von Asch, die übereinstimmend eine offensichtlich falsche Linie nannten. Dadurch sah sich die Testperson einer homogenen Mehrheit ausgesetzt, deren Urteil der eigenen Wahrnehmung widersprach. Obwohl das Urteil der Mehrheit offensichtlich falsch war, schlossen sich ihm drei Viertel der Testpersonen zumindest gelegentlich an. Ein Drittel folgte ihm in mehr als der Hälfte der Urteile. Derselbe Mechanismus liegt, wie Elisabeth Noelle-Neumann mit repräsentativen Umfragen gezeigt hat, der Entstehung der öffentlichen Meinung zugrunde: Bei öffentlichen Kontroversen über moralisch geladene Themen verfällt die Minderheit in Schweigen oder passt sich der Mehrheitsmeinung an, weil sie die Isolation durch die Mehrheit fürchtet.13 Die Etablierung und Ausbreitung von skandalträchtigen Schemata in den Medien ist in spätestens zwei oder drei Wochen abgeschlossen, oft jedoch schon früher. Das betrifft, wie die Skandalisierungen von zu Guttenberg und Wulff anschaulich belegen, sowohl die Gewichtung der Themen als auch die Bewertung des Geschehens. Beide Skandale zeigen darüber hinaus, dass die Geschwindigkeit der Schemabildung und ihr Wirkungspotenzial von der Evidenz der Vorwürfe weitgehend unabhängig sind: Im Fall zu Guttenberg waren die Fakten nach wenigen Tagen eindeutig, strittig war allenfalls ihre Interpretation. Im Fall Wulff war dagegen die Faktenlage auch nach seinem Rücktritt noch höchst fragwürdig. Eine wichtige Ursache des schnellen Konsens in der wertenden Berichterstattung bei Skandalen ist die ohnehin starke Koorientierung im Journalismus: Die zu Beginn noch unterschiedlichen Urteile verschiedener Journalisten und Medien gleichen sich innerhalb weniger Tage einander an und treffen sich im negativen Bereich.14 Sobald dieser Zustand eingetreten ist, ist die Skandalisierung gelungen. Dann kann der Protagonist nur noch hoffen, dass seine Skandalisierung von wichtigeren Themen verdrängt wird oder den treibenden Medien der Stoff ausgeht. Ein Beispiel für den ersten Fall ist die Berichterstattung über die Reaktorkatastrophe bei Tschernobyl, die den gerade angelaufenen Skandal über das »Celler Loch« – den fingierten Ausbruch eines auf die RAF angesetzten V-Mannes aus dem Gefängnis in Celle – aus den Medien verdrängte. Beispiele für den zweiten Fall sind die skandalisierenden Berichte über tödliche Nebenwirkungen von Vioxx und Pradaxa, die sich aus Mangel an zusätzlichen Angriffspunkten innerhalb weniger Tage totliefen. Eine Folge der Kollegenorientierung und der Absprachen zwischen Journalisten ist ein hohes Maß an Selbstreferenzialität der Medien: sie berichten, was andere Medien berichten. Deshalb schaukeln sich die Darstellungen schnell wechselseitig hoch, wobei auch jene Teile des Journalismus mitspielen, die nicht zu den Wortführern gehören. Ein komplexes aber anschauliches Beispiel ist die Geschichte einer Nachricht zu Beginn des CDU-Spendenskandals. Am 4. Dezember 1999 berichtete das ZDF in der Sendung heute über die Entlassung von Hans Terlinden, Leiter der CDU-Hauptabteilung 1, der das Protokoll der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung des Steuerprüfers der CDU, Weyrauch, an Kohl statt an den Parteivorsitzenden Schäuble gegeben hatte. In diesem Zusammenhang zoomte der Kameramann auf eine Zeitung mit der Schlagzeile »Politiker ruinieren ihren Ruf« und kommentierte dadurch die eigene Nachricht. Am 6. Dezember 1999 berichtete heute über eine Strafanzeige gegen Kohl und präsentierte die Schlagzeile der aktuellen Ausgabe von Bild: »Die schwarzen Kassen der CDU. Kohl: Das Geheimpapier«. Gemeint war das erwähnte Protokoll, das Bild – neben einer umfangreichen Rechtfertigung – nahezu vollständig abgedruckt hatte. Erneut lieferte eine andere Quelle den Kommentar zu einer Nachricht in einer Sendung, die keine Kommentare enthält. Die an sich schon bemerkenswerte Vernetzung hatte einen ebenso bemerkenswerten Hintergrund.15 Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung, der das Protokoll ebenfalls besaß, hatte Bild den Vortritt gelassen, weil sein Blatt den Text nicht gedruckt hätte, er Bild aber zitieren konnte. Am nächsten Tag brachte Bild ein freundliches Porträt Leyendeckers. Einen weiteren Tag später verteidigte Leyendecker Bild gegen den Vorwurf, »mit der Veröffentlichung des Protokolls gesetzwidrig gehandelt zu haben«. Im Hintergrund der aktuellen Berichterstattung existierte demnach ein Netzwerk aus Redakteuren von Bild, Süddeutscher Zeitung und heute, die sich gegenseitig in Stellung brachten. Das alles erfuhren die Zuschauer von heute nicht. Dafür wurden sie über ein Vernehmungsprotokoll informiert, das die heute-Redaktion vermutlich genauso wenig veröffentlicht hätte wie die Süddeutsche Zeitung. Zudem bekamen die Zuschauer der Fernsehnachrichten die kommentierenden Schlagzeilen eines Blattes geliefert, das viele von ihnen vermutlich nicht lasen und nicht schätzten. Die Experimente von Asch zeigen, dass die Konfrontation von Außenseitern mit einer homogenen Mehrheit nicht nur eine Ursache ihrer Selbstzweifel und ihrer Anpassungsbereitschaft ist, sondern auch eine Quelle des Macht- und Überlegenheitsgefühls der Mehrheit. Falls eine Mehrheit von echten Testpersonen mit einem Mitarbeiter Aschs zusammen war, der offensichtlich falsch urteilte, amüsierte sich die Mehrheit über den Außenseiter – den instruierten Mitarbeiter Aschs – und behandelte ihn mit Geringschätzung. Meist reagierte sie angesichts des drolligen Einzelgängers mit ansteckendem Gelächter. Offensichtlich waren sich die Mitglieder der Mehrheit nicht im Klaren darüber, dass sie das erheiternde Gefühl der Überlegenheit ihrer homogenen Mehrheit und nicht ihrer Einsicht verdankten, und dass sie sich als isolierte Einzelne auch dann anders verhalten würden, wenn sie recht hätten. So wich die spöttische Überlegenheit der Mehrheit schon dann einer respektvollen Distanz, wenn sie sich einer kleinen Minderheit von drei Andersdenkenden gegenübersah.16 Der skizzierte Machtmechanismus lag im Mai 2001 dem Verlauf einer Pressekonferenz des sächsischen Finanzministers Thomas de Maizière anlässlich der Skandalisierung von Kurt Biedenkopf zugrunde. Nach wochenlangen Berichten über die private Nutzung von Personal des Freistaats Sachsen und über den geringen Mietpreis für eine Villa des Landes legte de Maizière eine detaillierte Gegenrechnung vor. Sie führte nicht, wie man von Journalisten erwarten könnte, zu einer Diskussion der sachlichen Grundlagen der Anschuldigungen, sondern sorgte »in der Pressekonferenz für ungläubiges Staunen und Gelächter«, das Biedenkopf stigmatisierte und – wie es in einem Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (31.05.2000) hieß – seinen Finanzminister »beschämte und beschädigte«. Auch hier lag die Ursache des höhnischen Überlegenheitsgefühls nicht in der Sachkenntnis, an deren Vertiefung offensichtlich niemand Interesse hatte, sondern in der Selbstgewissheit der Mehrheit, die die Pfennigfuchserei de Maizières lächerlich fand. Bei Skandalen ist das ein wiederkehrendes Verhaltensmuster. So veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (10.10.2013) auf dem Höhepunkt der Skandalisierung von Tebartz-van Elst eine Karikatur, die unter dem »Domberg zu Limburg« eine »Weihwasserwiederaufbereitungsanlage« in Form eines Schwimmbeckens, eine »Falschgeldwerkstatt zur Finanzierung des Ganzen« sowie einen »Durchstich zur Hölle« zeigte. Die Nassauische Neue Presse dokumentierte auf der dafür eigens eingerichteten Internetseite »Bischof als Witzfigur« zahlreiche Geistesblitze. So erfuhr der geneigte Nutzer z. B., dass der Radiosender 1 Live Tebartz-van Elst in Anspielung auf den Spitznamen von Nicolas Sarkozy als »Bling-Bling-Bischof« bezeichnet hatte.17 Bei der Skandalisierung von Wulff fanden es einige Moderatoren von Radiosendungen lustig, anrüchige Verhaltensweisen Dritter mit kennerhaftem Unterton als »wulffen« zu bezeichnen. In der Welt am Sonntag (18.12.2011) schrieb Hans Zippert in einer Satire auf Wulffs bevorstehende Weihnachtsansprache in der Ich-Form, er sei im Urlaub auf Mallorca mit seiner Gattin »schutzlos der Sonne ausgeliefert (…) auf der Suche nach einem einfachen Quartier für eine Nacht (umhergeirrt)«. Er fuhr fort: »Ich war damals ein einfacher Bundespräsident aus kreditbelastetem Hause, mein Weib aber war frisch tätowiert. Wir aber gaben die Hoffnung nicht auf, und es war eben der Engel des Herrn und nicht der von Engels & Völkers, der uns schließlich zu der bescheidenen Protzvilla von Carsten Maschmeyer führte, in der dieser auch den Geringsten unter seinen Freunden gerne Obdach bietet.« An dem Tag, an dem Bild (08.02.2012) den Sylt-Urlaub des Ehepaars Wulff mit Groenewold skandalisierte und damit das Ende von Wulffs Amtszeit einläutete, veröffentlichte Kohler in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Anspielung auf die fiktive Insel Lummerland im Kinderbuch von Michael Ende ein gleichnamiges Spottgedicht, das mit den folgenden Zeilen endet: »Eine Insel mit zwei Freunden gab es auch noch anderswo, / nirgends blieb man sich was schuldig, gell, das regeln wir dann so. / Unter Freunden tut’s auch Bares, wer braucht da denn viel Tamtam, / besser noch man weiß erst gar nichts, denn dann bleibt man / Unschuldslamm.« Knapp eine Woche darauf erließ das Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung, die der Axel Springer AG die Verbreitung von acht zentralen Behauptungen in dem erwähnten Bild-Artikel über Wulffs Sylt-Urlaub untersagte.18 Der Artikel war eine Grundlage des Anfangsverdachts einer Vorteilsannahme und des Antrags zur Aufhebung der Immunität Wulffs. Die Deutsche Presseagentur erhielt eine Kopie der einstweiligen Verfügung, verbreitete sie aber mit einer fragwürdigen Begründung nicht. Vier Monate später, Wulff war längst nicht mehr im Amt, erkannte die Axel Springer AG die einstweilige Verfügung als rechtskräftig an. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 Vgl. Gennis, Martin /Gundlach, Hardy: Wer sind die Gatekeeper der Konvergenzmedien? Vgl. Reinemann, Carsten: Medienmacher als Mediennutzer, S. 141–247. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Am Pranger. Der Fall Späth und Stolpe. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Eps, Peter / Augustin, Dirk: Skandal im Wahlbezirk, S. 305–326. Vgl. Ruß-Mohl, Stephan: Scheinheilige Aufklärer. Vgl. Mükke, Lutz: Eine Welle der Entrüstung. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Am Pranger. Zitiert nach Spiegel, 06.03.2000. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Hartung, Uwe: Störfallfieber. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Hartung, Uwe: Am Pranger. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Eps, Peter / Augustin, Dirk: Skandal im Wahlbezirk, S. 11. Vgl. Asch, Solomon: Änderung und Verzerrung von Urteilen durch Gruppendruck. Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung. Vgl. Eps, Peter / Hartung, Uwe / Dahlem, Stefan: Von der Anprangerung zum Skandal. Vgl. Berliner Zeitung, 21.12.1999. Vgl. Asch, Solomon: Änderung und Verzerrung von Urteilen durch Gruppendruck. Vgl. http://www.nnp.de/lokales/limburg_und_umgebung/Bischof-als-Witzfigur;art680,659371 [Zugriff: 28.05.2015]. 18 Vgl. Wulff, Christian: Ganz oben. Ganz unten, S. 218. 7. Zweck und Mittel Das Verhältnis von Ereignissen, Medienberichten und Medienwirkungen betrachten wir üblicherweise als Kausalkette: Ereignisse sind die Ursachen von Berichten und Berichte sind die Ursachen von Wirkungen. Dazu gehören Einstellungen, Meinungen, Emotionen und Verhaltensweisen. So einfach ist es nicht, weil dabei noch andere Faktoren eine Rolle spielen, aber im Kern trifft es auf die Masse der Routinemeldungen zu. Bei der Berichterstattung über moralisch geladene Themen – Krisen, Konflikte, Skandale usw. – liegen die Dinge aber anders. Hier sind die Ereignisse oft keine Ursachen, und die Berichte sind keine Folgen. Die Berichte sind vielmehr Mittel zum Zweck – zur Illustration und Untermauerung einer bestimmten Sichtweise, zur Stärkung oder Schwächung eines Akteurs, zur Beeinflussung der Bevölkerungsmeinung usw. Die Berichterstattung beruht in solchen Fällen auf einer instrumentellen Aktualisierung: Ereignisse werden gezielt hochoder heruntergespielt, um Wirkungen zu erzielen bzw. zu vermeiden.1 Durch die instrumentelle Aktualisierung ändern sich – von den Lesern, Hörern und Zuschauern unbemerkt – die Beziehung zwischen Bericht und Berichtsgegenstand sowie die Funktion der Journalisten: Aus einer UrsacheWirkungs-Beziehung wird eine Zweck-Mittel-Beziehung und aus Chronisten werden Akteure, die gezielt in das Geschehen eingreifen, um seinen weiteren Verlauf mitzugestalten. Die instrumentelle Aktualisierung von Informationen erscheint zahlreichen Journalisten legitim. So billigte 1984 fast die Hälfte der befragten Journalisten (45 %) bei der Berichterstattung über Konflikte mehr oder weniger entschieden das bewusste Hochspielen von Informationen, die die Sichtweise der Berichterstatter stützen. Mit dieser Meinung stehen Journalisten nicht alleine: drei Jahre später billigte über ein Drittel der Rundfunk- und Fernsehräte (37 %), mehr oder weniger entschieden das bewusste Hochspielen von Informationen durch Journalisten. Die Rundfunkund Fernsehräte sollen bekanntlich eine neutrale Berichterstattung sichern. Da ein Drittel von ihnen Verstöße dagegen mehr oder weniger billigt, ist die Sicherung einer neutralen Berichterstattung für die Räte eine vermutlich schwierige Aufgabe. Eine Variante der instrumentellen Aktualisierung ist die bewusste Übertreibung von Missständen mit dem Ziel, bestimmte Wirkungen zu erzielen. Mehr als zwei Drittel der Redakteure von Abonnementzeitungen fanden es – wie bereits gezeigt wurde – 1998/1999 akzeptabel, wenn Kollegen Missstände übertreiben, um sie dadurch zu beseitigen. Die praktische Bedeutung der instrumentellen Aktualisierung als Mittel zur Skandalisierung wird durch mehrere quantitative Inhaltsanalysen der Berichterstattung deutlich. In Deutschland publizierten seit den 1970erJahren Zeitungen, deren Journalisten sich in Meinungsbeiträgen überwiegend für die Kernenergie aussprachen, vor allem positive Expertenurteile, während Zeitungen, deren Journalisten sich überwiegend dagegen aussprachen, genau umgekehrt verfuhren. In dem Maße, indem sich negative Urteile der Journalisten im Laufe der Zeit häuften, wurde die Berichterstattung über die Kernenergie negativer. Diesem Trend folgend skandalisierten sie im Gegensatz zu französischen Journalisten die Kernenergie anlässlich der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, indem sie die Katastrophe in Nachrichten und Berichten als typisch für die Risiken der Kernenergie darstellten. Das geschah umso intensiver, je negativer die Journalisten in Meinungsbeiträgen die Kernenergie beurteilten.2 Das gleiche Muster zeigte sich in der Berichterstattung über die Reaktorkatastrophe bei Fukushima in deutschen, schweizerischen, französischen und britischen Zeitungen. In allen vier Ländern bestand ein klarer Zusammenhang zwischen den in Kommentaren geäußerten Meinungen der Journalisten zur Kernenergie und den Meinungen der Experten und Politiker, die sie in Nachrichten und Berichten zitierten: Je negativer sich die Journalisten in Kommentaren äußerten, desto eher ließen sie Experten und Politiker zu Wort kommen, die negative Meinungen vertraten.3 Weil in Deutschland im Unterschied zu Frankreich und England die weit überwiegende Mehrheit der Journalisten die Kernenergie entschieden ablehnte,4 war in Deutschland die Berichterstattung in Nachrichten und Berichten auch deshalb besonders negativ, weil die deutschen Journalisten dort vor allem ablehnende Politiker und Wissenschaftler zu Wort kommen ließen. Die im Vergleich zu Frankreich und England starke instrumentelle Aktualisierung der Risiken der Kernenergie in Deutschland und – mit Abstrichen – in der Schweiz schlug sich in politischen Entscheidungen nieder: Ausstiegsbeschlüsse in Deutschland und der Schweiz, Kontinuitätsbeschlüsse in Frankreich, Neubaubeschlüsse in England. Auch wenn die Dramatisierung der Folgen der Reaktorkatastrophe in den deutschen Medien nicht die einzige Ursache der politischen Entscheidungen war – monokausale Erklärungen sind in den Sozialwissenschaften immer falsch – war sie eine conditio sine qua non des überhasteten Atomausstiegs. Das trifft – mit umgekehrten Vorzeichen – auch auf Frankreich und England zu: Dort war die Konzentration der Berichterstattung auf die Folgen des Tsunamis und auf die spezifischen Ursachen der Reaktorkatastrophe in Japan eine conditio sine qua non für das Festhalten an bzw. für den Ausbau der Kernenergie. Ähnliche Zusammenhänge zwischen den Meinungen von Journalisten und der Zitierung von Experten bestanden bei der Skandalisierung von zu Guttenberg: Je negativer die Journalisten urteilten, desto negativer waren die Meinungen der Experten, die sie zu Wort kommen ließen. Die Herkunft der Experten aus verschiedenen Tätigkeitsbereichen spielte dagegen keine nennenswerte Rolle. Entscheidend für die Auswahl der Experten war der Grad der Übereinstimmung mit den Meinungen der Journalisten.5 Die instrumentelle Aktualisierung von Personen und Informationen ist entgegen einer weit verbreiteten Meinung keine spezifisch deutsche oder europäische Art der Berichterstattung. Sie findet sich auch im amerikanischen Journalismus. Amerikanische Zeitungen, die den Demokraten nahestehen, berichteten von 1997 bis 2007 umfangreicher über Skandale, in die Republikaner involviert waren; Zeitungen, die den Republikanern nahestehen, berichteten umfangreicher über Skandale, in die Demokraten verwickelt waren. Das traf sowohl auf die meinungsbezogenen Beiträge als auch auf Nachrichten und Berichte zu. Die Parteineigung der Leser spielte dabei – abgesehen von lokalen Skandalen im Verbreitungsgebiet – keine Rolle.6 Die instrumentelle Aktualisierung von Informationen kann auch dazu dienen, Skandale zum richtigen Zeitpunkt zu entfachen und bereits etablierte Skandale am Leben zu erhalten. Günstige Perioden sind Wahlkämpfe, deren Ausgang durch die Skandalisierung eines Kandidaten oder einer Partei beeinflusst werden kann. Beispiele sind die Skandalisierung von Uwe Barschel vor der Schleswig-Holsteinischen Landtagswahl 1987 durch den Spiegel, die Björn Engholm den Weg in die Staatskanzlei ebnete, sowie die Skandalisierung von Peter Gauweiler 1993 durch die Süddeutsche Zeitung (»Kanzlei-Affäre«), der dadurch, nachdem er in Umfragen lange geführt hatte, die Wahl zum Münchner Oberbürgermeister verlor.7 Neuere Beispiele sind die Skandalisierungen von Rainer Brüderle wegen der mehrere Monate zurückliegenden Bemerkung zu einer Reporterin: »Sie können ein Dirndl auch ausfüllen« sowie des Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück, wegen seiner seit langem bekannten Vortragshonorare. Viele große Skandale müssen, damit sie sich voll entfalten können, immer wieder neu angeheizt werden. Erfolgreiche Skandalisierer publizieren ihre Verdächtigungen deshalb nicht auf einmal, sondern verteilen sie auf mehrere Tage und Wochen. Sie »portionieren« ihre Informationen, wie es der erfahrene Skandalisierer Leyendecker nennt (BZ, 21.12.1999). Ein von ihm erwähntes Beispiel ist der sukzessive Aufbau des CDU-Spendenskandals. Er habe, so Leyendecker, vor Journalistik-Studenten der Universität Dortmund, den Skandal mit mehreren Beiträgen langsam entwickelt, bis eine Sonderseite gemacht wurde, auf der aber »bei weitem nicht so viel gesagt worden« sei, wie damals bekannt war. Das Ganze wäre nach seiner Einschätzung »versandet, wenn man es auf einen Schlag gemacht hätte, ohne es zu filetieren«8. Oft ergibt sich eine solche Portionierung als Folge schrittweiser Fortschritte bei Recherchen von selbst. Besonders deutlich war das bei der Skandalisierung von zu Guttenberg wegen der nicht belegten Zitate in seiner Dissertation. Nachdem Fischer-Lescano Anfang Februar 2011 acht Plagiate entdeckt und die Süddeutsche Zeitung (15.02.2011) die Funde bekannt gemacht hatte, suchten zahlreiche anonyme Plagiatsjäger mithilfe von Computerprogrammen nach weiteren Beweisen und dokumentierten ihre Funde sukzessive auf der Internetplattform GuttenPlag Wiki.9 Die Relevanz der Textstellen für die Dissertation wurde nicht diskutiert. Darauf kam es aus Sicht der Plagiatsjäger aber auch nicht an, weil jede Erfolgsmeldung das Interesse und die Empörung auch dann noch befeuerte, als zu Guttenberg bereits auf den Doktortitel verzichtet hatte. Am 1. März 2011 trat er von allen politischen Ämtern zurück. Bei der Skandalisierung von Wulff lieferten die Rechercheure von Bild mit ihren schemagerecht interpretierten Erkenntnissen hinreichend viel Nachschub für andere Medien. Trotzdem erlahmte der Schwung der Angriffe nach zwei bis drei Wochen. Das ist normal.10 Deshalb hätte Wulff, weil er nicht entlassen oder abgewählt werden konnte, gute Chancen gehabt, die Angriffe im Amt zu überstehen. Allerdings hatten sich seine Gegner ein Killerthema aufgespart – Wulffs Anruf bei Diekmann. Angesichts der späteren Darstellung des Anrufs als Angriff auf die Pressefreiheit hätte man vermuten können, dass Bild in einer Exklusivmeldung sofort über die drohende Gefahr berichten würde. Das war aber nicht der Fall. Nach Darstellung des Axel Springer Verlags hat die Redaktion von Bild anhand einer Abschrift des Anrufs über seine Veröffentlichung diskutiert und sich dagegen entschieden. Diekmann habe seinerzeit »persönlich mit zwei externen Journalisten über den Anruf gesprochen und ihnen in diesem Zusammenhang auch den Text zukommen lassen«. Einer der beiden habe sich für, einer gegen die Veröffentlichung des Textes ausgesprochen.11 Auf unbekannten Wegen landete die Information über Wulffs Anruf bei mehreren Journalisten. Ihre Berichte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (01.01.2012) und Süddeutschen Zeitung (02.01.2012) sowie ein darauf aufbauender Fundamentalangriff von Nils Minkmar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (03.01.2012) änderten die Situation schlagartig. Innerhalb weniger Tage mutierte der Mailboxanruf zum »Drohanruf« und zum Angriff auf die Pressefreiheit. Die schemabildenden Schlüsselwörter hatte Wulff selbst geliefert: »Rubikon« und »Krieg führen«. Der Anteil der negativen Aussagen über Wulff in Presse, Hörfunk und Fernsehen schnellte von Ende Dezember 2011 bis Ende Januar 2012 um fast 20 Prozentpunkte auf über 50 Prozent hoch. Auch danach lag er bis zu seinem Rücktritt deutlich über den Werten der ersten Wochen seiner Skandalisierung.12 Ihre größte Wucht erreichte die Skandalisierung von Wulff folglich nicht durch die Kritik an seinem Hauskredit, seinen Reisen und ähnlichen Themen, sondern durch die Kritik an seinem Umgang mit Bild, stellvertretend für die Medien. Die Welle der weitgehend gleichartigen Berichte und Kommentare vermittelte den Eindruck, Wulffs Anruf sei eine einzigartige Entgleisung gewesen. Einzigartig war er deshalb, weil Wulff auf der Mailbox Diekmanns einen Beweis hinterlassen hatte. Keineswegs einzigartig war aber Wulffs Ansinnen: Laut einer Befragung von 230 Mitgliedern der Bundespressekonferenz im Jahr 2006, hat fast die Hälfte der Journalisten (44 %) schon die Erfahrung gemacht, dass Politiker ihre Berichterstattung über ihre Redaktionsleiter beeinflussen wollten. Jeder Zehnte (9 %) berichtete, dass Politiker schon einmal ihre Berichterstattung über ein bestimmtes Thema verhindern wollten.13 Hierbei handelt es sich um eine kritikwürdige, aber nicht unübliche Praxis, und das Verhalten Wulffs war deshalb keineswegs so einzigartig, wie es dargestellt wurde und erscheinen musste. Das wussten auch die beteiligten Journalisten. So erklärte Michael Hanfeld einige Monate nach der Skandalisierung von Wulffs Anruf aus einem anderen Anlass in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (03.11.2012): »Anrufe (…) von Politikern (…), freundliche oder unfreundliche, berechtigte Kritik, Beschwichtigungen oder Drohungen sind für Journalisten Tagesgeschäft. Wollte man derlei an die große Glocke hängen, käme man zu nichts anderem mehr.«14 Da war Wulff allerdings nicht mehr im Amt. Die Zurückhaltung und subkutane Verbreitung des Anrufs waren aus mehreren Gründen ein beispielloser journalistischer Coup von Diekmann: Erstens konnten er und seine Mitstreiter mit einer großen Medienresonanz rechnen, weil sich Journalisten bei tatsächlichen oder vermeintlichen Angriffen auf die Pressefreiheit generell mit ihren Kollegen solidarisieren. Zweitens war ein Großteil der Journalisten indirekt betroffen, weil es solche Versuche der Einflussnahme nicht nur in Berlin gibt. Sie konnten endlich einmal ihre Empörung risikolos artikulieren. Drittens wusste die Bevölkerung nicht, dass derartige Versuche der Einflussnahme häufig vorkommen und musste annehmen, dass es sich bei Wulffs Anruf um eine empörende Entgleisung gehandelt hat. Viertens überließ Bild die problematische Veröffentlichung eines Anrufs, dessen Inhalt erkennbar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, zwei Qualitätszeitungen. Dadurch vermied Bild den Verdacht, aus Eigeninteresse journalistischen Berufsregeln zu verletzen. Und fünftens gefährdete Bild mit seiner diskreten Zurückhaltung nicht seine neue Rolle als uneigennütziger Anwalt der Pressefreiheit. Im Unterschied zu anderen Politikern befand sich Wulff in der komfortablen Lage, dass er weder abgewählt noch entlassen werden konnte. Deshalb wären, nachdem er die Empörung über seinen Anruf bei Diekmann überstanden hatte, weitere Attacken auf ihn vergeblich gewesen. Aus dem gleichen Grund wären auch Attacken auf sein politisches Umfeld, das ihn aus Angst vor dem eigenen Niedergang fallen lassen könnte, wirkungslos gewesen. Es blieb nur eine Möglichkeit, um Wulff zum Rücktritt zu bewegen – die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die dafür erforderliche Aufhebung seiner Immunität. Die Folge war die instrumentelle Aktualisierung der Kritik von Juristen an der angeblich zögerlichen Behandlung des Falls Wulff durch die Justiz. Am 14. Januar 2012 zitierte Dietmar Hipp auf Spiegel Online in der Überschrift seines Beitrags »Grenze der Strafbarkeit eindeutig überschritten« den Speyerer Staatsrechtslehrer Hans Herbert von Arnim, der in einem Gutachten die Ansicht vertrat, Wulff habe sich mit der Annahme des Hauskredits strafbar gemacht. Am 7. Februar behauptete er an gleicher Stelle unter der Überschrift »Juristen kritisieren Zurückhaltung in der Wulff-Affäre«, »immer mehr renommierte Strafrechtler« würden den Ermittlern vorwerfen, »den Bundespräsidenten zu sanft zu behandeln« und belegte das mit Äußerungen mehrerer Strafrechtsprofessoren. Am 9. Februar berichtete Bild, die Hannoveraner Staatsanwaltschaft zeige sich durch einen Bericht des Blatts über einen Hotelaufenthalt Wulffs auf Sylt »alarmiert«. Am 10. Februar nannten Severin Weiland und Philipp Wittrock auf Spiegel Online die Tätigkeit der »Ermittler« als eine der »drei größten Gefahren für Wulff«, weil »der Druck« auf die Staatsanwälte, ihre Ermittlungen über Olaf Glaeseker und Manfred Schmidt auf Wulff auszuweiten, gestiegen sei. »Sollte die Staatsanwaltschaft tatsächlich einen Anfangsverdacht erkennen, müsste sie beim Bundestag beantragen, die strafrechtliche Immunität des Präsidenten aufzuheben.« Am gleichen Tag ließ die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter der erkenntnisleitenden Überschrift »Öffentlicher Dienst. Es tun nicht alle …« Menschen, die sich »beruflich für den Dienst an der Allgemeinheit« entschieden haben, auf einer ganzen Seite Zeugnis ablegen vom lauteren Umgang mit »Geschenken, Zuwendungen und Einladungen«. Zu Wort kamen u. a. Soldaten, Lehrer, Müllmänner und Krankenschwestern, jedoch keine Journalisten. Am 14. Februar griffen Weiland und Wittrock auf Spiegel Online die Vorlage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf und erhöhen den Druck, über den sie zuvor berichtet hatten. Unter der Überschrift »Staatsdiener gegen Staatschef« behaupteten sie, »mit wachsender Empörung« würden viele beobachten, »wie die Justiz bislang mit dem Fall Wulff umgeht. Bis jetzt ist es nicht zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen den Bundespräsidenten gekommen (…). Das wundert etliche Staatsdiener.« Als Beleg zitierten sie Gewerkschaftsfunktionäre, darunter Rainer Wendt, Vorstandsmitglied im Deutschen Beamtenbund: »Da brechen für den einen oder anderen ganze Welten zusammen.« Am 15. Februar bekräftigte Anna Reimann auf Spiegel Online das Zwei-Klassen-JustizSchema mit weiteren Beispielen strafrechtsbewehrter Vorteilsannahmen und mit dem juristisch fundierten Verhaltenskatalog des Münchner Oberbürgermeisters. Am selben Tag erhöhten Mirko Voltmer und Axel Sturm auf Bild.de unter der Überschrift »Noch immer keine Ermittlungen gegen Wulff! Top-Juristen empört über Staatsanwaltschaft Hannover. ›Präsidenten-Bonus schützt Wulff‹« noch einmal den Druck auf die Justiz. Zum Beweis ihrer Behauptung zitierten sie die Meinungen mehrerer »TopJuristen«. Gemeint waren Rechtsanwälte. Am 16. Februar war es dann so weit: Der Hannoveraner Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer, der nach einem Bericht des Tagesspiegel (18.02.2013) wenige Tage vorher einen enormen inneren wie äußeren Druck eingeräumt hatte, beantragte die Aufhebung der Immunität Wulffs. Das Ziel war erreicht. Am 17. Februar erklärte Wulff seinen Rücktritt. Eine neue Grundlage für die instrumentelle Aktualisierung von skandalisierenden Informationen, ihrer termingerechten Veröffentlichung vor wichtigen Entscheidungen, liefert die ungeheure Masse der Daten der Panama Papers. Man muss damit rechnen, dass diese Daten in absehbarer Zukunft in mehreren Ländern genutzt werden, um durch gezielte Publikationen in innenpolitische und in internationale Konflikte einzugreifen. Denkbar ist allerdings auch die entgegengesetzte Vorgehensweise – der Verzicht auf skandalisierende Publikationen, um bestimmten Personen und Organisationen nicht zu schaden oder um im Gegenzug materielle oder ideelle Gegenleistungen zu erhalten. Die exklusive Verfügung einiger Medien über Millionen E-Mails, Urkunden, Kontoauszüge usw. von vermutlich überwiegend nicht kriminellen Akteuren ist auch deshalb bemerkenswert, weil viele Medien eine vergleichbare Vorratsdatenspeicherung durch staatliche Einrichtungen bisher mit dem Argument entschieden abgelehnt haben, dadurch würden vor allem Daten von Personen erfasst, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen. Dazu gehört auch zur Terrorbekämpfung die Speicherung von TelefonKontaktdaten und die Daten von Flugreisenden. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Instrumentelle Aktualisierung. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Lemke, Richard: Framing Fukushima. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Lemke, Richard: Instrumentalizing Fukushima. Im Sommer 2010 hatten sich 85 % der deutschen Journalisten gegen eine Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke ausgesprochen. Vgl. Mothes, Cornelia: Objektivität als professionelles Abgrenzungskriterium im Journalismus, S. 186–198. Vgl. Bachl, Marko / Vögele, Catharina: Guttenbergs Zeugen? Vgl. Puglisi, Riccardo / Snyder, Jr., James M.: Newspaper Coverage of Political Scandals. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Eps, Peter / Augustin, Dirk: Skandal im Wahlbezirk. Vgl. WamS, 05.08.2001. Vgl. Kaube, Jürgen. In: FAZ, 12.02.2011. Vgl. auch zu Guttenberg, Vorerst gescheitert. Siehe auch Kremp, Matthias: GuttenPlag Wiki. Vgl. Holbach, Thomas / Maurer, Marcus: Wissenswerte Nachrichten. Vgl. Bild antwortet auf taz-Fragen. Unter http://taz.de/Bild-antwortet-auftaz-Fragen/!85761 [Zugriff: 17.01.2012]. Bild hat den transkribierten Text am 26.02.2014 veröffentlicht. Vgl. Media Tenor: Keine Erholung für Wulff. Berichterstattung über Bundespräsident Wulff 01.01.–14.02.2012. Basis: 26.752 Aussagen über Politiker in 24 deutschen Medien. Kepplinger, Hans Mathias / Maurer, Marcus / Kreuter, Marcus: Erfahrungen der Berliner Journalisten mit Politikern. Eine Reihe vergleichbarer Anrufe erwähnt Axel Bojanowski: CSU-Anruf bei Spiegel Online. »Andere Journalisten stellen sich nicht so an« In: Spiegel Online, 27.10.2012. In einem Interview mit Hans Hoff und Matthias Daniel: »Die Schutzmechanismen haben versagt« sagte Friedrich Küppersbusch: »Es ärgert mich, dass alle sagen: Oh, Herr Diekmann hat einen erbosten Anruf entgegennehmen müssen. Amnesty! Anstatt zu sagen: Na klar, wir alle bekommen ständig diese Anrufe. Das ist unser Job. Wir kriegen das bezahlt«. In: journalist, 2/2012, S. 23 f. Siehe auch die Ergebnisse einer Umfrage von mehreren Journalisten von Anke Vehmeier: Muss Druck sein? In: journalist, 2/2012, S. 12 f. 8. Wirkungspotenziale Anfang der 1990er-Jahre mussten Günther Krause, Bundesminister für Verkehr, und Heide Pfarr, hessische Staatsministerin für Frauen, Arbeit und Sozialordnung, nach skandalisierenden Medienberichten von ihren Ämtern zurücktreten. Krause hatte seine Putzfrau legal, aber auf seinen Vorteil bedacht, vom Arbeitsamt bezahlen lassen. Daneben wurde ihm eine Reihe weiterer Selbstbegünstigungen vorgeworfen, die hier aber nicht relevant sind. Pfarr hatte ihre Dienstwohnung auf Kosten der Steuerzahler renovieren lassen. Auch das geschah im Rahmen des rechtlich Zulässigen, erweckte jedoch ebenfalls den Eindruck der Selbstbegünstigung. Beide verschwanden nach ihren Rücktritten von der politischen Bühne. Die Bevölkerung reagierte auf die Vorwürfe allerdings sehr unterschiedlich. Einige Zeit nach den Rücktritten von Krause und Pfarr, im Juni 1993, hielten es mehr als zwei Drittel der Deutschen (72 %) für einen Skandal, dass Krause seine Putzfrau vom Arbeitsamt hatte bezahlen lassen. Dagegen betrachteten es weniger als die Hälfte (42 %) als einen Skandal, dass sich Pfarr ihre Wohnung auf Kosten der Steuerzahler hatte renovieren lassen.1 Was war die Ursache der unterschiedlichen Reaktionen? Die Art des Verhaltens konnte es nicht sein. In beiden Fällen ging es um materielle Vorteile. Das Ausmaß der materiellen Vorteile kommt als Ursache ebenfalls nicht infrage – die Renovierung der Wohnung war wahrscheinlich teurer als die Arbeit der Putzfrau. Die Schwere der Rechtsverletzungen scheidet ebenfalls aus – beide handelten im Rahmen des rechtlich Zulässigen. Die »Natur der Sache« war folglich nicht die Ursache der unterschiedlichen Reaktionen. Was war es dann? Betrachtet man nicht alle Deutschen, sondern nur jene, die die Vorwürfe gegen Krause bzw. Pfarr kannten, zeigt sich, dass sie das Verhalten beider Politiker gleichermaßen verurteilten: 82 Prozent aller Deutschen, die davon gehört hatten, dass Verkehrsminister Krause seine Putzfrau vom Arbeitsamt bezahlen ließ, hielten das für einen Skandal. Im Fall Pfarr war die Empörung noch etwas größer: 88 Prozent derer, die davon gehört hatten, dass sie ihre Wohnung mit Steuergeldern hatte renovieren lassen, hielten das für einen Skandal. Die Ursache der bundesweit großen Empörung über Krause war also nicht der Charakter oder das Ausmaß seiner Verfehlungen, sondern ihre Bekanntheit. Sie war wiederum eine Folge der bundesweiten Berichterstattung über den Fall Krause und der überwiegend regionalen Berichterstattung über den Fall Pfarr, d. h. der unterschiedlichen Reichweite der skandalisierenden Berichte und Kommentare. Eine realistische Vorstellung vom Wirkungspotenzial der Skandalberichterstattung der Medien geben theoretische Überlegungen und quantitative Analysen. Je öfter die Leser, Hörer und Zuschauer mit einem Sachverhalt konfrontiert werden, desto eher halten sie ihn für wichtig und die Darstellung für richtig. Diese Medienwirkung wird als »Wahrheitseffekt« (truth-effect) bezeichnet. Der Wahrheitseffekt ist vor allem dann stark, wenn die Informationen aus verschiedenen Quellen stammen und sich dadurch gegenseitig bestätigen. Genau das ist typisch für Skandale: Alle oder fast alle Medien berichten intensiv, und sie berichten ähnlich. Sie prangern Sachverhalte an und halten mit neutralen Beiträgen die Erinnerung an bekannte Vorwürfe wach. Weil die Leser, Hörer und Zuschauer überall auf ähnliche Darstellungen treffen, folgern sie, dass sie wahr im Sinne von realitätsgerecht sind. Welches Wirkungspotenzial besitzen demnach bedeutende Skandalisierungen – lange Kampagnen zahlreicher Medien, die sehr viele Menschen erreichen und bei ihnen Empörung auslösen können? Beispiele hierfür sind die Angriffe auf Tebartz-van Elst wegen des Um- und Neubaus des Limburger Bischofssitzes2 und vor allem auf Wulff wegen der Finanzierung seines Hauskaufs und anderer Anlässe. Zur Skandalisierung von Wulff einige Daten. Während der über neun Wochen dauernden Skandalisierung von Wulff haben ARD (Tagesschau, Tagesthemen), ZDF (heute, heute journal) und RTL (RTL aktuell) insgesamt 503 Beiträge veröffentlicht, das waren im Durchschnitt 100 Beiträge. Davon besaßen 77 Prozent eine negative Tendenz.3 Hinzu kamen die ähnlich gelagerten Beiträge in Zeitungen und Hörfunkprogrammen. So haben, um zwei besonders engagierte Zeitungen herauszugreifen, die Frankfurter Allgemeine Zeitung 255 und Bild 201 überwiegend skandalisierende Beiträge zum Fall Wulff veröffentlicht.4 Unterteilt man den Zeitraum seiner Skandalisierung in künstliche Wochen von sieben Tagen, erkennt man anhand des Fernsehens drei große Wellen: Die erste Welle dauerte drei künstliche Wochen: In der ersten Woche (13.– 19.12.2011) erschienen 75 Beiträge, in der zweiten (20.–26.12.2011) 60, in der dritten (27.12.2011–02.01.2012) nur noch 24. Das Thema schien sich am Jahresende totzulaufen und Wulff hätte gute Chancen gehabt, den Skandal im Amt zu überstehen. So kam es aber nicht wegen der zeitverzögerten Veröffentlichung des Anrufs von Wulff bei Diekmann, die die zweite Skandalisierungswelle auslöste. Sie begann mit einem fulminanten Auftakt: In der vierten künstlichen Woche (03.–09.01.2012) schnellte die Zahl der Berichte auf 106 hoch. In den folgenden Wochen ging die Intensität der Berichterstattung jedoch wieder kontinuierlich auf 16 Beiträge zurück, so dass die Berichterstattung in der neunten künstlichen Woche (07.– 13.02.2012) erneut vor dem Aus stand. Allerdings hatte Bild noch einen vergifteten Pfeil im Köcher, einen Bericht über einen angeblich skandalösen Sylt-Urlaub von Wulff mit seinem Freund Groenewold. Der fand zwar keine herausragende publizistische Resonanz, führte aber auf einem Umweg – die Staatsanwaltschaft in Hannover – zum Rücktritt von Wulff. In den verbliebenen vier Tagen (14.–17.02.2012) erschienen 67 Beiträge, davon allein 50 am Tag des Rücktritts.5 Welches Wirkungspotenzial besaßen diese Berichte? Dazu einige Basiszahlen. Alle Zeitungen in Deutschland erreichen zusammen täglich 44,6 Millionen Leser ab 14 Jahren – die regionalen Abonnementzeitungen allein 36,1 Millionen, die Kaufzeitungen 12,7 Millionen und die überregionalen Abonnementzeitungen 3,3 Millionen.6 Weil viele Menschen mehr als eine Zeitung lesen, ist die Summe der Einzelreichweiten größer als die oben erwähnte Gesamtreichweite. Die Nachrichten der Fernsehsender erreichen zusammen täglich mehr als 10 Millionen Zuschauer – RTL aktuell beispielsweise 3,25 Millionen, die Tagesschau 4,94 Millionen.7 Die Hörfunksender erreichen zusammen täglich 55,8 Millionen Hörer. Nimmt man an, dass jeder Fernsehzuschauer an den relevanten Berichtstagen zwei der fünf Nachrichtensendungen gesehen hat, haben rund 10 Millionen Menschen rund 200 überwiegend negative Beiträge über Wulf gesehen. Die meisten der angesprochenen 10 Millionen Fernsehzuschauer hören mehrfach am Tag Radionachrichten. Nimmt man an, dass die Radiosender in ihren zahlreichen aktuellen Programmen ebenfalls jeweils 100 überwiegend negative Beiträge gebracht haben, und dass die 10 Millionen Fernsehzuschauer mindestens drei Nachrichtensendungen gehört haben, dann wurden sie 200 plus 300 = 500-mal mit den Vorwürfen gegen Wulff konfrontiert. Nimmt man ferner an, dass die angesprochene Personengruppe täglich eine Zeitung liest, und dass diese Blätter auch jeweils 100 überwiegend negative Beiträge gebracht haben, dann wurde die gedachte Zielgruppe insgesamt 500 plus 100 = 600-mal mit Beiträgen konfrontiert, die Wulff mehr oder weniger entschieden skandalisierten. Weil viele Menschen mehr als zwei Fernsehnachrichten sehen und mehr als zwei Radionachrichten hören, wurden die am aktuellen Geschehen besonders interessierten Teile der Bevölkerung vermutlich mit etwa 1.000 Beiträgen konfrontiert. Die skizzierten Impulse blieben natürlich nicht auf die hier angedachte Modellgruppe von 10 Millionen Menschen beschränkt. Sie reichten aufgrund der individuell unterschiedlichen Mediennutzung von Menschen mit verschiedenen Beitrags-Dosierungen weit über die 10 Millionen hinaus. Die zugegebener Maßen groben Schätzungen vermitteln auch einen ungefähren Eindruck von dem gewaltigen Meinungsdruck auf die Journalisten und die Skandalisierten, die aufgrund ihres Berufes bzw. aufgrund ihrer persönlichen Betroffenheit noch weit höheren Wirkungsdosen ausgesetzt sind, als die Masse der unbeteiligten Beobachter. Nicht alle Skandalisierungen dauern so lange und sind so medienpräsent wie die Skandalisierungen von Wulff, Tebartz-van Elst und einigen anderen Personen und Organisationen. Aber auch in weniger gravierenden Fällen können sich vermutlich nur sehr wenige Journalisten und Protagonisten dem Meinungsdruck entziehen. Für die meisten Journalisten dürften sich die Masse der gleichgerichteten Berichte zu einem Realitätsbild verdichten, das man aus ihrer Sicht nicht ernsthaft in Frage stellen kann. Bei den meisten Protagonisten dürften die Masse der Berichte die Überzeugung hervorrufen, dass sie feindseligen Medien ausgesetzt sind, die sie um jeden Preis ruinieren wollen. Beides ist vermutlich meistens falsch, aber trotzdem wirkmächtig. Welchen Einfluss besaß die Masse der meist skandalisierenden Beiträge auf die Meinungen der Bevölkerung? Eine Vorstellung davon geben Umfragedaten. Der Anteil der Personen, die an der Ehrlichkeit von Wulff zweifelten, stieg vom 19. Dezember 2011 bis zum 2. Januar 2012 von 47 auf 69 Prozent, der Anteil derjenigen, die ihn nicht für glaubwürdig hielten, wuchs von 44 auf 61 Prozent.8 Allerdings wirkte sich das nur schwach auf die Forderung nach seinem Rücktritt aus. Der Anteil derer, die der Meinung waren, Wulff solle zurücktreten, stieg im selben Zeitraum von 26 auf 34 Prozent. Das änderte sich Anfang Januar, als die zweite Welle skandalisierender Berichte die Bevölkerung erreichte. Zunächst standen sich noch zwei gleich große Lager gegenüber, die seinen Rücktritt ablehnten bzw. forderten (jeweils 46 %), allerdings folgte die Mehrheit (54 %) im Laufe der Zeit dem negativen Medientenor. Die Skandalisierung von Wulff wirkte sich demnach stark aber mit einer deutlicher Zeitverzögerung auf die Vorstellung der Bevölkerung von Wulffs Charakter und ihre damit zusammenhängende Meinung aus, er solle zurücktreten.9 Zahlreiche Medien haben die entsprechenden Umfrageergebnisse mit spürbarer Erleichterung in groß aufgemachten Erfolgsmeldungen gefeiert. Die dritte Phase der Skandalisierung von Wulff dauerte nur einige Tage und hatte keine erkennbare Wirkung auf die Meinung der Bevölkerung.10 Infolge des erwähnten Bild-Beitrags über eine Sylt-Reise Wulffs kündigte jedoch die Staatsanwaltschaft Hannover ein Ermittlungsverfahren gegen Wulff an, hob der Bundestag Wulffs Immunität auf und erklärte Wulff seinen Rücktritt. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Hannover erklärte Generalstaatsanwalt Frank Lüttig gegenüber der Welt (20.04.2013) mit dem Einfluss der Medien auf die Protagonisten der Berichterstattung, ihren »reziproken Effekten«: »Es waren so viele möglicherweise belastende Informationen an die Öffentlichkeit gelangt, dass einem verantwortlichen Staatsanwalt gar keine andere Wahl blieb, als diese Informationen zu überprüfen«. Auf die Nachfrage, wann dieser Punkt erreicht war, präzisierte er den konkreten Anlass: »In dem Moment, als in der Presse zu lesen war, dass David Groenewold versucht, Beweise aus der Welt zu schaffen«. Dass die erwähnte Behauptung in wesentlichen Punkten falsch war, spielte für den weiteren Verlauf des Geschehens keine Rolle.11 Entscheidend für den Erfolg der Skandalisierung von Wulff war demnach nicht die Wirkung der skandalisierenden Beiträge auf die Masse der Bevölkerung, entscheidend waren ihre reziproken Effekte, ihre Einflüsse auf die Protagonisten des Geschehens – die beteiligten Juristen, die selbst zum Gegenstand kritischer Berichte geworden waren oder werden konnten, und wahrscheinlich auch unter dem Eindruck des von ihnen vermuteten Einflusses der Medienberichte auf die Erwartungen der Bevölkerung an die Justiz handelten. Ein aufschlussreicher Spezialfall eines großen Skandals ist aus mehreren Gründen die Skandalisierung des Vorhabens, den Stuttgarter Kopfbahnhof durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof zu ersetzen (Stuttgart 21). Zum einen handelte es sich nicht um die Skandalisierung zurückliegender, sondern zukünftiger Handlungen. Zum anderen ging es nicht um die Berichterstattung über eine existierende Protestbewegung, sondern um ihre Etablierung und Mobilisierung gegen die Entscheidungen demokratisch gewählter Gremien. Von besonderem Interesse ist deshalb die Berichterstattung vor den Auseinandersetzungen anlässlich des offiziellen Baubeginns im Jahr 2010. Der SWR sendete 2009 mehr als 120 Fernsehbeiträge zu dem Vorhaben. Die extrem intensive Vorberichterstattung dürfte die Vorhaben und Widerstände weit über Stuttgart hinaus bekannt gemacht haben. Zudem war sie vermutlich eine wesentliche Ressource der langsam entstehenden Protestbewegung. Im folgenden Jahr, in dem die meisten Demonstrationen stattfanden, erreichte die Berichterstattung noch ganz andere Dimensionen. Der SWR sendete fast 1.300 Fernsehbeiträge über das Geschehen in Stuttgart.12 Hinzu kam eine unbekannte Anzahl von Presseund Hörfunkberichten. Die ungewöhnliche Publizität der Proteste dürfte dazu geführt haben, dass immer mehr Menschen das Vorhaben für problematisch hielten. Zudem dürfte sie die Bereitschaft gefördert haben, an den Protesten gegen Stuttgart 21 teilzunehmen, weil eine intensive Berichterstattung für die Demonstranten aus drei Gründen auch dann eine Gratifikation darstellt, wenn sie kritisch ausfällt. Erstens bietet sie die Chance zur Teilnahme an einem bedeutsamen Ereignis. Zweitens besteht die Möglichkeit, bei einem solchen Ereignis selbst ins Fernsehen zu kommen. Und drittens bekräftigt die Fernsehberichterstattung die Hoffnung auf einen Erfolg der Proteste. Aus den genannten Gründen lässt sich folgern, dass die Skandalisierung von Stuttgart 21 ein Beispiel für die Umkehrung des Verhältnisses von Ereignis und Bericht ist: Die Medien haben nicht nur über den wesentlichen Kern des aktuellen Geschehens – die großen Demonstrationen – berichtet, sondern diesen Kern erst durch ihre vorangegangene Berichterstattung ermöglicht, wenn nicht gar geschaffen. Die Bedeutung des Fernsehens im Vergleich zu den Internetangeboten der Fernsehsender illustriert die Nutzung der Berichterstattung über die Schlichtungsgespräche. Der SWR und Phoenix haben die Schlichtungsgespräche fast 80 Stunden lang live übertragen. Die Übertragungen sind auf großes Interesse gestoßen, was angesichts der vom SWR langfristig etablierten Problemvorstellung nicht überraschend ist. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben an allen Schlichtungstagen 2,56 Millionen Fernsehzuschauer mindestens eine Übertragung des SWR gesehen, bundesweit waren es fast 5 Millionen. Insgesamt haben die Übertragungen des SWR mehr als 20 Prozent der Bevölkerung in BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz erreicht. Die Phoenix-Website wurde während der Abschlussrunde der Schlichtungsgespräche 514.000-mal angeklickt. Das ist ein eindrucksvoller Wert. Er erweist sich jedoch angesichts von etwa 5 Millionen Menschen, die das Geschehen am Fernseher erlebt haben, und angesichts des starken Eindrucks einer solchen Übertragung als relativ unbedeutend. Vergleiche zwischen der Entwicklung einer skandalisierenden Berichterstattung und den Sichtweisen der Bevölkerung machen die Existenz von Medienwirkungen plausibel. Sie zeigen aber nicht, wie sie entstehen. Die Wirkung einer skandalisierenden Berichterstattung hängt nämlich von zahlreichen Faktoren ab – der Intensität der Berichterstattung, der Intensität der Anprangerung in den einzelnen Beiträgen und der Art der Vorwürfe gegen die Skandalisierten.13 Hinzu kommen aufseiten der Bevölkerung weitere Faktoren – die Art der genutzten Medien und die Intensität ihrer Nutzung, das Interesse an einem Skandal, die Interpretation der skandalisierenden Beiträge usw. Deshalb muss man für eine differenzierte Analyse der Mechanismen der Medienwirkungen an drei Stellen ansetzen – der Berichterstattung der Medien, der Mediennutzung der Bevölkerung und den Vorstellungen der Mediennutzer vom Geschehen. Die Grundlagen der im Folgenden wiedergegebenen Untersuchung sind exakt aufeinander abgestimmte Messinstrumente zur Analyse der Medienangebote (Codebücher) und zur Analyse ihrer Nutzung durch und Wirkung auf die Leser, Hörer und Zuschauer (Fragebögen). Erfasst wurden fünf Aspekte der Darstellung und Wahrnehmung von Skandalen – das Ausmaß des Schadens, die Bedeutung menschlichen Handelns, das Ausmaß egoistischer Ziele der Handelnden, ihr Wissen um die Folgen ihres Handelns sowie die Existenz von Handlungsalternativen. Hinzu kamen als Indikatoren für die Wirkung der Skandalisierung emotionale Reaktionen – Ärger und Trauer – sowie eine scheinbar eigenständige Folgerung der Leser, Hörer und Zuschauer aus der individuell genutzten Darstellung des Geschehens – die Forderung nach Sanktionen, nach einer Bestrafung der Skandalisierten. Die Wirkung der skandalisierenden Berichterstattung wurde anhand von vier Fällen untersucht – der Skandalisierung von Staatsminister Ludger Volmer wegen der weitgehenden Aufhebung von VISA-Beschränkungen (Volmer-Erlass) im Februar und März 2005; der Skandalisierung von Außenminister Joschka Fischer wegen einer in die gleiche Richtung zielenden Anweisung an die Auslandsvertretungen im April und Mai 2005; der Skandalisierung von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder wegen seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat der von ihm als Kanzler geförderten North European Gas Pipeline (NEGP) im Dezember 2005 sowie die Skandalisierung des Bundesnachrichtendienstes (BND) wegen der Beschattung von Journalisten zur Identifikation von undichten Stellen im Geheimdienst im Mai und Juni 2006. Zu allen Fällen wurde die Berichterstattung in einem Zeitraum von vier Wochen untersucht. Gegenstand der Inhaltsanalysen waren sieben im Rhein-Main-Gebiet relevante Zeitungen sowie die Nachrichten von vier Fernsehsendern.14 Außerdem wurden jeweils während der dritten und vierten Untersuchungswoche im Rhein-Main-Gebiet repräsentative Umfragen durchgeführt. Die erwähnten Medien veröffentlichten innerhalb von jeweils vier Wochen 224 (26) Beiträge über die Vorwürfe gegen Volmer, 91 (14) Beiträge über die Vorwürfe gegen Fischer, 106 (11) Beiträge über die Vorwürfe gegen Schröder und 143 (16) Beiträge über die Vorwürfe gegen den BND. Die Ziffern in Klammern stehen für die Anzahl der besser mit anderen Skandalen vergleichbaren Fernsehbeiträge. Im Unterschied zum Fall Wulff, über den schon in den ersten drei Wochen 159 Fernseheiträge erschienen sind, haben z. B. die untersuchten Medien alle vier Vorgänge nicht intensiv skandalisiert. Allerdings wies die Berichterstattung über die vier Fälle mehr oder weniger ausgeprägt die typischen Elemente skandalträchtiger Schemata auf: Volmer, Fischer, Schröder und Mitarbeiter des BNDs haben aus eigennützigen Motiven gehandelt; sie hätten anders handeln können; sie haben erhebliche Schäden angerichtet; und sie kannten die Folgen ihres Handelns. Diese Elemente der skandalträchtigen Schemata waren nur in wenigen Beiträgen alle enthalten. Die meisten Beiträge enthielten lediglich einen Teil davon und vermittelten folglich fragmentarische Schemata. Die Leser und Zuschauer ergänzten sie jedoch zu weitgehend vollständigen Schemata. Das geschah nicht willkürlich, sondern schemagerecht entsprechend den vorhandenen oder früher schon gelesenen oder gehörten Hinweisen auf das Skandalöse des Geschehens. Als Folge dieses Prozesses entsprachen die Vorstellungen der Befragten von den Geschehnissen deutlich besser den skandaltypischen Schemata als die einzelnen Medienbeiträge, die sie gelesen oder gesehen hatten. Die schemagerechte Verarbeitung der oft bruchstückhaften Informationen in vielen Berichten kann man als Ursache der Illusion der autonomen Urteilsbildung betrachten, der die meisten unbeteiligten Beobachter erliegen: Sie glauben durchaus zu Recht, dass sie sich anhand der vorhandenen Informationen ein eigenes Urteil gebildet haben, verkennen aber, dass ihre gedanklichen Aktivitäten nicht eigenständig sind, sondern von fragmentarischen und vollständigen Schemata gesteuert werden. Aus dem genannten Grund hängt die Wirkung skandalisierender Beiträge nicht davon ab, ob sie alle Elemente eines skandalträchtigen Schemas enthalten. Vielmehr können auch nicht-skandalisierende Beiträge den Eindruck verstärken, dass das Verhalten der Angeprangerten skandalös ist, weil die neutralen Beiträge bereits etablierte Schemata aktivieren. Deshalb ist die Anzahl der Beiträge – unabhängig von ihrem skandalisierenden Charakter – ein entscheidender Wirkfaktor: Wenige stark skandalisierende Beiträge verursachen keinen Skandal, solange es bei den wenigen bleibt. Zu einem Skandal entwickeln sich Skandalisierungsversuche aber dann, wenn andere Medien – mit möglicherweise nur schwach skandalisierenden Beiträgen – die Vorlagen aufgreifen, die Ahnungen der bereits Informierten bestätigen und als begründet erscheinen lassen sowie bei einer wachsenden Zahl von Menschen Interesse am Thema wecken. Dieser sukzessive Prozess ist eine Ursache der zeitlich verzögerten Wirkung der Skandalberichterstattung auf die Meinungsbildung der Bevölkerung. Zugleich verdeutlicht er die große Bedeutung der neutralen Chronisten, die lediglich ihrer Berichtspflicht nachkommen, für den Erfolg oder Misserfolg eines Skandalisierungsversuchs. 1 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Lügen werden verziehen. 2 Zur Skandalisierung von Franz-Peter Tebartz-van Elst vgl. Klenk, Christian: Medialisierter Skandal oder skandalöse Medien? 3 Quelle: Media Tenor. 4 Vgl. Smajlovic, Mina: Die Skandalisierung bei Christian Wulff. 5 Quelle: Media Tenor. 6 Vgl. Die Zeitungen. Reichweiten. Quelle: agma. http://www.die-zeitungen.de [Zugriff: 10.05.2015]. 7 Vgl. Statista. Das Statistik-Portal. Daten nach AGF/GFK. 8 Zum Folgenden vgl. ARD-DeutschlandTREND. http://www.infratest-dimap.de. 9 Eine ähnliche zeitverzögerte Wirkung besaß die Skandalisierung von Kohl und der CDU in der Spendenaffäre. Ihre größte Akzeptanz hatte die CDU mit 49 % im November 1999. Aufgrund der massiven Kritik an Kohl und der CDU ging der Wert bis zur vierten Dezemberwoche auf 45 % zurück. Nach dem Frontalangriff von Angela Merkel auf Kohl am 22.12.1999 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stürzte die Partei bis Ende Februar 2000 in der Wählergunst auf 31 % ab. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Die Mechanismen der Skandalisierung. 2. Auflage 2005, S. 31–35. 10 Zum Einfluss ihrer Skandalisierungen auf das nonverbale Verhalten von zu Guttenberg und Wulff vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Post, Senja / Dickhaus, Maike: Effects of Scandals on Top Politicians. Paper presented at the ICA-Conference in Japan 2016. 11 Vgl. hierzu Kapitel 15 sowie Wulff, Christian: Ganz oben. Ganz unten, S. 218. 12 Vgl. Heims, Günter: Medien und Stuttgart 21. 13 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Geiss, Stefan / Siebert, Sandra: Framing Scandals: Cognitive and Emotional Media Effects. 14 Bei den untersuchten Zeitungen handelt es sich um Mainzer Allgemeine Zeitung, Mainzer RheinZeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, Welt und Bild, bei den Fernsehsendungen um ARD Tagesthemen, ZDF heute journal, RTL aktuell, SAT.1 NEWS. 9. Die Zeit der Empörung Ein Skandal ist eine Zeit der Empörung. Nüchterne Skepsis gilt nicht als Tugend, sondern als Uneinsichtigkeit. Wer sich dem Protest nicht anschließt oder wenigstens Sympathie dafür bekundet, wird isoliert und abgestraft. Als der Skandal um die Versenkung der Brent Spar seinem Höhepunkt entgegenstrebte, empörte sich Peter Alexander: »Ich bin entsetzt! Das kann man doch nicht machen!«, und Rita Süssmuth rief mahnend aus: »Stoppt die Gefährdung unserer Erde und Meere. Nehmt Vernunft an und handelt entsprechend«. Ernst Benda erklärte vor 80.000 Besuchern des Kirchentags in Hamburg, der Evangelische Kirchentag unterstütze den »Aufruf, die Produkte dieses Unternehmens nicht zu kaufen, solange dieser Irrweg nicht korrigiert wird«. Als sich die Forderungen überschlugen, Helmut Kohl solle die Namen der anonymen Spender nennen, verglich der Jesuitenpater Friedhelm Hengsbach ihn mit dem biblischen König Herodes, der sich auch dann noch an sein Versprechen gegenüber Salome gebunden fühlte, als sie »den Kopf des Propheten forderte«. Als Eva Herman ihr neues Buch vorgestellt hatte, beschimpfte die Schriftstellerin Karin Duve sie mit den Worten, sie sei »zum Knochenkotzen«, der Schauspieler Jan Fedder ereiferte sich, sie habe »ein Loch im Kopf« und »einen Nazi-Zopf«. Bild fragte: »Ist Eva Herman braun oder nur doof?«1 Nachdem Köhler zurückgetreten war, wurde er auf Spiegel Online (01.06.2010) als »Absteiger des Jahres« bezeichnet, der sich »selbst stürzt«, von Michael Hanfeld in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (01.06.2010) als »präsidialer Rohrkrepierer« und von Kurt Kister in der Süddeutschen Zeitung (01.06.2010) als »Null-Bock-Horst« beschimpft. Als Christian Wulff nach seinem Rücktritt im Garten von Schloss Bellevue verabschiedet wurde, schrien Hunderte Demonstranten »Schande, Schande, Schande«, warfen als Zeichen der Verachtung Schuhe in den Garten und übertönten das Stabsmusikkorps beim Großen Zapfenstreich mit Vuvuzelas. Als im Januar 2015 in Frankfurt etwa 80 Menschen an einer Pegida-Kundgebung teilnahmen, standen ihnen rund 1.000 Demonstranten gegenüber, die sie niederschrien und mit Eiern, Flaschen und Böllern bewarfen. Derartige Angriffe auf die Meinungsfreiheit einer Minderheit wiederholten sich mit ähnlichen Größenverhältnissen im Februar und März. Wie reagiert die Bevölkerung auf solche Äußerungen? Lehnt sie sie ab oder goutiert sie sie? Bei Skandalen treffen, wie das Institut für Demoskopie Allensbach in mehreren Beispielen gezeigt hat, irrationale Ausbrüche, die in normalen Phasen peinliches Schweigen hervorrufen würden, auf große Zustimmung. In einer eigens dafür entwickelten Testfrage wird eine öffentlich tagende Expertenrunde geschildert. Sie diskutiert anlässlich eines aktuellen Missstands – im Januar 2001 war es der BSE-Skandal – den Stand der Forschung und erörtert mögliche Maßnahmen. Plötzlich, so die Geschichte, springt ein Zuhörer auf und protestiert: »Was interessieren mich Zahlen und Statistiken in diesem Zusammenhang! Wie kann man überhaupt so kalt über ein Thema reden, bei dem es um unsere Gesundheit und unser Leben geht«. Bei allen Skandalen hält die Mehrheit der Bevölkerung diese Ausbrüche des »gesunden Menschenverstandes« für richtig – im Falle des BSE-Skandals waren es nahezu zwei Drittel.2 Die Flucht vor der bezifferbaren Realität angesichts drohender Gefahren bleibt nicht auf bildungsferne Schichten beschränkt. So erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Sendung »Anne Will« als sie angesichts der massenhaften und unkontrollierten Immigration auf konkrete Daten angesprochen wurde: »Ich möchte mich an den Zahlen, an den Statistiken, die im Augenblick herumgereicht werden, jetzt gar nicht beteiligen«, wies dann aber darauf hin, dass »Millionen dieses Land mögen«. Im Skandal geht es nicht vorrangig um die Richtigkeit der Behauptungen, sondern um die dadurch hervorgerufenen Emotionen. Aber woher stammen die Emotionen? Physiologen haben lange angenommen, dass Emotionen wie Ärger und Empörung, Freude und Glück jeweils eigene physiologische Ursachen haben. Trotz intensiver Forschungen wurden solche spezifischen Ursachen jedoch nicht gefunden. In den 1960er-Jahren haben zwei Psychologen, Stanley Schachter und Jerome Singer, eine andere Erklärung vorgeschlagen. Ihrer Ansicht nach haben Emotionen zwei Ursachen – eine unspezifische Erregung, die allen Emotionen gemeinsam ist, sowie eine situationsspezifische Vorstellung, die die Art der Emotionen bestimmt (»Zwei-Faktoren-Theorie«). Normalerweise hängt die situationsspezifische Vorstellung mit dem tatsächlichen Anlass der Erregung zusammen – wer durch eine Beleidigung erregt ist, führt das darauf zurück und reagiert entsprechend wütend. Oft sind die Anlässe der Erregung jedoch unbekannt oder mehrdeutig. Man ist erregt, weiß aber nicht warum. In diesen Fällen stützt man sich unbewusst auf das, was man gerade beobachtet, und reagiert dementsprechend – beispielsweise wütend in einer unangenehmen Situation oder belustigt in einer angenehmen Umgebung. In solchen Situationen hat die situationsspezifische Vorstellung andere Anlässe als die Erregung, sie steuert aber die daraus entstehende Emotion. Schachter und Singer haben ihre Vermutung belegt, indem sie Versuchspersonen unter einem Vorwand eine erregende Substanz (Adrenalin) spritzten. Einigen beschrieben sie die Wirkung des Mittels sachgerecht, andere ließen sie darüber im Unklaren. Anschließend brachten sie die Versuchspersonen unter einem Vorwand mit einem Mitarbeiter zusammen, der als weitere Versuchsperson vorgestellt wurde. Er verhielt sich in einigen Fällen aggressiv, in anderen Fällen führte er sich albern auf. Gemäß den Erwartungen benahmen sich die ahnungslosen Versuchspersonen den Umständen entsprechend ebenfalls entweder aggressiv oder albern. Dagegen verhielten sich die kundigen Versuchspersonen, weil sie eine überzeugende Erklärung für ihre Erregung hatten, normal.3 Percy H. Tannenbaum hat die sogenannte Zwei-Faktoren-Theorie für die Analyse von Medienwirkungen fruchtbar gemacht.4 Üblicherweise vermuten wir beispielsweise, dass Gewaltdarstellungen die Bereitschaft zu aggressiven Handlungen erhöhen, weil zwischen der Ursache – dem Inhalt des Films – und der Wirkung – dem Verhalten – eine Ähnlichkeit besteht. Das ist jedoch nicht notwendigerweise so. In einer Serie von Experimenten hat Tannenbaum gezeigt, dass inhaltlich verschiedene Filme – Abenteuerfilme, Slapstick-Komödien, pornografische Darstellungen – ähnlich starke Erregungen hervorrufen können. Dadurch steigern sie generell die Reaktionsbereitschaft. Die Art der Reaktionen hängt dann nicht vom Inhalt der gesehenen Filme ab, sondern ähnlich wie im Experiment von Schachter und Singer von den Wahrnehmungen in der jeweiligen Handlungssituation: Wurden die Versuchspersonen mit einem pornografischen Film erregt und anschließend in eine Situation gebracht, in der sie aggressiv reagieren konnten, verhielten sie sich aggressiver als Personen, die einen nicht erregenden Film gesehen hatten. Viele Skandalberichte, vor allem des Fernsehens, sind aufgrund ihrer Bilder erregend – Aufnahmen von Nematoden in Fischen, von Wasserkanonen gegen Greenpeace-Aktivisten, von Sanierungsarbeitern in Ganzkörperschutzanzügen, von brennenden Tierkadavern auf englischen Feldern, von Toten, Verletzten und Verzweifelten in Bad Reichenhall oder von gewaltigen Explosionen im Kernkraftwerk bei Fukushima usw. Solche Bilder sind Auslöser von Emotionen – Ekel, Empörung, Angst und Trauer. Allerdings erklärt das bei vielen Skandalen die heftigen emotionalen Reaktionen aus zwei Gründen nicht. Erstens bleibt unklar, weshalb die Bilder diese und keine anderen Emotionen auslösten: Warum empfanden die meisten Fernsehzuschauer angesichts der Wasserkanonen vor der Brent Spar vor allem Empörung über die Shell AG statt Mitleid mit den attackierten Greenpeace-Aktivisten? Warum schlug die anfängliche Trauer angesichts der eingestürzten Eissporthalle in Bad Reichenhall in Wut und Empörung um, obwohl die Bilder gleich oder zumindest ähnlich blieben? Die Bilder allein erklären das nicht. Es müssen situationsbezogene Vorstellungen hinzukommen – z. B. von der Ursache des Einsturzes der Eissporthalle. Zweitens gibt es bei vielen Skandalen keine ähnlich erregenden Aufnahmen. Trotzdem schlägt die Erregung hohe Wellen – bei der Gedenktagsrede Jenningers, beim CDU-Spendenskandal, bei der vermeintlichen Ermordung des sechsjährigen Joseph, anlässlich des Anrufs von Wulff bei Diekmann, des Indienflugs von Tebartz-van Elst und der Pädophilie-Vorwürfe gegen Sebastian Edathy. Warum kam es auch in solchen Fällen zu starken emotionalen Reaktionen, obwohl ähnlich dramatische Bilder fehlten? Erregende Bilder sind eine, aber nicht die einzige Ursache von Emotionen. Ähnliche Emotionen können auch reine Textdarstellungen hervorrufen. Warum das so ist, erklären die Psychologen Josef Nerb, Hans Spada und Stefan Wahl mit der Bewertungs-Theorie (»Appraisal-Theory«).5 Sie besitzt Gemeinsamkeiten mit der Zwei-Faktoren-Theorie, präzisiert aber die Elemente, die spezifische Emotionen auslösen. Emotionale Reaktionen sind demnach spontane und intuitive Folgen der individuellen Einschätzung einer Situation. Ihre Grundlage sind nicht objektive Fakten, sondern subjektive Vorstellungen. Diese Vorstellungen beruhen bei Skandalen, weil die Masse der Bevölkerung keine Informationen aus erster Hand besitzt, im Wesentlichen auf Medienberichten. Die Intensität der Reaktionen auf das Geschehen – genauer gesagt, auf seine Darstellung durch die Medien – hängt von der Größe des wahrgenommenen Schadens ab: Je schwerwiegender die Leser, Hörer oder Zuschauer einen Missstand einschätzen, desto heftiger fallen ihre Reaktionen aus. Die Art der Reaktionen beruht dagegen auf den Vorstellungen von den Ursachen des Missstands. Falls die Rezipienten den Eindruck gewinnen, ein Missstand sei auf Fehler von eigennützig handelnden Personen zurückzuführen, empfinden sie Ärger. Das gilt vor allem dann, wenn sie der Meinung sind, dass die Akteure die Folgen ihres Handelns abschätzen konnten und keine höheren Ziele verfolgten – also z. B. keine schlimmeren Missstände verhindern wollten. Falls die Leser, Hörer oder Zuschauer dagegen den Eindruck gewinnen, der Schaden sei durch höhere Gewalt – etwa durch ein Naturereignis – hervorgerufen worden, empfinden sie Trauer. Mit Trauer reagieren sie auch dann, wenn sie meinen, dass die Handelnden die Folgen ihres Verhaltens nicht überblicken konnten, keine andere Wahl hatten oder höhere Ziele verfolgten. Dann sind sie in ihren Augen selbst Opfer der Umstände. Nerb und seine Kollegen haben ihre theoretischen Annahmen anhand fiktiver, aber realistischer Berichte über Umweltschäden getestet und bestätigt: Wurde in einem Bericht über einen Tankerunfall mit großen ökologischen Folgeschäden behauptet, das havarierte Schiff habe nicht den Sicherheitsvorschriften entsprochen, reagierten die Leser mit Ärger, wurde dagegen behauptet, es habe den neuesten Sicherheitsstandards entsprochen, mit Trauer. Entsprechend den theoretischen Annahmen entwickelten die Leser über die gegebenen Informationen hinaus auch andere, stimmige Vorstellungen. So glaubten die Leser des Unfallberichts, in dem der Tanker als unsicher dargestellt wurde, dass die Verantwortlichen das Risiko kannten und kein höheres Ziel verfolgten – obwohl in dem Bericht darüber nichts gesagt wurde. Wurde der Tanker nicht ausdrücklich als unsicher dargestellt, zogen die Leser nicht die erwähnten Folgerungen. Die Realitätsdarstellungen riefen auch Verhaltensabsichten hervor. So waren Leser, die erfahren hatten, dass das Schiff nicht den Sicherheitsbestimmungen entsprach, eher zur Teilnahme an einem Boykott bereit als Leser eines Berichts, in dem der Tanker als sicheres Schiff charakterisiert wurde. In den Labortests wurden mehrere Wirkfaktoren vernachlässigt, die bei der Skandalisierung von Missständen in der gesellschaftlichen Realität eine bedeutende Rolle spielen, im Labor aber nicht getestet werden können. Dazu gehören u. a. die Konsonanz der Berichterstattung, d. h. der mehr oder weniger übereinstimmende Tenor aller Medien, und die Menge der veröffentlichten und genutzten Beiträge. Zudem haben die Autoren ausschließlich materielle Schäden berücksichtigt. Ursachen der Skandalisierung von Missständen sind jedoch vielfach immaterielle Schäden – die Verletzung sozialer Normen, von Zitiervorschriften, des Telefongeheimnisses, der Privatsphäre oder der Promillegrenze beim Autofahren usw. Bei der Analyse der Skandalisierung von Missständen in der sozialen Realität müssen die Theorie der Problematik angepasst, die Messinstrumente weiterentwickelt und die Annahmen unter realistischen Bedingungen in einer Feldstudie getestet werden. Der Einfluss der Medienberichterstattung auf die Vorstellungen der Rezipienten vom Geschehen, auf ihre emotionalen Reaktionen und auf ihre Forderungen nach Konsequenzen für die Skandalisierten wurde auf der Grundlage der erweiterten theoretischen Annahmen und Messinstrumente in der bereits erwähnten Studie zur Skandalisierung von Volmer, Fischer, Schröder sowie des BND untersucht.6 Die komplexen Beziehungen zwischen der Darstellung der von Volmer, Fischer, Schröder und dem BND verursachten Missstände, der Intensität der Mediennutzung der Befragen, ihren Vorstellungen von dem berichteten Geschehen sowie ihren Emotionen und Forderungen lassen sich in einem mathematischen Modell darstellen. Die Ergebnisse der Feldstudie bestätigen danach im Wesentlichen die Laborbefunde, ergänzen und präzisieren sie jedoch in mehreren Punkten. Mit dem erwähnten Modell kann man ein Drittel der Emotionen der Befragten erklären. Ähnlich gut kann man ihre Überzeugung erklären, dass sich die skandalisierten Akteure schuldig gemacht haben. Der Ärger, den die Berichte ausgelöst hatten, hing vor allem von den medial hervorgerufenen Vorstellungen von der Größe des Schadens und vom Wissen der Skandalisierten um die Folgen ihres Handelns ab. Dagegen beruhte die Forderung nach Konsequenzen vor allem auf der Vorstellung von der Größe des Schadens sowie auf den Überzeugungen, der Schaden sei tatsächlich durch die Skandalisierten hervorgerufen worden und sie hätten aus egoistischen Motiven gehandelt. Die Darstellung des Vorhabens zur Versenkung der Brent Spar entsprach dem Schuldschema des Laborexperiments und der darauf aufbauenden Feldstudie: Die Shell AG wurde von Greenpeace in einer wochenlangen PRKampagne als Verursacher eines sehr großen, absehbaren und vermeidbaren Schadens dargestellt, der mit der Versenkung der Brent Spar vor allem Kosten sparen wollte. Bei der wichtigsten Zielgruppe der Kampagne, den deutschen Journalisten, löste dies Wut und Ärger aus, die durch die erregenden Bilder vom Kampf zwischen David und Goliath in der Nordsee verstärkt wurden. Auch deshalb diskreditierten sie die Richtigstellungen von Shell mit dem Zorn der Gerechten und steigerten damit die Empörung ihrer Leser, Hörer und Zuschauer derart, dass sie sich im Boykott von ShellProdukten und gelegentlich auch in gewaltsamen Aktionen gegen ShellTankstellen entlud – wobei alle der festen Überzeugung waren, richtig zu handeln. Ein neueres Beispiel ist die Kampagne gegen Tebartz-van Elst. Er wurde in mehreren Wellen als Bischof präsentiert, der das Geld mit beiden Händen ausgibt, »während seine Gläubigen sparen sollen« (Spiegel, 03.09.2012): Der »Protz-Bischof« lässt sich für über 30 Millionen eine Luxusresidenz bauen, fliegt erster Klasse, gönnt sich einen BMWLuxuswagen und steigt auf einem Foto aus einem teuren Oldtimer, der ihm zwar nicht gehört, aber offensichtlich gefällt. Die Folge ist eine »Riesen-Wut auf den Protz-Bischof« (Bild, 12.10.2013). Auch hier bildeten Journalisten einiger Schlüsselmedien die wichtigste Zielgruppe von Aktivisten, die ihre eigenen, zum Teil ganz anders gelagerten Ziele verfolgten, und mit der bereitwilligen Hilfe der Medien auch erreichten. Bei den Schäden geht es in Deutschland meist um finanziellen Eigennutz. Das muss jedoch nicht sein. Es kann sich auch um die Gefährdung der Pressefreiheit handeln, wie im Fall Wulff, oder um die Diskriminierung der sexuellen Orientierung von Minderheiten, wie im Fall Lewitscharoff, oder um Gefahren für Gesundheit und Leben, wie bei den meisten Seuchen-, Lebensmittel- und Medikamenten-Skandalen. Beispiele aus jüngerer Zeit sind die Reaktionen auf die Skandalisierung von angeblich gefahrenträchtigem Rinder-, Schweine- und Geflügelfleisch, wobei der Intensität der jeweiligen Emotionen und Forderungen der Intensität der Skandalisierung entsprach. Ähnliche emotionale Reaktionen lösten die Skandalisierungen von SARS, Vogelgrippe und Schweinegrippe aus, bei denen die gleichen Zusammenhänge zwischen der Intensität der Anprangerung und den Sorgen und Ängsten der Bevölkerung auftraten. Besonders extrem sind, wegen der scheinbaren Eindeutigkeit der Situationen und der moralischen Polarisierung, emotionalen Reaktionen auf Skandalisierungen in Täter-OpferKonstellationen – der »Mörder« des kleinen Joseph in Sebnitz (2000), des »Autobahnrasers« Rolf F. (2003), der »Totschläger« von Dominik Brunner (2009) und Tugce Albayrak (2014). Falls sich die Vorstellungen vom Geschehen als falsch erweisen, können Wut und Empörung in Scham und Trauer umschlagen – wenn sich nämlich herausstellt, dass die angeprangerten Missstände nicht durch menschliche Fehler hervorgerufen wurden, sondern natürliche Ursachen hatten: Man ist noch erregt, empfindet die Erregung nun jedoch ganz anders – als Folge der Erkenntnis etwa, dass der kleine Joseph in Sebnitz nicht von Rechtsradikalen ermordet wurde, sondern Opfer eines Badeunfalls war. Der Skandal war vorbei. Mitleid verdrängte Empörung. Ein Beispiel für den umgekehrten Fall ist der katastrophale Brand der Bergbahn bei Kaprun: Als bekannt wurde, dass er keine natürlichen Ursachen hatte, sondern eine Folge menschlichen Versagens war, schlug die anfängliche Trauer in Wut um. Das Gleiche geschah bei der Aufdeckung der menschlichen Ursachen des Einsturzes der Eissporthalle in Bad Reichenhall und der Entdeckung, dass der Absturz der Germanwings-Maschine nicht die Folge eines unerklärlichen Unfalls war, sondern der gezielten Absicht des Copiloten. Die Art und Intensität der Reaktionen beruhen auf dem Zusammenwirken der Intensität der Skandalisierung durch die Medien und der dadurch etablierten Vorstellungen und Emotionen: Eine sachlich scheinbar richtige Vorstellung ist verbunden mit einer moralisch scheinbar notwendigen Erregung. Beide beruhen auf der gleichen Ursache, der medialen Darstellung des Sachverhalts. Die Vorstellungen und Emotionen schaukeln sich im Verlauf eines Skandals gegenseitig hoch und entfalten dadurch eine starke Eigendynamik: Emotionen werden von bestimmten Informationen ausgelöst; Informationen, die zu den Emotionen passen, werden geglaubt, unpassende als unglaubhaft zurückgewiesen. Ob die Vorstellung berechtigt oder falsch ist, kann die Mehrheit der Bevölkerung zeitnah nicht feststellen und erschließt sich auch Journalisten oft nicht, nur unzureichend oder spät. Entscheidend ist während der Kampagne die Überzeugung, dass sie zutrifft. Zur Vorstellung vom Geschehen gehören die Empörung darüber sowie die Bereitschaft, alles zu glauben, was diese Empörung verstärkt. Vorstellungen und Empfindungen sind stimmig. Für Trauer ist deshalb im Skandal kein Raum. Wenn die intensive Skandalberichterstattung abgeklungen ist und die Medien andere Themen in den Vordergrund stellen, lässt die Erregung nach und verschwindet schließlich völlig. Die Erinnerung an die vielen Einzelheiten verblasst, die sich während der Skandalisierung zu einem schemagerechten Gesamtbild verdichtet und Empörung, Ärger, Abscheu usw. hervorgerufen haben. Die sich selbst verstärkenden Wechselwirkungen zwischen schemagerechten Informationen und Emotionen werden schwächer und verschwinden schließlich ganz. Zurück bleiben bruchstückhafte Vorstellungen, die ohne massive mediale Unterstützung keine starken Erregungen auslösen. Es fehlt eine Hälfte der Verhaltensursachen: Man weiß zwar noch einigermaßen, was man gedacht hat, versteht aber nicht mehr, warum man so empört war, weil die dafür erforderliche Erregung fehlt. Deshalb sind im Rückblick die Ängste vor BSE, der Schweinegrippe und Ehec oder die Verdammung der Einwohner von Sebnitz kaum noch nachvollziehbar. Und die Hysterie über die verstrahlte Molke und die Versenkung der Brent Spar, die Empörung über die Reden Jenningers und Walsers und die Aggressionen gegen Sarrazin, Wulff und Tebartz-van Elst ist vielen nur noch peinlich. 1 Alle zitiert nach Focus, 15.10.2007. 2 Vgl. Köcher, Renate: Öffentliche Aufregung als Risiko und Chance. 3 Vgl. Schachter, Stanley / Singer, Jerome: Cognitive, Social, and Physiological Determinants of Emotional State. 4 Vgl. Tannenbaum, Percy H.: Emotional Arousal as a Mediator of Erotic Communication Effects. 5 Vgl. Nerb, Josef / Spada, Hans / Wahl, Stefan: Kognition und Emotion. 6 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Geiß, Stefan / Siebert, Sandra: Framing Scandals. 10. Der Umgang mit Nonkonformisten Einige Tage bevor Helmut Kohl sein »Tagebuch 1998–2000« vorstellte, beendete Ulrich Deppendorf einen Kommentar in den Tagesthemen mit der Bemerkung, an der Situation der Union änderten »auch (…) die peinlichen so genannten Tagebuchaufzeichnungen von Ex-Kanzler Kohl (nichts). Punktgenau zum Parteitag platziert, regen sie in der Partei keinen mehr auf. Über so viel Selbstgerechtigkeit herrscht nur noch Kopfschütteln, selbst bei den treuesten Kohl-Jüngern. Es interessiert keinen mehr, was Kohl zu sagen hat. Es sei denn, er würde die Spender nennen«. Interpretiert man Deppendorfs Behauptung als Tatsachenaussage, handelt es sich um eine Spekulationen, weil zum Zeitpunkt des Kommentars niemand wissen konnte, ob es tatsächlich »keinen mehr interessieren« würde, was Kohl zu sagen hatte. Wenige Tage später hatten sich die Spekulation Deppendorfs als falsch erwiesen. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 25./26. November 2000 über die Buchvorstellung das Gegenteil vom dem, was Deppendorf behauptet hatte: »Die Journalisten, das Publikum, sind in Kompaniestärke angerückt; drei Dutzend Fernsehkameras und zahlreiche Fotoapparate halten jede Regung des ebenso erfahrenen wie voluminösen Artisten vorne auf dem Podium fest«. Der Verlag Kohls verzeichnete am Wochenende vor der Auslieferung des Buches 160.000 Vorbestellungen und Kohl machte eine bundesweite Lesereise, bei der Tausende geduldig Schlange standen, um ihr Exemplar signieren zu lassen. Monatelang fanden sich seine Erinnerungen auf der Bestsellerliste. Schwerer als Deppendorf konnte man kaum irren. Möglicherweise handelte es sich jedoch bei Deppendorfs Behauptung nicht um eine Tatsachenaussage, sondern um eine indirekte Aufforderung: Alle, die ihn hören und sehen konnten, sollten Kohls Aufzeichnungen »peinlich« finden und darauf mit »Kopfschütteln« und »Desinteresse« reagieren. So verstanden, kann man die Aussage auch als Charakterisierung derjenigen verstehen, die die Aufzeichnungen Kohls mit Spannung erwartet hatten. Bei ihnen musste es sich um extreme Außenseiter handeln, deren Verhalten Verachtung verdiente, weil sie sich mit etwas so Peinlichem befassten, das selbst bei den treuesten Kohl-Anhängern in der CDU, ganz zu schweigen von der Mehrheit der Gesellschaft, nur noch Kopfschütteln hervorrief. Wer sich für Kohls Tagebuch interessierte, war demnach von allen guten Geistern verlassen. So interpretiert, handelte es sich bei der Behauptung Deppendorfs um eine versteckte Drohung, deren Ziel darin bestand, Kohl durch die Diskreditierung möglicher Sympathisanten zu isolieren. Stellungnahmen wie diese sind ein typisches Element von Skandalen. Wer sich im Skandal der öffentlichen Meinung widersetzt, wird mundtot gemacht oder, falls das nicht möglich ist, ausgegrenzt. Dies betrifft sowohl die Skandalisierten als auch ihre Verteidiger. Die demonstrative Isolierung der Skandalisierten und ihrer Verteidiger erfüllt zwei Funktionen: Sie zeigt zum einen, dass der Skandalisierte völlig alleine steht, weil sich die Rechtschaffenen vom ihm abgewandt haben. Zum anderen macht sie potenziellen Verteidigern klar, was ihnen droht, wenn sie sich zu einer Rechtfertigung der Skandalisierten hinreißen lassen. Die Charakterisierung Kohls durch Deppendorf ist kein Einzelfall. Ähnlich erging es Wulff. Am 3. Januar 2012, zwei Tage nach den ersten Berichten über den »Drohanruf« Wulffs bei Diekmann, behauptete Philipp Wittrock auf Spiegel Online unter der Überschrift »Der isolierte Präsident«, es werde »einsam um Christian Wulff«. Am 4. Januar hieß es in Bild unter der Überschrift »Der einsame Wulff«, der Bundespräsident fände »kaum noch Unterstützung« und belegte das mit negativen Pressekommentaren zu seinem Anruf. Am selben Tag berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf ihrer Titelseite, das Bundespräsidialamt versuche »den Eindruck zu vermitteln«, Wulff sei »auch in der kommenden Woche noch im Amt«. Am 9. Januar behauptete Nils Minkmar an gleicher Stelle unter Bezugnahme auf eine Talkshow von Günther Jauch, zu der fast nur Wulff-Kritiker eingeladen waren, Wulff fände »kaum noch Fürsprecher«. Am 13. Februar erklärte Jauch in seiner Talkshow zur beruflichen Zukunft von Wulff, von ihm werde »niemand ein Stück Brot nehmen«. Am 14. Februar leitete Andreas Platthaus in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seinen Bericht über einen Empfang des Bundespräsidenten mit der Behauptung ein, die Prominenz interessiere sich vor allem für die Frage, ob es ihrem Ruf schade, wenn sie die Einladung von Wulff annähme. Anlässlich des Staatsbesuchs von Wulff in Italien stellte die Rhein Main Presse (14.02.2012) ihn auf einem Foto weitgehend verdeckt von zwei Personen dar. Die Unterzeile lautete: »Wulff ›versteckt‹ sich in Rom«. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte am gleichen Tag auf ihrer Titelseite unter der Zeile »Wulff in Rom« ein Foto, das nicht Wulff zeigte, sondern einen roten Teppich, neben dem zwei Straßenkehrer den liegengebliebenen Dreck wegschafften. Sibylle Lewitscharoff erging es ähnlich. Sie hatte am 2. März 2014 in einer Rede in Dresden informativ und einfühlsam über moralische Aspekte der Hinauszögerung des Todes unheilbar Kranker sowie der künstlichen Herstellung von Leben gesprochen und dabei am Rande mit polemischen Begriffen die Legitimität der künstlichen Generierung von Kindern für gleichgeschlechtliche Paare bestritten. Am 5. März skandalisierte Robert Koall, Chefdramaturg am Schauspielhaus Dresden und Gastgeber Lewitscharoffs, auf dem Briefpapier des Staatsschauspiels Dresden, also in offizieller Funktion, ihre Rede und griff vorsorglich mögliche Unterstützer an: der Journalist Matthias Matussek »schwadroniere« in der Welt über Schwule, Thilo Sarrazin sei »verwirrt«, ein »Populist«, der »Raum schaffen« wolle für »Vorurteile, Lügen und Ressentiments«. Am 6. März bezeichnete Georg Diez Lewitscharoff auf Spiegel Online als »Herrenreiterin des Kleingeistes«, charakterisierte ihre Rede als »Blaupause für einen neuen Klerikalfaschismus«, als »menschenverachtend, herrisch, gefühlskalt, reaktionär und ressentimentgeladen« und fragte vorsorglich, was die »reaktionären Knallchargen« dazu sagen, die wie Matussek die »demokratiefeindliche Muppetshow unserer Tage … bevölkern«. Am selben Tag berichtete die Berliner Morgenpost, der Suhrkamp Verlag habe sich von seiner erfolgreichen Autorin distanziert. Einige Tage später forderte der Vorstandssprecher der Grünen in Bad Soden die Veranstalter einer seit längerem geplanten Lesung auf, Lewitscharoff auszuladen. Der Vorsitzende der Darmstädter Jusos verlangte, sie solle ihren Georg-Büchner-Preis zurückzugeben (FAZ, 20.03.2014). Wer trotz des Banns über die Skandalisierten etwas zu ihren Gunsten unternimmt, sei es mit Argumenten oder auf andere Weise, muss mit Sanktionen rechnen – wie Peter Hintze während der Skandalisierung von Wulff. Michael Fröhlingsdorf, Veit Medick und Philipp Wittrock charakterisierten ihn auf Spiegel Online (14.02.2012) als »Christian Wulffs letzten Mann«, der ihn »einsam, aber dafür umso leidenschaftlicher verteidigt«, als »gelernten Pfarrer«, der über die Medienberichterstattung »lästert« und das Staatsoberhaupt »preist«. Bild (14.02.2012) dokumentierte unter der Überschrift »Mein Gott, Herr Pfarrer … Du sollst nicht lügen, Peter!« die »Sünden« Hintzes – seine Stellungnahmen zugunsten von Wulff in der bereits erwähnten Talkshow von Jauch. Während der finalen Skandalisierung von Tebartz-van Elst erklärte der Leiter des Frankfurter Hauses am Dom, Joachim Valentin, wer »diesen Bischof öffentlich« verteidige, habe »schlicht seine eigene Seriosität verspielt« (FAZ, 18.11.2013). Als Helmut Maucher, der frühere Vorstandsvorsitzende der Nestlé AG, Kohl 500.000 DM spendete, damit Kohl die von ihm im CDUSpendenskandal verursachte Strafzahlung leisten konnte, rief die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis, zum Boykott von Nestlé-Produkten auf. Weil Erich Schumann, SPD-Mitglied und Verleger der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, aus dem gleichen Grund 800.000 DM gespendet hatte, wurde gegen ihn ein Parteiordnungsverfahren beantragt. Hintze, Maucher und Schumacher hatten eines gemeinsam: Sie hatten die Einheitsfront der Skandalgläubigen durchbrochen. Typisch für Attacken zur Isolierung der Skandalisierten und derjenigen, die zu ihnen stehen, ist die strikte Personalisierung von Sachfragen. Fakten, Interpretationen und Meinungen werden nicht oder nur scheinbar diskutiert. Ihr Ziel ist das Gegenteil, die Vermeidung eines Diskurses über Sachfragen durch die Ausschaltung der Gegner. Ein Beispiel aus der Wissenschaft ist der auf Person und berufliche Position zielende Angriff auf Horst Möller, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, wegen seiner Laudatio auf Ernst Nolte anlässlich der Verleihung des Preises der Deutschland-Stiftung am 4. Juli 2000. Hintergrund des Geschehens war der sogenannte »Historikerstreit«, der in die Ächtung von Andreas Hillgruber und Ernst Nolte mündete, die angeblich die historische Einzigartigkeit des Holocaust infrage gestellt hatten. Obwohl Möller, das wissenschaftliche Werk Noltes distanziert und kritisch würdigte, löste seine Laudatio wütende Attacken aus, die in der Forderung nach seiner beruflichen Kaltstellung gipfelten. Möller, so befand sein Kollege Heinrich August Winkler in einem offenen Brief, könne nicht länger »an der Spitze des Instituts für Zeitgeschichte und der Gemeinsamen Kommission zur Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen verbleiben« (FAZ, 04.07.2000). Nicht der Inhalt der Laudatio Möllers war die Ursache dieser Angriffe, sondern die Tatsache, dass er sie gehalten und damit die Isolation Noltes durchbrochen hatte. Derartigen Isolationsdrohungen sind gelegentlich auch Medien, Journalisten und Autoren ausgesetzt. Nachdem der Spiegel (12/2014) Edathy die Möglichkeit gegeben hatte, sich in einem Interview zu den gegen ihn erhobenen Pädophilie-Vorwürfen zu äußern, empörte sich der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter auf Facebook: »Das glaubt keiner, das will auch keiner lesen und der Spiegel sollte sich hüten, unter dem Deckmäntelchen von ach so tollem Journalismus die unsägliche PädophilieDebatte der siebziger und achtziger Jahre neu aufzulegen«. Nachdem Werner Patzelt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (21.01.2015) mehrere Gründe für die Entstehung von Pegida dargelegt hatte, darunter auch ein einseitig verengtes Meinungsspektrum der Medien, schrieb Georg Diez auf Spiegel Online (23.01.2015), dass jetzt im Feuilleton der FAZ ein »weitgehend unbekannten Dresdner Politikwissenschaftler«, der sich »für Chormusik und Burschenschaften interessiert«, also seine Aufmerksamkeit abseitigen Erscheinungen widmet, darüber »schwadroniert« ob der »Vulkan des ›Volkswillens‹ bald ausbricht«. Auch im Journalismus zielt die Diskreditierung der Qualifikation von Kollegen gelegentlich auf ihre Ausschaltung. Ein Beispiel ist ein Interview von Simon Feldmer mit dem Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, Joachim Dorfs. Anlass war der geplante Abriss des Stuttgarter Hauptbahnhofs (Stuttgart 21), den eine Reihe einflussreicher Medien monatelang skandalisiert, die Stuttgarter Zeitung aber gerechtfertigt hatte. Nachdem Feldmer behauptet hatte, Gegner von Stuttgart 21 hätten im Internet die Kündigung ihres Abonnements der Stuttgarter Zeitung dokumentiert, fragte er: »Wie viele Leser haben explizit wegen Ihrer Berichterstattung gekündigt?« Als Dorfs auf 600 Kündigungen verwiesen hatte, fragte Feldmer: »Wie kommen Sie auf diese Zahl? Es können doch viel mehr Leser gekündigt haben, die Ihnen nicht eigens den Grund mitgeteilt haben?« Als Dorfs höhere Schätzungen mit konkreten Zahlenangaben zurückgewiesen hatte, insistierte Feldmer ironisch: »Sie haben angefangen, Leserkonferenzen zu organisieren. Wegen 600 Kündigungen?« Als Dorfs darauf hingewiesen hatte, dass die Zeitung bereits viel früher damit begonnen hatte, gab Feldmer das Thema auf und suggerierte auf die gleiche Art und Weise eine Beschränkung der Pressefreiheit bei der Stuttgarter Zeitung. Auf das Für und Wider von Stuttgart 21 ging Feldmer nicht ein. Stattdessen suggerierte er den Eindruck, Dorfs sei ein irregeleiteter Außenseiter, der sich als Chefredakteur disqualifiziert habe. Veröffentlicht hat das Interview das Magazin des Deutschen Journalistenverbands (journalist, 3/2011). Markus Brauck und Thomas Tuma gingen in ihrer Attacke gegen den Chefredakteur der Zeit, Giovanni di Lorenzo, im Spiegel (05.12.2011) ähnlich vor wie Feldmer im journalist. Anlass war unter anderem das als Buch angekündigte Gespräch von di Lorenzo mit Karl-Theodor zu Guttenberg über den Skandal um seine Dissertation. Auch Brauck und Tuma ging es nicht um eine sachliche Klärung, sondern um Rufschädigung. Die für ein Nachrichtenmagazin naheliegenden politischen Fragen, was für und gegen eine Rückkehr von zu Guttenberg in die Politik spreche und welche Folgen das für die CDU/CSU hätte, spielte für sie ebenso wenig eine Rolle wie die journalistische Kernfrage, ob das Totschweigen z. B. von zu Guttenberg eine akzeptable Alternative zur sachlichen Auseinandersetzung mit kritikwürdigen Politikern ist. Ihnen ging es darum, di Lorenzo als käuflichen Steigbügelhalter zu präsentieren, der seine persönlichen Interessen auf Kosten seiner Zeitung verfolge. So habe der am Honorar beteiligte di Lorenzo »mit Guttenberg das Interesse gemein, dass das Werk ein Bestseller« werde. Er mache »Reklame« für zu Guttenberg und seinen Verlag. Er habe sich »einspannen lassen«, sei »Teil eines Spiels geworden«. Nach einem Umweg über das »Ständehausgespräch«, das di Lorenzo viermal im Jahr gegen Honorar moderiert, mündeten die Unterstellungen in die Frage: »Wären Sie so nett, uns zu sagen, was ein Giovanni di Lorenzo kostet …?« Den krönenden Abschluss bildete die in Frageform gekleidete Unterstellung: »Was meinen Sie – welche Marke hat mehr Schaden genommen? Guttenberg, di Lorenzo oder ›die Zeit‹?« Die Anprangerung von Nonkonformisten findet in der Öffentlichkeit statt, ihre Ausschaltung wird jedoch gelegentlich im kleinen Kreis geplant. Das illustriert eine Veranstaltung der Deutschen Welle zur politisch korrekten Berichterstattung über den Klimawandel.1 Einer der Schulungskurse behandelte die Frage: »Wie gehen wir professionell mit dem Klimaskeptizismus um?« Gemeint war nach Darstellung von Ulli Kulke, der an der Veranstaltung teilgenommen hatte, eine Antwort auf die Frage: »Wie können wir diejenigen Forscher und Experten, die Zweifel an der menschengemachten Klimakatastrophe hegen und sich öffentlich dazu bekennen, aus dem Diskurs heraushalten?« Der Moderator, Bernhard Pötter von der taz, erläuterte laut Kulke, man wolle »Hilfestellung geben für Chefredakteure, Autoren und andere Journalisten, wie man sich am besten verhalte bei einer unverhofften Konfrontation mit einem ›Klimaskeptiker‹«. Die Referentin, eine amerikanische Wissenschaftlerin, empfahl dazu mehrere Sprachregelungen. So solle man den Begriff »Klimaskeptiker« nicht verwenden, weil der Wortbestandteil »Skeptiker« positiv besetzt sei. Stattdessen solle man von »Gegnern« sprechen. Auch den Begriff »Klimadebatte« solle man vermeiden, weil er den Eindruck erwecke, darüber gäbe es in der Wissenschaft noch unterschiedliche Ansichten. Wichtig sei es, journalistisch Stellung zu beziehen. Eine neutrale Berichterstattung über den Klimawandel würde nur den Skeptikern nützen und zwar auf Kosten allen Lebens. Das zuweilen fragwürdige Zusammenspiel von Journalismus und Wissenschaft illustriert auch die strategische Diskreditierung von Klimaforschern, die an den hauptsächlich menschlichen Ursachen des Klimawandels zweifeln, durch den Leiter der einflussreichen »Climate Research Unit« (CRU) der University of East Anglia, Phil Jones.2 Bekannt wurde die Manipulationsabsicht 2009 unter dem Stichwort »Klima-Gate«, weil ein Hacker etwa 1.000 E-Mails und 3.000 Dokumente kopiert und ins Internet gestellt hatte. Sie belegen, dass Jones seine Kollegen dazu aufgefordert hatte, Skeptikern keine Daten zu liefern, die sie gegen die Mehrheitsmeinung der Klimaforscher verwenden könnten. Teil der Strategie war auch die Verhinderung der Publikation von Forschungsergebnissen, die der Mehrheitsmeinung widersprachen. Jones trat unter dem Eindruck der öffentlichen Kritik von seinem Amt als Institutsdirektor zurück. Zwei Untersuchungskommissionen stützten seine wissenschaftlichen Thesen, kritisierten aber seine Verstöße gegen wissenschaftliche Prinzipien wie Unvoreingenommenheit und Bereitschaft zur Weitergabe von Daten. Zahlreiche Online- und Offline-Medien skandalisierten die Behinderung der Wissenschaftler nicht, sondern bagatellisierten sie. Zudem diskreditierten sie die Kritik daran als durchsichtigen Versuch zur Skandalisierung der bevorstehenden UN-Klimakonferenz in Kopenhagen. Wichtiger als die Freiheit der Wissenschaft war ihnen die Reinheit der herrschenden Lehre. Vermutlich konnten Feldmer, Brauck und Tuma mit ihren Attacken die berufliche Existenz von Dorfs und di Lorenzo nicht ernsthaft gefährden. Wahrscheinlich wussten sie das und darum ging es ihnen wohl auch nicht primär. Vielmehr wollten sie an ihnen ein Exempel statuieren, das den weniger Erfolgreichen und Exponierten klarmachen sollte, was ihnen blühen kann, wenn sie sich der vorherrschenden Meinung widersetzen und den verfemten Gegnern eine Chance geben, ihre Interessen zu vertreten. Im Kern handelte es sich um Angriffe auf die Meinungsfreiheit, bei denen die Herabsetzung von Personen eine Auseinandersetzung mit der Sache verhindern sollte. Sie zielten nicht auf die Etablierung, sondern auf die Unterbindung eines kritischen Diskurses. Was sind die Ursachen von solchen journalistischen Entgleisungen? Allgemeiner gefragt: Was sind die Ursachen der Intoleranz von Menschen, die sich wahrscheinlich für tolerant halten? Eine Ursache ist die feste Überzeugung in Skandalen, dass Andersdenkende nicht nur eine falsche Meinung haben, sondern sich der Wirklichkeit verweigern. Das ist eine Konsequenz der erfolgreichen Etablierung allgemein verbindlicher Sichtweisen. Eine weitere Ursache besteht darin, dass jeder Skandal auf dem absoluten Geltungsanspruch spezifischer Sichtweisen beruht, die als Normen gelten oder gelten sollen. Dieser Geltungsanspruch wird exemplarisch durch die Skandalisierung von Personen und Organisationen dokumentiert, die diese Sichtweisen verletzen. Ihr Ziel ist öffentliche Ächtung. Sie bestätigt die Geltung der Sichtweise bzw. der dahinter stehenden sozialen Normen. Andererseits stellen alle, die sich mit den Skandalisierten solidarisieren, den allgemeinen Geltungsanspruch der Normen und Sichtweisen infrage. Nonkonformisten müssen folglich ausgeschaltet werden. Auch hierbei folgt das Verhalten im Skandal sozialpsychologischen Gesetzmäßigkeiten. Die Ächtung der Nonkonformisten hat weniger mit dem Inhalt ihrer Äußerungen zu tun als mit ihrer sozialen Rolle, sie dient der Sicherung des Überlegenheitsgefühls der Mehrheit sowie der Unterwerfung der Skandalisierten. Beide Kriterien sind unabdingbare Voraussetzungen für die Verteidigung der vorherrschenden Sichtweise und damit für den Erfolg der Skandalisierung. Nur wenn die Mehrheit geschlossen erscheint, kann sie, wie die Asch-Experimente gezeigt haben, ihre Gegner niederhalten. In Skandalen geht es deshalb immer ums Ganze: Es genügt nicht, den Urheber eines Missstands anzuprangern. Er muss, weil nur so die allgemeine Geltung der verletzten Norm gesichert werden kann, isoliert oder ausgeschaltet werden. Das erfordert, dass auch diejenigen, die die Isolation des Skandalisierten durchbrechen oder infrage stellen, diskreditiert werden. Falls das nicht gelingt, muss im Interesse der Normsicherung zumindest der Eindruck erweckt werden, dass die Unterstützer der Skandalisierten nicht zählen, weil sie sich mit ihren Ansichten selbst ins Abseits gestellt haben. In diesem Sinne weisen alle Skandale totalitäre Züge auf: Sie zielen auf Gleichschaltung, weil Abweichler den Machtanspruch der Skandalisierer und ihrer Anhänger infrage stellen. Große Skandale kann man deshalb als Varianten von Schauprozessen betrachten: Die Anklage enthält fast immer einen wahren Kern. Das Ziel besteht jedoch nicht darin, die Angeklagten in einem fairen Verfahren zu überführen, sondern darin, sie mit allen möglichen Mitteln zu diskreditieren, zu unterwerfen und wenn notwendig effektiv auszuschalten. Deshalb ruft auch im Skandal nichts größere Empörung hervor als die Weigerung der Angeklagten, ihre Schuld zu gestehen und die Unverfrorenheit von Nonkonformisten, sich zu den Skandalisierten zu bekennen – sei es auch nur durch ein Interview mit ihnen. 1 Vgl. Kulke, Ulli: Allein unter Klimakämpfern. 2 Vgl. Stahnke, Jochen / Wyssuawa, Mattjias: Klima-Gate; Bojanowski, Axel: Heißer Krieg ums Klima; Müller-Junk, Joachim: Schludrig, aber wahr; Wieland, Leo: UN: Den Klimawandel zu leugnen ist kriminell. 11. Täter und Opfer Die meisten skandalisierten Personen und Organisationen haben tatsächlich die Regeln verletzt und die Missstände verursacht, die ihnen vorgeworfen werden. Zwar kommt es vor, dass jemand aufgrund völlig falscher Vorwürfe angeprangert wird – die Skandalisierung von General Kießling durch erfundene Behauptungen über dessen Sexualleben ist ein Beispiel1 – das sind jedoch seltene Ausnahmen. Die meisten Skandalisierten haben die Fehler, für die sie kritisiert werden, begangen und sie bestreiten das nach einiger Zeit auch meist nicht mehr. Zudem akzeptieren dann viele die öffentliche Kritik an ihrem Verhalten. Trotzdem fühlen sich fast alle als Opfer des Geschehens und der Medien.2 Edathy erklärte einige Wochen vor seinem Freispruch an einem geheimen Ort gegenüber dem Spiegel (17.03.2014), er fände die »Hysterie in der Debatte« um ihn »verstörend«. Es werde ja »offenkundig sogar von Teilen der Medien als anstößig betrachtet, wenn man nur auf seine Rechte hinweist«. Er weigere sich »einen öffentlichen Kotau zu machen. Medial und sozial gefoltert zu werden und dann auf der öffentlichen Streckbank ein mea culpa zu raunen – das scheint man von mir zu erwarten, aber das werde ich nicht tun«. Härtel bezeichnete sich als Opfer einer »öffentlich betriebenen politischen Menschenjagd«, die das Ziel gehabt habe, sie zu stigmatisieren. Sie hatte einen Kreislaufkollaps und litt nach Aussagen eines psychiatrischen Gutachtens unter Depressionen. Cohn-Bendit fühlte sich als Opfer einer »Menschenjagd« (FAZ, 27.02.2000), als er in Frankreich wegen der Schilderung seiner Erlebnisse in einem Frankfurter »Kinderladen« in seinem Buch »Le Grand Bazar« des Missbrauchs von Kindern verdächtigt worden war. Viele Skandalisierten fühlen sich auch deshalb als Opfer der Medien, weil ihre Anprangerung Reaktionen des Publikums auslöst, die weit über das hinausgehen, was die Verfasser der Beiträge beabsichtigt oder in Rechnung gestellt haben. Kohl wurde in Berlin bei der Signierung seines »Tagebuchs« mit einem Windbeutel beworfen. Auf der Website der Stadt Sebnitz fanden sich die Aufrufe »Gebt allen Ossis eine Spritze mit dem Aids-Virus« und »Tod allen Nazis. Tod Bürgermeister Ruckh« (FR, 30.11.2000). Während der Skandalisierung der Oberbürgermeisterin von Hanau fanden sich im Gästebuch des Internetauftritts der Stadt Aufforderungen an Härtel zum Selbstmord (FAZ, 15.01.2004), und während der Skandalisierung von Möllemann wegen der Aufnahme des Abgeordneten Karsli in die FDP inszenierte der Regisseur Christoph Schlingensief vor Möllemanns Unternehmenssitz in Düsseldorf das Stück »Tötet Möllemann!« (Welt am Sonntag, 22.06.2003). Ein extremes aber illustratives Beispiel für den Einfluss skandalträchtiger Schemata auf die Wahrnehmung, deren Einfluss auf die Berichterstattung und deren verheerende Folgen ist der Fall des Bestseller-Autors Akif Pirinçci. Pirinçci hatte am 19. Oktober 2015 bei einer Pegida-Kundgebung in Dresden über den Umgang der Politik mit Gegnern der deutschen Flüchtlingspolitik gesagt: »Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert. Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.« Die ironische Drohung mit dem KZ bezog sich offensichtlich auf dem Umgang der Politik u. a. mit Pegida-Anhängern, nicht auf ihren Umgang mit Flüchtlingen. Das widersprach dem Image von Pegida als Bewegung von Rechtsradikalen. Innerhalb kürzester Zeit mutierte deshalb die Bemerkung Pirinçcis zu der schemakonformen Behauptung, Pirinçci habe die Außerbetriebnahme von KZs mit Blick auf die Flüchtlinge bedauert.3 Wenig später war Pirinçci ein »Aussätziger«.4 Die Wirte seiner Stammlokale wollten ihn nicht mehr bedienen, in einem anderen Lokal goss ihm ein Gast eine Cola über den Kopf, sein Haus verließ er nur noch, wenn es sein musste, die Verlagsgruppe Random House kündigte die Zusammenarbeit mit ihm auf und mehrere Zwischenhändler, sogenannte »Barsortimenter«, lieferten seine Bücher nicht mehr aus. Alle Täter fühlen sich als Opfer. Aber wer das zu erkennen gibt, kann nicht auf Mitleid hoffen, sondern muss mit der Häme derer rechnen, die von der Berechtigung der Vorwürfe überzeugt sind. Anlässlich der Vorstellung von Kohls Tagebuch schrieb Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung (25./26.11.2000) verächtlich: »Wohin Kohl schaut, überall Verschwörung, überall Feinde: die SPD sowieso, die Grünen erst recht, die Presse gleich gar. Und mit jedem Tagebucheintrag werden die Feinde in der eigenen Partei lebendig – undankbare Kreaturen, die die Hand dessen beißen, der sie genährt und großgezogen hat«. Als Martin Walser in seinem Tagebuch der Jahre 1974 bis 1978 bekannt hatte, dass er nach dem vernichtenden Urteil von Marcel Reich-Ranicki über seine schriftstellerischen Fähigkeiten im Allgemeinen und seinen neuen Roman »Jenseits der Liebe« das Gefühl hatte, »in ein anderes Land vertrieben zu werden«, mokierte sich Volker Weidermann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (13.03.2010) darüber, dass Walser sich trotz des Verkaufserfolgs seines Romans damals »allein«, »isoliert«, »ausgeschaltet« gefühlt habe – so als sei der finanzielle Erfolg des Autors ein hinreichender Ausgleich für seine öffentliche Demütigung. Weil Köhler seinen Rücktritt damit erklärt hatte, dass unter anderem sein Hörfunkinterview zur militärischen Vertretung deutscher Interessen falsch zitiert und beleidigend kommentiert worden sei, war sein Rücktritt für Sebastian Fischer und Florian Gathmann auf Spiegel Online (31.03.2010) der »letzte Coup eines Gekränkten«, und Kurt Kister spottete in der Süddeutschen Zeitung (01.06.2010): »Man war garstig zu ihm und jetzt mag er nicht mehr mitspielen«. Nachdem Wulff in einem Spiegel-Interview (21.07.2014) behauptet hatte, er sei Opfer einer Medienkampagne geworden, bezeichnete Hans-Peter Siebenhaar das im Handelsblatt (21.07.2014) als »absurde Dolchstoßlegende«, mit der Wulff beweise, »dass er das falsche Staatsoberhaupt war«. Wulff habe offenbar »den Bezug zur Wirklichkeit … verloren«. Die »pauschale Pressekritik von Wulff« sei »für die Meinungsfreiheit gefährlich«. Nachdem Gaschke in ihrem Erinnerungsbuch »Volles Risiko« Ralf Stegner als einen ihrer entschiedensten Gegner in Kiel charakterisiert und fünf Gründe genannt hatte, warum sie »Ralf Stegner nicht mag«,5 bezeichnete Stegner sie in seiner Rezension des Buches für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (23.09.2014) als »Förden-Hillary«, die sich »in einem larmoyanten Politkrimi« rechtfertige. Warum fühlen sich alle Skandalisierten auch dann als Opfer, wenn sie zugeben, was man ihnen vorwirft? Und warum beklagen sich viele darüber, obwohl sie mit Unverständnis und Häme rechnen müssen? Mit den Fehlern und Missständen hängt das offensichtlich nicht zusammen. Dafür sind die Anlässe zu verschieden, nur die Reaktionen ähneln sich. Sehr viel mehr hat es mit der Sichtweise der Skandalisierten und der Darstellung des Geschehens durch die Medien zu tun. Ein anschauliches Beispiel ist auch hier die Skandalisierung des ortho-Nitroanisol-Unfalls bei der Hoechst AG.6 Für die Verantwortlichen der Hoechst AG waren der Unfall und seine Auswirkungen die Folge einer Kette von unglücklichen Umständen: Es war Fastnachtszeit und der Arbeiter, der die chemische Reaktion kontrollieren sollte, betrunken. Anstatt die Temperatur vorschriftsmäßig zu senken, heizte er den Reaktor auf. Der Druck stieg und die Chemikalien entwischen über Sicherheitsventile nach draußen. Am Unfalltag herrschte ungewöhnlich starker Wind, wodurch die Stoffe über den Main in ein Wohngebiet geweht wurden. Dort wurden sie zunächst nicht entdeckt, weil es minus 2 Grad kalt war und ortho-Nitroanisol bei niedrigen Temperaturen unsichtbar ist. Die Sprecher des Unternehmens hielten kurz nach dem Unfall am frühen Morgen eine Pressekonferenz ab. Zu diesem Zeitpunkt kannten sie die Ausdehnung der belasteten Gebiete und den (falschen) Krebsverdacht gegen orthoNitroanisol noch nicht. Alle Beteiligten waren folglich Opfer einer Verkettung von unglücklichen Umständen. Die Journalisten und ihr Publikum sahen das ganz anders: Der Arbeiter hatte gegen seine Vorschriften verstoßen und der Werksleiter hatte seine Aufsichtspflicht gegenüber dem Arbeiter vernachlässigt. Die Techniker und Chemiker hätten erkennen müssen, dass die Masse der ausgetretenen Chemikalien offensichtlich nicht direkt neben dem Reaktor lag. Auch hätten sie wissen müssen, dass orthoNitroanisol in den kalten Morgenstunden nicht sichtbar war und folglich überall sein konnte. Aus Sicht der Journalisten und ihres Publikums waren alle Beteiligten Täter. Derartige Wahrnehmungsdiskrepanzen zwischen Akteuren, die zu Protagonisten der Berichterstattung werden, und unbeteiligten Beobachtern des Geschehens sind keine Einzelfälle. Tebartz-van Elst wurde bei seiner Amtseinführung am 20. Januar 2008 mit einer weit fortgeschrittenen Bauplanung für den aus mehreren Gebäuden bestehenden Bischofssitz in Limburg konfrontiert.7 Nach Vorgesprächen, die bereits 2004 begonnen hatten, hatte das Domkapitel am 8. Mai 2007 den Neu- bzw. Umbau des Bischofssitzes beschlossen und den Architekten Christoph Mäckler damit beauftragt. Die Veröffentlichung der von Mäckler kalkulierten Kosten in Höhe von 6 bis 7 Millionen Euro im Dezember 2007 löste eine Protestwelle aus. Sie führte dazu, dass das Domkapitel die zulässigen Kosten schrittweise verringerte, Mäckler von dem Auftrag zurücktrat und finanziell mit einer beträchtlichen Summe abgefunden wurde. Im Juni 2008, inzwischen war Tebartz-van Elst im Amt, entschied sich eine interne Jury für Willi Hamm als neuen Architekten. Nachdem das Limburger Bauamt aus städtebaulichen Gründen Bedenken gegen seinen Entwurf geäußert hatte, wurde Anfang 2009 der Eichstätter Architekt Karljosef Schattner als Berater gewonnen. Sein Plan wurde von der Stadt Limburg mit kleinen Änderungen gebilligt. Da Schattner aus Altersgründen den Bau nicht selbst realisieren wollte, schlug er Michael Frielinghaus vor, der im Frühjahr 2010 als vierter Architekt mit der Realisierung beauftragt wurde. Aus der Sicht von Tebartz-van Elst war er mit einer extrem komplexen Planung und ungeklärten Zuständigkeiten konfrontiert, in die er eigene Vorstellungen einbrachte. Die meisten Journalisten sahen das anders, und als der Gebäudekomplex neun Jahre nach den ersten Planungen fertig war, löste seine Präsentation eine neue Protestwelle aus. So fragte Bild (11.10.2013), als gehe es um die Grünanlage eines Privathauses: »Wofür braucht der Bischof einen Garten für 783.000 Euro?«, listete die Kosten einzelner Baumaßnahmen auf und berichtete einen Tag später über eine »Riesenwut auf den Protz-Bischof«. Für Christoph Cuntz von der Rhein Main Presse (11.10.2013) war »das sündhaft teure Bischofshaus« die Schuld eines offensichtlich sündhaften Bischofs, und laut Dieter Bartetzko von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (15.10.2013) muss für »die Hybris ihres Bauherrn« sogar »die spektakuläre Architektur … büßen«. Gaschke, damals noch Oberbürgermeisterin von Kiel, wurde am 21. Juni 2013 vom Kämmerer der Stadt über einen Vergleich mit dem Steuerschuldner informiert, den ihr Vorgänger im Amt, Torsten Albig, ausgehandelt hatte.8 Es ging um einen Unternehmer, der bei der Stadt seit 15 Jahren Schulden hatte, die inzwischen fast 8 Millionen Euro betrugen. Da er bei einer Zwangsvollstreckung vermutlich Konkurs hätte anmelden müssen, wäre die Stadt leer ausgehen. Der Vergleich sah vor, dass der Unternehmer die Hälfte der Summe, nämlich die Schulden ohne Zinsen, bezahlen sollte. Das musste nach Aussage des Kämmerers schnell geschehen, weil die Gefahr einer Insolvenz bestand. Da ihr eigenes Fachreferat keine Einwände hatte, unterschrieb Gaschke ohne Konsultation der Ratsversammlung in einer Eilentscheidung die vorbereitete Vereinbarung. Am 20. August brachte die CDU-Fraktion im Rathaus einen Antrag ein, der Gaschkes fachliche Kompetenz infrage stellte und löste damit eine Medienkampagne aus, die den Vergleich als fragwürdigen »Gaschke-Steuer-Deal« erscheinen ließ. Aus Sicht der Kieler Nachrichten, der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung und des Schleswig-Holstein-Magazins des NDR hatte sie einen Steuerschuldner, der im Wohlstand lebte, mit ihrer kopflosen Eilentscheidung ohne Notwendigkeit begünstigt, der Stadt erheblichen materiellen Schaden zugefügt und zudem ihrer Partei geschadet. Am 28. Oktober 2013 trat Gaschke zurück. Am 14. Mai 2014 stellte die Staatsanwaltschaft Kiel das inzwischen aufgenommene Ermittlungsverfahren wegen Untreue ein. Gaschke hatte, weil sie den zuständigen Ausschuss nicht einbezogen hatte, gegen die Gemeindeordnung verstoßen, sah sich aber mit einer Notsituation konfrontiert, in der sie von der Stadt einen absehbaren Schaden abwenden wollte. In einer ähnlichen Lage sah sich Kohl nach der Wiedervereinigung bei der Annahme nicht deklarierter Spenden angesichts der finanziellen Notlage der CDU-Landesverbände in den neuen Ländern.9 Anders als die SPD hatte die CDU nach der Wiedervereinigung keine großen Vermögenswerte zurückerhalten. Im Unterschied zur SPD konnte die CDU auch nicht mit der organisatorischen Unterstützung der Gewerkschaften rechnen. Folglich waren aus der damaligen Sicht Kohls die anonymen Spenden notwendig und gerechtfertigt. Für die meisten Journalisten war die Annahme der anonymen Spenden dagegen ein Teil des »Systems Kohl«. Der Spiegel (27.12.1999) widmete dieser Thematik eine eigene Titelgeschichte und lokalisierte die Ursache von Kohls Verhalten in seinen »Ludwigshafener Kindheits- und Jugendtagen«. Späth betrachtete seine Auslandsflüge auf Kosten der Industrie als einen Tribut an die knappe Haushaltslage seines Bundeslands. Seine Kritiker hielten sie für den Ausdruck einer bauernschlauen Anbiederung. Nach Überzeugung der Shell AG war die Versenkung der Brent Spar die beste von mehreren Möglichkeiten. Die Kritiker hielten die Entscheidung für einen Willkürakt im Interesse des Unternehmens. Fischer erklärte, nachdem er auf einem Foto als Schläger identifiziert worden war, der 1973 auf einen Polizisten einprügelte, in einem Interview mit dem Stern: »Wir haben Häuser besetzt, und wenn die geräumt werden sollten, haben wir uns gewehrt. Wir haben Steine geworfen. Wir wurden verdroschen, aber wir haben auch kräftig hingelangt«.10 In allen Fällen bestritten die Akteure weder ihre Handlungen, noch deren zum Teil problematischen Charakter. Trotzdem betrachteten sie sich im Gegensatz zu den unbeteiligten Beobachtern als Opfer eines Geschehens, an dem sie maßgeblich beteiligt waren. Woher kommen die Unterschiede in der Wahrnehmung derselben Sachverhalte – und wer hat hier recht? Die unbeteiligten und unbelasteten Beobachter oder die beteiligten und belasteten Akteure? Eine Antwort gibt die von Fritz Heider konzipierte Attributionstheorie.11 Für Heider sind alle Menschen zwanghafte Ursachensucher, die Erklärungen für richtige und falsche Verhaltensweisen, für Erfolge und Misserfolge brauchen. Sie fragen sich automatisch, warum jemand unhöflich oder zuvorkommend war; warum jemand gestohlen hat oder beschenkt wurde; wieso ein Unfall geschehen ist oder vermieden werden konnte usw. Zur Erklärung des Geschehens ziehen sie drei Klassen von Ursachen heran: erstens die Persönlichkeit der Akteure – ihre Herkunft, ihren Charakter, ihre Intelligenz usw., zweitens die Umstände ihres Handelns – die Einmaligkeit der Situation, die Existenz von Zwängen usw. und drittens den Einfluss von fremden Mächten – des Zufalls, des Schicksals usw. Dabei verfahren sie, wie spätere Weiterführungen der Theorie verdeutlichten, nicht willkürlich. Akteure führen ihr eigenes Verhalten meist auf die Umstände ihres Handelns zurück, weil sie diese aus eigenem Erleben kennen. Beobachter erklären das gleiche Verhalten dagegen meist mit der Persönlichkeit der Akteure, weil sie sich davon eher ein Bild machen können. Bei dieser Diskrepanz handelt es sich um den sogenannten »fundamentalen Attributionsfehler«: Im Grunde haben beide Seiten recht. Sie halten aber die von ihnen wahrgenommenen Ursachen für wichtiger als die jeweils anderen. Der Sozialpsychologe Michael D. Storms hat den Einfluss der unterschiedlichen Perspektiven von Akteuren und Beobachtern auf die Erklärung des Verhaltens mit einem Experiment nachgewiesen.12 Gegenstand seiner Studie waren Gespräche zwischen zwei Personen, die sich gegenübersaßen und von zwei Kameras gefilmt wurden. Die Kameras waren seitlich versetzt hinter den Personen montiert, sodass sie jeweils einen Gesprächspartner von vorne aufnahmen. Zudem wurden die Gespräche von zwei unbeteiligten Personen beobachtet. Ein Teil der Akteure und der Beobachter beschrieb und erklärte das Geschehen unmittelbar im Anschluss an die Gespräche. Erwartungsgemäß führten die Akteure ihr Verhalten bei ihrem Gespräch eher auf die Umstände zurück, während die Beobachter die Ursachen eher in den beteiligten Personen vermuteten. Ein anderer Teil der Akteure sah nach den Gesprächen Videoaufnahmen davon. Dabei verfolgten einige das Geschehen aus der gleichen Perspektive wie zuvor: Sie sahen die Aufnahmen der Kamera, die hinter ihnen montiert war. Einige betrachteten es dagegen aus der entgegengesetzten Perspektive: Sie sahen die Aufnahmen der Kamera, die ihnen gegenüberstand und nahmen sich folglich selbst aus der Perspektive von Beobachtern wahr. Der erzwungene Perspektivenwechsel schlug sich signifikant in der Beschreibung des Geschehens nieder: Akteure, die ihr Verhalten aus der Akteursperspektive sahen, führten es eindeutig auf die Umstände zurück. Akteure, die es aus der Beobachterperspektive sahen, nannten dagegen häufiger Ursachen, die in ihrer Person lagen. Belege für die praktische Bedeutung des Laborexperiments liefert eine Befragung von 437 Journalisten als berufsmäßige Beobachter und 1.578 Personen, die als Vertreter von Organisationen mit Missständen zu tun hatten und dabei unterschiedliche Rollen einnahmen. Befragt zu den Ursachen von konkreten Missständen, nannte weniger als die Hälfte der beteiligten Akteure (46 %) personale Gründe. Darauf verwiesen jedoch deutlich mehr als zwei Drittel der berufsmäßigen Beobachter – die Journalisten (73 %). Entsprechend seltener nannten die Journalisten strukturelle Gründe (26 %), die die Akteure besonders häufig erwähnten (52 %).13 Die Sichtweise der Journalisten schlug sich, wie eine Inhaltsanalyse von 2.527 Artikeln über 30 mehr oder weniger skandalisierte Missstände belegt, in ihrer Darstellung nieder: Je stärker die Journalisten die Missstände anprangerten, desto entschiedener führten sie diese auf personale Ursachen zurück und desto eher stellten sie sie als Folge des schuldhaften Versagens der Akteure dar.14 Die skandalisierten Verursacher sahen sich deshalb häufig als Opfer der Berichterstattung, ein Großteil von ihnen betrachtete sie als einseitig und nicht objektiv.15 Ähnliche Reaktionen kann man bei den Anhängern skandalisierter Protestbewegungen beobachten – früher bei den Teilnehmern der 68er-Demonstrationen, jetzt bei den Teilnehmern von PegidaKundgebungen. Die Attributionstheorie erklärt weshalb für die meisten Journalisten die Ursachen des Verhaltens der Verantwortlichen der Hoechst AG und der Shell AG, von Kohl, Härtel, Fischer, zu Guttenberg, Wulff, Gaschke und Tebartzvan Elst im Charakter der Personen lagen, während sie sich selbst als Opfer der Umstände sahen. Aus Sicht der Journalisten konnten sie sich ohne Rücksicht auf besondere Umstände frei entscheiden. Folglich waren sie für ihr Verhalten voll verantwortlich. In ihrem Verhalten manifestierte sich eine dauerhafte Disposition, ihr Charakter und damit zusammenhängend ihre Motivation. Aus der Perspektive eines Beobachters der Beobachter haben beide Recht, die Journalisten und die Skandalisierten. Die Akteure sind Täter und Opfer zugleich. Sie sind Täter, weil sie meist die Verfehlungen begangen und die Missstände verursacht haben, die ihnen vorgeworfen werden. Dabei spielen immer auch Eigenschaften ihrer Persönlichkeit eine Rolle – beispielsweise die Nachgiebigkeit des Werkleiters mit einem alkoholgefährdeten Mitarbeiter im Falle des ortho-Nitroanisol-Unfalls bei der Hoechst AG und der Machtwille Kohls angesichts der Möglichkeit einer sozialdemokratisch-sozialistischen Allianz in den neuen Bundesländern. Die Skandalisierten sind aber auch Opfer der Bedingungen, unter denen sie gehandelt haben – des Wetters in Frankfurt-Höchst, der Finanzlage der CDU oder der Vorgeschichte der Renovierung des Bischofssitzes in Limburg. Die Doppelnatur der Akteure und der Einfluss der Rolle, die sie wahrnehmen, zeigen sich auch in der Argumentation von Journalisten, wenn sie selbst aus der Rolle der unbeteiligten Beobachter in die Rolle der beobachteten Akteure geraten. Dann sehen auch sie die Ursachen der eigenen Fehler überwiegend in den Umständen ihres Handelns – dem Mangel an Informationen, dem Zeitdruck in den Redaktionen, den Erwartungen des Publikums, der Konkurrenz zwischen den Medien, den Pressionen aus der Politik usw. Wie alle Akteure betrachten sie sich, auch wenn sie eine Mitschuld an den jeweiligen Fehlern nicht leugnen, als Opfer der Umstände: Wären sie unabhängiger und wäre der Zeitdruck geringer, dann würden diese und jene Fehler nicht passieren. Die Folgen des Perspektivwechsels zeigen sich beispielhaft in den journalistischen Stellungnahmen zur irrtümlichen Skandalisierung der Einwohner von Sebnitz. Nachdem sich die Berichte, der sechsjährige Joseph sei in Sebnitz Opfer einer rechtsradikalen Gewalttat geworden, als falsch erwiesen hatten, charakterisierten sich mehrere der Berichterstatter als Opfer ungünstiger Umstände.16 Bernhard Honnigfort von der Frankfurter Rundschau erklärte seinen Irrtum mit dem Hinweis auf Zeitund Informationsmangel: Er sei »nur drei Wochen mit dem Fall beschäftigt« gewesen und habe »nicht jeden Brief der Kanzlei Bossi in den Händen (gehabt), den Bruno Schrep hatte« – ein Kollege vom Spiegel, der auf die Geschichte nicht hereingefallen war. Jens Schneider von der Süddeutschen Zeitung schrieb dem abweisenden Verhalten der Sebnitzer eine Mitschuld zu: Nur »wenige Sebnitzer wollten überhaupt noch mit Journalisten sprechen. Fast alle Gesprächspartner waren trotz der drei Festnahmen und der Zeugenaussagen sicher, dass die Vorwürfe haltlos seien«, wodurch sie offensichtlich besonders unglaubwürdig erschienen. Andere, wie Barbara Dribbusch von der taz, verwiesen auf eine Presseerklärung der Dresdner Staatsanwaltschaft, »in der sie die Verhaftung der drei Hauptverdächtigen mitteilte … Das musste als erste Quelle Grund genug sein, einen Artikel zu verfassen.«17 Die Skandalisierten sind nicht nur Opfer der Umstände, sondern aus zwei Gründen auch Opfer der Medien. Der erste Grund ist eine Folge des fundamentalen Attributionsfehlers. Obwohl beide recht haben – die Akteure und die Beobachter – prägt die Sichtweise der berufsmäßigen Beobachter, der Journalisten, die Berichterstattung. Die Akteure werden folglich mit Darstellungen konfrontiert, die mit ihren eigenen Erlebnissen und Sichtweisen nicht vereinbar sind. Sie bestreiten zwar in der Regel nicht, dass sie Fehler begangen haben, halten die Darstellungen aber für grobe, oft ehrverletzende Verfälschungen. Die Berichte sind aus ihrer Sicht falsch, weil sie die »wahren« Ursachen des Geschehens, nämlich die Bedingungen ihres Handelns, verkennen. Ihnen geschieht, auch wenn die Fakten stimmen, Unrecht, weil sie als frei und bewusst agierende Täter erscheinen, obwohl sie nach eigener Überzeugung reagierende Opfer waren. Hierbei handelt es sich, wie eine schriftliche Befragung der Pressesprecher von 151 deutschen Großunternehmen zeigt, um ein generelles Problem im Verhältnis von gesellschaftlichen Akteuren und journalistischen Berichterstattern. Zwei Drittel waren schon einmal »in einer Krise oder einem Konflikt Gegenstand von Medienberichten geworden«. Nach Ansicht von nahezu zwei Dritteln dieser Unternehmen waren die Fakten nicht richtig dargestellt worden. Worin lagen die Mängel? Nur relativ wenige Pressesprecher beklagten sich darüber, dass »Fehler von Unternehmensangehörigen … aufgebauscht und dramatisiert« wurden (21 %). Etwas mehr berichteten, dass »Mitarbeitern des Unternehmens … Fehler und Versäumnisse vorgeworfen (wurden), die sie nicht begangen hatten« (29 %). Der am häufigsten genannte Grund war jedoch, dass »Umstände, auf die das Unternehmen keinen Einfluss hatte, … verschwiegen oder heruntergespielt wurden« (57 %). Mit anderen Worten: Die Journalisten stellten die Sachverhalte meist nüchtern dar, berichteten jedoch nicht hinreichend über die Handlungsbedingungen der Akteure. Dadurch erweckten sie den Eindruck, dass die Akteure in weitaus stärkerer Weise für die Folgen ihres Handelns verantwortlich waren, als diese es aus der eigenen Perspektive wahrgenommen hatten.18 Man könnte die Äußerungen der Pressesprecher für routinierte Rechtfertigungen von Profis halten. Das würde jedoch den generellen Charakter der Problematik verkennen. Auch Menschen, die sich beim Deutschen Presserat über Beiträge über ihre eigene Person beschweren, klagen über ähnliche Fehldarstellungen. Das belegt eine Befragung von 91 Personen im Sommer 2002. Sie hatten sich zwischen Anfang April 2000 und Ende März 2002 beim Deutschen Presserat beschwert und kritisierten vor allem zwei Charakteristika der aus ihrer Sicht nicht akzeptablen Medienbeiträge: Über die Hälfte beklagte, ihnen seien »Fehler … unterstellt« worden, die sie »nicht begangen hatten«, nahezu genauso viele verwiesen darauf, dass die, »Umstände«, auf die sie »keinen Einfluss hatten … verschwiegen oder heruntergespielt« worden seien. Auch hier erkennt man die spezifische Sichtweise der Akteure, die sich von der Sichtweise der Berichterstatter und der Art ihrer Darstellung unterschied und bei den Protagonisten den Eindruck hervorrief, ihr Verhalten sei unfair dargestellt worden.19 Der zweite Grund dafür, dass sich die meisten Skandalisierten als Opfer der Medien sehen, sind Kommunikationsblockaden, denen die meisten Skandalisierten ausgesetzt sind. Trotz der großen Zahl von Berichten haben sie, sobald ihr Verhalten erfolgreich skandalisiert wurde, kaum noch die Möglichkeit, ihre Sichtweise darzustellen. Ein Beispiel ist der publizistische Umgang mit einem Bild-Bericht, der laut Generalstaatsanwalt Lüttig einen wesentlichen Einfluss auf den Antrag zur Aufhebung der Immunität von Wulff hatte und seinen Rücktritt am folgenden Tag unausweichlich machte.20 Nachdem Bild am 8. Februar 2012 auf der Titelseite mehrere skandalisierende Behauptungen über einen Sylt-Urlaub von Wulff mit Groenewold verbreitet hatte, beantragte Groenewolds Anwalt eine einstweilige Verfügung gegen die Axel Springer AG, der das Landgericht Köln am 14. Februar 2012 stattgab. Darin wurde der Axel Springer AG die Verbreitung von zahlreichen Behauptungen untersagt, die auf eine Unterdrückung oder Beseitigung von Beweismitteln hindeuteten. Groenewolds Anwalt schickte eine Kopie der einstweiligen Verfügung an die Deutsche Presse-Agentur, die die Information aber nicht verbreitete. Deshalb erfuhren die deutschen Medien und die deutsche Bevölkerung nichts von der spektakulären Information, die den Antrag auf Aufhebung der Immunität Wulffs in einem ganz anderen Licht hätte erscheinen lassen. Bis zu diesem Punkt lässt sich die Kommunikationsblockade durch das Verhalten der Deutschen Presse-Agentur erklären. Am 25. April 2012 musste Bild auf Seite 2 eine groß aufgemachte Gegendarstellung von Groenewold in der gleichen Sache veröffentlichen. Auch das rief keine Resonanz in den Medien hervor und änderte folglich nichts an den Meinungen zum Ablauf des Rücktritts von Wulff. Am 18. Juni 2012 erkannte die Axel Springer AG die einstweilige Verfügung an, womit sie rechtskräftig wurde. Auch das fand keine Resonanz. Am 10. Juni 2014 stellte Wulff vor zahlreichen Journalisten sein Buch »Ganz oben. Ganz unten« vor, in dem er den Vorgang beschreibt. In den Berichten über die Buchvorstellung und in den darauffolgenden Rezensionen spielte die erwähnte Episode kaum eine Rolle. Stefan Niggemeier stellte den Sachverhalt unter der Überschrift »›Bild‹ stürzte Wulff mit einer Falschmeldung. Das kümmert aber keinen«,21 ausführlich dar. Aber auch das fand keine nennenswerte Resonanz etwa in den Rezensionen des Buchs von Wulff.22 Kommunikationsblockaden wie im Fall Wulff sind typisch für Skandale. Dagegen hilft auch die Kompetenz der Presseabteilungen von Großunternehmen nichts. Ein Beispiel ist die minimale Resonanz der Pressemeldungen kurz nach dem ortho-Nitroanisol-Unfall bei der Hoechst AG. Die zentralen Aussagen der Hoechst AG wurden in nahezu zwei Dritteln aller Presse- und Fernsehberichte überhaupt nicht wiedergegeben. Falls sie wiedergegeben wurden, wurden sie in mehr als zwei Dritteln aller Fälle negativ bewertet. Das Unternehmen hatte folglich kurz nach dem Störfall kaum noch eine Chance, seine Version des Geschehens darzustellen. Paradoxerweise hieß es später allgemein, die Hoechst AG sei Opfer ihrer falschen Informationspolitik geworden. Das trifft für die ersten Stunden nach dem Unfall zu und erklärt das daraus resultierende Misstrauen, ändert jedoch nichts daran, dass die darauffolgende Nichtbeachtung oder Diskreditierung der sachlich richtigen Presseerklärungen des Unternehmens eine Hauptursache der Irreführung der Öffentlichkeit war.23 Auch nach dem Ende von Skandalen treffen viele Skandalisierte auf kaum überwindbare Kommunikationsbarrieren. Beispiele hierfür sind die Reaktionen auf die Bücher von Wulff,24 zu Guttenberg,25 Sarrazin26 oder Gaschke,27 die zahlreiche Beispiele für fragwürdige Zitate, Interpretationen und Behauptungen dokumentieren und diskutieren, auf die die meisten Rezensenten und Kommentatoren aber nicht eingingen. Warum beklagen sich aber die Skandalisierten über ihre Opferrolle, wenn sie damit rechnen müssen, dass dies eher negative Reaktionen hervorruft? Und warum reagieren viele Journalisten, die normalerweise mit allen Mitleid bekunden, die sich als Opfer sehen, auf ihre Klagen mit Hohn und Spott? Die Antwort auf die erste Frage lautet, dass die meisten Skandalisierten den Druck der öffentlichen Angriffe nicht aushalten und deshalb ihr subjektiv empfundenes Leid loswerden wollen, indem sie darüber reden. Die Antwort auf die zweite Frage ist vielschichtiger. Erstens beruhen Hohn und Spott gegenüber den Skandalisierten, die sich als Opfer sehen, auf Unwissenheit: Die Beobachter können sich vielfach nicht vorstellen, was eine Skandalisierung bei den Betroffenen auslösen. Noch weniger kann man die Reaktionen von Menschen nachvollziehen, die zum Gegenstand Dutzender oder Hunderter Angriffe werden. Das könnte sich ändern, weil immer mehr Journalisten Opfer von Schmähkritik werden und folglich über eigene, schmerzliche Erfahrungen verfügen. Zweitens sind Spott und Hohn über die Empfindungen der Skandalisierten die Folge einer Rollen-Inkonsistenz: Wer Täter ist, kann nach landläufiger Vorstellung nicht Opfer sein. Das passt nicht zusammen. Diese Gründe erklären jedoch nur einen Teil der atypischen Reaktionen auf die Klagen der Täter. Ihr Hauptgrund liegt in der Voraussetzung von Mitleid und in der Funktion von Skandalen. Ein Gedankenexperiment kann das illustrieren. Mitleid mit Opfern setzt voraus, dass man sich in die Opfer hineinversetzt, dass man sich bis zu einem gewissen Grad mit ihnen identifiziert und das Geschehen aus ihrer Perspektive wahrnimmt. Im Skandal erfordert das einen Wechsel von der Beobachter- in die Akteursperspektive. Journalisten und andere Beobachter müssten das Geschehen aus der Sichtweise derer betrachten, die die Missstände verursacht haben. Damit würde aber das zusammenbrechen, was den Missstand zum Skandal macht: Was den Skandalisierten vorgeworfen wird, würde zum erheblichen Teil als Folge ungünstiger Umständen erscheinen und folglich keine große Empörung hervorrufen. Daraus folgt: Der Hohn und Spott gegenüber den Tätern, die sich als Opfer bezeichnen, ist Teil eines Abwehrmechanismus zur Verteidigung der kognitiven Grundlage der Skandalisierung. Wer diese Grundlage verlässt, nimmt sich die Möglichkeit zur Skandalisierung. Zugleich dienen Hohn und Spott der fortdauernden Isolation der Skandalisierten. Sie erfordert Distanzierung und schließt Identifizierung aus. Selbst eine probeweise Identifizierung und das aus ihr resultierende Mitleid würden der Erfüllung der sozialen Funktion des Skandals im Wege stehen. Deshalb darf der Täter im Skandal kein Opfer sein, mit dem man Mitleid empfindet. 1 Mathes, Rainer: Medienwirkung und Konfliktdynamik in der Auseinandersetzung um die 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 Entlassung von General Kießling. Vgl. Philipp, Michael: Persönlich habe ich mir nichts vorzuwerfen. Vgl. Niggemeier, Stefan: Die Katzen des Bösen. Vgl. Fleischhauer, Jan: Der Aussätzige. Derselbe: Der Buchhändler als politischer Richter. Gaschke, Susanne: Volles Risiko, S. 36 f. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Hartung, Uwe: Störfallfieber, S. 11 ff. NN: Genese über die Planung und Entwicklung zur Errichtung des »Hauses der Bischöfe«. Vgl. Gaschke, Susanne: Volles Risiko, S. 120–126, 216–232. Für das von Kohl geschilderte Motiv ist es unerheblich, ob die von Kohl verteilten Gelder aus Spenden stammten oder, wie neuerdings vermutet, aus anderen Quellen. Zitiert nach Hartung, Uwe: Publizistische Bedingungen politischer Skandale, S. 249. Vgl. Heider, Fritz: Social Perception and Phenomenal Causality Vgl. Storms, Michael D.: Videotape and the Attribution Process. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Ehmig, Simone C. / Hartung, Uwe: Alltägliche Skandale, S. 55. Vgl. ebenda, S. 121–141. Vgl. ebenda, S. 157–168. Alle Zitate nach message, 1/2001. Zur Opferperspektive von Journalisten siehe auch Michael Meyen und Claudia Riesmeyer: Diktatur des Publikums. Journalisten in Deutschland. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Warum Krisen eskalieren. Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Emotionale Reaktionen von Medienerfahrenen und Medienunerfahrenen. Vgl. Wulff, Christian: Ganz oben. Ganz unten, S. 217–229. Niggemeier, Stefan: »Bild« stürzte Wulff mit einer Falschmeldung. Laut Niggemeier berichtete nur Martina Fietz auf Focus Online ausführlich über den Sachverhalt. Außerdem gingen HansMartin Tillack vom Stern und Dirk Kurbjuweit vom Spiegel darauf ein und charakterisierten den Vorgang als unerheblich. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist die Umfangreiche Besprechung des Buchs von Peer Steinbrück: Medien als Folterwerkzeug. Dass es sich bei dem Rezensenten um einen Politiker handelt, komplettiert die Diagnose. Vgl. Sturny, Dirk: Einfluss von Krisen-Typen auf Publikationsweisen. Vgl. Wulff, Christian: Ganz oben. Ganz unten. Vgl. zu Guttenberg, Karl Theodor / di Lorenzo, Giovanni: Vorerst gescheitert. Vgl. Sarrazin, Thilo: Der neue Tugendterror. Vgl. Gaschke, Susanne: Volles Risiko. 12. Trotz und Panik Nachdem die Hoechst AG am 22. Februar 1993 sachlich korrekt behauptet hatte, das bei dem Störfall ausgetretene ortho-Nitroanisol sei »mindergiftig«, trat das Unternehmen aufgrund einer Welle skandalisierender Berichte die Flucht nach vorne an und ließ Straßenbeläge abfräsen, Erdreich abtragen, Sträucher zurückschneiden und Bäume abholzen. Dabei trugen die Arbeiter aufgrund einer Anordnung des hessischen Umweltministeriums Ganzkörperschutzanzüge und Atemschutzmasken, die die Dramatik des Vorgehens noch erhöhten. Die Auswirkungen der gut gemeinten Maßnahmen waren verheerend. Wer den beruhigenden Versicherungen des Unternehmens bisher geglaubt hatte, musste aus der Radikalkur schließen, dass er in größter Gefahr war. Die verängstigten Anwohner versammelten sich in der Schwanheimer Kirche und ließen ihrer Wut freien Lauf. Nun erst erreichten Angst und Empörung ihren Höhepunkt. Was war die Ursache dieser Fehlentscheidung, die gegen die Interessen aller verstieß – der Anwohner, des Unternehmens, der Behörden und Ministerien? Nachdem die Shell AG wochenlang regungslos die von Greenpeace gesteuerte Kampagne gegen die Versenkung der Brent Spar ertragen hatte und die erste Presseerklärung des Unternehmens die Skandalisierung nicht hatte stoppen können, erklärte die Geschäftsleitung plötzlich, dass die Brent Spar nach Norwegen geschleppt und an Land abgewrackt werden solle. Damit machte das Unternehmen genau das, was es bis dahin als wenig geeignet bezeichnet hatte und diskreditierte damit seine eigene Glaubwürdigkeit. Nachdem Christoph Daum tagelang jeglichen Drogenkonsum bestritten und einen Drogentest abgelehnt hatte, verkündete er plötzlich, er habe sich eine Haarprobe entnehmen lassen, die seine Unschuld beweisen werde. Damit war seine Karriere als Bundestrainer beendet, bevor sie begonnen hatte. Warum trat ein Mann wie Horst Köhler für alle Beobachter völlig überraschend zurück, obwohl er damit rechnen musste, dass er dafür heftig kritisiert werden würde? Warum treffen viele Skandalisierte Entscheidungen, von denen sie bei ruhiger Betrachtung wissen müssten, dass sie ihre Lage noch verschlechtern? Hinweise für eine Antwort im Fall Köhler gaben Stefan Berg und Jan Fleischhauer im Spiegel (07.06.2010). Danach war »Köhlers Welt intakt«, solange er aufgrund seiner kritischen Haltung gegenüber Entscheidungen der Regierung »nur die Respektlosigkeit der Politik ertragen musste«. In seiner zweiten Amtszeit sei jedoch das Gefühl dazugekommen, auch die Presse habe sich »gegen ihn verschworen«. Als Beleg führten sie eine Äußerung Köhlers bei seiner letzten China-Reise an: »Ich weiß gar nicht, was ich Ihnen sagen soll, mir wird ja jeder Satz im Mund umgedreht«. Resigniert habe Köhler hinzugefügt: »… ich dachte, es gäbe noch so etwas wie journalistisches Ethos, aber was soll’s«. In dieser Situation war die Skandalisierung seines Radiointerviews nur noch der Auslöser für einen radikalen Schnitt, mit dem er sich schweren Herzens derartigen Zumutungen ein für alle Mal entziehen wollte und das Gegenteil bewirkte – eine Welle von hämischen bis bösartigen Kommentaren. Warum hat sich Ulrich Hoeneß mit einer überhasteten Selbstanzeige nach Ansicht des Gerichts »geradezu ans Messer geliefert« (FAZ, 31.10.2014), weil sie die Voraussetzung für erfolgreiche Ermittlungen in der Schweiz war – statt die Selbstanzeige in aller Ruhe vorzubereiten als absehbar war, dass das Straffreiheit gewährende Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz scheitern würde? Nach Ansicht des Gerichts war der Grund klar: Hoeneß war »getrieben von Angst« vor der Aufdeckung der Steuerhinterziehung durch einen bevorstehenden Magazinbericht. Deshalb trat er die Flucht nach vorne an. Warum bereitete sich der Vorstandsvorsitzende von VW, Martin Winterkorn, der spätestens 2014 über die Ermittlungen der amerikanischen Umweltbehörde EPA gegen VW informiert wurde, nicht auf den Tag vor, an dem herauskommen musste, dass VW mit einer speziellen Software korrekte Abgaswerte vortäuschte? Warum bezeichnete er in einer auch technisch laienhaften Videobotschaft das Vorgehen von VW selbst als »Manipulieren«, das bei Volkswagen »nie wieder vorkommen« dürfe? Und warum sagte er, »wir«, also auch er, »klären das auf« – und trat am folgenden Tag zurück? Der plötzliche Rücktritt war vermutlich eine Folge der Stimmung im Aufsichtsrat. Aber was waren die Ursachen seines Verhaltens Jahre zuvor und kurz nach Beginn des Skandals? Die Beispiele haben eine Gemeinsamkeit – das unvermittelte Umschlagen von überlegener Gelassenheit in Angst, von Trotz in Panik. In Extremfällen kann sie im Selbstmord enden. Ein Beispiel ist der vermutliche Freitod von Jürgen W. Möllemann. Nach der Bundestagswahl 2002 bestritt er energisch, dass er mit illegalem Spendengeld ein Flugblatt mit massiver Kritik an der Palästinapolitik des israelischen Ministerpräsidenten Scharon bezahlt hatte. Seine Anwälte ließ er erklären, er habe für die Aktion eine Million Euro aus seinem Privatvermögen verwendet. Als er mit seinem Austritt aus der FDP einem Parteiausschlussverfahren zuvorgekommen war, spekulierte er nach gut zweieinhalb Monaten in einer Talkshow über die Gründung einer eigenen Partei. Vier Tage später, am 5. Juni, während der Bundestag seine Immunität aufhob und die Staatsanwaltschaft seine Wohn- und Büroräume im Bundesgebiet sowie in Luxemburg, Spanien und Liechtenstein durchsuchte, sprang er aus einem Sportflugzeug in den Tod. Zwar hatte sich sein Fallschirm ordnungsgemäß geöffnet, aber etwa 1.000 bis 1.500 Meter über dem Boden von ihm gelöst. Der Ablauf des Geschehens legt die Folgerung nahe, dass sich Möllemann das Leben genommen hat, zumal ein technischer Fehler später ausgeschlossen wurde. Bewiesen ist ein Selbstmord damit nicht. Auch kann man einwenden, Möllemann habe sich weniger wegen des öffentlichen Drucks umgebracht als wegen seiner fragwürdigen Geldquellen und wegen der zu erwartenden Strafe. Das mag zutreffen, dürfte jedoch, wie die nahezu zeitgleiche Kelly-Affäre zeigt, nicht die einzige Erklärung sein. Nachdem der BBC-Korrespondent Andrew Gillian berichtet hatte, ein hoher Regierungsbeamter habe ihm mitgeteilt, die britische Regierung habe ein Dossier über die Rüstung des Irak aufgebauscht, um einen Angriff auf den Irak zu rechtfertigen, wurde der Mikrobiologe und Waffenexperte David Kelly als Quelle verdächtigt. Am 15. Juni 2003 bestritt Kelly vor einem Parlamentsausschuss, die »Hauptquelle« der Behauptung von Gillian und anderen Journalisten gewesen zu sein. Am 16. Juni forderte Ministerpräsident Tony Blair die BBC auf, zu erklären, ob Kelly die Quelle ihres Mitarbeiters war. Am 17. Juni brachte sich Kelly in der Nähe seines Hauses um.1 Drei Tage später bestätigte die BBC, dass Kelly die Quelle war. Kelly war, wie sich später zeigen sollte, sachlich und moralisch im Recht, weil die von der Regierung vermuteten Massenvernichtungswaffen im Irak nicht existierten. Zwar fürchtete auch er möglicherweise ein Gerichtsverfahren, bedeutsamer war aber, dass er die öffentliche Diskreditierung seiner Integrität im Parlament, seine baldige Enttarnung und die absehbare Kampagne gegen ihn nicht ertragen konnte.2 Warum beachten die meisten Skandalisierten frühe Warnzeichen nicht, lassen erste Anschuldigungen scheinbar regungslos an sich abprallen und unterwerfen sich dann plötzlich bedingungslos den Forderungen ihrer Kritiker? Wieso machen sie ab einem bestimmten Punkt plötzlich genau das, was sie zuvor aus sachlichen Gründen entschieden abgelehnt hatten? Im Fall Daum war schnell von »Realitätsverlust« durch Drogen und von »autosuggestiver Verblendung« die Rede. Das mag bei Daum eine Rolle gespielt haben, erklärt aber nicht die Panikreaktionen der Hoechst AG und der Shell AG oder die von Köhler, Hoeneß, Möllemann und Kelly. Der Sache näher kam der Manager von Bayer Leverkusen, Reiner Calmund. Nach seiner Aussage war Daum »wie besessen von dieser Lösung«, von diesem »Befreiungsschlag« (FAZ, 23.10.2000). Ähnliche Beweggründe hatten vermutlich die beiden Unternehmen, Köhler, Hoeneß und andere: Auch sie planten einen »Befreiungsschlag«. Wie konnten sie aber eine Vorgehensweise als »Befreiungsschlag« betrachten, die bei nüchterner Überlegung die Vorwürfe bestätigen und als Eingeständnis schuldhaften Versagens erscheinen lassen musste? Wovon wollten sie sich »lösen« und »befreien«? Die Verdachte des Drogenmissbrauchs im Fall Daum oder der Umweltzerstörung im Fall der Unternehmen konnten es nicht sein, denn genau diese Vorwürfe wurden durch den »Befreiungsschlag« tatsächlich oder scheinbar bestätigt. Eine Ursache des Umschlagens von stoischem Trotz in panikartige Unterwerfung sind die »reziproken Effekte« der Medienberichte – ihr Einfluss auf die Protagonisten der Berichterstattung. Die Protagonisten nehmen die mediale Berichterstattung ganz anders wahr, als die Masse der unbeteiligten Beobachter.3 Das trifft sowohl auf positive als auch auf negative Berichte zu, auf die negativen jedoch in besonders starkem Maße. Das zeigen die Ergebnisse der Befragung von über 1.500 Personen in verschiedenen Lebensbereichen – Richter und Staatsanwälte, Politiker und Manager, Prominente und Namenlose, die selbst schon Gegenstand negativer Medienberichte waren. Die starken reziproken Effekte negativer Medienberichte haben mehrere Ursachen. Erstens verfolgen die Protagonisten aufgrund ihrer Betroffenheit die Berichterstattung viel intensiver als unbeteiligte Beobachter. Sie lesen, hören und sehen mehr Beiträge als andere und nutzen sie gründlicher. So verfolgt jeder zweite Landtagsabgeordnete, dessen Partei »von den Medien massiv kritisiert oder sogar angeprangert« wird, »viel mehr Beiträge über die Landespartei als normalerweise«; fast zwei Drittel lesen »einzelne Beiträge viel aufmerksamer als normalerweise«, über ein Drittel nutzt »Medien, die sie normalerweise nicht beachten« und fast ein Drittel liest »einzelne Beiträge (sogar) mehrmals«.4 Zwar können die Protagonisten großer Skandale nicht alle Berichte verfolgen. Die weitverbreitete Vorstellung, sie würden solche Berichte gezielt vermeiden, ist jedoch falsch. Sie setzen sich aus verständlichen Gründen mit problematischen Folgen weit höheren Mediendosen aus als die Masse der unbeteiligten Beobachter. Zweitens vergleichen die Protagonisten die mediale Darstellung des Geschehens mit dem, was sie selbst erlebt haben. Dabei stellen sie häufig fest, dass Journalisten die Umstände ihres Verhaltens gar nicht, verkürzt oder falsch darstellen und dadurch einen aus ihrer Sicht falschen Eindruck von ihrem Verhalten vermitteln. Ein Beispiel sind die Erfahrungen von Richtern und Staatsanwälten. Die Hälfte der Richter und Staatsanwälte, über deren Prozesse fehlerhaft berichtet wurde, beklagen – vergleichbar den Erfahrungen der Pressesprecher von Großunternehmen – dass die »Umstände, auf die das Gericht keinen Einfluss hatte, … falsch dargestellt« wurden.5 Das trifft auf Protagonisten, die skandalisiert werden, in besonderem Maße zu.6 Sie sehen massive Diskrepanzen zwischen erlebter Realität und medialer Darstellung. Diese Diskrepanzen können unbeteiligte Beobachter nicht erkennen, weil die mediale Darstellung ihre einzige Quelle ist. Die Folgen sind bei den Protagonisten skandalisierender Berichte selbstdienliche Fehlwahrnehmungen und bei den Beobachtern essentialistische Trugschlüsse: Was die Beobachter für die Realität halten, sind Darstellungen, die ein angemessenes Bild der Realität vermitteln können, aber nicht müssen. Die Beobachter verwechseln die Darstellungen mit der Realität, weil die Ähnlichkeit der Darstellungen verschiedener Medien ihre Fähigkeit zu kritischer Distanz minimiert. Drittens überschätzen die Protagonisten negativer Medienberichte wie die meisten Menschen den Einfluss solcher Berichte auf andere. Solche Effekte existieren. Die meisten nehmen sie aber übertrieben wahr und zwar umso mehr, je größer die Zahl der Menschen und je größer die soziale Distanz zu ihnen ist.7 So sieht weniger als die Hälfte der Landtagsabgeordneten einen großen Einfluss negativer Beiträge auf ihre »Fraktionskollegen«, aber zwei Drittel vermuten einen derartigen Einfluss auf die »Wähler allgemein«. Von den Richtern und Staatsanwälten sehen nur wenige einen starken Einfluss negativer Medienberichte auf »Sachverständige«, aber mehr als drei Viertel vermuten einen derartigen Einfluss auf die »Opfer«, die »Angeklagten« und die »Öffentlichkeit«. Für die Protagonisten skandalisierender Berichte bedeutet das, dass sie sich von einer amorphen Masse umgeben sehen, die nach ihrer Überzeugung von der negativen Berichterstattung stark beeinflusst wird. Dabei überschätzen sie wahrscheinlich, weil massive Effekte meist erst später eintreten, in den ersten Wochen die Wirkung der negativen Berichterstattung auf die Bevölkerung. Aufgrund ihrer großen Betroffenheit und ihrer starken Mediennutzung können sie sich diesem Eindruck aber nach wenigen Tagen kaum noch entziehen. Viertens rufen die Diskrepanzen zwischen ihren Sichtweisen und den Mediendarstellungen das Gefühl von Ärger, Angst und Hilflosigkeit hervor, das durch Vermutungen über die Wirkung der Medien auf Dritte noch verstärkt wird. Fast die Hälfte der Richter und Staatsanwälte, die Gegenstand negativer Medienberichten waren, reagierte darauf mit Ärger und dem Gefühl der Hilflosigkeit. Diese emotionalen Reaktionen sind weitgehend unabhängig davon, ob die Protagonisten schon häufiger in den Medien waren oder nicht. So berichtet jeweils mehr als die Hälfte der Medienerfahrenen und der Medienunerfahrenen, die sich beim Deutschen Presserat beschwert haben, dass sie sich hilflos gefühlt haben. Jeweils ein Drittel berichtet, sie hätten das Gefühl gehabt, »verlassen zu sein«.8 Die Vorstellung, Medienerfahrung immunisiere gegen Medienkritik, ist naiv. Zwar können Medienerfahrene mit ihren negativen Emotionen besser umgehen als Unerfahrene, weil sie diese besser auf wenige Empfindungen einengen können. Sie leiden aber unter den Empfindungen ähnlich häufig und ähnlich lange wie die Unerfahrenen. Deshalb trifft eine Skandalisierung medienerfahrene Personen ähnlich stark wie medienunerfahrene. Fünftens beobachten die Protagonisten negativer Mediendarstellungen die Einflüsse dieser Berichte auf Menschen in ihrer näheren und ferneren Umgebung. Diese Beobachtungen bestätigen ihre Befürchtungen und verstärken ihre ohnehin schon vorhandenen negativen Emotionen.9 Die Folge ist vor allem bei länger andauernden Angriffen ein rückgekoppelter Prozess, der von den realen Vorgängen gelöst, eine kaum steuerbare Eigendynamik entwickeln kann. Auch dabei unterscheiden sich die Reaktionen der Medienerfahrenen nicht wesentlich von den Reaktionen der Unerfahrenen. Bei beiden besteht z. B. ein starker Zusammenhang zwischen ihrer Beobachtung, dass ihnen manche »aus dem Weg gegangen« sind und dem Gefühl der Verlassenheit. Das ist bei Skandalen besonders bedeutsam, weil ein zentrales Ziel von Skandalisierungen in der Isolation der Skandalisierten besteht. Der Eindruck der Isolation der Skandalisierten kann durch verbale, jedoch auch durch visuelle Mittel vermittelt werden, z. B. entsprechenden Fotos von den Skandalisierten. Der so vermittelte Eindruck von den Skandalisierten hat, wie man experimentell zeigen kann, einen erheblichen Einfluss auf die Vorstellungen der unbeteiligten Beobachter vom Geschehen.10 Das Zusammenwirken der erwähnten Faktoren beeinflusst sechstens das Verhalten der Protagonisten. Derartige Wirkungen hat sowohl die vorhandene als auch die von den Protagonisten erwartete Berichterstattung. Die Hälfte der Leiter der Informationsabteilungen der größten deutschen Unternehmen in drei Branchen berichtet, dass schon »mögliche Reaktionen der Medien« bei anstehenden Entscheidungen »so weit wie möglich berücksichtigt« werden, aber »am Kern von Entscheidungen … nichts« ändern. War das der Fall bei VW vor dem Diesel-Skandal oder sind die Verantwortlichen blind in ihr Verderben gerannt? Ein weiteres Viertel berichtet, dass die erwarteten Medienberichte »gelegentlich einen substanziellen Einfluss auf die Entscheidungen haben«.11 Beispiele dafür sind die Maßnahmen der Hoechst AG und der Shell AG. Auch jeder zweite Staatsanwalt und Richter in umstrittenen Strafverfahren denkt schon beim Strafantrag und der Urteilsformulierung an die möglichen Reaktionen der Öffentlichkeit und fast jeder Dritte berichtet, dass Medienberichte tatsächlich einen Einfluss auf die »Höhe der Strafe« haben. Hier sind die Ursachen der reziproken Effekte sowohl die erlebte als auch befürchtete Berichterstattung. Danach richten die Protagonisten, im genannten Fall die Staatsanwälte und Richter, ihr Verhalten präventiv aus. Die individuellen Erfahrungen zahlreicher Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens12 bestätigen und illustrieren die Befunde der systematischen Befragungen von Personen aus verschiedenen Lebens- und Arbeitsbereichen: »Eine Besprechung meines Buches, die dumm ist oder von Ablehnung – meiner Person oder meiner Romanfiguren – diktiert scheint, geht mir unter die Haut. (…) Die vornehme Verteidigung, meine Taktik, nicht weiter zu lesen, sobald ich merke, dass ich einem unbedachten oder böswilligen Rezensenten in die Hände gefallen bin, gelingt mir nur unvollkommen (…). Gut möglich, dass ich mit dem Schreiben aufgehört hätte, wären meine Romane nicht viel häufiger gelobt als verrissen worden« – so der Romancier Louis Begley. »Die Gewalt, der das Objekt einer Medienkampagne ausgesetzt ist, kann sich kein Journalist ausmalen« – so die Bundestagsabgeordnete Antje Vollmer. Er habe aufgrund der öffentlichen Vorwürfe »97 Prozent (seines) Bekanntenkreises verloren« und antizipiere jetzt »in jeder Sekunde alles, was man aus (seinem) Verhalten herauslesen könnte« – so Jörg Kachelmann nach seinem Freispruch (Zeit, 09.06.2011). Unbeteiligte Beobachter beobachten ähnliche Reaktionen bei skandalisierten Prominenten. Nach Darstellung von Mathias Geis und Bernd Ulrich hat Joschka Fischer wegen der Skandalisierung seiner Vergangenheit als politisch motivierter Schläger »schwer gelitten. Er war gereizt, deprimiert, mitunter sogar verzweifelt«.13 Nach Volker Zastrow (FAZ, 19.02.2012) hat Christian Wulff seinen Rücktritt »als das Wrack des Mannes« erklärt, »der er noch vor kurzem gewesen ist, nun abgemagert, sichtlich gezeichnet von dem, was er rückblickend als ›neun Wochen Fight‹, vorausschauend als ›Krieg‹ angedroht oder befürchtet hatte«. Seit einigen Jahren werden Journalisten im Internet massiv angegriffen und schildern ähnliche Reaktionen. So dokumentierte Andrea Diener tief betroffen unter der Überschrift »Meine Tage im Hass« auf einer halben Seite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zahlreiche Beleidigungen,14 und Jasper von Altenbockum beklagte im selben Blatt »Rituale der Verunglimpfung, die sich im Netz ausbreiten wie eine Seuche«.15 Seine Diagnose trifft zu. Im Anschluss daran wäre allerdings zu fragen, ob das nur für das Netz gilt oder auch für die Skandalisierungen von Wulff, Tebartz-van Elst und anderen durch die traditionellen Medien? Die Ursachen der weitgehend automatischen und kaum kontrollierbaren Reaktionen von Personen, die öffentlich angegriffen werden, sind in der Persönlichkeit tief verankert und lassen sich auf die Notwendigkeit zurückführen, die Bindung zu anderen aufrechtzuerhalten. Sie hat ihren Ursprung in der Gattungsgeschichte der Menschen und wird von jedem Einzelnen im Laufe seiner eigenen Entwicklung intensiv erlebt und entsprechend verinnerlicht. Um die Bindung an andere Menschen aufrechterhalten zu können, sind vier Voraussetzungen erforderlich: Man muss erstens die äußere Welt im Zusammenwirken mit den eigenen Bezugspersonen – vor allem Kollegen, Freunde und Verwandte – sinnvoll interpretieren können. Man muss zweitens darauf vertrauen können, dass diese Personen das eigene Verhalten wohlwollend beurteilen und ernsthafte Anstrengungen entsprechend honorieren. Man muss drittens glauben können, dass man bei allen Fehlern im Kern ein guter Mensch ist, und man muss viertens davon überzeugt sein, dass man kompetent und leistungsfähig ist, weil man nur so die anderen davon überzeugen kann, dass es sich für sie lohnt, die Bindung aufrechtzuerhalten.16 Die Skandalisierung eines Menschen erschüttert die Grundlagen dieser Selbstgewissheiten: Sie suggeriert ihm, dass er kein guter Mensch ist. Sie zerstört seinen Glauben daran, dass die Welt alles in allem gerecht und wohlwollend ist. Sie weckt den Zweifel daran, dass er das Verhalten anderer noch sinnvoll abschätzen kann, und sie macht ihn durch die Fixierung auf die Angriffe der Medien zunehmend handlungsunfähig. Seine eigentliche Aufgabe kann er immer weniger erfüllen. Zudem vermittelt die Skandalisierung dem Betroffenen den Eindruck, dass er jede Kontrolle darüber verloren hat, wie andere ihn sehen. Dieser Eindruck wird nun massiv von anderen geprägt, ohne dass er dagegen etwas unternehmen kann. Der Kontrollverlust weckt zusätzlich zu den bereits genannten Ursachen starke Ängste, die kaum zu beherrschen sind, weil es sich um automatische Reaktionen auf Angriffe handelt, die die soziale Existenz bedrohen. Ein Beispiel hierfür ist der gefallene Medienstar zu Guttenberg, der seinen Rücktritt mit folgenden Worten begründete: »Die enorme Wucht der medialen Betrachtung meiner Person – zu der ich viel beigetragen habe –, aber auch die Qualität der Auseinandersetzung bleiben nicht ohne Wirkung auf mich selbst und meine Familie … Es ist mir … nicht mehr möglich, den in mich gesetzten Erwartungen gerecht zu werden … Ich war immer bereit zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht«.17 Massive öffentliche Angriffe wirken sich im Laufe der Zeit auf das Selbstwertgefühl und die Problemlösungsfähigkeit der Kritisierten aus. Zu ihrer Verteidigung greifen sie zu Mitteln, die entweder das Selbstwertgefühl oder die Problemlösungsfähigkeit stärken können, die Erreichung des jeweils anderen Ziels aber gefährden.18 Geht es um die Aufrechterhaltung des Selbstwertgefühls, dann verfolgen vor allem Personen, deren Selbstwertgefühl vom Urteil anderer abhängt, negative Berichte über ihre Person, um die darin enthaltenen Informationen zu diskreditieren. Dabei versteigen sie sich häufig in Wunschdenken über die Urheber der Urteile. Das ist typisch für die erste Phase von Skandalisierungen. Stammen die negativen Urteile von Personen, die einer anderen Gruppe angehören, rufen sie Angstgefühle hervor. Sie sind vor allem dann stark, wenn die Gruppe der Kritiker groß, homogen und entsprechend mächtig ist. Von großen Gruppen homogener und mächtiger Kritiker erwarten die Versuchspersonen in Experimenten nur das Schlimmste. Das ist typisch für die zweite Phase von Skandalisierungen. Dann geht es aus Sicht der Betroffenen zunehmend um ihre Problemlösungsfähigkeit. Jetzt nehmen Versuchspersonen, deren Erfolgschancen von anderen abhängen, negative Informationen über ihre Person mit mehr Aufmerksamkeit wahr als andere. Das trifft auf Politiker und Unternehmer zu, die mit wachem Blick kritische Berichte über ihre Person und Organisation verfolgen. Sind die Versuchspersonen sogar einseitig von anderen abhängig, verfolgen sie die kritischen Hinweise besonders aufmerksam und übergenau, damit sie die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen können. Dies gilt vor allem für Akteure auf den mittleren und unteren Ebenen von Hierarchien, die sich ihren Mentoren in einem günstigen Licht zeigen wollen. Rekonstruiert man in Kenntnis der skizzierten Befunde den Verlauf von Skandalisierungen aus Sicht der Betroffenen, kann man die Entwicklung in zwei Phasen einteilen: Zunächst betrachten die Skandalisierten die Kritik an ihrem Verhalten als Angriffe auf ihr Selbstwertgefühl, die sie – vor allem, wenn sie öffentliche Kritik gewohnt sind – nicht sonderlich ernst nehmen, weil sie die Kritiker für sachlich inkompetent halten. Sie lesen zwar alles, was sie finden, beachten es aber möglichst wenig, leugnen auch zutreffende Tatsachenbehauptungen und berechtigte Folgerungen oder werten sie als unsachlich und unfair ab. Weil die Skandalisierten die Sachverhalte meist besser kennen als ihre Kritiker, die Angriffe häufig auch falsche Behauptungen enthalten und weil sie fast immer mit herabsetzenden Wertungen verbunden sind, gelingt ihnen das vor sich selbst zunächst durchaus überzeugend. Folglich wiegen sich die Skandalisierten – ungeachtet ihrer unabweisbaren Ängste – in einer trügerischen Sicherheit, die von außen betrachtet als überlegener Trotz erscheint: Die Skandalisierten kann scheinbar nichts erschüttern, noch widerstehen sie jedem Angriff. Je länger die Angriffe dauern und je größer, geschlossener und mächtiger die Gruppe der Angreifer wird, desto klarer erkennen die Skandalisierten, dass die Masse der Medien ihrer eigenen Darstellung des Geschehens nicht folgt, sondern sie ironisiert, umdeutet oder totschweigt. Zugleich müssen die Skandalisierten der Welle negativer Berichte immer mehr Aufmerksamkeit widmen, was ihre Leistungsfähigkeit einschränkt. Sie können ihre Aufgaben immer schlechter erfüllen und empfinden die Skandalisierung zunehmend als ernsten Angriff auf ihre Tätigkeit.19 Trotzdem verfolgen sie die Angriffe noch intensiver als vorher, um sie widerlegen zu können, und deshalb nehmen sie auch Vorwürfe ernst, die sie zuvor als unsinnig abqualifiziert haben. Das erfordert immer mehr Zeit und Energie, verringert zunehmend die Leistungsfähigkeit und mündet in die Gewissheit, dass sie praktisch nicht mehr handlungsfähig sind. Zudem wird ihr Ansehen in der Öffentlichkeit ruiniert. Auf diesem Weg ist nichts zu gewinnen. Nachdem die Skandalisierten jeden Einfluss auf ihr Erscheinungsbild eingebüßt haben, schlägt der unbeirrte Trotz, der zuletzt nur noch Fassade war, in panikartige Unterwerfung um. In einem »Befreiungsschlag« machen sie nun genau das, was die Kritiker von ihnen verlangen und was sie bis dahin abgelehnt haben. Das, wovon sich die Skandalisierten befreien wollen, ist nicht die Last der anstehenden Sachprobleme – die Entsorgung der Brent Spar, der Schutz der Anwohner in Höchst, die Richtigstellung eines Zitats – sondern der unerträgliche Druck durch die bereits erfolgten oder erwarteten öffentlichen Angriffe. Schon die Vorankündigung eines negativen SpiegelBerichts übt nach Aussage des langjährigen SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel einen »gewissen Druck« aus, weil man gezwungen sei, alles zu lesen, was zum Thema gehört. Wegen dieses Drucks ist nach Vogel der Erfolg im Skandal vor allem eine »Frage der Kraft und der Nervenstärke«. Man brauche »eine beachtliche psychische und physische Konstitution, um so eine Kampagne so lange durchstehen zu können, bis die andere Seite sich erschöpft hat«.20 Diesem Druck sind viele Skandalisierte nicht gewachsen. Um ihn loszuwerden, sind sie bereit, alles zu tun, notfalls auch das, was sie für falsch halten und was sich später auch als falsch erweist. In dieser Situation erscheint manchen Politikern, die sich nach eigener Einschätzung nichts Gravierendes vorzuwerfen haben, der Rücktritt als Erlösung. Die skizzierte Zwei-Phasen-Theorie des Verhaltens von Skandalisierten lässt sich anhand von Beobachtungen und Selbstaussagen zwar plausibel machen, jedoch nicht durch wiederholte Befragungen belegen, weil die Skandalisierten während der Angriffe auf sie daran nicht teilnehmen würden. Trotzdem kann man sie unter bestimmten Bedingungen auch ohne ihre Bereitschaft und Zustimmung empirisch prüfen. Die Möglichkeit hierzu liefert, weil es sich einer bewussten Steuerung weitgehend entzieht, das nonverbale Verhalten von Skandalisierten, über die das Fernsehen berichtet. Das war bei der zweiwöchigen Skandalisierung von zu Guttenberg und bei der über neunwöchigen Skandalisierung von Wulff der Fall.21 Herangezogen wurden Fernsehberichte vor ihrer Skandalisierung, die mit jeweils drei Fernsehbeiträgen während ihrer Skandalisierung verglichen wurden. Die Aufnahmen wurden mehreren Versuchsgruppen ohne Ton vorgeführt, um einen Einfluss der verbalen Inhalte auszuschließen. Die Versuchspersonen beurteilten das nonverbale Verhalten der beiden Politiker sowie den von ihnen vermittelten Gesamteindruck mithilfe von zahlreichen Skalen. Die ersten Berichte während des Skandals zeigten die Politiker jeweils bei ihrem ersten Auftritt im Fernsehen, die letzten Berichte bei ihrem Rücktritt. Die Berichte dazwischen zeigten zu Guttenberg bei einer Fragestunde im Parlament und Wulff bei seinem ARD/ZDF-Interview Anfang Januar 2012. Aus längeren Berichten wurden unauffällige Szenen von zwei Minuten herausgeschnitten und getestet. Entsprechend den theoretischen Annahmen der Zwei-Phasen-Theorie war das Verhalten von zu Guttenberg und Wulff zu Beginn der Skandale völlig normal. Ihr nonverbales Verhalten zeigte genauso viel Gelassenheit wie vor den Skandalen. Zugleich strahlten sie genauso viel Selbstvertrauen aus wie zuvor. Noch waren beide davon überzeugt, dass die Kritik weit überzogen war und am Kern der Sache vorbeiging – zu Guttenberg, weil er nicht absichtlich getäuscht, sondern Textstellen unabsichtlich ohne Quellenangabe verwendet hatte; Wulff, weil er die aus seiner Sicht relevanten Fragen schon im Niedersächsischen Landtag beantwortet hatte. In der zweiten Phase änderte sich das nonverbale Verhalten beider Politiker signifikant. Jetzt erschienen sie weniger gelassen als vorher. Zugleich strahlten sie weniger Selbstvertrauen aus. Bei Wulff war dieser Einbruch schon einige Tage nach Beginn der zweiten Welle seiner Skandalisierung wegen des Anrufs bei Diekmann erkennbar. Bei der viel kürzeren Skandalisierung von zu Guttenberg war er erst bei seinem Rücktritt offensichtlich. Obwohl sich die nonverbalen Verhaltensweisen und der Gesamteindruck der beiden Politiker von Beginn an massiv unterschieden und obwohl Wulff wesentlich länger skandalisiert wurde als zu Guttenberg, verliefen die Verhaltensänderungen – wenn man die Zeitunterschiede vernachlässigt – völlig parallel. Mit anderen Worten: Der Einbruch beim Wechsel von der ersten zur zweiten Phase der Skandalisierung vollzog sich unabhängig von diesen Faktoren. Die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Politiker spielten zwar eine Rolle, verhinderten aber nicht, dass beide den gleichen, am nonverbalen Verhalten erkennbaren inneren Absturz erlebten. Der Skandal verlangt von den Skandalisierten die Einsicht in eine paradoxe Situation: Sie müssen unter höchstem Zeitdruck vor allem Ruhe bewahren und Zeit gewinnen. Ein erfolgreiches Beispiel ist das Verhalten von Joschka Fischer im Visa-Skandal, als er so lange im Hintergrund blieb, bis sich die Kritik an ihm wegen des Rücktritts von Volmer totgelaufen hatte. Ein solches Aussitzen gelingt nicht immer, weil die Kritik nicht nachlässt, sondern wie bei der Skandalisierung von zu Guttenberg und Wulff zunimmt, oder weil die Skandalisierten und ihre soziale Umgebung wie im Fall von Tebartz-van Elst den Druck nicht mehr aushalten. Jan Philipp Reemtsma, dessen »Wehrmachtsausstellung« zwar nicht zum Skandal wurde, aber immerhin einen massiven publizistischen Konflikt auslöste, hat das erlebt und in einem Interview beschrieben. Auf die Frage, weshalb er gegen einen seiner Kritiker, den polnischen Historiker Bogdan Musial, einen fragwürdigen Prozess geführt habe, erklärte er, durch die Angriffe sei »so etwas wie eine Wagenburgmentalität entstanden, von der aus dann irgendwann alle Kritiker« ähnlich ausgesehen hätten. Es wäre damals richtig gewesen, Ruhe zu bewahren, nicht so empfindlich zu reagieren (FAZ, 06.11.1999). Dazu sind aber viele Skandalisierte nicht in der Lage. Anderen, wie zu Guttenberg und Winterkorn, hätte das, weil sie ihre Entlassung riskiert hätten, nichts genutzt. Viele Fälle liegen jedoch anders. Hätte die Hoechst AG nach dem ortho-Nitroanisol-Unfall im Februar 1993 ihre erste Pressekonferenz nicht bereits in der Morgendämmerung einberufen, wäre die Sachdarstellung des Unternehmens nicht durch neu auftauchende Fakten widerlegt und seine Glaubwürdigkeit nicht erschüttert worden. Hätte die Shell AG ihren Kritikern ein Moratorium von einem halben Jahr angeboten und alle interessierten Journalisten auf Kosten des Unternehmens auf die Brent Spar gebracht, damit sie sich dort ein eigenes Urteil hätten bilden können, wäre der Protest zusammengebrochen, weil die Journalisten erkannt hätten, dass Greenpeace falsche Angaben über die Schadstoffbelastung der Brent Spar verbreitet hatte. Wäre der Waffenexperte Kelly dazu imstande gewesen, die Attacken der Regierung und der regierungsfreundlichen Medien auszuhalten, wäre er nach der Widerlegung der angeblichen Gründe für den Angriff auf den Irak als vorausschauender Experte gefeiert worden. Wäre Wulff nach Aufhebung seiner Immunität im Amt geblieben, hätte ihn niemand entlassen können und einige Wochen später wäre klar gewesen, dass die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Aufhebung seiner Immunität unter dem Eindruck einer Falschmeldung gestellt hatte. Er konnte dem Druck aber aus den genannten Gründen genauso wenig standhalten wie Kelly und wie die Verantwortlichen der Hoechst AG und der Shell AG. 1 Bis heute ist nicht zweifelsfrei geklärt, ob er sich tatsächlich umgebracht hat – wofür viele Indizien sprechen – oder ermordet wurde. 2 Einen besonders tragischen Fall von Menschenjagd im Internet beschreibt Hendrik Ankenbrand unter dem Titel »China jagt das Menschenfleisch« in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (26.07.2013). 3 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Medieneffekte, S. 135–153. 4 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: ebenda, S. 175–190. 5 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Zerback, Thomas: Der Einfluss der Medien auf Richter und Staatsanwälte. 6 Die negativen Wahrnehmungen der Protagonisten werden vermutlich durch das auch bei Beobachtern auftretende »Hostile Media Phenomenon« bekräftigt: Sympathisanten einer Konfliktpartei nehmen die Berichterstattung negativer wahr als neutrale Beobachter. Vgl. Gunther et al.: Congenial Public, Contrary Press, and Biased Estimates of the Climate of Opinion. 7 Vgl. Davison, W. Phillips: The Third-Person Effect in Communication. 8 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Medieneffekte, S. 155–173. 9 Die Familie von Tebartz-van Elst wurde während dessen Skandalisierung telefonisch und brieflich beschimpft und erhielt Morddrohungen. Vgl. Limburger Skandalbischof. Auf Spiegel Online, 23.10.2013. [Zugriff am 24.10.2013]. 10 Vgl. von Sikorski, Christian / Ludwig, Mark: Visual Framing in der Skandalberichterstattung. 11 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Medieneffekte, S. 191–203. 12 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Verletzung der Persönlichkeitsrechte durch die Medien. 13 Geis, Mathias / Ulrich, Bernd: Der Unvollendete, S. 189. 14 Diener, Andrea: Meine Tage im Hass. 15 von Altenbockum, Jasper: Verrohung. 16 Vgl. Fiske, Susan T. / Taylor, Shelley E.: Social Cognition; Fiske, Susan T. / Morling, Beth / Stevens, Laura E.: Controlling Self and Others. 17 Zitiert nach »Plagiatsaffäre Guttenberg«. Auf: Wikipedia.de [Zugriff: 02.10.2011]. 18 Vgl. zum Folgenden Fiske, Susan T. / Morling, Beth / Stevens, Laura E.: Controlling Self and Others. 19 Eine Vorstellung von dem Stress, dem Skandalisierte und ihr Umfeld ausgesetzt sind, können folgende Zahlen vermitteln: Die DW-Bank beantwortete am 16.12.2011 vier von acht Fragen der Welt vom selben Tag zum Hauskredit an Wulff. Der Anwalt Wulffs, Gernot Lehr, beantwortete am 17.12.2011 zehn Fragen der Welt vom 16.12.2011 zum gleichen Thema. Die DW-Bank beantwortete am 20.12.2011 fünf Fragen, eine sechste Frage blieb unbeantwortet. Am selben Tag beantwortete Lehr weitere Fragen der Welt vom 17., 19., und 20.12.2011. Auf dem Höhepunkt der Skandalisierung von Wulff im Januar 2012 stellten die SPD 62 und die Grünen 100 Fragen im Niedersächsischen Landtag (vgl. FAZ, 13.01.2012). 20 Zitiert nach Kepplinger, Hans Mathias: Am Pranger, S. 147. 21 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Post, Senja / Dickhaus, Maike: Effects of Scandals on Top Politicians. 13. Gewinner und Verlierer Anfang der 1950er-Jahre gab es in der alten Bundesrepublik pro Jahr etwa zwei bis drei bundesweit beachtete politische Skandale. Das blieb so bis Mitte der 1970er-Jahre, als die Zahl dieser Skandale zunächst langsam, dann schneller zunahm und 1993 bei etwa zehn pro Jahr lag. Bis 2015 stieg sie erheblich an auf schätzungsweise 25 bis 30 pro Jahr. Diese Entwicklung hat zahlreiche Gründe, darunter die Veränderung des journalistischen Selbstverständnisses seit den 1970er-Jahren, die wachsende Konkurrenz zwischen der Presse und dem Fernsehen sowie zwischen einzelnen Presseorganen seit den 1980er-Jahren. Verstärkt wird dieser Prozess in jüngerer Zeit von der zunehmenden Bedeutung des Internets als Quelle der Anprangerung von Missständen durch Hobby-Journalisten sowie als Ort der Koorientierung der Journalisten traditioneller Medien. Möglicherweise hat auch die Zahl der Missstände in der Politik zugenommen und dadurch die Zahl der Skandale. Dafür gibt es aber keine Belege durch z. B. die Zahl der Gerichtsurteile oder der Verfahren zur Aufhebung der Immunität von Politikern. Besser erkennt man den Einfluss der Realität auf ihre Darstellung anhand von Umweltskandalen. Die Zahl der Umweltskandale hat in Deutschland seit den 1970er- und 1980er-Jahren erheblich zugenommen. In diesem Fall kann man ausschließen, dass die wachsende Zahl der Skandale eine Folge vermehrter Missstände war: Die Zahl der Umweltskandale nahm vielmehr in dem Maße zu, in dem die schweren Umweltschäden zurückgingen. Das gilt unter anderem für die Belastung der Gewässer und der Luft und trifft in ähnlicher Weise – trotz der Katastrophe von Tschernobyl – auf die radioaktiven Niederschläge und die kerntechnisch relevanten Störfälle in Kernkraftwerken zu.1 Ähnliches kann man für die wachsende Zahl der Lebensmittelskandale vermuten, weil die Qualität von Lebensmitteln heute erheblich genauer kontrolliert wird und Lebensmittel deshalb heute deutlich weniger Mängel aufweisen als früher. Die Auswirkungen von politischen Skandalen auf die Karrieren von Politikern sind im Unterschied zu ihren Ursachen aufgrund von detaillierten Recherchen zu 108 Fällen von 1949 bis 1993 bekannt.2 Als Folge ihrer Skandalisierung verloren im genannten Zeitraum 51 Politiker ihr Amt. Von ihnen schieden 28 aus der Politik aus. Sieben nahmen später wieder ein politisches Amt ein, das im Rang ihrer ursprünglichen Tätigkeit entsprach. Die tatsächliche Schwere der Verfehlungen lässt sich nicht in allen Fällen eindeutig ermitteln. Dagegen kann man gut feststellen, ob die Medien das Verhalten der Politiker als leichte oder schwere Verfehlung charakterisierten. Von den Politikern, denen schwere Verfehlungen vorgeworfen wurden, verloren zwei Drittel ihr Amt. Von jenen, denen leichtere Verfehlungen angelastet wurden, war es ein Drittel. Zwischen der Schwere der Vorwürfe und den Chancen, einen Skandal im Amt zu überstehen, besteht demnach ein Zusammenhang. Eine ganz andere Frage ist, ob das Ausmaß der Vorwürfe immer dem Ausmaß der Fehler und Verfehlungen entsprach. Das erscheint aufgrund zahlreicher Gegenbeispiele aus jüngerer Zeit, darunter die Skandalisierungen von Jenninger, Seiters, Härtel, Özdemir, Gysi, Oettinger, von Boetticher, Wulff, Steinbrück und Brüderle unwahrscheinlich. Einen maßgeblichen Einfluss auf die Chancen der Skandalisierten, den Skandal im Amt zu überstehen, hat ihre Verteidigung. Hier kann man drei Strategien unterscheiden: Schuldbekenntnisse, Selbstrechtfertigungen und Dementis. Am erfolgreichsten waren Politiker, die ihr Verhalten rechtfertigten, indem sie besondere Umstände hervorhoben, Erklärungen für ihr Verhalten anboten oder auf übergeordnete Ziele verwiesen – also ein alternatives Schema zur Interpretation ihres Verhaltens präsentierten. Von diesen Politikern behielten zwei Drittel ihr Amt. Dazu gehört Manfred Stolpe, der, wenn ein neuer Vorwurf drohte, sofort eine Interpretation anbot: Er präsentierte sich glaubhaft als selbstloser Anwalt von ausreisewilligen DDRBürgern, lieferte akzeptable Erklärungen für eine hohe Auszeichnung durch die DDR und benannte einen Zeugen, der nicht mehr aussagen konnte, weil er tot war. Beispiele liefern auch die Erklärungen, mit denen Joschka Fischer sein Verhalten als politisch motivierter Schläger rechtfertigte, nachdem er 2001 auf einer schon lange bekannten Fotografie identifiziert worden war.3 Er bekannte sich zu dem, was nicht zu leugnen war, stellte sein Verhalten als Gegengewalt dar und präsentierte sich als Moderator der Szene, der Schlimmeres verhindert hat. Eine Voraussetzung für den Erfolg der erwähnten Strategie besteht allerdings darin, dass hinreichend viele relevante Journalisten die Erklärungen für glaubhaft halten, aufgreifen und – wie im Falle Fischers, dessen Verhalten von einigen Journalisten fälschlich als generationstypisch dargestellt wurde – ausbauen. Politiker, die zwischen 1949 und 1993 skandalisiert worden waren und die Vorwürfe dementiert hatten, waren weniger erfolgreich. Von ihnen behielt nur knapp die Hälfte ihr Amt. Das hat zwei Gründe. Zum einen erscheinen reine Dementis ohne ergänzende Interpretationen des Verhaltens auch dann unglaubwürdig, wenn sie sachlich zutreffen. Zum anderen besteht die Gefahr, dass neue Erkenntnisse ein Dementi widerlegen. Ob dieser Eindruck zu Recht besteht, ist gleichgültig. Ein Beispiel sind die Dementis von Ministerpräsident Filbinger zu seiner Rolle als Marinerichter im Dritten Reich, die die meisten Journalisten nicht glaubten, den Skandal verlängerten und ihn am Ende sein Amt kosteten. Ein neueres Beispiel sind zu Guttenbergs Reaktionen auf die Plagiatsvorwürfe. Die stufenweise Entwicklung der anfänglich noch verhaltenen Kritik an der Benotung seiner Doktorarbeit über eine schon deutlichere Kritik an der Verleihung des Doktortitels bis zur massiven Forderung nach seinem Rücktritt ist auch darauf zurückzuführen, dass er bei seiner Verteidigung gravierende Fehler gemacht hat. Statt den Missbrauch von Zitaten ohne Einschränkung zuzugeben, hat er einen Streit um Worte geführt, nämlich die aus seiner Sicht falsche Verwendung des Begriffs »Plagiat«. Dadurch hat er trotz gegenteiliger Bekenntnisse den Eindruck vermittelt, er würde den Missbrauch selbst bestreiten und wurde durch immer neue Funde sachlich widerlegt. Der Hinweis auf seine Mehrfachbelastung hat Universitätsangehörige gegen ihn aufgebracht, weil damit viele Doktoranden fertigwerden müssen. Durch sein improvisiertes Interview vor einigen Fernsehkameras hat er die Mitglieder der Bundespressekonferenz brüskiert, die einen größeren Einfluss auf sein Erscheinungsbild besaßen als sein Auftritt im Fernsehen. Darüber hinaus hat zu Guttenberg die Bedeutung meinungsbildender Medien wie der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und des Spiegels unterschätzt. Aus diesen Gründen konnten ihn auch wohlwollende Weggefährten und Journalisten nicht mehr effektiv entschuldigen, und deshalb mündete die Skandalisierung seiner Dissertation in einen Skandal statt in einen publizistischen Konflikt, aus dem er möglicherweise als tragischer Held hervorgegangen wäre. Die Skandalisierung von Hoeneß verlief aus anderen Gründen ähnlich. Obwohl er zunächst bei mehreren Medien auf ein bemerkenswert großes Verständnis stieß,4 weil er als Opfer einer krankhaften Zockerleidenschaft erschien, war die Kritik an ihm während des Strafverfahrens massiv und einhellig. Ein Grund bestand darin, dass im Laufe der Zeit immer neue Zahlen auftauchten, die seine Glaubwürdigkeit zerstörten – zunächst sollte er 3,5 Millionen Euro hinterzogen haben, dann 15 Millionen, dann 18,5 Millionen und schließlich 27,2 Millionen. Verurteilt wurde er letztendlich wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen in Höhe von 28,5 Millionen Euro.5 Ein Gedankenexperiment gibt Hinweise auf die Alternative: Hätte Hoeneß am Anfang einen geschätzten Betrag von 32 Millionen Euro genannt und dezent die ihm angebotene Opferrolle gepflegt, wäre er wahrscheinlich ebenfalls zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Die Diskussion über seine Schuld wäre aber anders verlaufen und die Urteilsverkündung wäre vermutlich mit verständnisvollem Fatalismus kommentiert worden. Den geringsten Erfolg hatten Politiker, die sich sofort oder später zu den Vorwürfen bekannten. Von ihnen behielt nur ein Drittel ihr Amt. Der Amtsverlust von Politikern, die sich zu den Vorwürfen bekennen, erscheint sachlich folgerichtig. Das trifft jedoch nur dann zu, wenn man annimmt, dass die Vorwürfe voll und ganz der Wahrheit entsprechen. Diese Annahme ist zuweilen falsch, wie die Rücktritte von Innenminister Seiters als Folge der Skandalisierung des GSG 9-Einsatzes in Bad Kleinen und von Bundestagspräsident Jenninger als Folge seiner missglückten Gedenktagsrede zeigen. Das Eingeständnis von Fehlern wird im Skandal zwar heftig gefordert, jedoch nicht honoriert. Neuere Beispiele sind die Anprangerungen von Brüderle, Steinbrück, Hoeneß, Gaschke und Hartmann. Die erwähnten Zusammenhänge zwischen der Strategie der Skandalisierten und dem Verlauf der Skandale sind mit Vorsicht zu betrachten, weil man vermuten kann, dass die Vorwürfe gegen Politiker, die sich dazu bekennen, zuweilen substanzieller sind als die Vorwürfe gegen jene, die sich rechtfertigen. Der Amtsverlust wäre im ersten Fall zwingender als im zweiten. Zudem dürfte die Sachlage häufig eine bestimmte Verteidigungsstrategie nahelegen. Dann kann von einer freien Wahl der Reaktionsweise keine Rede sein. Dennoch deuten die unterschiedlichen Erfolgsquoten der drei Strategien darauf hin, dass sich sofortige oder spätere Bekenntnisse nicht auszahlen. Wer die freie Wahl hat und hofft, durch Bekenntnisse zu gewinnen, hat meist schon verloren. Wer sich rechtfertigt und erwarten kann, dass seine Rechtfertigung relevanten Journalisten und meinungsbildenden Medien glaubhaft erscheint, hat dagegen eine realistische Chance. Der entscheidende Grund liegt erneut in der Natur des Skandals: Wer seine Schuld bekennt, bestätigt die Sichtweise der Skandalisierer; wer sich rechtfertigt, stellt sie infrage. Je besser das gelingt, desto besser sind die Chancen der Skandalisierten. Neben den genannten Faktoren hat das Verhalten der Parteifreunde bzw. das Ausmaß der innerparteilichen Konflikte einen Einfluss auf den Verlauf politischer Skandale. Ist die parteiinterne Kritik groß, sind die Chancen der Skandalisierten schlecht. Ist die parteiinterne Kritik gering, sind sie gut. Von den Politikern, deren Verhalten wenig parteiinterne Kritik hervorrief, behielten nahezu zwei Drittel ihr Amt. Von den Politikern, deren Verhalten von Angehörigen des eigenen Lagers stark kritisiert wurde, war es dagegen nur ein Fünftel. Ein Beispiel für die Relevanz von Konflikten in der eigenen Partei ist der zunächst mehrfach gescheiterte, aber letztendlich geglückte Versuch zur Skandalisierung der Parteifinanzen der CDU. »Entscheidend« für den späteren Erfolg war nach Mascolo »der Umstand, dass jetzt die CDUSpitze bereit war, das Theaterstück ›Helden und Schurken‹ aufzuführen und auch das Ritual des Abschieds von ihrem Paten öffentlich zu zelebrieren« (message, 2/2000), darunter allen voran Angela Merkel. Die erfolgreichen Skandalisierungen von Boettichers und Oettingers dürften ähnliche Ursachen gehabt haben, weil sie im Unterschied zur Skandalisierung zu Guttenbergs aufgrund der reinen Sachlage nicht zwingend erscheinen. Auch die Kompetenz bzw. Inkompetenz der skandalisierten Organisationen hat einen Einfluss auf den Verlauf von Skandalen. Die angegriffenen Parteien, Unternehmen oder Verbände sind zuweilen über ihre eigene Tätigkeit unzureichend informiert. Sie schätzen Angriffe falsch ein, und es fehlt ihnen an Gelassenheit für situationsgerechte Entscheidungen. Ein Beispiel für verhängnisvolle Mängel der internen Kommunikation ist der Informationsfluss bei der Hoechst AG in Zusammenhang mit dem orthoNitroanisol-Austritt.6 Die Forschungsabteilung der Hoechst AG hatte das »Beratergremium für Umweltrelevante Altstoffe« über eine Studie informiert, der zufolge ortho-Nitroanisol krebserregend sein könnte, nicht jedoch die unternehmenseigene »Zentralabteilung Öffentlichkeitsarbeit«. Deshalb konnten die Vertreter der Hoechst AG die anwesenden Journalisten zunächst nicht über den Verdacht einer krebserregenden Wirkung informieren. Stattdessen erfuhr die Öffentlichkeit das auf dem Umweg über einen Mitarbeiter des Umweltministeriums. Das zerstörte, obwohl keine Vertuschungsabsicht bestand, die schon erschütterte Glaubwürdigkeit des Unternehmens vollends. Auch bei der geplanten Versenkung der Brent Spar gab es in der Shell AG schwerwiegende Kommunikationsmängel.7 Shell U. K., die für die Entsorgung der Brent Spar zuständig war, hatte über 30 Studien und Gutachten über die Vor- und Nachteile verschiedener Verfahren eingeholt und auf ihrer Grundlage die Genehmigung für die Versenkung erhalten. Eine deutsche Übersetzung der technisch komplizierten Gutachten lag aber nicht vor. Deshalb konnte Shell Deutschland, als Greenpeace seine Kampagne in Deutschland startete, wo sich die Umweltorganisation mehr Resonanz versprach, dem zunächst nichts entgegensetzen. Ein neueres Beispiel sind die Informationspannen von Vattenfall Europe nach dem Brand eines Transformators auf dem Gelände des AKWs Krümmel am 28. Juni 2007. Der Schichtleiter besprach mit dem Bereitschaftsdienst das Vorgehen. Es wurde vereinbart, den Reaktor binnen vier Tagen durch abwechselndes Öffnen und Schließen der Ventile langsam herunterzufahren. Tatsächlich erfolgte das aber durch längeres Öffnen der Ventile innerhalb von vier Minuten. Grund dafür war ein Missverständnis zwischen Schichtleiter und Reaktorfahrer. Um 15.18 Uhr kam es im Bereich des Transformators zu einer starken Rauchentwicklung. Kurz darauf setzte der Reaktorfahrer ein Atemschutzgerät auf, obwohl die CO2-Konzentration weit unter der Warnschwelle lag. Das war zwar falsch, aber ungefährlich. Deshalb informierte das Unternehmen die Medien darüber nicht. Das war sachlich richtig aber trotzdem verhängnisvoll. Eine Woche nach dem Brand warf Greenpeace dem Eigentümer Vattenfall vor, wichtige Einzelheiten verschwiegen zu haben. Zwei Tage später wurde öffentlich bekannt, dass bei dem Brand des Transformators Rauchgas in die Leitwarte des Kernkraftwerks eingedrungen war. Das bestätigte den Verdacht, das Unternehmen hätte gravierende Probleme vertuscht, unterminierte seine Glaubwürdigkeit und war ausschlaggebend für das volle Ausmaß des Skandals. In vielen Fällen erweisen sich die Vorwürfe gegen die Skandalisierten als überzogen oder völlig falsch. Das wirft die Frage auf, ob ihnen das Presserecht helfen kann, da es eine ganze Palette von Möglichkeiten bietet – von der Gegendarstellung über die Unterlassung bis zum Widerruf und Schadenersatz. Diese theoretischen Möglichkeiten sind jedoch nach Ansicht der meisten Betroffenen praktisch nutzlos. Das zeigt sich bereits bei »einfachen« Verletzungen des Persönlichkeitsrechts, ganz zu schweigen von den massiven Angriffen in einem Skandal.8 Von den Führungskräften aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung hatte 1993 jeder Fünfte »selbst schon einmal die Erfahrung gemacht, dass Journalisten zu weit gingen bei Berichten über ihr Privatleben«. Besonders verbreitet war diese Erfahrung unter Politikern, deutlich seltener unter Führungskräften aus Wirtschaft und Verwaltung. Nahezu zwei Drittel hielten es für klüger, bei der Verletzung von Persönlichkeitsrechten die Sache auf sich beruhen zu lassen. Nur ein knappes Fünftel fand es richtig, sich gegen die Medien zur Wehr zu setzen. Führungskräfte aus Wirtschaft und Verwaltung rieten noch häufiger zur Passivität als bekannte Politiker. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Karrieren von Politikern stärker von ihrem Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit abhängen, während Erfolge von Führungskräften in der Wirtschaft und Verwaltung mehr auf der Akzeptanz im Kollegenkreis beruhen. Sie wird durch weitere öffentliche Aufmerksamkeit eher gefährdet als gefördert. Nicht jeder Betroffene folgt dem Rat seiner Kollegen und wehrt sich nicht gegen Berichte, die seiner Ansicht nach zu weit gehen. Das belegen die Aussagen von 237 Pressesprechern großer Verbände und Unternehmen sowie von 184 Abgeordneten der im Bundestag vertretenen Parteien.9 Auf die Frage: »Kennen Sie Personen, die nach falschen und ehrverletzenden Berichten auf presserechtliche Maßnahmen verzichtet haben, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen nach Ihrer Kenntnis gut dafür waren?« erklärten 1997 mehr als zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten und nahezu die Hälfte der Pressesprecher, sie würden mindestens eine Person kennen, die sich so entschieden hat. Über die Hälfte der Parlamentarier kannten sogar mehrere Personen. Im Bereich des Persönlichkeitsschutzes ist die Dunkelziffer folglich sehr groß. Warum verhalten sich die meisten Politiker und anderen Personen des öffentlichen Lebens so? Die spontanen Antworten auf eine offene Frage nach den »Gründe(n) für den Verzicht auf presserechtliche Maßnahmen wie beispielsweise den Anspruch auf Gegendarstellung, Unterlassung oder Widerruf« geben ein klares Bild: Die Parlamentarier und die Pressesprecher nannten am häufigsten die Angst vor weiterer Publizität. Daneben spielten das unangemessene Verhältnis von Aufwand und Ertrag sowie die geringe Wirkung von Gegendarstellungen eine wichtige Rolle. Viele von denen, die das Recht im Skandal auf ihrer Seite sehen, verzichten wegen ihres berechtigten Ohnmachtsgefühls gegenüber den Medien darauf, ihr Recht wahrzunehmen. Sie gewinnen nach ihrer eigenen Überzeugung im Augenblick kaum etwas und riskieren für die Zukunft viel: Vom Recht erhoffen sie weniger, als sie von den Medien befürchten. Das ist mit Blick auf die Verfassung des Rechtsstaats zwar eine bedauerliche, aus Sicht der Protagonisten aber rationale Haltung. Einen Beleg für die Richtigkeit dieser Einschätzung liefert die Skandalisierung einer Sylt-Reise von Wulff und Groenewold durch Bild (08.02.2012), die zum Rücktritt von Wulff führte. Auf Antrag von Groenewold musste Bild (25.04.2012) zweieinhalb Monate später eine große Gegendarstellung zu der BildDarstellung im Februar drucken. Bild revanchierte sich dafür auf derselben Seite mit einem noch größer aufgemachten Gegenangriff unter der Überschrift »Staatsanwalt weitet Ermittlungen gegen Wulff-Freund David Groenewold aus«. 1 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Künstliche Horizonte, S. 112–140. 2 Vgl. Geiger, Thomas / Steinbach, Alexander: Auswirkungen politischer Skandale auf die Karrieren der Skandalisierten. 3 Vgl. Hartung, Uwe: Publizistische Bedingungen politischer Skandale, S. 247–285. 4 Vgl. Süddeutsche Zeitung (24.03.2013), Frankfurter Allgemeine Zeitung (03.05.2013), Bild (23.04.2013), Hart aber fair (23.04.2013). 5 Vgl. Bild, 13.03.2014. 6 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Hartung, Uwe: Störfallfieber, S. 50–55. 7 Zur Chronologie vgl. Mantow, Wolfgang: Die Ereignisse um Brent Spar in Deutschland. 8 Vgl. die ausführliche Darstellung in Kepplinger, Hans Mathias: Verletzung der Persönlichkeitsrechte durch die Medien. 9 Vgl. ebenda. 14. Skandale und publizistische Konflikte Skandale und publizistische Konflikte besitzen Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Bei Skandalen und publizistischen Konflikten werden tatsächliche oder vermeintliche Missstände angeprangert. In beiden Fällen sind die Fakten meist nach wenigen Tagen unstrittig, was nicht bedeutet, dass sie zutreffen. Sie werden in der Öffentlichkeit aber nicht infrage gestellt. Daneben gibt es gravierende Unterschiede: Bei Skandalen besteht nach kurzer Zeit ein Konsens über die Einschätzung der Ursachen der Missstände sowie der Verantwortung ihrer Urheber. Diejenigen, die die Missstände verursacht oder nicht verhindert haben, haben nach allgemeiner Überzeugung aus egoistischen Motiven, aus freien Stücken und in Kenntnis der Folgen gehandelt. Sie sind folglich voll verantwortlich und müssen zur Verantwortung gezogen werden. Bei publizistischen Konflikten entsteht dagegen eine Auseinandersetzung über die Einschätzung der Ursachen der Missstände und der Verantwortung der Urheber. Ein bemerkenswerter Teil der Beobachter hält die Missstände für unvermeidbar oder sieht viele Menschen als Urheber, was den individuellen Beitrag relativiert. Zudem schreibt er den Urhebern der Missstände legitime bzw. altruistische Motive zu, die die negative Folgen ihres Handelns in einem milden Licht erscheinen lassen. Deshalb geht es im publizistischen Konflikt vor allem darum, wie das Urteil aussehen soll. Ein neueres Beispiel hierfür ist die Diskussion um Jan Böhmermanns »Schmähkritik«.1 Im Skandal steht dagegen das Urteil nach kurzer Zeit fest. Es geht nur noch darum, wann und wie es exekutiert wird. Beispiele für die Unterschiede sind die Skandalisierungen in den Fällen von Thilo Sarrazin2 und Karl-Theodor zu Guttenberg.3 Die Skandalisierung Sarrazins begann Ende August 2010 mit einem Paukenschlag – dem Vorabdruck im Spiegel und der aus seinem Buch »Deutschland schafft sich ab« abgeleiteten Schlagzeile von Bild »Deutschland wird immer ärmer und dümmer«. Zunächst verlief die Skandalisierung wie in ähnlichen Fällen – etwa die Anprangerung Ernst Noltes und Andreas Hillgrubers wegen ihrer Äußerungen zur Rolle des Deutschen Reichs und der Sowjetunion vor und im Zweiten Weltkrieg, Martin Walsers wegen seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels und von Friedrich Merz wegen seiner Forderung nach Anpassung der Einwanderer an die deutsche »Leitkultur«. Gegen Sarrazin wurde ein breites Spektrum an herabsetzenden Behauptungen vorgebracht. Der Höhepunkt seiner Skandalisierung war erreicht, als sich Frank Schirrmacher mit dem Leitartikel »Sarrazins drittes Buch« in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (05.09.2010) an die Spitze der Bewegung setzte. Schirrmacher kritisierte Sarrazin mit besonderer Schärfe für das, was er nicht geschrieben, aber angeblich gemeint hat.4 Laut Schirrmacher vertrat Sarrazin eine »vulgärdarwinistische Gesellschaftstheorie« und präsentierte Darwins Theorien, als »seien sie Erkenntnisse von heute«. Es sei »schlichtweg unseriös, wie fahrlässig (er) mit seinen Quellen« umgehe. Sarrazin meine mit seinen Äußerungen zur negativen Selektion »faktisch ›Entartung‹ – daran kann kein Zweifel bestehen –, aber er nennt das Wort nicht«. Sarrazin täusche die Leser seines Buches über dessen Grundlagen. Er wisse auch um die Täuschung, denn warum sonst sollte er »so großen Wert« auf den Hinweis legen, »dass Intelligenztests von Juden erfunden wurden?« Es scheine, so Schirrmacher, »als habe ein Lektor alle ›anstößigen‹, aber historisch zutreffenden Begriffe aus dem Buch verbannt, damit die Botschaft an den Kunden gebracht werden kann«. Das erfülle »den Tatbestand der Irreführung«. Die Skandalisierung Sarrazins führte, trotz der massiven Vorwürfe Schirrmachers und anderer Autoren, im Unterschied zu früheren Fällen – etwa der Interpretation des satirischen Romans »Tod eines Kritikers« von Walser als antisemitisch – nicht zu einem Skandal im engeren Sinn, d. h. einer einhellig negativen Meinung und dem ebenso einhelligen Ruf nach der Exekution des Urteils – der moralischen Ächtung und der sozialen Isolation des Übeltäters. Sie mündete in einen publizistischen Konflikt. Das hatte sechs Gründe: Der erste Grund war die Meinung der Bevölkerung. Sarrazins Buch stand beim Online-Buchhändler Amazon aufgrund der vielen Vorbestellungen bereits vor seinem Erscheinen auf Platz 1 der Verkaufsliste. Fast zwei Drittel der Bevölkerung waren nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach der Meinung, Sarrazin spreche »viele Dinge an, die im Großen und Ganzen zutreffen«. Im Urteil über Sarrazins These, die deutsche Gesellschaft werde »auf natürlichem Wege durchschnittlich dümmer«, standen sich mit 35 Prozent Zustimmung und 38 Prozent Ablehnung zwei gleich große Lager gegenüber.5 Der zweite Grund waren die direkten Reaktionen auf die Medien. Einige Zeitungen wurden nach negativen Beiträgen über Sarrazins Thesen von kritischen Leserbriefen geradezu überschwemmt und machten daraus eigene Sonderseiten. Nach einem Auftritt von Sarrazin in der Sendung »Hart aber fair« stimmten 84 Prozent der Zuschauer, die ihre Meinung äußerten, den Thesen Sarrazins zu.6 Die meisten Journalisten hatten so etwas noch nie erlebt, und die massive Kritik gefährdete ihre eigenen Interessen, ihre Akzeptanz beim Publikum. Der dritte Grund waren die Reaktionen mehrerer Juden auf den Vorwurf, Sarrazin sei ein Antisemit, weil er in einem Interview von einem »jüdischen Gen« gesprochen hatte. Dazu erklärte der deutsch-israelische Schriftsteller Chaim Noll in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (04.09.2010), nach dem jüdischen Religionsgesetz sei »Jude sein zum Teil genetisch definiert«. In Israel bestehe kein »Tabu, jüdische Identität mit Genetik in Zusammenhang zu bringen«. Vielmehr würden entsprechende Forschungen intensiv diskutiert. Dadurch wurde ein bisher erfolgreiches Killerargument Schirrmachers wertlos. Der vierte Grund waren mehrere fachwissenschaftliche Stellungnahmen zu Sarrazins Analysen und Folgerungen. Eine zentrale Rolle spielte der Artikel »Was ist dran an Sarrazins Thesen?« von Heiner Rindermann und Detlef Rost in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (07.09.2010). Er mündete in das Fazit: »Sarrazins Thesen sind, was die psychologischen Aspekte betrifft, im Großen und Ganzen mit dem Kenntnisstand der modernen psychologischen Forschung vereinbar. (…) Massive Fehlinterpretationen haben wir … nicht gefunden«. Mit der Stellungnahme der beiden Psychologen war der Vorwurf der wissenschaftlichen Unhaltbarkeit von Sarrazins Thesen nicht länger aufrechtzuerhalten.7 Der fünfte Grund bestand darin, dass von Beginn an eine Reihe bedeutender Journalisten und Publizisten Sarrazin verteidigten. Dazu gehörten Necla Kelek in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (30.08.2010) und Henryk M. Broder im Spiegel (06.09.2010). Der sechste und vermutlich entscheidende Grund für das Scheitern der Skandalisierung war die Verlagerung der Diskussion der Thesen Sarrazins auf die Diskussion über Meinungsfreiheit in Deutschland. Diesen Aspekt hatte Bild schon am 1. September angesprochen und am 4. September auf drei Seiten zum zentralen Thema gemacht. Die Wende markierten dann mehrere Leitartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Berthold Kohler warf am 10. September die Frage auf: »Was darf man in dieser Republik sagen und schreiben, ohne die mitunter bis zur Existenzgefährdung reichende ›Menschenverachtung‹ zu erfahren, die Sarrazins Kritiker nur bei ihm erkennen können?« Und er konstatierte: »Jedenfalls einem Teil der Eliten dieses Landes scheint das Wissen abhandengekommen zu sein, dass die für die Demokratie konstitutive Meinungsfreiheit nicht nur für Meinungen gilt, die von der Kanzlerin als hilfreich und von besonders klugen Kolumnisten als diskussionswürdig und dem gerade geltenden Stand der Wissenschaft entsprechend angesehen werden, sondern auch für falsche, verwerfliche und abwertende Äußerungen bis an die Grenze anderer, von der Verfassung garantierter Rechtsgüter«. Zwei Tage später nannte Volker Zastrow an gleicher Stelle den Charakter der Kampagne beim Namen und ging auf unsaubere Tricks der Meinungsmacher ein. Er fragte, warum einige Kritiker Sarrazins es »unerträglich« fanden, wie er die Welt beschreibt, und stellte mehrere Gründe zur Diskussion: »Weil sie nicht so ist? Oder weil man es nicht aushält, dass sie so ist? Oder weil sie nicht so sein darf? (…) Weil daraus falsche Schlüsse gezogen werden könnten? Welche denn? Wer zog sie? Und darf man keine falschen Schlüsse ziehen? Wer zieht sie nicht?« Im Anschluss daran konstatierte er: »›Ertragen‹ ist eines dieser Stichworte … von intellektuellen Lobbyisten, die totale Meinungskriege führen« und folgerte: »Schon vor Jahrzehnten, am Bundestagspräsidenten Jenninger, wurde demonstriert, dass nicht zählt, was einer gemeint hat, sondern ob man es ihm erfolgreich verdrehen kann, gern bis ins Gegenteil über allen Anstand hinaus«. Die Skandalisierung zu Guttenbergs wegen seiner Doktorarbeit verlief ganz anders. Sie begann am 16. Februar 2011 mit einem eher verhaltenen Beitrag von Roland Preuß in der Süddeutschen Zeitung. Unter dem Titel »Guttenbergs Doktorarbeit. Summa cum laude? – Mehr als schmeichelhaft« dokumentierte er mehrere nicht belegte Zitate. Seine Quelle war der Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano, der wenige Tage zuvor bei der Arbeit an einer Besprechung der Dissertation auf Zitate ohne Quellenangaben gestoßen war.8 zu Guttenberg erklärte am selben Tag in einer schriftlichen Stellungnahme, »der Vorwurf«, seine »Doktorarbeit sei ein Plagiat«, sei »abstrus«,9 machte jedoch nicht deutlich, dass seiner Behauptung eine zwar korrekte, aber kaum bekannte Definition von »Plagiat« zugrunde lag. Am 17. Februar veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung zwei weitere Zitate ohne Quellenangaben. Außerdem wurde GuttenPlag Wiki gegründet, eine Internetplattform, auf der neue Funde von jedermann öffentlich bekannt gemacht werden konnten.10 Am 18. Februar gab zu Guttenberg in Berlin in einer improvisierten Stellungnahme vor Fernsehjournalisten zu, dass seine Doktorarbeit »fraglos Fehler« enthalte. Er habe aber »zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht oder bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht«. Vielmehr habe er, weil er neben seiner politischen Tätigkeit auf mehreren Datenträgern Texte gespeichert habe, den Überblick über die Quellen verloren.11 Am 19. Februar berichtete Spiegel Online, zu Guttenberg habe Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, die er selbst in Auftrag gegeben habe, ohne Quellenangabe in seine Doktorarbeit eingefügt. Am 20. Februar veröffentlichten Markus Wehner und Eckart Lohse Belege dafür, dass zu Guttenberg seinen Lebenslauf an mehreren Stellen geschönt hat, darunter seine Tätigkeit als freier Journalist bei der Welt.12 Am 21. Februar dokumentierte GuttenPlag Wiki nicht belegte Zitate auf 271 Seiten der Doktorarbeit. Am selben Tag bat zu Guttenberg brieflich die Universität Bayreuth mit der Begründung, ihm seien »gravierende handwerkliche Fehler unterlaufen«, um Rücknahme des Doktorgrades. Kanzlerin Merkel stellte sich vor zu Guttenberg mit der sachlich abwegigen Erklärung, sie habe »keinen wissenschaftlichen Assistenten oder einen Promovierenden« ins Kabinett berufen. Seine Arbeit als Bundesverteidigungsminister erfülle zu Guttenberg »hervorragend, und das ist, was für mich zählt«13. Am Abend desselben Tags trat zu Guttenberg bei einer Wahlveranstaltung der hessischen CDU in Kelkheim als umjubelter Redner auf, räumte erneut ein, dass er beim Verfassen seiner Doktorarbeit »gravierende Fehler« gemacht habe und deshalb auf seinen Titel dauerhaft verzichten wolle. Einen Rücktritt lehnte er entschieden ab.14 Zwei Tage später, am 23. Februar, erklärte zu Guttenberg bei einer Fragestunde des Bundestags zwar wieder, er habe eine »fehlerhafte Doktorarbeit« geschrieben, bezeichnete die Plagiatsvorwürfe aber erneut als »abstrus«. Am selben Tag gab der Präsident der Universität Bayreuth, Universitätsprofessor Rüdiger Bormann, bekannt, dass die Universität Bayreuth zu Guttenberg den Doktortitel aberkenne.15 Zwei Tage nach der Fragestunde des Bundestags warf Bundestagspräsident Lammert (CDU), der Opposition vor, sie habe zu Guttenberg nicht danach gefragt, wie viele Fehler er selbst in seiner Doktorarbeit gefunden habe. An den folgenden Tagen kritisierten die ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten und Minister Vogel, Böhmer und Biedenkopf zu Guttenberg mehr oder weniger scharf.16 Die Ministerin für Bildung und Forschung, Schavan, erklärte laut Süddeutsche Zeitung (28.02.2010) mit einer Anspielung auf den »Mescalero-Brief«, sie schäme sich »nicht nur heimlich« und der ehemalige Minister Beckstein forderte laut stern.de, zu Guttenberg müsse zurücktreten, falls er »im Amt oder vor dem Bundestag etwas Unwahres gesagt« habe.17 Inzwischen häuften sich kritische Stellungnahmen aus der Wissenschaft: 70 Dozenten der Universität München forderten den bayerischen Wissenschaftsminister in einem offenen Brief auf, dem Eindruck entgegenzutreten, das Verhalten zu Guttenbergs sei ein »Kavaliersdelikt«. Der Vorsitzende des Philosophischen Fakultätentags, Gerhard Wolf, kritisierte, in der öffentlichen Diskussion würden Täuschungsversuche bagatellisiert. Der Präsident des Deutschen Hochschulverbands, Bernhard Kempen, bezeichnete die »Marginalisierung wissenschaftlichen Fehlverhaltens durch höchste Repräsentanten unseres Staates« als empörend – gemeint war jeweils zu Guttenberg. Die zunehmende Kritik an zu Guttenberg und die wachsende Beweislast schmälerten zunächst nicht die Beliebtheit zu Guttenbergs bei der Bevölkerung.18 Nach einer am 23. Februar veröffentlichten Umfrage von Infratest dimap waren 73 Prozent der Befragten mit seiner politischen Arbeit zufrieden und 72 Prozent wünschten seinen Verbleib im Amt.19 Zwar hielten am 1. März 53 Prozent der Befragten seinen Rücktritt für richtig, jedoch lehnten 72 Prozent sein völliges Ausscheiden aus der Politik ab.20 Noch Anfang Mai, zwei Monate nach seinem Rücktritt, waren laut TNS Emnid 58 Prozent der Befragten dafür, dass er »nach einer Pause wieder in die Bundespolitik« zurückkehrt.21 Ende Februar war zu Guttenberg aber mit einer fast geschlossenen Ablehnungsfront in den Medien, in der Politik und in der Wissenschaft konfrontiert. Eine bemerkenswerte Ausnahme war Bild. In dieser Situation hatte zu Guttenberg keine Chance, das Meinungsbild der relevanten Eliten zu ändern. Am 1. März trat er von seinen politischen Ämtern zurück, am 3. März gab er sein Bundestagsmandat zurück, am 10. März wurde er mit einem Großen Zapfenstreich verabschiedet. Weitere Beispiele für die Unterschiede zwischen Skandalen und publizistischen Konflikten liefern die Skandalisierungen von Joschka Fischer und Margret Härtel. Zugleich zeigt Fischers Verhalten eine aufschlussreiche Alternative zum Verhalten zu Guttenbergs. Am 4. Januar 2001 veröffentlichten Stern, Bild und Welt Fotografien des damaligen Außenministers, die ihn am 7. April 1973 bei einer gewaltsamen Demonstration in Frankfurt am Main zeigen. Einige der Aufnahmen hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits zwei Tage nach der Demonstration veröffentlicht. Wenige Wochen später druckte die Wirtschaftswoche die Bilder nach; später wurden sie in eine umfangreiche Dokumentation der Stadt Frankfurt aufgenommen. Allerdings blieb Fischer unerkannt. Als Bettina Röhl, eine Tochter Ulrike Meinhofs, Jahre später bei Recherchen für ein Buch auf die Fotos stieß und Fischer erkannte, platzierte sie die Bilder in den genannten Medien. Auf einem der Bilder ist Fischer zu sehen wie er – von mehreren Demonstranten umringt und durch einen Motorradhelm geschützt – auf einen Beamten einschlägt. Zusätzliche Brisanz erhielten die Fotografien durch den Prozess gegen Hans-Joachim Klein, der seit Herbst 2000 in Frankfurt wegen Mordes beim Terroranschlag gegen die OPEC-Tagung 1975 in Wien angeklagt war. Klein war in den 1970er-Jahren ein Weggefährte Fischers und hatte 1973 im Auto Fischers Waffen transportiert, darunter die Pistole, mit der 1981 der hessische Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry ermordet wurde.22 Die Verteidigung Fischers bereitete der Stern schon auf der Titelseite seiner Enthüllungsgeschichte vor: »Joschka Fischer über seine Zeit als Sponti in Frankfurt: ›Ja, ich war militant‹«. Im Blatt schilderte Fischer dann ausführlich seine Sichtweise der Vorgänge, wobei er sich als Urheber und Opfer von Gewalt bei Demonstrationen präsentierte. In einem Kasten stellte das Blatt die als besonders gewalttätig geltende »Putzgruppe« vor, der auch Fischer angehört hatte. Die Welt zitierte Jutta Ditfurth, die Fischer vorwarf, noch in den 1990er-Jahren bei innerparteilichen Auseinandersetzungen der Grünen mit Gewalt kokettiert zu haben, sowie mehrere CDU/CSU-Politiker, die sich empört über Fischer äußerten. Am 8. Januar brachte der Spiegel eine Titelgeschichte über die militante Vergangenheit Fischers. Grundlage waren intensive Recherchen in der Frankfurter »Szene«. Dabei ging es auch um Fischers Beteiligung an einer gewaltsamen Demonstration anlässlich des Selbstmords von Ulrike Meinhof 1976, bei der der Polizist Jürgen Weber durch einen Brandsatz schwerste Verbrennungen erlitt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte vom 4. bis zum 6. Januar mehrere verständnisvolle Kommentare und Glossen von Thomas Schmid, einem früheren Weggefährten Fischers. Er ging auf die Vorwürfe gegen Fischer nur am Rande ein und charakterisierte seinen Werdegang als generationstypisch. Die Süddeutsche Zeitung äußerte in zwei Beiträgen am 5. und 8. Januar Verständnis für die gewaltsamen Demonstrationen der 1970erJahre. Dagegen brachte der NDR in seinem Politmagazin Panorama am 11. Januar einen Beitrag, in dem eine Zeugin Fischer beschuldigte, er sei für den Einsatz von Molotowcocktails eingetreten. In der Anmoderation wurde Fischer aber ausdrücklich zum Verbleib im Amt aufgefordert. Am selben Tag hieß es in Bild: »Verbrannter Polizist klagt Joschka Fischer an«. Vergleichbar schwere Vorwürfe gegen Fischer folgten am 15., 19. und 24. Januar. Damit standen sich wenige Tage nach den ersten Veröffentlichungen zwei publizistische Lager gegenüber – Medien, die das Verhalten Fischers mehr oder weniger eindeutig anprangerten, und Medien, die es mehr oder weniger eindeutig entschuldigten. Zum ersten Lager gehörten vor allem Bild und Focus, zum zweiten die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau. Die Folgen sind bekannt: Fischer blieb Außenminister und wurde in den folgenden Monaten und Jahren der beliebteste Politiker Deutschlands. Ganz anders verlief die Skandalisierung von Margret Härtel. Am 28. November 2002 berichtete die Frankfurter Rundschau, die Hanauer Oberbürgermeisterin Härtel (CDU) habe zunächst geleugnet, dass sie in ihrem Dienstwagen eine private Reise nach Warschau unternommen hatte, um eine Schönheitsoperation vorzubereiten. Am Tag darauf habe sie aber in einer eilends einberufenen Pressekonferenz zugegeben, dass sie die »Unwahrheit« gesagt habe. Sie habe »falsch gehandelt, als sie Dienst und Privatleben nicht klar getrennt habe«, wolle aber einen möglichen Schaden beheben. Im selben Artikel hieß es, das Haushaltsdefizit der Stadt sei inzwischen auf mindestens 500.000 Euro gestiegen. In den folgenden Tagen und Monaten häuften sich Vorwürfe gegen Härtel. Danach hatte sie die Kosten für ein Hochzeitsgeschenk im Wert von 424 Euro, die Rechnung über ein Familienessen in Höhe von 650 Euro sowie die Ausgaben für ein privates Geschenk zum 50. Geburtstag des hessischen Innenministers Volker Bouffier in Höhe von 388 Euro über die Stadtkasse abgerechnet. Zudem hieß es, sie habe aus Anlass einer Geburtstagsfeier für den Seniorchef einer PR-Agentur die Zufahrt zu Schloss Philippsruhe asphaltieren lassen, damit die Ehrengäste vorfahren konnten. Da die Zufahrt eigentlich gepflastert werden sollte, musste der Asphalt wieder entfernt werden, was 1.100 Euro kostete. Gemeinsam war diesen und ähnlichen Vorgängen der Vorwurf einer unzulässigen Vermischung von Amt und Privatleben. Überlagert wurde er vom Vorwurf der unsachgemäßen Amtsführung, wodurch erhebliche finanzielle Belastungen für die Stadt entstanden seien. So warf ihr der Bürgermeister und Stadtkämmerer Claus Kaminsky (SPD) vor, sie habe am Magistrat vorbei einen Auftrag für die Aktion »Hanau putzmunter« in Höhe von 65.000 Euro vergeben. Härtel beantragte Anfang Januar 2003 als Reaktion auf die Vorwürfe ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst. Die Staatsanwaltschaft nahm ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Betrug und Untreue auf, das in ein Strafverfahren mündete. Nachdem Härtel trotz massiver Forderungen einen Rücktritt abgelehnt hatte, beschloss der Hanauer Magistrat einstimmig, ihre Suspendierung zu fordern. »Das Vertrauen«, so Bürgermeister Kaminsky auch im Namen seiner beiden hauptamtlichen Kollegen von CDU und SPD, sei »unwiederbringlich zerstört«. Am 10. Februar 2003 stimmten 55 von 56 Abgeordneten für ein Verfahren zur Abwahl der Oberbürgermeisterin. Am 11. Mai waren die Bürger zur Abstimmung aufgerufen. Drei Jahre zuvor war Härtel mit 50,8 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Nun entschied sich die Mehrheit gegen sie. Neuer Oberbürgermeister wurde Kaminsky. Im September 2003 wurde vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Hanau das Strafverfahren gegen Härtel wegen Verdachts auf Untreue eröffnet, jedoch sofort ausgesetzt, weil ein Richter einen Großteil der Akten nicht kannte. Anfang 2004 wurde vor der 5. Großen Strafkammer das Strafverfahren erneut eröffnet und wenige Tage später wegen geringer Schuld gegen Zahlung von 4.000 Euro eingestellt. Die Masse der Vorwürfe hatte sich als haltlos oder unbedeutend erwiesen. Anfang März 2004 wurde auch das Disziplinarverfahren gegen Härtel eingestellt. Dabei wurde betont, ihr seien keine beamtenrechtlichen Verfehlungen vorzuwerfen. Während des gesamten Skandals sah sich Härtel, von wenigen Ausnahmen abgesehen, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung, einer nahezu geschlossenen Front der regionalen Medien gegenüber. Dies hatte nach Ansicht des zuständigen Richters zu einer Vorverurteilung Härtels geführt. Darin sah das Gericht neben der geringen Schuld einen Grund für die Einstellung des Verfahrens. Etwa gleichzeitig tauchte der begründete Verdacht auf, dass Härtel Opfer einer Intrige von Kollegen und Mitarbeitern geworden war, die gezielt Material gesammelt hatten, um sie bei einer günstigen Gelegenheit »fertig zu machen« (FAZ, 09.01.2004). Warum verlor Härtel ihr Amt, während Fischer im Amt blieb? Auf eine solche Frage werden meist drei Gründe genannt: die Schwere der Tat, die Fallhöhe des Täters und die Reputation der publizistischen Angreifer. An der Schwere der Tat lag es kaum, weil es bei Härtel zwar um kleinere und größere Geldbeträge ging, bei Fischer aber um Gewaltanwendung mit zum Teil schweren Folgen sowie um seine Nähe zu einem Mordverdächtigen. An der Fallhöhe lag es auch nicht, weil der Fall Fischers viel tiefer gewesen wäre als der Fall Härtels. An der Reputation der publizistischen Angreifer lag es schon gar nicht – sie war bei Fischer erheblich größer als bei Härtel. Die üblichen Erklärungen scheiden damit aus. Was bleibt? Der entscheidende Grund für den unterschiedlichen Verlauf der Skandalisierungen der beiden Politiker bestand darin, dass die Skandalisierung Härtels sofort zu einem Skandal führte, während die Skandalisierung Fischers nach wenigen Tagen in einen publizistischen Konflikt mündete. Die Tatsache, dass Härtel Opfer eines Skandals wurde, Fischer jedoch Gegenstand eines publizistischen Konflikts, erklärt zwar, weshalb Härtel ihr Amt verlor, während Fischer im Amt blieb. Sie wirft jedoch die Frage auf, weshalb die Skandalisierung Härtels zu einem Skandal führte, während die Skandalisierung Fischers in einen publizistischen Konflikt mündete? Darauf gibt es mehrere Antworten. Sie sind auch für den Vergleich der Fälle Fischer und zu Guttenberg aufschlussreich. Erstens bekannte sich Fischer, anders als zu Guttenberg, der sich hinter der Problematisierung des Begriffs »Plagiat« verschanzte, demonstrativ zu einem Verhalten, das nicht zu leugnen war. Dagegen hatte Härtel versucht, ihr Verhalten zu vertuschen und wurde bei einer Lüge ertappt. Fischer gewann Vertrauen, während Härtel Vertrauen verlor. Ähnlich erging es zu Guttenberg. Zweitens lieferte Fischer, anders als zu Guttenberg, eine überzeugende Erklärung für sein Verhalten. Er charakterisierte sein Handeln als Versuch, ein übergeordnetes Ziel zu erreichen – die Veränderung der Gesellschaft zum Besseren. Dabei stellte sich Fischer als selbstlosen Teil einer breiten Bewegung dar. Dagegen stand Härtel durch Hinweise auf eine geplante Schönheitsoperation und auf Vergünstigungen bei ihren Reisen im Verdacht der persönlichen Bereicherung. Auch bei zu Guttenberg ging es um persönliche Vorteile, seine Promotion, und nicht um höhere Ziele. Auch deshalb hatte er mit seiner Beschränkung des Begriffs »Plagiat« auf absichtliche Täuschungen keinen Erfolg. Drittens solidarisierten sich zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens mit Fischer. So äußerten sich bei der Skandalisierung Fischers neben einer Reihe von Politikern der Grünen auch der SPD-Generalsekretär Franz Müntefering, der SPDFraktionsvorsitzende Peter Struck, Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Bundespräsident Johannes Rau verständnisvoll. Ähnlich eindrucksvolle Entlastungen gab es weder auf nationaler Ebene bei der Skandalisierung zu Guttenbergs noch im regionalen Rahmen bei der Skandalisierung Härtels. Viertens folgte der Skandalisierung Fischers eine Gegenskandalisierung seiner Skandalisierer. In der Süddeutschen Zeitung (05., 08. und 19.01.2001) diskreditierte Hans Leyendecker in mehreren Beiträgen die Motive von Röhl, die Fischer auf den Aufnahmen entdeckt und diese in den Medien platziert hatte. Die Frankfurter Rundschau (04.01.2001) versuchte am ersten Tag der Skandalisierung Fischers, den CDU-Politiker Bosbach lächerlich zu machen, weil er den Rücktritt Fischers gefordert hatte. Die endgültige Wende bewirkte ein Artikel von Reinhard Mohr im Spiegel (22.01.2001), in dem er die Kritik an Fischer als Versuch von Konservativen darstellte, die Revolte von 1968 als »monströsen Irrtum« zu deuten. Eine Woche darauf baute der Spiegel in seiner Titelgeschichte »Das Gespenst der Siebzigerjahre. Die Gegenwart der Vergangenheit« diese Argumentation aus. Damit war nicht mehr Fischer das zentrale Thema, sondern der Umgang seiner Kritiker mit der Studentenbewegung und ihren Folgen. Zwar veröffentlichten mehrere Medien, darunter auch der Spiegel, in den folgenden Wochen zum Teil schwere Vorwürfe gegen Fischer. Sie trafen jedoch auf eine Front von Politikern und Journalisten, die ihn entlasteten und seine Kritiker ins Unrecht setzten. Die Gegenüberstellungen zeigen: Die Risiken, aufgrund fragwürdiger Verhaltensweisen skandalisiert zu werden, und die Chancen, einen Skandalisierungsversuch zu überstehen, sind nicht für alle gleich. Einer der Faktoren, von denen sie abhängen, sind die politischen Präferenzen und persönlichen Antipathien der Journalisten. Die bereitwillige Übernahme der Selbstdarstellung Fischers ist auch deshalb bemerkenswert, weil ein wesentliches Argument seiner Verteidiger offensichtlich falsch war: Das Verhalten der 1968er-Demonstranten war nicht typisch für eine ganze Generation, weil an den Protesten allenfalls fünf Prozent der damaligen Alterskohorte teilgenommen hatten. Zudem war das Verhalten der politisch motivierten Schlägergruppen der 1970er-Jahre nicht typisch für die 1968erDemonstranten mit ihrem überbordenden Interesse an politischer Theorie. Beides deutet darauf hin, dass die Verteidiger Fischers den Ausdruck »generationstypisch« nicht wörtlich, sondern metaphorisch verwendeten: Fischers Verhalten war nicht typisch für seine Generation. Es war typisch für das Generationsbewusstsein seiner Verteidiger.23 Mehr als die Hälfte der 1968er-Generation unter den Journalisten hat nach eigener Angabe an »friedlichen Demonstrationen« teilgenommen, fast die Hälfte hat »Gewalt bei Demonstrationen« erlebt, nahezu ein Drittel war in der »Studentenbewegung« aktiv. Auch wenn die meisten Journalisten in ihrer Jugend keine gewaltsamen Demonstranten waren, glich die Skandalisierung Fischers einem Angriff auf ihre Vergangenheit und ihr Selbstverständnis. Bei der Skandalisierung von zu Guttenberg war die Konstellation völlig anders – er hatte eine Jugend, die einen Kontrast zu jener der meisten Journalisten darstellt. Er war er keiner von ihnen. Die Skandalisierung Fischers wäre aus den genannten Gründen allenfalls dann erfolgreich gewesen, wenn man ihm eindeutig kriminelle Akte hätte nachweisen können. Da dies nicht der Fall war, mündete seine Skandalisierung in einen publizistischen Konflikt über die Bedeutung der Studentenbewegung für die Bundesrepublik und die Notwendigkeit einer bruchlosen Biografie. Das führt zu der Frage, weshalb auch Sarrazin bereits frühzeitig von Journalisten, Publizisten und Medien unterstützt wurde und warum sich deren Sichtweise am Ende durchsetzte, während zu Guttenberg kaum Unterstützung fand. Ein wichtiger Grund waren die Interessenlagen: Bei der Diskussion der Thesen Sarrazins ging es nicht nur um die Interessen der Migranten, sondern auch um die Interessen der Medien – ihren Freiraum im Meinungskampf.24 Am Ende war der Schutz der Meinungsfreiheit auch denjenigen, die Sarrazins Thesen nicht zustimmten, wichtiger als die Interessen der Migranten. Bei der Diskussion um zu Guttenberg war die Interessenlage der Medien umgekehrt: Hier ging es ebenfalls um eine journalistische Berufsnorm – die Sorgfaltspflicht. Hätten die Journalisten zu Guttenbergs Regelverstöße im Umgang mit Quellen hingenommen, hätten sie Zweifel an ihrem eigenen Umgang mit Quellen geweckt. Deshalb konnte zu Guttenberg – von anderen Gründen abgesehen – bei den meisten Journalisten nicht mit Nachsicht rechnen. Matthias Rosenthal hat den Einfluss subjektiver Faktoren auf die Bereitschaft zur Skandalisierung von Politikern nach der FlickParteispenden-Affäre in einem Fragebogen-Experiment systematisch untersucht.25 Er legte zwei Stichproben von Journalisten eine fiktive Meldung vor: »Der Ministerpräsident … soll für seine Partei Gelder in Höhe von etwa 100.000 DM beschafft haben. Aus den Informationen über den Vorgang geht nicht klar hervor, ob die Geldbeschaffung rechtmäßig oder rechtswidrig war«. In der einen Hälfte der Fragebögen wurde als Verdächtigter der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, genannt, in der anderen der damalige Ministerpräsident von Bayern, Franz Josef Strauß. Die Einstellung der Befragten zu den Politikern ermittelte er mithilfe einer Sympathie-Skala. Eine der Testfragen zielte auf die Erstpublikation eines Verdachts gegen die genannten Politiker. Sie lautete: »Stellen Sie sich bitte vor, eine Redaktion erhält die … Information exklusiv vor Redaktionsschluss. Wann sollte sie Ihrer Meinung nach veröffentlicht werden?« Von den Journalisten, die die Politiker unsympathisch fanden, erklärten mehr als zwei Drittel, sie würden die Meldung »sofort publizieren, um das Thema exklusiv im Blatt zu haben«. Von den Journalisten, die die Politiker sympathisch fanden, war es weniger als die Hälfte. Sie wollten mehrheitlich »warten, um gründlich recherchieren zu können«. Weil die meisten Journalisten Rau sympathischer fanden als Strauß, waren sie eher bereit, den ungeprüften Verdacht gegen Strauß zu veröffentlichen als den ungeprüften Verdacht gegen Rau. Der Erfolg einer Skandalisierung hängt auch davon ab, wie intensiv die Redaktionen Missstände recherchieren und mit welcher Wucht sie ihre Anklagen publizieren. Journalisten, die die Politiker unsympathisch fanden, waren häufiger der Meinung, die Redaktion sollte »mehrere Journalisten … für die Recherche« abstellen. Darüber hinaus waren sie auch eher bereit, die Vorwürfe zu verallgemeinern und »in einem Bericht oder einem Kommentar … Parallelen zu früherem zweifelhaften Verhalten« zu ziehen. Ob sich aus einem Skandalisierungsversuch ein Skandal oder ein publizistischer Konflikt entwickelt, hängt folglich nicht nur von den möglichen Verfehlungen der Skandalisierten ab. Genauso wichtig ist die Verteilung der Meinungen über die skandalisierten Personen unter den Journalisten der meinungsbildenden Medien. Einen Test auf die praktische Bedeutsamkeit dieser Befunde liefert der Vergleich der Skandalisierung der Bundespräsidenten Rau und Wulff. Nachdem Rau 1999 als Bundespräsident vereidigt worden war, berichteten im Dezember mehrere Medien über die Bezahlung von Dienstreisen des damaligen Ministerpräsidenten durch die WestLB. Das führte zur sogenannten »Flugaffäre«.26 Im Januar 2000 warf eine Zeugin in dem zwischenzeitlich eingesetzten Untersuchungsausschuss Rau vor, er habe auf Kosten der WestLB auch Privatreisen unternommen. Anfang Februar berichtete der Spiegel, die WestLB habe die Kosten für eine Geburtstagsfeier von Rau mit 1.500 Gästen in Höhe von 150.000 DM übernommen. Mitte Februar hieß es im selben Blatt, die WestLB habe Wahlkampfreisen Raus sowie seine Reisen zu SPD-Veranstaltungen finanziert. Wie war das mediale Meinungsspektrum im Fall Rau? Damals waren laut Media Tenor 14 Prozent der Aussagen in den Fernsehnachrichten von ARD, ZDF und RTL sowie in Bild, Spiegel und Focus negativ. Ihnen standen acht Prozent positiver Aussagen gegenüber.27 Der Negativ-Saldo für Rau betrug folglich sechs Prozent. Damit war das Verhältnis nahezu ausgeglichen. Die Kritik an Rau mündete in einen publizistischen Konflikt zwischen ähnlich starken Lagern. Auch bei der Skandalisierung von Wulff ging es um finanzielle Vorteile, jedoch um deutlich geringere Beträge – einen günstigen Kredit statt einer Kostenübernahme – und politisch unbedeutende Sachverhalte – Urlaubsreisen statt einer Vermischung von Privatund Dienstreisen. Wie sah die Berichterstattung derselben Medien im Fall Wulff aus? Im zweiten Halbjahr 2011 waren 41 Prozent der Aussagen über Wulff negativ, zwei Prozent waren positiv. Der Negativ-Saldo betrug folglich 39 Prozent. Die Kritik an Wulff entwickelte sich zu einem Skandal, in dem seine Unterstützer ab Dezember 2011 kaum noch zu Wort kamen. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil sich einige prominente Personen vor Wulff gestellt hatten, darunter Ministerpräsident Horst Seehofer, der Filmregisseur Helmut Dietl und der Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer. Ihre Einwände fanden aber kaum publizistische Resonanz. Die Folgen entsprachen dem, was aufgrund der Meinungsverteilung in den Medien zu erwarten war: Rau hat seine Skandalisierung im Amt überstanden, Wulff nicht. Was waren die Ursachen der Unterschiede? Wulff und Rau hatten dasselbe Amt inne und sie hatten denselben Anwalt. Allerdings waren die Verfehlungen Raus eindeutiger. Mit der Sache selbst – der Fallhöhe der Skandalisierten, ihrer juristischen Beratung und dem Ausmaß der Verfehlungen – hatten die Medienmeinungen und ihre Konsequenzen für Rau und Wulff offensichtlich nichts zu tun. Dagegen dürfte es eine Rolle gespielt haben, dass »Bruder Johannes«, wie viele Journalisten Rau freundlich-ironisch nannten, in den Medien und ihrem Umfeld schon lange ein Wohlwollen genoss, das Wulff von Anfang an fehlte. Wie wichtig dieses Wohlwollen ist, konnte man kurze Zeit später erneut beobachten. Einen Monat nach Wulffs erzwungenem Rücktritt berichtete Spiegel Online (13.03.2012), dass Berlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit kostenlos in einem Privatjet nach London mitgeflogen und zum Ausgleich für die Gesamtkosten der Reise in Höhe von 5.600 Euro immerhin 300 Euro an einen gemeinnützigen Verein überwiesen hatte. Ein Skandal, der seinen Verbleib im Amt ernsthaft infrage gestellt hätte, wurde daraus nicht – vermutlich aus den gleichen Gründen wie im Fall Rau. Stattdessen verschwand das Thema innerhalb kurzer Zeit aus den Medien, obwohl Wowereit laut Spiegel Online einen Urlaub bei dem gleichen Gastgeber verbracht hatte, dessen Gastfreundschaft Wulff genossen hatte. Was bei Wulff empört berichtet und kommentiert wurde, war bei Wowereit kaum der Rede wert. 1 Vgl. dazu die Pro- und Contra-Stellungnahmen von Mathias Döpfner »Solidarität mit Jan Böhmermann!« (Welt am Sonntag, 10.04.2016) und von Jakob Augstein: »Witz, komm raus!« (Spiegel Online, 18.04.2016) sowie das Meinungsbild der Medien im »Pressekompass: Hat die Kanzlerin das Richtige getan? Das sagen die Medien« (Spiegel Online, 15.04.2016). 2 Vgl. hierzu auch Kepplinger, Hans Mathias: Die gescheiterte Skandalisierung von Thilo Sarrazin. 3 Lepsius, Oliver / Meyer-Kalkus, Reinhart (Hg.): Inszenierung als Beruf. 4 Vgl. hierzu auch Schirrmacher, Frank: Sarrazins Konsequenz. Ein fataler Irrweg. 5 Vgl. Rüssmann, Ursula: Eine Überdosis Sarrazin. Auf: fr-online.de, 30.09.2010; Reinbold, Fabian: 42 Prozent der Deutschen lehnen Sarrazins Thesen ab. Auf: Spiegel Online, 14.09.2010. 6 Referiert nach Das Erste.de, abgerufen am 14.10.2010. Das Ergebnis ist inzwischen nicht mehr abrufbar. 7 Vgl. auch Weede, Erich: Demographie, Intelligenz und Zuwanderung. 8 Zur folgenden Chronologie vgl. »Plagiatsaffäre Guttenberg«. Auf: Wikipedia.de [Zugriff: 03.10.2011]. 9 Zu dieser und den folgenden Stellungnahmen zu Guttenbergs vergleiche die Dokumentation in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 24.02.2011. 10 Abrufbar unter http://de.guttenplag.wikia.com/wiki/GuttenPlag_Wiki. 11 Vgl. dazu auch zu Guttenberg, Karl-Theodor / di Lorenzo, Giovanni: Vorerst gescheitert, S. 12–30. 12 Vgl. Wehner, Markus / Lohse, Eckart: Die Studierstube ist seine Bühne nicht. Auf: faz.net, 20.02.2011. 13 Vgl. Merkel stärkt Guttenberg den Rücken. In: Südwest Presse, 21.02.2011, zitiert nach »Plagiatsaffäre Guttenberg«. 14 Vgl. Fischer, Sebastian / Gebauer, Matthias: Guttenberg tauscht Doktor gegen Karriere. Auf: Spiegel Online, 22.02.2011; Georgi, Oliver / Bannas, Günter / Kaube, Jürgen: Guttenberg verzichtet auf Doktortitel. Auf: faz.net, 21.02.2011. 15 Vgl. o. V.: Der Titel ist weg. Auf: BR-online, 24.02.2011. 16 Vgl. zum Folgenden die Zusammenstellung in »Plagiatsaffäre Guttenberg« mit Einzelnachweisen. 17 Vgl. Rettner-Halder, Gabriele: Es wird einsam um Dr. Googleberg. Auf: stern.de, 28.02.2011. 18 Zeitverzögerte Effekte bei Skandalen sind normal (vgl. dazu Kapitel 8). Eine Ursache des auch dann noch milden Urteils über zu Guttenbergs Plagiate war vermutlich der Gegenstand der Skandalisierung: Es ging nicht um eines der in Deutschland skandalträchtigen Themen, und den meisten Menschen waren die Zitierweisen in der Wissenschaft gleichgültig. 19 Vgl. WDR-Pressestelle: Umfrage für ARD-Sendung »Hart aber fair«: Guttenberg beliebter als vor der Plagiatsaffäre / 72 Prozent der Deutschen wünschen sich, dass er im Amt bleibt. Auf: WDR.de, 23.02.2011. 20 Vgl. Infratest dimap: Rücktritt des Bundesverteidigungsministers spaltet die Deutschen. Auf: infratest-dimap.de, 01.03.2011. 21 Vgl. Focus, 20/2011. 22 Vgl. zum Folgenden auch Hartung, Uwe: Publizistische Bedingungen politischer Skandale, S. 247–283 23 Vgl. zum Folgenden Ehmig, Simone C.: Generationswechsel im deutschen Journalismus, S. 211. 24 Ähnliche Interessen dürften dazu geführt haben, dass die zunächst überwiegende Kritik an dem Böhmermanns »Schmähgedicht« von zahlreichen Journalisten zurückgewiesen wurde. Dazu diente ein breites Spektrum von Argumenten – angefangen vom hohen künstlerischen Wert der Schmähung bis zur Verteidigung der Meinungsfreiheit in Deutschland. 25 Vgl. zum Folgenden Rosenthal, Matthias: Der Einfluss von Sympathie oder Antipathie auf das journalistische Verhalten von Tageszeitungsredakteuren bei Konflikten um Politiker. 26 Vgl. Johannes Rau, auf: Wikipedia.de [Zugriff: 26.11.2012]; Focus Online, 27.03.2000 [Zugriff: 26.11.2012]. Siehe auch »Die Flugaffäre von Anfang an. Eine Chronologie«, Spiegel Online, 26.01.2000 [Zugriff: 26.11.2012]. 27 Vgl. Media Tenor: Christian Wulff im Vergleich mit Johannes Rau. Bewertung als Hauptakteure; Rau 8/99–2/00, Wulff 7–12/11. 15. Die Illusion der Wahrheit Viele Skandalisierungen beruhen auf der Veröffentlichung von neuen Informationen: Die unzulässig hohen Schadstoffemissionen von VWFahrzeugen erfuhr man erst durch Medienberichte über die computergesteuerte Manipulation von Abgasmessungen. Die Geschäftsbeziehung von Wulff zu Edith Geerkens wurde aufgrund der Recherchen von Bild-Reportern bekannt. Die Kosten für den Um- und Neubau des Bischofssitzes in Limburg und den Flug von Bischof Tebartz-van Elst nach Indien machte der Spiegel publik. Über die sinkende Treffergenauigkeit des Sturmgewehrs G36 bei hohen Temperaturen und Dauerfeuer informierten mehrere Medien. Die nicht belegten Zitate in der Doktorarbeit von zu Guttenberg machten die Medien bekannt und weckten dadurch berechtigte Zweifel an der Sorgfalt anderer Doktoranden. Die Mitgliedschaft von Grass in der Waffen-SS entlarvte indirekt seine Kritik am Besuch Kohls und Reagans auf dem Militärfriedhof Bitburg als scheinheiligen Opportunismus. Zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch über einen langen Zeitraum an der Odenwaldschule machte die späte Skandalisierung der Vorfälle bekannt. Dass Fische von Würmern befallen sein können, wussten die meisten vor dem Nematoden-Skandal nicht. Auch wussten sie vor dem Lipobay-Skandal nicht, dass das Medikament tödliche Nebenwirkungen haben konnte. Von der Übergabe einer Million DM auf einem Schweizer Parkplatz an Leisler Kiep hätten sie ohne die Medienberichte ebenso wenig erfahren wie von den nicht ordnungsgemäß verbuchten Spenden an die CDU. Viele der neuen Informationen sind Insidern und Experten allerdings längst bekannt: So hatten zahlreichen Personen im Bistum Limburg schon lange Kenntnis von den baulichen und finanziellen Problemen von Neu- und Umbau der Bischofsresidenz. Zahlreiche Experten und Soldaten wussten, dass das G36 bei Dauerfeuer heiß werden kann und an Treffsicherheit verliert. Mehrere Freunde von Grass wussten um seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS. Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule waren schon Jahre zuvor berichtet worden. Geißler wusste schon vor der Geldübergabe an Leisler Kiep von schwarzen Kassen der CDU. Fachleuten war bekannt, dass außer der Brent Spar noch andere Rohölspeicher versenkt werden sollten. Auf diese Details kommt es aber nicht an. Es geht nicht darum, dass Insider und Spezialisten die relevanten Informationen kennen, sondern dass die Öffentlichkeit sie erfährt. Es kommt auch nicht darauf an, dass einzelne Journalisten skandalrelevante Informationen bereits vorher weitgehend unbemerkt erwähnt haben. Entscheidend ist, dass die Öffentlichkeit insgesamt auf Missstände aufmerksam gemacht wird – und genau das geschieht in Skandalen durch die massenhafte Berichterstattung aller oder fast aller Medien. Die Bevölkerung erfährt durch die Skandalisierung von Missständen vieles, was sie bisher nicht wusste. Aber erfährt sie dadurch die Wahrheit? Dagegen spricht, dass bei fast allen Skandalen auch falsche Behauptungen verbreitet werden: Wulff hatte im niedersächsischen Landtag die Frage der Grünen nach einer Geschäftsbeziehung zu Egon Geerkens wahrheitsgemäß verneint. Der Verdacht, er habe gelogen, wäre nur berechtigt, wenn man unterstellen würde, dass Geerkens Ehefrau Edith ohne Zustimmung ihres Mannes keine Finanzgeschäfte tätigen dürfte. Die Darstellung des Indienflugs von Tebartz-van Elst auf Spiegel Online (22.08.2012) erweckte den falschen Eindruck, er habe dem Spiegel erst auf Drängen des Reporters die Fakten eingeräumt. Tatsächlich gab es nichts einzuräumen, weil das Blatt aufgrund einer Mitteilung des Bistums schon seit mehreren Monaten die Fakten kannte.1 Nach Aussage von Fachleuten erwärmen sich alle mit dem G36 vergleichbare Schnellfeuergewehre bei Dauerfeuer. Ob das G36 dadurch weniger treffgenau wird als vergleichbare Waffen, war lange unklar und erwies sich später als falsch. Falsch waren auch zahlreiche Informationen über die Ursachen der Ehec-Erkrankungen, über die Gefährdung durch dioxinbelastete Eier, über die Gefährdung durch die Schweinegrippe und die Gefährdung durch BSE-kranke Rinder. Falsch waren die dominierenden Informationen über die Rückstände in der Brent Spar, über den Tod von Wolfgang Grams und über die Gefährdung der Anwohner im Umkreis der Hoechst AG. Falsch waren die Informationen über die Verwendung der anonymen Spenden an Kohl und über den Mord durch Rechtsradikale in Sebnitz – um nur einige zu nennen. Die Zweifel daran, dass Skandalisierungen immer richtige Informationen vermitteln, sind berechtigt und sachlich begründet, allerdings kann man nie ausschließen, dass sich einzelne Behauptungen als falsch erweisen. Die Möglichkeit des Irrtums ist eine Voraussetzung für die Erkenntnis der Wahrheit. Wollte man die Verbreitung von möglicherweise falschen Informationen verhindern, wäre auch die Verbreitung der Informationen behindert, deren Richtigkeit sich erst später herausstellt. Dagegen kann man einwenden, dass es sich bei den falschen Behauptungen gelegentlich um gezielte Fehlinformationen handelt, die einen Verdacht wecken oder bestätigen sollen. Das trifft vermutlich vielfach zu, führt aber nicht weiter, weil man kaum beweisen kann, dass die Beteiligten wider besseres Wissen gehandelt haben. Die Antwort auf die Frage, ob in Skandalen die Wahrheit gefunden wird, hängt aber vorrangig nicht davon ab, ob auch falsche Informationen verbreitet werden, sondern davon, was man unter Wahrheit versteht. Als Wahrheit oder wahr gilt spätestens seit der Aufklärung das, was in einem geregelten Verfahren festgestellt wurde. Das Ziel der Verfahrensmäßigkeit ist die Objektivität der Erkenntnis: Als wahr gilt nur, was systematisch ermittelt wurde, intersubjektiv nachprüfbar ist und einer solchen Nachprüfung standhält. Individuelle Erkenntnisse mögen als Hypothese interessant sein. Als richtig können sie aber nur akzeptiert werden, wenn verschiedene Beobachter zum gleichen oder annähernd gleichen Ergebnis gelangen. Zu den Eigenschaften eines geregelten Verfahrens gehören Richtlinien, die die Interessen der betroffenen Personen schützen. Bei Tests von Medikamenten sind das die Patienten, bei Strafprozessen die Angeklagten, bei Bevölkerungsumfragen die Befragten usw. In geregelten Verfahren ist mit guten Gründen nicht alles erlaubt, was bei einer flüchtigen Betrachtung der Wahrheit dienen könnte. Deshalb regelt die Strafprozessordnung, welche Beweise erlaubt und welche im Interesse der Wahrheit und zum Schutz der Angeklagten unzulässig sind. So dürfen verdeckte Ermittler nicht generell, sondern nur zur Aufdeckung bestimmter Straftaten eingesetzt werden (§ 110a). Zeugen dürfen unter bestimmten Voraussetzungen die Aussage verweigern (§§ 52, 53). Die Vernehmung der Beschuldigten muss nach genau festgelegten Grundsätzen erfolgen. Die richterliche Untersuchung muss protokolliert werden, wobei die Anfertigung des Protokolls bis in alle Einzelheiten hinein geregelt ist (§ 168). Die wissenschaftliche Methodenlehre legt fest, wie Versuchspersonen auf Experimental- und Kontrollgruppen verteilt werden müssen und welche Erhebungsmethoden unzulässig sind. Bei demoskopischen Untersuchungen dürfen keine Suggestivfragen gestellt und keine Informationen über das Privatleben anderer Personen erfragt werden. Personenbezogene Daten dürfen nur im Rahmen des Datenschutzgesetzes gespeichert werden. Im geregelten Verfahren ist folglich nicht alles erlaubt, was aus der individuellen Sicht eines Staatsanwalts oder Wissenschaftlers der Wahrheitsfindung dienen könnte. Gegen diese Argumentation kann man einwenden, es gebe keine objektive Wahrheit. Alles, was wir als Wahrheit betrachten, ist danach eine Folge von individuellen Eindrücken und Wertungen, weshalb es ebenso viele subjektive Wahrheiten wie Beobachter gibt. Dieser Einwand ist theoretisch richtig, praktisch jedoch aus zwei Gründen oft irreführend und meist irrelevant. Aus der Einsicht, dass es nicht möglich ist, die volle Wahrheit zu erfahren, folgt nicht, dass alle Aussagen gleichermaßen falsch sind. Es gibt immer bessere und schlechtere Annäherungen an die Realität, und es kommt darauf an, die besseren von den schlechteren zu unterscheiden. Das ist die zentrale Aufgabe der Wissenschaft, des Journalismus, des Handwerks usw. Zudem genügt in der Praxis meist schon eine hinreichende Annäherung an die Realität – die bestmögliche ist nicht erforderlich. Kein Maler kennt die tatsächliche Größe der Räume, die er anstreicht, weil er ihre Länge, Breite und Höhe nicht auf tausendstel Millimeter genau ausmisst. Sowenig wie bei Malern geht es bei Skandalen um die exakte Erkenntnis. Ob Shell die Schadstoffe in der Brent Spar auf ein Gramm genau angegeben hat, ob orthoNitroanisol in extremen Dosen krebserregend ist oder ob Kohl von den Spenden 100.000 oder 200.000 DM in den alten statt in den neuen Ländern ausgegeben hat, ist für die Beurteilung des Kerns der Problematik genauso irrelevant wie die Frage, ob von 2.800.000 getesteten Rindern 120 oder 130 infiziert waren. Solche Abweichungen ändern an der Diagnose und den daraus abgeleiteten Folgerungen nichts. In allen Fällen geht es nicht um die Bestimmung absoluter Größen, sondern um sachlich angemessene Näherungswerte, die man in den meisten Fällen mit hinreichend großer Genauigkeit erkennen kann. Ein wesentliches Ziel von geregelten Verfahren besteht darin, dass gleiche Sachverhalte gleich behandelt und in Relation zu anderen Sachverhalten gesetzt werden. So sollen ähnliche Vergehen ähnlich bestraft werden, und die Strafe für eine Tat soll in einem angemessenen Verhältnis zu den Strafen für vergleichbare Taten stehen. Das trifft auf Skandale nicht zu. Typisch für Skandale ist die Ungleichbehandlung ähnlicher Sachverhalte. Das gilt sowohl für die Beurteilung ähnlicher Sachverhalte zu verschiedenen Zeiten als auch für die Beurteilung ähnlicher Sachverhalte im gleichen Zeitraum. Die Mitgliedschaft von Grass in der Waffen-SS wurde als Jugendsünde abgetan, die Bemerkung von Herman über die Rolle des Mutterbildes im Dritten Reich löste Empörung aus. Die Privatflüge von Özdemir und Gysi kosteten sie ihre politischen Ämter, Schmidt blieb trotz der privaten Nutzung ihres Dienstwagens in Spanien im Amt. Die anonymen Spenden an den ehemaligen Schatzmeister der SPD wurden kaum zur Kenntnis genommen, die Spenden an den ehemaligen CDU-Vorsitzenden als Verfassungsbruch gegeißelt. Die Risiken der Kernkraft in Japan wurden nicht seriös mit den Risiken der Kernkraft in Deutschland verglichen. Die Risiken der Kernkraft in Deutschland wurden nicht den Risiken eines Ausstiegs gegenübergestellt – der Entwicklung der Strompreise, der Gefährdung der Versorgungssicherheit, des Klimas durch Kohlekraftwerke, der Wälder und Kulturlandschaften durch Windräder. Die Skandalisierung von Missständen beruht auf der Ausschaltung bzw. Umkehrung der Prinzipien von geregelten Verfahren. Das gilt sowohl für rechtliche Regelungen als auch für journalistische Berufsnormen. Im Skandal erscheint vieles erlaubt, was normalerweise unzulässig ist: Illegal beschaffte Informationen werden veröffentlicht – vom Stern das von der Stasi abgehörte Telefonat zwischen Kohl und Biedenkopf. Informanten werden für ihre Aussagen bezahlt – vom Spiegel eine Zeugin für ihre Aussagen gegen Rau in der Flugaffäre oder von der Bunten mehrere Zeuginnen im Kachelmann- Prozess. Gutachter werden diskreditiert, bevor sie im Gerichtssaal ihre Ergebnisse und Folgerungen präsentieren können – im selben Verfahren. Anonyme Anschuldigungen werden veröffentlicht – so von der Leipziger Volkszeitung über angebliche Spenden der Firma Bosch an Kohl und Teufel und vom Spiegel nach dem Tod von Grams in Bad Kleinen. Beschuldigte werden vor Beginn eines Verfahrens wie Schwerverbrecher vor laufenden Kameras abgeführt – so Klaus Zumwinkel. Mehrdeutige Informationen und ungeklärte Vorwürfe werden systematisch gegen die Skandalisierten interpretiert und gezielt gegen sie eingesetzt – wie bei den Skandalisierungen von Mixa, Köhler, Wulff, Tebartz-van Elst und Edathy. Im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal wurden Unternehmen wie Mercedes, Porsche und Audi als Verdächtige behandelt, obwohl sie zum Schutz des Motors bei niedrigen Temperaturen sogenannte »Thermofenster« regelkonform zur Reduzierung der Abgasreinigung genutzt haben. Scheinbar alarmierende Messwerte werden ohne Hinweis auf ihre geringe Bedeutung publiziert – wie die Behauptungen über die radioaktive Belastung von Molke und über die Reststoffe in der Brent Spar. Wichtige Informationen, die der dominierenden Sichtweise widersprechen, werden unterschlagen oder diskreditiert – wie die Feststellungen, dass das bei der Hoechst AG ausgetretene ortho-Nitroanisol keine Gefahr darstellte; dass die Belastung von Eiern und Schweinefleisch mit Dioxin gesundheitlich unbedenklich war; dass ähnliche Probleme wie beim G36 auch bei anderen Sturmgewehren auftreten und dass nur ein Bruchteil der Kosten für den Um- und Ausbau des maroden Bischofssitzen in Limburg auf die Privaträume des Bischof entfiel. Auch bei bedeutenden Skandalen zentrale Sachfragen nicht einmal gestellt, geschweige denn beantwortet. Ein Beispiel dafür ist der VW-Abgasskandal. Zwar wurde die Manipulation von Messergebnissen zu Recht skandalisiert. Die Größe der Differenzen zwischen den angeblichen und tatsächlichen Emissionen bei z. B. 100.000 Autos mit durchschnittlich 15.000 Kilometer Laufleistung pro Jahr wurde aber genau so wenig thematisiert wie die Auswirkungen dieser erhöhten Emissionen auf das Klima – etwa im Vergleich zu den Emissionen eines deutschen Kohlekraftwerkes. Auch hierbei kommt es nicht auf exakte Werte an. Aber ohne eine Vorstellung von Größenordnung des Schadens ist ein rationales Urteil über die Gesamtproblematik nicht möglich. Die künstliche Empörung verhindert nicht nur oft die sachliche Diskussion von realen Problemen. Zuweilen dient sie sogar dazu, eine sachliche Diskussion von solchen Problemen zu unterbinden. Ein Bespiel ist die Skandalisierung der Dresdner Rede von Sibylle Lewitscharoff wegen einiger polemischer Ausdrücke, die eine rationale Diskussion über die Rolle der Apparatemedizin zur Lebensverlängerung von Sterbenskranken und des Missbrauchs von Leihmüttern zur Beglückung von Kinderlosen verhinderte. Bei der Berichterstattung über alle genannten Fälle gab es Medien, die sachliche Informationen verbreitet haben. Hierbei handelte es sich jedoch um Ausnahmen in einem Chor alarmierender Stimmen. Bei jedem geregelten Verfahren besteht die Gefahr von Verfahrensfehlern. Gelegentlich werden Richtlinien aus Unkenntnis oder Nachlässigkeit nicht hinreichend beachtet. Zuweilen lassen sich kleinere Regelverletzungen praktisch nicht vermeiden. Mitunter überschreiten Staatsanwaltschaften die Grenzen ihrer Ermittlungstätigkeit – weshalb der Verfassungsjurist Gernot Fritz im Fall Wulff Strafanzeige gegen die Staatsanwaltschaft Hannover gestellt hat,2 sie stecken Informationen durch – wie die Staatsanwaltschaft Bochum vor der Verhaftung von Klaus Zumwinkel, oder sie schützen ihre Ermittlungsergebnisse unzureichend – deshalb konnten mehr als 1.000 Beamte die Akte von Hoeneß einsehen.3 Zudem gibt es schwerwiegende Regelverstöße, die das gesamte Verfahren und seine Ergebnisse zunichtemachen. Folglich werden nicht alle Täter für ähnliche Taten tatsächlich ähnlich bestraft. Zuweilen werden auch eklatante Fehlurteile gefällt – wie die Einweisung von Gustl Mollath in die Psychiatrie; es werden falsche Analyseergebnisse publiziert – wie die Daten des Physikers Jan Hendrik Schön aus seiner Tätigkeit bei den Bell Laboratories; es werden richtige Erkenntnisse verschwiegen – wie lange Zeit die Daten zur stockenden Erderwärmung. In einem Rechtsstaat akzeptieren jedoch Juristen keine Beweise, die durch die offenkundige Missachtung von Verfahrensregeln zustande kamen, und Wissenschaftler übernehmen keine Erkenntnisse, die durch die erkennbare Verletzung von Methodenregeln gewonnen wurden – nicht weil sie bessere Menschen sind, sondern weil sie damit ihre berufliche Existenz riskieren würden. Im Unterschied zu Skandalisierern rechtfertigen sie solche Regelverletzungen auch nicht mit den so gewonnenen Erkenntnissen, weil die so gewonnenen Informationen generell nicht als Erkenntnisse betrachtet werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Regeln im Interesse der Wahrheitsfindung oder aus Eigennutz verletzt wurden – aus politischen Motiven, finanziellen Gründen oder aus Profilierungssucht. Im Gegensatz dazu stellen bei Skandalen auch schwere Verletzungen der Regeln das, was als Wahrheit erscheint, nicht generell infrage. Das geschieht nur dann, wenn Regelverletzungen – wie der Rufmord an der Bevölkerung von Sebnitz oder die Lüge, mit der Bettina Schausten im ARD/ZDF-Interview Wulff ins Unrecht setzen wollte – zu groben und zugleich unbezweifelbaren Irrtümern führen. In vielen Fällen bilden Regelverletzungen die Grundlage der skandalträchtigen Sichtweise, ohne dass das moniert wird – bei der Skandalisierung von möglichen Missständen durch illegal beschaffte Informationen im Fall der Panama Papers; bei der Skandalisierung komplexer Äußerungen durch irreführende Kürzungen im Fall Lewitscharoff; bei der Skandalisierung der Kernenergie in Deutschland nach der Reaktorkatastrophe in Japan durch das Verschweigen oder Bagatellisieren ihrer spezifischen Ursachen – riesige Wellen als Folge eines Tsunamis, zu niedrige Schutzmauern, verspätete Gegenmaßnehmen, fehlende Ersatzteile wegen der vom Tsunami zerstörten Infrastruktur. Falls bei Skandalen dennoch einmal die Zulässigkeit von Regelverletzungen öffentlich diskutiert wird, ist nicht die Ermittlung der Wahrheit das relevante Urteilskriterium, sondern das Interesse der Öffentlichkeit. Die Fragen, wer das Interesse der Öffentlichkeit definiert und ob die Befriedigung dieses Interesses die Wahrheitsfindung fördert, werden dabei allerdings nicht gestellt. Ein Ziel von geregelten Verfahren ist die Einordnung der Einzelfälle in den Kontext ähnlicher Fälle sowie ihre entsprechende Beurteilung. Dazu gehören im Strafverfahren die Umstände der Straftat, bei Umfragen die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse, bei Risikoabwägungen die Wahrscheinlichkeit von Unfällen usw. Charakteristisch für Skandale ist dagegen die isolierte Betrachtung und Verallgemeinerung von Einzelfällen. Bei der Skandalisierung von Politikern, Unternehmern und anderen Personen geschieht das durch die Darstellung von Ausnahmefällen als symptomatisch. Einzelne Verhaltensweisen erscheinen als typisch für einen Politiker, seine Partei, die politische Klasse oder das politische System. So wurde bei der Skandalisierung von Wulff sein Anruf bei Diekmann als einzigartige Entgleisung präsentiert, obwohl ähnliche Anrufe immer wieder vorkommen. Zudem wurden die Vorwürfe gegen Wulff fast nie im naheliegenden Kontext der Vorwürfe gegen Rau diskutiert, und falls das geschah, wurde Wulffs damalige Rücktrittsforderung an Rau gegen sein späteres Beharrungsvermögen im Amt ins Feld geführt. Bei der Skandalisierung von Schäden geschieht die Verallgemeinerung meist dadurch, dass die sehr geringe Wahrscheinlichkeit von Einzelfällen nicht erkennbar ist und damit die geringe Gefahr einer Schädigung ausgeblendet wird.4 Konsequenzen dieser Problemverkürzung sind die Desorientierung der Bevölkerung über das Ausmaß der Gefährdung, die übertriebene Verängstigung der Bürger und erhebliche wirtschaftliche Schäden für die Produzenten und den Handel. Im Recht wie in der Wissenschaft ist das, was als Wahrheit erkannt und bekannt gemacht wird, das Ergebnis der Abwägung von Einzelinformationen. Das gilt auch dann, wenn es am Anfang eine klare Vermutung gibt. Die Wahrheit steht folglich erst am Ende des geregelten Verfahrens fest. Bis dahin müssen alle möglichen Folgerungen gleichermaßen berücksichtigt werden. Alles andere gilt als Vorverurteilung bzw. Vorurteil. Im Skandal dagegen steht das, was als Wahrheit betrachtet und publiziert wird, von Anfang an fest. Die Wahrheit folgt nicht aus der Abwägung der schrittweise erkennbaren Einzelbefunde. Die nacheinander erkennbaren Einzelbefunde werden vielmehr im Licht der am Anfang etablierten Sichtweise stimmig interpretiert. Nur wenn es am Anfang gelingt, eine skandalträchtige Sichtweise zu etablieren, erscheinen die Einzelbefunde skandalös. Zwar werden zuweilen auch im Recht und in der Wissenschaft Einzelinformationen so interpretiert, dass sie zu den etablierten Vorstellungen passen. Was dort jedoch der nicht tolerierbare Sonderfall ist, ist im Skandal der allgemein akzeptierte Normalfall.5 Erweist sich im Skandal die zentrale Behauptung als falsch, wird auf andere Sachverhalte verwiesen, die das Verhalten der Angeprangerten skandalös erscheinen lassen. Auf diese Weise werden Sachverhalte, die im Vergleich zur zentralen Behauptung unerheblich sind und alleine kaum Beachtung finden würden, zum Beweis für die Richtigkeit des zentralen Vorwurfs. Im Fall des ortho-Nitroanisol-Unfalls wurden Kommunikationsfehler der Unternehmensleitung zum Ersatz für die unzureichende Giftigkeit der Chemikalien. Im Fall von BSE wurden Anklagen gegen Viehtransporte und Schlachtpraktiken zum Ersatz für den geringen Anteil erkrankter Tiere. Im Fall der Gedenkrede Jenningers wurde seine falsche Intonation zum Ersatz für den Mangel an inhaltlichen Fehlern. Im Fall des AKW Krümmel diente die unzureichende Information des Unternehmens über einen kerntechnisch irrelevanten Brand zur Rechtfertigung der dramatisierenden Berichte über einen vermeintlich gefährlichen Störfall. Im Fall von Wulff wurden substanzlose Herabsetzungen seines Charakters und seiner Amtseignung zum Ersatz für die substanzarmen Vorwürfe, die ihn aus dem Amt getrieben haben. Kein Verfahren liefert immer richtige Ergebnisse. Die Geschichte der Wissenschaft ist auch eine Geschichte der wissenschaftlichen Irrtümer, die des Rechts auch eine der Justizirrtümer usw. Solche Fehler geschehen selbst dann, wenn alle Regeln beachtet werden – weil die theoretischen Annahmen falsch waren, weil Messungen zu ungenau waren, weil sich Beobachter geirrt haben, weil neue Zeugen aufgetaucht sind, weil falsche Schlüsse gezogen wurden usw. Die entscheidende Frage lautet deshalb nicht, ob Gerichte oder Forschungsinstitute bzw. einzelne Fachleute immer Recht haben. Das trifft zweifellos nicht zu. Die entscheidende Frage lautet, wer eher irrt – Experten oder Laien – und wann solche Irrtümer größer sind – bei der Durchführung von geregelten Verfahren oder bei intuitiven Vorgehensweisen. Die Antwort darauf ist eindeutig. Selbst wenn gelegentlich die individuelle und intuitive Einsicht von Laien dem geregelten Verfahren durch Experten überlegen ist, stellt sie keine Alternative dazu dar, weil geregelte Verfahren trotz ihrer Fehleranfälligkeit per Saldo dem, was langfristig als Wahrheit betrachtet werden kann, in der Regel weitaus näher kommen. Bei einem geregelten Verfahren werden Fakten und Folgerungen in einem Abschlussbericht dokumentiert – in der Begründung von Gerichtsurteilen, in wissenschaftlichen Forschungsberichten usw. Auch nach dem Ende von Skandalen erscheinen neben Gesamtdarstellungen von Angreifern und Opfern gelegentlich Analysen von unbeteiligten Experten. Zudem erstellen Pressearchive und einzelne Medien zuweilen resümierende Gesamtdarstellungen. Diese findet man jedoch allenfalls in Qualitätszeitungen. Darüber hinaus gibt es für viele Fälle ausführliche Dokumentationen im Internet. Aber auch sie erreichen die Masse des Publikums nicht und hinterlassen folglich – im Gegensatz zu den Skandalberichten – keine erkennbaren Spuren. Die Mehrheit der Bevölkerung glaubt am Ende nicht das, was inzwischen erwiesen ist, sondern das, was sie vorher überall massenhaft gelesen, gehört und gesehen hat. Je länger ein Skandal dauert, desto größer wird die Kluft zwischen dem, was die Mehrheit zu wissen glaubt, und dem, was man tatsächlich wissen kann. Dafür sind nicht nur die Medien verantwortlich. Selbst wenn sie am Ende eines Skandals den erreichten Erkenntnisstand mit der gleichen Wucht publizieren würden wie am Anfang die Vorwürfe, würden das nur wenige verfolgen, weil sich das Interesse längst anderen Themen zugewandt hat. Die großen Skandale sind deshalb meist die Ursache von großen Kollektivirrtümern, und die Mehrheit kehrt nach einiger Zeit nicht deshalb zu ihren Gewohnheiten zurück, weil sie nun die Wahrheit kennt, sondern weil sie das, was sie noch immer für die Wahrheit hält, nicht mehr ernst nimmt. Deshalb tanken die Menschen wieder bei Shell, essen Fische aus der Nordsee, Rindfleisch, Schweinefleisch und Eier und reichern ihren Salat mit Sprossen an, deren Herkunft sie nicht kennen. Zu jedem geregelten Verfahren gehört schließlich die Möglichkeit der Revision. Im Rechtswesen ist dies durch spezielle Instanzen gewährleistet. In der Wissenschaft wird die Revision von Erkenntnissen mit Ansehen honoriert und ist dadurch fest institutionalisiert. Das schlägt sich im beruflichen Selbstverständnis nieder, wie eine Befragung von Journalisten und Wissenschaftlern belegt.6 Die meisten Wissenschaftler finden es richtig, wenn Kollegen, die gegen wissenschaftliche Verfahrensregeln verstoßen haben, in der Öffentlichkeit namentlich kritisiert werden. Dagegen kann man den Einwand erheben, dass sie sich in der Praxis häufig nicht daran halten. Das trifft zu. Journalisten lehnen aber eine solche Kollegenkritik selbst in der Befragungssituation fast einhellig ab. Sie halten zwar eine interne Kritik am beruflichen Fehlverhalten von Kollegen für notwendig, betrachten die Öffentlichkeit jedoch nicht als den richtigen Ort dafür. Dieses fragwürdige Selbstverständnis vieler Journalisten ist einer der Gründe dafür, dass man von den meisten Missständen im Journalismus – im Gegensatz zu den meisten Missständen in anderen Tätigkeitsbereichen – durch die Medien nichts erfährt.7 Die Neigung, Missstände im Journalismus in den Medien herunterzuspielen, schlägt sich auch, falls die Missstände einmal aufgegriffen werden, in der Intensität der Berichterstattung nieder. Das zeigen die Ergebnisse einer Analyse der Berichterstattung über vier Missstände im Journalismus – die Skandalisierung der Bürger von Sebnitz, die Veröffentlichung der »Hitler-Tagebücher«, die manipulierten Reportagen des Fernsehjournalisten Michael Born sowie die erfundenen Berichte des Reporters Tom Kummer – und über vier Missstände in anderen Tätigkeitsbereichen – der Betrug mit Herzklappen, die Nebenwirkungen von Lipobay, die private Nutzung dienstlich erworbener Bonusmeilen und die Vermischung von Privatleben und Amtsführung durch Härtel.8 Über die Missstände in den anderen Tätigkeitsbereichen veröffentlichten zehn untersuchte Zeitungen und Zeitschriften nahezu doppelt so viele Beiträge wie über die Missstände im Journalismus. Falls die Journalisten einen Missstand im Journalismus aber thematisierten, kritisierten sie ihre Kollegen härter als die Urheber der Missstände in den anderen Bereichen. Im Skandal findet schließlich im Unterschied zum geregelten Verfahren eine Revision nicht statt. Die Wortführer treten, wenn sich ihre Sichtweise als falsch oder unhaltbar erweist, stillschweigend von der Bühne ab. Die meisten Skandale verebben deshalb nach einiger Zeit, ohne dass man es richtig bemerkt. So hat der Spiegel, nachdem er 1991 wochenlang einen Klima-GAU als Folge des Golfkriegs vorhergesagt hatte, seine falschen Prognosen nicht revidiert, sondern die Berichterstattung eingestellt.9 Bild hat seine dramatischen Warnungen vor der Schweinegrippe nicht selbstkritisch korrigiert sondern stattdessen die Länder kritisiert, die wegen der künstlichen Hysterie zu viel Impfstoffe beschafft hatten. Die Rhein Main Presse hat ihre Skandalisierung von angeblichen Misshandlungen in einer katholischen Kita nicht bedauert, sondern die katholische Kirche wegen ihres Übereifers kritisiert. Ist ein schadloser Rückzug nicht möglich, bleiben die Wortführer oft auch dann bei ihrer Sichtweise, wenn sie sich als falsch herausgestellt hat. So verteidigte das Fernsehmagazin Monitor seine Darstellung des Todes von Grams auch dann noch, als sie durch mehrere Gutachten widerlegt worden war.10 Und wenn die Gerichte nicht so verfahren, wie es die Skandalisierer erwarten, sind sie empört. So wetterten vor allem die in der CDUSpendenaffäre besonders engagierten Blätter gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Kohl. Und nachdem die Staatsanwaltschaft und der Vatikan die Eröffnung von straf- und kirchenrechtlichen Verfahren gegen Tebartz-van Elst abgelehnt hatten, skandalisierten vor allem Journalisten, die bereits die Kampagne gegen Tebartz-van Elst angeführt hatten, die Gerichte bzw. den Vatikan.11 Besonders Eindrucksvoll waren diese Selbstrechtfertigungen am Ende der ebenso erfolgreichen wie fragwürdigen Skandalisierung von Wulff. Nach seinem Rücktritt stellte Hanfeld in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.02.2012) die rhetorische Frage: »Ende einer Hetzjagd?« und erklärte vorsorglich: »Christian Wulff hat sich alles selbst zuzuschreiben«. Diekmann verbreitete am selben Tag in Bild die Einsicht: »Ist Christian Wulff Opfer einer ›Medienkampagne‹ geworden? Nein. Ist er nicht. Er ist das Opfer seiner selbst geworden«. Einen Tag später legte der Chefredakteur der Welt am Sonntag, Peters, nach: »Schuld an der Affäre sind nicht die Medien …, schuld ist nicht die Justiz und auch nicht die Politik. Schuld ist Christian Wulff, ein Opfer seiner selbst«. Das angeblich falsche Verhalten von Wulff mutierte zum Ersatz für die nachweislich substanzlosen Vorwürfe gegen ihn und etablierte das Schema für die Endabrechnung. Als absehbar war, dass Wulff das Vergleichsangebot der Staatsanwaltschaft ablehnen würde, warf ihm Ralf Heidenreich in der Rhein Main Presse (08.04.2013) vor, dass er einen Freispruch wolle. Wulff gehe »leider so vor, wie wir das bereits von ihm kennen: nur sich selbst im Blick und … ohne jede Rücksicht auf das so wichtige Amt des Bundespräsidenten. Für dieses wäre es sicher besser … gegen Zahlung von 20.000 Euro und der Zuweisung von ein ›bisschen‹ Schuld das Verfahren einzustellen«. Nachdem Wulff die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldzahlung abgelehnt hatte, fragte Bild (14.11.2013) zwölf sorgfältig ausgewählte Chefredakteure anderer Medien, ob »der Rücktritt von Wulff aus heutiger Sicht richtig« gewesen sei. Alle außer einem – Roland Tichy von der Wirtschaftswoche – antworteten mit einem klaren Ja. Die Frage von Bild, ob »der Prozess gegen Christian Wulff richtig« sei, beantworteten sieben eindeutig mit ja, drei wichen einer klaren Antwort aus und zwei verneinten die Frage. Damit waren die Mehrheitsverhältnisse klar. Daran änderte sich auch nichts, als Wulff freigesprochen wurde, weil es nach Richter Frank Rosenow »schlicht keine schlagkräftigen Beweise gegen die Angeklagten« gab.12 Kritik am Urteil kam zwar angesichts der Dürftigkeit der Grundlagen für die Anklage nicht auf. Allerdings erteilte Thorsten Denkler, der das Schema zur Skandalisierung von Wulff vorgegeben hatte, Wulff am Ende des Prozesses auf Sueddeutsche.de (27.02.1014) noch eine Bewährungsauflage: »Der Geschmähte« erhalte, so Denkler, »eine neue Chance«. Der Freispruch könne für Wulff »ein Neuanfang sein. Dazu müsste er allerdings anfangen zu verstehen, warum sein Rücktritt als Bundespräsident unvermeidlich war«. Sein Rücktritt bleibe richtig, denn »wer den Fall Wulff verstehen will«, dürfe »nicht allein auf den Freispruch schauen«, er müsse sich »auch an den Anfang erinnern«, womit er allerdings nicht seine eigene Rolle meinte. Bei Skandalen wird die Wahrheit meist nicht deshalb verfehlt, weil Journalisten lügen. Die Wahrheit wird verfehlt, weil die Wortführer und ihre Anhänger bedingungslos an die Richtigkeit ihrer Sichtweisen glauben, weil sie in diesem Glauben Übertreibungen im Interesse der guten Sache hinnehmen, und weil sie aus dem gleichen Grund Fakten diskreditieren, die ihnen sonst heilig sind. Dies zeigt sich vor allem dann, wenn Tatsachenbehauptungen falsch sind, die auf skandalträchtigen Überzeugungen beruhen – wie im Fall des kleinen Joseph. So hieß es nach der Klärung des Sachverhalts in der Frankfurter Rundschau (30.11.2000) unbeirrt: »Das Beklemmende ist, dass Sebnitz der plausible Schauplatz einer mörderischen Handlung aus rechtsradikalen Motiven hätte sein können … Der Sebnitz-Verdacht war indes nicht nur eine illusionäre allein westdeutscher Überheblichkeit entspringende Projektion«. Die eigene Sichtweise war folglich auch dann noch kein folgenschwerer Irrtum, als sich die davon gesteuerte Tatbeschreibung als falsch erwiesen hatte. Der Ort erschien selbst dann noch als plausibler Schauplatz der Gräueltat, als man wusste, dass sie nicht stattgefunden hatte. Nachdem Wulff sein Buch »Ganz oben. Ganz unten« zunächst in Berlin und dann in München vorgestellt hatte, berichteten einige Journalisten sachlich über seine Kritik an den Medien, darunter Roland Nelles und drei Kollegen auf Spiegel Online (10.07.2014), Peter Tiede in Bild (11.06.2014), Eckart Lohse in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (11.06.2014) und Peter Fahrenholz in der Süddeutschen Zeitung (17.07.2014). Keiner von ihnen setzte sich jedoch kritisch mit den entscheidenden Weichenstellungen auseinander – der Frage, was problematischer war: der drohende Anruf von Wulff bei Diekmann oder die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses durch Diekmann und andere; keiner diskutierte die Diskrepanz zwischen der Art, Zahl und Heftigkeit der medialen Vorwürfe gegen Wulff und dem Befund von Richter Rosenow, es gebe »schlicht keine schlagkräftigen Beweise gegen die Angeklagten«; keiner stellte die alles entscheidende Frage, ob die bereits erwähnte Behauptung von Stefan Niggemeier (15.06.2014) zutrifft, dass Bild »Wulff mit einer Falschmeldung« gestürzt hatte, und keiner warf die Frage auf, was daraus folgt, dass die Masse der Medien dabei Beifall gespendet hatte. Warum ist das so? Liegt es nur daran, dass viele engagierte Journalisten Opfer ihres eigenen Engagements geworden sind? Dass sie am Ende felsenfest geglaubt haben, was sie am Anfang vielleicht nur vermutet haben? Wahrscheinlich nicht. Hinzu kommen sozialpsychologische Gründe. Hierzu gehört die öffentliche Festlegung der Skandalisierer auf eine bestimmte Sichtweise. Wer sich in einer bedeutsamen Frage derart exponiert hat, kann davon ohne massive Selbstzweifel nicht abrücken. Zudem würde er Kritik aus der selbst mitbegründete Glaubensgemeinschaft riskieren. So wurde Leyendecker wegen der Berichtigung eines Irrtums bei der Skandalisierung Kohls in der Spendenaffäre in zahlreichen Leserbriefen von empörten Lesern kritisiert. In einem solchen Fall droht den Skandalisierern in milder Form was sie dem Skandalisierten zugefügt haben – die Isolation in ihrer Bezugsgruppe. Eine weitere Ursache für das Insistieren auf der einmal etablierten Sichtweise ist der Charakter der Anschuldigungen. Mit ihnen bewegen sich die Skandalisierer auf dem schmalen Grat zwischen Aufklärung und Verleumdung, und das Eingeständnis des Irrtums würde sie unweigerlich abstürzen lassen: Sie würden genau das verlieren, was sie am meisten beanspruchen – höhere Moralität. Einzelne Gerichte und Forschungsinstitute mögen irren, und sie tun das immer wieder. Rechtswesen und Wissenschaft sind jedoch auf Wahrheitsfindung angelegt. Je mehr Personen und Institutionen an der Suche beteiligt sind, desto eher kommen sie zum Ziel. Für den Journalismus gilt im Skandal das Gegenteil. In fast allen Skandalen entdecken, dokumentieren und analysieren einzelne Journalisten Missstände und ihre Ursachen, und sie leisten damit einen erheblichen Beitrag zur Wahrheitsfindung. Die BNDAffäre, der Fall zu Guttenberg und der Fall der Odenwaldschule sind Beispiele hierfür aus jüngerer Zeit. Die Medien insgesamt sind dazu aber oft nicht in der Lage. Je mehr Journalisten sich an der Skandalisierung eines Missstands beteiligen und je intensiver sie das tun, desto mehr entfernt sich das, was die Masse der Medien der Masse der Bevölkerung präsentiert, von dem, was man aus der Distanz betrachtet als Wahrheit bezeichnen kann. Hierfür stehen aus jüngerer Zeit unter anderem die Fälle AKW Krümmel, Schweinegrippe, Ehec, Dioxin und Fukushima; Herman, Oettinger, Köhler, Kachelmann, Wulff und Tebartz-van Elst. Der Grund hierfür liegt nicht im individuellen Unvermögen einzelner Journalisten, sondern in der Eigendynamik des Mediensystems. Wenn einzelne Journalisten im Skandal die Wahrheit präsentieren, was immer wieder geschieht, dann nicht wegen, sondern trotz der Berichterstattung der Masse der Medien, deren Konformitätsdruck sie sich widersetzen. Auch dass nach einem Skandal Journalisten die Mechanismen der Skandalisierung grundsätzlich infrage stellen, kommt gelegentlich vor. Zu den Ausnahmen gehören Leyendecker, der 2012 aus Protest gegen die gleichzeitige Auszeichnung von zwei BildRedakteuren für ihre Skandalisierung von Wulff die Annahme des HenriNannen-Preises ablehnte, Prantl, der unter dem Titel »Von der Lawine zum Schneebällchen« in der Süddeutschen Zeitung (10.04.2013) die zeitweise problematische Rolle seines Blattes offenlegte, und Niggemeier, der im Spiegel (16.01.2012) unter der Überschrift »Im Namen des Volkes?« die Frage aufwarf, ob die Medien den Ansprüchen gerecht werden, die sie selbst an andere stellen. Skandale sind Kunstwerke mit klaren Botschaften und starken emotionalen Appellen. Die Skandalisierung von Missständen ist eine Kunst, und die Skandalisierer sind viel eher Künstler als Analytiker – Geschichtenerzähler, die einem disparaten Geschehen subjektiven Sinn verleihen und es dadurch für die Allgemeinheit nachvollziehbar machen. Die Skandalisierer bewegen sich damit weniger im Grenzbereich zwischen Journalismus und Wissenschaft oder Journalismus und Recht als im Grenzbereich zwischen Journalismus und Literatur. Darin ähneln sie den Vertretern des »New Journalism«. Dennoch unterscheiden sich die aufwühlenden Darstellungen der Skandalisierer fundamental von den unterkühlten Berichten eines Truman Capote, Hunter S. Thompson oder Tom Wolfe, die alles andere als moralische Empörung hervorrufen: Während Letztgenannte nüchterne Reportagen in Form von Romanen verfasst haben, schreiben Erstgenannte erregende Romane in Form von Reportagen. Entwicklungsgeschichtlich ist die Skandalisierung von Missständen eine archaische Maßnahme zur Ausschaltung von Akteuren, die schuldhaft Fehler begangen haben. Dies gilt auch für den Medienpranger. Im Unterschied zum mittelalterlichen Pranger ist er aber keine Strafe als Konsequenz eines geregelten Verfahrens. Der Medienpranger geht einem geregelten Verfahren voraus und ersetzt es vielfach. Zudem reicht seine Wirkung aufgrund der modernen Technik weit darüber hinaus. Theoretisch ist er räumlich unbeschränkt, was ihm eine neue Qualität verleiht: Was dem Medienpranger an physischer Gewalt fehlt, macht er mit psychischer Gewalt wett. In beiden Fällen ist die Anprangerung kein Erkenntnisverfahren, sondern ein Machtmittel. Das zeigt sich spätestens dann, wenn skandalträchtige Sichtweisen durch systematisch gewonnene Erkenntnisse infrage gestellt werden. Dann geht es nicht mehr um die Aufklärung des Sachverhalts, sondern um die Deutungshoheit. Es geht darum, wer die gesellschaftlich relevanten Wahrheiten feststellt, wer auf welche Weise ermittelt, was wir als Realität akzeptieren. Deshalb münden viele große Skandale in einen Konflikt zwischen der Wahrheitsfindung in geregelten Verfahren und intuitiven Realitätsdeutungen sowie zwischen den Institutionen, die verfahrensgemäß vorgehen, und den Medien, die sich im Skandal nicht an die im Journalismus sonst üblichen Regeln halten. Die wachsende Zahl der Skandale verweist deshalb vor allem auf das, worum es jenseits ihrer konkreten Anlässe geht – um einen latenten Machtkampf zwischen konkurrierenden Institutionen mit unterschiedlichen Handlungsprinzipen. Deshalb waren die zielführenden Skandalisierungen von Bischof Mixa und Bischof Tebartz-van Elst sowie von Bundespräsident Köhler und Bundespräsident Wulff moderne Varianten des mittelalterlichen Investiturstreits – es ging darum, wer über die Berufung in und die Abberufung aus höchsten Ämtern entscheidet – die dafür zuständigen Gremien oder die Medien. Diesen Sachverhalt und die in ihrem Kern antiinstitutionelle Haltung der Skandalisierer hat Rudolf Augstein in seinem Vorwort zur Darstellung der Flick-Affäre kurz und prägnant auf den Punkt gebracht: »Geben wir unserem Gemeinwesen noch eine Chance, erschüttern wir den Staat!«13 Daraus spricht nicht die Suche nach der Wahrheit, sondern der Wille zur Macht. 1 Vgl. dazu die Dokumentation des Spiegel: Der Bischof und das 8. Gebot. http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelblog/bischof-von-limburg-ein-drama-infuenf-akten-a879255.html [Zugriff: 18.03.2015]. 2 Vgl. FAZ, 20.06.2014 und 08.11.2014. 3 Vgl. FAZ, 26.08.2014. Siehe dazu auch Götschenberg, Michael: Der böse Wulff? S. 257–262. 4 Vgl. zum Folgenden Kepplinger, Hans Mathias: Der Umgang der Medien mit Ungewissheit; Maurer, Marcus / Oschatz, Corinna / Haßler, Jörg / Schaaf, Lisa-Maria: »Es kostet nicht die Welt, den Planeten zu retten.« Ungewissheit wissenschaftlicher Erkenntnisse in Wissenschaft, Massenmedien und Politik. 5 Durch das Übergreifen der Rationalität des Skandals auf geregelte Verfahren werden geregelte Verfahren immer häufiger selbst zum Skandal. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der Strafprozess gegen Kachelmann, in dem die Anklage und die Verteidigung im Verbund mit Journalisten, die für und gegen eine Verurteilung kämpften, die jeweilige Gegenseite sowie Gutachter herabgesetzt und den Angeklagten vor den Plädoyers und dem Urteil freigesprochen oder verurteilt haben. 6 Vgl. zum Folgenden Kepplinger, Hans Mathias: Kollegenkritik in Journalismus und Wissenschaft. 7 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Ehmig, Simone C. / Hartung, Uwe: Alltägliche Skandale, S.67– 69. 8 Vgl. hierzu Seitz, Benjamin S.: Selbstkritik und Fremdkritik im Journalismus. 9 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Der Umgang der Medien mit Ungewissheit. 10 Vgl. Mocken, Daniela: Bad Kleinen. 11 Vgl. D. D. (Daniel Deckers): Tebartz muss Schaden nicht ersetzen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.09.2015. Derselbe: Sicher im Vatikan. Ebenda, 10.09.2015; Wensierski, Peter: Limburger Katholiken empört über Tebartz-Entlastung. Auf Spiegel Online [Zugriff am 10.09.2015]; Cuntz, Christoph: Der Vatikan vergibt. Limburgs Ex-Bischof wird wegen Verschwendung nicht zur Rechenschaft gezogen. In: Rhein Main Presse 10.09.2015. 12 Vgl. Freispruch erster Klasse für Christian Wulff. Auf: Zeit online, 27.02.2012 [Zugriff: 29.05.2015]. 13 Zitiert nach Kilz, Hans Werner / Preuss, Joachim: Flick. Die gekaufte Republik, S. 12. 16. Der Nutzen des Schadens Die Skandalisierung von Missständen stellt nach einer weitverbreiteten Überzeugung für die Gesellschaft einen Wert an sich dar: Sie zeigt, dass auch Mächtige allgemein anerkannte Regeln nicht ungestraft verletzen dürfen. Das bekräftigt das Vertrauen in die Selbstreinigungskräfte der Gesellschaft. Zudem schreckt sie potenzielle Täter ab. Das stärkt die Geltungskraft der sozialen Normen. Aus den genannten Gründen erfüllt die Skandalisierung selbst dann eine wichtige soziale Funktion, wenn die Vorwürfe im Einzelfall übertrieben sind. Im Mittelpunkt dieser funktionalistischen Skandaltheorie stehen die manifesten Funktionen der Skandale – ihre beabsichtigten und wahrgenommenen Auswirkungen auf die Gesellschaft.1 Nach dieser Auffassung kompensieren die Massenmedien durch die Anprangerung von Missständen Defizite anderer Institutionen, die bei der Aufdeckung, Verfolgung und Ahndung von Normverletzungen aller Art versagen – Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften, Parlamente und Parteien, Zulassungs- und Kontrollbehörden. Die Skandalisierung von Missständen ist demnach ein funktionales Äquivalent zur Kontrolltätigkeit dieser Institutionen, und sie ist umso notwendiger, je häufiger die dafür vorgesehenen Organe versagen. Folglich verweisen die Häufigkeit und die Dimensionen der Skandale auf das Ausmaß der Funktionsdefizite eines Staates. Zugleich belegen sie die Funktionsfähigkeit der Massenmedien: Je mehr Missstände sie anprangern, desto besser erfüllen sie ihre Aufgabe. Auch deshalb genießen die erfolgreichen Skandalisierer vor allem im Journalismus hohes Ansehen. Das trifft nicht nur auf die Leitfiguren des investigativen Journalismus in den USA zu – wie Bob Woodward und Carl Bernstein, die mit der Watergate-Affäre Richard Nixon zu Fall gebracht haben.2 In allen Fällen gilt die Bewunderung der Kollegen nicht nur ihren journalistischen Leistungen, sondern auch ihrer gesellschaftlichen Rolle: Ihnen gelingt, was viele Journalisten wollen, aber nur wenige offen zugeben. Sie bewegen etwas, üben reale Macht aus. Sie beschreiben und erklären die Welt nicht nur. Sie verändern sie. Der funktionalistischen Skandaltheorie der Soziologie liegt eine ähnliche Argumentationsfigur zugrunde wie der im 19. Jahrhundert entwickelten Theorie der Generalprävention. Danach führt die Aufdeckung und Ahndung von Straftaten dazu, dass die Gesetze eingehalten werden. Deshalb sollen alle Straftaten angezeigt und aufgeklärt sowie alle Straftäter gefasst und verurteilt werden. Je besser das gelingt, desto besser ist die Bewahrung von Recht und Ordnung gesichert. Die Theorie der Generalprävention wurde längst aufgegeben, weil sie offensichtlich falsch ist. Selbst die weniger weit reichende Theorie der positiven Generalprävention, nach der die öffentliche Kommunikation zwar keine Straftaten verhindert aber die Geltung von Werten und Normen sichert, erscheint zweifelhaft, weil es dafür keine überzeugenden empirischen Belege gibt. Gegen die dahinter stehenden Annahmen haben Soziologen wie Wilbert E. Moore, Melvin M. Tumin3 und Heinrich Popitz4 zudem eingewandt, dass die Geltung von sozialen Normen auch auf dem Unwissen über das tatsächliche Ausmaß ihrer Verletzung beruht: Wenn alle wüssten, wie häufig soziale Normen gebrochen werden, würden sie noch öfter verletzt, als es ohnehin geschieht. Nach Popitz kann »kein System sozialer Normen … einer perfekten Verhaltenstransparenz ausgesetzt werden, ohne sich zu Tode zu blamieren. Eine Gesellschaft, die jede Verhaltensabweichung aufdeckt, würde zugleich die Geltung ihrer Normen ruinieren«. Nur weil wir einen Großteil der Normverletzungen nicht kennen, kann man den Geltungsanspruch der Normen aufrechterhalten. Popitz spricht deshalb von einer »Präventivwirkung des Nichtwissens«: Das Nichtwissen um das volle Ausmaß der Normverletzungen »ermöglicht ein Ausweichen, eine Entdramatisierung – eine Unschärfe-Relation des sozialen Lebens, die letztlich ebenso der guten Meinung dient, die wir uns voneinander, wie der, die wir uns von unserem Normensystem bilden. Tiefstrahler können Normen nicht ertragen, sie brauchen etwas Dämmerung«.5 Popitz hat seine Argumente für das Jahr 1962 mit empirischen Daten belegt. Nach seinen Schätzungen, die unter anderem auf der polizeilichen Kriminalstatistik beruhen, begingen innerhalb eines Jahres vier Prozent der strafmündigen Personen strafrechtlich relevante Betrugsdelikte.6 Die Dunkelziffer, also die Zahl der nicht bekannt gewordenen Straftaten, war vermutlich wesentlich höher: Von den schätzungsweise 7,6 Millionen Diebstählen blieben vermutlich ca. 6,9 Millionen unbekannt, weil sie nicht entdeckt oder nicht angezeigt wurden. Von allen Tätern wurden nur etwa 240.000 bekannt und von ihnen nur etwa 75.000 verurteilt – das entsprach etwa einem Prozent aller Täter. Wären alle Straftaten bekannt und alle Täter bestraft worden, wäre ein erheblicher Teil der Bevölkerung kriminalisiert worden. Popitz folgerte aus diesen Daten und ähnlichen Befunden für zahlreiche andere Straftaten: »Werden allzu viele an den Pranger gestellt, verliert nicht nur der Pranger seine Schrecken, sondern auch der Normbruch seinen Ausnahmecharakter und damit den Charakter einer Tat, in der etwas ›gebrochen‹, zerbrochen wird«.7 Sprechen die Einwände gegen die funktionalistische Straftheorie auch gegen die funktionalistische Skandaltheorie? Verliert der Pranger seinen Schrecken, wenn zu viele skandalisiert werden? Das ist aufgrund des Täterkreises eher unwahrscheinlich: Bei den skandalisierten Personen handelt es sich meist um Mitglieder von gesellschaftlichen Eliten – Entscheider in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Kultur. Die Zahl der potenziellen Täter ist folglich im Unterschied zu den Straftätern, die Popitz im Auge hat, sehr klein. Entsprechend groß ist das Risiko, dass ihre Regelverstöße entdeckt und angeprangert werden. Zudem ist das Ausmaß der Skandalisierung im Unterschied zur Höhe der Strafe kaum kalkulierbar. Das spricht theoretisch für eine Präventivwirkung der Skandalisierung von Missständen. Ein Beleg hierfür ist der Anstieg von Selbstanzeigen wegen Steuerhinterziehung durch Kapitalerträge vor allem in der Schweiz von 4.856 im Jahr 2011 auf 38.587 im Jahr 2014. Den besonders starken Anstieg von 7.952 im Jahr 2012 auf 25.710 im Folgejahr kann man als Effekt der Skandalisierung der unversteuerten Einkommen von Uli Hoeneß im Januar 2013 betrachten. Dabei dürfte aber auch der Ankauf von steuerrelevanten Dateien eine Rolle gespielt haben. Gegen die Verallgemeinerung dieser Befunde sprechen allerdings zahlreiche prominente Gegenbeispiele. Der Skandal um die Verbindung von Dienst- mit Privatreisen durch Bundespräsident Rau in den 1990er-Jahren hat Bundespräsident Wulff in den 2010er-Jahren nicht daran gehindert, private Einladungen anzunehmen, die er besser abgelehnt hätte. Der Skandal um den Anruf von Wulff 2011 beim Chefredakteur von Bild hat Gaschke 2013 nicht daran gehindert, den Chefredakteur der Kieler Nachrichten in ähnlicher Absicht anzurufen.8 Der Skandal um die privaten Flugreisen von Özdemir und Gysi 2002 hat Schmidt 2008 nicht daran gehindert, ihren Dienstwagen im Urlaub zu benutzen. Der Kokainskandal im Jahr 2000 um Daum hat Friedman und Immendorff 2003 nicht am Kokainkonsum gehindert. Der Crystal Meth-Skandal um den SPD-Abgeordneten Hartmann 2014 hat den Grünen-Abgeordneten Baum 2016 nicht am Crystal Meth-Missbrauch gehindert. Der Dioxinskandal 2002/2003 hat den ähnlich gelagerten Dioxinskandal 2010/2011 nicht verhindert. Der Skandal um die von Tom Kummer im Jahr 2000 erfundenen Interviews hat René Pfister 2010 nicht daran gehindert, Seehofer am Stellpult seiner Modelleisenbahn so zu beschreiben, als hätte er ihn selbst beobachtet. Der Parteispendenskandal in den frühen 1980er-Jahren hat Kohl in den 1990er Jahren nicht daran gehindert, anonyme Spenden für die Finanzierung der CDU in den neuen Bundesländern anzunehmen. Die Beispiele sprechen gegen die These der Präventivwirkung von Skandalen. Einen schlüssigen Gegenbeweis liefern sie nicht. Solange gesellschaftliche Regeln existieren, wird es Regelverstöße geben. Andernfalls würde es sich nicht um soziale Normen, sondern um Naturgesetze handeln. Einzelne Regelverstöße lassen nicht den Schluss zu, dass Sanktionen generell unwirksam sind. Auch dann, wenn sie wirken, wird es Regelverstöße geben. Zudem ist es durchaus möglich, dass frühere Skandale spätere Regelverletzungen verhindert haben, obwohl sie missachtet wurden: Möglicherweise wären die Regeln noch öfter verletzt worden, wenn es die Skandale nicht gegeben hätte. Im Unterschied zur Theorie der Generalprävention, die einer Missachtung von bestehenden Normen vorbeugt, wird der Skandalisierung von Missständen auch ein Mobilisierungseffekt zugesprochen, der die Umsetzung und Weiterentwicklung von Normen fördert. Dieser Mobilisierungseffekt zielt ebenfalls auf Entscheider in allen Bereichen der Gesellschaft – der Politik, Verwaltung und Wirtschaft – und betrifft folglich ebenfalls einen relativ kleinen, aber bedeutenden Teil der Bevölkerung. Auch hierfür gibt es Belege. Aufgrund des VW-Abgasskandals wurden realistischere Abgasmessungen eingeführt und bei VW die internen Kontrollen verbessert. Aufgrund des Skandals um die nichtbelegten Zitate in der Dissertation von zu Guttenberg wurden die Betreuung und Prüfung von Dissertationen verbessert und besoldungswirksame Maßnahmen bei ihrer Vernachlässigung angekündigt. Aufgrund des Skandals um den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche haben die Bischöfe die Präventionsarbeit erheblich verstärkt und ein Forschungsprojekt zur Analyse der Missbrauchsfälle in Auftrag gegeben. Aufgrund des Skandals um die Lustreisen von Mitarbeitern der Hamburg-Mannheimer und von Wüstenrot hat der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft einen verschärften Verhaltenscodex für Vertriebsmitarbeiter beschlossen. Aufgrund des BSE-Skandals und des AIDS-Blut-Skandals wurden effektive Schutzmaßnahmen eingeführt.9 Weitere Beispiele sind die Abschaffung der Umweg-Finanzierung von Parteien über die Staatsbürgerliche Vereinigung als Konsequenz des Parteispendenskandals und die Neufassung des Abgeordnetengesetzes (Artikel 44a AbgG) als Konsequenz der Gehaltsaffären von Landtags- und Bundestagsabgeordneten. Danach sind finanzielle Zuwendungen ohne angemessene Leistungen ausdrücklich untersagt. In all diesen Fällen kompensierten die Medien durch Skandalisierungen die Funktionsmängel anderer Institutionen, wobei im Einzelfall die Verhältnismäßigkeit der Mittel zur Diskussion steht. Dies führt zum Kern der Problematik. Skandale haben vor allem dann eine Präventivwirkung und einen Mobilisierungseffekt, wenn die Missstände stark übertrieben dargestellt werden und wenn die Vorwürfe gegen die Entscheider weit über das sachlich gerechtfertigte Maß hinausgehen. Sie leben sozusagen von der Übertreibung im Dienst der guten Sache. Die Funktionsweise der Skandalisierung entspricht damit derjenigen der »punitive damages«, der extrem hohen Schadensersatzleistungen im amerikanischen Zivilrecht. In beiden Fällen geht es weniger um Gerechtigkeit für die Regelverletzer als um die Abschreckung Dritter. Im Unterschied zu den »punitive damages« sind die Folgen von Skandalen jedoch nicht immer begrenzt und beabsichtigt. Vielmehr gehen sie aufgrund der Eigendynamik von Skandalen gelegentlich weit über das sachlich begründete und intendierte Maß hinaus. Dabei können auch negative Nebenfolgen eintreten, die vermutlich niemand beabsichtigt hat. Das markanteste Beispiel hierfür ist der Tod von Barschel. In einem Land, das weder die Todesstrafe vorsieht noch den rituellen Selbstmord kennt, stünde der Tod des Beschuldigten auch dann nicht in einem vertretbaren Verhältnis zu seinen Verfehlungen, wenn alle gegen ihn erhoben Vorwürfe berechtigt gewesen wären – was im Fall Barschel nicht zutrifft. Deshalb ist die Barschel-Affäre und nicht die Skandalisierung von Sebnitz der Super-GAU des deutschen Skandaljournalismus. In die gleiche Kategorie gehört der Tod Möllemanns, sofern er nicht Opfer eines Unfalls wurde. Gegen diese Argumentation kann man einwenden, kein Journalist habe den Tod Barschels und Möllemanns gewollt. Das ist richtig, gilt jedoch in gleichem Maße für Innenminister Seiters und Generalbundesanwalt von Stahl, die den Tod von Grams auch nicht geplant hatten und doch dafür geradestehen mussten. Die »punitive damages« unterscheiden sich von den Skandalfolgen auch dadurch, dass erstere nur die Schuldigen treffen, während unter den Skandalfolgen häufig auch unbeteiligte Dritte leiden. Hierbei handelt es sich ebenfalls um unbeabsichtigte negative Nebenwirkungen der Skandalisierung von Missständen. Besonders deutlich wird dies an den finanziellen Folgen von skandalinduzierten Panikreaktionen, die die Allgemeinheit tragen muss. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ließ das Bundesumweltministerium als Folge der Skandalisierung von 5.000 Tonnen radioaktiv schwach belasteter Molke, den sogenannten »Atommüll« (Stern, 12.02.1987), für nahezu 60 Millionen DM erst in 242 Eisenbahnwaggons im Land herumfahren und dann in einer eigens dafür gebauten Anlage entsorgen, die danach verkauft und verschrottet wurde. Diese und ähnliche Folgekosten waren minimal im Vergleich zu den Schäden, die die Dramatisierung der Gefahren durch BSE 2000/2001 hervorgerufen hatte. Als Folge der medial induzierten Ängste ging die Nachfrage nach Rindfleisch um über 50 Prozent zurück. Ein halbes Jahr später verzeichnete die Bundesanstalt für Arbeit unter anderem deshalb ein Milliardenloch in ihrem Haushalt, weil aufgrund des BSE-Skandals die Kurzarbeit erheblich zugenommen hatte. Bis 2010 wurden – obwohl kein ab 2001 geborenes Rind positiv getestet wurde – 21 Millionen Rinder getestet. Die Kosten der gesamten Vorsorgemaßnahmen betrugen bis 2013 zwei Milliarden Euro. Hierbei handelt es sich nicht um vernachlässigbare Einzelfälle. Die Skandalisierung von SARS hat die Lufthansa im April 2003 im Vergleich zum Vorjahresmonat im Asienverkehr 200.000 Fluggäste gekostet. Die Mindereinnahmen betrugen pro Woche etwa 50 Millionen Euro, wovon ein Teil auf den Irakkrieg zurückging. Wegen der Skandalisierung der Schweinegrippe als Folge ihrer Einstufung als Pandemie hat jedes der 16 Bundesländer Impfstoffe im Wert zwischen 4,5 und 54 Millionen Euro zu viel eingekauft. Die Skandalisierung von Ehec hat in mehreren europäischen Ländern die Existenz von Landwirten bedroht. Deshalb zahlte die EUKommission Hilfsmittel in Höhe von 227 Millionen Euro. Den höchsten Betrag erhielt mit 71 Millionen Euro Spanien, dessen Agrarproduzenten unter den Folgen der Berichte deutscher Medien besonders gelitten hatten. Weit übertroffen werden die unbeabsichtigten negativen finanziellen Folgen der genannten Skandale von den finanziellen Folgen der finalen Skandalisierung der deutschen Kernenergie nach der Reaktorkatastrophe in Japan und dem überhasteten Ausstieg aus der Kernenergie. Die einst finanzstarken und gewinnträchtigen Stromkonzerne E.ON, RWE und ENBW wurden durch Milliardenverluste an den Rand des Ruins getrieben und fordern von Bund und Ländern knapp 900 Millionen Euro Schadensersatz. Hinzu kommen die Verluste von Arbeitsplätzen bei den Energieunternehmen und der Zulieferindustrie sowie die Kosten für den erforderlichen Aus- und Umbau der Stromnetze. Sie betragen aller Wahrscheinlichkeit nach mehrere Milliarden Euro und werden letztlich von den Verbrauchern gezahlt. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die Zahlung von Schadensersatz durch die EU wegen der Verdienstausfälle aufgrund der Skandalisierung von Ehec. Zum einen hat die EU damit eine Haftung für die unbeabsichtigten negativen Nebenfolgen falscher Medienberichte anerkannt. Zum anderen hat sie Schadensersatz geleistet, obwohl die falschen Warnungen vor den vermeintlichen Ursachen nicht von EU-Behörden stammten und die negativen Folgen erst durch die dramatisierende Berichterstattung darüber entstanden sind. Das wirft die Frage auf, ob und inwieweit hier ein Präzedenzfall für Schadensersatzforderungen gegen die negativen Nebenfolgen von falschen oder irreführenden Medienberichten geschaffen wurde. Wenn dies der Fall wäre, müssten die Medien dafür aufkommen. Das würde erhebliche Beweisprobleme aufwerfen, weil man zwar die Effekte der Medienberichterstattung insgesamt auf die Vorstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung relativ gut messen kann. Es dürfte aber in absehbarer Zeit kaum möglich sein, den jeweiligen Anteil einzelner Medien an den Effekten zu bestimmen. Ohne einen solchen Kausalnachweis würden Schadensersatzforderungen gegen einzelne Medien ins Leere laufen, weil sie keinen konkreten Adressaten hätten. Eine Alternative wäre die Haftung jener Medien, die die ersten irreführenden Meldungen veröffentlicht haben. Sie sind aber angesichts der Vernetzung der Medien nur selten identifizierbar. In diesem Zusammenhang ist die Klage von Kachelmann gegen den Springer-Verlag zu sehen, der 2016 als Ausgleich für die Verletzung von Kachelmanns Persönlichkeitsrechten mit der Berichterstattung über das gegen ihn laufende Strafverfahren zur Zahlung von 395.000 Euro verurteilt wurde, wogegen der Verlag Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt hat. Neben negativen materiellen Folgen können anprangernde Beiträge auch immaterielle Nebenwirkungen haben, die den meisten Autoren solcher Beiträge vermutlich nicht bewusst sind. So wurden in Deutschland im Laufe der Jahre ca. 20.000 psychisch Kranke, die sich in postklinischer Behandlung befanden, erneut in psychiatrische Anstalten eingewiesen, weil sie aufgrund von spektakulären Medienberichten über Nebenwirkungen von Psychopharmaka die ihnen verordneten Medikamente abgesetzt und schwere Rückfälle erlitten hatten.10 Zu den immateriellen Kosten von Skandalisierungen gehört auch der im Einzelfall dramatische Verlust an Sozialkapital – Ehre, Ansehen, Berufschancen.11 Ein Beispiel ist Kachelmann, dessen Karriere zerstört wurde. Ihm hat sein Freispruch kaum genutzt. Ein zweites Beispiel ist Wulff, der aufgrund weit überzogener Vorwürfe zurücktreten musste, nach einem extrem aufwändigen und rechtlich fragwürdigen Ermittlungsverfahren trotz dürftiger Beweislage angeklagt und freigesprochen wurde. Ein drittes Beispiel ist Tebartz-van Elst, der auf fragwürdige Weise als Lügner gebrandmarkt und in nicht haltbarer Weise als Protzbischof geächtet wurde. Er musste sein Amt nicht wegen der ihm vorgeworfenen Aktivitäten zur Verfügung stellen, sondern weil er wegen der hemmungslosen Anprangerung seines durchaus diskussionswürden Verhaltens als Bischof nicht mehr tragbar war. Die zentrale Annahme der funktionalistischen Skandaltheorie betrifft die Auswirkung von Skandalen auf das Vertrauen in die Selbstreinigungskräfte der Gesellschaft. Ob diese Annahme zutrifft, kann man anhand empirischer Daten feststellen. Hierzu gehören Vergleiche zwischen der Häufigkeit von politischen Skandalen und den Ansichten der Bevölkerung über die politischen Eliten. In Deutschland bestanden in den 1970er- und 1980erJahren deutliche Zusammenhänge zwischen der wachsenden Zahl politischer Skandale und den Vorstellungen der Bevölkerung von den führenden Politikern. Sie widersprechen den Annahmen der funktionalistischen Skandaltheorie. Mit der steigenden Zahl politischer Skandale verminderte sich die Wertschätzung der Politiker: Der Anteil derer, die der Ansicht waren, ein Bundestagsabgeordneter müsse »große Fähigkeiten haben«, ging von 1972/1973 bis 1992/1993 von 65 auf 39 Prozent zurück. Dagegen nahm die Überzeugung zu, dass Bundestagsabgeordnete nicht in erster Linie die »Interessen der Bevölkerung« vertreten. Der Anteil derer, die davon überzeugt waren, dass sie vor allem »persönliche Interessen« vertreten, stieg von 1978/1979 bis 1992/1993 von 15 auf 33 Prozent. Zudem schwand das Vertrauen in die Wahrhaftigkeit der führenden Politiker. Der Kreis derer, die »kein Vertrauen« in sie hatten, weil sie es »schon zu oft erlebt« hatten, »dass sie nicht die Wahrheit« sagten, stieg von 33 auf 57 Prozent. Gleichzeitig mit dem Ansehensverlust der Politiker verringerte sich die Wertschätzung des politischen Engagements der Bürger. Der Anteil derer, die das politische Engagement von Frauen »sympathisch« fanden, ging von 65 auf 45 Prozent zurück. Noch mehr Anerkennung verlor das politische Engagement von Männern.12 Vergleichbare Erkenntnisse liegen aus den USA vor. Zwischen 1966 und 1982 sank in Phasen mit politischen Skandalen sowie wirtschaftlichen und politischen Krisen das Vertrauen in die Exekutive.13 Auch für die USA belegen statistische Analysen, dass die Skandalisierung von politischen Institutionen das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Institutionen eher schwächt als stärkt.14 Die Zusammenhänge zwischen der Skandalisierung von Missständen und der Bevölkerungsmeinung lassen sich zwar nicht zweifelsfrei beweisen. Das wäre nur mit Hilfe von Feldexperimenten möglich, die man jedoch aus praktischen Gründen nicht durchführen kann. Die erwähnten Zusammenhänge werden aber durch umfangreiche empirische Analysen bestätigt. So besteht in Deutschland, im Zeitverlauf von mehreren Jahren betrachtet, ein statistisch gesicherter Zusammenhang zwischen der Tendenz der Politikberichterstattung der Medien, die die Bürger nutzen, und dem mehr oder weniger negativen Politikbild der Rezipienten: Je negativer die genutzten Medien Politiker und Politik darstellen, desto negativer wird im Zeitverlauf deren Politikbild.15 Jede Demokratie lebt vom Engagement ihrer Bürger, wobei man davon ausgehen muss, dass die Einzelnen damit auch ihre eigenen Interessen verfolgen. Auch die dazu vorliegenden Daten stützen die These nicht, dass die Skandalisierung von Missständen in der Politik das Systemvertrauen und das politische Engagement stärkt. Das Gegenteil ist der Fall. Ein Beispiel ist der Rückgang der Spendenbereitschaft nach der exzessiven Skandalisierung illegaler Parteispenden, u. a. an Kohl, sowie der Bestechung von Lokalpolitikern, darunter SPD-Politiker in Nordrhein-Westfalen. Ein Grund für solche Folgen massiver Anprangerungen besteht darin, dass die Bevölkerung Einzelfälle verallgemeinert. So glaubten 1999, also vor den erwähnten Skandalisierungen, 58 Prozent der Bevölkerung, politische Entscheidungen würden durch Spenden erkauft. Drei Jahre später, also nach den Skandalisierungen, waren es 72 Prozent. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hielt die Skandalisierung von SPD-Politikern in NordrheinWestfalen nicht nur für ein lokales Problem. Sie glaubte, dass »darin auch SPD-Bundespolitiker verstrickt« waren. Die Verallgemeinerung von spektakulär präsentierten Einzelfällen belegen auch die Antworten auf die Frage, ob »Filz«, die Postenbesetzung nach dem Parteibuch, »weitverbreitet« ist. Dass Filz dort weit verbreitet ist, wo sich die Befragten auskennen, in der eigenen Region, meinte im April/Mai 2002 nur etwas mehr als ein Drittel, dass er in einem Gebiet weit verbreitet ist, das sie nur aus den Medien kennen, in Deutschland, glaubten aber fast zwei Drittel.16 Betrachtet man das Vertrauen in die Eliten und Institutionen als Indikator für das Vertrauen in die Selbstreinigungskräfte des politischen Systems, kann man ausschließen, dass die Skandalisierung von Missständen das Systemvertrauen fördert. Mit großer Wahrscheinlichkeit trifft das Gegenteil zu: Die Skandalisierung fördert eher Misstrauen als Vertrauen, ruft eher resignative Apathie als kritisches Engagement hervor und befeuert die Politikverdrossenheit vor allem bei den politisch Interessierten, die die aktuelle Berichterstattung aufmerksam verfolgen. Die einzige Institution, deren Ansehen mit der Häufigkeit und Intensität der Skandale wächst, sind kurzfristig die Medien, die ihr Ansehen auf Kosten der skandalisierten Institutionen vergrößern, langfristig jedoch vermindern. Der gleiche Mechanismus zeigt sich bei der Berichterstattung über Katastrophen: Je dramatischer die Darstellungen sind, desto mehr steigt in solchen Situationen die Glaubwürdigkeit der Journalisten auf Kosten der Experten. Allerdings mehren sich in den letzten Jahren die Anzeichen dafür, dass die wachsende Zahl der Skandale, die sich im Nachhinein als Übertreibungen und Irreführungen erweisen, das Vertrauen in die Medien langfristig verringert. Die wichtigste und von vielen Journalisten internalisierte Folgerung aus der funktionalistischen Skandaltheorie lautet, dass alle Missstände von den Medien aufgedeckt und skandalisiert werden sollten. Würde das die erwarteten Konsequenzen zeitigen? Eine Antwort darauf gibt eine quantitative Analyse der Missstands- und Skandalhäufigkeit in Deutschland.17 Von allen bekannten Missständen werden in Deutschland ca. 5 bis 10 Prozent skandalisiert. Nicht alle Missstände eignen sich für eine Skandalisierung – einige Sachverhalte werden nur von einem Teil der Bevölkerung als Missstand angesehen; einige sind zu unbedeutend, um größere Beachtung zu finden; bei einigen handelt es sich um Strukturprobleme, deren Ursachen nicht eindeutig benannt werden können usw. Aus diesen und anderen Gründen scheidet vermutlich die Hälfte der Missstände aus dem Kreis der potenziellen Skandale aus. Im Kreis der potenziellen Skandale verbleiben danach ca. 45 bis 47 Prozent aller Missstände, die bisher nicht skandalisiert wurden, aber die Voraussetzungen dazu erfüllen. Würden all diese Missstände skandalisiert, würde sich die Zahl der Skandale verfünf- bis verzehnfachen. Vermutlich ist diese Schätzung eher zu niedrig als zu hoch, weil die Urteilskriterien im Laufe der Zeit strenger und die Schwellen für die Skandalisierung von Missständen dementsprechend niedriger werden. Daraus kann man einige Folgerungen ableiten. Eine Verfünf- oder Verzehnfachung der Skandale würde angesichts der bekannten Zusammenhänge die Zweifel an Politik, Wirtschaft und Wissenschaft eher vergrößern als verkleinern und darüber hinaus den Glauben an die Geltung der relevanten Normen eher schwächen als stärken. Sie würde einen erheblichen Teil der Entscheider in allen betroffenen Bereichen stigmatisieren und die skandalwürdigen Missstände alltäglich erscheinen lassen. Die Zunahme der Skandale würde damit wahrscheinlich die Präventivwirkung und die Motivationseffekte der Skandale vermindern. Deshalb gilt auch für den Skandal, was Popitz für den Strafprozess feststellt: »Die positiven Folgen des Prangers sind nur wahrscheinlich, wenn er selten ist. Die Strafe kann ihre soziale Wirksamkeit nur bewahren, solange die Mehrheit nicht ›bekommt, was sie verdient‹«.18 Überblickt man die Gründe, die für und gegen die funktionalistische Skandaltheorie sprechen, muss man feststellen, dass die funktionalistische Skandaltheorie allenfalls teilweise und nur unter bestimmten Bedingungen zutrifft. Gelegentlich zutreffend sind die These einer Präventivwirkung und die These eines Motivationseffekts. Beide treffen aber nur zu, wenn nicht alle bzw. nicht zu viele Missstände skandalisiert werden. Falls die Zahl der Skandale einen unbekannten Wert übersteigt, verringern sich vermutlich ihre Präventivwirkung und ihr Motivationseffekt. Höchstwahrscheinlich falsch ist die These, dass die Aufdeckung und Skandalisierung von Missständen den Glauben an die Selbstregulierungskräfte einer Gesellschaft und die Geltungskraft ihrer Normen stärken. Nach allem, was bisher bekannt ist, tritt das Gegenteil ein. Zudem haben Skandale relativ häufig Nebenwirkungen, die zuweilen schwerwiegender sind als die Missstände, die durch die Skandalisierung beseitigt werden sollen. Die Nutzen-Schaden-Bilanz von Skandalen ist deshalb sehr fragwürdig. Gäbe es eine Produkthaftung für Skandalberichte, die praktisch kaum realisierbar und im Interesse der Pressefreiheit auch nicht wünschenswert ist, wären einige Medien in kurzer Zeit konkursreif. Aus der problematischen Nutzen-Schaden-Bilanz folgt nicht, dass die Massenmedien gravierende Missstände nicht anprangern sollten. Das ist gelegentlich der einzige Weg zu ihrer Beseitigung. Die Skandalisierung von Missständen stellt jedoch keinen Wert an sich dar. Da die Skandalisierung von Missständen aus den genannten Gründen kein Wert an sich ist, stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen man sie als positiv oder negativ bewerten kann. Eine Grundlage dazu bieten zwei einfache und vermutlich unstrittige Feststellungen. Erstens: Je größer Missstände sind, desto verdienstvoller ist ihre Skandalisierung. Zweitens: Je geringer die mit einer Skandalisierung verbundenen Nebenfolgen sind, desto eher ist die Skandalisierung gerechtfertigt. Betrachtet man auf der Grundlage dieser Feststellungen die Entwicklung der Häufigkeit und der Größe von Skandalen im Zeitverlauf, kann man zwei Folgerungen ableiten. Je größer die skandalisierten Missstände werden und je geringer die damit verbundenen Nebenfolgen sind, desto verdienstvoller wird die Skandalisierung von Missständen. Ein Beispiel ist die Skandalisierung der immer größeren Umweltschäden in den 1960er- und 1970er-Jahren. Ferner gilt: Je kleiner die skandalisierten Missstände werden und je größer die damit verbundenen Nebenfolgen ausfallen, desto fragwürdiger wird die Skandalisierung von Missständen. Beispiele hierfür sind die meisten Lebensmittelskandale der letzten zwanzig Jahre. Diese Überlegungen führen zu einer verallgemeinernden Feststellung: Der Grenznutzen der Skandalisierung von Missständen wird im Verlauf der Entwicklung von Staaten geringer und irgendwann übersteigt ihr Schaden ihren Nutzen. Diesen Punkt haben die meisten liberalen Demokratien längst überschritten. In solchen Ländern ist die Skandalisierung von Missständen nicht die Krönung des investigativen Journalismus. Der Sinn und Zweck des investigativen Journalismus sind Informationen. Solche Informationen brauchen Gesellschaften aufgrund ihrer wachsenden Komplexität und ihrer damit verbundenen Undurchschaubarkeit. Deshalb wird der investigative Journalismus immer wichtiger. Der Sinn und Zweck der Skandalisierung von Missständen sind dagegen Aktionen auf der Grundlage von Emotionen. Solche Aktionen sind allenfalls gelegentlich notwendige Ausnahmefälle. Sie sind nur unter eng umgrenzten Voraussetzungen berechtigt – nicht weniger, aber auch nicht mehr. 1 Vgl. hierzu Hartung, Uwe: Publizistische Bedingungen politischer Skandale, S. 21–41. 2 Vgl. Lang, Gladys Engel / Lang, Kurt: The Battle for Public Opinion. 3 Vgl. Moore, Wilbert E. / Tumin, Melvin M.: Some Social Functions of Ignorance. 4 Vgl. Popitz, Heinrich: Über die Präventivwirkung des Nichtwissens. 5 Popitz, Heinrich, ebenda, S. 12. 6 In dem Zusammenhang muss man sich klarmachen, dass viele Diebstähle strafbar sind, aber von vielen nicht so wahrgenommen werden, darunter die Mitnahme von Büromaterial für private Zwecke, das Einpacken nicht abgerechneter Lebensmittel beim Großeinkauf usw. 7 Popitz, Heinrich, ebenda, S. 17. 8 Vgl. Gaschke, Susanne: Volles Risiko, S. 180–181. 9 Vgl. Schmitt, Christiane: Die Entwicklung des AIDS-Blutskandals 1993. 10 Vgl. Linde, Otfried K. / Kepplinger, Hans Mathias / Ehmig, Simone C.: Mehr Akzeptanz durch mehr Fachinformation? 11 Vgl. hierzu Burkhart, Dagmar: Ehre. Das symbolische Kapital. 12 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias: Die Demontage der Politik in der Informationsgesellschaft, S. 178–205. 13 Vgl. Lipset, Seymour M. / Schneider, William: The Confidence Gap. Business, Labor, and Government in the Public Mind. 14 Vgl. Chanley, Virginia A. / Rudolph, Thomas J. / Rahn, Wendy M.: The Origins and Consequences of Public Trust in Government; Ulbig, Stacy G. / Martorano Miller, Nancy: The Coingate effect. 15 Vgl. Maurer, Marcus: Politikverdrossenheit durch Medienberichte, S. 159–250; siehe hierzu auch Siebert, Sandra: Angeprangert! 16 Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Sind Parteispenden unmoralisch? 17 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias / Ehmig, Simone C. /Hartung, Uwe: Alltägliche Skandale. 18 Popitz, Heinrich: Präventivwirkung des Nichtwissens, S. 20. 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Ansari, Salman 30 Arnim, Hans Herbert von 92 Asch, Solomon 79, 82, 125 Augstein, Jakob 35 Augstein, Rudolf 205 Barschel, Uwe 8, 11, 14, 19, 72, 88, 212 Bartetzko, Dieter 132 Beck, Volker 8, 14, 17, 36 Beckenbauer, Franz 14, 17, 36 Becker, Gerold 30 Begley, Louis 151 Benda, Ernst 107 Berg, Stefan 144 Bernstein, Carl 207 Bertsch, Benno 75 Biedenkopf, Kurt 41, 67, 82, 175, 191 Blair, Tony 145 Böhmer, Wolfgang 175 Böhmermann, Jan 14, 17, 36, 169, 183 Boetticher, Christian von 12, 160, 164 Bormann, Rüdiger 175 Born, Michael 75 f., 198 Bosbach, Wolfgang 181 Brandt, Willy 41, 72 Brauck, Markus 122, 124 Breitbart, Andrew Broder, Henryk M. 172 Brüderle, Rainer 13, 16, 21, 25, 76, 88, 160, 163 Brunner, Dominik 114 Bouffier, Volker 178 Bush, George W. 24 Calmund, Reiner 146 Capote, Truman 204 Clinton, Bill 24 Cohn-Bendit, Daniel 13, 28, 44, 127 Cuntz, Christoph 132, 200 Daum, Christoph 11, 14, 143, 146, 210 Darwin, Charles 170 Davison, Phillips W. 148 Deckers, Daniel 200 Deppendorf, Ulrich 117 f. Denkler, Thorsten 50, 201 Dexelmann, Albert 34 Diekmann, Kai 25, 50, 65, 89–92, 97, 110, 118, 157, 195, 200, 202 Dietl, Helmut 185 Diez, Gerorg 119, 121 Ditfurth, Jutta 177 Dole, Bob 27 Döpfner, Mathias 50, 169 Dorfs, Joachim 121 f., 124 Dribbusch, Barbara 137 Duve, Karin 107 Edathy, Sebastian 13, 16, 22 f., 35, 40, 44, 52, 111, 121, 127, 192 Eimterbäumer, Clemens 93 Ende, Michael 83 Engholm, Björn 11, 19, 88 Erdogan, Recep Tayyip 14, 36 Eumann, Marc Jan 35 Eylmann, Horst Fedder, Jan 107 Feldmer, Simon 121 f., 124 Filbinger, Hans 12, 161 Fischer, Joschka 12, 103 f., 113, 133, 136, 151, 157, 161, 176–178, 180–182 Fischer, Sebastian 129, 174 Fischer-Lescano, Andreas 34, 89, 173 Fleischhauer, Jan 128, 144, 185 Franziskus (Papst) 21 Friedman, Michel 11, 14, 210 Friedrich, Hans-Peter 13, 16 Frielinghaus, Michael 131 Fritz, Gernot 193 Fröhlingsdorf, Michael 120 Gabriel, Sigmar 13 Gaschke, Susanne 13, 16, 22, 130, 132, 136, 141, 163, 210 Gathmann, Florian 129 Gauweiler, Peter 75, 78, 88 Geerkens, Edith 65, 187 Geerkens, Egon 50 f., 188 Geiger, Thomas 35, 160 Geis, Mathias 151 Geißler, Heiner 33, 72, 76, 188 Gillian, Andrew 145 Glaeseker, Olaf 50, 65, 92 Grams, Wolfgang 11, 62, 189, 192, 199, 212 Grass, Günter 22, 25, 187, 191 Groenewold, David 50, 83, 97, 100, 139 f., 167 Guttenberg, Karl-Theodor zu 12, 15, 18, 28, 34 f., 80, 87, 89, 100, 122, 136, 141, 153, 156−158, 161 f., 164, 170, 173–176, 180–183, 187, 203, 211 Gysi, Gregor 11, 14, 24, 160, 191, 210 Haderthauer, Hubert 13, 16 Hamdan, Fouad 57 Hamm, Willi 131 Hanfeld, Michael 67, 91, 107, 200 Harbusch, Nikolaus 50 f. Härtel, Margret 127 f., 136, 160, 176, 178–181, 199 Hartmann, Michael 13, 16, 163, 210 Hartz, Peter 15 Heidenreich, Ralf 200 Heidenreich, Ulrike 75 Heider, Fritz 134 Hengsbach, Friedhelm 107 Hennis, Wilhelm Herman, Eva 12, 15, 34, 107, 191, 203 Herodes (König) 107 Herzog, Roman 23 Hillgruber, Andreas 120, 170 Himmelreich, Laura 13 Hintze, Peter 120 Hipp, Dietmar 92 Hipp, Roland 57 Hoeneß, Uli 13, 16, 144, 146, 162 f., 193, 210 Höfer, Werner 29, 30, 32, 34, 51 f. Hohmann, Martin 11, 14 Hondrich, Karl Otto 17 Honnigfort, Bernhard 137 Hunzinger, Moritz 11, 18 Hussein, Saddam 24, 61 Janssen, Hubertus 34 Jauch, Günther 118, 120 Jenninger, Philipp 11, 14, 52, 110, 16, 160, 163, 173, 196 Johannes Paul II. 52 Jones, Phil 123 f. Kachelmann, Jörg 12, 15, 18, 23, 151, 192, 196, 203, 214 f. Kaminsky, Claus 179 Kamphaus, Franz 52 Karry, Heinz Herbert 177 Karsli, Jamal 128 Kelek, Necla 172 Kelly, David 145 f., 158 Kempen, Bernhard 175 Kerner, Johannes B. 15 Kießling, Günter 127 Kister, Kurt 107, 129 Klein, Hans-Joachim 177 Koall, Robert 119 Koch-Mehrin, Silvana 35 Kohl, Helmut 11, 14, 18, 31, 34, 72, 78, 81, 83, 99, 107, 117 f., 120, 128 f., 133, 136, 172, 187, 189– 192, 199, 202, 210, 217 Kohler, Berthold 83, 172 Köhler, Horst 12, 15, 18, 24, 36, 107, 129, 143 f., 146, 192, 203, 205 Krause, Günther 95 f. Kreiten, Karlrobert 29, 32 Kulke, Ulli 123 Kummer, Tom 198, 210 Lammert, Norbert 175 Lehr, Gernot 51, 155 Leisler Kiep, Walther 75, 187 f. Lewinsky, Monica 24 Lewitscharoff, Sibylle 13, 16, 25, 114, 119, 193 f. Leyendecker, Hans 75, 81, 88, 181, 202 f. Loerzer, Sven 75 Lohse, Eckart 174, 202 Lorenzo, Giovanni di 122, 124 Maas, Heiko 16 Mäckler, Christoph 131 Maizière, Thomas de 82 Marx, Reinhard 59 f. Maschmeyer, Carsten 36, 50, 83 Mascolo, Georg 75, 164 Matussek, Matthias 119 Maucher, Helmut 120 Medick, Veit 120 Meinhof, Ulrike 177 Merkel, Angela 72, 99, 108, 164, 174 Minkmar, Nils 90, 118 Mixa, Walter 12, 15, 20 f., 192 Mohr, Reinhard 181 Mollath, Gustl 13, 15, 193 Möllemann, Jürgen W. 11, 15, 20, 128, 145 f., 212 Möller, Horst 120 f. Moore, Wilbert E. 208 Müller, Gerhard Ludwig 36 Müller, Martin U. 53 Müntefering, Franz 181 Musial, Bogdan 157 Naidoo, Xavier 13, 16 Nau, Alfred 31 Nelles, Roland 202 Nerb, Josef 111 Niersbach, Wolfgang 16 Niggemeier, Stefan 140, 202 f. Noelle-Neumann, Elisabeth 79 Noll, Chaim 171 Nolte, Ernst 120 f., 170 Oettinger, Günther 12, 160, 164, 203 Özdemir, Cem 12, 14, 24, 160, 191, 210 Patzelt, Werner 121 Peters, Jan-Eric 200 Pfarr, Heide 95 f. Pfister, René 12, 15, 210 Pirinçci, Akif 128 Platthaus, Andreas 118 Popitz, Heinrich 208 f., 219 Pötter, Bernhard 123 Prantl, Heribert 129, 203 Preuß, Ulrich 173 Range, Harald 16, 22, 36 Rau, Johannes 181, 183, 192 Reemtsma, Jan Philipp 157 Reich-Ranicki, Marcel 129 Reimann, Anna 93 Reisch, Linda 64 f. Rindermann, Heiner 172 Röhl, Bettina 177, 181 Rohwedder, Carsten 23 Rosenow, Frank 201 f. Rosenthal, Matthias 183 Roß, Andreas 75 Rost, Detlef 172 Sarkozy, Nicolas 83 Sarrazin, Thilo 35, 116, 119, 141, 170–173, 182 f. Sauerland, Adolf 15 Schachter, Stanley 109 f. Scharping, Rudolf 11, 14, 18, 24, 67 Schattner, Karljosef 131 Schäuble, Wolfgang 8, 13, 16, 18 f., 81 Schausten, Bettina 194 Schavan, Annette 13, 15, 175 Schindler, Jörg 30 Schirrmacher, Frank 49 f., 170–172 Schmid, Thomas 177 Schmidt, Manfred 92 Schmidt, Ulla 12, 50, 191, 210 Schneider, Jens 137 Schreiber, Karlheinz 75 Schrep, Bruno 137 Schröder, Gerhard 12, 24, 27, 36, 41, 103 f., 113, 181 Schröder, Hillu 27 Schulze, Rainer 22 Schumann, Erich 120 Schwarzer, Alice 76 Seehofer, Horst 12, 185, 210 Sherif, Muzafer 39 f. Siebenhaar, Peter 129 Simonis, Heide 120 Singer, Jerome 109 f. Snowden, Edward 34 Spada, Hans 111 Späth, Lothar 11, 14, 23, 30, 32, 51, 70, 76, 133 Stahl, Alexander von 14, 23, 212 Stegner, Ralf 130 Steinbrück, Peer 13, 16, 23–25, 88, 140, 160, 163 Stiller, Michael 75 Stolpe, Manfred 160 Storms, Michael D. 134 Strauß, Franz Josef 71, 183 f. Streiter, Georg 121 Struck, Peter 181 Sturm, Axel 93 Süssmuth, Rita 107 Tannenbaum, Percy H. 109 f. Tebartz-van Elst, Franz-Peter 13, 16, 24, 27, 34, 40, 52–54, 59 f., 65, 72, 74, 83, 96, 99, 113, 116, 120, 131, 136, 149, 152, 157, 187 f., 192, 199 f., 203, 205, 215 Terlinden, Hans 81 Thierse, Wolfgang 181 Tichy, Roland 200 Tiede, Peter 202 Tuma, Thomas 122, 124 Tumin, Melvin M. 208 Ulrich, Bernd 151 Valentin, Joachim 120 Vogel, Hans-Jochen 155, 175 Vollmer, Antje 30, 151 Volmer, Ludger 12, 15, 103 f., 113, 157 Voltmer, Mirko 93 Wahl, Stefan 111 Wallraff, Günter 35 Walser, Martin 49, 116, 129, 170 f. Wassermann, Otmar 62 Weber, Jürgen 177 Wehner, Herbert 72 Wehner, Markus 174 Weidermann, Volker 129 Weiland, Severin 92 f. Welteke, Ernst 11, 14, 25 Wendt, Rainer 93 Wensierski, Peter 53 f. Weyrauch, Horst 81 Winkler, Heinrich August 121 Winterkorn, Martin 16, 144, 158 Wittmann, Klaus 35, 75 Wittrock, Philipp 92 f., 118, 120 Wolfe, Tom 204 Woodward, Bob 207 Wowereit, Klaus 186 Wulff, Christian 8, 13, 15, 23–25, 27, 35, 40, 50 f., 65, 72, 74 f., 78, 80, 83 f., 89–93, 96–100, 104, 107, 110, 114, 116, 118–120, 129 f., 139–141, 151 f., 155–158, 160, 167, 184–188, 192–196, 200–203, 205, 210, 215 Zastrow, Volker 151, 173 Zippert, Hans 83 Zumwinkel, Klaus 12, 15, 23, 35, 192 f. Sachregister 1968er 182 Abschlussbericht 197 Absprachen 76 f., 80 Ächtung 120, 125, 171 Aggressivität 109 f. AIDS-Blut-Skandal 211 AKW Krümmel 12, 40, 63, 165, 196, 203 Andersdenkende 124 Angst 22, 25, 31, 42, 45, 52, 62, 66 f., 92, 110, 128, 143–145, 149, 153, 157 Anschlusskommunikation Appraisal-Theory 111 ARD 13, 16, 62, 66, 77, 96, 99, 103, 156, 176, 185, 194 Ärger 28, 51, 103, 108, 111–113, 115, 149 Attributionstheorie 134, 136 Audi 65, 192 Bad Kleinen 11, 14, 23, 62 f., 163, 192 Bad Reichenhall 12, 110, 115 Beobachter 39, 41, 98, 104, 131, 133–137, 141–143, 147 f., 150 f., 169, 189 f., 197 Birkel-Nudeln 8, 11, 14, 17 BND 12 f., 16, 33, 36, 103 f., 113, 203 Bonusmeilen 11, 54, 199 Brent Spar 8, 11, 14, 17 f., 24 f., 33 f., 40, 45, 56 f., 58, 78, 107, 110, 113, 116, 133, 143, 155, 158, 164, 188–190, 192 BSE-Skandal 11, 20, 42, 63, 66–68, 108, 116, 188, 196, 211, 213 BUND 34 Celler Loch 80 Charakter 50, 96, 99, 104, 133 f., 136, 138, 173, 196, 202, 209 Chronisten 74 f., 77, 79, 85, 105 Compact 34 Conditio sine qua non 87 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, vCJK 42, 63 Deutsche Umwelthilfe (DUH) 34, 76 Deutungshoheit 204 DFB 16 Dioxin 12, 15, 25, 40, 52, 55, 188, 192, 203, 210 Diskreditierung 118, 121, 123, 140, 146 Dramatisierung 31, 57, 61, 63, 65 f., 68, 209, 213 Drohanruf 90, 118 Ehec 12, 20, 31, 40, 52, 61, 116, 188, 203, 213 f. Eigennutz 32 f., 37, 70, 114, 194 Empörung 7, 9, 25, 28, 30, 36, 41, 75, 89, 91–93, 96, 107 f., 110, 113–116, 125, 142 f., 191, 193, 204 Ermittlungsverfahren 23, 54, 92, 100, 132, 179, 199, 215 essentialistischer Trugschluss 43 f., 148 Fallhöhe 180, 185 Falschmeldung 140, 158, 202 Flick-Untersuchungsausschuss 31 Flugaffäre 184, 192 Fukushima 12, 15, 21, 24, 27, 33, 45, 56, 59, 66, 86, 110, 203 fundamentaler Attributionsfehler 134, 137 Gegenskandalisierung 181 Gelassenheit 145, 156, 164 Geld, geldwerte Vorteile 13, 15, 18 f., 22, 24 f., 31, 50, 53, 65, 83, 96, 114, 133, 145, 180, 183, 188, 200 Generalprävention, Theorie der 208, 211 Georg-Büchner-Preis 119 Gewissheit 11, 43, 155 Gleichschaltung 125 Glyphosat 13, 16, 19, 34, 40, 42 f. Greenpeace 17, 34, 56–58, 110, 113, 143, 158, 165 Grexit 13, 19 Gruppendruck 40, 79 Gruppennorm 39 f., 43 GSG 9 14, 23, 62, 163 GuttenPlag Wiki 89, 173 f. Häme 51, 129 f. Henri-Nannen-Preis 15, 203 Herzklappen 199 Hilflosigkeit 149 Hitler-Tagebücher 198 Hoechst AG 11, 14, 17, 20, 28, 52, 62, 66, 77, 130, 136, 140, 143, 146, 150, 158, 164, 189, 192 Horror-Etiketten 66 Illusion der autonomen Urteilsbildung 43 f., 104 Immunität 23, 84, 92 f., 100, 139, 145, 158 f. Infratest dimap 176 Institut für Demoskopie Allensbach 108 instrumentelle Aktualisierung 85, 87 f., 92 f. Intendantenaffäre 64 International Council on Clean Transportation (ICCT) 34 Internet 73, 83, 89, 101, 121, 123, 128, 146, 151, 159, 173, 197 Isolationsdrohung 121 Isolierung 118, 120 Journalismus, investigativer 207, 220 Kanzlei-Affäre 75, 78, 88 Katastrophen-Collagen 66 Katastrophen-Suggestionen 66 Kernenergie, Kernkraft 8, 15, 21, 24, 33, 45, 55 f., 63 f., 70, 86 f., 199, 213 f. Killerthema 53, 89 Kita-Skandal 13, 16, 19, 199 Klimawandel 123 Kokain 11, 210 Kollegenkritik 198 Kölner Silvesternacht 14, 17, 40 Kommunikationsblockade 139 f. Konformitätsdruck 203 Konsens 73, 80, 169 Kontrollverlust 153 Koorientierung 73, 80, 159 Lebensmittelskandale 70, 159, 220 Lipobay 11, 14, 52, 187, 199 Lufthansa 19, 28, 213 Lustreisen 12, 211 Machtkampf 72, 204 Mailboxanruf 90 Media Tenor 185 Medienerfahrene 149 f. Medienunerfahrene 149 Mercedes 192 Missbrauch 12, 30, 34, 36, 127, 146, 161, 187, 193, 210 f. Missstände 8 f., 24 f., 27–29, 31, 33 f., 37 f., 40, 44, 52, 64, 66–72, 74, 79, 86, 111–114, 127, 130, 135 f., 142, 159, 169, 184, 188, 191, 194, 198 f., 203 f., 207, 210, 213, 216–220 Mitläufer 74–77, 79 Mobilisierungseffekt 211 f. Molke, radioaktiv verseuchte 25, 116, 192, 213 Motive 7, 18, 27, 33, 38, 70, 104, 113, 169, 181, 194, 201 Müller-Milch 35, 74, 78 Nebenfolgen, negative 8, 19, 23, 33, 49, 70 f., 212, 214, 220 Nematoden 52, 110, 187 Neue Heimat 71 NGO 34 Nichtwissen 208 Nonkonformisten 117, 123, 125 Norm 27, 40 f., 44, 66 f., 70, 112, 124 f., 183, 191, 207–209, 211, 219 NSA 13, 16, 33 f., 36 NSU-Untersuchungsausschuss 44 Nutzen-Schaden-Bilanz 219 Odenwaldschule 12, 30, 187 f., 203 Opfer 7–9, 19, 28, 30–32, 43, 48 f., 111, 114 f., 127–130, 133, 135–142, 148, 162, 177, 180, 197, 200, 202, 212 Opfer-Schema 28, 49 optische Übertreibung 67 ortho-Nitroanisol 17, 28, 52, 62, 66, 70, 130 f., 136, 140, 143, 158, 164, 190, 192, 196 Pädophilie 13, 25, 55, 111, 121 Panama Papers 37, 77, 93, 194 Pandemie 12, 49, 66, 213 Panik 143, 145–147, 155, 213 Parteispendenskandal 18, 210 f. Pegida 8, 13 f., 16, 23, 40, 108, 121, 128, 136 Politikverdrossenheit 218 politische Skandale 28, 159–164 Porsche 192 Portionieren 88 Pradaxa 80 Pranger 204, 209, 219 Präventivwirkung 208, 210, 212, 219 Pressefreiheit 22, 89–92, 114, 122, 219 Presserecht 165 f. Problemlösungsfähigkeit 153 Protagonist 7–9, 80, 99 f., 131, 139, 147–150, 167 Prügelstrafen 15, 20 publizistischer Konflikt 36, 184 Revision 198 f. reziproke Effekte 147 ff. Rollen-Inkonsistenz 141 Sandoz 44 SARS 11, 31, 40, 67, 114, 213 Schaden 7, 9, 14, 20, 29, 43, 65, 70, 103, 111, 113, 122, 132 f., 178, 193, 200, 207, 220 Schauprozess 24, 125 Schemata, Schemabildung 40 f., 43–45, 47, 48–52, 55, 78–80, 104, 128 Schleichwerbung 13, 35 Schmähkritik 14, 17, 36, 141, 169 Schweinegrippe 12, 20, 34, 49, 66, 114, 116, 188, 199, 203, 213 Sebnitz 23, 40 f., 76, 114–116, 128, 137, 189, 194, 198, 201, 212 Selbstreferenzialität 80 Selbstvertrauen 156 f. Selbstwertgefühl 153 f. serielle Skandalsierung 40, 67 Shell AG 56–58, 110, 113, 133, 136, 143, 146, 150, 158, 164 Skandalisierer 7 f., 33 f., 49, 65, 88, 125, 163, 181, 194, 199, 202–205, 207 Skandalisierungsversuch 35, 52 f., 75, 77, 105, 182, 184 Skandalkulturen 24 Skandaltheorie, funktionalistische 207–209, 215, 218 f. Skeptiker 74, 78, 123 f. Spenden, anonyme 11, 31, 189, 191, 210 Staatsanwälte 23, 35, 92, 147–150 Steuerhinterziehung 12 f., 32, 144, 162, 210 Störfallserie 20 Sturmgewehr G36 8, 13, 16, 19, 22, 36, 187 f., 192 Stuttgart 21 12, 25, 100 f., 122 Suhrkamp Verlag 16, 119 Systemvertrauen 217 Täter 7 f., 28, 48, 55, 127, 129, 131, 136, 138, 141 f., 180, 193, 207, 209 Täter-Opfer-Dramen 114 Täter-Schema 48 TNS Emnid 176 Totschweigen 122 Trittbrettfahrer 76 Trotz 143, 145, 147, 154 f. Tschernobyl 56, 66, 80, 86, 159, 213 TTIP 34, 36 Übertreibung 41, 65, 67–70, 86, 201, 212, 218 Umweltskandale 28, 66, 159 UNSCEAR-Bericht 59 Ursache-Wirkungs-Beziehung 85 Verbrechens-Assoziationen 66 Verfahren, geregeltes 196 f. Verfahrensfehler 193 Verkehrsclub Deutschland (VCD) 34, 76 Verlierer 159 Vioxx 11, 52, 80 VISA 12, 15, 103, 157 Vogelgrippe 11, 66, 114 VW-Abgasskandal 32, 34, 76, 192, 211 VW-Skandal (2005) 15, 25 Wahrheit 11, 25, 41, 74, 96, 163, 187–190, 194 f., 197 f., 201, 203–205 Watergate-Affäre 207 WestLB 184 f. WHO 14, 16, 18 f., 34, 49 Wirkung 8, 36, 47, 66, 68, 85 f., 99, 100, 102–105, 109 f., 149 f., 153, 164, 167, 204 Wirkungspotenzial 80, 95–97 Wortführer 41, 70, 74–76, 78, 81, 199, 201 ZDF 13, 16 f., 66, 73, 81, 96, 103, 156, 185, 194 Zweck-Mittel-Beziehung 85 Zwei-Faktoren-Theorie 109, 111 Zwei-Phasen-Theorie 154–157 Rainer Brüderle - Jetzt rede ich! Müller-Vogg, Hugo 9783957681225 150 Seiten Titel jetzt kaufen und lesen Rainer Brüderle war bei der Bundestagswahl 2013 "Gesicht und Kopf der FDP" (Philipp Rösler). Doch kaum war er zum Spitzenkandidaten nominiert, wurde er das Opfer rein politisch motivierter "Sexismus"Vorwürfe. Brüderle und die FDP gerieten nicht nur deshalb in die Defensive. Die Partei litt zudem an ihren schlechten Umfragewerten, am Streit innerhalb ihrer Führung sowie an den ständigen Querelen mit dem Koalitionspartner CDU/CSU. Zu allem Unglück zog sich der Spitzenkandidat drei Monate vor der Wahl bei einem Sturz schwere Brüche zu, konnte so den Wahlkampf nur unter Schmerzen durchstehen. Das Ende ist bekannt: Am 22. September verfehlte die FDP den Einzug in den Bundestag. Rainer Brüderle hat zu alldem bisher eisern geschwiegen, zu den Medien-Kampagnen gegen die FDP wie zu dem stellenweise gegen die Liberalen gerichteten Wahlkampf der Union. In diesem Buch nimmt er zum ersten Mal Stellung: offen, selbstbewusst, kritisch - auch selbstkritisch. Hier spricht ein Mann, der eine Schlacht verloren hat, aber nicht den Glauben an die liberale Idee. Titel jetzt kaufen und lesen Pioniere reiten los von Trotha, Thilo 9783957681744 264 Seiten Titel jetzt kaufen und lesen In zwei Deutschland aufgewachsen. In den revolutionären 68/69er Jahren studiert. In den dramatischen Monaten der Ostpolitik im Bundestag gearbeitet. Im Bundeskanzleramt unter Helmut Schmidt als Redenschreiber den deutschen Herbst, Mogadischu und Hanns Martin Schleyer erlitten. Deutsche Einheit. 70 Jahre Frieden. Thilo von Trotha liefert uns die deutsche Erzählung aus der Sicht eines jungen, mittelalten und alten Zeitzeugen und Mitgestalters. Komponiert im Stil einer Kantate. Für ältere Menschen gut, um sich zu erinnern. Für junge Menschen gut, um zu verstehen. Titel jetzt kaufen und lesen Historische Existenz Nolte, Ernst 9783957681478 768 Seiten Titel jetzt kaufen und lesen Die Geschichte als Ganzes verstehend zu begreifen - diesem Ziel dient Ernst Noltes großes Buch. Seine bisherige Beschäftigung mit Zeitgeschichte und vor allem mit den modernen Ideologien erhält damit den denkbar größten zeitlichen Rahmen. "Historische Existenz" meint die Geschichte im Ganzen, nämlich den Zeitabschnitt von etwa 5000 Jahren zwischen der Vorgeschichte und unserer Gegenwart, die der Anfang einer möglicherweise unabsehbar langen "Nachgeschichte" sein könnte. Eine Begrenztheit der Geschichte ist seit Hegel zum Thema für Historiker und Geschichtsphilosophen geworden. Ernst Nolte nähert sich dieser Frage nicht auf "universalhistorische" Weise, sondern er analysiert die wichtigsten Kategorien der historischen Existenz wie Religion, Staat, Adel, Krieg und Frieden, Stadt und Land, das Aufbegehren und die Linke, ohne dabei auf erzählende Kapitel zu verzichten. Die "Nachgeschichte" ist für Nolte indessen keine fraglose Realität, die durch eine klare Grenze von der Geschichte abgetrennt ist. Wenn er in diesem Buch der Geschichte des 20. Jahrhunderts den weitestmöglichen Rahmen zu geben versucht, so bleibt er gleichwohl ein Geschichtsdenker, der sich von den großen Konstruktionen einer "Geschichtsphilosophie" fernhält. "Historische Existenz" ist das Opus magnum eines großen Gelehrten und zugleich unentbehrliche Lektüre für alle, die sich für die Geschichte als Ganzes interessieren. Titel jetzt kaufen und lesen Höllensturz und Hoffnung Hahn, Hans-Joachim 9783957681164 256 Seiten Titel jetzt kaufen und lesen Wohin steuert unsere Gesellschaft? "Wir sind zehn Professoren aus Deutschland. Und wir glauben, dass unsere Zivilisation kurz vor dem Zusammenbruch steht. Allen Ernstes. Wir sind national und international anerkannte Topexperten in den Feldern Medizin, Finanzen, Ethik, Psychologie, Biophysiologie, Wirtschaft, Informatik, Rechtswesen und Biophysik. Und wir sehen den Berg, an dem unsere Gesellschaft zerschellen wird, auf uns zu kommen. Das Ende der Welt zu beschwören hat derzeit wieder Konjunktur, das wissen wir. Nichts liegt uns ferner, als uns in den Chor der Kassandras einzureihen, die das Abschmelzen der Polkappen beklagen und das bevorstehende Aussterben der Eisbären, die Vermüllung und Vergiftung der Meere, die Überbevölkerung … Das alles findet statt. Was uns bevorsteht, ist aber noch viel schlimmer als all das. Wir sehen so viele Negativspiralen, die miteinander in Wechselwirkung stehen, wir sehen derart steile Kurven in ganz bestimmten krisenhaften Entwicklungsfeldern, wir sehen so viele kumulierende Krisen und kollabierende Systeme, dass wir sicher sind: Unsere westliche Welt ist in größerer Gefahr als jemals zuvor." In diesem Buch werden die zukunftsbedrohenden Entwicklungen im Inneren unserer Zivilisation. Der Fokus richtet sich auf die inneren Prozesse unseres Zusammenlebens, die Richtung, in die sich unsere Gesellschaft entwickelt, darauf, die wesentlichen Katastrophenfelder und Effekte zu erklären, die bislang übersehen werden, weil sie nicht so einfach messbar sind wie die äußeren Faktoren und für sich betrachtet nicht so bedrohlich aussehen und so dramatisch darstellbar sind wie z. B. eine Sturmflut oder eine Ölpest. "Die innere Verfassung unserer westlichen Welt sehen wir mürbe werden und zerbrechen. Unsere Zivilisation droht im Innern zu kollabieren, und das wiegt viel schwerer als all die Probleme von Außen." Uns droht ein "Höllensturz", wenn wir nicht zur Umkehr aus ihnen finden. Indes begründen sie auch, warum si Titel jetzt kaufen und lesen Der Weg zur Knechtschaft Hayek, Friedrich A. von 9783957681270 336 Seiten Titel jetzt kaufen und lesen Das Kultbuch des renommierten Nationalökonomen und intellektuellen Gegenspielers von John Maynard Keynes. "Selten schafft es einmal ein Ökonom, mit einem Buch das breite Publikum aufzurütteln. Eine große Ausnahme bildet ›Der Weg zur Knechtschaft‹, jenes legendäre Buch des späteren Nobelpreisträgers Friedrich A. v. Hayek […]. Ein Jahr vor Kriegsende popularisierte Hayek damit im Londoner Exil seine in den zwanziger und dreißiger Jahren gewonnenen Überzeugungen, vor allem die These, dass jeder Planwirtschaft eine Tendenz zum Totalitarismus innewohnt und dass es keinen Mittelweg zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft geben kann. ›Der Weg zur Knechtschaft‹ hat zentrale Bedeutung für jene Ideen, die man heute, leicht missverständlich, als ›Neoliberalismus‹ bezeichnet; die Überzeugung, dass ökonomische Probleme am besten über freie Märkte gelöst werden sollen und der Anteil des Staates zurückgeführt werden sollte. Einprägsam besonders Hayeks Begründung, warum Planwirtschaft und Demokratie nicht zusammenpassen." Titel jetzt kaufen und lesen