Uploaded by arno.schmitt

adMarcumThielum

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ad Marcum Thielum
Marc Thielen attestiert 2009sq. meiner Vorlesung Rassismus. Dass diese in
einem anderen Fach (Islamwissenschaft und nicht Migrantenpädagogik) angesiedelt ist und dass sie 1985 gehalten wurde, ignorierte er. Er hat sich auch
nicht gefragt: Wieso Vorlesung? War ich 1985 Professor? Diese Vorlesung
hielt ich mehrmals auf Einladung von Schwulenreferaten von AStAs; die
Zuhörer waren zumeist Studenten der Ethnologie, Soziologie, Islamwissenschaft und Schwule. Wieso ist weder den Hörern, noch den Veranstaltern
der Rassismus sauer aufgestoßen?
Meinen Hauptpunkt (liwā8 ist nicht Homosexualität, sondern Arschficken)
übergeht er einerseits und setzt es selbst ganz selbstverständlich bei der Darstellung des iranischen Strafrechts voraus. Heute weiß kaum noch jemand,
dass 1985 alle Wörterbücher, Enzyklopädien und Fach-Abhandlungen liwā8
als Homosexualität/ Knabenliebe wiedergaben (was nicht bedeutet, dass Rosenthal, Mez, Ritter nicht schon Einiges richtig dargestellt hätten). Die Lage
in meinem Fach war so desolat, dass ich im antiken Griechenland und Mexiko
nach Brauchbarem Ausschau halten musste (und in der Diss. von Joseph M.
Carrier fündig wurde; Artikel und Monographien gab es keine). Prof. Steppat
lachte den kleinen Studenten aus, der behauptete, die Ordinarien schrieben
Unsinn, las dann aber ein paar Stellen probeweise mit meiner Übersetzung
und leiste Abbitte.
Als 20 Jahre später Khaled ar-Rouayheb sein „Before Homosexuality“ verfasste,
war meine Übersetzung schon so selbstverständlich, dass er die alte falsche und
den Helden, der diesen Drachen bezwungen hatte, gar nicht mehr erwähnen
musste.
Dass Marc Thielen meine Vorlesung nicht gelesen hat oder zumindest nicht
verstanden, wird deutlich, wenn er mich so referiert, als gäbe es im Osten
„mann-männliche Sexualität“ und im Westen „Homosexualität“, dabei lege
ich ad nauseam dar, dass es Gleich-Geschlechtlich-Keit nirgends gibt, dass
zwischen-weiblich und zwischen-männlich politisch verbündet sein können,
aber real und psychologisch einander fremd sind, dass ich das in einen (Begriffs-) Topf werfen des Penisträgers in Kittelschütze und des Bartträgers in
Chaps nicht nachvollziehen kann. Seine Behauptung, ich halte Gleichgeschlechtlichkeit in „westlichen Gesellschaftskontexten“ für berechtigt, entbehrt jeder Grundlage.
Ich denke, kaum jemand ist weiter davon weg, völlig Disparates (wie
LGTIASMFPQ) „zu konsolidierten Kollektiven zu verdinglichen“ als ich; ich beharre darauf, dass die meisten in sexualibus „a minority of one“ sind.
Thielen ist akademisch genug, meine Texte nicht völlig zu entstellen, so zitiert er „Mittelstands-XX“ und „DurchschnittsYY“, bemerkt, dass ich von
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Verwestlichung im Orient spreche. Dass mir Studien über westdeutsche Unterschichtsstricher in der 1950ern, Proletarier in New Yorker Steamhouses
und Marinesoldaten in den 1960ern durchaus bewusst sind und deshalb als
Gegenbild zum typischen Orientalen, der Sex mit Männlichen hat, den Mittelstandsschwulen konzeptualisiere, ist ihm nicht klar.
Befremdlicherweise unterschlägt er, dass ich Idealtypen gegenüberstelle und
nicht die Realität in Europa der Realität im Orient. Drei mal in wenigen Zeilen referiert er meine Position mit dem Wort „grundsätzlich“. Er scheint
nicht zu wissen, was das heißt oder er spekuliert darauf, dass es seine Leser
falsch verstehen. Es heißt ja, dass es prinzipiell so ist aber nicht in der Realität,
dem Grundsatz nach, aber nicht dem Einzel-Satz nach (schon gar nicht in
allen Nebensätzen). Ich habe Fakten hier so und dort anders gefiltert, betone
aber immer wieder, dass in erster Linie nicht das reale Tun, sondern das Denken darüber und noch mehr das öffentlich darüber Sprechen anders sind, dass
die Vorstellung dessen, was normal ist anders ist. Übrigens bestätigen seine
Interviews meine Thesen zu 300%. Denn obwohl er nicht mit Iranern aus
dem Volk auf Persisch in Persien Interviews führt, sondern mit dreizehn
Asylanten, die „der großstädtischen, gebildeten und ökonomisch gut situierten (modernen, westlichen) Mittel- und Oberschichten entstammen“, in
Deutschland auf Deutsch, zeichnen diese ein viel stärker von egalitären Mittelstandsschwulen abweichendes Bild, weil sie nicht nur eine Allgemeinheit
konzeptualisieren, sondern auch ihren Fall darlegen. So wird einer, weil zarter,
feiner als die meisten, von seinen Klassenkameraden und von seinem Bruder
ständig gefickt bzw. vergewaltigt. An anderer Stelle heißt es: „Wie anderen
Befragten, so war auch Hasan die Möglichkeit einer gleichgeschlechtlichen
Paarbeziehung im Iran als Lebensentwurf nicht verfügbar.“ Hasan sagt: „Im
Iran ist das Schwulsein gleich mit Tucke oder Travestie. … im Iran, die Leute, die passiv sind, oder die feminin sind und sich wie eine Frau anziehen
oder sich passiv ficken lassen. Der gilt als schwul.“ Nur weil Thielen es nicht
selbst sagt, sondern „seine“ Befragten, während ich zu Thesen verdichtet habe,
sind meine Thesen nicht rassistisch und seine Referate politisch korrekt:
„Auch in anderen Fällen wurde das eigene Begehren erst im Zuge der Migration mit einem spezifischen Selbstverständnis im Sinne der Partizipation an
einer über Sexualität definierten Gruppenidentität verbunden.“ Von Said
heißt es: „Im Iran war ihm gleichgeschlechtliche Intimität lediglich in Gestalt
von Pädophilie oder Prostitution begegnet, nicht jedoch als Liebesbeziehung
erwachsener Männer.“ Ein anderer „evaluiert, nicht beides sein zu können,
‚schwul sein und Iraner‘“.
Ich finde es auch komisch, dass Thielen 2009/10 nur mein im Selbstverlag
erschienene Erstlingswerk, in dem Migration überhaupt nicht vorkommt,
zitiert aber die erweiterte Publikation (1995), in der ein im ɈIrāq geborener, in
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Israel aufgewachsener Amsterdamer zu Wort kommt, nicht erwähnt wird,
sowenig wie meine Arbeit von 2001. Nicht, dass ich ein Jota von meinem
Jugendwerk zurücknehme, aber mehrere Blickwinkel und ein langer Atem
helfen dem Verständnis auf die Sprünge.
Marc Thielen ist dumm. Wer nie Dover, Williams, Winkler, Carrier, Giovanni
Dall´Orto oder Schmitt gelesen hat, der darf Interviews mit (Ex-)Persern führen,
in denen er – wie die Asylgutachter – fragt, ob der Befragte Sex mit Männlichen oder Weiblichen hatte. Wer aber von Eindringer <> Penetrierter gelesen
hat, aber nicht danach fragt, ist ideologisch geblendet.
Einleitend schreibt Thielen immer von „islamischen Gesellschaften“, obwohl
er mal gerade mit ein paar Männern, die früher in Tehran lebten, gesprochen
hat, wirft mir aber Alles-in-einen-Topf-werfen vor, obwohl ich Südasiaten
(31% der Muslime), Südostasiaten (20%), Schwarzafrikaner (15%), Europäer,
Amerikaner, Ost- und Zentralasiaten ausdrücklich ausnehme. Ja, ich werfe
ALLE Bewohner des Nahen Ostens (inkl. Berber, Juden, Atheisten) in einen
Topf, von dem ich behaupte, dass dort über Jahrhunderte ähnliche kulturelle
und ökonomische Verhältnissen herrschten. Das mache ich deutlich und ich
mache es nach reiflicher Überlegung. Ich denke tatsächlich, dass die Kulturen des Nahen Osten hellenistische Töchter sind, ganz so wie Byzanz, Moskau und Rom.
Wenn Thielen schreibt, ich konstruiere den arabischen Mann „als übersteigert triebhaft und animalisch“ mit „wilde[m] und unzivilisierte[m] Trieb“
dann verrät er seine Vorstellung, nicht die meinen. Ich bin unter Kühen und
Schweinen, Hühner und Pferden aufgewachsen, ich weiß, dass andere Tiere
nicht animalischer, triebhafter als Homo Sapiens sind, käme nie auf die Idee.
Offensichtlich war Mitte der 1980ern meinen Hörern, die wenn auch nur selten über wissenschaftliche Journals, aber immerhin über die Wissenschaftsseiten guter Zeitungen mitbekommen hatten, dass wenn ich von mann-männlichem Verkehr unter Primaten sprach, das Besteigen (nicht das Liebe-Machen)
meinte, wodurch der Besteiger seine Höherstellung in der Hierarchie unterstrich; es gibt auch Männliche, die ihren Anus anbieten, um ein Alphatier zu
besänftigen oder es zum Teilen der Beute zu bewegen. Es gibt auch gegenseitiges Lausen, aber Freundschaft unter Gleichen ist das eine, Sex unter Ungleichen das Andere. Zum xten Mal: Es gibt auch in Europa Dominanzsex
und in Arabien Flip-Flop. Das wird aber hier wie dort meist nach außen hin
runtergespielt, weil es anormal ist. So war das 1980 in Nordwesteuropa und
im Nahen Osten – lokale, soziale Ausnahmen und neuere Entwicklungen
bleiben außen vor.
Während ich auf archaische Produktionsweisen und patriarchale Strukturen
verweise, während ich von einem gemeinsamen kulturellen Wurzel im antiken Griechenland ausgehe, die zuerst in Amsterdam und London, später in
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Paris und Berlin aufgebrochen wurde, während ich davon ausgehe, dass
Auflösung des Drei-Generations-Haushalts, eigenständiges Wirtschaften der
Jungen und Migration unweigerlich Veränderung bewirken, referiert mich
Thielen, als halte ich den Orientalen für angeboren archaisch und den Europäer für von Geburt an modern. Was für ein Unsinn. Aber ich homogenisiere
nicht nur Europäer und Araber nicht, ich halte den katholischen Bauern aus
Niederbayern für anders als den katholischen Bergmann aus Schlesien, den
protestantischen Pfeffersack aus Hamburg und die Klavier spielende Frankfurter Buchhändlerswitwe. Auch weil mir Geige und Rilke nicht in die Bürgerwiege gelegt wurden, komme ich gar nicht auf die Idee „die Deutschen“
zu homogenisieren, es gab nicht nur Landjuden und Ostjuden, es gab auch
Pietisten und Mennoniten, Kleinbauern und Großbauern, Handwerker und
Proletarier. Man muss meine Vorlesung schon sehr oberflächlich gelesen haben, um auf die Idee zu kommen, ich habe Idealtypen und reale Menschen
verwechselt.
konzeptualisiert zwei gegensätzliche, jeweils in sich geschlossene Modelle von
gleichgeschlechtlicher Sexualität, die sich unversöhnlich gegenüberstehen.
SCHMITT
Ich glaub, ich spinne. Ja, ich konzeptualisiere zwei gegensätzliche Modelle –
darauf angelegt, sich markant zu unterscheiden. Sie sind weder versöhnlich
noch unversöhnlich. Es handelt sich um heuristische Modelle. Thielen macht
einen Kategorienfehler: Er wirft mir vor, die Modelle seinen „in sich geschlossen“, so wie man zwei Submilieus ankreidet, sie seien nicht durchlässig. Er
glaubt, ich halte die Orientalen für orientalisch und die Europäer für okzidental, basta. So ist es nicht. Aber auf der Ebene der Idealtypen, muss ich
klare Modelle konzeptualisieren. Dass ich Wasser und Stein definitorisch
trenne, hindert mich nicht daran, feuchte Gesteinschichten zu detektieren.
Übrigens konzeptualisiere ich nicht zwei homogene Welten, sondern zwei
Pole: an einem Ende steht ein sozialdemokratisches, urbanes, egalitäres, skandinavisch/niederländisches, wohlfahrtsstaatliches, rechtsstaatliches, antiautoritäres Bild, am andern Ende ein mittelmeerisches, patriarchales mit
mächtigen Familien, schwachem Staat, mit dem Florenz der Renaissance,
dem Guadalajara der 1960er und den Slums von Kairo. Minnesota, Palermo,
Beirut, Izmir, Sevilla und Texas, selbst Los Angeles, New York City und Rom
stehen irgendwo in der Mitte. Und die wirtschaftliche Lage und das Milieu –
der Eltern und die aktuelle eigene – spielen auch noch eine Rolle.
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