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Kulturmanagement und Unternehmenserfolg

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Hai Sun
Kulturmanagement und Unternehmenserfolg
Kulturmanagement und Kulturwissenschaft
Herausgegeben von
Prof. Dr. Armin Klein
Hai Sun
Kulturmanagement und
Unternehmenserfolg
Zur Bedeutung der Kultur in
deutsch-chinesischen Jointventures
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Armin Klein
Deutscher Universitats-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnetdiese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uber
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
Dissertation Padagogische Hochschule Ludwigsburg, 2006
I.Auflage August 2006
Alle Rechte vorbehalten
© Deutscher Universitats-Verlag I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
Lektorat: Brigitte Siegel / Britta Gohrisch-Radmacher
Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media.
www.duv.de
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waren und daher von jedermann benutzt werden diirften.
Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main
Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheSlitz
Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany
ISBN-10 3-8350-6033-3
ISBN-13 978-3-8350-6033-3
Geleitwort
Die Bedeutung der Kultur im Management deutsch-chinesischer Jointventures
„Wenn China erwacht, erbebt die Erde", erkannte schon Napoleon. Jetzt, zu Beginn
des 21. Jahrhunderts, scheint sich seine Prophezeiung zu erfullen. China gehort mittlerweile zu den grofiten und vor allem dynamischsten Wirtschaftsmarkten der Erde.
Der Beginn der Reformpolitik seit 1978 und der WTO-Beitritt 2001 markieren die
wichtigsten Stationen einer Offnungspolitik, die vielen intemationalen Untemehmen
einen Marktzutritt in China erlauben. Dieser Prozess wird weiter vorangetrieben durch
so markante zukiinftige Ereignisse wie die Olympischen Spiele 2008 in Peking und die
Weltausstellung 2010 in Shanghai, die Milliardenprojekte moglich machen und zu
einem weiteren Wachstum auslandischer Investitionen fiihren werden.
Zur Zeit ist Deutschland der groBte europaische Handelspartner Chinas; die wachsende
Zahl der Besuche deutscher Bundeskanzler in China legen davon ein beredtes Zeugnis
ab. Im Mai 2004 haben beide Lander eine gemeinsame Erklarung veroffentlicht, worin
sie ankiindigen, im Rahmen der strategischen Partnerschaft zwischen China und der
Europaischen Union eine verstarkte Partnerschaft in globaler Verantwortung aufzubauen.
In diesem Zusammenhang entstanden in den letzten ein, zwei Jahrzehnten eine ganze
Reihe von deutsch-chinesischen Jointventures, die zum Teil sehr erfolgreich gestaltet
werden konnten, zum Teil aber auch an eklatanten interkulturellen Missverstandnissen
scheiterten. Neben die sog. „harten" Erfolgsfaktoren des Managements, die stimmen
miissen, treten zunehmend sog. „weiche" Erfolgsfaktoren, wie kulturelles Wissen und
Verstandnis, wie kulturelle Anpassung und Respekt. Unterschiedliche Formen und
Auffassungen von Hoflichkeit, verschiedene Interaktionsformen, divergierende
Gesprachs- und Fuhrungsstile beeinflussen nicht selten den Erfolg oder Misserfolg
eines Jointventures.
VI
Geleitwort
Damit eroffnet sich der Kulturwissenschaft und dem Kulturmanagement ein interessantes Untersuchungsfeld. Schon seit langerem werden im Rahmen verschiedener
Konzepte der Untemehmens- bzw. Organisationskultur kulturwissenschaftliche Ansatze fiir die Organisationstheorie fruchtbar gemacht und spatestens seit der Veroffentlichung des Management-Bestsellers von Thomas Peters und Robert Waterman Auf
der Suche nach Spitzenleistungen aus dem Jahr 1982 ist die herausragende Bedeutung
kultureller Faktoren fur den Untemehmenserfolg bekannt.
Diese im spezifischen Zusammenhang deutsch-chinesischer Jointventures darzustellen
und zu analysieren ist das Ziel der vorliegenden Arbeit. Sie ist die erste Dissertation
eines der vielen intemationalen Studierenden am Institut fur Kulturmanagement in
Ludwigsburg und insofem eine Premiere. Die Studie kommt auf Grund der hohen
interkulturellen Kompetenz ihres Autors zu einer Vielzahl sehr interessanter Ergebnisse, deren Relevanz fiir die Praxis unmittelbar evident wird und die die enge Verbindung zwischen „Kultur" und „Management" deutlich machen. Es ist ihr deshalb zu
wunschen, dass sie eine Vielzahl von Lesem fmdet.
Ludwigsburg, Mai 2006
Armin Klein
Vorwort
Obwohl die vorliegende Dissertation im Zeitraum von 2003 bis 2005 in Deutschland
und in China erarbeitet wurde, bezieht sie dennoch einen langen Prozess der Sammlung praktischer Erfahrungen und Entwicklung theoretischer Uberlegungen in beiden
Landem ein.
Von Anfang bis Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts habe ich, als Schtiler, die
zweite Halfte der Kulturrevolution erlebt. In diesem Zeitraum besuchte ich zahllose
Kuiturveranstaltungen, die als ein Teil der Politik eng mit dem taglichen Leben verbunden waren und in verschiedenen Untemehmen stattfanden. Oft habe ich dabei mit
der chinesischen Geige musiziert.
Von Ende der 70er bis Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts erlebte ich, zunachst
als Gymnasiast und spater als Student der Geschichte, die von Deng Xiaoping eingeleiteten Reformen, den dadurch erzielten Wirtschaftsboom, den Anfang der deutschchinesischen Jointventures in China sowie die Mitwirkung der Kulturfaktoren im
engeren Sinne und fmg an, diese Phanomene aus historischer Sicht zu betrachten.
Meine erste Stelle nach dem Studium war in einem groBen Staatsbetrieb, der eine enge
Kooperation mit einem deutschen Untemehmen hatte. Dadurch beobachtete ich zum
ersten Mai, wie sich die chinesischen KoUegen nach konfiizianischer Tradition durch
Musik, Theater etc. den deutschen Kollegen annaherten und wie die deutschen Gaste
daraufreagierten.
In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts war ich, neben der Tatigkeit an der Hochschule ftir Musik und Kunst der Provinz Shandong, auch in verschiedenen Untemehmen und in Projekten der GTZ landesweit in China beschaftigt. Dabei habe ich die
groBe Nachfrage von staatlichen Untemehmen nach Absolventen der Hochschulen fiir
Musik und Kunst und die erfolgreiche Nutzung der Kulturfaktoren zur Erreichung
VIII
Vorwort
wirtschafllicher Ziele und zur Losung interkultureller Probleme selbst beobachten
konnen.
Durch das Studium des Kulturmanagements seit 2000 in Deutschland konnte ich aus
kulturwissenschaftlicher und kulturanthropologischer Sicht die Rolle der Kultur in den
betrieblichen Aktivitaten deutsch-chinesischer Untemehmen analysieren.
Die Idee zu dieser Arbeit entstand nicht spontan, sondem war vielmehr das
folgerichtige Ergebnis der o. g. Erlebnisse. Dabei habe ich bemerkt, dass die Kulturfaktoren im engeren und auch im weiteren Sinne zwar eine wichtige Rolle in deutschchinesischen Untemehmen spielen, es aber eine wissenschaftliche Forschung, die
dieses tiefer beobachtet und aus den Traditionen beider Landen heraus analysiert, nicht
gibt. Mit der vorliegenden Arbeit mochte ich diese Liicke schlieBen.
Mein groBer Dank gilt meinem Doktorvater, Herm Prof. Dr. Armin Klein (PH
Ludwigsburg). Er war ein stets ansprechbarer und zuverlassiger Betreuer. Ohne seine
vielen Anregungen, Ideen und Unterstiitzung ware diese Arbeit nicht entstanden.
Ebenfalls sehr dankbar bin ich Herm Prof. Dr. Thomas Knubben (PH Ludwigsburg)
fur die LFbemahme des Zweitgutachtens.
Herzlich mochte ich Frau Heike Sporer und Herm Jochen Raithel fur das sorgfaltige
Korrekturlesen danken.
Mein ganz besonderer herzlicher Dank gilt meinen zwei Familien - meinen Eltem in
China und der Familie Lessmann in Deutschland. Meine Eltem unterstiitzen meine
Arbeit nicht nur geistig, sondem auch bei der Beschaffung der chinesischen Literatur.
In die deutsche Familie wurde ich als Familienmitglied integriert. Dort habe ich nicht
nur Hilfe beim Korrekturlesen der Arbeit erfahren, sondem wurde auch standig motiviert und habe deutsche Kultur und deutsches Familienleben kennen gelemt.
Ludwigburg, Mai 2006
Hai Sun
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkurzungsverzeichnis
V
VII
IX
XIII
XV
XVII
1
Einleitung
1.1 Kultureller, politischer und wirtschaftlicher Hintergrund
1.2 Deutsch-chinesische wirtschaftliche Beziehungen
1.3 Deutsch-chinesische kulturelle Beziehungen
1.4 Fragestellung und Zielsetzung
1.5 Grundlegende Thesen
1.5.1
Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures
1.5.2
Kulturfaktoren im engeren Sinne in isolierter Phase
1.5.3
Kultureller Einfluss der GlobaHsierung
1.5.4
Kulturfaktoren in ubergeordneten Zusammenhangen
1.6 Aufbau der Arbeit
1
1
5
7
11
13
14
15
15
16
17
2
Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
2.1 Kultur - Untemehmenskultur
2.1.1
Die Kulturbegriffe in Europa im historischen Uberblick
2.1.2
Der Begriff der Kultur in China im Vergleich zu Deutschland
2.1.3
Der Begriff der Kultur in deutsch-chinesischen Jointventures
2.1.4
Der Begriff der Untemehmenskultur
2.1.5
Der Begriff des deutsch-chinesischen Jointventures
2.1.6
Kultur - Wirtschaft - Gesellschaft - Politik
2.1.7
Kulturwandel in deutsch-chinesischen Jointventures
19
19
19
25
34
35
40
43
48
X
3
Inhaltsverzeichnis
Stand der Forschung
12
2.2.1
Von kulturvergleichenden zu intrakulturellen Forschungen
2.2.2
Obertragungs- und Lemprozesse in Deutschland und China
2.2.3
Forschungen mit Schwerpunkt globales Handeln
2.2.3.1 Kulturdimensionen nach Hofstede
2.2.3.2 Meta-Analyse: Individualismus-Kollektivismus
2.2.4
Forschungen mit Schwerpunkt China
2.2.4.1 Forschungen zu Rahmenbedingungen
2.2.4.2 Das Regensburger Forschungsprojekt
2.2.4.3 Untersuchungen aus der Sicht der deutschen Partner
2.2.4.4 Untersuchungen aus der Sicht der chinesischen Partner
2.3 Kritische Zusammenfassung der bisherigen Forschungen
2.3.1
Fehlende Uberlegungen zu den Kulturfaktoren
2.3.2
Unvollstandige BerUcksichtigung chinesischer Kulturtradition
2.3.3
Fehlende Beobachtung des dynamischen Kulturwandels
2.3.4
Fehlende Beobachtung des Einflusses der Globalisiemng
2.3.5
Fehlende Beurteilung mit Hilfe der kulturellen Kriterien
2.4 Fazit
49
50
54
57
58
60
61
61
62
63
64
66
66
67
67
68
69
70
Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
3.1 Fragestellung der Untersuchung
3.2 Theoretische Grundlage der Untersuchungsmethoden
3.2.1
Auswahl der Forschungsmuster
3.2.2
Befragung als Untersuchungsmethode
3.2.3
Beobachtung als Untersuchungsmethode
3.2.4
Erganzende Untersuchungsmethoden
3.3 Auswahl der Jointventures und Zielgruppen
3.4 Die Konstruktion der Untersuchung
3.4.1
Schriftliche Befragung
3.4.2
Miindliches Interview
3.4.3
Freies Gesprach
3.4.4
Teilnehmende Beobachtung
3.4.5
Die Befragungen im Uberblick
3.5 Probelauf der Untersuchung
71
71
72
72
74
75
76
77
78
78
85
87
89
89
90
Inhaltsverzeichnis
3.6
Die Durchfiihrung der Untersuchung
5
90
3.6.1
Zeitliche und inhaltliche Uberlegungen
90
3.6.2
Die Untersuchungsorte und -untemehmen
91
3.6.2.1 Peking
92
3.6.2.2 Jinan und Qingdao
93
3.6.2.3 Shanghai
95
3.6.2.4 Kanton
97
3.6.2.5 Hongkong
98
3.6.3
4
XI
Der Untersuchungsprozess
99
3.7
Die Untersuchung im Uberblick
100
3.8
Fazit
100
Ergebnisse der Untersuchung im Uberblick
103
4.1
Allgemeines
103
4.2
Fragebogenergebnisse
104
4.3
Interview-, Gesprachs- und Beobachtungsergebnisse
112
4.4
Fazit
113
Die RoUe der Kulturfaktoren im engeren Sinne
5.1
Die Kulturrevolution und die Kulturfaktoren im engeren Sinne
115
115
5.1.1
Die GroBe Proletarische Kulturrevolution im Uberblick
116
5.1.2
Die Kulturfaktoren im engeren Sinne in der Kulturrevolution
118
5.1.3
Der Einfluss der Kulturrevolution
123
5.2
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
5.2.1
124
Geschichtliche Hintergriinde
124
5.2.2
Entwicklungsprozesse in der Volksrepublik China
126
5.2.3
Personliche Information
132
5.2.4
Theater und Teehauser
136
5.2.5
Film
138
5.2.6
Medien
145
5.3
Briicke zwischen den zwei Kulturen
150
5.4
Instrumente zur Pflege des Untemehmensimages
158
5.5
Forderung der Motivation, Unterhaltung und Beziehungspflege
164
5.6
Wege fur Kulturaustausch
173
5.7
Fazit
176
XII
6
Inhaltsverzeichnis
Die RoUe der Kulturfaktoren im weiteren Sinne
6.1 Untemehmenskultur - Chinesischer Kern und westlicher Uberbau
6.2 Einfluss intemationaler Kultur
6.3 Wandel der Untemehmenskultur
6.4 „China andem oder sich andem?"
6.5 Fazit
177
177
185
188
191
194
Schlussbetrachtung und Ausblick
197
Anhang
Anhang 1
Anhang 2
Anhang 3
201
201
205
206
Schriftlicher Fragebogen
Themen zum miindlichen Interview
Zeittafel der chinesischen Dynastien und Regierungen
Quellen und Literaturverzeichnis
207
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1-1
Abbildung2-1
Abbildung 2-2
Abbildung 2-3
Abbildung 2-4
Abbildung 2-5
Abbildung 2-6
Abbildung 2-7
Abbildung 5-1
Abbildung 5-2
Abbildung 5-3
Abbildung 5-4
Abbildung 5-5
Abbildung 5-6
Abbildung 5-7
Abbildung 5-8
Abbildung 5-9
Jahrliche Wachstumsrate des BIP Chinas (1995-2005)
Kultur als deskriptives und explikatives Konzept
Kulturebenen und ihr Zusammenhang
Kooperationsformen, Markt und Hierarchie
Untemehmenskultur in chinesischer Umgebung
Das McKinsey-7S-Modell
Kultur auf verschiedenen Ebenen
Individualismus-Kollektivismus
Beide Seiten einer typischen „Stolzkarte"
„Die groBbritannischen Imperialisten niederschlagen!"
Theater in der Qing-Dynastie (1644-1911)
Theater nach der Grundung der Volksrepublik
Kinoplakat aus dem Jahr 1980 in China
„Chinesische" Kleidung und Wohnungsdekoration
Eine kritische Szene aus der Olympischen Abschlussfeier
Untemehmenskonzert zum Neujahrs- und Fruhlingsfest
Eroffnung einer neuen Werkstatt
3
25
39
41
47
52
56
60
122
128
137
137
143
144
149
172
172
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1-1
Tabelle 1-2
Tabelle 2-1
Tabelle 2-2
Tabelle 2-3
Tabelle 2-4
Tabelle 3-1
Tabelle 3-2
Tabelle 3-3
Tabelle 3-4
Tabelle 4-1
Tabelle 5-1
Die realisierten auslandischen Direktinvestitionen in China
Deutsche Direktinvestitionen in China
Unterschiede zwischen culture/Kultur/civilisation/Zivilisation
Hauptkategorien der kulturellen Phanomene
Eigenschaften von Untemehmenskultur
Die vier amerikanischen Werke und ihre Ubersetzungen
Merkmale qualitativer und quantitativer Sozialforschung
Untersuchungsmethoden und verwendeten Formen
Verteilung der Untersuchungsschwerpunkte
Die Untersuchung im Uberblick
Information zur Person der Befragten
Anzahl der Touristeneinreisen in die VR China 1997-2002
4
7
23
37
38
55
73
77
89
100
103
134
Abkurzungsverzeichnis
BIP
BIZ
bzw.
ceo
CECIA
DAAD
d.h.
etc.
evtl.
f.
ff.
ggf.
GTZ
Hrsg.
i. e.
ifa
JV
KP
KPCh
MBA
Mrd.
Mio.
n. Chr.
Nr.
0. a.
o.g.
RMB
S.
u. a.
Bruttoinlandsprodukt
Deutsches Buchinformationszentrum
beziehungsweise
Chief Cultural Officer
China Enterprise Culture Improvement Association
Deutscher Akademischer Austauschdienst e.V.
das heiBt
et cetera
eventuell
folgende (Seite)
fortfolgende (Seiten)
gegebenenfalls
Deutsche Gesellschaft fiir technische Zusammenarbeit
Herausgeber
id est
Institut fur Auslandsbeziehungen
Jointventure
kommunistische Partei
die Kommunistische Partei Chinas
Master of Business and Administration
Milliarde(n)
Million(en)
nach Christus
Nummer
Oder ahnlich
oben genannt
Renminbi
Seite
unter anderem
XVIII
UNESCO
usw.
V. Chr.
VR
WTO
z. B.
Abkurzungsverzeichnis
United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
und so weiter
vor Christus
Volksrepublik
World Trade Organization
zum Beispiel
1
Einleitung
1.1
Kultureller, politischer und wirtschaftlicher Hintergrund
Im Jahr 1976 endete in der Volksrepublik China die Mao-Zeit (1949-1976) und damit
auch die Kulturdiktatur sowie die Kulturrevolution (1966-1976). 1978 wurde unter der
Fiihrung von Deng Xiaoping eine landesweite, tief greifende wirtschaftliche und politische Reform begonnen. Kultur, als eines der in der chinesischen Tradition wichtigsten Elemente des taglichen Lebens und der staatlichen Herrschaft, ist seitdem zeitcharakteristisch mit Wirtschaft und Globalisierung eng verbunden.
Der Reformprozess in China hat sich in zwei Phasen gegliedert. Die erste Phase
dauerte von 1978 bis 1992, die zweite setzte 1992 ein und dauert bis heute an.
Zunachst beinhaltete der Prozess die Vorbereitung auf die ab 1992 geplante Marktwirtschaft. In dieser Phase hat die Volksrepublik China eine Wiederbelegung der
vielfaltigen chinesischen Kultur und Tradition erlebt und gleichzeitig durch engen
wirtschaftlichen Kontakt mit westlichen Landem auch westliche Kulturen kennen
gelemt und teilweise auch akzeptiert.
Die Offnung Chinas zum Westen wurde in der ersten Phase durch zwei wichtige
MaBnahmen, jeweils im wirtschaftlichen und kulturellen Bereich, eingeleitet. Die eine
war die Zulassung der auslandischen Direktinvestitionen in China. Dazu wurde 1979
das erste Gesetz zu Gemeinschaftsuntemehmen - Gesetz des Equity Joint Ventures^ vom Nationalen Volkskongress Chinas verabschiedet. Dieses Gesetz fordert auslandische Untemehmen in Form betrieblicher Kooperationen mit einem chinesischen
Partner, in China zu investieren. Die zweite MaBnahme war die Fokussierung auf
Wissenschaft und Erziehung. Voraussetzung fiir diese MaBnahme war das von Deng
Xiaoping verkiindete Motto „Wissenschaft und Technik sind die erste Produktionskraft"^. Danach hat China das in der Kulturrevolution zerstorte Erziehungssystem von
der Grundschule bis zur Hochschule wieder aufgebaut. Die Aufnahmepriifting fiir den
Hochschulzugang und eine intemationalen MaBstaben entsprechende Hochschulordnung wurde wieder eingefiihrt. Zeitgleich wurden Tausende von Wissenschaftlem
'
^
Nationaler Volkskongress Chinas (2001), S. 28-41
Deng(1978),S. 86-87
2
Kapitel 1: Einleitung
und Studierenden nach Amerika und Europa geschickt, um dort vor allem modeme
Wirtschafts- und Managementtheorien zu lemen. Als Teil des Lemens des westlichen
Know-hows wurde der Begriff Untemehmenskultur seit Anfang der 80er Jahre des 20.
Jahrhunderts von den USA und Japan in China ubemommen. Bis heute ist er immer
noch in Mode. So wird es als modem angesehen, wenn ein Untemehmen eine eigene
„Corporate Identity" zeigen kann oder wenn ein Untemehmensmanager einen MBA
(Master of Business and Administration) -Titel fiihrt. Durch staatlich geforderte Schulungsprogramme in westlichen Untemehmensfuhrungstheorien geschulte chinesische
Fuhrungskrafte treffen in der Praxis aber immer wieder auf ein traditionelles Verstandnis chinesischer Untemehmenskultur.
Die Verbreitung des Einflusses der westlichen Kulturen erreichte einen Hohepunkt
kurz vor der Studentenbewegung im Sommer 1989. Nach der Unterdriickung der
Bewegung mit blutiger Gewalt auf dem Tiananmen-Platz kam die Kommunistische
Partei zu der offiziellen Auffassung, dass die Verbreitung der westlichen Kultur die
Tiananmen-Krise vemrsacht habe.^ Die Partei glaubte, dass der Einfluss westlicher
Kultur auf die junge Generation in China eine der Hauptursachen der Studentenbewegung war. Westlicher Kultureinfluss dieser Art wurde derzeit in China offiziell
als „kapitalistische geistige Verschmutzung""^ gekennzeichnet. Gleich nach der Studentenbewegung setzte von 1989 bis 1992 in alien staatlichen Institutionen und Unternehmen eine Bekampfung dieser kulturellen Tendenzen ein. Die chinesischen Kooperationspartner in deutsch-chinesischen Jointventures wurden durch ihre zustandige
Regiemngsbehorde dabei in die Pflicht genommen, die traditionelle chinesische Kultur
und ihre Elemente starker in den Jointventures einzusetzen bzw. zur Wirkung zu
bringen.^
Erst seit 1992 hat sich die Situation zunehmend entspannt. Zu dieser kurzen, aber
wichtigen Phase der jiingeren chinesischen Geschichte miissen an dieser Stelle zwei
Bemerkungen gemacht werden. Zum einen zeigt es sich, dass die junge Generation in
China westliche Kultur hoch schatzt, von ihr lemen und sie ausprobieren mochte.
Dieses gilt besonders auch fur die jungen Mitarbeiter in deutsch-chinesischen
^
Vgl. Deng (1989), S. 302-308; vgl. Zhang/Link/Nathan (2001), S. 651-676
^
Abteilung ftir historische Literatur des Zentralkomitee der KPCh (2004), S. 1273, Ubersetzung des
Verfassers
Vgl. Wu (2004)
4
3
Kultureller, politischer und wirtschaftlicher Hintergrund
Jointventures. Zum Zweiten kann man durch eine Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung und der kulturellen Situation in dem dreijahrigen Zeitraum im Vergleich zu
der Zeit davor und danach deutlich sehen, dass die wirtschaftliche Entwicklung und
die kulturelle Situation miteinander eng verbunden sind. Das Wirtschaftswachstum
Chinas sank auf 4,1% im Jahre 1989 und weiter auf nur noch 3,8% im Jahr 1990. Im
Vergleich dazu waren es im Jahr 1988 11,3%, 1991 9,2% und 1992 14,2%.
Die zweite Phase der chinesischen Reform begann im Jahr 1992. Kempunkt dieser
Phase ist die Transformation der sozialistischen Planwirtschaft in die sozialistische
Marktwirtschaft. In dieser Phase sollten sich die staatlichen Untemehmen von der
Planwirtschaft befreien, um ihre Wettbewerbsfahigkeit gegeniiber auslandischen
Konkurrenten in der globalisierten Wirtschaft zu verbessem. Dadurch hat sich die
chinesische Wirtschaft schnell entwickelt. Das Wachstum in den Jahren 2003 und
2004 iiberstieg sowohl die Werte des laufenden Fun^ahresplans (2001-2005, jeweils
1%) als auch die der unterjahrig angepassten Ziele der Regierung (8%). Die jahrliche
Wachstumsrate des BIP Chinas im Zeitraum von 1995 bis 2005 stellt die folgende
Abbildung dar.
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
Abbildung 1-1: Jahrliche Wachstumsrate des BIP Chinas (1995-2005)^
Zu den MaBnahmen der zweiten Phase gehorten beispielsweise der Aufbau von
sozialen Versicherungssystemen, die Liberalisierung des Arbeitsmarktes, die Privatisierung der klein- und mittelstandischen staatlichen Untemehmen und Privilegien far
chinesisch-auslandische Jointventures. Bin wichtiges Ergebnis dieser Phase ist der
Quelle: Staatliches Statistikamt Chinas (2005)
4
Kapitel 1: Einleitung
WTO-Beitritt Chinas im Jahr 2000. Vorher hat China insbesondere in der Zeit von
1992 bis 1998 zunehmend auslandische Direktinvestitionen angelockt (Tabelle 1-1).
Jahr
1989
Prqjekte
5,779
Jahreswert
(Mio. US$)
Kumulierter Wert
(Mio. US$)
3,39
15,49
1990
7,273
3,49
18,98
1991
12,978
48,764
4,37
11,01
27,52
23,35
1992
1993
1994
83,437
47,549
33,77
34,35
61,87
95,64
133,16
1995
37,011
37,52
1996
24,556
41,73
174,88
1997
21,001
45,26
220,14
1998
19,799
45,46
265,60
1999
16,918
40,32
305,92
2000
22,347
40,72
346,64
2001
2002
2003
2004
26,140
34,171
41,081
43,664
46,88
52,74
53,51
60,63
393,51
446,26
499,77
2005
44,001
60,33
620,73
560,40
Tabelle 1-1: Die realisierten auslandischen Direktinvestitionen in China^
Die wirtschaftlichen Reformen dieser Phase haben die deutsch-chinesischen Jointventures ebenfalls beeinflusst. Zum einen miissen die Jointventures wegen der erhohten
Wettbewerbsfahigkeit der staatlichen Untemehmen neue Wege finden, um in der
verstarkten Konkurrenz bestehen zu konnen. Die Teilnahme an den Kulturveranstaltungen im engeren Sinne und ihre Unterstutzung sind geeignete MaBnahmen, wie viele
der deutsch-chinesischen Untemehmen bestatigt haben. Zum Zweiten hat der Einfluss
der amerikanischen Kultur im Zuge der Globalisierung zugenommen. Aus der Tatsache, dass die USA nach wie vor wichtigster auslandischer Wirtschaftspartner Chinas
sind, resultiert eine zunehmende Durchdringung der stadtischindustriellen BevolkeQuelle: Handelsministerium Chinas (2005)
Kultureller, politischer und wirtschaftlicher Hintergrund
rung mit der englischen Sprache. Englisch ist die wichtigste, aber auch die beliebteste
Fremdsprache in China. Dieses fuhrt zu einer steigenden Nachfrage nach englischsprachigen Medien, vor allem aus den USA. Zum Dritten erfahrt vieles aus der alten
chinesischen Tradition und Kultur eine neue Nutzung im Zuge der Globalisierung. So
wird Material aus uralten konflizianischen Lehrbiichem wieder in Schule und Hochschule eingesetzt.
1.2
Deutsch-chinesische wirtschaftliche Beziehungen
Das wirtschaftliche Engagement deutscher Untemehmen in China kann auf eine Geschichte von etwa 130 Jahren zuriick blicken. Die wichtigsten Aktivitaten waren zum
Beispiel:
- 1871 lieferte Krupp 3.000 Kanonen nach China.
- 1872 installierte Siemens den ersten Zeiger-Telegraphen in China.
- 1874 wurde die erste Lokomotive in China von Thyssen geliefert.
- 1904 baute Siemens die erste strombetriebene StraBenbahn in China, die 20
km/h schnell war und in der Innenstadt Pekings betrieben wurde.
- 1926 eroffnete die Lufthansa die Fluglinie Deutschland-China. Der Einfachflug dauerte ca. sechs Wochen mit zehn Zwischenstopps.
- 1930 grundete Siemens die erste Tochterfirma in Shanghai. Mit rund 300 Mitarbeitem war sie die groBte Auslandstochterfirma des Konzems.
Nach der Griindung der Volksrepublik China eroffnete die chinesische Regierung im
Jahr 1950 in Bern die erste Botschaft in Europa. Dadurch konnten die Firmen Thyssen
und Krupp ziigig wieder an ihre Verbindungen mit China anknupfen. Seit 1957 besuchen die beiden Firmen fast jedes Jahr die Internationale Messe in Kanton jeweils im
April und im Oktober.
Im September 1957 wurde das erste wirtschaftliche Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China in Peking abgeschlossen,^ ohne
dass schon eine offizielle diplomatische Beziehung bestand. Daraufhin hat China
Jiang (1999)
5
6
Kapitel 1: Einleitung
hauptsachlich Stahl, Waggons und Lokomotiven aus Deutschland importiert. 1966
lieferten die Henschel-Werke vier Lokomotiven nach China.
Im Oktober 1972 haben die zwei Lander offiziell diplomatische Beziehungen aufgenommen.^ Die ersten Auftrage danach waren weitere 14 Lokomotiven der HenschelWerke. Im Jahr 1975 wurden 15 grol3e deutsche Untemehmen beauftragt in der ostlichen Binnenhafenstadt Wuhan ein altes Stahluntemehmen auszubauen.
Im Jahr 1978 veroffentlichte die chinesische Regierung einen Modemisierungsplan,
der Ausriistungen im Wesentlichen fiir Konzeme in den Bereichen Stahl, Erdol, Automobil usw. umfasst. 1979 hat China diesen Plan wieder aufgegeben, well nicht nur die
Infrastruktur im Land noch mangelhaft war, sondem auch, weil modeme Manager und
qualifizierte Arbeiter fehlten. Vielmehr kam die chinesische Regierung zu der Uberzeugung, dass die Modemisierung der chinesischen Industrie am besten im Rahmen
auslandischer Investments in China und durch die Forderung eines Know-howTransfers erreicht werden konnte. Aus dieser Uberlegung heraus wurden chinesischauslandische Jointventures seit 1979 gesetzlich erlaubt.^^
Gleich danach, im Oktober 1980, hat die Siemens AG das erste deutsch-chinesische
Jointventure in Shanghai gegriindet. 1981 hat die Wella AG die „mutige Entscheidung"^^ getroffen, in China auch ein Jointventure zu betreiben. Der Erfolg bestatigte
diese Entscheidung: Wella wurde als erste auslandische Marke fur Kosmetik und
Haarpflege landesweit in China bekannt und gehort auch heute noch zu den Marktfiihrem.
Nach wirtschaftlichen Statistiken ist Deutschland flir China seit den 90er Jahren des 20.
Jahrhunderts der wichtigste Handelspartner in der EU. Weltweit steht Deutschland an
Platz 6 der chinesischen Handelspartner. Rechnet man Hongkong und Taiwan heraus,
ist Deutschland auf Platz 4 nach Japan, den USA und Stidkorea. Fur Deutschland ist
China der wichtigste Handelspartner in Asien - vor Japan. Weltweit steht China an
Platz 10 der deutschen Handelspartner. Aufierhalb der EU liegt China fur Deutschland
nach den USA und der Schweiz an Platz 3. Die deutsche Industrie hat sich seit 1980
^^
^^
AuBenministerium Chinas (2005)
Nationaler Volkskongress Chinas (2001), S. 28-41
Deutsche Welle (2002)
7
Deutsch-chinesische wirtschaftliche Beziehungen
wieder verstarkt in China engagiert. Bis Februar 2004 haben 3.578 deutsche Unternehmen direkt in China in Jointventures und hundertprozentige Tochteruntemehmen
investiert.^^ Die deutschen Investitionen (Tabelle 1-2) spielen in China eine wichtige
Rolle.
Jahr(e)
Genehmigte
Projekte
Vereinbarte
Investitionen
(Mio. US$)
Realisierte
Investitionen
(Mio. US$)
1978-1993
578
1,519
546
Kumulierter
Bestand
(Mio. US$)
546
1994
314
1,233
259
805
1995
355
1,659
386
1,191
1996
1997
256
1,000
510
1,701
221
1,008
2,709
1998
1999
207
194
628
2,374
3,696
1,025
987
1347
2000
290
2,978
1,251
5,043
6,294
2001
275
1,171
1,261
7,555
2002
272
9,15
928
8,483
2003
451
1,390
860
9,343
2004
608
2,280
1,060
10,403
Tabelle 1-2: Deutsche Direktinvestitionen in China
1.3
Deutsch-chinesische kulturelle Beziehungen
Fiir eine Untersuchung iiber Kultur auf der Ebene der deutsch-chinesischen Jointventures spielen die kulturellen Beziehungen und der Kulturaustausch zwischen Deutschland und der Volksrepublik China eine wichtige Rolle. Viele in der Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures beobachtbare Phanomene resultieren daraus.
Bin Uberblick iiber die bilateralen Kulturbeziehungen und den Kulturaustausch, insbesondere im Bereich Musik, Film und Literatur, steUt Folgendes dar:
Mei (2004)
Quelle: Handelsministerium Chinas (2005)
8
Kapitel 1: Einleitung
Wahrend die Bundesrepublik Deutschland erst 1972 diplomatische Beziehungen zu
China aufnahm, vollzog die DDR diesen Schritt gleich nach der Grundung der Volksrepublik China im Jahr 1949. Allerdings hat der Kulturaustausch zwischen China und
der DDR die heutige Situation nur wenig gepragt, da dieser Austausch sich einerseits
im Wesentlichen auf die „sozialistische Kultur" beschrankte und andererseits durch die
chinesische Kulturrevolution von 1966 bis 1976 wie fast jeder intemationaler Kulturaustausch zum Erliegen kam.^"^
Die GroBe Proletarische Kulturrevolution wurde 1966 von Mao eingeleitet. Angriffsziele dieser politisch-ideologischen Kampagne waren die „Vier Alten": alte Brauche,
alte Gewohnheiten, alte Kultur und alte Denkmuster, daruber hinaus auch alle westlichen kapitalistischen Kulturen. In der zehnjahrigen Kulturrevolution gab es offiziell
nur sieben Theater. Nur einige wenige Lieder, Musikstiicke und Filme standen dem
Publikum in ganz China zur Verfugung. Durch dieses Kulturvakuum waren die westlichen Kulturen, die parallel mit der Offnung Chinas zum Westen nach China kamen,
besonders willkommen.
Die offiziellen kulturellen Kontakte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
China wurden parallel zu der von Deng Xiaoping eingeleiteten Wirtschaflsreform
aufgenommen. Im Oktober 1979 wurde beim Staatsbesuch des damaligen chinesischen
Ministerprasidenten Hua Guofeng das Abkommen zwischen der Regierung
Bundesrepublik Deutschland
der
und der Regierung der Volksrepublik China fiber
kulturelle Zusammenarbeit^^ unterzeichnet. Dieses Abkommen umfasst die Bereiche
Musik, Kunst, Medien, Literatur, Bildungswesen, Sprachforderung, Sport usw. Unter
diesen Rahmenbedingungen sind verschiedene Austauschprogramme jeweils in
Deutschland und China durchgefuhrt worden.
In Deutschland haben es sich vor allem das Haus der Kulturen der Welt und der
DAAD, aber auch andere Gesellschaften, Stiftungen und Vereine zur Aufgabe
gemacht chinesische Kultur nach Deutschland zu vermitteln. Seit Mitte der 90er Jahre
des 20. Jahrhunderts werden auch chinesische Kunst- und Kulturfestivals in deutschen
GroBstadten veranstaltet. So prasentierten sich zum Beispiel in Berlin beim „China
'"^
Vgl. Wobst (2004), S. 26-41
AuBenministerium Chinas (2005)
Deutsch-chinesische kulturelle Beziehungen
Fest"^^ im Jahr 2001 etwa 500 chinesische Musiker und Kunstler in 30 Veranstaltungen und Ausstellungen. Dabei wurden vor allem traditionelle chinesische Musik,
Theater und Malerei gezeigt.
Inzwischen haben auch chinesische Spielfilme nach Pramierungen auf intemationalen
Filmfestspielen, z. B. in Berlin, Cannes, Venedig usw., den Weg in die Kinos und das
Femsehen in Deutschland gefiinden. Allerdings vermitteln viele dieser Filme nicht ein
Bild der aktuellen Situation in China, sondem eher das „eines virtuellen Chinas aus
westlicher Sicht"^'^, obwohl die Filme von chinesischen Regisseuren gedreht wurden.
Beispiele dafiir sindRedSorghurn^, Judou^^ und The Story ofQiuju'^.
Nach Angaben des deutschen Buchinformationszentrums (BIZ) Peking wurde seit den
90er Jahren des 20. Jahrhunderts zwar zunehmend chinesische Literatur ins Deutsche
iibersetzt, die Menge ist aber im Vergleich zu den jahrlich 80-100 Tausend Neuerscheinungen in Deutschland sehr gering. So erscheinen zurzeit weniger als zehn
literarische Titel pro Jahr. ^' Das literaturinteressierte deutsche Publikum ist bei
Btichem aus China auf Ubersetzungen vor allem aus dem englischsprachigen Raum
angewiesen.
Deutschland genieBt in China einen besonderen Ruf als Kulturland, insbesondere
wegen seiner Tradition in klassischer Musik, Literatur und Philosophic. Zeitgleich
zum Besuch des Ministerprasidenten Chinas in Deutschland im Oktober 1979 besuchten die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Herbert von Karajan Peking.
Das Konzert wurde in einer Sporthalle veranstaltet, da es damals in Peking keine groBe
Konzerthalle gab. Im November 2005 besuchten die Berliner Philharmoniker China
emeut. Sie spielten im Rahmen des Eroffnungsprogramms in der mit 2.000 Platzen
neu gebauten Konzerthalle im Shanghai Oriental Art Centre. Die chinesische Presse
16
17
18
19
20
21
Vgl. China Fest Berlin (2001)
Wang (2004), Ubersetzung des Verfassers
„Goldener Bar" der 38. Intemationalen Filmspiele Berlin in 1988
„Luis Bunuel Sonderpreis" der 43. Intemationalen Filmfestspiele Cannes in 1990
„Goldener Lowe" der 49. Intemationalen Filmfestspiele Venedig in 1992
Schatzung des Borsenvereins des deutschen Buchhandels 2003 (telefonische Auskunft)
9
10
Kapitell: Einleitung
berichtete vorher dariiber, dass „damit China die Blamage von vor 26 Jahren endlich
korrigieren kann"^^.
Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde der Film Einmal wird die Sonne
wieder scheinen^^ mit dem damaligen deutschen Kinder- und Schlagerstar Heintje in
der Hauptrolle in alien chinesischen Stadten jahrelang als einziger deutscher Film im
Kino und im Femsehen vorgefiihrt. Als der erste in der Volksrepublik China offiziell
gezeigte Spielfilm aus der Bundesrepublik Deutschland hat dieser Film die chinesischen 60er und 70er Generationen tief beeindruckt und lange Zeit deren Deutschlandbild gepragt.
In China bemuhen sich in erster Linie die deutsche Botschaft, der DAAD und das
Goethe-Institut in Kooperation mit staatlichen chinesischen Institutionen und Kulturbetrieben durch regelmaBige Programme deutsche Filme und Literatur in China zu
vermitteln. So erfahrt das chinesische Publikum in Peking, Shanghai und anderen
GroBstadten oft zuerst durch Vorschauen, die von einem dieser drei organisiert werden,
von Filmen, wie z. B. Lola rennt'^^ oder Der Campus'^^. Nach dem Gewinn des
Literatur-Nobelpreises von Giinter Grass im Jahr 1999 waren seine Werke und der
Film Die Blechtrommef'^fiirein halbes Jahr Gesprachsthema in China. Dennoch hat
der deutsche Film in China genau wie der chinesische Film in Deutschland im
Vergleich zu amerikanischen oder franzosischen Filmen wenig Einfluss.
Daneben organisieren viele rein chinesische Kulturbetriebe mit der Unterstiitzung von
deutschen Organisationen deutsche Kulturveranstaltungen in China. Offizielle Kulturvermittler, wie z. B. der deutsche Kulturattache und seine Mitarbeiter, die bei
Kontaktaufnahme, Ubersetzung und Sponsoring helfen konnen, gibt es nur wenige.
Nach einer Forschung des Instituts fur Auslandsbeziehungen (ifa) betrug diese Zahl im
Jahr 2001 in ganz China nur rund 40^^. Deswegen tibemehmen die entsprechenden
Aufgaben aus wirtschaftlichen Uberlegungen oder auch in Absprache mit lokalen
22
23
24
25
26
27
Wu (2004), Ubersetzung des Verfassers
Regie: Hans Heinrich, Drehjahr: 1969/1970
Regie: Tom Tykwer, Drehjahr: 1998
Regie: Sonke Wortmann, Drehjahr: 1998
Regie: Volker Schlondorff, Drehjahr: 1978
Zeeck (2002), S. 8
Deutsch-chinesische kulturelle Beziehungen
Behorden oft deutsche Untemehmen in China. Dartiber wird in den folgenden Kapiteln
vertiefend berichtet.
Aus der ganzen Breite und Tiefe der bilateralen kulturellen Beziehungen ist vor allem
Folgendes fur die Untemehmenskultur in deutsch-chinesischen Jointventures von Bedeutung:
-
China und Deutschland schatzen sich gegenseitig als Kultumation.
Schwerpunkt des bilateralen Kulturaustauschs ist der Bereich der klassischen
und traditionellen Kulturelemente.
- Der Einfluss des chinesischen Films und der chinesischen Literatur in
Deutschland und der Einfluss des deutschen Films sowie deutscher Literatur
und Pop-Musik in China sind im Vergleich zum Einfluss amerikanischer
Filme bzw. angloamerikanischer Literatur und Pop-Musik deutlich schwacher.
- In China vermitteln nicht nur deutsche Organisationen in Kooperation mit
chinesischen Regierungsbehorden die deutsche Kultur nach China, sondem
auch viele deutsche Untemehmen.
1.4
Fragestellung und Zielsetzung
Die zunehmend engere wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und
China wirfl eine Vielzahl Fragen aus kulturanthropologischer Sicht auf, wie z. B.:
- Welche kulturellen Grundziige kennzeichnen die Untemehmenskultur in
deutsch-chinesischen Jointventures?
- Was sind die kulturellen Unterschiede zwischen einer rein deutschen oder rein
chinesischen Untemehmenskultur und der von deutsch-chinesischen Jointventures?
- Wie wirken die deutsche und die chinesische Kultur miteinander in einem
Untemehmen?
- Wie funktioniert westliches Management unter dem Einfluss chinesischer
Tradition und Kultur?
11
12
Kapitel 1: Einleitung
Wahrend zur Bedeutung chinesischer Untemehmenskultur in rein chinesischen Unternehmen bereits wissenschaftliche Untersuchungen durchgefuhrt wurden, gibt es
Studien iiber deutsch-chinesische Jointventures nur fur iibergreifende Themen wie z. B.
deutsch-chinesische interkulturelle Kommunikation aus dem psychologischen Bereich
Oder wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen des Jointventures aus dem
betriebswirtschaftlichen Bereich. Ergebnisse dieser Forschungen konnen die oben
gestellten Fragen nur zum Teil beantworten, da die Fragen sich nicht direkt auf den
betriebswirtschaftlichen oder psychologischen Bereich beziehen, sondem auf tiefer
liegende Kulturwurzeln zielen. Nur Untersuchungen aus kulturwissenschaftlicher und
kulturgeschichtlicher Sicht konnen die komplexen kulturellen Grundlagen und ihre
Funktionen in deutsch-chinesischen Jointventures klaren.
Tief greifende Analysen iiber den stabilisierenden Einfluss der chinesischen Kulturtradition, insbesondere die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne wie zum
Beispiel Musik, Theater, Film, Malerei, Literatur usw., und deren Veranderung durch
Offnung zu westlichen Denkweisen auf die Untemehmenskultur deutsch-chinesischer
Jointventures liegen bis heute auch nicht vor.
Aus der Sicht der Kulturwissenschaft und Kulturanthropologie ist die Frage zu klaren,
ob und wie die Kulturfaktoren im engeren Sinne auch eine wichtige Rolle in der
Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures spielen. Diese Thematik ist
weltweit in den Untersuchungen iiber Untemehmenskultur bisher noch nicht beobachtet und untersucht worden und soil in dieser Arbeit behandelt werden. Diese Arbeit
nutzt den Zugangspunkt, dass China und Deutschland jeweils eigene Kulturtraditionen
haben und die Kulturfaktoren im engeren Sinne eine wichtige Rolle in der jeweiligen
Kultur und Untemehmenskultur spielen.
Im Weiteren gilt es zu beachten, dass China seit Anfang der 80er Jahre des 20.
Jahrhunderts im Zuge der von Deng Xiaoping vertretenen Politik der Offnung einem
starken intemationalen kulturellen Einfluss ausgesetzt war. So haben z. B. die japanische Untemehmenskultur wegen ihrer Nahe zur chinesischen Kultur und die amerikanische Kultur auf Gmnd ihrer starken weltweiten Prasenz groBen Einfluss auf die
modeme chinesische Kultur und Untemehmenskultur. Deshalb ist es ebenfalls wichtig
der Frage wissenschaftlich nachzugehen, ob, in welchem MaBe und mit welcher Wirk-
Fragestellung und Zielsetzung
samkeit kulturelle Einfliisse von dritter Seite auf deutsch-chinesische Jointventures
wirken.
Von den klassischen Theorien der Untemehmenskultur sowie der Kulturanthropologie
ausgehend, wird diese Arbeit durch empirische Untersuchungen in ausgewahlten
deutsch-chinesischen Jointventures sowie weiterhin durch Datenerhebung und -analyse
die folgenden grundsatzlichen Ziele erreichen:
1. Zusammenfassende Beschreibung des Prozesses der Griindung und Entwicklung sowie des Wandels der Untemehmenskultur in deutsch-chinesischen
Jointventures
2. Beschreibung der Kulturelemente in typischen deutsch-chinesischen Jointventures, die sich in einer chinesischen Umgebung befmden, und Zusammenfassung ihrer Eigenschaften mit Berucksichtigung der jeweiligen Kulturtradition.
3. Beschreibung, Definition und Analyse der Funktion der Kulturfaktoren im
engeren Sinne (Musik, Malerei, Film, Literatur usw.) in der Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures.
4. Beschreibung und Analyse der Wirkung der Einfliisse von dritter Seite auf die
Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures.
5. Analyse der moglichen Konsequenzen und Aufzeigen von Handlungsoptionen
aus kulturanthropologischer und betriebswirtschaftlicher Sicht fiir Management
und Zusammenarbeit in deutsch-chinesischen Jointventures.
1.5
Grundlegende Thesen
Diese Arbeit will im Folgenden die o. a. bisher nicht untersuchten Fragen durch
wissenschaftliche Untersuchung der folgenden Hypothesen beantworten:
1. Die Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures unterscheidet sich
merklich von der Untemehmenskultur der jeweiligen nationalen Untemehmen
mit ihren besonderen Eigenschaften.
13
14
Kapitel 1: Einleitung
2. Die Kulturfaktoren im engeren Sinne wie z. B. Musik, Malerei, Film, Literatur
usw. spielen eine wichtige Rolle in der Untemehmenskultur deutschchinesischer Jointventures.
3. Die Kultur in den deutsch-chinesischen Jointventures ist eine Mischung aus drei
Einflussbereichen: Die deutsche und die chinesische Kultur sowie der Einfluss
der Intemationalisierung, insbesondere aus der US-amerikanischen Kultur.
4. In deutsch-chinesischen Jointventures wirken die Kulturfaktoren im engeren
Sinne mit den wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Faktoren
zusammen.
Diese grundlegenden Thesen der Arbeit werden im Detail im Folgenden vertiefend
betrachtet.
1.5.1 Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures
FUr die typische Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures gibt es bisher
keine wissenschaftliche Definition und Eigenschaftsbeschreibung, obwohl sie von
Wissenschaftlem aus psychologischer, wirtschaftlicher oder Managementsicht erforscht wurde.^^ Aus den folgenden Griinden unterscheidet sich die Untemehmenskultur
deutsch-chinesischer Jointventures von den Untemehmenskulturen der jeweiligen
nationalen Untemehmen oder von einem Gemeinschaftsuntemehmen Deutscher mit
dritten Partnem deutlich:
1. Diese Untemehmenskultur wird von zwei unterschiedlichen Volksgmppen mit
total unterschiedlicher Kulturtradition gepragt. Die Kulturfaktoren im engeren
Sinne spielen eine wichtige Rolle in beiden Traditionen, die deutschen und
chinesischen Mitarbeiter bringen diese Kulturfaktoren auch in die Untemehmenskultur ein.
2. Obwohl diese zwei Volksgmppen enge gesellschaftliche und wirtschaftliche
Beziehungen haben und unter einem Dach zusammenarbeiten, sehen sie sich
nach ihren eigenen Kulturvorstellungen aber weit auseinander. In den Gemeinr
28
Vgl.Trommsdorff/Wilpert(1991); vgl. Tomas (1996); vgl. Duerkop (1996); vgl. Meng (2003);
vgl. Guan (2004)
Grundlegende Thesen
15
schaftsuntemehmen mochten sie intuitiv die eigene nationale Kultur weiter
aufrechterhalten.
3. Dariiber hinaus wird der Managementstil des Untemehmens sowie die Denkund Verhaltensweisen der Mitarbeiter von ihren jeweiligen Kulturtraditionen
gepragt. Bei Problemlosungen oder der Untemehmensstrategie zeigt sich diese
Pragung deutlich.
Wichtige Voraussetzung fiir den Untemehmenserfolg deutsch-chinesischer Jointventures ist demzufolge die Entwicklung und Verwirklichung einer Untemehmenskultur,
die eine jeweils eigenstandige Mischung aus chinesischen, deutschen und intemationalen Elementen darstellt. Diese Mischung muss von alien Mitarbeitem mit ihrem
jeweiligen nationalen kulturellen Hintergrund mitgetragen und gelebt werden konnen.
1.5.2 Kulturfaktoren im engeren Sinne in isolierter Phase
In der chinesischen Geschichte spielen die Faktoren des Kulturbegriffs im engeren
Sinne - Musik, Malerei, Theater, Literatur usw. als klassische sowie Film, Femsehen,
Karaoke usw. als modemere Formen - eine wichtige Rolle fiir Chinesen bei der
Annaherung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und auch bei der Beurteilung und Annahme einer fremden Kultur. In deutsch-chinesischen Jointventures
fimktionieren diese Kulturfaktoren zunachst als Zugangspunkte fiir die Beurteilung
gegenseitiger nationaler Kultur und die Bereitschaft gegenseitiger kultureller Anpassung. Im Weiteren wirken sie als Ausgangspunkte fiir die Zusammenfiihrung und die
Uberwindung von Vorurteilen zwischen den Untemehmen und der gesellschaftlichen
und politischen Umgebung sowie zwischen deutschen und chinesischen Kollegen,
Mitarbeiter und Vorgesetzten.
1.5.3 Kultureller Einfluss der Globalisierung
Seit dem Opiumkrieg im Jahr 1840 bis Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts war
China nach aufien weitgehend abgeschottet. Aber das bedeutete nicht, dass die
chinesische Kultur und die Chinesen fremde Kulturen ablehnten. Das Gegenteil ist der
16
Kapitell: Einleitung
Fall. In der Geschichte hat China seit der Han-Dynastie (206 v. Chr.-220 n. Chr.)
mehrfach kulturelle Integrationen erlebt. Die heutige chinesische Kultur ist in der Tat
eine Mischung von urspriinglicher chinesischer Kultur und vielen ehemals fremden
Kulturen.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat China einen Kulturbruch erlebt. Die konftizianischen Lehren in ihrer Ganzheit gelten heute fast nur noch fur die altere Generation.
Der Kommunismus maoistischer Pragung wandelte sich so weit, dass sogar die Kommunistische Partei von „Sozialismus chinesischer Pragung"^^ spricht. Dieser Sozialismus chinesischer Pragung ist okonomisch orientiert und der Globalisierung sowie
westlichen Einflussen gegenuber aufgeschlossen. Insbesondere fiir die jungen
Menschen heute, die z. B. in den deutsch-chinesischen Untemehmen arbeiten, ist ihre
ideologische Grundlage eine instabile Mischung aus uralten Traditionen, Ahnenverehrung, konfuzianischer Moral, Sozialismus und Elementen aus der Globalisierung
gepaart mit einer gewissen Ellenbogenmentalitat.
Auf dieser Basis ist die Kultur in den deutsch-chinesischen Jointventures eine
Mischung aus drei Quellen: der deutschen und der chinesischen Kultur sowie dem
Einfluss der Intemationalisierung und Globalisierung, wobei aus Sicht der konfuzianischen Tradition insbesondere viele Einfliisse aus der US-amerikanischen Kultur eher
negative Auswirkungen zeigen.
1.5.4 Kulturfaktoren in uhergeordneten Zusammenhdngen
Neben den klassischen Elementen einer Untemehmenskultur, wie z. B. Normen und
Standards oder Symbolsystemen, wirken in deutsch-chinesischen Jointventures tibergreifende Elemente wie gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Einfliisse
sowie Kulturfaktoren. Diesen Kulturfaktoren kommt eine Sonderrolle zu, zum einen
weil das Zusammenwirken von Geschaft und Kultur in China Tradition hat. Dem
konnen und wollen sich die deutsch-chinesischen Jointventures nicht zuletzt aus
wirtschaftlichen Griinden nicht entziehen. Zum anderen konnen die wenigen offiziellen Kulturvermittler den Bedarf nicht decken. Diese Kulturfaktoren haben nicht nur
^^
Jiang (1997)
Grundlegende Thesen
17
die Mitarbeiter, sondem auch die betrieblichen Aktivitaten der Jointventures stark
beeinflusst.
1.6
Aufbau der Arbeit
Die Arbeit ist in sechs Kapitel unterteilt. In Kapitel 1 werden in einer Einleitung
zunachst historische Hintergrunde im Bereich der Kultur, Politik und Wirtschaft
aufgezeigt. Daruber hinaus werden die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen
zwischen Deutschland und China iiberblicksartig dargestellt. Auf dieser Basis legt die
Arbeit dann vier grundlegende Thesen rund um die Rolle der Kulturfaktoren im
engeren Sinne fiir deutsch-chinesische Jointventures vor.
In Kapitel 2 baut die Arbeit die theoretischen Grundlagen mit drei Teilkapiteln auf.
Zum Ersten definiert und grenzt die Arbeit verschiedene Begriffe im Bereich von
Kultur bis Untemehmenskultur jeweils aus westlicher und chinesischer Sicht ab.
Daruber hinaus werden der Kulturbegriff und seine Rahmenbedingungen innerhalb
dieser Arbeit vertieft. Dazu stellt sie in Details noch die Beziehungen zwischen Kultur,
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik und dem Kulturwandel in China dar. Zum
Zweiten werden die bedeutenden Ergebnisse der bisherigen empirischen Forschungen
im Bezug auf interkulturelles Handeln und insbesondere auf China beschrieben. Zum
Dritten analysiert die Arbeit auf dieser Basis und aus der Sicht der Kulturwissenschaft
und Kulturanthropologie sowie im Vergleich zu der aktuellen Situation deutschchinesischer Jointventures in China die o. a. Ergebnisse mit kritischen Bemerkungen.
Dadurch wird gezeigt, dass die Thesen der vorliegenden Arbeit und viele Fragen dazu
wissenschaftlich noch nicht erforscht und beantwortet wurden. So bilden die Beantwortungen zumindest einiger dieser Fragen sowie die Verifizierung der o. a. Thesen
den Schwerpunkt dieser Arbeit.
In Kapitel 3 legt die Arbeit zwei zentrale Fragen zur Untersuchung jeweils iiber die
Existenz und die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne in deutsch-chinesischen
Jointventures vor. Auf eine Darstellung wissenschaftlicher methodischer Grundlagen
folgt die Begriindung fur die Auswahl der Methoden, der Jointventures und der Zielgruppen in der Untersuchung. Im Weiteren werden alle ausgewahlten Methoden mit
18
Kapitell: Einleitung
konstruierten Fragen und Interview- sowie Gesprachsthemen ausfuhrlich dargestellt
und diskutiert.
Danach wird die Durchfuhrung der empirischen Untersuchung ausfuhrlich dargestellt.
Dabei diskutiert die Arbeit zuerst Uberlegungen zu Untersuchungszeit und -inhalt.
Dann stellt die Arbeit die sechs Orte, in denen die 26 deutsch-chinesischen Unternehmen untersucht werden, im Rahmen von Kultur, Geschichte, Wirtschaft, Politik
und Gesellschaft vor. AnschlieBend gibt die Arbeit einen zusammenfassenden Uberblick iiber die Untersuchungsprozesse.
AnschlieBend zeigt die Arbeit mit drei Kapiteln die Ergebnisse der empirischen Untersuchung. In Kapitel 4 fasst sie alle Ergebnisse, die durch Fragebogen, Interviews,
Gesprache und Beobachtungen gesammelt wurden, zusammen. Dabei wird bei jeder
Frage die Beantwortungsstatistik angegeben und bei jedem Thema der Interviews,
Gesprache und Beobachtungen die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst.
In Kapitel 5 wird zuerst die Kulturrevolution in China in den 60er und 70er Jahren des
20. Jahrhunderts kurz vorgestellt. Mit diesem historischen Riickblick konnen insbesondere westliche Leser die heutigen Funktionen der Kultur besser verstehen. Dann
legt die Arbeit auf der Basis von detaillierten Analysen und Diskussionen die funf
wichtigsten Ergebnisse iiber die RoUe der Kulturfaktoren im engeren Sinne vor. Dabei
werden die Funktionen von Musik, Theater, Film, Malerei, Literatur usw. als Quelle,
BrUcke, Instrumente, Forderung und Wege in der Untemehmenskultur deutschchinesischer Jointventures gekennzeichnet.
In Kapitel 6 zeigt die Arbeit vier weitere Untersuchungsergebnisse im allgemeinen
Bereich der Untemehmenskultur sowie im Zusammenhang mit der Intemationalisierung und Globalisierung auf. Diese sind zwar nicht direkt den Kulturfaktoren im
engeren Sinn zuzurechnen, aber als Erganzung zu den fiinf Hauptergebnissen im
Kapitel 5 und fiir den Erfolg und die strategische Entwicklung eines deutschchinesischen Untemehmens ebenfalls von Bedeutung.
2
Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
2.1
Kultur - Unternehmenskultur
Es ist zunachst notwendig zu klaren, was unter Kultur und
Unternehmenskultur
verstanden wird. Dazu wird ein allgemeiner Uberblick iiber die Entwicklung der
Definition von Kultur und Unternehmenskultur gegeben. AnschlieBend wird der Fokus
auf die Rolle und die Funktionen der Kulturfaktoren im engeren Sinne innerhalb
deutsch-chinesischer Jointventures gerichtet.
2.1.1 Die Kulturbegriffe in Europa im historischen Uberblick
Nach DUDEN ~ Deutsches Universalworterbuch^^ hat das deutsche Wort Kultur die
folgenden funf Bedeutungen:
Kultur, die; -, -en [lat. cultura = Landbau; Pflege (des Korpers u. Geistes),
zu: cultum, jKult]:
1. a) Gesamtheit der geistigen, kiinstlerischen, gestaltenden Leistungen
einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Hoherentwicklung; b)
Gesamtheit der von einer bestimmten Gemeinschaft auf einem
bestimmten Gebiet wahrend einer bestimmten Epoche geschaffenen,
charakteristischen geistigen, kiinstlerischen, gestaltenden Leistungen;
2. a) Verfeinerung, Kultiviertheit einer menschlichen Betatigung, AuBerung, Hervorbringung; b) Kultiviertheit einer Person;
3. a) das Kultivieren (urbar machen) des Bodens; b) das Kuhivieren (als
Kulturpflanze ziichten, anpflanzen, anbauen);
4. (Landw., Gartenbau, Forstw.) auf groBeren Flachen kuhivierte junge
Pflanzen;
5. (Biol., Med.) auf geeigneten Nahrboden in besonderen GefaBen geziichtete Mikroorganismen od. Gewebszellen;
Die nebeneinander existierenden unterschiedlichen Bedeutungen des deutschen
Wortes Kultur konnen als Ergebnis eines historischen Prozesses betrachtet werden.
^^
Duden (2003)
20
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Etymologisch lieB sich der deutsche Substantiv Kultur, dem lateinischen cultura
entlehnt, aus dem lateinischen Verb colere herleiten. Das Verb colere hat die folgenden Bedeutungen:^^
Colere, colo, coluT, cultum
1. (Land) bebauen, bestellen;
2. bewohnen; wohnen;
3. (ver)pflegen;
4. Sorge tragen, sorgen verehren;
5. (den Korper) pflegen, schmticken;
6. (geistig) pflegen, ausbilden;
7. uben, betreiben, wahren, hochhalten;
8. anbeten;
9. schatzen, (ver)ehren
10. (Opfer, Feste) feiem, begehen
In der 1., 3., 5. und 6. Bedeutung des lateinischen Verbs kann man die oben genannten
4. und 5. Bedeutungen des deutschen Wortes Kultur wieder erkennen. Von den 8. und
9. Bedeutungen des lateinischen Verbs bildete die deutsche Sprache eine eigene
Ableitung - das Wort Kult.
Im urspriinglichen Sinn beinhaltete das lateinische Substantiv cultura zunachst nur
agrarische Tatigkeiten, die Pflege und Bearbeitung des Bodens. Spater als der
Menschen begann, „seine Nahrung anzupflanzen und eine Gottheit zu verehren, deren
Anbetung er beispielsweise durch kultische Hohlenzeichnungen zum Ausdruck
brachte, verlieB er den Naturzustand und betrat den Raum der Kultur"^^.
Im ubertragenen Sinne erhielt der Begriff der Kultur bei den Romem seine neuen
Bedeutungen. In dieser Zeit wurde cultura zum einen als Anbau und Pflege im
agrarischen Sinne verstanden, zum anderen aber auch als tatige Verehrung, Bildung,
Fiirsorge interpretiert. So sprach Cicero (106-43 v. Chr.) von cultura animi, d. h. von
der Pflege und Veredelung der korperlichen und geistigen Anlagen des Menschen. Das
Wort Kultur wurde als Synonym fur ethisch-moralisch gute Sitten angesehen.
^^
^^
PONS (1992), S. 50
Hansen (2000), S. 14-15
Kultur - Unternehmenskultur
21
In frtihchristlich-mittelalterlicher Zeit hatte cultura auBer dem rein agrarischen Verstandnis aber ebenso die Bedeutung, „dass (dem) Gott als Schopfer aller Dinge die
Aufgabe des Ackermanns zukommt, der das Innere des Menschen im Sinne eines
Ackerlandes zu bestellen hat"^^ In diesem Zeitraum hat sich der Kulturaspekt des
Menschen von einem selbstbestimmten zu einen gottbestimmten entwickelt. „Eine
nicht religios gebundene, autonome Personlichkeitskultur passte nicht in die christliche
Lebensauffassung dieser Epoche/'^"^ So entstanden in der deutschen Sprache zu Beginn des 18. Jahrhunderts zuerst die Verbalformen kultiviert und kultivierten und bereiteten dem Wort Kultur den Weg.
Etwa um 1760 kam das Wort Kultur im deutschen Sprachschatz auf.^^ Wahrend der
Aufklamng im 18. Jahrhundert wurde das Wort Kultur zuerst zur Unterscheidung von
Mensch und Tier herangezogen. Der barbarische Naturzustand war also dem der
Kultur gegenubergestellt. Damit erhielt das Wort weiterhin ein pluralistisches Kulturverstandnis. Neben Giovanni Battista Vico (1668-1744) schenkten vor allem JeanJacques Rousseau (1712-1778), Voltaire (1694-1778) und Johann Gottfried von
Herder (1744-1803) dem geschichtlichen Aspekt bei der Betrachtung von Kulturen
Beachtung. Unter Kultur verstand man damals eine sich wandelnde, regende, ausformende und sich weiterentwickelnde Form von Gesellschaflen, Gemeinschaften,
Volkem und Nationen.^^ Somit wird dem Kulturbegriff „wiederum eine gesellschaftliche Bedeutungsdimension hinzugefugt, d. h. ohne wechselseitige Verpflichtung und
Rucksicht auf andere, ohne Takt, Geschmack, Anstand und Friedfertigkeit unter- und
miteinander kann es nach dieser Auffassung keine Kultur geben"^^.
Das Wort Zivilisation hat, wie das Wort Kultur, seine Wurzeln ebenfalls im Lateinischen. Aus dem lateinischen Substantiv civis und dem davon abgeleiteten Adjektiv
civilis entlehnte es das Deutsche. Dieses Wort kam etwa 1775 im deutschen Sprachschatz auf.^^ Der Ausdruck Zivilisation entstand ebenso wie Kultur „aus dem Bedurfnis der Aufklarungsepoche, eine durch Gesittung, Bildung, Kunst, Wissenschafl und
33
34
35
36
37
38
Dormayer/Kettem (1987), S. 51.
Pflaum(l967), S. 288
Ebenda, S. 294
Vgl Dormayer/Kettem (1987), S. 52
Klein (2005), S. 38
Vgl. Pflaum (1967), S.293ff.
22
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Mode veredelte Seinsweise durch einen Begriff zusammenzufassen, der den gehobenen, wertvolleren Zustand des Einzelmenschen wie der Gesellschaft im Unterschied
zum Naturzustand auszudrucken vermochte"^^.
Bedeutend fur die Entwicklung der Kulturbegriffe in Europa ist, dass spatestens seit
dem 17. Jahrhundert sich in einzelnen Landem unterschiedliche Schwerpunkte auspragten, die letztlich zu unterschiedlichen Bedeutungen fuhrten. Wahrend in England
und Frankreich die Worter culture und civilisation vermischt und oft als Synonym
gebraucht wurden, begann die deutliche Trennung in die beiden Bedeutungsfelder
Kultur und Zivilisation in Deutschland bereits um etwa 1784/^ Diese Entwicklung
fasste Norbert Elias in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wie folgt zusammen: „Der
franzosische und der englische Begriff ,Zivilisation' kann sich auf politische oder
wirtschaftliche, auf religiose oder technische, auf moralische oder gesellschaftliche
Fakten beziehen. Der deutsche Begriff ,Kultur' bezieht sich im Kern auf geistige,
kiinstlerische, religiose Fakten und er hat eine starke Tendenz, zwischen Fakten dieser
Art auf der einen Seite, und den politischen, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fakten auf der anderen, eine starke Scheidewand zu ziehen.""^' Die Unterschiede
zwischen culture!Kultur und civilisation!Zivilisation im englischen/franzosischen und
im deutschen Wortgebrauch werden in Tabelle 2-1 dargestellt.
Diesen deutschen Kulturbegriff, der sich auf geistige, kiinstlerische und religiose
Fakten bezieht, wurde am Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts vom
Sozialphilosoph Herbert Marcuse (1898-1979) als „affirmativ" kritisiert. Er kennzeichnete: „Ihr entscheidender Zug ist die Behauptung einer allgemein verpflichtenden,
unbedingt zu bejahenden, ewig besseren Welt, welche von der tatsachlichen Welt des
alltaglichen Daseinskampfes wesentlich verschieden ist, die aber jedes Individuum
,von innen her', ohne jene Tatsachlichkeit zu verandem, ftir sich realisieren kann. Erst
in dieser Kultur gewinnen die kulturellen Tatigkeiten und Gegenstande ihre hoch iiber
den AUtag emporgesteigerte Wurde: ihre Rezeption wird zu einem Akt der Feierstunde
und der Erhebung.""^^
^^
"^^
^^
"^^
Ebenda, (1967), S. 292
Vgl. ebenda, S. 300f.
Elias (1969), S. 2f.
Marcuse (1968), S. 63
23
Kultur - Unternehmenskultur
culture
versus
Kultur
Englisch und Franzosisch
Deutsch
Vor dem 19. Jahrhundert betont
das Word culture die Ausbildung.
In Franzosisch meinte culture vorwiegend die geistige Ausbildung
und Veredlung, wahrend es in
Englisch die allseitige Ausbildung
des Menschen meint.
Ausdruck des Stolzes auf die
eigene Leistung und das eigene
Wesen. Es bezieht sich auf die
geistigen, kiinstlerischen und religiosen Fakten und hat die starke
Tendenz, sich von Fakten politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art zu unterscheiden.
Ausdruck der auBeren Seite des
menschlichen Lebens; etwas ganz
Niitzliches; Beinhaltet nicht mehr
die Einhaltung der gesellschaftlichen Etikette und der zwischenmenschlichen Umgangsformen.
civilisation Ausdruck des Stolzes auf die Beversus
deutung der eigenen Nation und
Zivilisation den Fortschritt des Abendlandes
und der Menschheit allgemein. Es
kann sich auf politische, wirtschaftliche, religiose, technische,
moralische und gesellschaftliche
Fakten beziehen.
Tabelle 2-1: Unterschiede zwischen culture/Kultur/civilisation/Zivilisation^^
Dagegen wurde dieser stark normativ besetzte Kulturbegriff in der Nachkriegszeit in
Deutschland unter dem Motto Kulturpflege positiv gesehen. Hermann Glaser, schrieb
in seiner dreibandigen Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland: „Affinnative Kultur fiihlte sich durch die Asthetisierung der Barbarei nicht desavouiert, sondem
v^eiterhin in der Lage, einer erschlagenen Nation kulturelles Selbstbewusstsein zu
vermitteln."'^'* Weiterhin wurden in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ebenfalls aus
dem Gedanken an die Kulturpflege und die normativ ausgerichtete Kultur weitere
Aspekte wie z. B. Restauration des kulturellen Erbes und Stiftung von Gemeinschaft
und Gesellschaft der Kulturtheorie hinzugefiigt und in der Praxis ausgefuhrt."^^
Insbesondere seit dem 20. Jahrhundert fmdet sich weltweit in der Kulturanthropologie,
Kultursoziologie, Kulturethnographie, Kulturmanagement sowie in der kulturvergleichenden Psychologie und nicht zuletzt in der betriebswirtschaftlichen Literatur
eine Vielfalt von Kulturdefmitionen."^^ Bis zum Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts nahm die Zahl an Kulturdefmitionen stark zu. Kroeber und Kluckhohn haben
44
Vgl. Eiias (1969), S. 1-7; vgl. Pflaum (1967), S.300ff; vgl. Klein (2005), S. 38f
Glaser (1985), S. 20
Vgl. Klein (2003), S. 76f
Vgl. Heinrichs/Klein (2001), S. 176-179; vgl. Heinz (1993), S. 47ff
24
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
liber 160 Kulturdefinitionen gesammelt und systematisch analysiert. Auf dieser Basis
haben sie die folgende Definition von Kultur gegeben:
„Culture consists of patterns, explicit and implicit, of and for behavior acquired and
transmitted by symbols, constituting the distinctive achievements of human groups,
including their embodiments of artifacts; the essential core of culture exists of traditional (i. e., historically derived and selected) ideas and especially their attached values;
culture systems may, on the one hand, be considered as products of action, on the other
as conditioning elements of further action.""^^
In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, Jahrzehnte nachdem die amerikanische
cultural anthropology seit den 20er und 30er Jahren davon stark gepragt wurde, wurde
die kulturanthropologische und ethnologische Kulturdefmition von dem britischen
Ethnologen Edward Burnett Tylor (1832-1917) erstmalig in Deutschland erwahnt. Im
Jahr 1871 bestimmte Tylor Kultur als komplexe Einheit von religiosen Vorstellungen,
moralischen Regeln, Gesetzen, Brauchen und Sitten sowie Fertigkeiten und Haltungen.
Die meisten neueren Defmitionen von Kultur verschiedener ethnologischer Schulen
gehen auf diese Bestimmung zuriick. Nach Tylors Definition umfasst Kultur die
Gewohnheiten einer Gesellschaft oder gesellschaftlicher Gruppen: „Culture or civilization, taken in its wide ethnographic sense, is that complex whole which includes
knowledge, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits
acquired by man as a member of society. ""^^
Neben den Kulturbegriff von Tylor trat ebenfalls in den 70er Jahren des 20 Jahrhunderts die von Bronislaw Kasper Malinowski (1884-1942) fruher geschriebene Kulturdefmition. Dabei untemahm er den Versuch diese unterschiedlichen Auffassungen
durch eine allgemein giiltige Begriffsfassung zu sammeln. Er fiihrt aus, dass Kultur
„kollektives Gleichverhalten""^^ bedeutet und „offensichtlich jenes umfassende Ganze,
das sich zusammensetzt aus Gebrauchs- und Verbrauchsgiitem, den konstitutionellen
Rechten und Pflichten der verschiedenen Bevolkerungsgruppen, aus menschlichen
Ideen und Fertigkeiten, aus Glaubenssatzen und Brauchen"^^, ist.
"^^
^^
"^^
^^
Kroeber/Kluckhohn (1952), S. 181
Tylor (1874), S. 1
Malinowski (1975), S. 74ff.
Malinowski (1975), S. 74ff.
25
Kultur - Unternehmenskultur
In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts haben Dormayer und Kettem zwei grundsatzlich unterschiedliche Zugange zum Kulturbegriff und auch zur Erforschung von
Kultur aufgezeigt. Diese haben sehr starke Uberschneidungen mit dem Begriff der
Unternehmenskultur, die ebenfalls die Rolle der Kultur in den Gemeinsamkeiten von
Gruppen und ihren Werte, Normen etc. betont. Im Rahmen des einen Zugangs sind
kulturelle Phanomene durch Beschreibung materieller Kulturgegenstande sowie
sozialer Umgangsformen und Verhaltensweisen erklarbar. Im Rahmen des anderen
Zugangs werden bestimmte kulturelle Phanomene durch die hinter den beobachtbaren
Tatbestanden wirkenden Uberzeugungen, Werten, Normen und Einstellungen verstandlich. Diese soil Abbildung 2-1 verdeutlichen:
Kultur
Deskriptives Konzept
(kulturelle „Perceptas")
Explikatives Konzept
(kulturelle „Konceptas")
Verhalten, Handlungen und deren
Ergebnisse,
d. h. beobachtbare Realitat
Ursachen des Handelns/Verhaltens,
die uber die Verhaltens- und
Handlungsergebnisse
zurlickerschlossen werden miissen
Kunstgegenstande, Werkzeuge,
Architektur, aber auch Sitten,
Gebrauche, (Organisations-)
Strukturen, Institutionen, Sprache etc.
Kollektiv geteilte Werte,
Einstellungen und Normen, wie etwa
intemalisierte Autoritatsnormen,
religiose und weltanschauliche
Uberzeugungen, Motivmuster etc.
Abbildung 2-1: Kultur als deskriptives und explikatives Konzept ^
2.1.2 Der Begriff der Kultur in China im Vergleich zu Deutschland
Die historische Entwicklung des Kulturbegriffs in China verlief sehr unterschiedlich
zu der in Europa und in Deutschland. Obwohl die heutigen Bedeutungen der Kultur im
Englischen, Deutschen und Chinesischen ahnlich sind, kann man jedoch kleine aber
Modifiziert nach Dormayer/Kettem (1987), S. 56
26
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
deutliche Unterschiede in der jeweiligen Sprache bemerken. Die folgende Beschreibung des historischen sowie des heutigen Verstandnisses des Begriffs Kultur in China
ist fiir diese Arbeit wichtig, weil dieses Verstandnis von Kultur im Denken und Handeln der Chinesen tief verwurzelt ist. Diese historisch bedingte tiefe Verwurzelung hat
auch groBen Einfluss auf die Kultur von Untemehmen, in denen chinesische und
fremde Kulturen einander begegnen.
Das deutsche Wort Kultur entspricht auf Chinesisch ^i't^^. Das chinesische Wort
besteht aus zwei Schriftzeichen - X(v/en)
und it(hua).
Als eine Regelung der
chinesischen Sprache hat jedes Schriftzeichen seine eigenen Bedeutungen und kann
sowohl getrennt als auch mit einem oder mehren Schriftzeichen ein Wort bilden. Nach
Modernes Chinesisches Worterbuch^^ hat X, ft und Xit,
dazu noch das Wort X^R
(Zivilisation), jeweils die folgenden Bedeutungen:
X wen
1. ^ (Schriftzeichen);
2. ^ t ( W o r t ) ;
3. :5C^ (Text; Dokumentation);
4. Xt
(chinesische Sprache in alter Form);
5. i^^it^Mi
ft*
Pfe'S** ili * ft ^ 1 (Zustand einer hoheren gesell-
schaftlichen Entwicklung; Zivilisation);
6. W S# ^0 # # i l ^ (Riten und Sitten; musikalische Zeremonien);
7. # * # ft (^1"A"ft M) (zivil; im Gegensatz zu „Militar" )
8. * ^ ;
7S^'!(weich)
9. g ^ # f t ^ S 5 | . # . (natiirlichePhanomene)
10. -i-^^^^Ml..
l^_h|'J:?t-^**(TatowierunginderAntike)
11. ttli^ (verstecken)
12. t t f ,
JHf-fS^ftftft (historische Geldeinheit aus Kupfer)
13. ii. (Familienname)
52
53
Laut des Zeichens: wen hua
Forschungsinstitut fur Sprache der Akademie der Sozialwissenschaflen Chinas (1978), S. 1191f.
und S. 478
Kultur - Unternehmenskultur
^hua
1. # i't; ft M ft (sich andem; verandem; verbessem; Anderung)
2. ^ f t (beeinflussen; sich an ... erbauen)
3. i t ft; i4ft (schmelzen)
4. 7^ ft; }'^ ^ (verarbeiten; verdauen; beseitigen)
5. i^ft (verbrennen)
6. (It i t ) ^ (Tod eines Bonzen oder Taoisten)
7. ft ^ 6^ffl# (Kurzform fur Chemie)
(mit einem Substantiv oder einem Adjektiv ein Wort bilden, um einen
veranderten oder entwickelten Zustand zu erhalten; Anderungen durch ...)
;^'fh wen hua {Kultur)
# # * # * » ,
i^P X * . « #T. * t . # * # o (Die Gesamtheit
materieller und geistiger Schopfiingen von Menschen in der geschichtlichen
Entwicklung; insbesondere die geistigen Schopfungen wie z. B. Literatur,
Musik und Kunst, Ausbildung, Wissenschaften etc.)
#ffto (archaologisches Fachwort: historische Erfindungen, wie z. B. Werkzeuge, Technik etc. aus einem gleichen Zeitraum)
3. ^^ iS ffl ^ ^ 6^ tfe i? ^ - l i ^n It (die literarische Fahigkeit und das
Wissen daruber)
% ?^ wen ming (Zivilisation)
1. :^ft(l) (die 1. Bedeutung d^r Kultur)
2. ^i ^ # ^ iij ft S P^ ft ^P ^ # ft S :K: ft W (eine hoch entwickelte
Gesellschaft oder eine Hochkultur)
3. «H*#*Jil'^^»W, tKJ:*W^*«P^&^aW ( A # . fW. •
#f) (In der Zeit vor dem 20. Jahrhundert meint das Wort die modemen, in
der Regel westlichen und kapitalistischen, Sitten, Gebrauche und Sachen)
11
28
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Alle drei chinesischen Schriftzeichen - Xiwen), it{hua) und ^^(ming), die die Worter
Xikj{Kultur) und X'^^{Zivilisation) bilden, gehoren zu den fruhesten Schriftzeichen,
die in der Shang-Dynastie (16.-12. Jahrhundert v. Chr.) auf Orakelknochen und
Schildkrotenpanzem geschrieben wurden. Bis zur Han-Dynastie (206 v. Chr.-220 n.
Chr.) wurden fast alle wichtigen Bedeutungen von X und ft entwickelt und sind seitdem bis heute kontinuierlich verwendet worden. In der Entwicklung des Schriftzeichens X bedeutete das chinesische Zeichen, wenn es sich auf die geistigen Kulturfakten bezieht, von Anfang an Sprache, kunstlerische Schonheit und Musik. Bis zum
Ende der Tang-Dynastie (618-907 n. Chr.) entwickelte X wieder neue Bedeutungen
im geistigen Bereich wie z. B. Literatur und Moral. Die Zusammenflihrung von X
und it- Xi^ -, die dem deutschsprachigen Wort Kultur entspricht, bedeutet in China
urspriinglich Verdnderung, Verbesserung oder Zivilisation durch Literatur, Tradition,
Bildung, Ritual, Musik usw. Urn etwa 26 v. Chr. kam Xit als eine feste Zusammenflihrung im chinesischen Sprachschatz auf. Liu Xiang (77-6 v. Chr.), ein hochrangiger
Beamter fiir Literatur in der Han-Dynastie, schrieb in dem Buch Shuo Yuan (Garten
der Literatur): „Der Heilige regiert zuerst durch Moralitat und nicht durch militarischen Druck. Nur wenn die Verfeinerung durch Sitten, Musik und Dokumentation nichtfiinktioniert,benutzt er die Waffen."^"^ Dieser Zusammenhang hat bis heute
immer noch einen tief greifenden Einfluss auf die Menschen und die Gesellschaft in
China.
Bei der Ubersetzung der westlichen Werke am Ende des 19. und Anfang des 20.
Jahrhunderts wahlten die ersten Ubersetzer die alten chinesischen Worter Xit und X
0fl und benutzten sie jeweils als flir culture und civilisation vor allem bei Ubersetzungen aus dem Franzosischen und Englischen. Bei spateren tJbersetzungen aus dem
Deutschen wurde nicht beachtet, dass diese Worter im Franzosischen/Englischen und
im Deutschen unterschiedlich Bedeutungen haben konnen, sodass im Chinesischen das
gleiche Wort fiir alle Bedeutungen benutzt wird. Inzwischen haben die anderen
Bedeutungen der Kultur - Pflege^^ in der Landwirtschaft und Zucht (von Bakterienf^
^"^
Liu (etwa 26 v. Chr.), S. 420, Ubersetzung des Verfassers. Original: M A ^ 7 ^ ^ T 4 ,
t # A ^ o ASiiM, * ^ * 4 , X^^-^k. mkJi\^Wo
Chinesische Ubersetzung: ^^'^{peiyu)
Chinesische Ubersetzung:
i^^ipeiyang)
^Xi%
Kultur - Unternehmenskultur
29
in der Medizin - ebenfalls im Chinesisch ihre Ubersetzungen gefunden. Sie sind Fachworter aus dem entsprechenden Fachgebiet und haben keinerlei Bezug zu i f t .
Heute beinhaltet das chinesische Wort Xikj {Kultur) allein vor allem die Kulturfaktoren im engeren Sinne wie z. B. Musik, Theater, Film, Malerei und Literatur.
Daruber hinaus bedeutet es auch die allgemeinen Wissenschaften, die aber inhaltlich in
hohem MaB immer noch mit den Kulturfaktoren im engeren Sinne verbunden sind.
Durch weitere Worterverbindungen, z. B. ^ X i ' t (Essens-Kultur), ^Xit
(Tee-Kultur)
Oder M S X f t (Kleidungs-Kultur), konnen breitere Bedeutungen geauBert werden. In
diesem Fall verbinden sich diese breiteren Bedeutungen immer noch eng mit den
Kulturfaktoren im engeren Sinne. So ist Essens-Kultur mit Musik und Tanzen, TeeKultur mit Theater und Kleidungs-Kultur mit Malerei und Kalligraphie verkniipft.
Diesem traditionellen Prinzip folgend ist die Entwicklung und Erweiterung des
Kulturbegriffs in der chinesischen Sprache stark begrenzt. Deutschen Wortschopfungen der letzten Jahrzehnte wird in China eher konservativ begegnet. Aus diesem
Grund ist der Begriff der Kultur in China nicht wie in Deutschland „gnadenlos
inflationar"^^ gebraucht worden. So gibt es z. B. bis heute in der chinesischen Sprache
keine offizielle oder populare Verwendung von Sprachkultur, Jugendkultur usw. wie
in Deutschland. Begriffe wie z. B. die Esskultur, die Bierkultur und die Kaffeekultur
erscheinen zwar seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts ab und zu in chinesischen
Zeitungen und Zeitschriften, sind aber rein chinesische Ubersetzungen der westlichen
Begriffe und gelten fur die Chinesen nur als Begriffe fremder Kulturen.
Daruber hinaus muss beachtet werden, dass unter der gleichen oder ahnlichen
Erweiterung des Kulturbegriffs in China und Deutschland aus traditionellen und
sprachlichen Griinden in der Regel auch inhaltlich Unterschiedliches verstanden wird.
So ist zum Beispiel mit dem Begriff Esskultur in der deutschen Sprache im Wesentlichen die Geschichte, die Manieren, die Zubereitung etc. des Essens,^^ etwa im
Rahmen was und wie isst man, gemeint. In China bezieht sich die Essens-Kultur {"kX
ft) darUber hinaus auch noch darauf, wozu man isst, insbesondere wenn es um
^^
Karmasin/Karmasin (1997), S. 21
Nach Duden - Deutsches Universalworterbuch bedeutet Esskultur „Kultur des Essens (u. der Zubereitung von Speisen)".
30
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Beziehungen und menschliche Probleme geht,^^ So funktionierte und fiinktioniert das
Essen mit seinen kulturellen Begleitungen wie Musik, Tanzen usw. in China als Mittel
zur Beziehungspflege oder zur Problemlosung. >| F1 %{Das Bankett am Hongmenf^
und ^^MM^^%{Einl6sung
der militdrischen Macht durch Schnapsf^ sind in China
bekannte Geschichten und Theaterstucke dieser Art. Als Fortfuhrung dieser historischen Vorbilder findet man heutzutage in der Wirtschaft und in der chinesischauslandischen Zusammenarbeit haufig, dass Essen zur Beziehungspflege und Problembzw. Konfliktlosung eingesetzt wird.
Im Vergleich zu culture in der englischen sowie franzosischen und Kultur in der
deutschen Sprache hat das chinesische Wort Xft vier Eigenschaften. Zum einen zeigt
Xit
eine starke Annaherung an die entsprechenden Bedeutungen in Franzosisch und
Englisch, wenn es sich auf Ausbildung bezieht. Nach konfuzianischer Tradition soil
diese Ausbildung durch die so genannten Funf Klassiker^^ - Das Buck der Lieder, Das
Buck der Urkunden, Das Buck der Riten und Sitten, Das Buck der Wandlungen sowie
Das Buck der Geschichte - als Lehrbucher erfolgen. Dabei spielen die Kulturfaktoren
im engeren Sinne, z. B. Musik und Literatur eine bedeutende Rolle.
Zum Zweiten bedeutet X f t , wenn es sich 2iuf den Stolz, auf die eigene Leistung und
das eigene Wesen richtet, soviel wie Kultur in der deutschen Sprache, die geistigen,
kiinstlerischen und religiosen Fakten. Bei dieser Bedeutung hat der chinesische
Begriff mit dem deutschen die groBte Uberschneidung. Genau auf Grund dieser
Uberschneidung wird Deutschland in China als Kultumation, deren Vertreter Dtirer,
Luther, Kant, Goethe, Beethoven etc. sind, gesehen.
59
Um den Unterschied zu zeigen wird der chinesische Begriff in dieser Arbeit nicht wie Herkommlich in der deutschen Sprache als Esskulturiik'kXit),
sondem als Essens-Kultur ("kX'tt) ubersetzt.
Die Geschichte erzahlt, wie der Konig Han (Liu Bang) die todliche Gefahr durch eine Essenseinladung des machtigen Konig Chu (Xiang Yu) tiberlebte. Mit dieser Geschichte wird erklart, warum der schwache Konig Han den Konig Chu besiegte und die Han-Dynastie (206 v. Chr.- 220 n.
Chr.) grundete.
Anfang der Song-Dynastie (960 - 1279 n. Chr.) hatte der Kaiser Sorgen, dass die lokalen militarischen Fiihrer zu viel Macht besafien. Durch ein Bankett imKaiserhofwurde die militarische
Macht der lokalen Fuhrer friedlich aufgehoben und zentralisiert.
Original: «t#,^» , « # I I » , ( # l £ » , {#11)) , C*^))
31
Kultur - Unternehmenskultur
Zum Dritten passt sich ^ f t , wenn es sich mxfdie Beziehung zu Politik, Wirtschaft und
Religion bezieht, dem Begriff civilisation im Englischen und Franzosischen an. Die in
der chinesischen Bedeutung eingeschlossenen Begriffe Politik, Gesellschaft und
Religion sind von groBer Wirkung auf das Verstandnis des Unterschieds zwischen
dem deutschen und dem chinesischen Kulturbegriff. Wahrend in China die geistigen,
kiinstlerischen und religiosen Faktoren der Kultur im Lauf der Geschichte immer mit
Politik, Gesellschaft und Wirtschaft eng verbunden waren und sind, hat der deutsche
Kulturbegriff die starke Tendenz, dazwischen „eine starke Scheidewand"^^ zu ziehen.
So bedeutete z. B. das chinesische Wort ^^{jun zi - Edle) urspriinglich sowohl
Adlige als auch Leute mit Aushildung, Riten, Sitten und Moralitdt (gleich Kultur).
Zum letzten sind Kultur und culture aus der Natur abgeleitete Begriffe. Im
Unterschied dazu ist das chinesische Wort von Anfang an kaum mit der Natur, aber
viel mehr mit Menschen und Gesellschaft verbunden. AuBerdem gibt es ftir XiY,
keinerlei Bedeutungen im landwirtschaftlichen oder medizinischen Gebiet.
In China haben alle o. g. vier Eigenschaften die weiteren Wortschopfiingen und
sprachlichen Zusammenftihrungen, z. B. Xi\^fk^
(^w//wrpolitik), X i't ;t #^ ^
(i^w/^wn-evolution) und d^ ^ X ft (UntemehmensA:w/rwr), beeinflusst.
Durch die Bezeichnung Kultur wird in China auch der gesellschaftliche Rang und die
dazugehorige Wertschatzung gekennzeichnet. In der chinesischen Tradition werden
„Leute mit Kultur" als „Edle" ( ^ ^ ) und dagegen „Leute ohne Kultur" als
„Gemeine" (^J^A) bezeichnet. Die Edlen gehoren zur oberen Gesellschaftsschicht.
Weil sie „Leute mit Kultur" sind, erfahren sie Respekt und herrschen. „Der Edle
begegnet seinen Freunden durch die Kunst und fordert durch seine Freunde seine
Sittlichkeit."^"^ Ebenfalls nach Konfiizius kann ein Herrscher nur „Fehltritte vermeiden"^^, wenn er „eine umfassende Kenntnis der Literatur besitzt und sich nach den
Regeln der Moral richtet"^^. ^(qin)^(qi)t(shu)t.(hua)
- Musik, Schach, Literatur
^^
^'^
^^
Elias(1969),S. 3
Konfiizius (2000), S. 129
KonfUzius (2000), S. 79
Ebenda
32
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
und Malerei - waren die vier Fahigkeiten, in denen sich jeder „Edle" auskennen
musste. Konfuzius verstand beispielsweise nicht nur Musik zu spielen, er tiberarbeitete
auch Das Buck der Lieder. AuBerdem war er ein bekannter Musikkritiker. Nach dem
Besuch eines Musiktheaters sagte er, dass er davon so begeistert gewesen sei, dass ihm
das Fleisch monatelang nicht geschmeckt habe, da die Musik zu gut gewesen sei. Er
sprach: „Ich habe nicht geahnt, dass Musik eine solche Wirkung haben kann."^^ Damit
hat Konfuzius erstmalig Musik und Essen in einen Kontext gestellt, was dazu gefuhrt
hat, dass heute noch in China gesagt wird, Musik schmeckt gut oder schlecht und dass
bis heute chinesisches Essen oft von Musik und Tanz begleitet wird.
Da in China die Kulturfaktoren im engeren Sinne eine bedeutende Rolle bei der
Bildung und Haltung der „Edlen" spielten, scheint eine groBe Nahe zu der Verwendung des Kulturbegriffs in Deutschland zum Beispiel im 18. Jahrhundert zu bestehen.
In dieser Zeit gab es in Deutschland eine deutliche Grenze zwischen „Edelmann" und
„BUrger". Die Figur des Wilhelm Meister von Johann Wolfgang von Goethe (17491771) zeigt, dass er durch eine Selbstausbildung mit Hilfe des Theaters, sich mit dem
„Edelmann" auf eine Stufe stellen mochte.^^ So schrieb Wilhelm Meister in seinem
Abschiedsbrief an seinen Schwager Werner, der Wilhelm zu einem biirgerlichen
Leben ftihren mochte, folgendes:
„Ware ich ein Edelmann, so ware unser Streit bald abgetan; da ich aber nur ein Biirger
bin, so muss ich einen eigenen Weg nehmen, und ich wiinsche, dass Du mich verstehen mogest. Ich weiB nicht, wie es in fremden Landem ist, aber in Deutschland ist nur
dem Edelmann eine gewisse allgemeine, wenn ich sagen darf, personelle Ausbildung
moglich. Ein BUrger kann sich Verdienst erwerben und zur hochsten Not seinen Geist
ausbilden; seine Personlichkeit geht aber verloren, er mag sich stellen, wie er will. (...)
Du siehst wohl, dass das alles ftir mich nur auf dem Theater zu fmden ist, und dass ich
mich in diesem einzigen Elemente nach Wunsch ruhren und ausbilden kann. Auf den
Brettem erscheint der gebildete Mensch so gut personlich in seinem Glanz als in den
obem Klassen; Geist und Korper miissen bei jeder Bemuhung gleichen Schritt gehen,
und ich werde da so gut sein und scheinen konnen als irgend anderswo."^^
^^
^^
Konfuzius (1982), S. 40
Vgl. Goethe (1998), S. 5498-6500; vgl. Klein (2005), S. 49-53
Goethe (1998), S. 5976 und S. 5979
Kultur - Unternehmenskultur
33
Uber die Bedeutung von Moral, Musik und Literatur als Inhalte der Ausbildung
auBerte sich bereits etwa 1800 Jahre vor Goethe Konftizius: „Der Edle befordert das
Schone der Menschen und nicht das Unschone der Menschen. Der Gemeine macht es
umgekehrt."'^^ Fiir ihn ist die geistige Bildung sowohl fiir „Edle" als auch fur
„Gemeine" notig, es sollen aber unterschiedliche Ziele erreicht werden: „Der Edle,
wenn er Bildung erwirbt, bekommt Liebe zu den Menschen; der Geringe, wenn er
Bildung erwirbt, lasst sich leicht beherrschen."^^ In der chinesischen Geschichte durfte
bis zum 7. Jahrhundert im Prinzip diese Grenze zwischen „Edle" und „Gemeine" nicht
iiberschritten werden. Danach konnten alle Lemende mit einer hervorragenden
Ausbildung, hauptsachlich der Literatur, Musik und Malerei, durch eine Anzahl von
„Staatsprufungen" offiziell als „Edle" oder „Leute mit Kultur" anerkannt werden.
Fiir die Anwendung der Kulturbegriffe sowohl in Deutschland als auch in China sind
zusammengefasst zwei Punkte von Bedeutung. Zum einen dominiert in beiden
Landem der normativ besetzte Begriff bis in die Gegenwart. Die Betonung des
„Wahren, Schonen, Guten" in der Nachkriegszeit, in der Reform der Kulturpolitik und
der Versuch Kultur als Problemlosung in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in
Deutschland^^ sowie die gleiche Betonung in China nach der Kulturrevolution seit
Ende des 70er Jahren und der Wiederaufbau des Konfiizianismus seit den 90er Jahren
des 20. Jahrhunderts zeigen diese Ahnlichkeit.
Zum anderen geht sowohl die Anwendung als auch die Erweiterung der Kulturfaktoren im engeren Sinne in China viel tiefer als in Deutschland. Die in der Ausbildung integrierten musikalischen, literarischen, kiinstlerischen Kenntnisse dienen in
Deutschland im Wesentlichen einem gewissen biirgerlichen Traditionalismus. Kulturfaktoren wurden und werden in China in der Wirklichkeit daneben aber viel mehr als
Methoden zur Erlangung personlicher gesellschaftlicher Anerkennung, zur Forderung
der eigenen gesellschafllichen Position, zur Pflege harmonischer Ordnung, als Mittel
zur politischen Herrschaft und in politischen Kampfen verwendet. Diese Eigenschaft
hat in China seit Konfuzius bis heute Jahrtausendelang das Volk, die Gesellschaft, die
Regime, die Revolutionen, die Wirtschaft etc. stark beeinflusst.
^^
^^
^^
Konfuzius (2000), S. 126
Ebenda, S. 171
Vgl. Klein (2005), S. 171ff
34
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
So zum Beispiel hat die Tradition der vier Fahigkeiten in der Volksrepublik China
nach wie vor ihre Wirkung. Das chinesische Volk ist sehr stolz darauf, dass China auf
eine Kulturtradition von einigen Tausenden Jahren zuriick blicken kann. Bei chinesischen Politikem geht der Begriff „Kultumation" oder „Kulturstaat" nicht nur wie bei
deutschen PoHtikem „in Sonntagsreden flussig iiber die Lippen"^^, sondem sie integrieren sich auch in die Kultur. Alle Staatsfiihrer beispielsweise haben diese Fahigkeiten mehr oder weniger absichtlich gezeigt, um dadurch zu dokumentieren, dass sie
„Leute mit Kultur" sind. Mao Tse-tung, der GrUnder der VolksrepubHk China, war ein
bekannter Dichter und Deng Xiaoping, Maos Nachfolger und Konstrukteur der Reform seit 1978, wurde als Spitzenspieler im chinesischen Schach anerkannt. Jiang
Zemin, wahrend dessen Fiihrung von 1990 bis 2004 das BIP-Wachstum durchschnittlich bei 8,1% lag, prasentierte sich nicht nur in chinesischen, sondem auch in
westlichen Medien als Kenner der Peking-Oper und westlicher Opem und als Konner
am Klavier.^"^
2.1.3 Der Begriff der Kultur in deutsch-chinesischen Jointventures
Die in dieser Arbeit untersuchten Jointventures agieren in einer rein chinesischen
Umgebung, d. h. in einem Umfeld aus chinesischer Bevolkerung, Sprache, Politik und
Tradition. Sie sind in der VR China und Hongkong angesiedelt.
Die Kultur in deutsch-chinesischen Jointventures kann sowohl breit als auch eng
defmiert werden. Von der breiteren Definition her bezieht sich der Kulturbegriff in
dieser Arbeit auf eine Mischung von Kulturen, namlich der deutschen Kultur, der
chinesischen Kultur sowie auf eine Kombination von Interpretations-, Denk- und
Handlungsmustem, die urspriinglich aus zwei verschiedenen Kulturen stammen. Beide
bringen in der Regel eine starke, eigenstandige kulturelle Pragung mit, die neben mehr
oder weniger guten Kenntnissen uber einander auch eine Vielzahl von Vorurteilen
beinhaltet. Beide Gruppen unterliegen daruber hinaus intemationalen, insbesondere
US-amerikanischen Einfliissen. Deswegen ist die Mischung der Kulturen in der Unter-
^^
^"^
Klein (2005), S. 60
Vgl. hierzu Seitz (2000), S. 319-320
Kultur - Unternehmenskultur
35
nehmenskultur bzw. die neue Standardisierung der Unternehmenskultur ein Ausgangspunkt der Arbeit.
Dariiber hinaus haben die Kulturfaktoren nach dem engen Kulturbegriff bzw. Musik,
Theater, Film, Literatur usw. in den Jointventures besondere Bedeutung. Erstens
nimmt vor allem die junge Generation in China Informationen aus Kulturtragem wie
Film und Literatur in groBem MaB auf und lasst sich von ihnen positiv wie negativ
beeinflussen. Zweitens wiirden die chinesischen Untemehmer und Mitarbeiter aus dem
oben betrachteten Grund durch „Kultur" eine Anerkennung als „Edle" erfahren.
Dariiber hinaus wird ein Jointventure mit Kultur ebenfalls als ein „Edelunternehmen" angesehen. Zum Dritten werden die Kulturfaktoren im engeren Sinne in
deutsch-chinesischen Jointventures nicht nur zur Unterhaltung und zum Vergniigen
genutzt, sondem sind auch sehr eng mit betrieblichen Aktivitaten verbunden und
werden als Instrumente zur Koordination, Beziehungspflege usw. eingesetzt.
2.1.4 Der Begriffder Unternehmenskultur
Im Chinesischen stellt ^ fkXit {Unternehmenskultur) wortlich eine Verbindung
zwischen ^ M (Unternehmen) und Xft (Kultur) dar. Aus den bereits geschilderten
Griinden ist das chinesische Wort Xft hier fur normale Chinesen eher ein Begriff
etwa wie die Kultur bei Essens-Kultur oder Tee-Kultur. Im Gegensatz dazu steht der
Begriffsteil -kultur beim westlichen Begriff Unternehmenskultur eher im thematischen
Zusammenhang mit Organisation und Management. Deswegen defmieren viele
chinesische Untemehmen ihre Unternehmenskultur haufig iiber die Kulturfaktoren im
engeren Sinne. Dies gilt insbesondere fur Untemehmen in mittleren und kleinen
Stadten, die die urspriinglich westliche Bedeutung des Begriffs nicht gut kennen,
dieser westlichen Interpretation nicht streng folgen woUen oder ganz pragmatisch ohne
einen theoretischen Uberbau vorgehen.
In den USA und Europa wie auch in China zeigt sich der Begriff Kultur insbesondere
in den vielfaltigen Moglichkeiten seiner Verkniipfling mit anderen Begriffen. Unternehmenskultur ist einer der wichtigsten von ihnen.
36
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Jaques hat im Jahr 1951 mit seinem Buch The Changing Culture of a Factory den
Kulturbegriff in die Betriebswirtschaftslehre eingefuhrt. Auf der Basis des klassischen
Kulturbegriffs impliziert er viele menschliche Verhaltensweisen in Organisationen
bzw. Untemehmen, z. B. berufliche Fahigkeiten, Methoden der Produktion, betriebliche Regelungen und Untemehmensziele. Er bezeichnet Untemehmenskultur als den
tiblichen, traditionellen Weg, iiber Aufgaben nachzudenken und sie zu erledigen. Dieser Weg wird von alien Mitgliedem der Untemehmung mehr oder weniger akzeptiert;^
Jaques fugt so die Bedeutung von „Untemehmen" und „Kultur" zusammen. Dabei
lasst sich „Untemehmenskultur" als ein dynamisches, individuelles Konstrukt beschreiben. Es besteht aus einer Vielzahl sich wechselseitig beeinflussender Faktoren.
So verfugt jedes Untemehmen iiber ein bestimmtes Werte-, Normen- und Einstellungsgeftige, das sich im Laufe der Zeit herausgebildet hat.
Die kulturvergleichende Managementforschung in der Zeit der 70er bis 80er Jahre des
20. Jahrhunderts hat die Kultur als Bedingungsfaktor verwendet. Der Begriff Unternehmenskultur dient in dieser Forschung zur Charakterisierung bestimmter traditionsbedingter Eigenheiten einer spezifischen Gesellschaft.^^
Auf der Basis der Forschung von Peters und Waterman betont Schein in seinem Buch
Untemehmenskultur die Rolle der Kultur in Gemeinsamkeiten von Gruppen. Dabei
setzt Kultur „eine Ebene struktureller Stabilitat innerhalb der Gruppe"^^ voraus und
fugt „Rituale, Klima, Werte und Verhaltensweise zu einem einheitlichen Ganzen"^^
zusammen. Die Phanomene, die mit Kultur verbunden sind und in Gruppen von ihren
Mitgliedem geteilt oder gemeinsam vertreten werden, werden in Tabelle 2-2 kategorisiert.
75
76
77
78
Vgl. Jaques (1951), 249ff.
Vgl. Keller (1982), S. 113-137
Schein (1995), S. 22
Ebenda
Kultur - Unternehmenskultur
37
Hauptkategorien
Wiederkehrende
Verhaltensweisen in der
Interaktion
Gruppennormen
Inhaltliche Erklarung
Die Sprache, die entstehenden Brauche und Traditionen, die in einer Vielzahl von Situationen angewandten Rituale.
Die impliziten Mafistabe und Werte, die sich in
Arbeitsgruppen entwickeln.
Die artikulierten und offentlich vertretenen Prinzipien
Bekundete Werte
und Werte, die die Gruppe nach eigenem Bekunden
befolgt.
Die umfassende Politik und Ideologie, nach denen
Offizielle Philosophie
sich eine Gruppe im Umgang mit Aktionaren, Mitarbeitem, Kunden und anderen entscheidenden Personen richtet.
Spielregeln
Die stillschweigend akzeptierten Regeln fur das
Uberleben im Untemehmen
Klima
Die durch das Ambiente und die Umfangsformen der
Untemehmensangehorigen untereinander sowie mit
Kunden und anderen AuBenstehenden hervorgerufene Stimmung innerhalb einer Gruppe
Die besonderen Fahigkeiten, die GruppenmitgUeder
Verwurzelte Talente
zur Bewaltigung bestimmter Aufgaben benotigen;
das Geschick, gewisse Dinge von Generation zu Generation weiterzugeben, ohne sie unbedingt schriftHch festhalten zu miissen.
Denkgewohnheiten,
Der gemeinsame kognitive Rahmen, der den Mitgeistige Modelle und/oder gliedem einer Gruppe Wahmehmungen, Gedanken
linguistische Paradigmen und Sprache vorgibt und in dem die neuen MitgHeder
in einem Sozialisationsprozess unterwiesen warden
Die in der Interaktion der GruppenmitgUeder entGemeinsame
Bedeutungen
stehenden Ubereinkunfte
Symbole mit
Die Vorstellungen, Gefuhle und Bilder, die von
Gruppen zur eigenen Charakterisierung entwickelt
Integrationskraft
werden, die sie nicht unbedingt bewusst wahmehmen
miissen und die sich dennoch in Gebauden, in der
Biiroeinrichtung und in anderen materiellen Artefakten der Gruppe manifestieren.
Tabelle 2-2: Hauptkategorien der kulturellen Phanomene
Auf dieser Basis hat Schein Unternehmenskultur so definiert: „Ein Muster gemeinsamer Grundpramissen, das die Gruppe bei der Bewaltigung ihrer Probleme extemer
Anpassung und intemer Integration erlemt hat, das sich bewahrt hat und somit als
Modifiziert nach Schein (1995) S. 2Iff.
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
38
bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter
Ansatz fur den Umgang mit diesen Problemen weitergegeben wird."^^
Im Vergleich dazu hat Schreyogg diese und weitere Eigenschaften von Untemehmenskultur in folgender Tabelle beschrieben:
Eigenschaften
Implizit
KoUektiv
Konzeptionell
Emotional
Historisch
Interaktiv
Inhaltliche Erld^rung
Gemeinsam geteilte Uberzeugungen als selbstverstandliche
Annahmen, selten reflektiert.
Gemeinsame Orientierungen, Werte, Handlungsmuster.
Vermitteln Sinn und Orientierung in einer komplexen Welt,
indem sie Muster fur die Selektion und Interpretation von
Ereignissen vorgeben und Handlungsweisen vorstrukturieren.
Normieren, was gehasst und was geliebt wird, was geduldig
ertragen und was zuriickgewiesen wird.
Ergebnis historischer Lemprozesse im Umgang mit Problemen.
Kollektiver Wissensvorrat. Untemehmenskulturen befmden
sich standig in Bewegung; sie sind dynamisch.
Im Sozialisationsprozess meist unbewusst durch Symbole in
der Kommunikation vermittelt.
Tabelle 2-3: Eigenschaften von Untemehmenskultur^^
Schein versucht, die verschiedenen Ebenen einer Kultur zu ordnen und ihre Beziehung
zueinander zu klaren. Mit dem in folgender Abbildung gezeigten Modell zeigt er die
drei Schichten einer Kultur:^^
80
81
Schein (1995), S. 25
Modifiziert nach Schreyogg (1999), S. 438ff.
Vgl. Schein (1995), S.30ff.
Kultur - Unternehmenskultur
39
Symbolsystem
Sprache, Rituale, Kleidung,
Umgangsformen
McniDar, aoer inierpretationsbediirftig
T
Normen und Standards
Maxime, Richtlinien,
Verbote
1 ens sicniDar, leiis
unbewusst
t
Basisannahmen
Uber:
Umweltbezug
Wahrheit
Zeit
Menschen
Menschliches Handeln
Soziale Beziehungen
1 eus sicniDar, leiis
unbewusst
Abbildung 2-2: Kulturebenen und ihr Zusammenhang '
Das Symbolsystem besteht aus sicht-, hor- und fuhlbaren Strukturen und Prozessen in
einem Untemehmen. Architektur, Kleidung, Rituale, Legenden und Mythen sowie
Geschaftspraktiken, Managementstile und Kommunikationsformen konnen Ausdruck
einer spezifischen Unternehmenskultur sein. Kulturelle Artefakte und Symbole sind
relativ leicht zu beobachten, aber schwer zu klassifizieren und zu entziffem. Die
Interpretation bedarf einer genauen Untersuchung der zu Grunde liegenden Werte und
Pramissen.
Normen und Standards: Im Zuge der Entwicklung einer Unternehmenskultur dienen
die zunachst nur von einzelnen einflussreichen Organisationsmitgliedem vertretenen
Werte als Basis fur Entscheidungen. Bewahren sie sich, nehmen andere Mitglieder sie
an und iiberfuhren sie in das eigene Wertesystem von Untemehmenszielen, -leitbildem
Modifiziert nach Schein (1984), S. 4
40
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
und -strategien. Werden diese Wertvorstellungen nicht mehr hinterfragt, sondem als
selbstverstandlich akzeptiert, erlangen sie den Charakter von Grundpramissen.
Basisannahmen umfassen routinierte Verhaltens- und Denkmuster, die nicht mehr in
Frage gestellt werden. Ihre Inhalte sind spezifische Vorstellungen uber die Realitat und
die in ihr bestehenden Wirkungszusammenhange menschlicher Beziehungen und Verhaltensweisen.
2.1.5 Der Begriffdes deutsch-chinesischen Jointventures
Der englische Bcgriff Jointventure, im deutschsprachigen Raum auch Gemeinschaftsunternehmen oder Partnerschaftsunternehmen genannt, stellt eine spezielle Form der
Kooperation von Untemehmen aus verschiedenen Wirtschaftsgebieten oder Staaten
dar. Man versteht darunter eine „Kooperationsform, an der zwei oder mehrere Unternehmen (in der Kegel aus verschiedenen Landem) beteiligt sind. Geschaftsfuhrung,
Risiko und Ertrag sollen geteilt werden"^"^. Von den verschiedenen betriebswirtschaftlichen Kooperationsformen ist ein Jointventure „die Kooperationsform mit der
hochsten Bindungsintensitat wirtschaftlich und rechtlich unabhangiger Partner" ^^.
Noch engere Formen im Sinne der Partner- und Kapitalbindung werden durch Aufgabe der Unabhangigkeit, z. B. bei Ubemahmen oder Fusionen, gebildet. Diese
Entwicklungsmoglichkeiten werden in Abbildung 2-3 dargestellt. Aus kulturvergleichender Sicht ist dazu anzumerken, dass die Kooperationsphase eines Jointventures uber kulturunterschiedliche Landergrenzen hinweg genau die Phase ist, in der
sich Kulturen am intensivsten begegnen, am hochsten integrieren und am haufigsten in
Konflikt geraten. In deutsch-chinesischen Jointventures kann das besonders gut beobachtet werden.
^^
^^
Stein (1991), S. 50
Trommsdorff/Schuchardt/Lesche (1995), S. 1
41
Kultur - Unternehmenskultur
Partnerbindung
Fusion
Kapitalbindung
100%Tochtergesellschaft
Akquisition
Beteiligung
Managementvertrag
Kartellvertrag
Equity Joint Venture
Contractual Joint Venture
Know-how-Vertrag
Managementberatungsvertrag
Lizenzvertrag
Lieferbeziehung
Liefergeschaft
Markt -
- Kooperation -
• Hierarchic
Abbildung 2-3: Kooperationsformen, Markt und Hierarchic '
In China spielen Jointventures eine wichtige Rolle bei der Zusammenarbeit chinesischer staatlicher Untemehmen mit westlichen Untemehmen. Dabei interessieren sich
die westlichen Lander fur den groBen Absatzmarkt, billige Rohstoffe und Arbeitskrafte,
wahrend China vor allem an westlichen Innovationen, technischem Know-how,
modemem Management und ausreichendem Kapital gelegen ist. Laut Gesetz unterscheidet man in China bei Jointventures zwei unterschiedliche Hauptkooperationsformen.^'^
Equity Joint Ventures'. Gemeinschaftsuntemehmen mit chinesisch-auslandischer Kapitalbeteiligung wurden gesetzlich seit 1979 erlaubt. 1990 erfolgte eine Uberarbeitung
des Gesetzes.^^ Die Equity Joint Ventures werden als Gesellschaft mit beschrankter
Haftung betrieben. Dabei soil der Investitionsanteil des auslandischen Partners mindestens 25% des Kapitals betragen. Nach oben war er zunachst bis 49% und spater
nach dem Motto „Markt gegen Know-how tauschen" nicht begrenzt. Gewinn und
Quelle: Trommsdorff/Schuchardt/Lesche (1995), S. 1
Biiro fiir juristische Angelegenheiten des Staatsrats Chinas (2002), S. 112ff.
^^
Nationaler Volkskongress Chinas (2001), S. 28-41
42
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Verlust werden von den Partnem nach Investitionsanteil geteilt. Die Zusammenarbeit
deutscher Untemehmen mit chinesischen staatlichen sowie auch privaten Untemehmen erfolgt hauptsachlich in der Form von Equity Joint Ventures.
Contractual Joint Ventures: Vertraglich geregelte Gemeinschaftsuntemehmen sind
gesetzlich seit 1988 erlaubt.^^ Das Contractual Joint Venture hatte in der Kegel keine
eigene Rechtspersonlichkeit. Nach der Genehmigung und Durchfuhrung der Uberarbeitung des Gesetzes im Jahr 2000 konnen alle Contractual Joint Ventures, die die
Voraussetzung erflillten, eine Rechtspersonlichkeit vertraglich geregelt bekommen.
Die Verteilung von Gewinnen und Verlusten wird ebenfalls vertraglich geregelt. ^^
Eine kleine Anzahl der deutsch-chinesischen Untemehmen arbeitet in dieser Form.
Daneben gibt es die deutsch-chinesischen Untemehmen in Hongkong, die vor dem 1.
Juli 1997 nach den Gesetzen der Kronkolonie GroBbritanniens gegrundet worden
waren und solche, die seit dem 1. Juli 1997 nach den Gesetzen der Sonderverwaltungszone Chinas entstanden. Die meisten Jointventures in Hongkong sind entweder Equity oder Contractual Joint Ventures. Im Vergleich zu den Gesetzen uber
Jointventures auf dem Festland sind die Gesetze in Hongkong intemationaler orientiert.
Aus betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Sicht bestehen klare und strenge
Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Kooperationsformen. Die vorliegende
Arbeit fokussiert sich aber auf die Funktionen der Kulturfaktoren im engeren Sinne in
den Jointventures. So werden deutsch-chinesische Gemeinschaftsuntemehmen aller
Formen - sowohl Equity und Contractual Joint Ventures als auch andere Sonderformen, z. B. die Joint Development Ventures und Joint Stock Companies^^ - in der
Volksrepublik China und in der Sonderverwaltungszone Hongkong ohne Abgrenzungen als gleichartige deutsch-chinesische Jointventures in dieser Arbeit betrachtet.
Auf der Basis der allgemeinen betriebswirtschaftlichen Definition des JointventureBegriffs definiert diese Arbeit dazu den Begriff des deutsch-chinesischen Jointventures erganzt um eine kulturwissenschaftliche Uberlegung wie folgt: Unter einem
deutsch-chinesischen Jointventure versteht man einerseits ein Gemeinschaftsunter^^
91
Nationaler Volkskongress Chinas (2001), S. 12-27
Ebenda
Vgl. Biiro fiir juristische Angelegenheiten des Staatsrats Chinas (2002), S. 136ff.
Kultur - Unternehmenskultur
43
nehmen von deutschen und chinesischen Kooperationspartnem, das mit Sitz in China
nach chinesischem Recht gegrtindet wird und in dem Geschaftsfiihrung, Risiko,
Gewinn und Verlust geteilt werden. Andererseits versteht man darunter einen Gemeinschaftskulturkreis mit deutlicher Pragung der chinesischen und deutschen Kulturen
und Kulturfaktoren im engeren Sinne. In einem deutsch-chinesischen Jointventure
wirken betriebswirtschaftliche und multikulturelle Phanomene zusammen fur den
Erfolg, aber auch fur den Misserfolg eines Untemehmens.
2.1.6 Kultur - Wirtschaft - Gesellschaft - Politik
In der kultursoziologischen Auffassung stellt Gesellschaft das Sozialsystem mit
spezifischen Organisationsformen dar, innerhalb derer die Menschen miteinander
interagieren konnen. Die Interaktionen der Menschen in diesen Institutionen fmden
unter bestimmten soziookonomischen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen statt. Bei dieser Verkniipfung mit Gesellschaft, Wirtschaft und Politik steuert
Kultur die Werte und das Verhalten von Menschen.^^
Ein typisches deutsch-chinesisches Jointventure, das sich in einer chinesischen
Umgebung befindet, besteht in der Regel aus zwei Gruppen: Deutschen und
chinesischen Mitarbeitem. Demzufolge resultieren auch die Basisannahmen^^ dieser
Gruppen aus ihrer jeweiligen Herkunft.
Der Einfluss der Kulturfaktoren des engeren Kulturbegriffs wirkt iiber die Basisannahmen auf die jeweilige Unternehmenskultur. Obwohl der Einfluss auf der Ebene
von Basisannahmen nicht immer sichtbar und bewusst ist, kann man trotzdem diesen
Einfluss auf der Ebene von Normen, Standards und Symbolsystemen bemerken und
beobachten. So lemen junge Menschen z. B. aus amerikanischen und europaischen
Filmen, wie „der Deutsche" sich kleidet und verhalt, weiterhin iibertragen die jungen
Chinesen den Kleidungsstil und das Verhaltensmodell in die Jointventures. Anderseits
haben auch viele Deutsche auf diese Weise gelemt, wie „der Chinese" sein „soir'.
^^
^^
Vgl. Mintzel (1993), S. 180ff, vgl. Meyer (2000), S. 18ff
Vgl. Abbildung 2-2
44
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Auch wenn ein Jointventure grundsatzlich wirtschaftlich orientiert ist, muss beachtet
werden, dass derzeit im chinesischen Umfeld im Allgemeinen und in der VR China im
Besonderen rein okonomische Grundsatze starker ins Gewicht fallen als in Deutschland, wo kulturelle und gesamtgesellschaftliche Aspekte, wie z. B. der Umweltschutz
Oder die Menschenrechte in der Regel hohere Beachtung in den Untemehmen erfahren.
Dieses wird auch auf der Ebene von Normen und Standards sowie in Symbolsystemen
sichtbar.
Schon immer haben in der Geschichte Chinas die Kulturfaktoren im engeren Sinne,
die Politik, die Gesellschaft und die Wirtschafl zusammen gewirkt. Zum Beispiel wird
Musik oft als politisches Instrument genutzt, weil sie „Zusammenhang in die gesellschaftlichen Beziehungen bringt"^"^. Die „Kulturrevolution", die landesweite politische
Bewegung von 1966 bis 1976, war sowohl vom Namen her, als auch inhaltlich mit
Kultur, insbesondere den Kulturfaktoren im engeren Sinn, eng verbunden. Ausloser
der Kulturrevolution war eine Theaterauffuhrung. Uber alle weiteren kulturellen
Gebiete hinweg breitete sie sich bis in den letzten politischen, gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und betrieblichen Winkel aus. Die hier gezeigte iiberragende
Bedeutung der Kultur far China gilt auch in der jtingeren Vergangenheit und heute. Sie
gilt ebenso fur Jointventures, wenn auch in abgeschwachter Form.
Aus der im Kapitel 2.1.2 geschilderten Tradition der „vier Fahigkeiten" heraus zeigen
die chinesischen Untemehmer und Mitarbeiter in Jointventures auch durch ihre
Fahigkeiten im oder ihre Beziehung zum Kulturbereich im engeren Sinne, dass sie die
gut ausgebildete Oberschicht der Gesellschaft und Leute mit Geschmack sind. Dariiber
hinaus werden die Jointventures, insbesondere aus der Sicht der chinesischen Kooperationspartner, so konstruiert, dass sie neben den betrieblichen Aktivitaten auch
kulturelle haben, um dadurch ein gutes Image zu bilden. Zum Beispiel nutzen viele
deutsch-chinesische Jointventures klassische Musik als Schwerpunkt bei der Unternehmensvorstellung oder bei der Werbung. Ftir die meisten chinesischen Konsumenten ist ein Untemehmen mit „klassischer Musik" gleichbedeutend mit einem
„Edeluntemehmen". Die enge Bindung zwischen „Musik" und „Edle" ist tief in der
Q4
Li Ji (ca. 2. Jahrhundert n. Chr.), S. 132, Ubersetzung aus Wilhelm (1981), S.73
Kultur - Unternehmenskultur
45
chinesischen Tradition verwurzelt. Nach Konfuzius „kennt die Menge zwar den Ton,
aber nicht die Musik. Nur der Edle vermag es, den Sinn der Musik zu verstehen"^^
Heutzutage orientiert sich die chinesische Regierung hauptsachlich an der Wirtschaftsentwicklung. So ist die politische Kontrolle der Untemehmen durch die Regierung in
China deutlich schwacher als in der Mao-Zeit. Bei Jointventures gibt es nur wenig
direkte politische Steuerung im Rahmen der rechtlichen und wirtschaftHchen Bedingungen. Fiir China sind die Jointventures einerseits Wege zu fortschrittlichen Technologien, andererseits aber auch Fenster direkt zum Westen, wobei eine Gefahr der
„geistigen Verschmutzung" ^^ aus dem Westen gesehen wird. Deswegen sind die
Kulturfaktoren die beste Moglichkeit fur die Regierung die Jointventures ideologisch
und geistig zu beeinflussen. Dazu wurden und werden die Medien und das
musikalische Erziehungs- und Schulsystem eingesetzt. Es ist eine alte Tradition in
China, wonach „die ahen Konige bei der Gestaltung von Sitte und Musik nicht nur
darauf bedacht waren, das Begehren von Mund und Magen, Ohr und Auge restlos zu
erfuUen, sondem auch die Absicht hatten, das Volk zu lehren, seine Zu- und
Abneigungen zu maBigen, und es auf das rechte Ziel des Menschenweges
zurtickzubringen"^^. Wegen der ideologischen Schwache des derzeitigen politischen
Systems wirkt die Politik heute weniger durch die Basisannahmen, sondem viel mehr
direkt auf der Ebene von Normen und Standards sowie der Symbolsysteme, und zwar
in Form von Kulturveranstaltungen. Fur die deutsch-chinesischen Jointventures sind
die kulturellen Veranstaltungen auch effektive Wege zur Kommunikation mit der
Regierung und zu direkten Verbindungen in PoHtik und Gesellschaft.
Der gesellschaflHche Einfluss auf die Unternehmenskultur ist in der VR China erheblich groBer als in Deutschland, da es in China eine zu groBe Bevolkerung mit
ungeheuren Unterschieden in Ausbildung und Finanzkraft gibt. Dieses wird auf der
Ebene von Normen, Standards und Symbolsystemen deutlich. Nach Untersuchungsergebnissen dieser Arbeit verhalten sich zum Beispiel viele chinesische Angestellte in
deutsch-chinesischen Jointventures, insbesondere in Klein- und Mittelstadten, in
hohem MaBe absichtlich wie „der Westler", um damit zu zeigen, dass sie erfolgreiche
Jointventuremitarbeiter sind.
Li Ji (ca. 2. Jahrhundert n. Chr.), S.132, Ubersetzung aus Wilhelm (1981), S.73
Abteilung fur historische Literatur des Zentralkomitee der KPCh (2004), S. 1273
Ebenda
46
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Die chinesische Gesellschafl ist im Kern eine Gesellschaft mit einem hohen MaB an
KoUektivismus und Einheitlichkeit, obwohl diese Situation in vielen deutschchinesischen Jointventures nach Untersuchungsergebnissen dieser Arbeit sich allmahlich geandert hat. Aus der Sicht der normalen Burger sind alle Untemehmen, die
deutsch-chinesischen Jointventures eingeschlossen, eine „Einheit" der Gesellschaft,
mit der man im standigen Dialog stehen soUte. Nachweislich erzielen Untemehmen,
die eine hohe Verzahnung mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld pflegen, eine hohere
Kundenbindung und hohere Gewinne als die auf diesem Gebiet weniger aktiven
Untemehmen.^^
Gesellschaft und Jointventures haben sich immer gegenseitig beeinflusst. Auf der
Ebene der Basisannahmen werden den Jointventures Rahmenbedingungen angeboten,
die ftir die Produktion und weitere Kooperationen wichtig und hilfi-eich sind. Dariiber
hinaus werden gut ausgebildete Arbeitskrafte zur Verfiigung gestellt, die gleichzeitig
auch Kulturtrager im chinesischen Sinn sind. Auf der Ebene der Normen und Standards bietet das Jointventure der Gesellschaft umgekehrt neue Symbole und Standards,
die normalerweise als westlich und modem gekennzeichnet werden, an.
Das Modell der Kulturebenen von Schein kann ftir Kultur in der Untemehmenskultur
deutsch-chinesischer Jointventures wie in folgender Abbildung entwickelt werden:
^^
Vgl. Luo/Lin (2003), S. 186-201
Kultur -
47
Unternehmenskultur
Wirtschaftlicher Einfluss:
Gewinnmaximierung als oberstes
Prinzip
Symbolsystem
Einfluss
von Kulturfaktoren im
engeren
Sinne:
Musik,
Theater,
Film,
Literatur,
Malerei
usw.
Sprache, Rituale,
Kleidung,
Umgangsformen
Sichtbar, aber interpretationsbediirftig
Normen und Standards
Maxime, Richtlinien,
Verbote
Basisannahmen aus
deutschen und
chinesischen Ouellen
Uber:
Umweltbezug
Wahrheit
Zeit
Menschen
Menschliches Handeln
Soziale Beziehungen
Teils sichtbar, teils
unbewusst
Teils sichtbar, teils
unbewusst
Gesellschaftlicher Einfluss:
Rahmenbedingungen fur die Produktion, Verkaufsmarkt und Quelle der
Arbeitskrafte
Abbildung 2-4: Unternehmenskultur in chinesischer Umgebung
alte Struktur von Schein^^
j^eue Struktur von Sun
Vgl. Abbildung 2-2
Politischer
Einfluss:
Propaganda
der
offentlichen
Medien,
Erziehungsund
Schulpolitik,
politischideologische
Beschrankungen
48
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
2.1.7 Kulturwandel in deutsch-chinesischen Jointventures
Im Vergleich zu rein chinesischen oder deutschen Untemehmenskulturen verandem
sich die Untemehmenskulturen der deutsch-chinesischen Jointventures erhebhch haufiger. Dieses kann besonders im Zuge von Fusionen und Krisen sowie als Folge der
GlobaUsierung beobachtet werden.
Zu Veranderungen in Untemehmenskulturen kommt es immer dann, wenn herkommliche Interpretations- und Handlungsmuster in die Krise fuhren oder fuhren wiirden.
Um erfolgreich zu sein, muss ein deutsch-chinesisches Jointventure sich dem Problem
stellen, dass deutsche und chinesische Mitarbeiter ihre jeweiligen eigenen, herkommlichen Interpretations- und Handlungsmuster teilweise aufgeben und die jeweils
anderen Muster mehr oder weniger entsprechend iibemehmen miissen.
Aber auch die dynamische gesellschaftliche Verandemng der VR China zieht einen
haufigen Kulturwandel in deutsch-chinesischen Jointventures nach sich. Da die
ideologische Gmndlage der chinesischen Mitarbeiter aus einer sich haufig verandemden Mischung aus uralter Tradition, Ahnenverehmng, konfuzianischer Moral und
Sozialismus sowie Einfliissen aus Marktwirtschaft und Globalisiemng, gepaart mit
einer gewissen Ellenbogenmentalitat, besteht, sind die Untemehmenskulturen deutschchinesischer Jointventures einer tendenziellen Instabilitat ausgesetzt. Dieses wird noch
dadurch verstarkt, dass sich die Belegschaften dieser Jointventures in der Mehrzahl aus
Angehorigen der jiingeren Generation rekmtieren, fur die iiber das oben Genannte
hinaus das Bedtirfnis, auf der Hohe der Zeit zu sein und intemationalen Standards zu
folgen, eine hohe Bedeutung hat.
Die Fahigkeit, solche dynamischen Verandemngen zu erkennen und deren Auswirkungen auf die Untemehmenskultur zu managen, ist also unabdingbare Voraussetzung
fur den Erfolg deutsch-chinesischer Jointventures.
Stand der Forschung
2.2
49
Stand der Forschung
Forschungen uber Untemehmenskultur und interkulturelle Untemehmenskultur bis
heute konnen in drei Phasen kategorisiert werden:
Die erste Phase dauerte von Ende der 60er bis Anfang der 80er Jahre des 20.
Jahrhunderts und wurde als „kulturvergleichend" gekennzeichnet. Diese Phase bestand
aus zwei auseinander gehenden HauptUnien, die beide zu aktuellen Forschungsthemen
fiihrten. Die erste Linie beschrieb Hofstede mit seiner kulturvergleichenden Studie
uber kulturelle Unterschiede zwischen vielen Landem. Die zweite Linie bestand aus
US-amerikanischen Forschungen Uber die unterschiedliche Untemehmenskultur in den
USA und in Japan in Bezug auf die japanischen Wirtschaftserfolge.
Die zweite Phase begann in den USA durch die Veroffentlichung von Peters und
Waterman im Jahre 1982 und wurde als „intrakulturell" bezeichnet. Die amerikanischen Forscher nahmen nur wenig oder gar nicht mehr auf die japanischen Erfolge
Bezug, sondem konzentrierten sich direkt auf die amerikanische Untemehmenskultur.
Fiir Deutschland und die Volksrepublik China war diese Phase eine Chance, durch
Ubersetzung der einschlagigen Literatur und Ubertragung der Erfahmngen aus den
USA und Japan zu lemen und Forschungen zu Untemehmenskultur im eigenen Land
zu betreiben.
Die dritte Phase der Forschungen, die am Ende der SOer Jahre des 20. Jahrhunderts
begonnen hat und bis heute andauert, hat die Globalisiemng zum Anlass und
Gegenstand. „Interkultureir' ist das Kennzeichen dieser Phase. Die Forscher haben
sich mit interkultureller Untemehmenskultur beschaftigt. Im Vergleich zur ersten Phase sind die Schwerpunkte hier kulturelle Konflikte wahrend der interkulturellen Zusammenarbeit sowie deren mogliche Losungen. Einerseits hat sich die Zahl der in der
dritten Phase betroffenen Lander und Kulturen vergroBert: War es zunachst nur der
Vergleich zwischen den USA und Japan, der untersucht wurde, so wurden dann interkulturelle Untemehmenskulturen zwischen Amerika und Europa, Deutschland und
Osteuropa, Deutschland und China zum Gegenstand der Forschungen. Andererseits
forschte man vertieft: Neben vergleichenden Studien wurden auch Losungen bei interkulturellen Konflikten sowie Trainingsangebote entwickelt.
50
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Seit Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts ist China der groBte Geschaftspartner
Europas und auch Deutschlands in Asien. Aus diesem Grund sind das interkulturelle
Management far deutsch-chinesische Jointventures und die Zusammenarbeit von
beiden Landem erforscht worden. Diese auf China bezogenen Forschungen nahem
sich ihren Gegenstanden entweder aus empirischer Managementsicht oder aus psychologischer Richtung. Letztere wiederum sind entweder vergleichende Studien oder
Ursachen- und Wirkungsanalysen von interkulturellen Konflikten und deren Losungen.
Es gibt keinerlei wissenschaftHche Forschungen tiber die Untemehmenskultur in
einem deutsch-chinesischen Jointventure aus kulturwissenschaftlicher Sicht und mit
dem Fokus auf die engeren Kulturelemente wie Film, Literatur, Musik usw. Genau
damit wird sich jedoch diese Arbeit befassen.
2.2.1 Von kulturvergleichenden zu intrakulturellen Forschungen
Die erste wichtige empirische Forschung uber kulturelle Unterschiede sowohl zwischen Landem als auch zwischen Organisationen begann Hofstede am Ende der 60er
Jahre des 20. Jahrhunderts. In einer von 1967 bis 1973 dauemden umfassenden Studie
wurden insgesamt 116.000 IBM-Mitarbeiter in 40 Landem und Gebieten empirisch
befragt. Ziel der Forschung war es Kulturdimensionen zu identifizieren, anhand derer
Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Landem festgestellt werden konnen.
Als Ergebnis dieser Forschung wurde das Buch Culture's Consequences im Jahr 1980
veroffentlicht. In diesem Buch entwickelt Hofstede vier (spater funf) Dimensionen zur
Kulturanalyse: die Machtdistanz, die Unsicherheitsvermeidung, der IndividualismusKollektivismus, die Maskulinitat-Femininitat sowie die langfristige-kurzfristige Orientiemng^^^. Das Buch erlangte allerdings nur einen geringen Einfluss, obwohl es damals
„kaum empirisch gestiitzte Informationen zu diesem Thema"^^^ gab. Da die Globalisiemng erst danach in den 80er Jahren ihre bis heute andauemde Bedeutung gewann,
fand das Buch kein breites Leserpublikum.
Ende der 70er und Anfang der SOer Jahre des 20. Jahrhunderts, parallel zur Veroffentlichung der Forschungsergebnisse von Hofstede, beschaftigten sich andere
^^^
^^^
Vgl. Hofstede (1980b); vgl. Hofstede (2001)
Hofstede (1993), S. 7
Stand der Forschung
51
Wissenschaftler auch mit dem Thema des interkulturellen Vergleichs, hauptsachlich
nur zwischen Untemehmen in den zwei Landem USA und Japan. Die Wissenschaftler
beschaftigten sich insbesondere mit der Frage, ob „kulturfreie" Prinzipien des Managements betriebswirtschaftlicher Organisationen festgestellt werden konnen. Auch
die umgekehrte Fragestellung wurde untersucht. Der Anlass war der sich in den 70er
Jahren abzeichnende phanomenale Aufstieg Japans von einer bis dahin wirtschafthch
eher unterentwickelten Nation zu einer Wirtschaftsmacht ersten Ranges. Als die
fiihrende Industrienation waren die Vereinigten Staaten davon besonders betroffen.
Angesichts der japanischen Erfolge auf den Weltmarkten fragten insbesondere amerikanische Wissenschaftler nach dem Erft)lgsrezept japanischer Untemehmen. Beispielsweise ging man der Frage nach inwieweit die Personlichkeits-variablen des Personals
einer Untemehmung kulturspezifisch gepragt waren und welche Konsequenzen sich
daraus ergaben. Kultur wurde hier als Bedingungsfaktor der Funktionalitat von
Strukturen und Prozessen in Untemehmungen interpretiert, insbesondere in einer
bestimmten Gesellschaft mit jeweiligen kulturellen Traditionen.
Im Mittelpunkt der japanisch-amerikanischen kulturvergleichenden Forschungen stehen zwei wichtige Buchveroffentlichungen im Jahr 1981, die einige Jahre spater die
deutschen und chinesischen Forschungen iiber Untemehmenskultur beeinflussten. Das
erste Buch Theory Z. How American Business Can Meet the Japanese Challenge
von Ouchi hat an einem ausgewahlten Organisationsmodell mit sieben Variablen
gezeigt, dass deutlich unterschiedliche Modellvarianten zwischen Japanem (Typ J)
und Amerikanem (Typ A) bestehen. Nach Ouchi seien die Vorteile des japanischen
Typs Homogenitat, Stabilitat und KoUektivismus, wahrend Typ A Heterogenitat, Mobilitat und Individualismus entsprache.'^^ Im Weiteren hat Ouchi einen Typ Z entwickelt, einen idealen Organisationstyp fiir die amerikanischen Untemehmen, um den
Typ J kompensieren zu konnen. Nach der Theorie des Typs Z (Theory Z) gehoren die
Werte wie Kooperationsbereitschaft, Vertrauen und gegenseitige Anerkennung zu der
gewUnschten Organisationskultur.
Das zweite Buch aus dem Jahr 1981 The Art of Japanese Management war von
Pascale und Athos. Fiir die ft)lgenden Forschungen haben Pascale und Athos zwei
'^^
^^^
Ouchi (1981)
Vgl. Ebenda, S. 58ff.
52
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
wichtige Uberlegungen beigetragen. Erstens haben sie im interkulturellen Vergleich
mit Japan die amerikanische Untemehmung in ihrem gesellschaftlichen Umfeld gekennzeichnet. Dadurch wurden der Kulturbegriff und die konkrete Untemehmung
erstmalig eng zusammengebracht. Zweitens haben sie zusammen mit Peters und
Waterman bei einem Modell zwischen „harten" (Strategic, Struktur, Systeme) und
„weichen" (Selbstverstandnis, Spezialkenntnisse, Stil und Stammpersonal) Instrumenten unterschieden. Dieses ,,7-S-Modeir' ist ein Systematisierungsrahmen, in dem
die sieben wichtigsten Variablen, die alle mit S beginnen, ihre Interaktion und ihr
Einfluss auf den Erfolg einer betriebswirtschaftlichen Organisation beschrieben
werden (siehe unten stehende Abbildung). Darauf aufbauend haben Pascale und Athos
das Modell als konzeptionelle Grundlage fur ihre Forschung verwendet.^^'^ Das Konzept wurde dann von der Untcmchmensberatungsgcscllschaft McKinsey erfolgreich
auf amerikanische Untemehmen iibertragen und bekannt als das „McKinsey-7SModell".
Abbildung 2-5: Das McKinsey-7S-Modell^'
Vgl. Pascale/Athos (1981), S. 93ff.
Quelle: PetersAVaterman (1984), S. 32
Stand der Forschung
53
Pascale und Athos glauben, dass die Japaner mehr Erfolge als die Amerikaner erreichten, weil sie den „weichen" Instrumenten starkere Aufmerksamkeit widmeten als die
Amerikaner. ^^^
1982 standen Deal und Kennedy mit ihrem Buch Corporate Cultures. Rites and
Rituals of Corporate Life an dem Wendepunkt von kulturvergleichender zu intrakultureller Forschung. Das Buch bezieht sich hauptsachlich auf die Mikro-Ebene der
Untemehmung. Im Vergleich zu den beiden zuvor angesprochenen Biichem haben die
Autoren die Auffassung, dass Untemehmenskultur nicht nur gestaltet und gesteuert,
sondem auch kreiert werden konne. Funktionen und Bedeutung der einzelnen Elemente der Kultur und Untemehmenskultur, wie z. B. Elemente von Symbolen, Ritualen, Mythen, kulturellem Netzwerk usw., werden ebenfalls ausfiihrlich erortert^^^. Der
Begriff der Kultur in dieser Forschung, wie in alien anderen Forschungen bis zu dieser
Zeit ebenfalls, bedeutete in keinem Fall die engeren Kulturinhalte wie Film, Musik,
Literatur usw. Auch der Begriff der „Untemehmenskultur" in dieser Forschung war
nicht ganz klar und eindeutig. Eine systematische Klarheit dariiber wurde spater von
Schein durch seine Monographic entwickelt.
Mit dem Buch In Search of Excellence - Lessons from America's Best-Run Companies
von Peters und Waterman erfuhr die Untemehmensforschung eine intensive Vertiefung in intrakultureller Umgebung. In diesem im Jahr 1982 veroffentlichten Buch ist
das ,,7-S-Konzept" von besonderer Bedeutung. Auf dieser Basis haben Peters und
Waterman ihre Forschung auf rein amerikanische Untemehmen fokussiert. Sie wahlten
fiinfundsiebzig hochangesehene Untemehmen aus und fiihrten bei mnd der Halfte
dieser Firmen griindliche, stmkturierte Interviews durch. Als Ergebnisse haben sie acht
Merkmale ermittelt, die ebenfalls als innovative Faktoren von Untemehmenskultur
angesehen werden. ^^^
106
107
108
Pascale/Athos (1981), S. 244ff
Vgl. Deal/Kennedy (1987), S. 71ff.
Vgl. PetersAVaterman (1984), S. 35ff
54
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
2.2.2 Ubertragungs- und Lernprozesse in Deutschland und China
Direkt zu kulturvergleichenden Forschungen gab es im deutschsprachigen Raum zu
Beginn der 80er Jahre des 20 Jahrhunderts nur einige wenige Beitrage. Darunter waren
von Bedeutung:
- Hofstede: Kultur und Organisation ^ ^^
- Diilfer: Zum Problem der Umweltberiicksichtigung im „Internationalen Management''^^^
' Gaugler und Zander: Haben uns die Japaner Uberholt?^ ^^
- Keller: Management in fremden Kulturen ^ ^ ^
- Kumar: Die multinationale Unternehmung und das Grundbediirfniskonzept^^^
Die im Kapitel 2.2.1 skizzierten amerikanischen Werke wurden nach ihrem Erscheinen
allmahlich in die deutsche Sprache iibersetzt. Es folgten weitere und vertiefende
Studien in Untemehmen in Deutschland. Beispielsweise hat Bruer eine fast 60-seitige
„Einleitung" zu der deutschen Ubersetzung des Buches von Deal/Kennedy mit sieben
Fallstudien iiber deutsche Untemehmungen geschrieben.^^"^
Die Volksrepublik China hat seit 1978 eine tief greifende politische und wirtschaftliche Reform durchgeftihrt. Dem Aufruf von Deng Xiaoping im Jahr 1978 „Lemen
und Adaptieren der fortschrittlichen Managementmodelle und Verwaltungsmethoden
der Welt, inklusive der westlichen Lander" ^^^ folgend veranlasste die chinesische
Regierung seinerzeit die Ubersetzung westlicher Managementliteratur und eine
vergleichsweise unkritische Ubemahme dieser Managementtheorien in die Betriebe.
Das Konzept der Untemehmenskultur wurde bei dieser Gelegenheit zeitnah nach
China importiert. Die Biicher von Pascale/Athos (1981) und PetersAVaterman (1981)
wurden bereits im Jahr 1984 bzw.1985 ins Chinesische iibersetzt, veroffentlicht und
landesweit als Lehrbiicher fur die Ausbildung der betriebswirtschaftlichen Manager
109
110
111
112
113
114
115
Vgl. Hofstede (1980a)
VgLDulfer(1981)
Vgl. Gaugler/Zander (1981)
Vgl. Keller (1982)
Vgl. Kumar (1982)
Deal/Kennedy (1987), S. 13ff
Deng (1978), S. 91, Ubersetzung des Verfassers
Stand der Forschung
55
verwendet. Als eines der Ergebnisse ist bis heute die starke japanische und amerikanische Pragung der Untemehmenskulturen in chinesischen Untemehmen zu beobachten. Sie haben auch die deutsch-chinesischen Jointventures in einem groBen MaB beeinflusst.
Die Erscheinungstermine der vier zuvor besprochenen amerikanischen Werke und
deren deutscher bzw. chinesischer Ubersetzung sind in folgender Tabelle aufgefuhrt.
Titel
Autor(en)
Theory Z. How
American
Business Can
Meet the
Japanese
Challenge
Ouchi
Original in
1981
den USA
Deutsche
Keine Auflage
Ubersetzung
Chinesische 1984
Ubersetzung
The Art of
Japanese
Management
Corporate
Cultures. Rites
and Rituals of
Corporate Life
In Search of
Excellence.
Lessons from
America's BestRun Companies
Pascale/Athos
Deal/Kennedy
PetersAVaterman
1981
1982
1982
1982
1987
1983
1984
1989
1985
Tabelle 2-4: Die vier amerikanischen Werke und ihre Ubersetzungen
Etwa Mitte bis Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, zwischen der zweiten und
dritten Phase, war eine Zeit der methodologischen Einordnung. Durch einige Monographien, vor allem aus den USA, aber auch aus Deutschland, wurden die Rahmenbedingungen der Forschung liber Organisations- sowie Untemehmenskultur und ihre
grundsatzlichen Definitionen festgelegt. Schein hat in seinem Buch Organizational
Culture and Leadership die Definition der Untemehmenskultur systematisch zusammengefasst und eingeordnet. Dariiber hinaus hat er „die Ebenen der Kultur" entwickelt.
Der Begriff „Ebene" bezieht sich hier auf „den Grad der Sichtbarkeit eines kulturellen
Phanomens"^^^ Damit kann man Kultur auf verschiedenen Ebenen analysieren. Dieses
Stufenmodell von Schein stellt sich wie folgt dar:
Schein (1995), S.29ff.
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
56
Sichtbare Strukturen und Prozesse im Untemehmen (leicht zu beobachten, aber schwer zu entschltisseln)
Artefakte
i
t
Bekundete Werte
\
t
Grundpramissen
Strategien, Ziele, Philosophic (bekundete Rechtfertigungen)
Unbewusste, selbstverstandliche Anschauungen,
Wahmehmungen, Gedanken und Gefuhle (Ausgangspunkt fiir Werte und Handlungen)
Abbildung 2-6: Kultur auf verschiedenen Ebenen^
Dieses Stufenmodell ist von vielen deutschen Forschem als Grundlage herangezogen
geworden, obwohl die deutsche Ubersetzung des Buches von Schein unter dem Titel
Unternehmenskultur - Ein Handbuchfir Fuhrungskrdfte erst zehn Jahre nach seinem
englischen Erscheinen in Deutschland veroffentlicht wurde. Im Gegensatz dazu
kennen und verwenden nur wenige Forscher in China diese Systematik fur ihre
Beobachtung und Analyse der Unternehmenskultur, da es bis heute noch keine chinesische Obersetzung des Buches gibt. Aber seine grundsatzliche Theorie war durch ihre
Vorstellung in anderen Werken in China sehr bekannt.
AuBer Schein hat Heinen im Jahr 1987 in Zusammenarbeit mit anderen deutschen
Forschem den Titel Unternehmenskultur: Perspektiven fur Wissenschaft und Praxis
veroffentlicht. In diesem Buch wird ein „entscheidungsorientierter Untemehmenskulturbegriff, dessen wesentliche Elemente Werte, Werthaltungen und Normen (Regeln, Vorschriften, technische Normen, Gebrauche, moralische Prinzipien, IdealRegeln) ^^^ sind, entwickelt. Daruber hinaus umfassen drei Dimensionen (Verankerungsgrad, UbereinstimmungsausmaB und Systemvereinbarkeit) 16 Auspragungstypen
der Unternehmenskultur.^^^ Die chinesische Ubersetzung dieses Buches wurde 1990 in
Peking veroffentlicht, aber der darin entwickelte „entscheidungsorientierte UntemehNach Schein (1995), S. 30
Heinen (1987), S.22ff.
Ebenda, S. 26ff.
Stand der Forschung
57
menskulturbegriff sowie die „16 Auspragungstypen der Untemehmenskultur" haben
wenig Aufmerksamkeit in China gefunden.^^^
Wahrend des Ubersetzungs- und Lemprozesses wurden viele Werke iiber Unternehmenskultur und -management direkt aus dem Japanischen ins Chinesische iibersetzt, vor allem die Werke der Griinder erfolgreicher und bekannter japanischer Unternehmen wie Panasonic, Sony usw. Chinesische Untemehmen wurden insbesondere auf
der theoretischen Ebene der Untemehmenskultur vergleichsweise mehr von Japan und
den USA, aber weniger von Deutschland beeinflusst. Seit Ende der 80er Jahre des 20.
Jahrhunderts haben chinesische Wissenschaftler rein chinesische Untemehmen, die die
japanischen oder amerikanischen Erfahmngen in der Untemehmenskultur intensiv
gelemt und erprobt hatten, erforscht. Dabei ergab sich, dass die erfolgreichsten und
bekanntesten Untemehmen Chinas nicht einem rein japanischen oder amerikanischen
Untemehmenskultur-Modell folgen, sondem sehr auf eine tiefe nationale Pragung
Wertlegen.^^^
Durch den Ubersetzungs- und Lemprozess, der in Deutschland noch eine Vertiefung in
der Forschung erfuhr, waren Deutschland und China bereit tief gehende Forschungen
im Rahmen der wirtschaftlichen Globalisiemng zu konfrontieren.
2.2.3 Forschungen mit Schwerpunkt glohales Handeln
Angesichts kultureller Konflikte und kritischer Problemstellungen im Rahmen landertibergreifender Geschaftsaktivitaten sowie einer verstarkten Zusammenarbeit seit Ende
der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts haben die Forscher wieder einmal auf die Internationale Ebene fokussiert. Aber in dieser Phase, die bis heute gilt, haben im Gegensatz zur ersten Phase die Forschungen nicht mehr nur Kulturvergleiche, sondem direkt
Geschaftsaktivitaten und die Zusammenarbeit zwischen zwei oder mehr Kulturen zum
Gegenstand. Man konnte sie also kennzeichnen wie Hofstedes Buch im Jahr 1991
titelte Lokales Denken, globales Handeln ^^. Es gibt dariiber hinaus zahlreiche Lite-
^^^
^^^
^^^
Vgl. Luo/Lin (2003), S. 110 und S. 257ff.
Vgl. Hua (2000); vgl. Lu/Yao (1998)
Hofstede(2001)
58
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
ratur zur theoretischen Einfuhrung sowie zur Losung konkreter Probleme in der
interkulturellen Praxis. Darunter sind die folgenden Werke in Bezug auf diese Arbeit
die wichtigsten.
2.2.3.1 Kulturdimensionen nach Hofstede
Elf Jahre nach dem Erscheinen des Buches Culture's Consequences veroffentlichte
Hofstede im Jahr 1991 eine tiberarbeitete Neuauflage. ^^^ Im Gegensatz zu dem
Vorlaufer hat das neue Werk schnell weltweit in der Wirtschaftspraxis starkere Beachtung geftinden und wurde in kurzer Zeit in Chinesisch, Japanisch, Koreanisch usw.
iibersetzt. Die deutsche Ubersetzung erschien im Jahr 1993 mit dem Titel Interkulturelle Zusammenarbeit. Kulturen - Organisationen - Management.
Nach Hofstede liefert eine Analyse der flinf Dimensionen ein Bild der jeweiligen
Kultur. Dabei kennzeichnet die Machtdistanz das AusmaB der in einer Gesellschaft
vorfindbaren und von ihren Mitgliedem akzeptierten ungleichen Machtverteilung. Die
zweite Dimension Hofstedes beschreibt die Unsicherheitsvermeidung, d. h. die kulturell gepragte Haltung, mit der die Mitglieder einer Gesellschaft unsicheren bzw.
nicht eindeutigen Situationen begegnen. Die Unsicherheitsvermeidung kennzeichnet
die Reaktion auf den Grad, „in dem die Mitglieder einer Kultur sich durch ungewisse
Oder unbekannte Situationen bedroht fiihlen"^^"^.
Im Rahmen der dritten Dimension unterscheidet Hofstede zwischen individualistischen und koUektivistischen Kulturen. In kollektivistisch gepragten Kulturen sind die
Menschen in einen weiten Familienkreis oder „starke geschlossene" Gruppen integriert. Ihre Aktionen und Handlungen sind nicht nur auf das eigene Wohlergehen
ausgerichtet, sondem sind untrennbar mit dem Wohl ihres gesamten sozialen
Umfeldes verbunden. Wahrend sich kollektivistische Kulturen eher durch ein
ausgepragtes „Wir-Gefuhr' auszeichnen, sind individualistische Kulturen durch eine
„ich-bezogene" Betrachtung gekennzeichnet.
^^^
^^"^
Hofstede (1993), S. 5-6
Ebenda, S. 133
Stand der Forschung
59
Hinsichtlich der Dimension der Maskulinitat-Feminitat fiihrt Hofstede aus, dass in
Gesellschaften, die sich durch eine hohe Maskulinitat auszeichnen, die Rollen von
Mann und Frau klar voneinander abgegrenzt sind. In femininen Gesellschaften tiberschneiden sich hingegen die Rollen der beiden Geschlechter und feminine Werte
werden nicht geringer bewertet, sondem durchaus hoch angesehen. Ende der achtziger
Jahre des 20. Jahrhunderts hat Hofstede gemeinsam mit Bond zu den vier Dimensionen eine funfte Dimension erganzt. Diese Dimension beinhaltet die Zukunftsorientierung bzw. die „langfristige Orientierung" und die „kurzfristige Orientierung" der untersuchten Kulturen.^^^
Die Theorie der ftinf Dimensionen von Hofstede ist zwar bis heute immer noch eine
der wichtigsten Grundlagen fiir eine interkulturelle Studie, sie kann jedoch aus den
folgenden Griinden nur begrenzt auf eine Studie heutiger deutsch-chinesischer Unternehmen in der Volksrepublik China tibertragen werden.
Hofstede hat seine grundsatzliche Forschung im Wesentlichen von 1967 bis 1973
durchgefiihrt und dabei die Bundesrepublik Deutschland fiir die deutsche Kultur sowie
Hongkong und Taiwan als Orte der chinesischen Kultur ausgewahlt. Allein in Bezug
auf Flache und Bevolkerung ist es zumindest fraglich, ob Hongkong und Taiwan
typische chinesische Kulturtrager sind. Betrachtet man jedoch Gesellschaft, Politik,
Wirtschaft und Kultur sowie deren Zusammenhange/^^ wird deutlich, dass eine Erweiterung der Betrachtung auf die Volksrepublik China dringend notig ist. So ist z. B.
die gesellschaftliche und politische Entwicklung seit 1949 in der Volksrepublik vollig
anders verlaufen als in Taiwan und Hongkong.
Erst einige Jahre nach Abschluss der Forschung Hofstedes wurde 1980 das erste Jointventure in der Volksrepublik China offiziell gegriindet, eine Kooperation einer chinesischen Luftfahrtgesellschaft mit einem amerikanischen Partner. Das erste deutschchinesische Jointventure wurde kurz danach von Siemens in Shanghai gegrundet. Die
meisten deutsch-chinesischen Jointventures sind seit Mitte der 80er Jahre des 20.
Jahrhunderts entstanden. Grundlegend geandert haben sich auch die Verhaltnisse in
^^^
^^^
Vgl. Hofstede (1993), S. 190
Vgl. Meyer (2000), S. 18ff.
60
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Hongkong, wahrend die Auswirkungen der deutschen Wiedervereinigung fur diese
Arbeit unerheblich sind.
2.2.3.2 Meta-Analyse: Individualismus-Kollektivismus
Eine der fiinf Dimensionen von Hofstede erhielt durch Oyserman, Coon und Kemmelmeier eine Erganzung. Sie fuhrten eine Meta-Analyse iiber 50 Studien (ab 1990) durch.
Aus Abbildung 2-7 wird ersichtlich, dass die VR China - wie zu erwarten war hohere Kollektivismuswerte und geringere Individualismuswerte aufweist als Deutschland nach der Wiedervereinigung.^^^
Abbildung 2-7: Individualismus-Kollektivismus^^^
Die Meta-Analyse ist keine einheitliche und unabhangige Untersuchung, sondem eher
eine Zusammenfassung durch Analyse der Ergebnisse vieler Studien.
127
128
Vgl. Oyserman/Coon/Kemmelmeier (2002)
Quelle: Oyserman/Coon/Kemmelmeier (2002), S. 23; Samtliche Lander wurden in ihrer Abweichung zu den USA untersucht. Diese Abbildung stellt die Ergebnisse in graphischer Form dar:
Die EffektgroBen ftir Individualismus und Kollektivismus wurden gegeneinander abgetragen,
der Schnittpunkt der Achsen steht fur die Werte der USA (0/0). (Ger=Germany; PRC=People's
Republic of China; HK=Hongkong; TAI=Taiwan; SrN=Singapore).
Stand der Forschung
61
Sie baut, wie auch die vorherige Untersuchung von Hofstede, auf der Basis von Kulturvergleichen auf. Einerseits wurden konkrete Kultureigenheiten und tief liegende
Kulturtraditionen der untersuchten Lander nicht genug berucksichtigt. Anderseits wurden deutsch-chinesische Untemehmen nicht extra fokussiert. Die fur diese Arbeit
durchgefuhrte Befragung und deren Analyse zeigen ein deutlich individualistischeres
Verhalten der chinesischen Mitarbeiter in deutsch-chinesischen Jointventures als in
vergleichbaren rein chinesischen Untemehmen, In der Individualismus-Kollektivismus-Analyse waren die Individualismuswerte viel hoher und die Kollektivismuswerte
erheblich niedriger als bei rein chinesischen Untemehmen.
2.2.4 Forschungen mit Schwerpunkt China
2.2.4.1 Forschungen zu Rahmenbedingungen
Zu diesem Thema war die Forschung von Trommsdorff und Wilpert, die im Jahr 1991
unter dem Titel Deutsch-chinesische Jointventures: Wirtschaft - Recht - Kultur veroffentlicht wurde, von besonderer Bedeutung. In dieser Forschung wurden zunachst
Bedingungen der natiirlichen und sozialen Umwelt, der kulturellen Einflussfaktoren,
des Wirtschaftssystems, der politischen Hintergriinde und der Rechtsrahmen fiir
Jointventures in China aufgezeigt. '^^ Daran schlieBt sich eine empirische Untersuchung iiber die Errichtung und den Betrieb deutsch-chinesischer Jointventures an.
Aus historischer Sicht stellt die Forschung von Trommsdorff und Wilpert einen
Meilenstein dar. Wahrend die meisten anderen Forschungen davor und danach sich nur
mit den kulturellen Konflikten in der Wirtschaft und deren Losungen beschaftigen, hat
sie die ca. zehnjahrige Entwicklung deutscher Untemehmen in China in einen Gesamtrahmen von Wirtschaft, Politik, Recht, Gesellschaft und Kultur gestellt. Zweifellos
sind viele der damaligen Rahmenbedingungen heute nicht mehr aktuell, obwohl im
Jahr 1995 Trommsdorff zusammen mit Schuchardt und Lesche ihre neue Fallstudie'^^
veroffentlicht haben, um den schnellen Entwicklungen und Verandemngen in China
Rechnung zu tragen.
^^^ Trommsdorff/Wilpert (1991), S. 3ff.
^ ^^ Vgl. Trommsdorff/Schuchardt/Lesche (1995)
62
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Die wirtschaftlichen und rechtlichen Bedingungen haben sich insbesondere wegen des
Beitritts Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 verandert. Die
kulturellen Bedingungen waren dem groBen Einfluss der Intemationalisierung ausgesetzt. Auch der Regierungswechsel in China Ende 2003 fiihrte zu einer Anderung der
Politik, insbesondere der Wirtschaftspolitik. Die Globalisierung ist schon immer nicht
nur eine wirtschaftliche und kulturelle, sondem auch eine politische und gesellschaftliche Dimension gewesen.^^^ Deswegen wird die vorliegende Arbeit die Kulturelemente deutsch-chinesischer Untemehmen unter den Rahmenbedingungen von Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur beschreiben und analysieren.
2.2.4.2 Das Regenshurger Forschungsprojekt
Von 1991 bis 1995 hat der Regensburger Lehrstuhl fur interkulturelle Psychologie
unter Leitung von Alexander Thomas das Forschungsprojekt „Handlungswirksamkeit
zentraler Kulturstandards in der Interaktion zwischen Deutschen und Chinesen" durchgefiihrt.^^^
Thomas unterscheidet zentrale und kontextuelle Kulturstandards. Ein „zentraler Kulturstandard" stellt einen Standard dar, der sehr allgemein ist und in einem weiten
Bereich von Situationen wirksam wird. Er reguliert weite Bereiche der Wahmehmung,
des Denkens, Wertens und Handelns. Ein Beispiel hierfur ist der kollektivistische
Kulturstandard. Im Gegensatz dazu konnen Kulturstandards auch enger gefasst sein,
bis hin zu sehr spezifischen Verhaltensregeln. In diesem Fall spricht man von
„kontextuellen Kulturstandards", die sich auf einen spezifischen Kontext beziehen und
dabei wirksam werden.^^^
Drei verschiedene Gruppen wurden untersucht: deutsche Sprachdozenten, deutsche
Studenten und deutsche Manager in China. Dabei wurden die VR China, Hongkong
und Taiwan getrennt betrachtet.
^^^
^^^
^^^
Vgl. Beck (1997), S. 34
Thomas/Schenk(1996)
Ebenda, S. 21-27; vgl. Thomas (1991)
Stand der Forschung
63
Bei der Untersuchung wurden die drei Personengruppen in halb standardisierten Interviews nach kritischen Interaktionssituationen mit Chinesen, im privaten wie im beruflichen Bereich, befragt. Aus den in diesen Interviews identifizierten kritischen Interaktionssituationen wurde ein Teil selektiert und je zwei chinesischen und zwei
deutschen Chinaexperten zur weiteren Analyse vorgelegt. Die Experten analysierten
die Situationen dahin gehend, ob sie eher auf personenspezifische Eigenheiten zuruckzufuhren oder kulturell beeinflusst worden waren. War Letzteres der Fall, wurde im
Weiteren versucht dieses kulturgepragte Verhalten kulturhistorisch, wirtschaftlich,
gesellschaftlich und politisch verankerten Ursachen zuzuordnen. Aus dieser Analyse
ergab sich eindeutig, dass es unterschiedliche Kulturstandards in der Volksrepublik
China, Hongkong und Taiwan gibt.
Neu an dem Regensburger Forschungsprojekt ist seine Orientierung an China bzw. an
der interkulturellen Kommunikation zwischen Chinesen und Deutschen. Allerdings
fehlt dem Projekt eine konkrete Fokussierung auf deutsch-chinesische Untemehmen
bzw. Jointventures. Normale Kommunikation und unabhangiges Verhalten zwischen
Chinesen und Deutschen unterscheiden sich sehr von der eng verbundenen Zusammenarbeit in einem Jointventure. Die Funktion und Wirksamkeit der Kulturfaktoren in
diesem Zusammenhang aber ist von alien ahnlichen Projekten wie dem Regensburger
Forschungsprojekt nicht erforscht worden.
2.2.4.3 Untersuchungen aus der Sicht der deutschen Partner
Ob das wirtschaftliche Engagement in den Jointventures in China erfolgreich durchgefiihrt werden kann, ist die wichtigste Frage fur jeden deutschen Partner. Was
bedeutet „Erfolg", wie beurteilt man ihn, welche Erfahrungen konnen durch erfolgreiche Jointventures ermittelt werden? Diese Fragen hat Dtierkop in seiner Untersuchung ausfiihrlich beantwortet^^"^. Als Ergebnisse hat er unterschiedliche Kriterien
zur Erfolgsbeurteilung entwickelt, entweder nach dem „Ziel-Ansatz" oder nach dem
„Kontingenz-Ansatz"^^^
'^^
'^^
Vgl.Duerkop(1996)
Ebenda,S. 150ff.
64
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Unterzieht man Duerkops Ausfuhrungen einer kritischen Wiirdigung, so fallt sofort
das Fehlen kultureller Aspekte bei den Erfolgskriterien auf. Allerdings muss darauf
hingewiesen werden, dass jedes Jointventure grundsatzlich profitorientiert gefuhrt und
zumindest langfristig ausschlieBlich an seinem wirtschaftlichen Erfolg gemessen wird.
Auf die kulturellen Erfolgskriterien wird diese Arbeit noch in einem spateren Kapitel
zuriickkommen.
Viele der deutschen Forscher haben bei Untersuchungen in deutsch-chinesischen
Jointventures in China bemerkt, dass die Kulturfaktoren des breiteren Begriffs wie z. B.
Sprache und Kleidung auch den Betriebserfolg beeinflussen. Peill-Schoeller hat zum
Beispiel durch seine Untersuchung des Problems der Sprachen in deutsch-chinesischen
Jointventures in China Folgendes herausgefunden:^^^
- Mittels eines Dolmetschers kann man keine Emotionen ausdrucken und sich
daher nur einer neutralen Gesprachsbasis bedienen.
- Meist sprechen Chinesen und Deutsche Englisch miteinander, sodass die
Probleme der Beherrschung einer Fremdsprache doppelt auftreten.
Aber er erforschte nicht weiter, ob die Nutzung der englischen Sprache auch zu einem
anderen Resultat, z. B. zu einer Annaherung an amerikanische Medien und dem damit
einhergehenden Einfluss der amerikanischen Kultur fuhren kann.
2.2.4.4 Untersuchungen aus der Sicht der chinesischen Partner
Erst seit Anfang des 21. Jahrhunderts werden systematische Forschungsergebnisse
iiber deutsch-chinesischen Jointventures, vor allem auf Chinesisch, aber auch auf
Deutsch, veroffentlicht. Inhaltlich konnen diese Forschungen in zwei Bereiche
kategorisiert werden:
Der eine ist die Zusammenfassung der etwa 20-jahrigen Erfahrungen der deutschchinesischen Kooperation und der daraus resultierenden Vorschlage oder Strategien
aus der Sicht der chinesischen Beobachter.^^^ Autoren der Aufsatze in diesem Bereich
sind vor allem chinesische Forscher und Beobachter von verschiedenen staatlichen
^^^
^^^
Peill-Schoeller (1994), S. 73ff.
Vgl. Meng (2003), S. 156-185
Stand der Forschung
65
Institutionen. Ihre Aufgabe bestand hauptsachlich darin, die deutsch-chinesischen
Kooperationen aus der chinesischen Sicht zu beurteilen, um den zustandigen Regierungsamtem und den chinesischen Kooperationspartnem strategische Vorschlage zu
machen. Die Forschungen wurden vor allem in groBen deutsch-chinesischen Unternehmen, normalerweise Kooperationen von groBen staatlichen chinesischen Untemehmen mit intemationalen deutschen Konzemen, durchgefuhrt. Bei der Grundung des
von dieser Arbeit auch untersuchten deutsch-chinesischen Untemehmens Nr. 19 wurde
zum Beispiel hinterfragt: Warum war es seit 20 Jahren bis 2004 kontinuierlich erfolgreich? Warum erlebt es seit 2005 eine Krise? Welche Erfolgserfahrungen von friiher
gehen heute nicht mehr? Neben den Forschungsergebnissen bietet der Aufsatz Vorschlage anJ^^ Diese Aufsatze zeigen haufig starke nationale Emotionen oder einen
starken Einfluss der chinesischen Tradition.
Der zweite Bereich beinhaltet Forschungen mit dem Schwerpunkt auf interkulturellen
Problemen und Konflikten in deutsch-chinesischen Jointventures und den moglichen
Losungen. Die Autoren dieser Forschungen haben meistens interkulturellen Hintergrund, wodurch sie die Theorie des Jointventures und die Kulturen beider Lander gut
kennen. Die Forschungsarbeiten wurden vor allem auf Deutsch geschrieben und
veroffentlicht. Der Kulturbegriff, der in diesen Forschungen verwendet wird, ist ein
Begriff mit breiteren Bedeutungen. Meng und Guan haben beispielsweise in ihren
Forschungen hauptsachlich Sozio-Kultur - Konfuzianismus, Taoismus, Buddhismus und ihren Einfluss auf die deutsch-chinesischen Jointventures geschildert. Forschungsschwerpunkt in diesem Bereich ist die Bedeutung der allgemeinen chinesischen Kultur
in ihrer Auswirkung auf das Arbeitsverhalten, wie zum Beispiel die Kommunikation,
die Mitarbeiterfiihrung, das Motivationsmanagement, die Entscheidungsfindung und
die Planung und Zielsetzung in deutsch-chinesischen Jointventures.^^^ Im Vergleich zu
Ergebnissen der bisherigen westlichen Untersuchungen haben die oben genannten
chinesischen Forschungen zwar den Vorteil, die chinesische Kultur und Tradition
tiefer betrachten zu konnen und praktische Losungen aus der chinesischen Sicht
vorzuschlagen, andererseits haben sie fast keine neueren Ergebnisse als die der
deutschen Forschungen anzubieten.
^^^
^^^
Wang/Xia (2005)
Vgl. Schuchardt (1994); vgl Meng (2003); vgl. Guan (2004)
66
2.3
Kapitel 2: Theoretische Grundlagen und Stand der Forschung
Kritische Zusammenfassung der bisherigen Forschungen
2.3.1 Fehlende Uherlegungen zu den Kulturfaktoren
Wie das Wort Xit (Kultur) in seiner Entwicklung in der chinesischen Geschichte
zeigt/"^^ ist der chinesische Kulturbegriff und damit auch der Begriff der Untemehmenskultur durchaus unterschiedlich im Vergleich zu seiner europaischen Bedeutung
zu sehen. Der Kemunterschied besteht darin, dass die Kulturfaktoren des engeren
europaischen Kulturbegriffs, wie Musik, Literatur, Film usw., nicht nur im normalen
Kulturleben, sondem auch in der Untemehmenskultur in China eine wichtige RoUe
spielen. Die bisherigen Forschungen, sowohl von westlichen wie auch von chinesischen Wissenschaftlem, haben diesen Punkt noch nicht berUcksichtigt. Die Grlinde
sind wie folgt:
1. In der klassischen westlichen Forschungstheorie uber Untemehmenskultur werden
Kulturfaktoren wie Musik, Film, Literatur usw. nicht direkt zur Organisations- und
Untemehmenskultur gerechnet, sondem eher als historischer und gesellschafllicher
Hintergmnd der jeweiligen Lander betrachtet. Chinesische Wissenschaftler haben seit
Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts in der Kegel die Theorien der Untemehmenskultur aus dem Westen, vor allem aus den USA vergleichsweise unkritisch
iibemommen und angewandt bzw. landesweit empfohlen, ohne mogliche Einflussfaktoren der chinesischen Kultur zu berucksichtigen.
2. In den Untemehmen ist der Einfluss der Kulturfaktoren des engeren Kulturbegriffs
einerseits manchmal unsichtbar und schwer zu messen, wie z. B. die Nutzung eines
Konzerts zur Losung eines interkulturellen Konflikts. Andererseits haben die engeren
Kulturfaktoren wie Musik, Theater, Malerei usw. tausende Jahre die Chinesen in ihrem
Leben, ihrer Arbeit und ihrem Handeln begleitet. Sie sind schon seit langem ein
normaler Teil des chinesischen Lebens und deswegen in den Jointventures als eine
Besonderheit zu beobachten.
^"^^
Vgl. Kapitel 2.1.2
Kritische Zusammenfassung der bisherigen Forschungen
3. Diese Kulturfaktoren sind fur das Management aus einer iiblicherweise verkiirzten
betriebswirtschaftlichen Sicht uninteressant. Diese Haltung ist zwar kurzsichtig, wird
aber im heutigen China durch die Dynamik des Wirtschaftsbooms tiberlagert und ist
demzufolge weit verbreitet.
2.3.2 Unvollstdndige Beriicksichtigung chinesischer Kulturtradition
Forschungen mit einheitHchen Untersuchungslinien, wie z. B. die, die von Hofstede in
40 Landem und Gebieten nur unter IBM-Mitarbeitem gemacht wurden/'^' konnen
kaum auf die Kulturtradition eines bestimmten Landes fokussieren. Die Forschung von
Hofstede hat mehr kulturvergleichende Ergebnisse im weltweiten Sinne gebracht, ohne
eine tiefe Einsicht in ein bestimmtes Land und seine Kultur zu bieten. In der
chinesischen Kultur haben das Verhalten der Menschen und ihre Kommunikation
untereinander immer eine groBe Rolle gespielt. Daruber hinaus ist sie immer wieder
auf ideologischer Ebene gepragt und mit Politik und Gesellschaft verbunden gewesen. ^"^^ In diesem Prozess spielen die Kulturfaktoren im engeren Sinne auf einer
tieferen Ebene eine wichtige Rolle. Die vergleichsweise oberflachliche Untersuchung
der funf Dimensionen der kulturellen Analyse nach Hofstede beriicksichtigt zu wenig
die kulturellen Wurzeln und die damit verbundenen Faktoren.
Manche chinesische Forscher haben die chinesische Tradition zwar betrachtet, sich
aber auf eine Beschreibung beschrankt.^"^^ Dort fehlt eine zusammenhangende Uberlegung tiber die Beziehungen zwischen den Kulturfaktoren im engeren Sinne und den
allgemeinen Kulturfaktoren sowie zwischen den Kulturfaktoren im engeren Sinne und
der Gesellschaft und der Politik.
2.3.3 Fehlende Beobachtung des dynamischen Kulturwandels
Es existiert nicht nur das Problem der Aktualisierung. Die Aktualitat einer Forschung
ist fraglos wichtig, aber noch bedeutender ist es, in einer Forschung den Kulturwandel
^"^^
^"^^
^"^^
Vgl. Hofstede (1980b)
Vgl. Kapitel 2.1.6
Vgl. Meng (2003); vgl. Guan (2004)
67
68
Kapitel 2: Theoretische Gmndlagen und Stand der Forschung
abzubilden, GesetzmaBigkeiten zu entdecken, den aktuellen Kulturwandel zu beobachten und daruber hinaus die Wandlungstendenz wissenschafllich einzuschatzen. Die
bisher durchgefUhrten Forschungen uber deutsch-chinesische Kultur haben den dynamischen Kulturwandel in China nur wenig oder gar nicht bemerkt. Es gibt vier Grunde
dafiir:
1. Den Prozess des Kulturwandels zu beobachten und seine GesetzmaBigkeiten zu
entdecken braucht eine lange Zeit, obwohl die Untemehmenskultur deutschchinesischer Jointventures eine Geschichte von nur 25 Jahren hat.
2. Der Kulturwandel in China geht iiblicherweise immer mit politischem und gesellschaftlichem Wandel einher, ganz aktuell folgt der Kulturwandel heute dem Wirtschaflswandel. Nur eine zusammenfassende Sicht kann den Kulturwandel richtig erfassen.
3. Aus politischen, demokratischen und wirtschaftlichen Griinden ist der Kulturwandel,
insbesondere der Kulturwandel in den deutsch-chinesischen Untemehmen, sehr oft
durch andere Faktoren verborgen.
4. Einfluss durch Kulturfaktoren im engeren Sinne ist wichtige Voraussetzung und
Mittel zugleich flir Kulturwandel in deutsch-chinesischen Untemehmen. Ohne eine
Beobachtung der Funktion der engeren Kulturfaktoren kann man den Kulturwandel
nicht vollstandig verstehen.
2.3.4 Fehlende Beobachtung des Einflusses der Globalisierung
Kulturvergleichende Forschung iiber China bedeutet nicht nur Studien uber die
Beziehungen zwischen China und einem anderen Land, - wie in bisherigen Forschungen -, sondem meiner Meinung nach auch die Analyse des Einflusses von dritter
Seite. Das entspricht iibrigens genau der ursprUnglichen und bildlichen Bedeutung des
chinesischen Worts X{wen) - die Mischung von mehreren Sachen unter einem
Dach.^^'^Auch wenn die chinesische Gesellschaft fremden Kulturen scheinbar ablehVgl.dazu: Kapitel 2.1.2
Kritische Zusammenfassung der bisherigen Forschungen
69
nend gegenubersteht, gibt es immer wieder Beispiele fur eine groBe Akzeptanz
fremder kultureller Einfltisse, sofem dafiir iiberzeugende Griinde sprachen. Der japanische Kultureinfluss in den 80er Jahren und der US-amerikanische Kultureinfluss ab
den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts sind solche Falle. Nach den Untersuchungen
dieser Arbeit haben diese Einfltisse eine wichtige Rolle in den deutsch-chinesischen
Jointventures gespielt. Sie waren so gravierend, dass einer der Untemehmensfuhrer bei
dem Interview flir diese Arbeit sagte: „Die US-amerikanische KuUur macht uns
kaputt". Den Einfluss der US-amerikanischen Kultur wird diese Arbeit in einem
spateren Kapitel noch intensiv betrachten.
2.3.5 Fehlende Beurteilung mit Hilfe der kulturellen Kriterien
Da die engeren Kulturfaktoren in der Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures eine wichtige Rolle spielen, miissen die entsprechenden kulturellen Kriterien
auch von besonderer Bedeutung sein. Kulturelle Kriterien sind die Mafistabe, die
jeweils von der deutschen und der chinesischen Seite aus der Sicht der jeweiligen
Kulturtradition und der Kenntnis der engeren Kulturelemente angelegt werden. Dadurch kann man einerseits die gegenseitigen Vorurteile bestatigen, korrigieren und
verandem. Anderseits kann man dadurch messen:
-
In welchem MaB ist die deutsche Kultur in der deutsch-chinesischen
Untemehmenskultur integriert?
-
In welchem MaB haben die deutschen und chinesischen Mitarbeiter ihre
eigenen Kulturtraditionen behalten?
-
In welchem MaB ist ein typisches deutsch-chinesisches Untemehmen von
der US-amerikanischen Kultur beeinflusst?
Erfolg und Misserfolg der deutsch-chinesischen Untemehmen haben die bisherigen
Forschungen ausfiihrlich analysiert, meistens mit wirtschaftlichen Kriterien, bei
Diierkop zusatzlich mit sozialen Kriterien sowie Kriterien der Anpassungsfahigkeit.^'^^
Eine Forschung zur Erfolgswirksamkeit kultureller Kriterien gibt es bisher nicht.
^^^ Duerkop(1996), S. 193ff.
70
2.4
Kapitel 2: Theoretische Gmndlagen und Stand der Forschung
Fazit
Der geschichtliche Uberblick und die Betrachtung der Definitionen zeigen deutlich,
dass der Begriff „Kultur" in China ursprunglich in den Kulturfaktoren im engeren
Sinne verwurzelt und in der weiteren Entwicklung eng mit Gesellschaft, Politik,
Wirtschaft und Globalisierung verbunden ist. In dieser Tradition und auf der Schnittstelle zweier Kulturen stehend bieten die deutsch-chinesischen Jointventures gute Voraussetzungen und Gelegenheiten, die Wirkungsbreite und -tiefe der Kulturfaktoren im
engeren Sinne wissenschaftlich zu betrachten.
Forschungen und Veroffentlichungen tiber allgemeines deutsch-chinesisches Verhalten
sind ausreichend vorhanden. Interkulturelles Management im Rahmen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Beziehungen ist seit etwa 1980 ein besonderes Thema im
Bereich der Psychologie und der Betriebswirtschaft. Untersuchungen aus der Sicht der
Psychologie und der Wirtschaft, die die deutsch-chinesischen Jointventures spezifizieren, liegen ebenfalls genugend vor.
Allerdings gibt es bis jetzt keine wissenschaftliche Forschung aus der Sicht der Kulturwissenschaft und Kulturanthropologie in Bezug auf deutsch-chinesische Jointventures,
in der die RoUe der Kulturfaktoren im engeren Sinne - Musik, Theater, Film, Malerei,
Literatur usw. - in den interkulturellen Begegnungen und deren wirtschaftlichen Auswirkungen beobachtet und analysiert wird. Daraus ergeben sich der Ausgangspunkt
und die Notwendigkeit fiir die vorliegende Arbeit.
3
Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
3.1
Fragestellung der Untersuchung
Ausgehend von den vorher besprochenen theoretischen Betrachtungen im Kapitel 1
und 2 werden hier zwei zentrale Fragen zur Untersuchung bzw. Bestatigung gestellt:
-
Gibt es Kultur im engeren Sinne uberhaupt in
deutsch-chinesischen
Jointventures?
Welche Rolle spielen die Kulturfaktoren im engeren Sinne in deutschchinesischen Jointventures?
Die erste der beiden zentralen Fragestellungen wird durch 6 nachgeordnete Fragen
weiter konkretisiert. Mit ihnen wird untersucht, ob die Kulturelemente im engeren
Sinne nicht nur von den deutschen und chinesischen Mitarbeitem, sondem auch in den
Aufbau und Betrieb des Jointventures eingebracht werden. Es soil weiter geklart
werden, welche Kulturen und Kulturelemente im engeren Sinne es hauptsachlich in
deutsch-chinesischen Jointventures gibt. Die nachgeordneten Fragen zielen in die
folgenden Richtungen:
Verwenden Deutsche und Chinesen die Kulturelemente im engeren Sinn,
bevor sie einander personlich treffen, um sich gegenseitig ein Bild zu
machen?
Werden die Kulturelemente im engeren Sinne auch noch nach dem personlichen Treffen zur Kenntnisvertiefung iiber einander benutzt?
-
Existieren Kulturelemente im engeren Sinne direkt in der Unternehmenskultur?
-
Existieren Kulturelemente im engeren Sinne in der Umgebung des Jointventures?
Welche Kulturen und Kulturelemente im engeren Sinne gibt es in Jointventures?
Auf der Basis der ersten zentralen Fragestellung werden durch die zweite weitere
Daten iiber die Rolle und Funktion der Kulturelemente im engeren Sinn erhoben.
Diese der zweiten zentralen Fragestellung nachgeordneten Fragen umfassen folgende
Bereiche:
72
KapitelS: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
-
Kann ein deutsch-chinesisches Jointventure auch ohne Kultur im engeren
Sinne erfolgreich betrieben werden?
-
Welche Rolle spielen die Kulturelemente im engeren Sinne in Jointventures?
-
Wie wichtig sind Kulturelemente im engeren Sinne fur den Erfolg eines
Jointventures?
3.2
Theoretische Grundlage der Untersuchungsmethoden
3.2.1 A uswahl der Forschungsmuster
Vor der Wahl der Erhebungsinstmmente muss zunachst geklart werden, ob die Fragestellung und Uberprufung dieser Arbeit eher im quantitativen oder eher im qualitativen
Forschungsparadigma oder in einer Kombination beider anzusiedeln ist.
Die qualitative Sozialforschung steht am Beginn des Forschungsprozesses, da sie die
erstmalige (oder auch vertiefende) Exploration von Forschungsobjekten zum Gegenstand hat. Auf diese folgt die Theoriebildung. Fine wichtige Eigenschafl der
qualitativen Forschung besteht darin, dass „die Sozialwissenschaften sich nur sehr
zogerlich qualitativ orientierter Methodik offnen"^'*^ und dadurch samtliche Verfahrensschritte innerhalb der Forschung systematisch und uberpnifbar darlegen.
Die quantitative Forschung dient der Uberprufung von Hypothesen. Qualitative und
quantitative Forschung haben also ein unterschiedliches Erkenntnisinteresse. Ihre
Hauptunterscheidungsmerkmale werden in Tabelle 3-1 im Uberblick dargestellt.
Thesen und Untersuchungsdesign der vorliegenden Arbeit beruhen hauptsachlich auf
qualitativen, aber teilweise auch auf quantitativen Elementen. Diese gezielte Kombination bietet fiir den vorliegenden Untersuchungsgegenstand einen wesentlichen
Vorteil gegeniiber dem isolierten Einsatz nur einer der beiden Methoden, da die
vorliegende Arbeit inhaltlich sowohl Theorie und Forschungsergebnisse bezuglich der
Kultur und Untemehmenskultur als auch neue Erkenntnisse iiber Eigenschaften und
Entwicklungen deutsch-chinesischer Jointventures behandelt.
^"^^
Mayring (2002), S. 7
Theoretische Grundlage der Untersuchungsmethoden
Quantitativ
73
Qualitativ
nomothetisch
idiographisch
Theorie priifend
Theorie entwickelnd
deduktiv
partikular
induktiv
holistisch
explanativ
ahistorisch
explorativ
historisch
Erklaren
Verstehen
Messen
Beschreiben
„harte" Methoden
„weiche" Methoden
reduktive Datenanalyse
explikative Datenanalyse
Tabelle 3-1: Merkmale qualitativer und quantitativer Sozialforschung^'
Die qualitative Methode wurde gewahlt, weil die Begriffe Kultur und Tradition eng
mit qualitativen Eigenschaften wie z. B. idiographisch, historisch, induktiv usw.
verkniipft sind. Vor dem Hintergrund einer mehr als tausendjahrigen Geschichte des
chinesisch-europaischen Kulturaustausches und einer seit mehr als zwei Jahrzehnten
bestehenden Erfahrung in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Jointventures ist
eine qualitative Forschung besonders geeignet neue Entwicklungen wissenschaftlich
fundiert herauszufinden.
Daneben beschaftigt sich diese Arbeit aber auch mit einer aktuellen Uberprlifung und
ggf. Bestatigung sowie Vervollstandigung einiger alterer Forschungen in diesem
Gebiet. Das ist deshalb notig, weil sich die Volksrepublik China seit Ende der 70er
Jahre des 20. Jahrhunderts schnell und dynamisch auch im Hinblick auf Kultur
entwickelt hat. Ob und in wieweit die Ergebnisse der auf China bezogenen Forschungen seit Ende der 60er bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts noch stimmen,
ist deswegen fraglich. Um dieses zu tiberpriifen und zu messen, sind besonders die
quantitativen Instrumente geeignet.
Nach Lamnek (2005), S. 272
74
Kapitel 3: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
Auf der Basis der Kombination qualitativer und quantitativer Forschungsmuster hat
diese Arbeit in der Untersuchung wissenschaftliche Befragung und Beobachtung als
konkrete Instrumente verwendet.
3.2.2 Befragung als Untersuchungsmethode
Unter einer wissenschaftlichen Befragung versteht man eine Kommunikation zwischen
zwei Oder mehreren Personen, die auf systematischer Zielgerichtetheit und Theorie
beruht. Sie voUzieht sich in bestimmten Situationen und wird gepragt durch gegenseitige Erwartungen. „Die Antworten beziehen sich auf erlebte und erinnerte soziale
Ereignisse, stellen Meinungen und Bewertungen dar."^"^^ Die wissenschaftliche Befragung kann je nach verschiedenen Formen - z. B. Fragebogen, Gesprach usw. schriftHch oder miindlich stattfinden. Bei jeder Form kann die Befragung nach Anforderung der Arbeit von wenig bis stark strukturiert werden.^"^^
In dieser Arbeit werden sowohl schriftliche als auch miindliche Befragungsformen
verwendet. Als eine stark konstruierte schriftliche Form gestaltet die Arbeit einen
Fragebogen mit zehn Fragen, die hauptsachlich qualitativ sind. Damit soil die Arbeit
vor allem herausfmden, ob in deutsch-chinesischen Jointventures iiberhaupt Kultur im
engeren Sinne existiert.
Dariiber hinaus werden in der Untersuchung auch teilweise strukturierte Interviews
und wenig strukturierte freie Gesprache, die miindlich durchgeftihrt werden, verwendet. Beim teilstrukturierten Interview werden vier Gesprachsthemen, die teilweise
qualitativ, teilweise quantitativ sind, angesprochen. Im Vergleich zum Fragebogen
verftigt diese Form tiber mehr Freiheitsspielraum, da die Antworten der Befragten nur
wenig eingeschrankt und jederzeit vertieft oder verbreitert werden konnen.
AuBerdem wurden in der Untersuchung wenig strukturierte freie Gesprache durchgeftihrt. Dabei gab es keine vorbereiteten und vorformulierten Themen, vielmehr
wurde die Hauptrichtung der Untersuchung - die Existenz und Rolle der Kultur^"^^ Atteslander (2000), S. 114
^^^ Vgl. ebenda, S. 137ff
Theoretische Grundlage der Untersuchungsmethoden
faktoren im engeren Sinne zu untersuchen - verfolgt. Diese freien Gesprache stellten
sich als sehr wertvoll far diese Arbeit heraus, da die verschiedenen Funktionen der
Kulturfaktoren im engeren Sinne tief in der Tradition und breit in den betrieblichen
Tatigkeiten verwurzelt und vielfaltig mit Politik, Gesellschaft und der Globalisierung
verbunden sind. Nur mit Ja/Nein- oder Multiple-Choice-Antworten oder nur mit
Fragen in thematisch eingeschrankten Themenbereichen ist es kaum moglich, umfassende Erkenntnisse zu erhalten. Das wissenschaftliche freie Gesprach unterscheidet
sich hier deutlich von einem alltaglichen Gesprach. Einerseits wird die Zielrichtung
des Gesprachs auf jeden Fall vom Interviewer kontrolliert. Andererseits kann die
Gesprachsfiihrung dem Ausbildungsniveau und dem Erfahmngshorizont des jeweiligen Gesprachspartners, deutscher und chinesischer Untemehmensleiter, von Fiihrungskraften und Mitarbeitem, angepasst werden.
3.2.3 Beobachtung als Untersuchungsmethode
Unter Beobachtung versteht man „das systematische Erfassen, Festhalten und Deuten
sinnlich wahmehmbaren Verhaltens zum Zeitpunkt seines Geschehens" ^^^. Die
wissenschaftliche Beobachtung kann ebenfalls eine qualitative oder eine quantitative
Forschung sein. Die Untersuchung in dieser Arbeit bezieht beides ein. Da qualitative
Beobachtungen „in erster Linie komplexere Situationen und Interaktionen in ihrer
Ganzheit erfassen"'^^ konnen, sind sie ftir die Untersuchung in deutsch-chinesischen
Jointventures mit ihrer Mischung von unterschiedlichen Kulturen, Traditionen, gesellschaftlichen und politischen Einfliissen besonders geeignet.
Im Bezug auf die Rolle der Beobachter gibt es zwei Moglichkeiten: die Rolle als
forschender Beobachter und die Teilnehmerrolle im Feld. Die quantitativ orientierten
Beobachtungsdesigns betonen die Rolle als forschender Beobachter, „was meist mit
einem geringen Partizipationsgrad im Feld verbunden" ist, wahrend die qualitativ
orientierten Beobachtungsdesigns die Teilnehmerrolle wichtiger fmden, was einen
hohen Partizipationsgrad des Forschers im Feld und die Identitat von Forscher und
'^^
'^'
Atteslander (2002), S. 73
Ebenda, S. 85
75
76
KapitelS: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
Beobachter voraussetzt" ^^^. Beim Betonen der Rolle als forschender Beobachter
konnen Forschungsprozess und Erfassungsprozess personell getrennt werden, da aus
manchen Begrenzungen heraus - wie z. B. Sprachschwierigkeiten in einer interkulturellen Untersuchung - Forscher und Beobachter nicht dieselbe Person sind. Die
daraus resultierenden Kommunikations- und Abstimmungsprobleme konnen die Untersuchungsergebnisse negativ beeinflussen.^^^
In dieser Arbeit wurde die Teilnehmerrolle betont. Dafur gibt es drei Griinde. Zum
einen stellen die Beobachtungsobjekte eine Mischung von zwei Menschengruppen dar,
die nicht nur von zwei Kulturen, Traditionen und Sprachen gepragt wurden, sondem
dartiber hinaus dem Einfluss amerikanischer Kultur ausgesetzt waren und sind. Fiir
einen Beobachter, der in der chinesischen Kultur und Tradition aufgewachsen ist und
die deutsche Kultur, Tradition und Sprache aus Ausbildung und Erfahrung gut kennt,
ist es ohne weiteres moglich, den Forschungs- und den Erfassungsprozess personlich
und einheitlich durchzuftihren. Zum Zweiten ist die Beobachtung zwar im hohen MaB
wenig strukturiert, muss aber doch dynamisch gesteuert werden, wenn z. B. entschieden werden muss, was oder wie zu beobachten ist. Zum Dritten ist diese Untersuchung so angelegt, dass jeweils wahrend des ein- bis zweiwochigen Beobachtungszeitraums in einem Jointventure sowohl schriflliche Befragungen durch Fragebogen als auch Interviews oder Gesprache personlich durchgefiihrt werden sollen. Bei
dieser Kombination ist eine personliche Durchftihrung der Beobachtung besonders
geeignet.
3.2.4 Ergdnzende Untersuchungsmethoden
Wie in den letzten zwei Kapiteln geschildert wird die Datenerhebung dieser Arbeit
hauptsachlich direkt mit personlichen Methoden durchgefiihrt. Allerdings ist wegen
der groBen raumlichen Distanzen zwischen den untersuchten deutsch-chinesischen
Jointventures in der Volksrepublik China der Einsatz von Post und modemer Kommunikation - Brief, Telefon, Fax und E-Mail - zur Erganzung unabdingbar.
^^^
^^^
Ebenda, S. 86
Vgl. ebenda, S. 86-i
Theoretische Grundlage der Untersuchungsmethoden
11
Die Befragung per Post, E-Mail und Telefon wird mit dem gleichen Fragebogen, aber
ohne die Moglichkeit einer freien Interpretation durchgefiihrt. Dem Nachteil einer
zeitlich verzogerten Antwort steht der Vorteil einer moglicherweise iiberlegteren und
genaueren Beantwortung gegeniiber.
Die Kombination der Methoden und der verwendeten Formen dieser Arbeit stellt die
folgende Tabelle dar:
\^^
Beschreibung
\^^ der
^\Methoden
^\
Personlich und direkt
Schriftliche
Befragung
Verwendete ^ \
Formen
^ \
Konstruierte
Ja
Fragebogen oder
Themen
Freie Interpretation
Teilnehmende
Beobachtung
Indirekt
Mlindliche
Interviews/G
esprache
Beobachtung
Befragung per
Post/Telefon
E-Mail/Fax
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
-
-
Tabelle 3-2: Untersuchungsmethoden und verwendeten Formen
3.3
Auswahl der Jointventures und Zielgruppen
Die Suche nach geeigneten Jointventures und Interviewpartnem fand mit Hilfe von
Adressenmaterial statt, das u. a. aus Informationen der Deutschen AuBenhandelskammer fiir die VR China und Hongkong gesammelt wurde. Dank meiner sechsjahrigen Mitarbeit bei der GTZ (Deutsche Gesellschaft flir Technische Zusammenarbeit) in China konnte ich einige Jointventures direkt kontaktieren.
Der aufwendige Auswahlprozess orientierte sich demnach an folgenden Kriterien>
1. Die Suche konzentrierte sich auf deutsch-chinesische Jointventures in der VR China
und in Hongkong. Die Jointventures wurden nach folgender Verteilung ausgew^ahlt:
GroBe Stadte (Peking, Shanghai, Kanton) ca. 54%; mittlere und kleine Stadte ca. 27%
78
KapitelS: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
(Jinan, Qingdao usw.). Zu den restlichen ca. 19% zahlen Jointventures in der Sonderverwaltungszone Chinas Hongkong.
2. Bei der Befragung sollten die Antworten moglichst sowohl von deutschen als auch
chinesischen Fuhmngskraften oder Mitarbeitem jeweils der gleichen Ebene bearbeitet
werden, weil es bei der Antwort zwischen Fiihrungskraflen und Mitarbeitem wahrscheinlich Unterschiede gibt. Diese Arbeit aber beschaftigt sich im Wesentlichen mit
den Kulturen zweier Lander. Die Unterschiede zwischen zwei Ebenen (Fuhrungskrafte
und Mitarbeiter) aus einer Kultur werden hier nicht betrachtet.
3. Bei der Auswahl der Interviewpartner sollte beachtet werden, dass die folgenden
Personengruppen (nicht unbedingt innerhalb eines Jointventures) bevorzugt befragt
werden:
- deutsche Ftihrungskrafte
- chinesische Fuhrungskrafte
- deutsche langfristige Mitarbeiter (mehr als ein Jahr)
- deutsche kurzfristige Mitarbeiter (weniger als sechs Monate)
- chinesische Mitarbeiter, die mehr als ein Jahr mit Deutschen zusammen gearbeitet haben
- chinesische Mitarbeiter, die weniger als sechs Monate mit Deutschen zusammen gearbeitet haben
3.4
Die Konstruktion der Untersuchung
3.4.1 Schriftliche Befragung
Die schriftliche Befragung deutscher und chinesischer Ftihrungskrafte sowie von
Mitarbeitem wird durch schriftliche Fragebogen durchgeflihrt. Der Fragebogen
beginnt mit der Erklamng, dass diese Befragung einer Dissertation im Rahmen der
Kultur in der Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures dient und die
Befragung anonym ist. Es wird ebenfalls erklart, dass das betreffende Jointventure auf
Wunsch die Untersuchungsergebnisse nach ihrer Veroffentlichung bekommt. Diese
Erklamng wird miindlich wiederholt, um die Bereitschaft zur Mitwirkung zu erhohen.
Die Konstruktion der Untersuchung
79
Vor der Befragung wird extra mundlich erklart, dass der Kulturbegriff in der
Befragung sich hauptsachlich auf die Kultur im engeren Sinn bezieht. Hierzu wird ein
Beispiel genannt, dass die Kulturveranstaltung gleich Konzert, Literaturlesung,
Karaoke usw. bedeutet und mit den klassischen Elementen der Untemehmenskultur
wie z. B. „Hero", „Werte" nichts zu tun hat. Diese Betonung ist notwendig, weil alle
bisherigen Forschungen und Veroffentlichungen die Begriffe Kultur und Untemehmenskultur ganz anders als in dieser Arbeit verwenden. Der entscheidende Unterschied ist, ob man Kultur und Untemehmenskultur aus betriebswirtschaftlicher und
psychologischer oder aus kulturwissenschaftlicher und kulturanthropologischer Sicht
betrachtet.^^^
Der Fragebogen besteht aus zehn konstmierten Fragen als Ja/Nein- oder MultipleChoice-Fragen. Im Gegensatz zur Moglichkeit der freien Antwort wird dem Befragten
damit die Beantwortung erleichtert. Ausgehend von den zwei zentralen Fragestellungen^^^ und deren nachgeordneten Fragen sind Ja/Nein- oder die Multiple-ChoiceAntworten besonders geeignet. So kann z. B. die Frage Bevor Sie Ihre chinesischen/
deutschen Arbeitskollegen personlich kennen lernten, hatten Sie da bereits Kenntnisse
liber Chinesen/Deutsche? einfach mit Ja oder Nein beantwortet werden. Die Frage
Welche Sprache sprechen Sie in den meisten Fallen mit Ihren chinesischen Mitarbeitern/Kollegen? ist durch Multiple-Choice einfach und eindeutig zu beantworten.
Die einzige Ausnahme bildet die Frage nach dem Filmtitel, der am meisten beeindmckt hat. Die Befragung mit Fragebogen dauert in der Regel, mit miindlicher Erklamng, 30-40 Minuten.
Im Folgenden werden alle Fragen in der Reihenfolge des Fragebogens mit den jeweiligen Antwortformen in Klammem erklart und begriindet:
Erster Teil von Frage 1:
Bevor Sie Ihre chinesischen/deutschen Arbeitskollegen personlich kennen lernten,
hatten Sie da bereits Kenntnisse fiber Chinesen/Deutsche?
a. Ja.
b. Nein.
154
155
Vgl.Kapitel2.1
Vgl.Kapitel3.1
80
KapitelS: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
Zweiter Teil von Frage 1:
Stimmten diese Kenntnisse mit Ihrenpersonlichen Erfahrungen iiherein?
a. Ja.
b. Nein.
Durch diese Frage wird bestatigt, dass die Deutschen und die Chinesen normalerweise
bereits bei einem ersten personlichen Zusammentreffen Kenntnisse und Vorurteile
ubereinander batten, diese aber auf Grund der Begrenzung der Kulturelemente haufig
unvollstandig oder falsch waren. Frage 1 ist auch eine Vorbereitung der Frage 2. Dort
wird bestatigt, ob die Kenntnisse und Vorurteile mit engeren Kulturelementen zu tun
haben.
Frage 2:
Aus welchen Quellen stammen Ihre ersten Kenntnisse iiher Chinesen/Deutsche?
a. Deutsche/Chinesische Medien
b. Amerikanische Medien
c. Personliche Erfahrung
d. Erzdhlung von Freunden
Diese Frage bezieht sich auf die Rolle der Kulturelemente vor dem Aufbau des Jointventures. Auch wenn erfahrungsgemafi Menschen und Medien sich gegenseitig beeinflussen, wird hier zunachst nur der einseitige Einfluss der Medien auf die Menschen
untersucht. Der Riickkoppelung personlicher Erfahrungen mit den eigenen Kenntnissen und Vorurteilen in einem Jointventure auf die Medien wird in einer anderen
Frage nachgegangen.
Erster Teil von Frage 3:
Wie oft haben Sie in den letzten 3 Jahren im Kino oder zu Hauseper Video/DVD einen
chinesischen oder einen ausldndischen Film Uber China/Deutschland bzw. Chinesen/
Deutsche gesehen?
a. Weniger als 3 Mai
b. 4-6 Mai
c. 7-10 Mai
d. Mehrals 10 Mai
81
Die Konstruktion der Untersuchung
Zweiter Teil von Frage 3:
Nennen Sie bitte den Titel, der Sie am meisten beeindruckt hat:
Diese Frage soil klaren, ob die engeren Kulturelemente noch eine Rolle spielen,
nachdem die deutschen und chinesischen Mitarbeiter in einem Jointventure ihre
Erfahrungen gemacht haben. Vermutlich ist diese Rolle auch danach noch wegen des
groBen Kulturunterschiedes wichtig.
Erster Teil von Frage 4:
Haben Sie Freunde unter den chines is chen/deutschen Arbeitskollegen?
a. Ja.
b. Nein.
Zweiter Teil von Frage 4:
Was wurden Sie gern mit einem chines is chen/deutschen Kollegen zusammen machen,
wenn Sie am Wochenende einen Nachmittag zusammen verbringen sollen?
a. Reise/Ausflug
b. Gesprdch fiber die Arbeit
c. Besuch einer traditionellen chinesischen Kulturveranstaltung (Theater,
Konzert usw.)
d. Besuch und Gesprdch in einem Teehaus
Der erste Teil der Frage bezieht sich darauf, inwieweit die deutsche Kultur in einem
Jointventure die chinesische Kultur integriert hat. Vermutlich antworten die deutschen
Mitarbeiter eher mit ,JVein'' und viele chinesische Mitarbeiter eher mit ,^a". Der
Hintergrund der Frage ist wie folgt: In der chinesischen Kultur gibt es im Gegensatz
zur deutschen kaum Unterschiede zwischen den Begriffen Bekannter, ArbeitskoUege
und Freund. So wird ein Chinese seinen Arbeitskollegen gem als Freund bezeichnen.
Der Bedeutungsunterschied dieser Begriffe beeinflusst offensichtlich Vertrauen,
Harmonic und Loyalitat zwischen Mitarbeitem in einem Jointventure in besonderer
Weise und wird deshalb in einem spateren Kapitel ausfiihrlicher diskutiert.
Der zweite Teil der Frage bezieht sich direkt auf die Rolle der engeren Kulturfaktoren.
Als Antwort werden vermutlich nicht nur die chinesischen, sondem auch die
deutschen Mitarbeiter die Auswahl ,^esuch
einer traditionellen
chinesischen
82
KapitelS: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
Kulturveranstaltung (Theater, Konzert usw.)'' oder ,^esuch und Gesprdch in einem
Teehaus'' nehmen, obwohl es zu erwarten ist, dass die Deutschen im ersten Teil der
Frage mit ,J\fein'' antworten. Mit der Frage mochte diese Arbeit herausfinden, ob die
engeren Kulturveranstaltungen (Im Teehaus gibt es normalerweise zugleich Auffuhrungen traditioneller chinesischer Musik oder Tanzvorfiihrungen) tatsachlich von
Deutschen oder Chinesen oder von beiden Seiten akzeptiert werden.
Frage 5:
Wie stellen Sie sich die Beziehungen
zwischen Ihnen und Ihren
deutschen/
chinesischen Kollegen vor?
a. Eher egalitdr
b. Eher hierarchisch
c. Ich mochte eher egalitdr, aber meine chinesischen/deutschen
Kollegen wollen nicht.
d. Ich mochte eher hierarchisch, aber meine deutschen/chinesischen
Kollegen wollen nicht.
Als eines der wichtigsten Elemente des klassischen Untemehmensbegriffs ist die
„Hierarchie" schon haufig erforscht worden. In dieser Arbeit wird dem Thema
Hierarchie deshalb noch einmal besondere Aufmerksamkeit gewidmet, weil vermutlich in einem Jointventure fur die chinesischen Mitarbeiter Hierarchie eine groBere
Bedeutung hat als fur deutsche.
Im Hintergrund der Frage Nummer 4 und 5 steht eine bis heute immer noch aktuelle
chinesische Tradition, die sich auf die Beziehung zwischen engeren Kulturfaktoren
(beispielsweise Musik) und Sitten bezieht. Die Chinesen glauben, dass die Musik
zusammenfuhrt, wahrend die Sitten zur Unterscheidung des Verschiedenen ftihren.
Die Musik vereint das Gemeinsame, die Sitten verschaffen Respekt.^^^ Mit Blick auf
diese Tradition konnen die Ergebnisse der Fragen 4 und 5 logisch erklart werden.
Frage 6:
Welche Sprache sprechen Sie in den meisten Fdllen mit Ihren deutschen/chinesischen
Kollegen/Mitarbeitern/Vorgesetzten?
^^^
Vgl. Li Ji (ca. 2. Jahrhundert n. Chr.), S. 133
83
Die Konstruktion der Untersuchung
a. Deutsch (direkt)
b. Deutsch (durch Dolmetscher)
c. Chinesisch
d. Englisch
Durch die Beantwortung dieser Frage sieht man einerseits die Rolle der Sprachen, andererseits den Einfluss der US-amerikanischen Kultur in einem deutsch-chinesischen
Jointventure.
Erster Teil von Frage 7:
In Bezug auf die Einstellung zu Sex finden
Sie Ihre
deutschen/chinesischen
Kollegen/Mitarbeiter/Vorgesetzte:
a. Konservativ
b. Offen
c. Offener
d. Viel offener
Zweiter Teil von Frage 7:
Diese Einschdtzung heruht auffolgender Quelle:
a. Chinesische Medien
b. Deutsche Medien
c. Amerikanische Medien
d. Personliche Erfahrung oder andere Quelle
Diese Frage soil die Vermutung iiberprufen, dass Film, Literatur etc. haufig falsche
und/oder nicht aktuelle Informationen transportieren und damit beim Versuch, die
jeweils andere Kultur zu verstehen, eine falsche Orientierung entsteht. Diese Frage
wird vermutlich von den meisten Chinesen ..Viel offener als ich'' und .Amerikanische
Medien'' beantwortet, wahrend die Deutschen meistens ..Offener als ich'' und
..Chinesische Medien'' auswahlen.
Frage 8:
In Bezug auf Ihre Arbeit treffen Sie normalerweise Entscheidungen,
a. ohne sie Ihren deutschen/chinesischen Mitarbeitern zu erldutern.
b. zusammen mit Ihren deutschen/chinesischen
Mitarbeitern.
84
Kapitel 3: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
c. indem Sie zuerst die Vorschldge Ihrer deutschen/ chines is chen
Mitarbeiter horen.
d. nach Anweisung.
Kulturwandel zu bemerken ist ein Schwerpunkt dieser Arbeit. Nach empirischen
Forschungen von Hofstede, Regensburger Projekt usw. ^^^ ist China ein Land mit
hohen Kollektivismus-Werten. Durch die Beantwortung dieser Frage und im Weiteren
durch die Interviews wird analysiert und diskutiert, dass das klassische Verstandnis zu
„hoher Werte von Kollektivismus in China"^^^ zumindest in den deutsch-chinesischen
Jointventures nicht mehr stimmt.
Frage 9:
Bei der Losung eines schweren Problems miissen Sie mit Ihrem deutschen/
chinesischen Mitarbeiter reden. Welchen Ort bevorzugen Sie, wenn es moglich ist?
a. BUro in der Arbeitszeit
b. Privater Besuch in der Freizeit
c. Bei einem gemeinsamen Essen
d. In der Pause einer gemeinsamen Kulturveranstaltung
Vermuthch spielen die Kulturelemente im engeren Sinn in den Jointventures noch eine
SonderroUe: Sie fordem das Miteinander und die Motivation. Diese Funktion ist
insbesondere in der chinesischen Kultur bzw. Untemehmenskultur wichtig. „Wenn
eine Losung fur ein Problem immer wieder funktioniert, dann wird sie allmahlich als
selbstverstandhch betrachtet."^^^ In einem Jointventure versuchen die Chinesen aber
auch mit diesem Mittel Probleme mit Deutschen zu losen. Nach Scheins Theorie der
„Ebenen der Kultur" gehort diese Funktion zur Orientierung der GrundpramissenEbene.^^'
Frage 10:
Wie wUrden Sie die Unternehmensgrundsdtze oder einen bestimmten Slogan des Jointventures in Ihrem BUroprdsentieren lassen?
^^^
^^^
^^^
^^^
Vgl. Kapitel 2.2.3.1 und 2.2.4.2
Vgl. Kapitel 2.2.3 und 2.2.4
Schein(1995),S.33
Vgl. ebenda, S. 29ff.
Die Konstruktion der Untersuchung
a.
b.
c.
d.
85
Als Plakat.
Durch eine chinesische Malerei mit KalUgraphie.
Hdufig auswendig aufsagen.
Auf Biiropapier ausdrucken.
Untemehmensgrundsatze wurden in der Mao-Zeit, insbesondere wahrend der Kulturrevolution, haufig auf ein Plakat geschrieben und aufgehangt. Diese Form war aber
nicht traditionell chinesisch, gilt heute als „kulturrevolutionar" und ist damit negativ
besetzt. Traditionell und heutzutage wieder aktuell ist eine Presentation in chinesischer
Malerei und Kalligraphie. Im Vergleich zur westlichen Malerei hat die traditionelle
chinesische Malerei mit Kalligraphie eine besondere Eigenschaft: Sie kann viele
Bedeutungen, wie z. B. die philosophische, gesellschaftliche, politische, geschaflliche
Bedeutung usw. in eine Einheit bringen. ^^^ Diese Form ist vermutlich fur die
deutschen und chinesischen Mitarbeiter in einem Jointventure am besten geeignet.
3.4.2 Mundliches Interview
Neben der schriftlichen Befragung ist das Interview eine andere Hauptmethode zur
Datenerhebung. Das Interview wird mtindlich durchgeftihrt. Alle Personen, die interviewt werden, werden zuerst mit dem Fragebogen schriftlich befragt. Das Interview
besteht aus vier Fragen zur freien Interpretation und moglicherweise auch Diskussion.
Der Zweck des personlichen Interviews besteht darin, Daten fiir eine tiefere Analyse
zu erheben oder Antworten zu einer komplexen Situation zu bekommen. Die Themen
im Interview beziehen sich deswegen auf Fragen im Fragebogen. Zum Beispiel: Wenn
der Befragte zur Frage ,^us welchen Quellen stammen Ihre ersten Kenntnisse uber
Chinesen/Deutsche?'' die Antwort „Medien'' ausgewahlt hat, wird er in dem Interview
gebeten ein Beispiel dafiir zu erlautem. Dann wird geklart, welches Medium genau
gemeint war.
Da die Interviewten schon schriftlich befragt wurden, konnen die Themenbereiche
schnell und gezielt vertieft werden. Die Interviews werden jeweils einzeln durchgeftihrt. Aus Zeitgriinden werden nur zwei von vier Themen angesprochen. Die Aus^^^
Vgl. Miklos (1982), S. 200ff
86
Kapitel3: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
wahl der Fragen richtet sich nach den Antworten der schrifllichen Befragung und der
hierarchischen Ebene des Befragten (Fiihrungskrafte, Mitarbeiter usw.).
Das Interview dauert in der Kegel je 20-30 Minuten. Dabei werden die folgenden vier
Themenbereiche angesprochen:
Thema 1:
Gibt es innerhalb des Jointventures kulturelle Veranstaltungen? Hat sich das als
sinnvoll herausgestellt? Warum? Unterstutzt das Jointventure aufierhalb des Unternehmens kulturelle Veranstaltungen? Warum?
Das Thema ist geeignet zum Gesprach mit Fiihrungskraften des Jointventures. Von der
vorab gesammelten Information her haben viele deutsch-chinesische Jointventures
nicht nur kulturelle Veranstaltungen innerhalb des Untemehmens, sondem unterstiitzen auch Kulturveranstaltungen auBerhalb. Bin Gesprach iiber dieses Thema soil
klaren, ob Kulturveranstaltungen die Entwicklung des Untemehmens fordem und
beschleunigen.
Thema 2:
Stimmen Ihre Kenntnisse aus Medien ilber Deutsche/Chines en mit Ihren personlichen
Erfahrungen ilberein? Konnen Sie ein Beispiel nennen? Sprechen Sie darilber mit
Ihren Bekannten und Freunden oder schreiben Sie sogar darilber an offentliche
Medien?
Diese Frage wird teilweise schon im Fragebogen gestellt. Hier soil iiber sie tiefer
diskutiert werden, um herauszufmden, aus welcher konkreten Medienform die
falschen Informationen stammen. Darilber hinaus soil geklart werden, ob die Medien
sich durch ein Feedback des Publikums verandert haben.
Thema 3:
Warum bevorzugen Sie bei einem wichtigen oder schwierigen Gesprach mit Ihren
deutschen/chinesischen Kollegen/Mitarbeitern/Vorgesetzten ein Restaurant, ein Konzert oder das Bilro?
Die Konstruktion der Untersuchung
87
Diese Frage wird teilweise auch im Fragebogen gestellt. Das Gesprach soil daruber
hinaus tiefer analysieren, inwieweit Kulturelemente im engeren Sinn chinesischen Gepflogenheiten folgend als Instrumente zur Forderung des Miteinanders und der Motivation im jeweiligen Jointventure eingesetzt werden.
Thema 4:
Giht es US-amerikanische Einflusse in dem Jointventure? Konnen Sie ilber Ihre Erfahrungen herichten?
Amerikanischer Kultureinfluss ist iiberall in China und in Deutschland bemerkbar. Die
Kultur in deutsch-chinesischen Jointventures ist eine Mischung aus chinesischer,
deutscher und amerikanischer Kultur. So sind bei Chinesen z. B. die Haltungen zu
Loyalitat und Geld nicht mehr wie haufig noch von Deutschen erwartet konfuzianisch,
sondem vielmehr amerikanisch gepragt. Die kritischen Einflusse der USamerikanischen Kultur werden in einem spateren Kapitel noch im Detail diskutiert.
3.43 Freies Gesprach
Zum einen ist das freie Gesprach mit deutschen und chinesischen Gesprachspartnem
im Vergleich zu dem mit verschiedenen Themen strukturierten Interview auch
zielorientiert, aber viel flexibler. Zum anderen lasst das freie Gesprach eine breitere
Sicht zu, die nicht nur den Zusammenhang von Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft und
Politik einschlieBen kann, sondem auch eine geschichtliche Sicht der Prozesse und
Entwicklungen in Jointventures ermoglicht. In der Durchfiihrung des freien Gesprachs
spielen neben der Befragung der Austausch von Information, die Diskussion und der
Meinungsaustausch eine RoUe. So fordert das freie Gesprach sowohl eine Vertiefiing
als auch eine Verbreiterung der im Fragebogen und Interview behandelten Themen.
Vom freien Gesprach werden vermehrt Beispiele fiir Prozesse in der deutschchinesischen Zusammenarbeit und die Besonderheiten, die fast jedes Jointventure in
seinen kulturellen Aktivitaten gezeigt hat, erwartet.
88
KapitelS: Methodisches Vorgehen und Datenerhehung
Zum freien Gesprach gibt es keine vorbereiteten Fragen oder Themen. Das Gesprach
wird hauptsachlich in drei Dimensionen rund um die zwei zentralen Fragen^^^ - die
Existenz der Kulturfaktoren im engeren Sinne und ihre Rolle - wie folgt durchgefiihrt:
Die erste Dimension befasst sich mit Wahmehmungen und Aktivitaten der deutschen
und chinesischen Mitarbeiter rund um die Kulturfaktoren im engeren Sinne. Das ist
eine breite Dimension, in der nicht nur die Arbeit in den Untemehmen, sondem auch
das normale Leben auBerhalb der Untemehmen eingeschlossen wird. Dabei sollen
Meinungen, Haltungen und Einstellungen zu sowie der Umgang mit Themen wie z. B.
Literatur, Film, Sprache, Kleidung, Essen und Trinken herausgefunden werden, um die
Antworten auf die grundsatzliche Frage 1. mit konkreten Hinweisen und Beispielen zu
belegen.
Die zweite Dimension beinhaltet die betriebliche Ebene. Die Gesprache fokussieren
sich vor allem auf die Untemehmensaktivitaten, die mit Kultur zu tun haben, wie z. B.
kulturelle Veranstaltungen in den Untemehmen und die Teilnahme oder Unterstiitzung
von Kulturveranstaltungen in der Gesellschaft. Einfliisse und Ergebnisse der
Kulturfaktoren sind dabei nicht direkt und eindeutig den betrieblichen Aktivitaten
zuordenbar, sondem zeigen sich oft im Zusammenspiel mit wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Faktoren. Deswegen wird diesem traditionellen Zusammenhang in den Gesprachen besondere Aufmerksamkeit gewidmet, um dadurch die
Funktion der Kulturfaktoren im engeren Sinne aus kulturwissenschaftlicher und kulturanthropologischer Sicht getrennt beurteilen zu konnen.
Die dritte Dimension bezieht sich auf die theoretische Ebene. Die entsprechenden
Gesprachspartner sind in erster Linie die deutschen und chinesischen Untemehmensleiter sowie ggf die Zustandigen fur Untemehmenskultur. Sie verfiigen meistens tiber
eine gute AUgemeinausbildung sowie spezifische Kenntnisse und Erfahmngen im
betrieblichen Management. So ist es moglich, mit ihnen nicht nur in der FrageAntwort- oder in der Frage-Erzahlungs-Form, sondem auch in der Form des Meinungsaustauschs die Gesprache zu fuhren. Diese Personengmppe hat in der Kegel
groBe Erfahmng im interkulturellen Management, die sich im Weiteren in Managementtendenzen oder Strategien, die dann mit Hilfe kultureller Instmmente umgesetzt
werden sollen, wiederfmden.
^^^
Vgl.Kapitel3.1
Die Konstruktion der Untersuchung
89
3.4.4 Teilnehmende Beohachtung
Neben Befragung und Interview wird die personliche Beobachtung eingesetzt. In zwei
ausgewahlten Jointventures soil ein langerer Zeitraum, in der Regel je ein bis zwei
Wochen, zusammen mit deutschen und chinesischen Mitarbeitem verbracht werden,
um dadurch interkulturelle Reaktionen, den Kulturwandel und die Integration der
fremden Kultur beobachten zu konnen. Im Unterschied zum freien Gesprach orientiert
sich die Beobachtung nicht an Beispielen aus der Vergangenheit, sondem an aktuellen
Aktivitaten, die wahrend der Beobachtung stattfinden.
3.4.5 Die Befragungen im Uberblick
Wie vorher bereits ausgeflihrt wurde, fokussiert die empirische Untersuchung dieser
Arbeit im Wesentlichen auf die Kulturelemente im engeren Sinn, da dieses Thema
unerforscht ist. Diese Arbeit wird deswegen mit 80% der schriftlichen Fragen und
75% der Interviewthemen auf diesen Bereich zielen. Daruber hinaus untersucht sie
aber mit 20%) der schriftUchen Fragen und 25% der Interviewthemen den breiteren
Kulturbegriff und den klassischen Begriff der Untemehmenskultur. Obwohl es in
diesem Bereich schon empirische Forschungen gab, sollen hier neue Aspekte beigetragen werden. Eine Verteilung der Untersuchungsschwerpunkte stellt die folgende
Tabelle dar:
Befragungsbereiche
Engerer
Kulturbegriff
Breiterer
Kulturbegriff
Befragungsschwerpunkte
Rolle der
Kulturelemente
im engeren Sinn
Fragebogen
(insgesamt 10 Fragen)
Bisher
unvollstandig
beobachtete
Kulturelemente
im breiten Sinn
2 Fragen (20%):
Frage Nr. 5 und 8
8 Fragen (80%):
FrageNr. 1, 2, 3,
4, 6, 7, 9 und 10
3 Themen (75%): 1 Thema (25%):
Thema Nr. 1, 2
Thema Nr. 4
und 3
Ja
Ja
Interview
(insgesamt 4 Themen)
Beobachtung
Tabelle 3-3: Verteilung der Untersuchungsschwerpunkte
Klassischer Begriff
der
Untemehmenskultur
Kulturwandel in
chinesischer
Gesellschaft und
Jointventures
1 Frage (10%):
Frage Nr. 8
Keine
Ja
90
3.5
Kapitel 3: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
Probelauf der Untersuchung
Vor der eigentlichen Durchfuhrung der Untersuchung wurden im Zeitraum vom 15.-26.
Dezember 2003 Probelaufe in zwei deutsch-chinesischen Jointventures durchgefuhrt.
Diese beiden Jointventures befinden sich in der Hauptstadt der Provinz Shandong
Jinan und in ihrer Kustenstadt Qingdao. Aus drei Griinden wurden die beiden
Jointventures fur die Probelaufe ausgewahlt. Zum einen waren beide Untemehmen
dem Verfasser aus einer fruheren Arbeit personlich bekannt. Zum Zweiten liefen beide
Jointventures bereits seit mehr als acht Jahren. Als typische deutsch-chinesische
Jointventures in mittelgroBen Stadten haben sie also Erfahrungen im Rahmen der
interkulturellen Untemehmung gesammelt. Zum Dritten war beabsichtigt auf der Basis
des Probelaufs und der spateren vollstandigen Befragung tief greifende Untersuchungen, wie z. B. langzeitige Beobachtungen, anzustellen. Bei den beiden Jointventures wurden insgesamt zwei Probeinterviews mit zwei Personen (einem Deutschen
und einem Chinesen, jeweils mit einem Interviewthema) und vier Probebefragungen
bei vier Personen (zwei Deutsche und zwei Chinesen, jeweils mit alien zehn Fragen)
durchgefuhrt.
Die Interviews wurden erfolgreich durchgefuhrt und alle vier Fragebogen vollstandig
ausgefuUt. Die Ergebnisse der Probelaufe wurden deswegen zusammen mit den
Ergebnissen der offiziellen Untersuchung fur die Datenerfassung verwendet. Bei den
Probelaufen wurde die geplante Zeit um jeweils zehn Minuten iiberschritten, weil
zunachst noch eine Klarung der Begriffe wie z. B. Kulturveranstaltung erfolgen
musste. Aus dieser Erfahrung heraus wurde sowohl der schriftlichen als auch der
miindlichen Befragung eine Begriffsklarung vorgeschaltet.
3.6
Die Durchfuhrung der Untersuchung
3.6.1 Zeitliche und inhaltliche Uberlegungen
Die eigentliche Untersuchung wurde in zwei Abschnitten von je ca. zwei Monaten
durchgefuhrt. Die erste Erhebung erfolgte direkt nach den Probelaufen in der Zeit
zwischen dem 29. Dezember 2003 und dem 27. Februar 2004. Die zweite Erhebung
Die Durchfuhrung der Untersuchung
91
erfolgte ein Jahr spater in der Zeit zwischen dem 11. Dezember 2004 und dem 10.
Februar 2005. Die Untersuchung zu diesem Termin hat sich aus drei Griinden als
vorteilhaft erwiesen. Erstens beinhaltet dieser Zeitraum die drei wichtigsten traditionellen Feste fur Deutsche und Chinesen - Weihnachten fiir Deutsche, das Friihlingsfest fiir Chinesen und Neujahr fur beide. Wahrend dieser Phase gibt es in Jointventures
mehr Kulturveranstaltungen als sonst. Sie ist also ein geeigneter Zeitraum zur Beobachtung und zum personlichen Erleben der RoUe der engeren Kulturelemente.
Zweitens wird in dieser Zeit in den Untemehmen der Jahresbericht geschrieben. Er
liefert auch Informationen iiber die Funktion und RoUe der Kultur im vergangenen
Jahr im Untemehmen. Drittens handelt es sich fur die deutschen Untemehmen in
China nicht um eine Hauptgeschafts- oder Hauptproduktionszeit. Deswegen haben die
Befragten und Interviewten Zeit die Fragen iiberlegt und in Ruhe zu beantworten. Die
Befragungen konnten haufig in entspannter Atmosphare bei Kaffee oder Tee durchgefuhrt werden. Obwohl dabei gelegentlich die geplante Zeit iiberschritten wurde, kam
dieses der Qualitat der Antworten zugute.
Inhaltlich unterscheiden sich die erste und die zweite Untersuchung. Die erste Untersuchung beinhaltet den Schwerpunkt, die gmndlegenden Daten um die erste zentrale
Frage - Gibt es iiberhaupt Kultur im engeren Sinne in deutsch-chinesischen Jointventures - zu erheben. Die zweite Untersuchung hat die Hauptaufgabe diese Thematik
zu vertiefen und die zweite zentrale Frage - Was fiir eine RoUe spielt die Kultur im
engeren Sinne in deutsch-chinesischen Jointventures - zu beantworten. Deswegen
waren die Methoden fur die erste Untersuchung hauptsachlich Befragungen durch
Fragebogen und Interviews. In der zweiten Untersuchung wurden hingegen mehr die
Methoden der Beobachtung und des freien Gespraches verwendet.
3.6.2 Die Untersuchungsorte und -untemehmen
Die Untersuchungen wurden bei insgesamt 26 deutsch-chinesischen Untemehmen in
funf chinesischen Stadten - Peking, Jinan, Qingdao, Shanghai, Kanton - und der
Sonderverwaltungszone Hongkong durchgefuhrt.
Die Auswahl der Orte basiert auf folgenden Uberlegungen:
92
KapitelS: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
-
Samtliche Stadte und die Zone Hongkong befinden sich in dem wirtschaftlich hoch entwickelten Ktistenstreifen im Osten Chinas, wo sich die
meisten und wichtigsten deutsch-chinesischen Untemehmen befinden.
-
Die heutige Hauptstadt Peking, die seit dem 10. Jahrhundert Hauptstadt von
fiinf verschiedenen chinesischen Dynastien war, „spielt die Hauptmelodie".
Dariiber hinaus wird sie von offiziellen Stellen das „Zentrum der chinesischen Kultur" genannt und ubemimmt damit eine Vorbildfunktion, die sie
auch weitgehend erfullt. Sie ist auf jeden Fall von herausragender Bedeutung fur die chinesische Tradition und Kultur.
-
Die Stadte Jinan und Qingdao befinden sich in der Provinz Shandong, die
als Quelle des Konfuzianismus gilt und wo bis heute immer noch traditionelle chinesische Kultur und Gebrauche eine groBe RoUe spielen.
-
Shanghai und Kanton sind die Stadte, die sich als erste uberhaupt in der
chinesischen Geschichte nach Westen offneten.
-
Hongkong wurde als typische Zone mit groBen intemationalen Kultureinfliissen ausgewahlt.
3.6.2.1 Peking
Peking ist die Hauptstadt von China. Die Einwohnerzahl betragt 14,1 Millionen.^^^
Peking ist nicht nur ein kulturelles und politisches Zentrum sowie auch nach Shanghai
die zweitgroBte Industrie- und Handelsmetropole Chinas. Seit den achtziger Jahren
haben zunehmend auslandische bzw. deutsche Untemehmen direkt in Peking investiert.
In Peking wurden acht deutsch-chinesische Untemehmen (Nr. 1-8) aus den Branchen
Management, Erziehung, Flugservice, Hotel, Bauelemente, Automobil, IT und Kulturbetrieb besucht und untersucht.
Wie im Kapitel 2.1.6 geschildert wurde, steht die Untemehmenskultur deutschchinesischer Jointventures in einem Zusammenhang mit der politischen und sozialen
Umgebung. Die deutsch-chinesischen Untemehmen verwenden die Kulturfaktoren im
engeren Sinne als Instmmente, um gute Beziehungen zu politischen und sozialen
Stellen zu pflegen und damit die Erreichung ihrer wirtschaftlichen Ziele zu unter^^^
Staatliches Statistikamt Chinas (2005), Kapitel 4.7
Die Durchfuhrung der Untersuchung
93
sttitzen. Im Vergleich zu Deutschland spielen politische Faktoren zur Forderung der
wirtschaftlichen Aktivitaten in China eine wichtigere Rolle. Peking als das politische
Zentrum Chinas bietet viele Gelegenheiten fiir Untemehmen ihre wirtschaftlichen
Aktivitaten mit der notwendigen politischen Unterstiitzung zu versehen. Beispielsweise ist das untersuchte Untemehmen Nr. 8 selbst ein Kulturbetrieb im engeren Sinne.
Dieser Kulturbetrieb wurde im Jahr 2002 in Peking gegriindet und anlasslich des
Besuches von Bundeskanzler Gerhard Schroder im Jahr 2004 von ihm offiziell eroffnet. Durch diese Aktion hat der Betrieb landesweit eine hohe Aufmerksamkeit
durch die chinesische Presse erfahren und konnte sowohl mehr Besucher als auch vor
allem chinesische Spitzenkiinstler anlocken.
Als kulturelles Zentrum und Fenster zum Kulturaustausch Chinas mit westlichen
Landem bietet Peking zahlreiche Kinos, Theater, Museen, Konzerthauser, Karaokehallen usw. an, wo man sowohl traditionelle oder modeme chinesische Kultur als auch
die aktuelle westliche Kultur erleben kann. Dieses Angebot wird auch von Unternehmen in Peking genutzt. Alle acht der dort untersuchten Untemehmen haben betriebliche Versammlungen oder Feste in Konzerthallen o. a. durchgefuhrt.
3.6.2.2 Jinan und Qingdao
In der Ostprovinz Shandong bzw. in der Provinzhauptstadt Jinan und der Kustenstadt
Qingdao wurden Untersuchungen bei sieben deutsch-chinesischen Jointventures (Nr.
9-15) aus den Branchen Chemie, Bodenschatze, Energie, Management, Automobil,
und Bauelemente durchgefuhrt. Die Einwohnerzahl in Jinan und Qingdao betragt 5,9
Millionen^^"^ bzw. 7,3 Millionen'^^ Zu den wichtigsten Produktionsgiitem der zwei
Stadte gehoren Textilien, Nahmngsmittel, Stahl, Fahrzeuge, Maschinen, Werkzeuge
und chemische Erzeugnisse.
Seit der Shang-Dynastie (ca. 17.-11. Jahrhundert v. Chr.) spielte die Provinz Shandong in der friiheren chinesischen Kulturgeschichte eine besondere Rolle. Die Provinz
wird als Geburtsort der Philosophen Konfuzius und Mencius sowie als „Staat der Riten
^^^
Statistikamt der Stadt Jinan (2005), Kapitel 14
Ebenda, Kapitel 12
94
KapitelS: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
und Sitten" verehrt. Sie stellt also eine der wichtigsten Quellen chinesischer Kultur dar.
Aus dieser Tradition heraus ist die alte konfuzianische Kultur in diesem Gebiet mehr
als in anderen Regionen Chinas bis heute ausgepragt. Zugleich zeigt sich in der
Provinz aber auch der starke Einfluss europaischer Kulturen, insbesondere der
deutschen Kultur.
Der europaische Kultureinfluss begann durch Interventionen am Ende des 19.
Jahrhunderts: Qingdao war von 1898 bis 1915 unter deutscher und von 1915 bis 1922
unter japanischer Herrschaft. Eine andere Hafenstadt, Weihai, gehorte von 1898 bis
1930 zu GroBbritannien. Qingdao entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts
durch den systematischen Ausbau des Hafens zu einer Industriestadt europaischen
Zuschnitts. Das deutsch gepragte Stadtbild wird von einer Vielzahl reprasentativer
Bauten aus der Zeit um 1900, beispielsweise prachtvoller Villen, von Fachwerkhausem und Parkanlagen, dominiert. Die deutsche Kultur hat dadurch die traditionelle
chinesische Kultur beeinflusst. Zum Beispiel: Nur in Qingdao nennt man offiziell den
Einlaufschacht der StraBenabwasser bis heute immer noch -i-^ ^^^ (Gully), obwohl das
deutsche Wort aus dem Englischen kommt. AuBerdem baute Deutschland damals
provinzweit Kirchen, Hochschulen, Krankenhauser und die erste Eisenbahn zwischen
Qingdao und Jinan, die teilweise bis heute noch in Funktion sind.
Die Untersuchungen in Jinan und Qingdao haben deutlich gezeigt, dass diese Einrichtungen neben den Medien wichtige Informationskanale flir die dortigen Chinesen
darstellen, Deutschland, die Deutschen und vor allem aber deutsche Kultur, Qualitat
und Stil kennen zu lemen. Der chinesische Geschaftsfuhrer des Jointventures Nr. 10
erzahlte beim Interview, dass er sich kaum Sorgen liber die Zusammenarbeit mit
Deutschen gemacht habe, weil „wir uns schon vor 100 Jahren kannten". Im Zuge der
Globalisierung haben sich seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts nahere wirtschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und der Provinz Shandong entwickelt. 1987
hat die Provinz mit dem Freistaat Bayem eine Partnerschaft begrundet. Seit 1991 wird
jedes Jahr in Qingdao nach dem Vorbild des Miinchener Oktoberfests ein „Intemationales Bierfest" veranstaltet. Bis Ende Juli 2004 existierten in der Provinz insgesamt
414 Untemehmen mit deutschen Investitionen. Das bilaterale Handelsvolumen zwi-
Laut der chinesischen Worter: gu li
Die Durchfilhrung der Untersuchung
schen Shandong und Deutschland betmg im Jahr 2003 knapp 1.500 Millionen USDollar.^^^
3.6.2.3 Shanghai
In Shanghai wurden vier deutsch-chinesische Jointventures (Nr. 16-19) aus den Branchen Chemie, Kommunikation und Automobil untersucht. Shanghai ist die Hafenstadt
im Jangtse-Delta im Osten Chinas und eine der groBten Stadte der Welt, die groBte
Stadt Chinas sowie das bedeutendste Handels- und Finanzzentrum des Landes.
Wichtige Produktionszweige sind u. a. die Herstellung von Textilien, Stahl, chemischen und pharmazeutischen Erzeugnissen, Maschinen, Fahrzeugen, Papier, Druckereierzeugnissen und elektronischen Geraten. Die Einwohnerzahl betragt 16,1
MilHonen.^^^
Im Gegensatz zu Peking und Shandong blickt Schanghai auf keine lange Geschichte
zuriick und hat keinerlei tief greifende Wurzeln in der konfuzianischen Kultur.
Shanghai wurde erst im 11. Jahrhundert gegriindet und blieb danach lange Zeit ein
kleines Fischerdorf. Seit dem 18. Jahrhundert wuchs die Stadt allmahlich an. Bedeutung erlangte sie jedoch erst nach 1842, als die Briten die Stadt im Opiumkrieg
eroberten und sie fiir den AuBenhandel offneten. In der Folgezeit erhielten auch andere
Lander, darunter Frankreich und die Vereinigten Staaten, extraterritoriale Rechte und
Privilegien. Niederlassungen europaischer Banken und Handelsgesellschaflen wurden
in Shanghai errichtet. Der Handel bluhte auf. 1860 war Shanghai der Hafen mit dem
groBten Handelsaufkommen Chinas. Seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts
unterstiitzte auslandisches Kapital die Industrie vor Ort, angezogen von der Vielzahl
billiger Arbeitskrafte. 1904 begrlindete Siemens seine erste standige Niederlassung in
Shanghai. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts erreichte Shanghai sowohl wirtschaftlich als auch kulturell einen Hohepunkt. Aus historischen Grunden ist die Kultur
in Shanghai keine rein chinesische, sondem eine mit amerikanischen und europaischen
Einfliissen gemischte Kultur. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts zahlte Shanghai
eine Million Einwohner, darunter 60.000 Auslander. Obwohl in der Mitte des chine-
^^^
AuBenhandelsamt der Provinz Shandong (2004)
Staatliches Statistikamt Chinas (2005), Kapitel 4.7
95
96
KapitelS: Methodisches Vorgehen und Datenerhehung
sischen Kiistenstreifens liegend und auf einer chinesischen Kultur basierend, zeigen
sich Einfliisse westlicher Kulturen in Shanghai durch Lebensstil, Ideologic, Architektur usw. deutlich.
Mit dem wirtschaftlichen Fortschritt ist die intemationale Atmosphare auch heute in
der Stadt wieder zu spiiren. Obwohl das fiir Chinesen eine neue Intemationalisierung
und Globalisierung bedeutet, ist es fur den Westen „eine Renaissance ihrer Kunst und
Kultur und signalisiert damit eine Riickkehr zu ihren triumphalen Tagen der Vergangenheit"^^^
Seit Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts haben die Wirtschaftsreformen, die
Deng Xiaoping einleitete, zu einem enormen Anstieg der Industrieproduktion und der
auslandischen Investitionen in Shanghai geflihrt. Bis Ende 2004 waren etwa 30.000^^^
auslandische Untemehmen in der Stadt vertreten - so viele wie nirgendwo sonst in
einer Stadt auf dem chinesischen Festland. Gerade auch bei deutschen Untemehmen
ist Shanghai besonders beliebt. Deutsche wie andere Auslander mogen an Shanghai
das inter-nationale Flair, das gemaBigte Klima, die urbane Lebensqualitat und die
zentrale Lage im chinesischen Markt. Bis Ende 2004 haben einige Hundert deutsche
Untemehmen, damnter auch die Elite der deutschen Untemehmen, wie VW, Bayer,
BASF, Siemens, Thyssen-Kmpp, in Shanghai ihre Jointventures oder Niederlassungen
begrundet.
Die untersuchten deutsch-chinesischen Jointventures in Shanghai sind deutlich groBer
als die in den anderen besuchten Regionen. Deswegen haben sie mehr Geld fiir
Veranstaltungen im Rahmen der Untemehmenskultur zur Verftigung. Neben den
Kulturfaktoren im engeren Sinne, wie sie auch von den kleineren deutsch-chinesischen
Jointventures betrieben werden, untersttitzen die groBen deutschen Untemehmen in
Shanghai landesweit Kulturveranstaltungen im engeren Sinne. Dabei fordem sie nicht
nur chinesische Spitzenkiinstler, sondem auch Unbekannte und Nachwuchs.
^^^
^^^
Yahoo Reisefuhrer (2005)
Xu (2005)
Die Durchfuhrung der Untersuchung
3.6.2.4 Kanton
In Kanton, der Hauptstadt der Provinz Guangdong im Siiden Chinas, wurden zwei
deutsch-chinesische Jointventures (Nr. 20-21) aus den Branchen Sicherheits- und
Qualitatsprufiing, Elektrowerkzeuge und Verpackungsmaschinen untersucht. Kanton
ist ein bedeutendes Kultur- und AuBenhandelszentrum Stidchinas. Zu den wichtigsten
Produktionsgiitem gehoren Maschinen, Fahrzeuge, Nahrungsmittel, Eisen und Stahl,
chemische Erzeugnisse, Textilien, Papier und Zement. Die Einwohnerzahl betragt 7,4
Millionen.'^*
Kanton blickt auf eine lange Geschichte bis zum 3. Jahrhundert v. Chr., als in
Nordchina Konfuzius lebte, zuriick. In der Han-Dynastie (206 v. Chr. - 220 n. Chr.)
war Kanton das friiheste AuBenhandelszentrum Chinas. Bis zum 10. Jahrhundert war
die „SeidenstraBe auf dem Meer", die auf Kanton basierte, in Funktion. Damals trieben
in Kanton Araber, Perser und Inder Handel. Im 16. Jahrhundert erreichten die
Portugiesen Kanton. ^^^ Ein Jahrhundert spater folgten ihnen britische und im 18.
Jahrhundert dann franzosische und hollandische Handler.
Inzwischen entwickelte sich Kanton zu einem Kulturzentrum in Siidchina. Durch den
viele Jahrhunderte lang betriebenen AuBenhandel haben auslandische Kulturen ihre
teilweise tiefen Spuren hinterlassen. Besonders giU dieses fiir die europaischen
Einfliisse seit dem 16. Jahrhundert. Die im Jahre 1863 gebaute katholische Kirche in
der Stadt ist bis heute die groBte in Ostasien. 1924 wurde hier eine der fiihrenden
Hochschulen westlichen Stils in China - die Sun Yatsen Universitat - gegriindet.
Dennoch waren die westlichen Einfliisse auf Kanton nicht so stark und tief wie in
Shanghai, da in Kanton die westlichen Lander keine Extraterritorien hatten und auch
kaum Untemehmen betrieben.
Nach der Griindung der Volksrepublik hat sich die AuBenhandelsgeschichte von
Kanton weiter entwickelt. Seit 1957 finden in der Stadt kontinuierlich bis heute mehrmals jahrlich wichtige Internationale Messen statt. Sogar wahrend der Kulturrevolution
in den 60er und 70er Jahren wurde davon nicht abgewichen.
^ ^ ^ Statistikamt der Stadt Kanton (2004), Kapitel 6
'^^ Vgl. Huang (2003)
97
98
Kapitel3: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
Kulturfaktoren im engeren Sinne sind in Kanton ebenfalls als bedeutende Instrumente
von deutsch-chinesischen Untemehmen verwendet worden.
3.6.2.5 Hongkong
In Hongkong, der Sonderverwaltungszone Chinas, wurden fiinf deutsch-chinesische
Untemehmen (Nr. 22-26) aus den Branchen Chemie, Optik und Messtechnik, Training,
Versandhandel und Elektrowerkzeuge untersucht. Hongkong Hegt auf einer Halbinsel
mit zahlreichen vorgelagerten Inseln. Die Flache betragt 1.092 Quadratkilometer. Die
Zahl der Einwohner betragt 6,8 Millionen.^^^ Hongkong wurde bis zum 30. Juni 1997
als Kronkolonie GroBbritanniens von einem von der britischen Krone emannten
Gouvemeur regiert. In der Nachkriegszeit ist Hongkong zu einem der weltweit
bedeutendsten Zentren der Fertigungsindustrie, des Handels und des Finanzwesens
geworden, indem es seine traditionelle Rolle als Umschlagplatz durch betrachtliche
Investitionen in die Industrie ausgebaut hat. Hongkong dient auch als einer der Hauptkanale fiir den Handel und die Kapitalanlage im festlandischen China; auBerdem hat
sein wirtschaftliches Interesse am Festland zugenommen, da sich die dortige Wirtschaft zunehmend entwickelt.
Passend zu der kleinen, aber wirtschaftlich wichtigen Halbinsel betatigen sich die
deutsch-chinesischen Untemehmen dort normalerweise im Bereich Kaufhaus oder
Management. Die deutschen Untemehmen sind als Niederlassungen von groBen bekannten Firmen meist klein. Nur ein untersuchtes Untemehmen hat mehr als 100
Angestellte, die ubrigen haben jeweils nicht mehr als 25.
Die Bevolkemng Hongkongs besteht zu 95% aus Chinesen, die restliche Bevolkemng
setzt sich iiberwiegend aus Asiaten anderer Lander und Europaem zusammen. Die
chinesische Bevolkemng wurde entweder in Hongkong geboren oder stammt vom
Festland oder aus Taiwan. Deswegen ist die Kultur dort vor allem von China
beeinflusst. Traditionelle Feste sind das Drachenbootfest im Herbst und das Chinesische Neujahrsfest. Durch seine Film- und Musikindustrie sowie Buch- und
Zeitschriftenverlage ist Hongkong weltweit zu einer Quelle modemer chinesischer
^^^
Staatliches Statistikamt Chinas (2005), Kapitel 24.6
Die Durchfiihrung der Untersuchung
Volkskultur geworden. Die kantonesischen Opemensembles, der Kunsthandel und die
alljahrlichen Kunstmessen machen Hongkong auBerdem zu einem Zentrum der
traditionellen Ktinste. Fur den Kulturaustausch zwischen dem Westen und China hat
Hongkong als Schaufenster Chinas gedient.
Diese Besonderheit haben Mitarbeiter der deutsch-chinesischen Untemehmen in ganz
China, insbesondere die deutschen Mitarbeiter, geschatzt und genutzt. Nach Untersuchungsergebnissen dieser Arbeit haben 81% (17 von 21) der deutschen Befragten
chinesische Filme gesehen, um sich iiber China und Chinesen zu informieren. Davon
sagen 35% (6 von 17) der Personen, dass sie von einem bestimmten Hongkonger Film
am meisten beeindruckt seien.
3.6.3 Der Untersuchungsprozess
Die Befragung durch Fragebogen wurde hauptsachlich im Rahmen der ersten
Untersuchung (29.12.2003 - 27.02.2004) erledigt. Aber auch in der zweiten Untersuchung (10.12.2004 - 11.02.2005) und in der ubrigen Zeit sind Fragebogen verteilt
und beantwortet worden. Insgesamt wurden 58 Fragebogen in 26 deutsch-chinesischen
Jointventures in sechs chinesischen Stadten und Regionen verteilt und beantwortet.
Daneben wurden insgesamt 30 Interviews in 18 deutsch-chinesischen Jointventures
durchgeflihrt. Dabei waren - wie geplant - alle 30 interviewten Personen zuvor mit
dem Fragebogen schriftlich befragt worden.
Die zwei Beobachtungen erfolgten in der Zeit vom 22.12.2003 bis zum 03.01.2004
und vom 10.12.2004 bis zum 26.12.2004, jeweils bei einem deutsch-chinesischen
Untemehmen in Qingdao und Peking. Die Beobachtung erstreckte sich iiber durchschnittlich vier Stunden pro Tag, insbesondere bei gemeinsamen Veranstaltungen, wie
z. B. Untemehmensversammlungen, Weihnachts- und Neujahrfeiem.
Freie Gesprache fanden hauptsachlich wahrend der Beobachtungsphase statt. Aber
auch die schriftlichen Befragungen und Interviews boten Gelegenheiten zu vertiefendem Gesprach. Um iiber eine gesprachsfordemde informelle Atmosphare zu ver-
99
Kapitel 3: Methodisches Vorgehen und Datenerhebung
100
ftigen, fanden diese Gesprache in der Regel nicht in der Werkstatt oder im Biiro statt,
sondem in einem informellen Umfeld, z. B. in einem Restaurant. Auch wenn im
Vergleich zur schriftlichen Befragung oder zum Interview eine streng formale
Wissenschaftlichkeit nicht gegeben war, waren diese Gesprache fur ein vertieftes Verstandnis von hohem Wert.
3.7
Die Untersuchung im Uberblick
Untersuchungsperiode
und -zeitraum
Probelauf und 1. Untersuchung:
15.12.2003 - 27.02.2004
2. Untersuchung:
10.12.2004-11.02.2005
Untersuchung in der iibrigen
Zeit
Untersuchte Unternehmen
Orte
Jinan
Qingdao
Peking
Shanghai
Kanton
Hongkong
Peking
Jinan
Peking
Jinan
Kanton
Shanghai
Erhebung
Anzahl
15
- 46 Fragebogen
- 22 Interviews
- 1 Beobachtung
5
-
6
5 Fragebogen
4 Interviews
1 Beobachtung
mehrmalige
freie Gesprache
- 7 Fragebogen
- 4 Interviews
- mehrmalige
freie Gesprache
Tabelle 3-4: Die Untersuchung im Uberblick
3.8
Fazit
Ausgehend von zwei zentralen Fragestellungen
- Gibt es iiberhaupt Kultur im engeren Sinne in deutsch-chinesischen Jointventures?
und
Was flir eine Rolle spielen die Kulturfaktoren im engeren Sinne in deutschchinesischen Jointventures?
101
Fazit
sowie auf der Basis einer Generaliiberlegung tiber die allgemeinen Forschungstheorien
werden vier Untersuchungsmethoden ausgewahlt.
Diese vier Methoden
-
schriftliche Befragung,
-
miindliches Interview,
-
freies Gesprach und
-
teilnehmende Beobachtung
bieten sich fiir diese Arbeit als geeignet an. Damit werden die Untersuchungen auf
verschiedene Schwerpunkte wie z. B. die Existenz der Kulturfaktoren im engeren
Sinne in deutsch-chinesischen Jointventures, ihre Rolle und Funktionen, tiefere
Griinde fur zunachst nur oberflachlich erscheinende Situationen, Einfliisse aus
breiteren und komplexeren Zusammenhangen usw. orientiert.
Eine alte chinesische Philosophie, die heute als Grundlage einer modemen Managementstrategie genutzt wird, lehrt, dass „die richtige Zeit, der richtiger Ort und die
richtigen Personen"'^"^ die Voraussetzung ftir den Erfolg sind. Fiir diese Arbeit wurden
deshalb ausfuhrliche Uberlegungen angestellt, um den Untersuchungszeitraum und die
zu untersuchenden Untemehmen sowie deren Standorte auszuwahlen.
So wurde bei der Wahl des Untersuchungszeitraumes darauf geachtet, dass in den
deutsch-chinesischen Jointventures genugend Kulturveranstaltungen stattfanden. Die
Stadte und Regionen befinden sich alle in einem typisch wirtschaftlichen Gebiet und
wurden im Weiteren so ausgewahlt, dass jede von ihnen aus geschichtlicher, kultureller oder politischer Perspektive typisch far die Entstehung und Entwicklung der
Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventure ist.
174
Menzius (ca. 3. Jahrhundert v. Chr.), S.20, Ubersetzung des Verfassers
4
Ergebnisse der Untersuchung im Uberblick
4.1
AUgemeines
Von 60 ausgegebenen Fragebogen wurden 58 von 21 (36%) deutschen und 37 (64%)
chinesischen Fiihrungskraften oder Mitarbeitem beantwortet. Von diesen 58 Fragebogen wurden 44 personlich ubergeben und vor dem Ausfullen erklart. Die anderen 16
Fragebogen wurden nach vorheriger Vereinbarung per Fax oder Post verschickt. Von
diesen 16 Fragebogen wurden 14 ausgefiillt zurtickgeschickt. Wegen fehlender personlicher Erklarung und Kontrolle wiesen diese 14 Fragebogen einige wenige fehlende
Werte auf, konnten aber trotzdem fiir die Datenerfassung verwendet werden. Damit
beliefen sich sowohl der Brutto-, als auch der Netto-Riicklauf auf 97%.
Bei den Fragen 2, 3, 4, 6, 7, 9 und 10 ist es moglich, mehrere Antworten aus den
Multiple-Choices auszuwahlen. Deswegen ist die Antwortenszahl groBer als die
Befragtenzahl bei diesen Fragen. Bei dem zweiten Teil von Frage 3 ist die Antwortenszahl jedoch kleiner als die Befragtenzahl, weil viele Befragte zwar Filme
gesehen, aber die Namen nicht richtig nennen konnten.
Die 30 Interviews wurden mit 12 deutschen und 18 chinesischen Fiihrungskraften oder
Mitarbeiten durchgefiihrt. Es gab insgesamt vier Themen ftir das Interview. Bei jedem
Interview wurde mindestens uber ein, maximal iiber drei Themen gesprochen.
Informationen^^^ zur Person der Befragten werden in der folgenden Tabelle dargestellt:
Ftihrungskrafte
21 deutsche
Befragte
Mitarbeiter
8
(38,1%)
13
(61,9%)
37
chinesische
Befragte
11
(29,7%)
26
(70,3%)
Insgesamt
58
19
(32,8%)
39
(67,2%)
Stand der Daten: Dezember 2004
8
(21,6%)
2
(5,4%)
6
(16,2%)
31
(83,8%)
13
(22,4%)
2
(3,5%)
10
(17,2%)
48
(82,8%)
21-30
4
(19,1%)
14
(37,8%)
13
(35,2%)
18
(31,0%)
25
(43,1%)
Tabelle 4-1: Information zur Person der Befragten
175
51-65
0
(0%)
Arbeitsjahre im
Jointventure
< 1 Jahr > 1 Jahr
4
17
(19,1%) (80,9%)
Alter
31-40
41-50
12
5
(57,1%) (23,8%)
Kapitel 4: Ergebnisse der Untersuchung im Uberblick
104
4.2
Fragebogenergebnisse
Im Folgenden werden die statistischen Ergebnisse der Fragebogen in Tabellen gefasst.
Erster Teil von Frage 1:
Bevor Sie Ihre chines is chen/deutschen Arbeitskollegen personlich kennen lernten,
hatten Sie da bereits Kenntnisse iiber Chinesen/Deutsche?
a. Ja.
b. Nein.
Antworten (%)
Zahl der Befragten
Zahl der Antworten
„Ja"
„Nein"
21 deutsche
37 chinesische
21
17 (80,9%)
4(19,1%)
37
37 (100%)
0 (0%)
Insgesamt 58
Insgesamt 58
54 (93,1%)
4 (6,9%)
Zweiter Teil von Frage 1:
Stimmten diese Kenntnisse mit Ihrenpersonlichen Erfahrungen Uberein?
a. Ja.
b. Nein.
Antworten (%)
Zahl der Befragten
Zahl der Antworten
„Ja"
„Nein"
21 deutsche
21
12 (57,1%)
9 (42,9%)
37 chinesische
37
20(54,1%)
17(45,9%)
Insgesamt 58
Insgesamt 58
32 (55,2%)
26 (44,8%)
Frage 2:
Aus welchen Quellen stammen Ihre ersten Kenntnisse iiber Chinesen/Deutsche?
a. Deutsche/Chinesische Medien
b. Amerikanische Medien
c. Personliche Erfahrung
d. Erzdhlung von Freunden
Fragebogenergebnisse
Zahl der
Zahl der
Befragten
Antworten
105
Antworten (%)
a.
b.
c.
d.
21 deutsche
35
8 (22,9%)
7 (20,0%)
6(17,1%)
14 (40,0%)
37 chinesische
57
16(28,1%)
26 (45,6%)
7 (12,3%)
8 (14,0%)
Insgesamt 58
Insgesamt 92
24(26,1%)
33 (35,9%)
13(14,1%)
22 (23,9%)
Erster Teil von Frage 3:
Wie oft haben Sie in den letzten 3 Jahren im Kino oder zu Hauseper Video/DVD einen
chinesischen oder einen ausldndischen Film ilber China/Deutschland bzw. Chinesen/
Deutsche gesehen?
a. Weniger als 3 Mai
b. 4-6 Mai
c. 7-10 Mai
d. Mehr als 10 Mai
Zahl der
Befragten
Zahl der
Antworten
21 deutsche
37 chinesische
Insgesamt 58
Antworten (%)
a.
b.
c.
d.
37
10 (47,6%)
2 (5,4%)
6 (28,6%)
23 (62,2%)
4(19,0%)
8 (21,6%)
1 (4,8%)
4 (10,8%)
Insgesamt 58
12 (20,7%)
29 (50,0%)
12(20,7%)
5 (8,6%)
21
Zweiter Teil von Frage 3:
Nennen Sie bitte den Titel, der Sie am meisten beeindruckt hat:
Die fiinf Filme, die von deutschen Befragten am haufigsten genannt wurden:
nach
Haufigkeit
1.
Land
China
Drehjahr
1991
2.
Filme
Raise the Red
Lantern
Red Sorghum
China
1987
3.
To Live
China
1994
4.
The Little Chinese
Seamstress
Beijing Bicycle
China
2004
China
2000
5.
Regie
Yimou
Zhang
Yimou
Zhang
Yimou
Zhang
Shijie Dai
Kategorie
Spielfilm
Xiaoshuai
Wang
Spielfilm
Spielfilm
Spielfilm
Spielfilm
106
Kapitel 4: Ergebnisse der Untersuchung im Uberblick
Die funf Filme, die von chinesischen Befragten am haufigsten genannt wurden:
nach
Hauflgkeit
Filme
1.
Einmal wird die
Sonne wieder
scheinen
2.
Lola rennt
3.
Die Blechtrommel
4.
5.
Die grope Sause
The Longest Day
Gedreht von
BR
Deutschland
Drehjahr
1969/
1970
Regie
Hans
Heinrich
Kategorie
Spielfilm
Deutschland
1998
Spielfilm
BR
Deutschland/
Frankreich
Frankreich
USA
1978
Tom
Tykwer
Volker
Schlondorff
1967
1962
Spielfilm
Gerard Oury Spielfilm
Ken
Spielfilm
Annakin
usw.
von insgesamt 58 Befragten haben 51 (87,9%) einen Film genannt. Davon sind 35
(94,6%) chinesische und 16 (76,2%) deutsche Befragte. Die anderen 7 (12,1%) Befragten konnten keine Angaben machen.
Erster Teil von Frage 4:
Haben Sie Freunde unter den chinesischen/deutschen
Arbeitskollegen?
a. Ja.
b. Nein.
Antworten (%)
Zahl der Befragten
Zahl der Antworten
„Ja"
„Nein"
21
4(19,0%)
17 (81,0%)
37 chinesische
37
31 (83,8%)
6(16,2%)
Insgesamt 58
Insgesamt 58
35 (60,3%)
23 (39,7%)
21 deutsche
Zweiter Teil von Frage 4:
Was wurden Sie gem mit einem chinesischen/deutschen Kollegen zusammen machen,
wenn Sie am Wochenende einen Nachmittag zusammen verbringen sollen?
a. Reise/Ausflug
b. Gesprdch ilber die Arbeit
c. Besuch einer traditionellen chinesischen Kulturveranstaltung (Theater,
Konzert, Karaoke usw.)
d. Besuch und Gesprdch in einem Teehaus
Fragebogenergebnisse
Zahl der
Zahl der
Befragten
Antworten
107
Antworten (%)
a.
b.
c.
13 (52,0%)
10 (40,0%)
22 (43,1%)
35(46,1%)
27 (52,9%)
21 deutsche
25
2 (8,0%)
0 (0%)
37 chinesische
51
1 (2.0%)
1 (2,0%)
Insgesamt 58
Insgesamt 76
3 (3,9%)
1 (1,3%)
d.
37 (48,7%)
Frage 5:
Wie stellen Sie sich die Beziehungen zwischen Ihnen und Ihren deutschen/chinesischen Kollegen vor?
a. Eher egalitdr.
b. Eher hierarchisch.
c. Ich mochte eher egalitdr, aber meine chinesischen/deutschen Kollegen
wollen nicht
d. Ich mochte eher hierarchisch, aber meine deutschen/chinesischen
Kollegen wollen nicht.
Zahl der
Befragten
Zahl der
Antworten
Antworten (%)
a.
b.
c.
d.
21 deutsche
21
9 (42,8%)
3 (14,3%)
8(38,1%)
1 (4,8%)
37 chinesische
Insgesamt 58
37
15(40,5%)
24 (41,4%)
17 (46,0%)
20 (34,5%)
5(13,5%)
13 (22,4%)
0 (0%)
Insgesamt 58
1 (1,7%)
Frage 6:
Welche Sprache sprechen Sie in den meisten Fallen mit Ihren deutschen/chinesischen
Kollegen/Mitarbeitern/Vorgesetzten?
a. Deutsch (direkt)
b. Deutsch (durch Dolmetscher)
c. Chines is ch
d. Englisch
Zahl der
Befragten
Zahl der
Antworten
Antworten (%)
a.
b.
c.
d.
21 deutsche
21
2 (9,5%)
4(19,0%)
4(19,0%)
11 (52,5%)
37 chinesische
37
Insgesamt 58
2 (5,4%)
6(16,2%)
10(17,2%)
7(18,9%)
11(19,0%)
22 (59,5%)
Insgesamt 58
4 (6,9%)
33 (56,9%)
Kapitel 4: Ergebnisse der Untersuchung im Uberblick
108
Erster Teil von Frage 7:
In Bezug auf die Einstellung zu Sex finden Sie Ihre
deutschen/chinesischen
Kollegen/Mitarbeiter/Vorgesetzte:
a. Konservativ
b. Offen
c. Offener
d. Viel offener
Zahl der
Befragten
Zahl der
Antworten
Antworten (%)
a.
b.
c.
d.
21 deutsche
21
2 (9,5%)
5 (27,8%)
13 (61,9%)
1 (4,8%)
37 chinesische
Insgesamt 58
37
Insgesamt 58
3 (8,1%)
8(21,6%)
13 (22,4%)
18 (48,7%)
31 (53,4%)
8(21,6%)
5 (8,6%)
9(15,6%)
Zweiter Teil von Frage 7:
Diese Einschdtzung beruht auffolgender Quelle:
a. Chinesische Medien
b. Deutsche Medien
c. Amerikanische Medien
d. Personliche Erfahrung oder andere Quelle
Zahl der
Befragten
Zahl der
Antworten
Antworten (%>)
a.
b.
c.
d.
21 deutsche
37
2 (5,4%)
7(18,9%)
65
37 (56,9%)
18 (48,7%)
5 (7,7%)
10(27,0%)
37 chinesische
14(21,6%)
9 (13,8%)
Insgesamt 58
Insgesamt 102
39 (38,2%)
23 (22,6%)
24 (23,5%)
16(15,7%)
Frage 8:
In Bezug auf Ihre Arbeit treffen Sie normalerweise Entscheidungen,
a. ohne sie Ihren deutschen/chinesischen Mitarbeitern zu erldutern.
b. zusammen mit Ihren deutschen/chinesischen Mitarbeitern.
c. indem Sie zuerst die Vorschldge Ihrer deutschen/chinesischen Mitarbeiter
horen.
d. nach Anweisung.
Fragebogenergebnisse
Zahl der
Zahl der
Befragten
Antworten
109
Antworten (%)
a.
b.
c.
d.
21 deutsche
21
7 (33,4%)
0 (0%)
37
13(35,1%)
12 (57,1%)
19 (51,4%)
2 (9,5%)
37 chinesische
5(13,5%)
0 (0%)
Insgesamt 58
Insgesamt 58
20 (34,5%)
31 (53,5%)
7 (12,0%)
0 (0%)
Frage 9:
Bei der Losung eines schweren Problems mussen Sie mit Ihrem
deutschen/
chinesischen Mitarbeiter reden. Welchen Ort bevorzugen Sie, wenn es moglich ist?
a. Euro in der Arbeitszeit
b. Privater Besuch in der Freizeit
c. Bei einem gemeinsamen Essen
d. In der Pause einer gemeinsamen Kulturveranstaltung
Zahl der
Befragten
Zahl der
Antworten
Antworten (%>)
a.
b.
c.
d.
19 (90,4%)
0 (0%)
1 (4,8%)
49
8(16,4%)
3(6,1%)
1 (4,8%)
15(30,6%)
23 (46,9%)
Insgesamt 70
27 (38,5%)
3 (4,3%)
16(22,9%)
24 (34,3%)
21 deutsche
21
37 chinesische
Insgesamt 58
Frage 10:
Wie wUrden Sie die Unternehmensgrundsdtze
oder einen bestimmten Slogan des
Jointventures in Ihrem BUroprdsentieren lassen?
a. Als Plakat.
b. Durch eine chinesische Malerei mit Kalligraphie.
c. Hdufig auswendig aufsagen.
d. Auf Papier ausdrucken.
Zahl der
Befragten
Zahl der
Antworten
Antworten (%)
a.
b.
c.
d.
31
2 (6,5%)
3 (9,6%)
2 (6,5%)
24 (77,4%)
37 chinesische
57
9(15,8%)
29 (50,9%)
5 (8,8%)
14 (24,5%)
Insgesamt 58
Insgesamt 88
11(12,5%)
32 (36,3%)
7 (8,0%)
38 (43,2%)
21 deutsche
110
Kapitel 4: Ergebnisse der Untersuchung im Uberblick
Auf der Basis der oben prasentierten statistischen Ergebnisse konnen die folgenden
sieben Punkte zusammengefasst werden:
1. (Frage 1 und 2) Bevor Deutsche und Chinesen sich personlich kennen lemten,
hatten die meisten von ihnen bereits Kenntnisse iiber einander. Diese ersten
Kenntnisse stammten aus verschiedenen Quellen, davon waren amerikanische
Medien, insbesondere fur Chinesen, die wichtigste Quelle. Allerdings envies es
sich bei spaterem personlichen Kennenlemen, dass fast die Halfte dieser Kenntnisse mit personlichen Erfahrungen nicht tibereinstimmte.
2. (Frage 3) Alle befragten Deutschen und Chinesen nutzen Filme sowohl zur
Vorbereitung als auch zur Vertiefung der gegenseitigen Kenntnisse. Genau die
Halfte der Befragten hat in den letzten drei Jahren 4-6 Filme dazu gesehen.
Insbesondere fur Chinesen spielen Filme eine wichtige RoUe.
3. (Frage 4 und 5) Trotz der Arbeit in einem gemeinsamen Untemehmen gemischter Kultur bleibt die jeweilige Kulturtradition pragend. So gibt es in jedem
Jointventure eine bestimmte Menge gemischter und jeweils rein chinesischer
und deutscher Kultur. Die Breite der gemischten Kultur aber wird von beiden
Seiten unterschiedlich gewiinscht. Wahrend deutsche Mitarbeiter so viel
deutsche Elemente wie moglich und gemischte sowie chinesische Elemente nur
so viel wie notig haben mochten, streben Chinesen ein hohes MaB an gemischten und chinesischen Elementen an. Dieses liegt zum einen an einem
hoheren Kenntnisstand der Chinesen iiber westliche Kultur durch chinesische
und auslandische - vor allem amerikanische - Medien. Zum anderen ist es tief
in der chinesischen Kultur verwurzelt KoUegen auch als Freunde zu haben.
Dieses widerspricht nicht der Beobachtung, dass Chinesen ein eher hierarchisches Verhaltnis zu ihren deutschen KoUegen bevorzugen, da es auch Teil
der chinesischen Kultur ist, bei Freundschaften zu KoUegen oder Vorgesetzten
Hierarchiestufen zu beachten.
Die Kulturfaktoren im engeren Sinne spielen eine wichtige RoUe beim Uberwinden dieser Unterschiede. Die Antworten auf die Frage, was man gem gemeinsam in der Freizeit untemehmen mochte, zeigen ihre Bedeutung deutlich.
Fragebogenergebnisse
111
94,8% der Gesamtbefragten entscheiden sich fiir Theater-, Konzert-, Teehausbesuch etc.
4. (Frage 6) Dadurch, dass in den meisten untersuchten Jointventures Englisch
gesprochen wird, kommt dieser Sprache eine Briickenfbnktion zu. Dabei muss
beachtet werden, dass an die Sprache gekoppelte Kulturfaktoren im engeren
Sinne wie Literatur und Filme nicht nur amerikanische, sondem haufig auch die
gesamte westliche Kultur transportieren.
5. (Frage 7) Medien, vor allem Zeitungen, Zeitschriften, Romane und Filme,
spielen eine wichtige RoUe bei der Information tiber einander in Jointventures.
Dabei wird die Erfahrung gemacht, dass Medien nicht selten ein verzerrtes Bild
der Wirklichkeit liefem. So wurde gegenseitig eine offenere Einstellung zur
Sexualitat erwartet, die dann nicht der erlebten Wirklichkeit entsprach. In Interviews und Gesprachen wurde dafiir die Darstellung in den Medien verantwortlich gemacht.
6. (Frage 8) Der Kulturwandel ist in China sehr dynamisch. Wahrend in friiheren
Forschungen^^^ China als ein Land mit einem hohen MaB an Kollektivismus
beschrieben wird, zeigen die Ergebnisse dieser Arbeit deutlich, dass sich das
zumindest in deutsch-chinesischen Jointventures, vermutlich auch landesweit,
verandert hat. Viele chinesische Mitarbeiter der Jointventures verhalten sich
sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Freizeit inzwischen deutlich individualistischer als in der Vergangenheit und auch im Vergleich zu ihren KoUegen aus
rein chinesischen Untemehmen.
7. (Frage 9 und 10) Kulturfaktoren im engeren Sinne, wie Musik und Malerei,
spielen insbesondere bei den chinesischen Partnem eine wichtige Rolle beim
Losen betrieblicher Probleme.
^^^
Vgl. Hofstede (1993), S. 190ff; vgl. Oyserman/Coon/Kemmelmeier (2002)
112
4.3
Kapitel 4: Ergebnisse der Untersuchung im Uberblick
Interview-, Gesprachs- und Beobachtungsergebnisse
Interviews, freie Gesprache und Beobachtungen, die zur Erganzung, Verbreiterung
und Vertiefung der Fragebogen durchgefuhrt wurden, brachten weitere sieben Ergebnisse:
1. Die deutsch-chinesischen Jointventures verwenden Kulturfaktoren im engeren
Sinne, vor allem Musik, Theater und Malerei, um innerhalb der Untemehmen
die Mitarbeiter zu motivieren sowie um nach auBen harmonische Beziehungen
zu Gesellschaft und Politik zu pflegen und ein positives Untemehmensimage
aufzubauen und zu verbessem. Diese Faktoren sind wichtige Instrumente fur
die Erreichung des Untemehmenserfolgs, insbesondere fur Untemehmen in
Gebieten mit langer chinesischer Tradition (z. B. Provinz Shandong und Peking).
2. Die deutsch-chinesischen Jointventures selber und ihre Angestellten nutzen
Kultureinrichtungen wie z. B. Konzerthauser, Karaokehallen, Theater und
Kinos nicht nur zur Unterhahung, sondem auch gezieh ftir betriebliche
Versammlungen und Gesprache. Insbesondere fiir beiderseitige deutschchinesische Begegnungen sind die auBeren Kultureinrichtungen wichtig.
3. Dariiber hinaus spielen Kultureinrichtungen und kulturelle Veranstaltungen bei
der Losung schwieriger Probleme oder Konflikte zwischen deutschen und
chinesischen Partnem eine bedeutende Rolle.
4. Viele deutsch-chinesische Jointventures, vor allem groBe Untemehmen in
groBen Stadten (z. B. Shanghai und Peking), organisieren oder unterstiitzen
landesweit offentliche Konzerte, Kunstausstellungen, Kunstler und Sport. Diese
Aktivitaten haben dabei geholfen, die wirtschaftlichen Ziele schneller zu
erreichen.
5. Chinesische Volksmusik, Volkskunst, traditionelle Sitten und Gebrauche spielen eine wichtige Rolle in deutsch-chinesischen Jointventures, insbesondere bei
der bilateralen Begegnung oder beim Empfang deutscher Gaste.
Interview-, Gesprdchs-und Beobachtungsergebnisse
113
6. Alle 26 untersuchten deutsch-chinesischen Untemehmen haben geauBert, dass
sie eine offizielle Untemehmenskultur haben. Die meisten von ihnen haben die
Inhalte ihrer Untemehmenskultur oder Corporate Identity in Betriebsunterlagen
dokumentiert. Aber nur wenige Jointventures sehen Kulturfaktoren im engeren
Sinn als Bauteile ihrer Untemehmenskultur.
7. Neben der Wirtschaft hat die Kultur aus den USA deutsch-chinesische Jointventures und ihre Angestellten auf vielfaltige Weise beeinflusst. Viele dieser
Einflixsse sind durch amerikanische Filme, Literatur, Pop-Musik usw. vor allem
unter jungen chinesischen Mitarbeitem verbreitet.
4.4
Fazit
Die Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass es mnd um die Kultur in der Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures 14 unterschiedliche Betrachtungspunkte gibt:
-
Die ersten Kenntnisse von Deutschen und Chinesen iiber einander stammten
insbesondere aus Medien.
- Alle befragten Deutschen und Chinesen nutzen Filme sowohl zur
Vorbereitung als auch zur Vertiefung der gegenseitigen Kenntnisse.
-
Die Kulturfaktoren im engeren Sinne spielen eine wichtige Rolle beim
Uberwinden kultureller Unterschiede.
-
Englisch kommt als in den meisten untersuchten Jointventures gesprochen
Sprache eine Briickenfunktion zu.
-
Medien spielen in Jointventures eine wichtige Rolle bei der Information
liber einander.
114
Kapitel 4: Ergebnisse der Untersuchung im Uberblick
- Viele chinesische Mitarbeiter der Jointventures verhalten sich sowohl am
Arbeitsplatz als auch in der Freizeit inzwischen deutlich individualistischer.
- Kulturfaktoren im engeren Sinne spielen insbesondere bei den chinesischen
Partnem eine wichtige Rolle beim Losen betrieblicher Probleme.
- Die deutsch-chinesischen Jointventures verwenden Kulturfaktoren im
engeren Sinne innerhalb der Untemehmen zur Motivation der Mitarbeiter
sowie um nach auBen harmonische Beziehungen zu Gesellschaft und Politik
zu pflegen und ein positives Untemehmensimage aufzubauen und zu verbessem.
- Die deutsch-chinesischen Jointventures selber und ihre Angestellten nutzen
Kultureinrichtungen nicht nur zur Unterhaltung, sondem auch gezielt fur
betriebliche Versammlungen und Gesprache.
- Dartiber hinaus spielen Kultureinrichtungen und kulturelle Veranstaltungen
bei der Losung schwieriger Probleme oder Konflikte zwischen deutschen
und chinesischen Partnem eine bedeutende Rolle.
- Viele deutsch-chinesische Jointventures organisieren oder unterstutzen
landesweit offentliche Konzerte, Kunstausstellungen, Kiinstler und Sport,
um die Erreichung ihrer wirtschaftlichen Ziele zu unterstutzen.
- Chinesische Volksmusik, Volkskunst, traditionelle Sitten und Gebrauche
spielen eine wichtige Rolle in deutsch-chinesischen Jointventures.
- Auf den ersten Blick sehen nur wenige deutsch-chinesische Untemehmen
Kulturfaktoren im engeren Sinn als Bestandteil ihrer Untemehmenskultur.
- Neben der Wirtschaft hat die Kultur aus den USA deutsch-chinesische Jointventures und ihre Angestellten auf vielfaltige Weise beeinflusst.
5
Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
5.1
Die Kulturrevolution und die Kulturfaktoren im engeren Sinne
Die Kulturrevolution ist nicht nur ein Abschnitt tief greifender politischer Veranderungen in der jiingeren chinesischen Geschichte, sondem markiert auch eine ganz
besondere Phase in der chinesischen Kulturgeschichte. Darin entwickelten sich die
politischen und sozialen Funktionen der Kulturfaktoren im engeren Sinne von ihrer
traditionellen Basis aus mit enormer Geschwindigkeit bis ins Extreme. Die Kulturrevolution beeinflusste nicht nur die Kulturfaktoren im engeren Sinne, sondem dariiber
hinaus auch das Kulturleben der ganzen Bevolkerung nachhaltig.
Obwohl die Kulturrevolution bereits dreiBig bis vierzig Jahre zuriickliegt, sind ihre
Einflusse bis heute noch spurbar. Der groBte Teil der chinesischen Mitarbeiter und
Fuhrungskrafte in deutsch-chinesischen Jointventures gehort zu der Generation, die in
der Kulturrevolution ausgebildet und aufgewachsen ist und dadurch in ihrer Haltung
und Meinung zum Westen gepragt wurde. Deshalb ist ein iiberblicksartiger Exkurs
zum Thema Kulturrevolution an dieser Stelle angeraten.
Da die Kulturrevolution zwischenzeitlich als eine Regiekatastrophe der KPCh bewertet wird, ist sie auf dem chinesischen Festland immer noch ein sensibles Thema.
Obwohl bereits im Jahr 1980 die KPCh selbst die Kulturrevolution als schweren
Fehler offiziell bewertet hat, ^^^ gibt es bis heute in der Volksrepublik kaum tief
greifende Forschungen dariiber, wahrend in Amerika und Europa viele mit zum Teil
extremen Ergebnissen und Kritiken durchgefuhrt wurden. In diesem Teilkapitel wird
diese 10-jahriche Geschichte im Wesentlichen auf kultureller Ebene neutral geschildert. Die Materialien dafur stammen in der Regel aus vier Quellen: erweiterte Gesprache auf der Basis der Fragebogen und der Interviews in der Untersuchung,
personliche Erfahrungen, damalige Zeitungen und Zeitschriften sowie aktuelle,
weltweite Forschungen.
Vgl. Editorial der Volkstageszeitung (1981)
116
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
5.1.1 Die Grofie Proletarische Kulturrevolution im Uberblick
Nach der utopischen Uberzeugung von Mao Tse-tung, dass die VR China durch eine
Reihe von wirtschaftlichen Sprungen die Pro-Kopf-Produktion schwerindustrieller
Giiter von GroBbritannien innerhalb von 15 Jahren tibertreffen konne, wurde 19581960 im ganzen Land der „GroBe Sprung nach vom" durchgefuhrt. Dazu sollten in
nahezu alien Sektoren der Wirtschaft enorme Produktionssteigerungen durch die
Einfiihrung kollektiver und industrieller Arbeitsweisen erzielt werden. Dieses Ziel
wurde nicht nur vollig verfehlt, vielmehr stand die chinesische Wirtschaft danach
schwacher als zuvor da. ^^^ Die aus der kommunistischen Ideologic abgeleitete Annahme, dass Menschen fiir die Erreichung von Kollektivzielen motivierter und besser
arbeiten als bei der Verfolgung individueller Ziele, envies sich auch in China als ein
verhangnisvoller Irrtum. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten beispielsweise in landwirtschaftlichen Gebieten Bauem mit primitiven Schmelzofen aus Schrott Eisen produzieren. Dazu wurden die Bauem in groBer Zahl von der Feldarbeit, die bis dahin
noch extrem personalintensiv und sehr wenig mechanisiert war, abgezogen. Dem drohenden Produktionsausfall wollte man mit verstarkter Diingung und kollektiven Arbeitsweisen in „kommunistischem Geist" begegnen.^^^ Letzteres war ein volliger Fehlschlag. Statt besser und mehr zu arbeiten, fiihrte die Anonymisierung der landwirtschaftlichen Arbeit zu einer extrem reduzierten Leistungsbereitschaft und -fahigkeit
der bauerlichen Bevolkerung. Auch der Mechanisierungsgrad der Feldbearbeitung
ging zuruck, weil Maschinen eingeschmolzen wurden. Schon 1958, im ersten Jahr des
„groBen Sprungs", ging die Getreideproduktion so dramatisch zuruck, dass bereits
Saatgut fiir das Folgejahr als Nahrung verbraucht wurde. Die unausweichlich folgende
Hungersnot dauerte drei Jahre. Ihr fielen Millionen Chinesen, vor allem Bauem, zum
Opfer.^^^
1962 trat Mao wegen zunehmender Kritik vom Amt des Staatsoberhaupts zuruck. Liu
Shaoqi, eine weitere wichtige Fuhmngsperson in der kommunistischen Partei Chinas,
Deng Xiaoping und deren Anhanger iibemahmen weitgehend die Macht, ohne jedoch
Mao endgiiltig verdrangen zu konnen. Seine politischen Vorstellungen trafen nur noch
^^^ Vgl. Xi/Jin (1996), S. 349-352
^'^^ Vgl. Chen (1958), S. 1-3; vgl. Kang (1958)
^^^ Vgl. Seitz (2000), S. 174-177
Die Kulturrevolution und die Kulturfaktoren im engeren Sinne
117
auf wenig Resonanz innerhalb der Partei. Deswegen versuchte Mao durch „revolutionare Krafte des Volks"^^^ und mit Hilfe der kulturellen Instrumente seine Macht und
seinen Einfluss zurlickzugewinnen.
Die Kulturrevolution war weitgehend ein personlicher Machtkampf Maos gegen seine
innerparteilichen Gegner. Anstatt nach dem Desaster des „groBen Sprungs" das sich
abzeichnende grundsatzliche Scheitem des Kommunismus zu erkennen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen - was einige der Gegner Maos forderten - , sollte der
kommunistischen Ideologie mit einer die ganze Gesellschaft erfassenden Anstrengung
zum Durchbruch verholfen werden. Die Kulturrevolution dauerte von 1966 bis 1976.
Der damit verbundene innerparteiliche Machtkampf flackerte immer wieder mehr oder
weniger offentlich auf und endete erst mit Maos Tod. Ideologisch wurde sie als Kampf
zur Sicherung der Ergebnisse der proletarischen Revolution gegen die stadtische
Bourgeoisie und die Staatskapitalisten der kommunistischen Partei dargestellt. Diese
zum Teil sehr hart und unmenschlich gefiihrten Auseinandersetzungen fanden landesweit auf alien Ebenen des offentlichen und insbesondere des kulturellen Lebens
statt.'*^
In der Kulturrevolution spielten die Kulturfaktoren im engeren Sinne eine wichtige
RoUe. Im August 1966 rief die zu dem Zeitpunkt von Mao kontrollierte Zentralregierung offiziell Studenten - die so genannten „Roten Garden des Maos"^^^ - auf
„alles alte, ausbeuterische Gedankengut, alte Kultur, Gebrauche und Gewohnheiten zu
vemichten"'^'^und diese durch „neue und revolutionare Kultur" ^^^ zu ersetzen. Ziel
war es, durch die effektiven kulturellen Instrumente die im Volk herrschende Ideologie
zu kontroUieren und damit weiterhin das Ziel der Ausschaltung der innerparteilichen
Opposition zu erreichen. In Folge dieses Aufrufs wurden viele bedeutende historische
und kulturelle Denkmaler beschadigt oder ganz zerstort. Die meisten traditionellen
Theater waren verboten und wurden durch „revolutionares modemes Theater" ersetzt.
Viele traditionelle Literatur und Malerei wurden verbrannt. Alle westlichen Filme,
Literatur, Musik usw. wurden als „giftige Kulturgegenstande" kritisiert und verboten.
181
182
183
Editorial der Volkstageszeitung (1966a), Ubersetzung des Verfassers
Vgl. Xi/Jin (1996), S. 352-357, vgl. Evans/Donald (1999), S.1-21
Vgl. Editorial der Volkstageszeitung (1966c)
Editorial der Volkstageszeitung, Ubersetzung des Verfassers (1966b)
Ebenda
118
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
Dariiber hinaus wurden Kulturschaffender, Lehrer und Wissenschaftler Opfer heftiger
Kritik und personlicher Misshandlung. Ab 1967 begannen Mao und seine Gefolgsleute,
bedeutende Fuhrungspersonen, die zum Kreis um Liu Shaoqi und Deng Xiaoping
gehorten, zu entmachten. Dabei wurden auch die engeren Kulturfaktoren zu Hilfe
genommen. In einer typischen Vorgehensweise wurde die ins Auge gefasste Person
zunachst durch Zeitungen und Radiosendungen angegriffen und dann durch gezielt
neu geschriebene Theaterstiicke und Dokumentarfilme tiefer und weiter diskreditiert.
Danach lieBen die manipulierten und aufgeputschten „revolutionaren Massen" und die
„Roten Garden Maos" diese Person in der Offentlichkeit durch Scheindiskussionen
und -kritiken verunglimpfen und dann auch misshandeln. Erst danach kam es zu einer
„offiziellen" Anklage mit anschliefiendem Schauprozess, der in der Kegel mit Verurteilung zur „Umerziehung", sprich Straflager, endete. Diese Prozesse wurden mit
intensiver Propaganda in den Medien begleitet. Die Kulturrevolution fing zwar im
Bereich der Kultur an, verbreitete sich aber dariiber hinaus landesweit in alle Bereiche
von Gesellschaft, Wirtschafl, Bildung und Politik. Die Bezeichnung „Kulturrevolution" konnte deshalb missverstandlich sein.
5.1.2 Die Kulturfaktoren im engeren Sinne in der Kulturrevolution
Die Kulturfaktoren im engeren Sinne wurden zugleich als Instrumente in der politischen Auseinandersetzung verwendet. Die Kulturrevolution selbst wurde gezielt
durch eine scharfe Kritik an dem Theaterstiick Hai Rui wird seines Amtes enthoben^^^,
dessen Autor der Historiker und damalige Pekinger Vizeburgermeister Wu war, ausgelost. In diesem Theaterstuck wird die Geschichte von Hai Rui, einem integren
Beamten in der Ming-Dynastie (1368-1644 n. Chr.), erzahlt, der wegen Kritik an
Kaiser Jiajing wegen dessen Vemachlassigung der Amtsgeschafte vom Kaiser entlassen und ins Gefangnis geworfen wurde.
Es ist chinesische Tradition, durch Darstellung in den engeren Kulturfaktoren Theater, Lieder, Malerei und in der jiingeren Zeit auch Film - die Vorgange im gesellschaftlichen und politischen Leben, insbesondere Unrecht, Machtmissbrauch usw.,
implizit zu kritisieren. Dabei werden haufig Beziige zu bekannten historischen PerOriginaltitel: Hai Rui ha guan/'M^ H 'I', erste Vorfiihrung im Januar 1961 in Peking
Die Kulturrevolution und die Kulturfaktoren im engeren Sinne
119
sonen und Begebenheiten hergestellt oder historische Begebenheiten kritisch beleuchtet. Obwohl das Theatersttick von Wu keine vorsatzliche personliche Anspielung
enthielt, wurde es von der o. g. Kritik, die von Yao Wenyuan geschrieben wurde und
am 10. November 1965 in der Shanghaier Literaturzeitung erschien, als versteckter
Angriff auf Mao dargestellt.'^^ Danach fiigten mehrere Zeitungen diesem Artikel in
akademischer Diskussion Kommentare hinzu, ohne zu wissen, dass dieser Artikel
direkt von Mao mit politischer Absicht lanciert wurde. Am 21. Dezember auBerte Mao
seine Meinung zu dieser offentlichen Pressediskussion, dass Yaos Artikel zwar gut sei,
aber den Kempunkt, namlich iiber die Veranderung der Kultur die Politik zu verandem,
„noch nicht erreiche"^^^. Die eigentliche Botschaft Maos, seine innerparteilichen Gegner ihrer Amter zu entheben, war deutlich. Dieser Artikel wurde dann von Ende 1965
bis April 1966 nach direkter Anweisung Maos landesweit in alien wichtigen Zeitungen
mit gezielten politischen Kommentaren, die Maos eigentliche Botschaft aufgriffen und
verstarkten, gedruckt.^^^
Als Ergebnisse des ersten Kampfs zwischen Mao und seinen Gegnem in der KP,
verloren Wu, der Pekinger Biirgermeister Peng und alle Mitglieder seines Parteiausschusses ihre Amter. Abgesetzt wurde auch der Propagandachef der Partei, der
einer der Hauptgegner Maos war. Damit waren die Pekinger Verwaltung und das
Ministerium fur Propaganda in der Hand der radikalen Maoisten.
Das Ministerium ftir Kultur - neben dem Ministerium fiir Propaganda der Partei die
oberste Kulturbehorde der chinesischen Regierung - hatte in dieser Zeit einige wenige
auslandische Werke importiert. Um politischen Irritationen aus dem Weg zu gehen,
waren es vor allem klassische Werke der Weltliteratur, die zur Ubersetzung kamen,
sowie die Synchronisation des ersten nach der Griindung der Volksrepublik und bis
zum Ende der Kulturrevolution auch einzigen amerikanischen Films Salt of the
Earth^^\ der einen Bergarbeiterstreik in den USA zum Thema hatte. Dennoch nahm
Mao dieses als Anlass, das Ministerium fiir Kultur als „Ministerium fiir tote Aus-
187
188
189
190
Vgl. Yao (1965)
Xi/Jin (1996), S. 77, Ubersetzung des Verfassers
Vgl. Editorial der Volkstageszeitung (1965)
Regie: H. Biberman, USA 1954. Der Film war in den USA wegen seiner Sympathien fiir die Arbeiterklasse verboten.
120
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
lander" ^^^ offentlich zu kritisieren. Mit Hilfe politischer Weggenossen im Zentralkomitee der kommunistischen Partei und durch Mobilisierung der roten Garden, die
fiir einen Druck der StraBe sorgten, konnte Mao durchsetzen, dass dieses Ministerium
im Jahr 1965 komplett mit neuen Fiihrungskraften besetzt und bis zum Ende der
Kulturrevolution personlich von Maos Frau Jiang kontrolliert wurde.
Im Mai 1966 griindete Mao direkt unter dem Politburo, das inzwischen von ihm
kontrolliert wurde, das Komitee der Kulturrevolution. Dieses Komitee spielte die
wichtigste Rolle in der Kulturrevolution. Alle funf Mitglieder dieses Komitees
stammten urspriinglich aus dem Kulturbereich: die Schauspielerin Jiang (Maos Frau),
die Kulturtheoretiker Kang und Chen, der Schriftsteller Zhang und der Kulturkritiker
Yao, dessen Artikel in der Shanghaier Literaturzeitung Ausloser der Kulturrevolution
war. Deshalb war es typisch, dass die Veranderungen und Umbriiche der Kulturrevolution, die fast alle in wirtschaftlichen, menschlichen oder kulturellen Katastrophen endeten, ihren Ausgangspunkt im kulturellen Bereich hatten. Kulturelle Ereignisse wurden zum Anlass genommen, z. B. scharfe Kulturkritiken zu schreiben, die
sich zunachst zu einer politischen Kritik entwickelten und fast immer in einen heftigen
politischen Kampf miindeten. Fast alle politischen Auseinandersetzungen gingen um
Kultur und benutzten Kultur und Kulturfaktoren, hatten aber fast ausschlieBlich
wirtschaftliche und politische Ziele. Durch diese Instrumentalisierung der Kultur hat
sich in China die soziale und politische Funktion der Kultur in der Kulturrevolution ins
Extreme entwickelt.
Die Kulturfaktoren im engeren Sinne erfiillten wahrend der Kulturrevolution im
Wesentlichen fiinf Funktionen. Zum einen sicherten sie die Zugehorigkeit der Kultur
zur Politik. Die Reden von Mao bei der Aussprache uber Kultur und Kunst im Jahr
1942 wurden seitdem bis zum Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, insbesondere
in der Kulturrevolution, zum Grundprinzip der Kulturpolitik der Kommunistischen
Partei. In diesen Reden behauptete Mao: „In der Welt von heute ist jede Kultur, jede
Literatur und Kunst einer bestimmten Klasse zugehorig, einer bestimmten politischen
Linie verpflichtet. Eine Kunst um der Kunst willen, eine liber den Klassen stehende
Kunst, eine Kunst, die neben der Politik einherginge oder unabhangig von ihr ware,
gibt es in Wirklichkeit nicht. Die proletarische Literatur und Kunst sind ein Teil der
191
Zhao (2005), Ubersetzung des Verfassers
Die Kulturrevolution und die Kulturfaktoren im engeren Sinne
gesamten revolutionaren Sache des Proletariats oder, wie Lenin sagte, ,Radchen und
Schraubchen' des Gesamtmechanismus der Revolution."^^^ Nach diesem Grundprinzip
mussten die Kulturfaktoren im engeren Sinne, als ein Teil der Politik selbst und
gleichzeitig als eines ihrer Instrumente, die politischen Anforderungen inhaltlich und
formal ausfiillen.
Zum Zweiten wurden sie in Form und Inhalt stark beschrankt. Es standen nur wenige
populare Formen - Theater, Film, Gesang, Plakate, Radio und hauptsachlich Wandzeitungen - zur Verfugung. Inhaltlich waren nur die extremen revolutionaren Themen
erlaubt. Beschreibungen der Natur, Menschlichkeit, Liebe usw. in fiktionalen Werken
waren nicht zugelassen. Diese wurden als „Entfremdung von Politik und Massen, als
Annaherung an kulturelle Formen des Kapitalismus und an seinem Kitsch"^^^ kritisiert.
So war die Zahl der Theaterstticke, Filme, Lieder usw. in der Kulturrevolution gering.
Zum Dritten hatten die engeren Kulturfaktoren fast voUstandig politischen Zielen zu
dienen. Fiir diese politische Funktion wurden neue kulturelle Subformen entwickelt,
zum Beispiel die „revolutionare Peking-Oper", die von Klavier und anderen westlichen („giftigen") Musikinstrumenten begleitet wurden. Dieses wurde zugelassen,
well die klassische westliche Musik damals schon weit verbreitet war. Es ware nicht
durchsetzbar gewesen westliche Musikformen von Grund auf zu verbieten. Eine
weitere bekannte kulturelle Subform stellten die Wandzeitungen dar, handgeschriebene Plakate mit groBen Schriftzeichen. Sie waren in der Kulturrevolution eine sehr
wichtige Form der offentlichen Medien.
Zum Vierten fungierten die Kulturveranstaltungen als Mittel zur Belohnung und
Motivation der Arbeiter und Angestellten staatlicher Untemehmen. Obwohl Eintrittskarten far Filme, Konzerte, Theater usw. nicht teuer und oft kostenlos waren, war
derjenige, der wegen guter Arbeitsleistung eine Karte fiir eine Kulturveranstaltung
vom Arbeitgeber bekam, darauf stolz und motiviert. Diese Eintrittskarten wurden
offiziell „Stolzkarten" (Abbildung 5-1) genannt und entsprechend bedruckt. Sie
wurden in Kooperation zwischen offentlichen Kultureinrichtungen und staatlichen
Untemehmen vergeben. So wurden die Bindungen zwischen Kultureinrichtungen, wie
^^^
193
Mao (1942), S. 95
Editorial der Volkstageszeitung (1952), Ubersetzung des Verfassers
121
122
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
z. B. Kinos und Theatem, und den Untemehmen vertieft. Diese Tradition hat sich seit
den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht nur bei staatlichen, sondem auch bei
Jointventures, weiter entwickelt.
Auf der Vorseite (links): „Stolzkarte
als Geschenk fiir die besten Mitarbeiter" mit Datum und Sitznummer.
Auf der Ruckseite (rechts): „Um Ihre
ausgezeichneten Arbeitsleistungen zu
belohnen, schenken wir Ihnen diese
Kinokarte ..." mit Unterschriften der
Untemehmensleitungen des lokalen
Radiosenders und des Kinos der
Stadt Pingdingshan.
Abbildung 5-1: Beide Seiten einer typischen „Stolzkarte"
Zum Fiinften sollten die Kulturfaktoren neben der politischen Funktion auch noch den
Bedarf des Volkes nach Unterhaltung, wenn auch in stark begrenztem Umfang, befriedigen. In der Kulturpolitik der kommunistischen Partei sollten „die Einheit von Politik
und Kunst, die Einheit von Inhalt und Form, die Einheit von revolutionarem politischem Inhalt und moglichst vollkommener kiinstlerischer Form"^^^ gefordert werden.
In der Realitat der Kulturrevolution aber fokussierten die Kulturbehorden sich selbst
und Musiker, Ktinstler usw. zuerst und fast ausschlieBlich auf „revolutionare und
politische" Inhalte, weil bereits eine kleine Abweichung von der Linie Maos sehr oft
die groBe Gefahr mit sich brachte nicht nur einen Karriereknick zu erleben, sondem
auch unmenschlich behandelt zu werden.
Anfang der 1970er Jahren
Mao (1942), S. 100
Die Kulturrevolution und die Kulturfaktoren im engeren Sinne
123
5.1.3 Der Einfluss der Kulturrevolution
Erst nach Maos Tod im Jahr 1976 endete die Kulturrevolution endgiiltig. Auch wenn
im Jahr 1980 die kommunistische Partei die Kulturrevolution als „schweren Fehler des
Genossen Mao Tse-tung in seinen letzten Jahren"^^^ bewertet, hat sie Wirtschaft und
Gesellschaft und die heutige Kulturpolitik tief beeinflusst.
An dem geschilderten Beispiel, das die Kulturrevolution ausloste, wird deutlich, wie
tief in der Tradition verankert und bedeutend das Zusammenwirken von Politik,
Gesellschaft und Kultur in China ist. Ahnliche Beispiele fmden sich auch in der
jiingeren Politik in China. Insbesondere nach der Grundung der Volksrepublik China
sind die Kulturfaktoren im engeren Sinne neben ihrer traditionellen Funktionen der
Unterhaltung, Erziehung und Information auch als effektive Instrumente fiir politische
Ziele und ideologische Einfliisse genutzt worden, obwohl in vielen Fallen diese Kulturfaktoren selbst inhaltlich mit Politik nichts zu tun hatten. Gerade aus diesem Grund
haben alle chinesischen Regierungen diese Kulturfaktoren durch strenge Zensur kontrolliert, selbst nach dem Beitritt Chinas in die WTO im Jahr 2001.
Bei der Grundung der Volksrepublik China wurde das sowjetische Prinzip des Primats
der politischen vor der fachlichen Fiihrung bei alien Organisationseinheiten (Unternehmen, Militar, Hochschulen, Schulen, Verwaltung usw.) iibemommen. Die politische Fiihrung wurde und wird von Parteisekretaren auf alien Ebenen, von der
Zentralregierung bis ins kleinste Dorf, wahrgenommen. Das Prinzip, zu dem auch
gehorte, dass jedes staatliche Untemehmen, jede Organisation und jedes Institut eine
Abteilung fur Propaganda und Kultur haben muss, wurde in der Kulturrevolution
verbreitert und vertieft. Diesen Abteilungen, die dem jeweiligen Parteisekretar unterstanden, wurde mehr politische Macht eingeraumt, sodass sie die Fiihrungsaufgaben
weitgehend ubemahmen.'^^ Ihr Einfluss ist heute noch zu sptiren. Die Abteilungen ftir
Propaganda und Kultur der staatlichen Untemehmen, Organisationen und Institute
haben zwar ihre Bedeutung in der politischen Auseinandersetzung verloren, sich aber
in eine verbindende Funktion zwischen Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur
entwickelt.
^^^
Editorial der Volkstageszeitung (1980), Obersetzung des Verfassers
Vgl. hierzu Tang (2004)
124
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
In der Kulturrevolution fanden in den offentlichen Kultureinrichtungen, zum Beispiel
Kinos, Theaterhausem, Bibliotheken, auch soziale und politische Veranstaltungen statt.
Die auch heute noch haufige Nutzung offentlicher Kultureinrichtungen durch Unternehmen ftir betriebliche Veranstaltungen ist darauf zuriickzufiihren.
5.2
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
5.2.1 Gesch ichtliche Hintergrunde
Erziehung durch Unterhaltung (i^#i^ll) ist eine wichtige konfuzianische Tradition in
China. In den tausendjahrigen Kaiserreichen Chinas funktionierten Musik, Tanz, Theater, Kabarett, Malerei etc. neben offizieller und privater Schulerziehung als wichtige
Trager der Ausbildung fur das Volk, selbst in entlegenen landlichen Gebieten.^^^ So
wurde zum Beispiel die einfache Bevolkerung durch Musik gelehrt, ihre „Zu- und
Abneigungen zu maBigen"^^^. Frauen durften in der Kegel die Schule nicht besuchen
und auch nicht an offentlichen Veranstaltungen teilnehmen und erhielten durch Malerei ein MindestmaB an Bildung. Das Theater vermittelte geschichtliches Wissen und
die gesellschaftlichen Moralvorstellungen.
Die Hauptgrunde dafiir waren einerseits die Betonung der gesellschaftlichen Funktion
der Kulturfaktoren im engeren Sinne durch die konfiizianische Lehre,^^^ anderseits die
hohe Anzahl der Analphabeten in China. So konnten im Jahr 1950 mehr als 80% der
chinesischen Bevolkerung (15 Jahre und alter) nicht lesen und schreiben. Diese Zahl
war in den Kaiserreichen noch hoher. Nach jtingster Statistik gab es im Jahr 2001 in
der Volksrepublik China noch 85 Millionen (8,72%) Menschen (15 Jahre und alter),
die nicht lesen und schreiben konnten. ^^^ Der Zugang zu Allgemeinwissen und
gesellschaftlichen Regeln durch Lesen ist diesen Menschen verschlossen. Vor diesem
Hintergrund fiel und fallt den Kulturfaktoren im engeren Sinne die Aufgabe zu diese
Liicke zu schlieBen.
1QO
199
^^^
^^^
Vgi. Mao (1984), S. 126-143; vgl. TangA^an (1980), S. 207ff
Li Ji (ca. 2. Jahrhundert n. Chr.), S. 132, Ubersetzung aus Wehlhelm (1981), S. 73
Vgl. Liu (1989), S. 77-81 und S. 111-115
Li/Lii (2002)
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
125
Oftmals in der chinesischen Geschichte und zum Teil auch heute noch haben die
Kulturfaktoren im engeren Sinne, Musik, Tanz, Theater usw., als populare Wissensund Informationsquellen fungiert. Die Themen, die Konfuzius als Historiker haufig
ansprach, waren „die Lieder, die historischen Dokumente und die Riten"^^^. Die chinesische Bevolkerung hat die durch die o. g. kulturellen Formen ubermittelten Informationen stets und in hohem MaB als zuverlassig und sinnvoll wahrgenommen. In diesen
kulturellen Formen bildeten sich aber auch Stimmungen und Meinungen der einfachen
Bevolkerung ab. Sie stellten damit eine wichtige Informationsquelle fur die jeweiligen
Regierungen dar. In der Qin-Dynastie (221-206 v. Chr.) wurde erstmalig in der chinesischen Geschichte ein Amt fiir musikalische Angelegenheiten gegrundet. Eine wichtige Aufgabe dieses Amtes war „Erfassung und Wiedergabe der Lieder aus dem
Volk"^^^ um dadurch „die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit des Volks zu kennen"^^"^. Diese Erkenntnisse flossen in die Regierungspolitik ein. Die verschiedenen
kulturellen Formen - Musik, Theater usw. - wurden wiedemm auch als Informationsund Propagandainstrument der jeweils Herrschenden eingesetzt.
Seit dem 8. Jahrhundert vor Chr. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat jede Dynastie
und Regierung auf diese Tradition vertraut und sie als Informations- und Ausbildungstrager verwendet und kontinuierlich entwickelt. Erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts,
in der Republik China^^^ und insbesondere nach der Griindung der Volksrepublik im
Jahr 1949, wurde unter westlichem Einfluss allmahlich auf die kulturellen Formen in
der offiziellen Schul- und Erziehungspolitik verzichtet. Dabei ist bemerkenswert, dass
dieser Trennungsprozess selbst mit Hilfe der engeren Kulturfaktoren, vor allem Musik
und Theater, propagiert und ausgefuhrt wurde. Ein Beispiel dafur ist die „Bewegung
Schulgesang" in den ersten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts. Diese Bewegung wurde
von den in Europa und Japan ausgebildeten Chinesen gegrundet und verbreitet. Ihr
Ziel war es, durch Gesang in den offiziellen Schulen landesweit liber das kapitalistische Erziehungs- und Politiksystem des Westens aufzuklaren. Meistens wurden zu
^^^
205
Konfuzius (1982), S. 41
Ban (1991), S. 182, Ubersetzung des Verfassers
Ebenda, S. 293, Ubersetzung des Verfassers
In der Zeit von 1911 bis 1949 auf dem Festland, danach bis heute auf Taiwan
126
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
den damals bekannten westlichen Melodien, wie z. B. Der gute Kameracf^^ und Treue
Liebe^^^ usw. aus Deutschland, passende Texte verfasst.'^^^
In der tausendjahrigen Geschichte war neben der Musik das Theater ein wichtiger
Trager der Informations- und Wissensvermittlung. Wegen seiner visuellen Moglichkeiten gab es zwischen dem Theater und dem chinesischen Volk „eine besondere und
enge Verbindung", durch die die Menschen „nicht nur die Kunst des Theaters
geniefien, sondem auch die Geschichte, den Realismus, den Sinn des Lebens (...)
erfahren konnen".^^^ Die Kommunistische Partei hatte bereits vor der Griindung der
Volksrepublik China die soziale Funktion des Theaters erkannt und verwendet. Schon
neun Jahre vor der Machtubemahme in ganz China formulierte die KP in ihrer Kulturpolitik, „Theater als die wirkungsvollste und am leichtesten zu verbreitende Form in
alien kulturellen Formen einzusetzen"^^^, weil es „als Mischung von Literatur, Musik,
Tanz und Malerei ein effektives Instrument zur Massenpropaganda und -erziehung
ist"^^^ Die flihrende Position des Theaters wurde erst in den 60er Jahren des 20.
Jahrhunderts von einer modemeren Form, dem Film, abgelost.
5.2.2 Entwicklungsprozesse in der Volksrepublik China
Die geographische Entfemung zwischen Deutschland und China ist groB. Die zwei
Lander haben jeweils eine sehr unterschiedliche Geschichte, Tradition und Sprache.
Der Ausdruck „Die Welt wird immer kleiner" bezieht sich im Wesentlichen auf die
hoch entwickelte Verkehrs- und Kommunikationstechnik. Einerseits gibt es zunehmende Kommunikation und Kulturaustausch zwischen den beiden Landem, historisch
bedingt seit Griindung der Volksrepublik China im Jahr 1949 bis 1990 mit der DDR
und seit 1979 mit der Bundesrepublik Deutschland^^^. Andererseits sind die gegenseitigen Kenntnisse, die durch personliche Kontakte oder Medien gesammelt wurden.
206
207
208
209
210
211
212
Text: Ludwig Uhland (1787-1862); Melodie: Friedrich Silcher (1789-1860)
Text: Helmina von Chezy (1783-1856); Melodie: Friedrich Wilhelm Kucken(1810-1882)
Vgl. Qian (2001), S. 111-163; vgl. Sun/Zhou (1993), S. 209-212
TangA'an (1980), S. 207-208, Ubersetzung des Verfassers
Ebenda, S. 208, Ubersetzung des Verfassers
Ebenda, Ubersetzung des Verfassers
Vgl. Kapitel 1.2 und 1.3
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
111
bei normalen Biirgen und Geschaftsleuten immer noch gering, irrig oder sogar vollig
falsch.
Die Ursachen fur die geringen personlichen Kontakte zwischen Chinesen und westlichen Menschen sind in der Mao-Zeit (1949-1976) zu finden. Obwohl China mit den
wichtigsten westeuropaischen Landem schon diplomatische Beziehungen aufgenommen hatte - China mit Frankreich seit Januar 1964, China mit GroBbritannien und
der Bundesrepublik Deutschland seit Marz bzw. Oktober 1972 - , beschrankte die
chinesische Regierung mit Blick auf die haufig negativen Erfahrungen in der Geschichte sowie aus politischen und ideologischen Uberlegungen personliche Kontakte
mit dem Westen durch strenge Zensur und Gesetze. Bis zur Offnung Chinas zum
Westen 1978 wurden Geschafts- und Dienstreisen in westliche Lander sehr streng
kontrolliert. Private Reisen waren in der Regel verboten.
Die zehnjahrige Kulturrevolution (1966-1976) verscharfte diese Situation. In dieser
Zeit liefen jeder personliche Kontakt, jede Kommunikation mit Auslandem und jeder
private Zugang zum Ausland Gefahr, als „illegale Bindung an Feinde"^^^ verdachtigt
und bestraft zu werden. Bei einem Interview zu dem Thema Entstehung unserer
Fremdbilder'^^ berichtete ein Interviewter zum Beispiel davon, dass er als Schiller von
der Kulturrevolution gepragt worden sei und er „vor alien Auslandskontakten und
Wissen aus dem Ausland Angst"^^^ hatte. Er erzahlte, dass sein Lehrer fur Fremdsprachen - ein gebildeter und sympathischer Mensch - an einem Tag plotzlich verhaftet und zu einer Gefangnisstrafe verurteilt wurde, weil er heimlich fremdsprachliches Radio und damit nach damaliger Definition eine „feindliche Radiosendung" gehort hatte.^^^
Vor der Offnung Chinas zum Westen Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts konnte
sich die breite Bevolkerung fast nur durch die offizielle Propaganda der Regierungen
liber Geschehnisse auBerhalb Chinas informieren. Fur diese Propaganda wurden hauptsachlich Radio, Zeitungen, Malerei, Theater und Filme genutzt.
^^^
^^^
Ge (2004), S. 182, Ubersetzung des Verfassers
Ebenda, S. 180-206
215
Ebenda, S. 182, Ubersetzung des Verfassers
Ebenda, S. 182-183, Ubersetzung des Verfassers
128
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
Bis Mitte der 1960er Jahre wurden in China einige Filme aus den anderen sozialistischen Landem - UdSSR, Rumanien, Albanien und Nordkorea - , die offiziell vorgefiihrt werden durften, gezeigt. In der dann folgenden Kulturrevolution wurde auch das
unterbunden. Nur noch in wenigen chinesischen Filmen waren Informationen iiber die
Welt auBerhalb Chinas enthalten oder wurden gar Themen mit Auslandsbezug angesprochen. Wenn dieses iiberhaupt geschah, waren sowohl die Themen z. B. Opiumkrieg (1840-1842, China gegen GroBbritannien), Zweiter Weltkrieg usw. als auch die
Darstellung tendenzios. Die darin enthaltenen Beschreibungen und Vorstellungen iiber
das Ausland waren gering, unsystematisch und haufig negativ iibertrieben. Aber dennoch war der Film die wichtigste Informationsquelle fiir die Chinesen. Damals
„glaubten wir zweifellos, dass diese Informationen voUig echt und richtig waren"^^^.
So berichtete ein auf dem Land aufgewachsener chinesischer Mitarbeiter bei Gesprachen im Rahmen der Untersuchungen dieser Arbeit.
Abbildung 5-2: „Die groBbritannischen Imperialisten niederschlagen!"
- Propagandabild aus der Kulturrevolution
In der Propaganda wurde verstarkt mit Schlagworten und Klischees gearbeitet. Das
dadurch bei der breiten chinesischen Bevolkerung entstandene Bild des Westens und
^^^
Ge (2004), S. 180, Ubersetzung des Verfassers
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
seiner Menschen war deshalb undifferenziert und der erwunschten politischen Richtung folgend. Statt zu differenzieren war in der politischen Wortwahl immer von den
„amerikanischen oder britischen Imperialisten" die Rede. Dadurch bedeutete der
Westen fur die meisten Chinesen selbst ein Klischee, wie auf dem bekannten Propagandaplakat aus den 1970er Jahren die Figuren der Englander (Abbildung 5-2).
Auch wenn durch die eingeschrankte und tendenziose offizielle Informationspolitik
der Regierung ein falsches und klischeehaftes Bild des Auslands bei der breiten
chinesischen Bevolkerung entstanden war, wurde dadurch aber iiberhaupt eine Vorstellung von der Welt auBerhalb Chinas erzeugt. In der Vorstellung der meisten
Chinesen „waren die Auslander nicht mehr fremd und fern, sondem echte und
lebendige Existenz in der Nahe"^^^. So fiihrte zum Beispiel eine Aussage von Mao:
„Das chinesische Volk soil fur die Welt mehr beitragen, (...) da zwei Drittel der
Weltbevolkerung noch in Armut leben." ^'^ zu der Vorstellung „die typischen
Auslander im Westen" sind entweder arm und schwach - sie brauchen dann die Hilfe
des chinesischen Volks zur Befreiung - oder machtig und unmenschlich aggressiv dagegen soil das chinesische Volk kampfen.
Bis zum Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts batten die meisten der damaligen
Schiiler, Studenten, Mitarbeiter der Untemehmen usw. deshalb ein verzerrtes, von
Unwissenheit und Vorurteilen gepragtes Bild iiber den Westen und seine Menschen.
Aus dieser Bevolkerungsgruppe aber rekrutieren sich heute Mitarbeiter und Fiihrungskrafte der deutsch-chinesischen Jointventures. 21 (56,8%) der insgesamt 37 chinesischen Befragten sind im Zeitraum von 1954 bis 1973 geboren. Fast zwei Drittel von
ihnen batten dieses Bild vom Westen, als sie erstmals deutsche KoUegen in den
Jointventures personlich trafen.
Zum Beispiel berichtete ein 48-jahriger chinesischer Leiter des Jointventures im Interview, dass die Zusammenarbeit mit seinen deutschen Kollegen sein durch Filme und
Ausbildung in den 1960er und 1970er Jahren negativ gepragtes Bild uber die
Deutschen grundsatzlich verandert hat. Er sagte: „Die Deutschen - meine zwei
Kollegen zum Beispiel - sind nicht, wie uns immer gesagt wurde, grausam, kalt und
219
Ge (2004), S. 183, Ubersetzung des Verfassers
Ebenda, S. 182, Ubersetzung des Verfassers
129
130
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
schweigsam, sondem genau so nett und freundlich wie wir. Sie konnen mehr Witze als
ich erzahlen."
Bis zum Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts stand nur wenig ubersetzte westliche Literatur zur Verfugung, da sich China seit den 1950er Jahren wesentlich auf die
Ubersetzung der russischen Literatur konzentriert hatte. „Fast jedes bis dahin bekannte
russische Werk hat seine Ubersetzung auf Chinesisch."'^^^ Bis zum Anfang der Kulturrevolution und dem damit einhergehenden Abbruch der chinesisch-sowjetischen
Freundschaft waren hauptsachlich marxistische Werke und als zum kommunistischen
Weltbild passend empfundene klassische westliche Literatur wie z. B. eine Auswahl
der Werke von Charles Dickens (1812-1870), Mark Twain (1835-1910) u. a. ubersetzt
und veroffentlicht worden. Wahrend der Kulturrevolution kamen diese verlegerischen
Tatigkeiten nahezu vollig zum Erliegen. Erst mit der unter Deng Xiaoping eingeleiteten Offnung zum Westen wurden sie Ende der 1970er Jahre wieder aufgenommen.
Schwerpunkte in den 1980er Jahren waren dann westliche Werke iiber Philosophic,
Recht, Wirtschaft und Management.
Bei Chinesen ist die Bereitschaft sich mit Hilfe iibersetzter Literatur iiber den Westen
zu informieren oder ein Bild zu gewinnen im Vergleich zu Theater und Film erheblich
geringer ausgepragt. Bei einer weiteren Besprechung, die sich auf die Frage 3 bezieht,
haben nur zwei von den elf chinesischen Befragten, die den deutschen Film Die
Blechtrommel als beeindruckenden Film genannt haben, das Buch von Giinter Grass
auch nur zum Teil gelesen."^^^
Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, parallel zur politischen und wirtschaftlichen
Reform in China, war es fur Chinesen allmahlich moglich direkt durch westliche
Filme Kenntnisse uber den Westen zu gewinnen, zu erganzen und ggf auch zu
korrigieren. 1979 lieB das Ministerium fur Propaganda einige bereits vor der Kulturrevolution importierte westliche Filme, z. B. The Million Pound Note^'^^, Fahrraddiebe^^^ etc., zur offiziellen Vorfiihrung zu.^^"^ AuBerdem durften, wenn auch zunachst
220
221
222
223
224
Chen (1989), S. 347, Ubersetzung des Verfassers
Vgl. Frage 3 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Regie: Gregory Peck, GroBbritannien 1953
Regie: Vittorio De Sica; Italien 1948
Li (2005), S. 29
131
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
nur in geringer Zahl, wieder Filme und Femsehprogramme aus Westeuropa und
Amerika importiert und synchronisiert werden. So konnte das Publikum landesweit
seit Januar 1980 z. B. die Filme Einmal wird die Sonne wieder scheinen^^^. Die grofie
99^
907
998
Sause , Das alte Gewehr , Modern Times und die TV-Serie Garrison's
Gorillas^^^ sehen. In der Folge war in den Jahren 1979 und 1980 die landesweite Zahl
der Filmbesuche mit jeweils uber 28 pro Einwohner und Jahr die bis heute hochste.^^^
Im Vergleich zu chinesischen werden auslandische Filme, vor allem USamerikanische, aber auch europaische, vom breiten Publikum besonders geschatzt.
China hat von 1994 bis 2001 pro Jahr 10 und seit 2002 pro Jahr 20 auslandische Filme
importiert und zur Auffuhrung gebracht. Von 1994 bis 2003 wurden 60% - 70% der
Kasseneinnahmen durch Hollywood-Filme erzielt.^^^ Der Filmverband Chinas hat
zwischen Mai und Juli 2004 in fiinf GroBstadten (Peking, Shanghai, Wuhan, Hangzhou, Kanton) eine Marktforschung durchftihren lassen, um die Zufriedenheit der
Filmbesucher mit insgesamt 41 chinesischen und auslandischen Filmen, die von
Januar bis Mai desselben Jahres vorgefiihrt wurden, zu ermitteln. Die Ergebnisse
haben gezeigt, dass der durchschnittliche Index der Zufriedenheit fiir auslandische
Filme deutlich hoher ist als flir chinesische Filme. Den Hochstwert des Zufriedenheitsindexes aller Filme erzielte mit 19,3% Der PianisP^. Der beste chinesische Film
The Cell Phone^^^ erreichte mit 72,0%) Platz 4. Der durchschnittliche Index der
Unzufriedenheit war bei chinesischen Filmen deutlich hoher als bei den auslandischen.
Der Hochstwert des Unzufriedenheitsindexes eines auslandischen Films lag bei 19,0%),
der eines chinesischen Films bei 40,4%.^^^^
225
226
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228
229
230
231
232
233
234
Regie: Hans Heinrich; Deutschland 1969/1970
Originaltitel: La Grande Vadrouille; Regie: Gerard Oury; Frankreich 1966
Originaltitel: Le Vieux Fusil; Regie: Robert Enrico; Deutschland/Frankreich 1975
Regie: Charlie Chaplin; USA 1936
TV-Serie in 28 Teilen, USA 1967/1968
WuAVang/Long etc. (2005), S. 22
Ni (2005)
Originaltitel: The Pianist; Regie: Roman Polanski; Frankreich/Deutschland/Poland/GroBbritannien 2003
Originaltitel: f-^{Shouji); Regie: Xiaogang Feng; VR China 2003
Meng/Huang/Wang (2004)
132
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
5.2.3 Personliche Information
Seit 1978, parallel zur politischen und wirtschaftlichen Reform in China, war es fur die
Chinesen allmahlich moglich durch Studienreisen, auslandische Filme, Literatur usw.
Wissen iiber das Ausland zu gewinnen und ggf. zu erganzen und zu korrigieren. Von
1978 bis 1996 wurden 44.000 chinesische Wissenschaftler und Studierende vom
Ministerium fur Erziehung Chinas in die USA und nach Europa geschickt. Daneben
sind in demselben Zeitraum etwa 139.000 private und 86.000 von Universitaten
finanzierte Studierende sowie von Untemehmen ausgesandte Manager in den Westen
gereist.^^^ Diese 269.000 Menschen sind die ersten Chinesen, die nach der Kulturrevolution personlichen Kontakt zum Westen und seinen Menschen hatten. Im Vergleich zur Gesamtbevolkerung^^^ handelt es sich um eine sehr geringe Zahl.
Vor 1991 waren private Touristenreisen ins Ausland fiir Chinesen verboten. Im August
1991 wurde die erste Touristengruppe von 37 privaten Reisenden nach Singapur,
Malaysia und Thailand als ein Versuch zugelassen. Erst im Juli 1997 erliefi die
chinesische Regierung die „ Anordnung iiber private Touristenreisen fur Chinesen in
andere Lander'''^^^. In diesem Jahr gab es insgesamt 67 Reisebiiros, die private
Touristenreisen ins Ausland vermitteln durften. Die Zahl der Reisebiiros stieg im Jahr
2002 auf 528.^^^ Eine zunehmende Zahl Chinesen macht private Touristenreisen nach
Deutschland. Seit 1996 lag China auf Platz 3 (nach USA und Japan) bei den UberseeHerkunftslandem ftir die Einreise nach Deutschland. China steht 2004 mit 789.429
Ubemachtungen an 15. Stelle der Auslandstibemachtungen in Deutschland.^^^
Die zunehmenden Touristenreisen in den Westen haben aber nicht viel dazu beigetragen, die Kenntnisse der Chinesen uber westliche Lander und Leute zu vertiefen.
Daflir gibt es drei Grunde. Zum einen dauert eine Touristenreise in der Regel 11-15
Tage, in denen aber moglichst viele Lander oder Stadte besucht werden. Nach einem
Plug iiber zehn Stunden „seien die chinesischen Touristen nicht zufrieden, wenn sie
235
236
237
238
239
Chen (2004), S. 21
Gesamtbevolkerung Chinas: 0,96 Milliarden im Jahr 1978 und 1,22 MilUarden im Jahr 1996
Tourismusamt Chinas/Ministerium ftir offentliche Sicherheit Chinas (1997)
Li/Jin/Zhuang (2003), Ubersetzung des Verfassers
StatistikamtNord(2005)
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
133
nur ein Land oder wenige Stadte besichtigen konnen"^"^^. Eine typische Touristenreise
nach Europa flihrt in 11 Tagen in 5 Lander: Frankreich, Italien, Luxemburg, Osterreich
und Deutschland. Bei einer typischen Reise nur nach Deutschland werden in 11 Tagen
8 Stadte besichtigt: Berlin, Hamburg, Koln, Heidelberg, Baden-Baden, Freiburg,
Fussen und Munchen.^"^^ Die Zeit ist also zu knapp, um auBer der Besichtigung der
Sehenswiirdigkeiten und Shopping noch mit den westlichen Menschen in personlichen
Kontakt treten zu konnen.
Zum Zweiten haben die wenigsten chinesischen Touristen in Europa und Amerika
geniigend Sprachkenntnisse, um wahrend ihrer Reise mehr als nur oberflachliche
Beobachtungen machen zu konnen. Zum Dritten gehort das Kennenlemen - und noch
viel weniger ein Studium - der lokalen Kultur, Gesellschafl und Menschen nicht zu
den Schwerpunkten einer Touristenreise. „Touristenreisen von Chinesen befmden sich
zurzeit in der Anfangsphase wie dieses vor etwa zwanzig Jahren auf Japaner und vor
30 Jahren auf Amerikaner zutraf."^"*^ Neben dem Shopping von landestypischen Marken interessieren sich die chinesischen Touristen vor allem fur z. B. Architektur in
Italien und Frankreich sowie „grune Natur" und historische Stadte in Deutschland.
Museumsbesuche oder eine ausfiihrlichere Betrachtung des kulturellen Erbes sind
nicht gewiinscht. „Ein paar Fotos von sich vor den Denkmalem zu machen stellt sie
bereits zufrieden."^"^^
In der Regel verlassen sich die meisten Chinesen bei der Informationsbeschaffung
wieder auf die aus ihrer Sicht zuverlassigen engeren Kulturfaktoren, vor allem auf
Reiseberichte und TV-Serien. In den letzten zehn Jahren des 20. Jahrhunderts wurden
dazu mehr als zehn verschiedene Bticher herausgegeben und TV-Serien sowie
zahlreiche Reiseberichte veroffentlicht. Als Beispiele seien hier die romanhaft
ausfuhrlichen Reiseberichte Die Pekinger in New York '^^^ , Eine Chinesin in
Manhattan^^^, Die Shanghaier in Tokio^^^ mid Chinesischer Hase auf deutschem
240
241
242
243
244
Li/Jin/Zhuang (2003), Ubersetzung des Verfassers
Vgl. Li/Jin/Zhuang (2003)
Ebenda, Ubersetzung des Verfassers
Ebenda, Ubersetzung des Verfassers; vgl. Statistikamt Nord (2005)
Originaltitel: Beijingren zai Niuyue I 4b:^A4M.-^^; Autor: Guilin Cao; 1991, Peking; entsprechende TV-Serien von China Central Television, 1993, Peking
Originaltitel: Manhadun de Zhongguo nuren I ft ^^M 6^ + H ^ A ; Autorin: Li Zhou; 1992, Peking
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
134
Rasen ^"^^ erwahnt, die ein breites Publikum erreicht haben. Diese Entwicklung hat
aber zur Folge, dass personliche Kontakte und Erfahrungen einzelner Chinesen in
bestimmten Orten des Westens von den meisten Chinesen, die in der Regel keine
Auslandserfahrung haben, oft in unzutreffender Weise verallgemeinert werden.^"^^
Parallel zu den zunehmenden Reisen von Chinesen in westliche Lander steigt die Zahl
der Einreisen aus dem Ausland nach China standig. Im Vergleich zu manchen
asiatischen Landem und den USA ist die Zahl der in die VR China einreisenden
europaischen Touristen in die VR China, wie in der folgenden Tabelle darstellt wird,
gering. Fur alle gilt aber, dass das Sprachproblem fast immer personlichen Kontakten
entgegensteht.
Land
Einwohnerzahl
im Jahr 2002
(Millionen)
Anzahl der Touristeneinreisen
in die VR China (Millionen)
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Japan
127,48
1,58
1,57
1,85
2,93
47,43
291,04
0,78 I
0,62
0,32
0,63
0,68
0,99
0,74
0,35
2,20
1,34
0,90
0,40
2,39
Siidkorea
USA
Singapur
1,68
0,95
0,42
2,12
1,12
0,50
0,26
0,28
0,30
0,34
0,19
0,22
0,24
0,25
0,28
0,14
0,16
0,19
0,20
0,22
4,18
GroBbritannien
59,29
0,23
Deutschland
82,41
Frankreich
59,85
0,18
0,13
0,31
0,24
Tabelle 5-1: Anzahl der Touristeneinreisen in die VR China 1997-2002^'
Es war zu erwarten, dass nur bei wenigen Befragten (14,1%), davon sechs Chinesen
und sieben Deutsche, die ersten Kenntnisse iiber Chinesen oder Deutsche aus
personlicher Erfahrung stammen.^^^ Diese Zahl ist bei deutsch-chinesischen Jointven246
247
248
249
250
Originaltitel: ShanghairenzaiDongjingI}LI%K^^%',
Autor: Xiangda Fan; 1992,Peking; entsprechende TV-Serien von Shanghaier Televion, 1995
Originaltitel: Zhongguo tuzi Deguo cao/^Mi^^i&
M $ ; Autoren: Zhou, Rui/Zhou, Shuangning; 2001, Nanjing
Vgl.Ge (2004), S. 191-198
Quelle: Staatliches Statistikamt Chinas (2005), 19-7 und Index 2-1
Vgl. Frage 2 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
135
tures vermutlich deshalb hoher als in anderen Untemehmen, well die Mitarbeiter in
einem Jointventure in der Regel schon vorher durch Reisen, Studium o. a. Gelegenheit
hatten Land und Leute kennen zu lemen. Ein weiterer Grund ist, dass bei der Auswahl
neuer chinesischer Angestellte fur Jointventures Kandidaten mit Erfahrungen aus
Deutschland oder deutschen Untemehmen oder mit deutschen Sprachkenntnissen
bevorzugt werden. Die Halfte von den sechs chinesischen Befragten, deren erste
Kenntnisse liber Deutsche und Deutschland aus personlicher Erfahrung stammen,
haben diese wahrend ihres Studiums in China durch deutsche Lehrer und Mitstudierende gesammelt. Zwei von diesen sechs Befragten haben ihre ersten Kenntnisse durch
Kontakt zu deutschen Besuchem in China erworben und eine Person bildete sich durch
eine Reise nach Deutschland. Den Medien kommt dadurch eine hohere Bedeutung als
in Deutschland zu (73,7% zu 42,9%)?^^
Dabei gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Deutschen und Chinesen:
Deutsche halten Erzahlungen und Berichte von Freunden grundsatzlich fur glaubwiirdig. 40% der deutschen Befragten haben ihre ersten Kenntnisse iiber China und die
Chinesen aus dieser Quelle.^^^ Die Einstellung gegenuber Berichten und Erzahlungen
von Freunden oder Bekannten iiber fur Chinesen Fremdes ist in China traditionell
anders. Sie werden in der Regel als „back alley news" (^hitS A) aufgefasst und
haben eine geringe Glaubwtirdigkeit. Deshalb haben sich auch nur 14%) der chinesischen Befragten auf diesem Weg informiert.^^^ Werden diese Berichte und Erzahlungen von Freunden und Bekannten offiziell veroffentlicht, erhoht sich allein dadurch
ihre Glaubwurdigkeit. Im Gegensatz zu den „back alley news" halten die Chinesen
offizielle Veroffentlichungen fiir zuverlassig. Das Interview zum Thema „Entstehung
unserer Fremdbilder" bestatigt, dass die heutigen Chinesen im Wesentlichen durch
zwei Zugange - Biicher und Film/Femsehen - ihr Auslandswissen erwerben. Damit
werden „einerseits falsche Fremdbilder korrigiert, andererseits aber neue, wiederum
nur theoretische Einstellungen gefordert"^^"^.
Nach der personlichen Begegnung der deutschen und chinesischen Mitarbeiter in
einem Jointventure in China lauft der Prozess des gegenseitigen Kennenlemens weiter.
251
Vgl. Frage 2 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Ebenda
Ebenda
Ge (2004), S. 191, Ubersetzung des Verfassers
136
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
Die Hauptaufgaben dieses Prozesses sind nun Bestatigung und eventuell Korrektur der
Vorkenntnisse sowie ihre VertiefUng. Dazu tragen nicht allein die personlichen Kontakte bei, sondem viel mehr stutzt sich der Prozess auf die Hilfe der Kulturfaktoren im
engeren Sinne. Die personlichen Kontakte zwischen deutschen und chinesischen Mitarbeitem sind vielfach auf das Arbeitsumfeld begrenzt. Allerdings zeigen die
Ergebnisse zu Frage 4, dass insgesamt 94,8% der deutschen und chinesischen Befragten an einem Wochenende zusammen ins Theater, Konzert, Karaoke, Teehaus etc.
gehen wiirden.^^^ Dieses bedeutet, dass Kontakte auBerhalb des Arbeitsumfeldes in
den meisten Fallen mit Kulturveranstaltungen verbunden sind. Durch die Gesprache
und Interviews wurde ebenfalls bestatigt, dass die meisten Deutschen in Jointventures
neben personlichen Kontakten und Beobachtungen wegen der Sprachschwierigkeiten
vor allem flexible und wiederholbare Medien - Filme, Literatur, Theater - nutzen, um
in China das Land und die Chinesen weiter kennen zu lemen.
5.2.4 Theater und Teehduser
Chinesische Mitarbeiter benutzen aus der traditionellen Gewohnheit heraus geme
kulturelle Veranstaltungen wie Konzert, Theater, Essen und Trinken, um deutschen
Kollegen die chinesische Tradition vorzustellen. Beispielsweise wurden 92,0% der
deutschen und 96,0%) der chinesischen Befragten am Wochenende einen Nachmittag
zusammen mit einem chinesischen/deutschen Kollegen in einem traditionellen chinesischen Theater oder Konzert oder in einem Teehaus verbringen.^^^
In China entstand die Kombination von Theater und Teevergniigen unter einem Dach
im 8. Jahrhundert. Diese Tradition hatte Bestand bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Bis
dahin gab es keine „Theaterkarte", man bezahlte fiir eine Theatervorsteilung nur die
Kosten des Tees. Abbildung 5-3 zeigt ein derartiges Theater in der Qing-Dynastie
(1644-1911). Das Publikum setzte sich an Teetische.
Die erste Filmvorfiihrung in China wurde im August 1896 von einer franzosischen
Firma in einem Teehaus in Shanghai durchgeftihrt.^^^ In den folgenden Jahren bis
^^^
Vgl. Frage 4 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Ebenda
Qian (2005)
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
137
Ende des ersten Weltkriegs fanden in den Teehausem der chinesischen GroBstadte Shanghai, Peking, Tianjin, Kanton - sowohl Filmvorfuhrungen als auch Theaterauffuhrungen statt. Bei den Filmvorfuhrungen saBen die Filmbesucher, wie die Theaterbesucher, an den Teetischen und wurden mit Tee und Imbiss bewirtet.^^^
Abbildung 5-3: Theater in der Qing-Dynastie (1644-1911)^^^
Die Modemisierung des Teehauses nach Vorbild des westlichen Theaters begann in
den 1920er Jahren. Die Kombination von Theater und Teevergniigen hatte in diesen
modemisierten Theatem Bestand bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. So eine
Szene stellt Abbildung 5-4 dar, in der dem Publikum wahrend der Vorfuhrung immer
noch Tee serviert wird.
Abbildung 5-4: Theater nach der Griindung der Volksrepublik^^^
^^^
^^^
Vgl. Zhong/Shu (1995), S. 5-8
Quelle: Xu (2003), S. 25
Quelle: Ebenda
138
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
Erst seit etwa den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts trennte sich das Teevergniigen
allmahlich vom modemen Theater. Heute gibt es in Teehausem nur noch kleine
Biihnen, auf denen neben Konzerten und kleinen Theaterauffuhrungen auch Modenschauen stattfinden.^^^ Die Kombination von Kulturveranstaltung und Teevergniigen
wird von der seit den 1990er Jahren in China verbreiteten Unterhaltungsform Karaoke
fortgesetzt. Fast alle Karaokehallen bieten neben westlichen und alkoholischen Getranken auch Tee an.
5.2.5 Film
Seit GrUndung der Volksrepublik China wurden Filmvorfuhrungen als wichtige politische Aufgabe von lokalen Regierungen auf jeder Ebene im ganzen Land wahrgenommen. Statt Theater und anderen eher traditionellen kulturellen Formen fungiert der
Film seitdem bis Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts als einer der wichtigsten
Informations- und Propagandatrager. Aus Sicht der chinesischen Fiihrung stand eine
ausgereifte Technik, die nicht nur in den Stadten, sondem insbesondere in den landlichen Gebieten leicht aufzubauen war, zur Verfiigung. Die Kosten der Filmproduktion,
-vorftihrung usw. waren im Vergleich zur hohen Filmbesucherzahl niedrig. AuBerdem
lieB sich der Inhalt eines Films vergleichsweise leicht kontrollieren. Deswegen sind
Filmvorfuhrungen seit GrUndung der Volksrepublik von der Regierung besonders
empfohlen und systematisch entwickelt worden. Filmbesuche wurden vor Ende der
70er Jahre des 20. Jahrhunderts im ganzen Land haufig als Erziehungsmethode, politische Aufgabe oder Belohnung fur erfolgreiche Arbeit kostenlos, vor allem fur
Schiiler, Studenten, Bauem und Angestellte bei staatlichen Organisationen sowie
Untemehmen angeboten und einheitlich organisiert. Die Kinos und die mobilen Filmvorfuhrungsteams und -gerate fur Freilichtkino waren mit staatlicher Finanzierung
komplettNon-Profit-Kulturbetriebe.
Aus Sicht des Publikums ist ein Film nicht nur ein modemes Unterhaltungsmedium,
sondem auch eine sehr lebendige Informationsquelle. Dariiber hinaus ist die Akzeptanz des Mediums Film in China sehr hoch. Dafur gibt es einige Griinde. Zum einen
war Film vor und in der Kulturrevolution das einzige modeme Medium mit visueller
^^^
Vgl. hierzu Xu (2003), S. 21ff
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
Darstellung. Neben dem traditionellen Medium Theater war Film insbesondere bei der
jungen Generation willkommen. Zum Zweiten boten die durch Film iibermittelten
Informationen und Geschichten in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts
Gesprachsthemen fiir die Freizeit, die damals wenige andere Unterhaltungsmoglichkeiten bot. Durch das Interview zum Thema „Entstehung unserer Fremdbilder" wurde
ebenfalls bestatigt, dass insbesondere vor der Offnung Chinas zum Westen „das
Plaudem tiber fremde Lander und ihre Menschen auf der Basis von Informationen aus
Filmen ein wichtiger Bestandteil des taglichen Lebens"^^^ war. Einerseits entsprach es
der natiirlichen Neugier der chinesischen Bevolkerung auf fremde Menschen und
Geschichte, andererseits war es politisch ungefahrlich, iiber offiziell vermittelte Informationen zu sprechen.
Deswegen war Film bis Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts das wichtigste
Unterhaltungsmedium in der Volksrepublik China. So lag zum Beispiel in Shanghai
die durchschnittliche Zahl der Filmbesuche pro Einwohner und Jahr vor der Kulturrevolution (1949-1965) bei 9,0. Wahrend (1966-1976) und nach der Kulturrevolution
(1977-1990) waren es jeweils 12,4 und 20,7.^^^ Im Vergleich zur Zahl der Filmbesuche
in der Bundesrepublik Deutschland - z. B. im Jahr 1985 lag die Anzahl bei 1,7, 1989
bei 1,7 und 1990 bei 1,6^^^ - ist die Zahl in China sehr hoch.
Ein weiteres Beispiel flir die Vorlieben der Chinesen ist die Haufigkeit ins Kino zu
gehen oder zu Hause per Video/DVD einen Film iiber das jeweils andere Land zu
sehen. 94,6% der chinesischen Befragten haben dies in den letzten drei Jahren mehr
als dreimal getan. Die meisten chinesischen Befragten (62,2%) haben in den letzten
drei Jahren 4-6-mal Filme tiber Deutsche/ Deutschland gesehen. Dagegen haben nur
52,4%) der deutschen Befragten in den letzten drei Jahren mehr als drei Filme mit
Informationen iiber China gesehen. Die anderen 47,6% informierten sich im gleichen
Zeitraum weniger als dreimal auf diesem Weg.^^^
Zum einen werden erheblich weniger Dokumentarfilme, insbesondere exakt recherchierte, iiber das jeweils andere Land als Spielfilme produziert. Synchronisiert bzw. in
^^^
^^^
^^"^
Ge (2004), S. 180. Ubersetzung des Verfassers
Stelle flir Stadtgeschichte Shanghai (1996)
Statistisches Bundesamt (1995), S. 424
Vgl. Frage 3 und die Ergebnisse, Kapitel 4,2
139
140
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
China eher untertitelt werden in der Kegel nur Filme mit einem hohen Grad an
kunstlerischer Bearbeitung. Wahrend Deutsche den Informationsgehalt von Spielfilmen eher gering schatzen und deshalb fiir ihre personliche Information Dokumentationen und Dokumentarfilme bevorzugen, nutzen Chinesen Spielfilme durchaus als
Informationsquelle.
Zum anderen vermitteln Literatur und Film ihre Informationen sehr oft mit einer
geographischen oder geschichtlichen Verschiebung. Was jeweils in Literatur und
Filmen dargestellt wird, ist nur zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort
und unter bestimmten Umstanden typisch, sofem es iiberhaupt typisch fur das jeweilige Land ist. Ftir Leser und Zuschauer entsteht somit ein vergleichsweise undifferenziertes oder einseitiges Bild vom anderen Land.
Bei der Befragung haben 87,9% der Befi-agten den Film, der sie am meisten
beeindruckt hat, genannt. Die ersten 5 Filme, die jeweils von deutschen und Chinesen
am haufigsten genannt wurden, sind in den Tabellen zu den Ergebnissen der Frage 3
angegeben^^^. Bei weiteren Interviews und Gesprachen in der Untersuchung wurden
diese Filme und evtl. auch bestimmte Szenen diskutiert. Der Einfluss der Filme auf die
deutschen und chinesischen Befragten war tief und deutlich.
Als der erste in der Volksrepublik China vorgefiihrte Film aus der Bundesrepublik
Deutschland ist Einmal wird die Sonne wieder scheinen der bekannteste deutsche Film
fur die chinesischen Mitarbeiter, die in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts
geboren sind. Von den 35 chinesischen Befragten, die jeder einen sie beeindruckenden
Film genannt haben, gaben 17 (48,6%) diesen Film an.
Einmal wird die Sonne wieder scheinen wurde in Deutschland im Jahr 1969/1970
gedreht. Der Film erzahlt eine einfache Komodie: Der Halbwaise Heintje^^^ lebt mit
seinem Vater Klaus zusammen. Es entsteht ein Missverstandnis zwischen Klaus und
seinem Schwiegervater, einem reichen Untemehmer. Klaus wird zu Unrecht der
Unterschlagung beschuldigt und in Untersuchungshaft gesteckt. Zusammen mit Klaus'
neuer Freundin macht Heintje sich auf die Suche nach der Wahrheit. Am Ende stellt
Vgl. Frage 3 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Gespielt von dem jungen hollandischen Popsanger Heintje. Er sang ebenfalls die Filmlieder.
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
141
sich Klaus' Unschuld heraus, das Vertrauensverhaltnis zum Schwiegervater/Opa ist
wiederhergestellt und vertieft und eine neue Familie entsteht.
In Deutschland selbst war der Film nicht besonders erfolgreich und eher unbekannt.
Aber im China der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts stellte sich die Resonanz vollig
anders dar. Von 1980 bis 1986 wurde dieser Film regelmaBig in Kinos, im Femsehen
und sogar im Radio in ganz China, von groBen Stadten bis zum kleinsten Dorf,
vorgefiihrt. Er wird bis heute haufig wiederholt. Das Lied Kleine Kinder, kleine
Sorgen, das Heintje im Film singt, war in ganzen 80er Jahren ein landesweit bekannter
und beliebter Schlager und wird bis heute immer noch gesungen. Dabei wird er nicht
nur mit iibersetzten Texten, sondem auch direkt auf Deutsch - ,JCleine Kinder, kleine
Sorgen, und ein Haus voll Sonnenschein.'' - nachgesungen. Dieses Lied ist auch heute
noch das einzige in der breiten Offentlichkeit bekannte aus dem deutschsprachigen
Raum. In dem im Jahr 1996 erschienenen chinesischen Liederbuch Die hekanntesten
500 Filmlieder aus der Welt wurden alle sechs Lieder aus Einmal wird die Sonne
wieder scheinen veroffentlicht.
Der hohe Bekanntheitsgrad sowohl des Liedes als auch des Films resultiert aus der
politischen und gesellschaftlichen Funktion des Films sowie bedingt durch die begrenzten Auswahlmoglichkeiten des Publikums aus der hohen Beliebtheit.
Zum einen hatte das erste deutsch-chinesische Kulturabkommen 1979 die Moglichkeit
eroffnet, deutsche Filme in China zu zeigen. Der Film Einmal wird die Sonne wieder
scheinen wurde als direkte Folge des Besuchs des chinesischen Ministerprasident Hua
Guofeng im Oktober 1979 in der Bundesrepublik Deutschland in kurzer Zeit synchronisiert und hielt der Zensur stand.
Im Weiteren schien er der chinesischen Regierung inhaltlich fiir die damalige chinesische Situation geeignet. Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts versuchte die
chinesische Regierung zielgerichtet und planvoll Fehlentwicklungen und Unrecht aus
der Zeit der Kulturrevolution zu korrigieren. Dabei sollte der Film eine RoUe als positives Symbol spielen, was ihm durchaus gelang.
^^^
Xue (1996), S. 330-337
142
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
Nach unvollstandiger Statistik wurden in der Kulturrevolution mehr als drei Millionen
staatliche Angestellte - vor allem Wissenschaftler, Lehrer, Kunstler, Musiker, Schriftsteller und Leiter der KP, von lokalen Behorden bis hin zur zentralen Regierung illegal verhaftet, bestraft oder unmenschlich behandelt. Die Gesamtzahl der zu Unrecht
betroffenen Menschen betrug etwa einhundert Millionen.^^^ Die haufigen landesweiten
Massenbewegungen lahmten die Ausbildung und die Wirtschaft des Landes.
1979 begann die kommunistische Partei unter der Fuhrung von Deng Xiaoping und
dem damaligen Generalsekretar der kommunistischen Partei, Hu Yaobang, die Fehlentwicklungen und das begangene Unrecht aus der Zeit vor und in der Kulturrevolution zu korrigieren. Diese Phase dauerte bis 1985. Der Tradition folgend nutzte
die chinesische Regierung die Kulturfaktoren im engeren Sinne, um diese neue
politische Information landesweit zu verbreiten. Einige Romane, Filme, Theaterstiicke,
Lieder usw. wurden fur dieses Ziel als Modell ausgewahlt, wie z. B. der chinesische
Roman Der zweite Hdndedruck^^^ und der deutsche Film Einmal wird die Sonne
wieder scheinen. Sie vermittelten dem Leser und Publikum den ahnlichen Inhalt, dass
Fehler und Unrecht in jedem Fall korrigiert werden, wenn man es nur lange genug mit
Liebe, Glauben und Selbstbewusstsein versucht. Dieser Roman und der genannte Film
wurden in dieser Phase landesweit gefordert und eingesetzt. Inzwischen wurden von
diesem Roman mehr als vier Millionen Exemplare verkauft. Der Film erreichte vermutlich ein mehrere Hundert Millionen zahlendes Publikum.
Drittens gab es damals zu wenig auslandische Filme, insbesondere aus dem Westen, zu
sehen. Zwar gab es neben Einmal wird die Sonne wieder scheinen noch einige Filme
aus dem Westen,^^^ sie waren aber entweder zu alt (z. B. Modern Times), zu gewaltsam (z. B. Garrison's Gorillas) oder inhaltlich in der damaligen Situation unpassend.
Ob ein Film dauemd im Kino und Femsehen vorgeftihrt werden konnte, war hauptsachlich vom zustandigen Verwaltungsamt der Regierung abhangig. Aus Sicht des
Publikums war zum Beispiel die TV-Serie Garrison's Gorillas sehr willkommen.
Diese TV-Serie wurde aber nur einige Monate gezeigt und dann abgebrochen, weil die
Regierung sie mit der zeitgleich steigenden Kriminalitatsrate in Verbindung brachte.
^^^
Vgl. hierzu Xi/Jin (1996), S.352ff; vgl Dai (1998), S. 3-37
Originaltitel: Di er ci woshoul% Z-:/^.^^', Autor: Yang Zhang, 1979, Peking
^'^^
Vgl. Kapitel 5,2.2
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
143
Im Vergleich zu den anderen westlichen Filmen war Einmal wird die Sonne wieder
scheinen deutlich „sauber": keine Gewalt, keine erotische Szene (wie z. B. in Das alte
Gewehr) und keine Politik. Deswegen wurde dieser Film mit Unterstiitzung der
Behorden auf alien Ebenen innerhalb einiger Jahre landesweit haufig vorgefiihrt.
Abbildung 5-5: Kinoplakat aus dem Jahr 1980 in China
Viele Befragten gaben an, sie batten durch diesen Film zum ersten Mai gelemt, dass
beispielsweise in Deutschland der Sohn den Vater direkt mit Namen rufen darf oder
dass man im Untemehmen ordentlich Anzug und Krawatte tragen soil. Zwei chinesische Ingenieure gaben an, dass die Modelleisenbahn, mit der Heintje im Film spielte,
ihr Interesse am Maschinenbau geweckt babe. Einige junge chinesische Mitarbeiter
berichteten, dass sie diesen Film zu Hause auf Video gesehen und die Lieder auf
Kassette gehort batten, weil ihre Eltem Heintje-Fans waren.
Wie mit Medien falsche Bilder vermittelt werden, wird an den Ergebnissen der Befragung zu Filmen deutlich. Wahrend die chinesischen Befragten angaben, dass die Einstellung ihrer deutschen Kollegen zum Leben und zum Sex nicht so sei, wie sie fur die
Deutschen im Film wie z. B. Die Blechtrommel beschrieben werde, behaupteten viele
deutsche Befragte, dass sie im heutigen China noch nie solche unzivilisierten Chinesen
und ihren altmodischen Lebensstil wie in den Filmen Raise the Red Lantern (Silbemer
Lowe der 48. Intemationalen Filmfestspiele Venedig 1991) oder Red Sorghum (Goldener Bar der 38. Intemationalen Filmfestspiele Berlin 1987) beschrieben gesehen
batten. Die beiden o. a. chinesischen Filme sind in Europa bzw. Deutschland durch
144
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
ihren Preisgewinn sehr bekannt und dienen als Quelle ftir Wissen iiber China, obwohl
sie tatsachlich keine aktuellen Informationen iiber China vermitteln. Es gibt einige
Griinde dafiir.
Erstens fehlt es bei vielen dieser Filme eine definitive Zeitangabe oder ein zeitlicher
Hintergrund. Zum Beispiel gibt es im Film Raise the Red Lantern nur die Angabe von
„Sommer" und „Sommer in einem Jahr", im Film Red Sorghum nur die Erklarung
„Meine Oma (.,.), als ich jung war". Zweitens haben sich diese Filme auf westHche
Filmpreise und westliches Publikum fokussiert. Sie nehmen oft folgenden Weg: Teilnahme an intemationalen Filmfestspielen - Preisgewinn - Vorfiihrung und Erfolg im
Westen - Vorfiihrung und Erfolg in China. Drittens werden viele Dinge und Sachverhalte, die fiir Chinesen nicht oder nicht mehr typisch chinesisch sind, aber vom
westlichen Betrachter fur typisch chinesisch gehalten werden, so z. B. die Kleidung
oder die Wohnungsdekoration (Abbildung 5-6), im Film gezeigt.
Abbildung 5-6: „Chinesische" Kleidung und Wohnungsdekoration^^^
Die Kritiker in China sehen darin eine gezielte Vorgehensweise, die die hohe Bereitschaft der Chinesen westliche Kriterien, Meinungen, Stile zu ubemehmen ausnutzt.
„Ohne Erfolg im Westen kein Erfolg in China"^^^ Zuerst wiirde der Erfolg im Westen
272
273
Szene aus dem Film Raise the Red Lantern
Wang (2004), Ubersetzung des Verfassers
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
145
dadurch erzielt, dass westliche Vorurteile und Erwartungen iiber China so bedient
wiirden, dass diese Filme Auszeichnungen erhielten. Das wiederum sei Voraussetzung
fur einen kommerziellen Erfolg in China.
5.2.6
Medien
Insgesamt haben 80,9% der deutschen und 100% der chinesischen Befragten bereits
Kenntnisse iiber China/Chinesen oder Deutschland/Deutsche, bevor sie ihre chinesischen Oder deutschen Partner in einem Jointventure personlich kennen lemten?^"^ Die
Quote ist bei chinesischen Befragten am hochsten, was daran liegt, dass die Wirkung
der Medien in China hoher als in Deutschland ist. Dafiir gibt es einige Griinde.
Der Hauptgrund ist: In China diirfen die Medien nicht uber alle Themen frei und uber
ein Thema nur in einem bestimmten Rahmen berichten, obwohl die heutigen Begrenzungen viel geringer und gelockerter sind als Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts und davor. Deswegen konzentrieren sich die Themen iiber Deutschland und
Deutsche ebenfalls in einem bestimmten Rahmen: 2. Weltkrieg, klassische Musik,
Automobile, Bier usw. Nur wenige Themen haben mehr Beachtung gefiinden.
Der zweite Grund ist: Die chinesischen Medien werden von oben nach unten einheitlich geordnet und kontrolliert. Es ist normal, dass ein bestimmtes Thema, wie z. B.
„Besuch des deutschen Bundeskanzlers Schroder" oder „VW-Shanghai hat ein neues
Modell produziert", gleichzeitig in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften von
Peking bis zu einem unbekannten Kreis in Nordwestchina erscheint und dieselbe
Nachricht auch noch in Radio und Femsehen verbreitet wird.
Der dritte Grund hat mit der chinesischen Tradition zu tun. Einerseits sind Chinesen
neugierig. Sie mochten sehr geme etwas uber Auslander wissen und reden. Andererseits verwenden viele chinesische Untemehmer Elemente der alten Kriegskunst in
ihrem Managementstil. Eine wichtige Strategic in dieser Kriegskunst, die vor 2.500
Jahren von Sun Tsu gelehrt wurde, lautet: „Wenn du den Feind und dich selbst kennst,
brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fiirchten. Wenn du dich
274
Vgl. Frage 1 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
146
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du fiir jeden Sieg, den du erringst, eine
Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in
jeder Schlacht unterliegen."^^^
Bin weiterer Grund ist: Das allgemeine Interesse von westlichen Menschen an China
und Chinesen ist vergleichsweise nicht so hoch wie das von Chinesen am Westen und
seinen Menschen. Dariiber hinaus interessieren sich Chinesen nicht nur fiir Veroffentlichungen iiber den Westen und seine Menschen, ^^^ die von Chinesen geschrieben
wurden, sondem auch fur die personlichen Erfahrungen und Ansichten westlicher
Menschen iiber China und Chinesen. Zum Beispiel schrieb ein Franzose 1998, der
lange Zeit in China gelebt hatte, einen praktischen Reisebericht iiber China, Chinesen
und seine Erfahrungen in dem Land. Kein franzosischer Verlag wollte sein Manuskript
veroffentlichen, weil „der Inhalt des Buches den Leser nicht interessiere"^''^. Auch
nachdem der Autor selbst diesen Reisebericht unter dem Titel 1,2 Billion Martians auf
seiner Webseite ins Internet stellte, erzielte er nur wenig Aufmerksamkeit in Frankreich und in Europa. Im Jahr 2000 entdeckte ein in Frankreich lebender Chinese diesen
Bericht eher zufallig im Web, hielt ihn fur chinesische Leser fiir interessant, iibersetzte
das erste Kapitel und veroffentlichte es auf seiner eigenen Website in China. Dort fiel
es einigen groBen Webanbietem auf, die es iibemahmen. Die Resonanz beim chinesischen Publikum war so groB, dass sukzessive alle weiteren Kapitel iibersetzt und im
Internet veroffentlicht wurden. Nach Erscheinen des letzten Kapitels im Jahr 2004 und
Herausgabe aller Kapitel als Buch durch einen chinesischen Verlag schrieb der Autor:
„I still hope to publish in French one day."^^^ Ahnliche Veroffentlichungen gibt es
noch einige. Das Buch China in den Augen westlicher Reisender^^^ war beispielsweise
einer der Bestseller des Jahres 2004.
In China kennt man Deutschland und die Deutschen viel mehr durch USamerikanische Medien (45,6%), auf Englisch oder Chinesisch, als durch chinesische
275
276
277
278
279
Ubersetzung nach Clavell (2001), S.35
Vgl. Kapitel 5.2.3
Girons/Zhai (2004)
Girons (2004)
Originaltitel: Huan yishuang yanjing kan Zhongguo - Laowai kan Zhongguol^ -— ft 0R §t ^ 4^
i - * ^ h i i + i ; Autorin: Ying Guo; 2003, Peking
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
147
Medien (28,1%). Fur die deutschen Befragten sind die deutschen und amerikanischen
Medien fast gleich wichtig. Die Anzahl liegt bei jeweils 22,9% und 20,0%.^^^
Der Befragung zufolge ist die Realitatsnahe der Medien kritisch zu beurteilen. Bei
42,9%) der deutschen und 45,9%) der chinesischen Befragten stimmten ihre Vorkenntnisse mit ihren personlichen Erfahrungen nicht iiberein. Obwohl die personlichen
Erfahrungen auch nicht unbedingt immer voUig richtig sind, sind sie jedoch im Vergleich zu tiber Medien erworbenen Vorkenntnissen deutlich naher an der Realitat und
authentischer. Die Interviews und Gesprache ergaben, dass unrichtige Vorkenntnisse
meistens aus Medien stammten.
Deutsche und chinesische Medien, insbesondere die Massenmedien, verfolgen jeweils
eigene Interessen und Tendenzen. Wahrend deutsche Medien vorwiegend an chinesischer Wirtschaftspolitik, Umweltschutz, Volkskunde und Tourismus interessiert sind,
fokussieren sich chinesische Medien eher auf deutsche Volkskunde, Musik und
Lifestyle-Themen wie Autos, FuBball etc.
So lauten zum Beispiel die Uberschriften aus der Stuttgarter Zeitung, einer regionalen
Zeitung aus Stuttgart, der Hauptstadt des Landes Baden-Wtirttemberg, iiber China:
-
Die Stadt der nackten Bduche. Peking im Sommer: Fine Metropole im Umbruch und Chinesen, die das Geniefien lernen?^^
-
China uberrascht mit Yuan-Aufwertung. Peking reagiert auf internationalen
Druck und lockert Bindung an den Dollar - Deutsche Unternehmen reagieren zurilckhaltend.
-
Das Jahr der Schlange hat mit einer Volkerwanderung begonnen. Zum
Fruhlingsfest reisen in China alljdhrlich viele Millionen Menschen zu ihren
Familien - Mit schoner Regelmdfiigkeit bricht dabei der Verkehr zusam283
men.
Zwei vergleichbare regionale Zeitungen aus der Hauptstadt der Provinz Shandong Jinan titeln uber Deutschland wie folgt:
280
^^'
^^^
^^^
Vgl. Frage 2 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Maass (2004)
Oehler (2005)
Maass (2001)
148
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
-
In Deutschland trinkt man besonderes Bier gegen das Alterwerden?^^^
VWOctavia und Superb sindfur uns da.^^^
Welche Stddte soil man in Europa besichtigen?^^^
Auf Themen, die zwischen deutschen und chinesischen Mitarbeitem schwer auszutauschen sind, haben Medien nach wie vor eine starke Wirkung. Um das zu bestatigen,
hat diese Arbeit gezielt eine Frage konstruiert.^^^ Bei der Befragung iiber die Einschatzung, wie offen die Einstellung der jeweils anderen zum Thema Sex ist, haben
die deutschen und chinesischen Befragten sich gegenseitig sehr hoch eingeschatzt:
61,9% der Deutschen fanden die Chinesen offener und 4,8% viel offener als sie.
48,7% der Chinesen fanden die Deutschen offener und 21,6%) viel offener als sie.^^^
Quellen dieser Einschatzung sind hauptsachlich Medien (81,1%) bei deutschen und
86,2% bei chinesischen Befragten).^^^
Obwohl 82,8%) der Befragten bis zur Zeit der Befragung mehr als ein Jahr mit
chinesischen/deutschen Mitarbeitem gearbeitet hatten,^^^ blieb die Medienwirkung
nachhaltig. Auch nach einer langeren Zeit des personlichen Kontakts konnten diese
Kenntnisse immer noch nicht korrigiert werden, weil das Thema Sex nicht zu den
allgemeinen Themen zwischen deutschen und chinesischen Mitarbeitem gehort. So
bleiben zu diesem Thema die Medien die hauptsachliche Informationsquelle. Als ein
Beispiel wurde von den chinesischen Befragten der Film Die Blechtrommel^^^ genannt,
wahrend Deutsche auf die Durex-Studie verwiesen.
Diese Studie, 2004 von dem Kondom-Produzenten Durex online und anonym durchgeflihrt, genugte bei weitem nicht wissenschaftlichen Anspruchen und hatte als ein
Ergebnis, dass Chinesen den „Weltrekord" in der Zahl der Sexpartner pro Person (19,3)
284
285
286
287
288
289
290
291
Jia (2004), Ubersetzung des Verfassers
Xiao (2004), Ubersetzung des Verfassers
Xing (2003), Ubersetzung des Verfassers
Vgl. Frage 7 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Vgl. erster Teil von Frage 7 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Vgl. zweiter Teil von Frage 7 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Vgl. Informationen zur Person der Befragten, Kapitel 4.1
Vgl. Frage 3 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
149
halten.^^^ Obwohl als unserios anzusehen, wurde diese Studie weltweit verbreitet und
zitiert.
Diese gegenseitige Uberschatzung der Offenheit zum Thema Sex wird auch an der
Diskussion iiber die Presentation Chinas bei der Abschlussfeier der Olympischen
Spiele 2004 in Athen deutlich. Dabei zeigten chinesische Madchen in stark gektirztem
traditionellem Kleid einen Tanz in stark westlich beeinflusstem Stil (Abbildung 5-7).
Diese Prasentation wurde teilweise in China als erotisch und zu erotisch kritisiert. Sie
vermittele ein falsches Bild der Haltung vieler Chinesen.
Abbildung 5-7: Eine kritische Szene aus der Olympischen Abschlussfeier
Der weltweit anerkannte Regisseur Zhang, der diese Vorfuhrung entworfen hat, verteidigte sich danach gegen die Kritik mit dem Hinweis, ihm sei es um die „Annaherung
chinesischer Kultur zur westlichen Kultur"^^^ gegangen. Diese Haltung legt die
Schlussfolgerung nahe, dass nicht nur viele chinesische Mitarbeiter in Jointventures,
sondem viele andere Chinesen - u. a. auch Zhang - glauben, dass die offene Einstellung zu sexuellen Themen ein wichtiger Teil der westlichen Kultur ist.
^^^
293
Durex (2004)
Guo (2005), Ubersetzung des Verfassers
150
5.3
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
Briicke zwischen den zwei Kulturen
Konzert, Theater und andere kulturelle Veranstaltungen werden traditionell in China
zur Annaherung der unterschiedlichen Hierarchien und zur Begegnung mit Gasten
verwendet. Viele chinesische Partner nutzen heute aus der traditionellen Basis heraus
Konzerte, Theater usw. als Briicke zwischen den kulturellen Unterschieden in deutschchinesischen Untemehmen.
Diese chinesische Tradition lasst sich in hohem MaBe mit dem Buch Li Ji (Buck der
Riten und Sittenf^"^ begriinden. Li Ji ist ein altes chinesisches Buch, das im 2. Jahrhundert nach Christus als eine Zusammenfassung frtiher geschriebener Werke verfasst
wurde. Danach wurde es bis in die erste Halfte des 20. Jahrhunderts als eines der
wichtigsten offiziellen Lehrbiicher klassischer chinesischer Kultur von der Grundschule an bis zum Ausbildungsschluss uberall in China verwendet. Es lehrt wesentlich
die klassischen Riten, Sitten und Brauche, die man bei gesellschaftlicher Kommunikation befolgen oder beachten soil, damit die Ordnung der Gesellschaft, der Handlung
usw. hergestellt sowie aufrechterhalten werden kann.
Obwohl der Konfuzianismus in der Mao-Zeit einen Niedergang erlebte, hat er sich
durch die Jahrhunderte hindurch „derart mit den kulturellen Uberlieferungen und
Gebrauchen sowie mit dem sozialen Verhalten identifiziert, dass er auch ohne seinen
vormaligen privilegierten Status als wichtiger und erkennbarer Teil sowohl der
greifbaren als auch der moralischen Landschaft"^^^ weiterlebt. Das kulturpragende
Gedankengut des Buches Li Ji hat ebenfalls kontinuierliche und nachhaltige
Bedeutung seit Jahrhunderten. Inhaltlich wirken immer noch manche Aspekte dieses
alten Buches in der heutigen Gesellschaft und in der Globalisierung in der VR China.
Deswegen wird es nach einer Unterbrechung von ca. 45 Jahren seit Mitte der 90er
Jahre des 20. Jahrhunderts in Ausschnitten wieder als Lehrmaterial in vielen Schulen,
Hochschulen und in Trainingskursen ftir Untemehmer und Geschaftsleute eingesetzt.
Es lehrt heute nach wie vor wie die Kulturfaktoren im engeren Sinne - Musik, Theater,
Tanz etc. - menschliche Beziehungen pflegen und zu Harmonic fuhren konnen. Zum
Beispiel: „Die Musik bewirkt Vereinigung, die Sitten bewirken Trennung. In der Ver^^^
^^^
Vgl. Zheng/Kong (1990)
Ching(1989), S.47
Briicke zwischen den zwei Kulturen
einigung lieben die Menschen einander, durch die Trennung achten die Menschen
einander."^^^
Mit diesem Zitat wird zuerst der Widerspruch erklart, warum einerseits 83,8% der
chinesischen Befragten deutsche KoUegen zu Freunden haben wollten,^^^ aber andererseits sich viele von ihnen (46% der chinesischen Befragten) eher eine hierarchische
Beziehung zu den deutschen KoUegen wiinschten?^^ Der Grund dafUr ist, dass viele
chinesische Partner absichtlich eine „Trennung" haben mochten, urn dadurch die
deutschen KoUegen freundlich „achten" zu konnen.
Dariiber hinaus stellt diese chinesische Tradition eine effektive Methode zum Losen
interkultureller Unterschiede und Konflikte fur deutsch-chinesische Untemehmen dar.
Fiir 96,0%) der chinesischen Befragten und 92,0% der deutschen Befragten, die am
Wochenende einen Nachmittag zusammen mit einem deutschen/chinesischen KoUegen in einem chinesischen Theater, Konzert usw. verbringen wiirden,^^^ gibt es auBer
dem Grund die chinesische Kultur kennen zu lemen noch einen wichtigeren Grund:
Diese kulturellen Veranstaltungen sind von beiden Seiten ohne Diskussion akzeptierbar. Ihre Bruckenfunktion wirkt in diesem Fall automatisch zwischen deutschen und
chinesischen Kulturen. Fiir Chinesen ist es Tradition durch „Musik" eine Vereinigung
unterschiedlicher Menschen zu erreichen. Nicht zufallig wiirden die deutschen Partner
dabei auch sehr geme mitmachen, weil Musik, Theater usw. far sie traditionell auch
nicht unbekannt sind, obwohl nur 19,0%o der deutschen Befragten auBerten, dass sie
Freunde unter den chinesischen Arbeitskollegen hatten. Dabei iibemehmen die Kulturfaktoren im engeren Sinne die Funktion einer gemeinsamen Sprache.
Im folgenden Beispiel, das wahrend der Untersuchungen beobachtet wurde, zeigen die
Kulturfaktoren im engeren Sinne ihre Bruckenfunktion deutlicher: Im Untemehmen
Nr. 1 hatten die deutschen und chinesischen Untemehmensfuhrer an einem Freitag
eine ganztagige Sitzung. Eine Entscheidung iiber einen vom chinesischen Partner
vorgelegten bedeutenden Investitionsplan musste vor Montag getroffen werden. Die
deutschen und chinesischen Seiten hatten aber unterschiedliche Auffassungen. Nach
^^^
297
298
299
Li Ji (ca. 2. Jahrhundert n. Chr.), S. 132, Ubersetzung aus Wilhelm (1981), S.75
Vgl. Frage 4 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Vgl. Frage 5 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Vgl. Frage 4 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
151
152
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
einer langen und harten Diskussion blieb die Entscheidung bis in den spaten Nachmittag offen.
Fiir das weitere Vorgehen gab es zwei Moglichkeiten. Zum einen konnte man das
Meeting beenden und damit keine Investitionsentscheidung treffen. Die deutsche Seite
hatte sich damit durchgesetzt. Zum anderen blieb die Moglichkeit, die Sitzung am
Wochenende weiter zu fiihren, obwohl vor allem die deutsche Seite zur Wochenendarbeit wenig bereit schien und sich neue sachliche Ansatzpunkte zur Fortfiihrung
der Diskussion nicht abzeichneten. Zur Verscharfiing der Situation trug auch bei, dass
diese Verhaltensmuster auch in der Vergangenheit bereits zu Konflikten gefuhrt batten.
Aus der Sicht des Beobachters handelte es sich hier um eine geradezu klassische
untemehmerische Entscheidungslage: Nutzung einer kurzfristigen Gewinnchance bei
erhohtem Risiko versus konservative Risikovermeidung. Dabei zeigten beide Seiten
ihr kulturtypisches Verhalten: Das chinesische Management wollte die Chance nutzen
und versuchte das Risiko als gering darzustellen, wahrend sich die deutschen Partner
bei der Abwagung risikoavers zeigten.
Zu diesem kritischen Zeitpunkt, als die Sitzung hoffnungslos verfahren schien und
Ungeduld und Aggressivitat aufkamen, reagierte der chinesische Untemehmensfiihrer
fast automatisch, indem er seinen deutschen Partner und die anderen Kollegen zum
Abendessen und danach zu einem Konzert einlud. Das Essen war typisch chinesisch auch die Brauche: Der Gastgeber legte personlich von alien auf dem drehbaren Rundtisch befmdlichen Speisen seinen Gasten vor. Im Vergleich zur Atmosphare am Nachmittag waren alle Kollegen beim Abendessen ziemlich hoflich und freundlich. Im
Konzert spielten chinesische Musiker mit westlichen Instrumenten klassische Musik eine Mischung von westlichen und traditionellen chinesischen Meisterstucken. In
dieser angenehmen Stimmung entspannten sich die deutschen und chinesischen Partner allmahlich. Wahrend der 20-miniitigen Pause tauschten sich dann der chinesische
und der deutsche Untemehmensfiihrer noch einmal tief greifend liber den Investitionsplan aus und vereinbarten in hohem Einvemehmen die Fortfiihrung der Gesprache
ftir Sonntag. Dort einigte man sich dann auf ein abgestufles Vorgehen. Diese Einigung
wurde am Sonntagabend u. a. mit Karaoke gebiihrend gefeiert.
Briicke zwischen den zwei Kulturen
15 3
Ein Jahr spater hatte ich Gelegenheit, mich nach dem Erfolg der seinerzeitigen Entscheidung zu erkundigen. Der abgestufte Investitionsplan hatte gut funktioniert. Ich
hatte jedoch den Eindruck, dass der risikoreichere chinesische Plan einen groBeren
Erfolg hatte erbringen konnen. Meiner Einschatzung nach hatten die Chinesen ein
gutes Gespiir fur das fur den Erfolg notwendige Zusammenspiel von Politik, Unternehmen und gesellschaftlichem Umfeld, konnten dieses aber ihren deutschen Partnem
nicht ausreichend vermitteln.
Das Aufbrechen einer festgefahrenen Verhandlungssituation durch Einschieben eines
Essens o. a. ist in vielen Landem und Kulturen durchaus normale Taktik. Fiir Chinesen
ist es jedoch in besonderer Weise typisch. Das Abendessen, das anschlieBende Konzert
und das Feiem mit Karaoke wurden nach der tief greifenden chinesischen Tradition
des alten Buches Li Ji gezielt und gerade zu automatisch eingesetzt. Im Li Ji wird
gelehrt: „Die Gefiihle in Einklang zu bringen und die AuBerungen zur Schonheit zu
bringen, das ist die Aufgabe von Sitte und Musik."^^^ In der Praxis werden oft auBer
Konzert und Karaoke auch andere Formen der engeren Kulturfaktoren wie z. B.
Theater, Film, Kulturreise usw. benutzt. Dabei iibemahm das Essen die Rolle der Sitte
und Konzert, Karaoke, Theater, Film, Kulturreise usw. fiillten die Rolle der „Musik'\
Kulturfaktoren im engeren Sinne sind haufig und seit langem als Instrumente zum
Losen von Konflikten in rein chinesischen Untemehmen verwendet worden. In
deutsch-chinesischen Untemehmen ist diese Methode zwar jung, funktioniert aber
erfolgreich. Eine wichtige Voraussetzung dafiir ist, dass sowohl in der deutschen als
auch in der chinesischen Kultur Musik Theater, Literatur usw. hoch geschatzt werden.
Ohne diese gemeinsame Vorliebe wiirden die Menschen aus den zwei unterschiedlichen Kulturen nicht durch den „musikalischen Kanal" mehr Verstandnis fiireinander
entwickeln.
Diese Bruckenfunktion der Kulturfaktoren im engeren Sinne wurde durch andere Befragungen dieser Arbeit weiter bestatigt. Nach Befragungsergebnissen wiirden 83,6%
der chinesischen Befragten bei der Losung eines schwerwiegenden Problems nicht im
Biiro, sondem beim privaten Besuch (6,1%), beim gemeinsamen Essen (30,6%) oder
in der Pause einer gemeinsamen Kulturveranstaltung (46,9%)) mit ihrem deutschen
^^°
Li Ji (ca. 2. Jahrhundert n. Chr.), S. 133, Ubersetzung aus Wilhelm (1981), S.75
154
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
Mitarbeiter reden. Die Antworten der deutschen Befragten auf dieselbe Frage waren
gegenlaufig: 90,4% bevorzugten Biiro und Arbeitszeit, niemand mochte zur Losung
eines Problems seinen chinesischen Mitarbeiter in der Freizeit besuchen. Viele
deutsche Untemehmensfiihrer und Mitarbeiter in den Jointventures wiirden jedoch
gelegentlich diese Methode anwenden. Nur 9,6% von den deutschen Befragten
mochten die chinesische Methode - gemeinsames Essen oder gemeinsame Kulturveranstaltungen - auch aktiv verwenden. In weiteren Gesprachen wurde herausgeftinden, dass diese 9,6% ahnliche Erfahrungen gemacht und durch sie gelemt hatten.^^^
Die geringe Anzahl der deutschen Untemehmensfiihrer und Mitarbeiter, die durch
gemeinsames Essen und gemeinsame Kulturveranstaltungen mit ihren chinesischen
Kooperationspartnem und Mitarbeitem die Losung eines Problems erreichen oder
einfach nur das gegenseitige Vertrauen verstarken mochten, liegt auch daran, dass
diese traditionellen chinesischen Losungsmoglichkeiten durch die engeren Kulturfaktoren bisher fast nicht von den in Deutschland veroffentlichten Managementratgebem ftir das Chinageschaft erfasst werden. Nur in sehr wenigen Erfahrungsberichten deutscher Untemehmer in China wird es mit einem einzelnen Satz empfohlen wie zum Beispiel: „Gehen Sie haufig mit ihren Partnem essen, trinken. Karaoke
singen etc."^^^ oder: Das gemeinsame Essen hat „eine wichtige soziale und kommunikative Bedeutung"^^^. Diese kurzen Erfahrungsberichte gehen aber nicht weiter auf die
in der chinesischen Kulturtradition liegenden Griinde ein und stellen auch keinen
vertieften Zusammenhang zwischen dem gemeinsamen Singen oder Essen und der
Losung eines betrieblichen Problems her.
Zur Losung von Konflikten zwischen Deutschen und Chinesen in den Gemeinschaftsuntemehmen in China sind manche Tipps aus deutschen Managementbiichem im Vergleich zu den traditionellen chinesischen Losungen, wie sie im Buch Li Ji dargestellt
und von chinesischen Untemehmensfiihrem wie im oben genannten Beispiel automatisch angewendet werden, oberflachlich und schwacher. Dieses zeigt sich auch in den
folgenden Beispielen:
^^^
^^^
Vgl. Frage 9 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Granier(2002),S.23
Chung (1995), S. 49
Briicke zwischen den zwei Kulturen
15 5
In einem deutschen Ratgeber^^"^ wird das Beispiel eines technischen Streitgesprachs
zwischen einem deutschen und einem chinesischen Mitarbeiter beschrieben:
„Am Anfang meines Aufenthalts in China als Ingenieur hatte ich mit einem
chinesischen KoUegen ein kleines Streitgesprach, in dem es um eine
technische Auseinandersetzung ging. Ich habe den chinesischen Mitarbeiter
dann wohl so in die Enge getrieben, um ihm zu beweisen, dass ich an dieser
Stelle Recht hatte und dass die Fakten eben so klar auf dem Tisch Uegen, dass
er nicht mehr anders konnte, als mir zuzustimmen. Aber das passierte nicht. Ja,
da musste ich stattdessen erleben, dass der KoUege mir auf meine Fragen
Antworten gab, die zu den Fragen einfach nicht passten. Ich sprach vom
Kurzschluss, er sprach vom Wetter, und so ging das eine ganze Zeit lang, bis
ich aufgab."
Als Losungsstrategie schlagt dieser Ratgeber folgende Moglichkeiten vor:
„Versuchen Sie zuerst zu erkunden, ob ihr Partner nicht schon weiB, dass ihm
ein Fehler unterlaufen ist oder ein Mangel vorliegt. Belassen Sie die Sache als
Problem, versuchen Sie nicht, daraus einen Konflikt zu machen, indem Sie
einen personlich Schuldigen defmieren. Vielleicht hat der Kollege auch schon
Ideen parat, wie der Missstand zu beseitigen ware. Jede Sache hat auch ihre
positive Seite, selbst Fehler, denn aus ihnen lemt man bekanntlich am meisten.
Stellen Sie Harmonic her, oder erhalten Sie diese, indem Sie zuerst positive
Aspekte benennen und eine iibereinstimmende Vorgehensweise zur weiteren
Verbesserung erarbeiteten. Dabei miissen Sie nicht das letzte Wort haben,
wenn Sie es ertragen konnen, dass ein paar Tage spater Ihre Idee als die Idee
Ihres Gesprachspartners wieder auftaucht. Beschleunigen konnen Sie einen
Verbesserungsprozess nur durch Uberzeugung, nicht durch Uberredung oder
Direktheit."
Aus der Sicht der chinesischen Tradition und der klassischen Lehre des Buches Li Ji
gibt es aber noch andere und bessere Moglichkeiten, die vor allem zum wahren Kern
des Problems vordringen. Zum Beispiel statt
^^^
Thomas (2001), S. 98-101
156
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
„Versuchen Sie nicht, daraus einen Konflikt zu machen, indem Sie einen
personlich Schuldigen definieren."
und
„Dabei miissen Sie nicht das letzte Wort haben, wenn Sie es ertragen konnen,
dass ein paar Tage spater ihre Idee als die Idee ihres Gesprachspartners wieder
auftaucht."
sollte das Gesprach dieses konflikttrachtigen Themas nicht am Arbeitsplatz, sondem
an einem Ort mit kulturellen Veranstaltungen, zum Beispiel im Teehaus oder einer
Karaokebar stattfmden, um dort in entspannterer Atmosphare iiber die Konfliktpunkte
zu reden. Diese Losung basiert auf der klassischen Lehre: „Die hochste Musik entfemt
den Groll, die hochste Sitte entfemt den Streit. Durch Freundlichkeit und Nachgiebigkeit die Welt zu ordnen, das ist der Sinn von Sitte und Musik."^^^ Aus der
Tradition heraus ist der chinesische Gesprachspartner in einer kulturellen Atmosphare
viel offener fur Kritik als sonst.
Das Beispiel beleuchtet sehr deutlich den fiir chinesische Gesprachspartner sehr
wichtigen Unterschied zwischen einer formellen und einer informellen Kommunikation. Eine formelle Kommunikation ist nach der chinesischen Tradition in der Kegel
ftir ein harmonisches Gesprach mit gemeinsamen Aspekten, das zu einem erfolgreichen Abschluss fiihrt, geeignet. Bei einem solchen Anlass iiber Fehler, Schuld oder
Versagen zu sprechen bedeutet noch immer ftir viele Chinesen „Gesichtverlust". Bei
informeller Kommunikation ist das nicht der Fall. Informelle Kommunikation wird
traditionell ftir Gesprache mit auseinander gehenden Meinungen und Konfliktpotenzialen bevorzugt. Sie werden meistens mit einem Besuch in einem Teehaus, einer
Karaokebar, einem Konzert usw. verbunden. Damit wird dem tief in der chinesischen
Kultur verwurzelten Konsens- und Harmonieprinzip gefolgt. Deswegen sind die chinesischen Fuhrungskrafte und Mitarbeiter normalerweise bereit bei einer informellen
Kommunikation eine Auseinandersetzung zuzulassen, Konflikte zu konfrontieren und
Kritik zu auBem oder zu akzeptieren.
In der Untersuchung wurde auch ein technisches Streitgesprach zwischen einem
deutschen und einem chinesischen Mitarbeiter beobachtet. Im Untemehmen Nr. 1
schlug ein chinesischer Ingenieur vor zur Kostensenkung PVC-Rohre aus China statt
^^^
Li Ji (ca. 2. Jahrhundert n. Chr.), S. 133, Ubersetzung aus Wilhelm (1981), S.75
Brilcke zwischen den zwei Kulturen
157
der importierten Rohre als Bestandteil der Produkte des Jointventures zu verwenden.
Die Rohrqualitat entsprach zwar dem chinesischen, aber nicht dem deutschen Industriestandard. AuBerdem bezweifelten manche deutsche Kollegen die Qualitatsstabilitat
der chinesischen Produkte. Der chinesische Ingenieur versuchte zunachst mehrmals
bei formellen Gelegenheiten seinen Vorschlag durchzusetzen. Mit Hinweis auf den
Grundsatz, dass der deutsche Standard einzuhahen sei, wurde dieser Vorschlag jedes
Mai vom deutschen Partner abgelehnt. Die tatsachlichen Beweggriinde des Verhaltens
beider waren jedoch vollig andere und so gelagert, dass keiner auf der Ebene der
formellen Kommunikation sie ansprechen konnte, ohne Gefahr zu laufen, sein Gesicht
zu verlieren: Das Gehalt des chinesischen Mitarbeiters war an ein Teamergebnis
gekoppelt, sodass er von der Kostensenkung eine Pramie erwarten durfte. Dieses im
formellen Umfeld anzusprechen hatte fiir ihn Gesichtsverlust bedeutet. Diese Tatsache
war zwar auch den deutschen Kollegen bekannt, einem sehr verbreiteten Vorurteil
folgend vermuteten sie aber, dass der chinesische Kollege bestochen worden sei. Das
ohne Beweis im formellen Rahmen anzusprechen, hatte fiir beide Seiten einen
enormen Gesichtsverlust bedeutet, nicht zuletzt weil eine solche Unterstellung wohl in
keiner Untemehmens- und Gesprachskultur, weder deutscher, chinesischer oder internationaler, zum guten Ton gehort.
In diese Zeit fiel dann das chinesische Friihlingsfest. Dadurch hatte der chinesische
Ingenieur einige Gelegenheiten mit diesem deutschen Partner und dem deutschen
Teamleiter verschiedene Kulturveranstaltungen bei traditionellem Essen, in Teehausem und Karaokehallen zusammen zu feiem. Die zwei Deutschen waren zum
ersten Mai in einer Karaokehalle und ziemlich iiberrascht, dass viele ihrer Lieblingsschlager aus den 70er Jahren dort gespielt wurden. Der chinesische Ingenieur
nutzte die Gelegenheit zur informellen Kommunikation und fmg mit vom Alkohol
gelockerter Zunge wieder an iiber den sensiblen Vorschlag zu sprechen.
Das Ergebnis war dieses Mai ein vollig anderes: Motiviert und beeinflusst von der
musikalischen und harmonischen Atmosphare begriindete er ausfahrlich und in Ruhe
seinen Vorschlag. Sein deutscher Partner horte ohne Unterbrechung zu. Die zwei
diskutierten sachlich und empathisch uber die moglichen Chancen und Risiken. Der
Teamleiter kam spater hinzu. In ca. vierzig Minuten erzielten sie eine Ubereinstimmung: In die Produkte far den deutschen Markt wurden die Importrohre eingebaut, in
die far den chinesischen Markt die chinesischen. Zwei Wochen spater wurde der
158
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
Vorschlag, der inzwischen vom chinesischen Ingenieur und seinem deutschen Partner
zusammen erarbeitet worden war, von der Untemehmensleitung genehmigt.
5.4
Instrumente zur Pflege des Unternehmensimages
Kulturelle Faktoren, darunter versteht man vor allem Musik und Malerei, sind in China
traditionell als Instrument zur Imagepflege - die „Aui3erung zur Schonheit"^^^ - einer
Person, eines Betriebs oder einer Regierung genutzt worden. Bin derartiger Einsatz der
Kulturfaktoren ist bis heute immer noch sehr effektiv, weil diese konfuzianische
Tradition durch verschiedene kulturelle Revolutionen seit Anfang des 20. Jahrhunderts
nicht zerstort, sondem verstarkt und entwickelt wurde. Sie haben eine tiefe Verwurzelung in Politik und Gesellschaft. Erfahrungsgemai3 wird eine richtige Verwendung
dieser Faktoren dem Untemehmen schnellen Erfolg und Gewinn bringen. So zeigt sich
bei der Befragung auch, dass 50,9% der chinesischen Befragten die Untemehmensgrundsatze oder einen bestimmten Slogan des Jointventures durch eine chinesische
Malerei mit Kalligraphie im BUro prasentieren lassen wiirden.^^^
Viele deutsch-chinesische Untemehmen, insbesondere groBe Untemehmen, haben
schnell herausgefunden, dass neben Produktqualitat und wirtschaftlichem Erfolg die
Verwendung der Kulturfaktoren geeignete Instmmente zur Pflege des Untemehmensimages sind. Bei der Griindung der Musikstiftung in China sagte der Sprecher des
Untemehmens Nr. 19, dass die Ubemahme gesellschaftlicher Verantwortung fiir ein
gutes Untemehmen sehr wichtig sei. Mit der Stiftung und ihrer Unterstiitzung
musikalischer und sportlicher Veranstaltungen mochte dieses Automobiluntemehmen
„sein Image in China verandem"^^^.
Das Untemehmen Nr. 19 ist eines der groBten, bekanntesten und erfolgreichsten
deutsch-chinesischen Jointventures in China. Es wurde 1984 in Shanghai gegriindet.
Seit Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts sponsert das Untemehmen Sommerkonzerte fur Jugendliche, seit 1999 kontinuierlich das Pekinger Musikfestival, einen
^^^
307
Li Ji (ca. 2. Jahrhundert n. Chr.), S. 133, Ubersetzung aus Wilhelm (1981), S.75
Vgl. Frage 10 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Lan (2001), Ubersetzung des Verfassers
Instrumente zur Pflege des Untemehmensimages
159
Radiosender in Shanghai, Konzerte des Royal Philharmonic Orchestra, zwei Toumeen
von Udo Lindenberg, eine vierjahrige Schulung der chinesischen FuBballnationalmannschaft durch einen bekannten deutschen Trainer etc. Bei einem Interview durch
eine groBe chinesische Staatszeitung sagten der deutsche und der chinesischer Geschaftsfuhrer, dass sie beide Anhanger klassischer Musik, insbesondere von Barockmusik und Johann Sebastian Bach, seien.
Fiir ein Automobiluntemehmen gibt es vor allem drei Griinde viele Jahre lang kulturelle Veranstaltungen in China zu unterstutzen. Zum einen mochte das Jointventure
sein Produkt mit klassischer Musik vergleichen. Beide besitzen „auBere Schonheiten
und innere Werte". Zum Zweiten soil dieses Image Kunden anlocken, weil „die
meisten potenziellen Kunden zu Kunst und klassischer Musik einen besonderen Bezug
haben". Zum Dritten mochte das Jointventure zeigen, dass es „eine langfristige Sicht,
nicht nur fur die kulturelle Unterstiitzung, sondem auch fur seine Produkte im chinesischen Markt haf'^^^
Das Jointventure hat von 1998 bis 2004 einige Millionen US-Dollar fur die Unterstiitzung kultureller Veranstaltungen ausgegeben. Nicht zufallig ist seitdem die Produktion des Jointventures schneller gestiegen. Von 2001 bis 2003 hat das Jointventure
„einen historischen Meilenstein erreicht". Die Zahl der in China produzierten Fahrzeuge war hoher als die in Deutschland und mindestens 20% des Gewinns fiir das
Untemehmen weltweit kamen aus dem Jointventure in China.^^^
Die Untersuchung dieser Arbeit hat ebenfalls bestatigt, dass es tatsachlich eine
Verbindung zwischen der Unterstiitzung von Kulturveranstaltungen und dem Erfolg
des Jointventures gibt. Das Jointventure hat „einen guten Ruf in der Gesellschaft und
gute Beziehungen zu den Regierungen auf alien Ebenen durch zahlreiche kulturelle
und sportliche Veranstaltungen" gewonnen. So berichtete ein chinesischer Mitarbeiter
bei einem Gesprach. Ende 2004 hielt das Jointventure 26% Marktanteil im
Automobilmarkt in China. Aber dieses Untemehmen ist nicht das einzige AutomobilJointventure mit bekannten Marken in China. So gibt es noch Gemeinschaftsuntemehmen von General Motors, Toyota, Hyundai etc. Diesen „guten Beziehungen
309
^^^
Zhu (2005), Ubersetzung des Verfassers
Wang/Xia (2005)
160
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
zu Regiemngen auf alien Ebenen" kommt unter Konkurrenzdruck eine besondere
Bedeutung zu. In Shanghai sind die stadteigene Shanghai Automotive Industrial Corp.
direkte Kooperationspartner sowohl des Untemehmens Nr. 19 als auch eines seiner
Konkurrenten, General Motors. Daruber hinaus betreibt Shanghai Automotive eine
eigene Automobilproduktion. Es darf vermutet werden, dass diese konkurrierende
Situation von der Stadtregierung Shanghai nicht nur geduldet, sondem vielmehr
gewollt wird. Gerade deshalb ist eine intensive Lobbyarbeit sehr wichtig, zumal sie in
der chinesischen Tradition der Beziehungspflege zwischen Untemehmen und Politik
bzw. Gesellschaft steht. In China wird angenommen, dass die Annaherung zur chinesischen Tradition und die Verwendung der Kulturfaktoren dem Untemehmen Nr. 19
geholfen haben, die fuhrende Position in der chinesischen Automobilindustrie zu
erreichen.
Dieses Prinzip gilt nicht nur fur groBe Jointventures, ftir die Unterstutzung von Konzerten weltberuhmter Musiker oder bei der Uberwindung wirtschaftlicher Schwierigkeiten, sondem auch im Kleinen. Ein gutes Beispiel dafur ist das Untemehmen Nr. 10,
das zwar in Qingdao in der Provinz Shandong seine Hauptverwaltung hat, die Produktion von Tintenschwarze aber in einer landlichen Gemeinde betreibt. Dort in der
chinesischen Provinz ist es iiblich, dass sich ortsansassige Untemehmen im Rahmen
des Friihlingsfestes bei kulturellen StraBenveranstaltungen engagieren und mitmachen.
Das Untemehmen Nr. 10 tat dieses nicht, was keine wirtschaftlichen Probleme mit
sich brachte. Allerdings ergab sich dadurch auch kein positives Untemehmensimage
im Ort. Daruber hinaus wurde diese geringe Integration des Untemehmens in die
ortliche Kultur von den chinesischen Mitarbeitem als Mangel und als Bmch mit
chinesischen Traditionen wahrgenommen und fuhrte zu Spannungen im Betrieb. Seit
das Untemehmen diesen Teil seiner Untemehmenspolitik geandert hat und sich im
erwarteten und ublichen Rahmen engagiert, haben sich auch die Zufriedenheit der
Mitarbeiter und ihre Motivation klar verbessert.
Dieses Beispiel bezieht sich auch auf die Sozialfiinktion der Kultur, insbesondere der
Kulturfaktoren im engeren Sinne. Nach westlichen Theorien iiber die Sozialfiinktion
der Kultur hat die Kultur zwei paradoxe Aufgaben: Sie sorgt nach „auBen" ftir
Unterscheidung und Abwehr und nach „innen" fiir Einheit und Identitat.^^^ So halten
^^^
Vgl. Baecker (2000), S. 44-57; Rieger/Leibfried (2004), S. 214-224
Instrumente zur Pflege des Unternehmensimages
161
sich unterschiedliche Kulturen gegenseitig auf Distanz. Das ist der Grund, „warum
man mit Recht von Esskultur, Bekleidungskultur, Umgangskultur, Sprachkultur und so
weiter spricht"^^^. Aber diese Kulturen spielen zugleich mit dem, was sie auf Distanz
halten. „Sie beschworen es, sie drohen damit, sie locken damit."^^^ In der chinesischen
Gesellschaft spielen die Kultur im Allgemeinen und die Kultur deutschchinesischer
Jointventures im Besonderen zwar eine ahnliche RoUe, dariiber hinaus aber haben sie
eigene Funktionen. Zum einen ist die Pflege der „Einheit und Harmonie" die wichtigste Aufgabe der Kultur. Nach konfuzianischer Tradition soil man „bei der Anwendung der Riten, bei der Beachtung der Umgangsformen vor allem Wert auf Harmonie
legen"^^^. Zum Zweiten ist die Abgrenzung von „auBen" und „innen" dynamisch.
Beispielsweise ist die deutsche Kultur im Allgemeinen fur die chinesische Kultur
„auBen". Aber die Kultur in einem deutsch-chinesischen Jointventure wird in der
Regel von der chinesischen Umgebung zuerst als „innere Kultur" angesehen und
behandelt, obwohl es in ihr einen gewissen Teil deutscher Kultur gibt. In dem o. g.
Beispiel wird das Untemehmen Nr. 10 als ein Bestandteil der lokalen Gesellschaft
angesehen. Deswegen wurde es aufgefordert, sich im Rahmen des Friihlingsfestes bei
StraBenveranstaltungen zu engagieren. Dabei sorgen die Kulturfaktoren im engeren
Sinne vor allem fur die Identitat und Harmonie.
Das Untemehmen Nr. 10 ist ein typisches Beispiel eines mittelstandischen deutschen
Unternehmens in China, das die Sozialfunktion der Kultur zur Einheit und Identitat
nutzt. In der Untersuchung wurde ebenfalls beobachtet, dass die groBen deutschen
Untemehmen in China sich mit Hilfe der Sozialfunktion der Kultur einerseits in die
chinesische Gesellschaft integrieren (zum Beispiel durch Unterstutzung von Kulturveranstaltungen), andererseits von anderen Untemehmen unterscheiden und eine eigene
Untemehmenskultur zeigen. Dieses sieht man deutlich in den folgenden Untersuchungsergebnissen.
In Shanghai berichtete ein chinesischer Interviewter des Unternehmens Nr. 19, dass er
als Mitarbeiter eines der groBten und bekanntesten deutsch-chinesischen Jointventures
sehr stolz sei. Er sagte: „In Shanghai gibt es viele Jointventures und groBe staatliche
Untemehmen. Wir sind aber ganz unterschiedlich." Eine derartige Unterscheidung von
^^^
^^^
^^^
Baecker (2000), S. 46
Baecker (2000), S. 46
Konfuzius(1982), S. 7
162
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
anderen Jointventures und den groBen staatlichen Untemehmen wird in der Kegel
durch verschiedene Punkte deutlich:
-
hohere Qualitat der Produkte
effizientere Verwaltung
groBerer Gewinn des Untemehmens
hohere Lohne
klar kommunizierte Untemehmenskultur, die nach auBen fur Unterscheidung sorgt
Ein Beispiel dafiir sind die so genannten „Bonuskonzerte": Das Untemehmen kauft
anlasslich besonderer Gelegenheiten wie Fruhlingsfest, Nationalfeiertag etc. teure
Karten fur Konzerte, vor allem aus dem Westen, und schenkt sie seinen Angestellten,
um ihre guten Arbeitsleistungen zu belohnen. Damit wird die „Stolzkartenfunktion" aus der Zeit der Kulturrevolution aufgegriffen und weiterentwickelt.^^^
Wahrend letztere eher eine ideelle Bedeutung hatte, da die Preise fur Eintrittskarten
unerheblich waren, kommt bei den Karten fiir Bonuskonzerte ein handfester pekuniarer Vorteil hinzu. Diese beiden MaBnahmen haben eine gemeinsame Basis in der
chinesischen Tradition, wie es in dem Buch Li Ji gelehrt wird: „So machte der Sohn
des Himmels die Musik zur Ehrung der Fiirsten, die Geisteskrafle besitzen."^^^
Ein Konzert dieser Art fand zum Beispiel am 1. Oktober, dem Nationalfeiertag Chinas,
im Jahr 2004 in dem neu renovierten Shanghaier Konzerthaus statt. Es war das erste
Konzert nach der Renovierung. Das Royal Philharmonic Orchestra London spielte
Tschaikowsky und Beethoven. Die Eintrittskarten, die 300-2.500 Yuarf'^^ kosteten,
wurden zum groBen Teil vom Untemehmen Nr. 19 gekaufl und als Geschenke zur
Feier des Nationaltags unter seinen chinesischen Angestellten verteilt. Der Interviewte
berichtete weiter, dass seine Kollegen und er, als sie nach chinesischer Tradition mit
anderen aus dem Publikum, die fiir das Konzert selbst bezahlt hatten, iiber die
Programme und die Preise miteinander redeten, „als Angestellte des Untemehmens
bewundert und auch beneidet wurden".
^^^
^^^
317
Vgl. Kapitel 5.1.2
Li Ji (ca. 2. Jahrhundert n. Chr.), S. 135, Ubersetzung aus Wilhelm (1981), S. 79
Diese entsprachen etwa 30 - 250 Euro. Zum Vergleich war das Jahresgehalt in Shanghai im Jahr
2003 durchschnittlich 27.034 Yuan (etwa 2.700 Euro).
Instrumente zur Pflege des Unternehmensimages
Das Konzert erfiillte damit nicht nur seine ureigene Funktion der Unterhaltung,
sondem bot gleichzeitig dem Untemehmen die Moglichkeit der Gesellschaft ein
eigenes Bild von sich zu zeigen und den Angestellten nach der chinesischen Tradition
mehr „Gesicht" zu gewinnen. Die Unterscheidungsfunktion der Kulturfaktoren im
engeren Sinne bringt zweifellos vor allem den Untemehmensangestellten Motivation,
Stolz und Selbstbewusstsein. Daneben prasentiert sich das Untemehmen als attraktiver
Arbeitgeber.
Allerdings muss hier beachtet werden, dass die aus der Unterscheidung resultierende
Distanz auch negative Aspekte haben kann. Dasselbe Konzert, zum Beispiel, und das
dadurch entstandene gesellschaftliche Bild des Unternehmens Nr. 19 wurde aus der
Sicht eines Shanghaier Musikfreundes negativ beurteilt. Nach dem Neueroffnungskonzert schrieb er, dass diese Veranstaltung ein feierliches Solo des Unternehmens Nr.
19 war und nichts mit den anderen Menschen zu tun hatte. „Das war nur ein Geschenk
fur die Untemehmensangestellten. Als Musikfreund soUte man nur hingehen, sofem
man Geld ins Wasser werfen mochte."^^^
Obwohl es auch negative Einfltisse gibt, nutzen in erster Linie die groBen deutschchinesischen Untemehmen die Sozialflinktion der Kultur im engeren Sinne als ein
effektives Instmment zur Unterscheidung von konkurrierenden Untemehmen. Der
Hauptgmnd liegt darin, dass nur fmanzstarke Untemehmen sich eine solche Unterscheidung leisten konnen. Angestellten teure Konzertkarten zu schenken ist ein Zeichen fiir den Untemehmenserfolg. Moglichen negativen Interpretationen wird mit
anderen Aktivitaten des Untemehmens, wie z. B. Unterstutzung offentlicher Kulturveranstaltungen, begegnet. Das Untemehmen Nr. 11 hat die Funktion der Kulturfaktoren im engeren Sinne zur Unterscheidung von anderen Untemehmen und zur
Integration in die Gesellschaft durch einen einzigen Prozess in geradezu optimaler
Weise erreicht: Es hat ein bekanntes Ensemble fiir die Peking-Oper der Provinz
Shandong, das sowohl offentliche als auch Vorstellungen fiir geschlossene Gmppen
gibt, seit 2002 fur flinf Jahre gepachtet.
318
Yang (2004), Ubersetzung des Verfassers
163
164
5.5
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
Forderung der Motivation, Unterhaltung und Beziehungspflege
Dass die Kulturfaktoren wie Musik und Theater in Fallen interkultureller Krisen in
deutsch-chinesischen Untemehmen eine Bruckenfunktion haben, zeigt sich in den
Beispielen im Kapitel 5.3. Innerhalb normaler Betriebszeiten werden Musik, Theater,
Malerei, Karaoke usw. ebenfalls als Instrumente genutzt und zwar innerhalb des
Untemehmens zur Forderung der Motivation und Unterhaltung der Mitarbeiter sowie
auBerhalb zur Beziehungspflege mit der gesellschaftlichen und politischen Umgebung.
Kulturfaktoren im engeren Sinne sind allgemein in der langen chinesischen Geschichte
nicht nur zur Unterhaltung, sondem vielmehr als Hilfsmittel zur Erreichung politischer,
gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Zwecke genutzt worden. „Musik und Sitte,
Strafen und Gebote sind letzten Endes dasselbe; es sind die Mittel, um die Herzen des
Volks zur Gemeinsamkeit zu bringen und den Weg der Ordnung hervorzubringen."^^^
Dieser in den chinesischen Klassikem angelegte enge Zusammenhang von Musik und
Politik fmdet seine Fortsetzung auch in der Gegenwart. Aus diesem Zusammenhang
heraus ist es nicht erstaunlich, dass die Kultur und ihre Funktionen in der chinesischen
Geschichte oft von staatlichen Eliten und Politikem so weit wie irgend moglich
defmiert und auch durchgefuhrt wurden und werden, um die Kultur gezielt als
Instrument zu nutzen. Aus der Sicht der westlichen Beobachter ist die „Kultur" Chinas
damit „ein wesentliches dynamisches Mittel, angesichts eines bedrohlichen auBeren
und inneren Wandels das Individuum und die Gemeinschaft zu bandigen, diese
Veranderungen der Staatsmacht zu akkommodieren und institutionellen Umbau zu
koordinieren"^^^. In China „beobachten wir also keine ,freie', sondem eher eine
gelenkte Kultur"^^^
Nach der Grundung der Volksrepublik bis zum Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde Kultur nach Maos Definition offiziell als Teil der Politik gesehen.^^^
Gleich nach Beginn der Wirtschaftsreform und der Offnung Chinas im Jahr 1978
wurde von staatlichen Eliten ausgehend auf alien Ebenen der politischen und kulturellen Bereiche debattiert, ob Kultur in der neuen Entwicklungsphase Chinas noch als
^^^
^^^
^^^
^^^
Li Ji (ca. 2, Jahrhundert n. Chr.), S. 131, Ubersetzung aus Wilhelm (1981), S.72
Rieger/Leibfried (2004), S. 213
Ebenda; vgl. dazu Ching (1989), S. 46-48
Vgl. Kapitel 5.1.2
Forderung der Motivation, Unterhaltung und Beziehungspflege
165
Teil der Politik geeignet sei. Diese Debatte dauerte zwei Jahre. Auf der Fuhrungsebene
der Zentralregierung wurde dann als Ergebnis festgehalten und kommuniziert, dass die
Kultur als ein Teil der Politik bei der Korrektur der Fehlentwicklungen aus der
Kulturrevolution und bei der Wirtschaftsreform nicht hilfreich sei. Die Kultur Chinas
und ihre Funktionen soUten deswegen in einem neuen Rahmen definiert und begrenzt
werden. So wird seit Juli 1980 „Kultur und Kunst dienen dem Volk und dem Sozialismus"^^^ als dem Grundsatz der Kulturpolitik und Kulturarbeit landes-weit gefolgt. Als
Hauptpunkt dieses Prinzips versteht man, dass „die Kultur der chinesischen sozialistischen Politik und Wirtschaft dienen soll"^^"^.
Im Vergleich zur Mao-Zeit ist diese Kulturpolitik seit 1980 viel gelockerter und pragmatischer. Der enge Zusammenhang von Kultur und Politik blieb jedoch bestehen. Mit
Hilfe von Kultur im engeren Sinne wird auch heute noch Politik gemacht. Es gibt zwei
Hauptgriinde dafiir: Einerseits ist diese Tradition im chinesischen Volk tief verwurzelt.
Andererseits ist sie fiir die kommunistische Regierung ein probates Mittel Ausgleich
und Harmonic in die gesellschaftlichen Beziehungen bringen zu konnen.
Seit der Griindung der Volksrepublik im Jahr 1949 ist in jedem staatlichen Unternehmen cine Abteilung fur Kultur und Propaganda obligatorisch. Die Aufgabe dieser
Abteilung ist vor allem durch kulturelle Veranstaltungen - Konzerte, Theater, Filme,
Lesungen, Malereiausstellungen usw. - die Mitarbeiter des Untemehmens zu motivieren und zu beeinflussen. Neben der Offentlichkeits- und Lobbyarbeit gehort tiblicherweise zu den Aufgaben dieser Abteilung auch, den Mitarbeitem ein umfangreiches
kulturelles Programm anzubieten. Dafiir unterhalten viele mittlere und groBe staatliche
Untemehmen eigene Kulturzentren und Ensembles. Bis heute sind staatliche Unternehmen immer noch wichtige Arbeitgeber fiir Absolventen der Hochschule fur Musik
und Kunst. So sind kulturelle Veranstaltungen im engeren Sinne ein nicht wegzudenkender Teil des taglichen Lebens in staatlichen Untemehmen in China. Viele von
ihnen haben ein eigenes Untemehmenslied, das extra fur sie komponiert und bei
betrieblichen Versammlungen und anderen Veranstaltungen gesungen wird.
323
Editorial der Volkstageszeitung (1980), Ubersetzung des Verfassers
Ebenda
166
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
Die Aufbau- und Ablauforganisation sowie der Einsatz von Personal werden traditionell in China deutlich anders als in Deutschland gehandhabt. Typische Untemehmen in
China haben, insbesondere wenn sie Staatsbetriebe sind, eine hohe Fertigungstiefe,
eine breite horizontale Integration, einen hohen Komplexitatsgrad und eine groBe
Belegschaft. Sie haben nicht nur industrielle und wirtschaftliche Funktionen, sondem
mussen nach dem Willen der chinesischen Regierung auch einen gesellschaftlichen
Auftrag erfuUen.
Das Zusammenwirken von Untemehmen, Regierungen und Gesellschaft in China
unterscheidet sich vom ehrenamtlichen, burgerschaftlichem Engagement von Unternehmen in Deutschland. Zum einen hat die Mitverantwortung von Handwerk, Gewerbe und Industrie fur die Losung gesellschaftlicher Probleme in China Tradition, die
insbesondere nach der Griindung der Volksrepublik eine wichtige Rolle gespielt hat,^^^
wahrend ein solches Engagement in Deutschland „teilweise angestoBen durch die
wachsende Internationale Verflechtung und den resultierenden Kulturaustausch, teilweise in Weiterentwicklung eigener Traditionen, teilweise in Entsprechung zu einem
allgemeinen Strukturwandel der Engagementbereitschaft"^^^ als „Innovation" gesehen
wird.^^^ Zum Zweiten erfolgt das kulturelle Engagement der Untemehmen in China
teilweise auf Dmck der Regiemng, wahrend es in Deutschland voUig freiwillig ist.
Zum Dritten engagieren sich chinesische Untemehmen hauptsachlich im Kulturbereich,
wahrend die Aktivitaten der deutschen Untemehmen auch in den Bereichen Schule,
Jugend, Sport etc. liegen.
In China verfugen viele groBe Staatsbetriebe neben den erwahnten Kulturzentren und
Ensembles in der Regel auch iiber eigene Zeitungen sowie Femseh- und Radiostationen. So ist es nicht erstaunlich, dass diese Untemehmen, um ihrem kulturellen
und gesellschaftlichen Auftrag nachzukommen, professionelle Musiker, Kiinstler,
Joumalisten und Fachleute ftir ihre Offentlichkeitsarbeit beschaftigen. In vielen Fallen
verdienen diese kulturellen Professionals in staatlichen Untemehmen mehr als bei
anderen kulturellen Stellen. Deswegen werden die Untemehmen von den kulturellen
Professionals als Arbeitgeber bevorzugt.
^^^
^^^
^^^
Vgl. Liu/Tang (1998), S. 420-425
Habisch (2003), S. 7-8
Vgl. ebenda,S. 4-13
Forderung der Motivation, Unterhaltung und Beziehungspflege
167
In Deutschland orientieren sich die Untemehmen in der Regel nur an wirtschaftlichen
Zielen. Ihre betriebliche Struktur und ihr Personaleinsatz werden meist nicht an
gesellschaftliche und kulturelle Uberlegungen gekoppelt. Im Vergleich zu China sind
industrielle Untemehmen in Deutschland fast nie Arbeitgeber fiir Absolventen der
Musik- und Kunsthochschulen oder andere Professionals aus dem Kulturbereich. Aus
dieser Tradition heraus erwarten Mitarbeiter der Untemehmen in Deutschland auch
nicht, direkt vom Untemehmen einen kompletten Kulturservice, wie er vor allem in
chinesischen Staatsbetrieben iiblich ist, zu bekommen. In Deutschland erhalten sie ihn
durch die offentlichen Kulturbetriebe, dort sind die kulturellen Professionals beschaftigt.
Diese in staatlichen chinesischen Untemehmen tief verwurzelte Tradition existiert
zumindest teilweise auch in deutsch-chinesischen Jointventures. Dafur gibt es verschiedene Modelle und Grunde. Zum einen waren die chinesischen Kooperationspartner von vielen heutigen deutsch-chinesischen Jointventures friiher groBe oder
mittlere staatliche Untemehmen. Bei der Uberfuhmng blieb oft die Abteilung fur
Kultur und Propaganda mit ihrer von den chinesischen Partnem geschatzten Funktion
erhalten. Zum Zweiten haben manche Jointventures statt einer Abteilung fiir Kultur
und Propaganda eine modeme betriebliche Abteilung wie z. B. die Abteilung fiir
Public Relations, durch die traditionelle Kulturaufgaben wahrgenommen werden. Zum
Dritten gibt es neben den chinesischen und deutsch-chinesischen Untemehmen Firmen,
die Kulturveranstaltungen im engeren Sinne und rituelle Zeremonien als Dienstleistung anbieten. Viele deutsch-chinesische Jointventures, vor allem kleine Jointventures ohne eine eigene entsprechende Abteilung, nutzen diese Dienstleistung.
Im Vergleich zu rein chinesischen staatlichen Untemehmen haben sich die Aufgaben
der Kulturveranstaltungen in deutsch-chinesischen Jointventures geandert: Sie haben
nur eine geringe oder gar keine politische, aber mehr Unterhaltungs- und Motivationsfunktion. Aus wirtschaftlichen Griinden betreiben nur wenige deutsch-chinesische
Untemehmen noch ein eigenes Kulturzentmm oder haben eigene Ensembles. Sie
nutzen normalerweise die Dienstleistungen von privaten und offentlichen Kulturbetrieben - Konzerthausem, Theatem, Galerien, Museen, Karaokehallen - fiir betriebliche oder auch private Versammlungen und Unterhaltung.
168
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
Karaoke ist eine Gesangsdarbietung bekannter Lieder zu vorgefertigter Musikbegleitung. Als Karaoke in den 1960er Jahren in Japan entstand, nutzte man lediglich
Mikrophon und Musik vom Tonband. Heute wird Karaoke mit CD, DVD, Femsehen
und Computertechnik betrieben. Wahrend es in Europa bis heute nicht erfolgreich ist,
iibemahm das Festland Chinas diese populare Unterhaltungsform am Ende der 1980er
aus Taiwan. ^^^ Bis Anfang der 1990er Jahre verbreitete sich Karaoke landesweit in
China und hat sich inzwischen mit chinesischen traditionellen Sitten - Teekultur,
Esskultur, Theater usw. - vermischt. So bezahlen die Besucher fur das Karaoke, das
von 10 bis 30 Yuari^^^ pro Stunde pro Person kostet. Tee, westliche Softdrinks und
chinesischer Imbiss werden dazu kostenlos serviert. In der Kegel braucht man nur fur
alkoholische Getranke extra zu bezahlen.
Wahrend die groBen deutsch-chinesischen Jointventures, zum Beispiel das Untemehmen Nr. 11 und Nr. 19, durch Belohnungskonzerte und -theater erhebliche fmanzielle
Anstrengungen zur Motivation ihrer Mitarbeiter untemehmen, versuchen die mittelstandischen Jointventures dasselbe Ziel durch andere kulturelle, vor allem musikalische Formen mit geringerem Aufwand zu erreichen. Dabei ist Karaoke die am
weitesten verbreitete Form. Die meisten mittelstandischen Untemehmen, aber auch
einige groBe, nutzen sie.
Nach einer Untersuchung der Zeitschrift Neweekly im Jahr 2002 in sieben chinesischen GroBstadten (Peking, Shanghai, Kanton, Chengdu, Wuhan, Shenzhen und
Taipeh) sind Untemehmen, deren Beschaftigte und Geschaflsleute die wichtigsten
Zielgmppen fiir Karaoke.^^^ Im Interview der Neweekly sagte Herr Lin, Abteilungsleiter eines staatlichen Untemehmens: „In Peking gibt es viele Kulturveranstaltungen
wie z. B. Theater, Konzert, Ausstellung usw. zur Auswahl. Karaoke ist die beste
Auswahl ftir eine Veranstaltung fur uns gemeinsam, weil dabei alle Kollegen in
unterschiedlichem Alter eigene Lieblingslieder haben und mitmachen konnen."^^^
328
329
330
331
Vgl. Li (2002), S. 227-231
Etwal-3 Euro. Zum Vergleich war das Jahresgehalt in Peking im Jahr 2002 durchschnittlich
21.852 Yuan (etwa 2.100 Euro).
Vgl. Li (2002), S. 232-240
Ebenda, S. 232-233, Ubersetzung des Verfassers
Forderung der Motivation, Unterhaltung und Beziehungspflege
169
In der Untersuchung fur diese Arbeit wurde bestatigt, dass Karaoke eine sehr
praktische Veranstaltung fiir die deutsch-chinesischen Jointventures und ihre Angestellten ist. In vielen Fallen ist die Unterhaltung nur eine unwichtige Seite. Wichtig ist
vor allem, dass deutsche und chinesische Ftihrungskrafle, Mitarbeiter usw. dabei ohne
Biirokratie, ohne Beachtung der Hierarchie und ohne Gefahr ihr „Gesicht" zu verlieren
miteinander reden, sich austauschen, sich zeigen oder beklagen, anhoren oder horen
lassen konnen. AuBer den Beispielen, die wahrend der Untersuchungen zu dieser
Arbeiter beobachtet wurden, ^^^ haben einige erfahrene deutsche Manager von
ahnlichen Beispielen berichtet: „Hier erleben Sie den eiskalten Verhandlungspartner
vom Nachmittag, Herr liber ein Stahlwerk mit 100.000 Beschaftigten, wie er mit
Tranen in den Augen ein Liebeslied singt. Und dabei kein Gesicht verliert !"^^^
Deswegen wird Deutschen, die in China beschaftigt sind, empfohlen, besser gleich ein
deutsches Volkslied einzustudieren. Und „ein gelungener Karaokeabend wird ein guter
Meilenstein sein auf dem Weg zu einer freundschaftlichen Beziehung"^^"^ zwischen
den deutschen und chinesischen Partnem.
Die Karaokehallen bedienen auch gezielt Jointventures und auslandische Besucher.
Viele von ihnen haben eine groBe Auswahl an Liedem aus dem Westen. Einige groBe
Anbieter haben getrennte und ruhige Gesprachszimmer zur Verftigung. Viele der
mittelstandischen Untemehmen, auch deutsch-chinesische Jointventures, veranstalten
dort betriebliche Besprechungen, um direkt danach entspannen und feiem zu konnen.
Weiterhin sind Karaoke und alle anderen Kultureinrichtungen fur die Jointventures
ideale Orte zur Kundenbindung.
Dadurch haben die Jointventures gute Verbindungen zu offentlichen Kultur-betrieben
hergestellt. Diese offentlichen Kulturbetriebe werden iiberall in China sowohl von den
Regierungen als auch von normalen Burgem hoch geschatzt und haufig genutzt.
Daruber hinaus unterstiitzen die deutsch-chinesischen Jointventures offentliche Kulturveranstaltungen. Dadurch erhalten die Jointventures nicht nur gute Images, sondem
auch wichtige Kommunikationskanale zu Gesellschaft und Politik auf jeder Ebene.
Welche Bedeutung dieser Beziehungspflege zukommt, wird in der Begrundung fur
den Untemehmenserfolg durch den Untemehmenssprecher des Untemehmens Nr. 19
332
^^^
Vgl. Beispiele vom Untemehmen Nr. 1 im Kapitel 5.3
Vermeer (2002), S. 182
Ebenda
170
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
deutlich, der neben einer chinaorientierten Strategic und einem deutschen Managementkonzept die guten Beziehungen zu Politik und Gesellschaft zu den drei wichtigsten Erfolgsfaktoren zahlt.^"^^
Sind die Unterstiitzung und Teilnahme der kulturellen Veranstaltungen im engeren
Sinne die einzige Methode, um gute Images und harmonische Beziehungen in China
zu gewinnen?
Ftir die rein staatlichen Untemehmen gibt es daneben vielfaltige Moglichkeiten, wie
zum Beispiel den Bau einer Grundschule als Spende fur Erziehung im landlichen
Armutsgebiet, durch Technikaustausch und -unterstiitzung unter Koordination der
Regierung mit anderen staatlichen Untemehmen oder durch Guanxi (M ^ ) - die
chinesische Form eines komplexen sozialen und politischen Netzwerks^^^, das vor
allem auf gegenseitigem Vertrauen, Loyalitat sowie standigem Geben und Nehmen
basiert. Diese Moglichkeiten sind ftir deutsch-chinesische Untemehmen, insbesondere
aus der Sicht der deutschen Kooperationspartner, nicht akzeptabel: Ein Technikaustausch mit einem rein chinesischen Untemehmen ist aus Furcht vor moglicher
Konkurrenz unvorstellbar. Eine Spende, zum Beispiel fur den Bau einer Gmndschule,
ist zwar gut, trifft aber in der Regel nicht die Zielgmppe. Viele rein chinesische
Untemehmen spenden flir so genannte „Hoffnungsgmndschulen" in armen Gebieten.
Als Gegenleistung unterstiitzen die lokalen Regiemngen diese Untemehmen dabei, vor
allem billige Produkte des taglichen Bedarfs in den lokalen Markten zu platzieren.
Diese Untemehmen und ihre Produkte sind dann wegen der Spendeaktivitaten den
lokalen Kunden auch in der Breite bekannt und willkommen. Ftir die meisten deutschchinesischen Jointventures kommt diese Vorgehensweise nicht in Frage, weil sie in der
Regel hoch entwickelte Produkte anbieten, die ftir Kunden aus armeren Gebieten nicht
erschwinglich sind.
Obwohl das Gwa«x/-Netzwerk tiberall in China von einzelnen Personen bis zu groBen
Untemehmen und Institutionen effektiv genutzt wird, bleibt es ftir die deutschen
Untemehmer nur schwer oder gar nicht zuganglich. So wird z. B. von einem deutschen
^^^
^^^
Vgl. Wang/Xia (2005)
Vgl. Trommsdorff / Wilpert (1991), S. 12ff.; vgl. Schuchardt (1994), S. 80ff.; vgl. Ivens (2002),
S. 105-123; vgl. Guan (2004), S. 44ff.
Forderung der Motivation, Unterhaltung und Beziehungspflege
171
Ratgeber fiir Geschaftsbeziehungen darauf hingewiesen, dass deutsche Untemehmer
und Geschaftsleute „in der VR China starker als in anderen Landem sich selbst
personlich sowie die eigene Freizeit auBerhalb des Buros einbringen sollen und (...) es
regelmaBig zu dem Versuch kommt, den Geschaftspartner unter den Tisch zu
trinken"^^^. Dieses fallt deutschen Managem und Mitarbeitem vergleichsweise schwer.
Weiterhin „umfassen die Beziehungsinvestitionen prestigetrachtige Auslandsreisen fur
Chinesen, westliche Luxusgiiter oder gar die Finanzierung des Auslandsstudiums der
Kinder (...)"^^^, was nach deutschen MaBstaben in vielen Fallen als Korruptionen
gesehen wird.
Zur Losung des Dilemmas, dass einerseits „Management in China in vielen Fallen
automatisch Beziehungsmanagement"^^^ ist, andererseits in diesem Zusammenhang
die Abgrenzung zur Korruption Schwierigkeiten bereitet, haben die deutschchinesischen Jointventures einen anderen Weg erfolgreich versucht. Dabei werden von
Jointventures die Teilnahme an und die Unterstiitzung von Kulturveranstaltungen im
engeren Sinne bevorzugt. Die chinesischen Partner bewegen sich dabei im Rahmen
ihrer vertrauten Tradition, wahrend die deutschen das ihnen bekannte Sponsoring
wieder fmden.
Die Besucher solcher Kulturveranstaltungen, Jugendliche und
wohlhabende Burger, sind in der Regel auch die ideale Zielgruppe fur Produkte der
Jointventure, z. B. Autos, modeme Hausgerate, Kosmetik etc. Daruber hinaus pflegen
die Untemehmen durch solche Veranstaltungen harmonische Beziehungen zu Politik
und Gesellschaft. Sie haben zwar gesellschaftliche, politische und ideologische
Bedeutung, bringen aber keinen direkten wirtschaftlichen Gewinn. Dennoch zeigen
sich Politik und Gesellschaft gegentiber Untemehmen, die an Kulturveranstaltungen
teilnehmen oder solche sponsem, dankbar und revanchieren sich der chinesischen
Tradition folgend bei passender Gelegenheit. So ist die Unterstutzung der Kulturveranstaltungen fur deutsch-chinesische Jointventures zwar nicht die einzige, aber die
beste Auswahl.
Das Untemehmen Nr. 11 ist das einzige deutsch-chinesische Jointventure in den untersuchten 21 Gemeinschaftsuntemehmen auf dem Festland, dessen chinesischer Kooperationspartner nicht ein staatliches, sondem ein privates Untemehmen ist. Trotzdem
^^'^
"^
Ivens (2002), S. 118
Ebenda
Ebenda, S. 109
172
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
gelten die oben genannten Prinzipien auch hier. Dieses Jointventure fiir Sonnenenergie
und Umweltschutztechnik wurde im Jahr 2001 gegrundet. Kurz danach wurde von
Mitarbeiten eigens ein Untemehmenslied komponiert, das bei betrieblichen Versammlungen, Empfangen wichtiger Gaste usw. gesungen wird. Innerhalb des Untemehmens
werden kleine Konzerte und Theaterstucke mit Themen zur Motivation und Zusammenarbeit von Mitarbeitem des Jointventures selbst gespielt und vorgefiihrt. Im
lokalen Bereich untersttitzt das Jointventure offentliche Kulturveranstaltungen wie
zum Beispiel Pop- und Klassikkonzerte, Malereiausstellungen sowie FuBballspiele, bei
denen Firmenmannschaften mitspielen. Auch bei den Gesamtversammlungen zum
Jahresanfang und -ende sowie bei Jubilaumsveranstaltungen, Friihlingsfestfeiem o. a.
werden lokale Gruppen und Ensembles engagiert. Haufig wird eine Mischung aus
Musik, Theater und Tanz von Profis und Mitarbeitem gemeinsam vorgefuhrt
(Abbildung 5-8). Beim Empfang wichtiger Gaste wie seinerzeit beim Besuch des
deutschen AuBenministers Joschka Fischer bei der Eroffnung einer neuen Werkstatt
dieses Jointventures im Juli 2004 werden die Vorfuhrungen durch das Tragen
traditioneller Kleidung und die Beachtung strenger traditioneller Etikette und
Zeremonien erganzt (Abbildung 5-9).
Abbildung 5-8:
Untemehmenskonzert zum Neujahrs- und
Friihlingsfest
Abbildung 5-9:
Eroffnung einer neuen Werkstatt
Auf die Frage, ob es sich lohne Geld und Zeit in interne und lokale kulturelle Veranstaltungen zu investieren, antwortete der Geschaftsfuhrer sehr iiberzeugt: „Absolut!".
Unterstiitzung, Organisation, Einstudierung der Kulturveranstaltungen und ihre Vor-
Forderung der Motivation, Unterhaltung und Beziehungspflege
fuhrungen seien „wichtige Aufgaben des Betriebsmanagements". Er meint, dass die
Nutzung von Kulturveranstaltungen im engeren Sinne Umsatz und Gewinn des Jointventures nicht direkt erhohe, aber mittelbar durchaus positiven Einfluss habe.
5.6
Wege fur Kulturaustausch
Neben reinen Austauschprogrammen stellen die Kulturfaktoren im engeren Sinne in
den deutsch-chinesischen Untemehmen wichtige Wege fur den Kulturaustausch zwischen Deutschland und China dar. Dabei kann man drei Kategorien unterscheiden:
1. In der Vorbereitungsphase eines Jointventures
In den Untersuchungen zu dieser Arbeit wird auch von deutschen Seiten bestatigt, dass
die Gesprache zwischen zwei Untemehmen iiber die Moglichkeit ein Jointventure zu
formieren sehr oft wahrend verschiedener Kulturveranstaltungen stattfanden. Der
deutsche Leiter des Untemehmens Nr. 10 hat Folgendes berichtet. Im Jahr 2000, als er
seine Arbeit bei einem deutschen Hilfsprojekt in China beendet hatte und nach einer
Stelle suchte, erhieh er eine freundliche Einladung zum intemationalen Bierfest der
Provinz Shandong, das das Miinchener Oktoberfest als Vorbild hat und jahrlich in der
Kustenstadt Qingdao stattfindet. „Ich dachte, das sei nur eine Einladung zur Unterhaltung wegen meines Engagements bei dem Projekt. Ich kam und stellte fest, dass das
Bierfest nur ein Teil des ganzen Programms war. Parallel zum Bierfest fanden noch
zwei wirtschaftliche Veranstaltungen statt." Eine von ihnen war eine Informationsmesse fiir Markt- und Kooperationsmoglichkeiten in der Provinz. Die andere beinhaltete ein vertiefendes Programm fiir die auslandischen Untemehmen, die Investitionen in dieser Provinz beabsichtigten. Er und andere Auslander mit ahnlichem
Hintergmnd waren auch zu der Informationsmesse eingeladen und wurden gebeten,
iiber die wirtschaftlichen Moglichkeiten in der Stadt Qingdao in ihren jeweiligen
Heimatlandem zu berichten. „An einem Bierstand habe ich eine deutsche Gmppe, die
zu dem vertiefenden Programm eingeladen war, kennen gelemt. Fiir das im Aufbau
befmdliche Jointventure suchten sie gerade nach einem Manager in China. So hatte ich
das Gliick, diese Stelle zu bekommen."
173
174
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
Kulturprogramme wie die oben genannten werden normalerweise von der lokalen
Regierung und den Untemehmen gemeinsam organisiert. Die Programme sind in
erster Linie chinesisch und traditionell wie z. B. Theater, Volkskunde, Volksmalerei.
Sie werden gezielt ausgewahlt oder extra veranstaltet und dabei immer von der lokalen
Regierung unterstiitzt. Dieses Vorgehen hat zum einen in China Tradition, wird aber
auch durch die Uberlegung, in der kulturellen Globalisierung die chinesische Kultur zu
betonen, gefordert.
Dariiber hinaus gab es am Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts eine landesweite
Debatte, inwieweit man, um westliche Investitionen anzulocken, westliche Kultur in
die chinesische integrieren oder die traditionelle chinesische Kultur betonen soil.
Versuche mit „rein westlicher Kultur" westliche Investitionen anzulocken waren
meistens nicht erfolgreich. Als Resultat dieser Debatte halt die Zentralregierung in
Peking fest, dass „die nationale Kultur gleich der globalen Kultur" ist und schlagt
weiter vor, bei solchen Kulturveranstaltungen „die Kultur mit chinesischen lokalen
Merkmalen"^"^^ zu betonen.
Seit Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts haben viele lokale Regierungen
diesem Vorschlag folgend Kulturveranstaltungen organisiert. Ziel war es, durch diese
Kulturveranstaltungen mit starker traditionell-chinesischer Pragung auslandische
Untemehmer, Geschaftsleute, Investoren usw. anzulocken. Mit dieser MaBnahme
hatten die lokalen Regierungen groBen Erfolg. Er zeigt sich deutlich in der
Investitionsstatistik dieser Zeit. Aber der Erfolg hatte auch Nebenwirkungen: Da vor
allem die alte chinesische Kultur im Westen „auf Akzeptanz stieB"^'^^ wurde sie auch
haufig thematisiert. So zum Beispiel in Spielfilmen wie Raise the Red Lantern (1991)
oder To Live (1994), die zwar intemationale Preise in Berlin und in Cannes gewonnen
haben, aber als Quelle zur Information uber das aktuelle China wenig tauglich waren
und Vorkenntnisse iiber China und Chinesen bei Deutschen eher negativ beeinflussten.
Raise the Red Lantern schildert die Geschichte eines reichen Geschaftsmanns und
seiner vier Frauen im armen Westchina zu Beginn des 20. Jahrhunderts. To Live
beschreibt das Leben einer normalen Familie von der Zeit kurz vor der Griindung der
Volksrepublik und bis zum Ende der Kulturrevolution. Das typische Leben und die
typische Verhaltensweise in der damaligen Zeit sind von der heutigen grundsatzlich
340
341
Liu/Ru (1993), Ubersetzung des Verfassers
Wang (2004), Ubersetzung des Verfassers
Wegefur Kulturaustausch
175
verschieden. Deutsche, die diese Anderungen nicht kennen, konnen dieses nicht ohne
weitere Inforaiationen unterscheiden. Hier zeigt sich ein Beispiel fiir den durch die
Untersuchungen zu dieser Arbeit bestatigten durchaus auch negativen Einfluss der
Medien in der Phase des Erwerbs von Vorkenntnissen iiber Chinesen und China auf
potentielle Partner ftir Jointventures.
2. Binnenwirkung im laufenden Jointventure
Auf Grund der engen Zusammenarbeit in einem Jointventure ist das Interesse der
deutschen und chinesischen Mitarbeiter mehr iiber die jeweils andere Kultur zu
erfahren ausgepragt. In dieser Phase wird es haufig nicht nur durch organisierte
Kulturveranstakungen, sondem auch auf individueller und pragmatischer Basis
gefSrdert. So wurde in den Untersuchungen zu dieser Arbeit beispielsweise ermittelt,
dass die Geschenke, die zwischen deutschen und chinesischen Mitarbeitem und auch
zwischen deutschen und chinesischen Gemeinschaftsuntemehmen ausgetauscht werden, zum groBen Teil Dinge sind, die typische deutsche oder chinesische Kultur
transportieren, zum Beispiel CDs der deutschen klassischen Musik oder chinesische
traditionelle Kunstwerke. Diese „kulturellen Geschenke" wurden nicht nur in den
Beobachtungen zu dieser Arbeit bemerkt, deutsche Untemehmer mit China-Erfahrung
berichten auch dariiber.^"^^
3. AuBenwirkung im laufenden Jointventure
Viele Jointventures befinden sich in regem kulturellen Austausch mit ihrer direkten
Umgebung durch Veranstaltungen, Sponsoring usw. Durch weiteren Ausbau, wie z. B.
die „German Town" in Shanghai,^"^^ das Internationale Bierfest in Qingdao^"^"^ usw.,
werden nicht nur neue „Buhnen" fiir neue Jointventures angeboten, sondem weitere
Kanale fur den Kulturaustausch zwischen Deutschland und China genutzt. Die Beispiele auf dieser Ebene sind ebenfalls Beispiele far die Mitwirkungsfunktion der
Kultur der deutsch-chinesischen Untemehmen. Kulturaustausche auf dieser Ebene
wurden von Kulturwissenschaftlem Chinas als Vorbild des Mottos „nicht Kultur fur
Kultur, sondem Kultur fiir Gewinn"^"^^ hoch geschatzt. Solche Austausche werden von
^"^^ Vgi. Granier (2002), S. 25
^"^^ Vgl. Kapitel 6.4
^"^^ Vgl. Kapitel 3.6.2.2
345
Tang (2005), Ubersetzung des Verfassers
176
Kapitel 5: Die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne
den lokalen Regierungen kraftig unterstiitzt. Dadurch konnen sie eine entsprechende
Infrastruktur ftir Kulturveranstaltungen auf- und ausbauen sowie wirtschaftliche und
politische Erfolge erzielen. AuBerdem erhalten die lokalen Behorden in diesem Fall
auch politische Unterstiitzung von hoheren chinesischen Regierungsstellen oder finanzielle Hilfe von verschiedenen deutschen Institutionen oder Stiftungen wie z. B. von
der deutschen Botschaft, dem DAAD oder der Hanns-Seidel-Stiftung.
5.7
Fazit
In diesem Kapitel wird zuerst ein Blick auf die Kulturrevolution - die wichtige kulturelle und politische Epoche in der Geschichte der Volksrepublik China - geworfen,
um die heutige Rolle der Kulturfaktoren und ihre Entwicklung in China besser verstehen zu konnen.
Im Weiteren werden aus den Untersuchungsergebnissen fur die Betrachtung der Rolle
der Kulturfaktoren im engeren Sinne funf Hauptfunktionen abgeleitet:
- Quelle der Vorkenntnisse und Vorurteile
- Briicke zwischen den zwei Kulturen
- Instrumente zur Pflege des Untemehmensimages
- Forderung der Motivation und Unterhaltung
- Wege fiir Kulturaustausch
Die Kulturfaktoren im engeren Sinne - Musik, Theater, Film, Literatur, Malerei usw. spielen eine wichtige Rolle in der Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures. Diese Rolle und Funktionen sind vor allem aus der Tradition der chinesischen
Kultur entstanden. In deutsch-chinesischen Jointventures gibt es iiber die in alien
Untemehmen mehr oder weniger ubliche Atmosphare des Arbeitens an gemeinsamem
Zielen hinaus eine Mischung von Kulturen, die von deutschen und chinesischen
Mitarbeitem in der Regel gemeinschaftlich akzeptiert wird. Durch die gegenseitige
Anerkennung als Kulturland gehoren die Kulturfaktoren im engeren Sinne fur beide
Seiten in den Jointventures zu den akzeptierten Faktoren der Untemehmenskultur.
6
Die Rolle der Kulturfaktoren im weiteren Sinne
Wegen des engen Zusammenhangs der Kultur im engeren und der Kultur im weiteren
Sinne haben sowohl die Untersuchung als auch die Ergebnisse dieser Arbeit unvermeidlich die Kultur im breiteren Sinne getroffen, obwohl sich die Arbeit hauptsachlich
auf die Kulturfaktoren im engeren Sinne fokussiert hat. Fiir die Zielerreichung dieser
Arbeit ist dieses aber sehr wichtig. Einerseits sind die Kulturfaktoren im engeren Sinne
in den Untemehmen ein Teil einer Mischung aus der jeweiligen Untemehmenskultur
sowie deutscher, chinesischer und globalisierter Kultur. Die drei letztgenannten
werden dem breiteren Kulturbegriff zugerechnet. Anderseits hat die Kultur im
weiteren Sinne in China eine naturliche Tendenz sich mit der Kultur im engeren Sinne
zu vermischen.
6.1
Untemehmenskultur - Chinesischer Kern und westlicher Uberbau
In der Untersuchung haben die Gesprachspartner von alien 26 deutsch-chinesischen
Untemehmen angegeben, dass in ihren Untemehmen die Kulturfaktoren im engeren
Sinne defmitiv existieren und bewusst genutzt werden. 21 von den 26 Untemehmen
haben die Schwerpunkte ihrer Untemehmenskultur als offizielles Dokument erfasst
und innerhalb des Untemehmens oder auch auf ihren Webseiten veroffentlicht. Aber
nur drei von ihnen haben Kulturveranstaltungen im engeren Sinne als festen Bestandteil in die Untemehmenskultur geschrieben. Obwohl die Kulturfaktoren im engeren
Sinne in den anderen 23 Untemehmen existieren und als effektive Instmmente genutzt
werden, gehoren sie offiziell nicht direkt zur Untemehmenskultur des Untemehmens.
Diese Beobachtung lasst sich aus der unflexiblen Ubemahme des westlichen Begriffs
Untemehmenskultur erklaren. Als Begriffe wurden Untemehmenskultur, Organisationskultur usw. in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts von chinesischen Untemehmen und auch von deutschen Untemehmen in China tibemommen. Bei ihrer Ubernahme haben viele Untemehmen aber nicht versucht das westliche Modell chinesischen Eigenschaften und Traditionen im Untemehmen anzupassen bzw. mit diesen
zusammenzufuhren, sondem den westlichen Begriff „einfach kopiert und als eine
178
Kapitel 6: Die Rolle der Kulturfaktoren im weiteren Sinne
modeme Hulle fur die traditionelle chinesische Organisationsweise genutzt"^"^^. Dabei
haben einige chinesische Untemehmen beim Aufbau einer Untemehmenskultur auch
versucht nicht nur in der Praxis Kulturfaktoren im engeren Sinne zu nutzen, sondem
diese auch als Teil der Untemehmenskultur zu veroffentlichen. Das wurde und wird
aber bis heute von einigen chinesischen Theoretikem aus diesem Bereich als „Missverstandnis der Untemehmenskultur"^"^^ kritisiert. So besteht in vielen chinesischen
und deutsch-chinesischen Untemehmen die Untemehmenskultur aus zwei getrennten
Systemen. Das chinesische System bezieht sich im Wesentlichen auf die „Basisannahmen" und das „Symbolsystem" wie z. B. menschliches Handeln, soziale Beziehungen und Rituale, wahrend sich das westliche System auf „Normen und Standards" wie z. B. Produktqualitat und Selbstbewusstsein bezieht.^"^^
Das Untemehmen Nr. 19, zum Beispiel, hat einerseits eine offiziell beschriebene
Untemehmenskultur, wobei es keinen Hinweis auf Nutzung und Teilnahme an Kulturveranstaltungen im engeren Sinne gibt. Andererseits hat dieses Untemehmen in der
Praxis zahlreiche Konzerte, Theater, Musikfestivals usw. unterstiitzt oder daran teilgenommen.^"^^ Die Untemehmenskultur dieses Untemehmens ist wie folgt:
"Spirits:
-
-
Passion, being proactive and friendly;
Efficiency, making every second count and always seeking for the
better;
Self-discipline, abiding by disciplines, regulations and laws, being
self-learning and precise;
Self-confidence, being perseverant, pioneering and innovative;
Business concept:
- Providing customers with best ... cars and service to ensure our
leading position in China's auto market;
346
347
348
349
Being people-oriented. Talents are the most valued assets...
Quality is the life of...
Our purpose is to satisfy all the needs of our customers.
We aim at constant innovation."
Luo/Lin (2003), S. 36. Ubersetzung des Verfassers
Ebenda, S. 37. Ubersetzung des Verfassers; vgl. Wei (2002), S. 6
Vgl. hierzu Kapitel 2.1.6 bzw. Abb. 2-4
Vgl. Beispiele vom Untemehmen Nr. 19 im Kapitel 5.4
Unternehmenskultur - Chinesischer Kern und westlicher Uberbau
179
Diese Niederschrift einer Unternehmenskultur ist vom formalen Wortlaut her fur ein
deutsch-chinesisches Jointventure und auch fiir einen Staatsbetrieb, das den westlichen
Begriff der Unternehmenskultur einfach ubemommen hat, typisch, da sich hier die
iiblichen Floskeln einer modemen Managementauffassung wieder fmden. Im Gesprach
waren allerdings viele Befragte der Auffassung, dass eine solche formulierte Unternehmenskultur einerseits wichtig, andererseits aber eher virtuell oder theoretisch sei.
Sie sei wie eine hiibsche modeme Hiille, die ein Untemehmen heutzutage nicht zuletzt
zur Imagebildung brauche. Zur Problemlosung in der praktischen Realitat eines
Untemehmens wie zum Beispiel bei interkulturellen Normenkonflikten, bei kritischen
Beziehungen zu Politik und Gesellschaft, Konkurrenzdruck usw. sei sie aber weniger
tauglich. Auch wenn verschiedene deutsch-chinesische Untemehmen zu durchaus
unterschiedlichen Losungen in den o. a. Problemlagen kommen, sind fast alle diese
Losungen stark chinesisch-traditionell gepragt. Dabei spielen die Kulturfaktoren im
engeren Sinn eine wichtige Rolle, wie die bereits an mehreren Stellen dieser Arbeit
beschriebenen Beispiele zeigen.^^^
Der Widerspruch, dass die Kulturfaktoren im engeren Sinne in der Textfassung der
Unternehmenskultur ignoriert, aber in der Praxis als wichtige Instrumente genutzt
werden, wird seit etwa Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts allmahlich
zunehmend (insbesondere neu gegriindeten) Staatsuntemehmen und auch deutschchinesischen Jointventures korrigiert. Dafiir gibt es zwei Grunde. Zum einen haben
aufgrund der schnellen Wirtschaflsentwicklung Chinas einige selbstbewusste chinesische Untemehmer versucht Theorien der chinesischen Organisationsweise in den
Begriff der Unternehmenskultur zu iibemehmen. Zum Zweiten wurden aufgrund der
zunehmenden Globalisierung die Nutzung der traditionellen chinesischen Kultur bzw.
die Nutzung der Kulturfaktoren im engeren Sinne von entsprechenden Behorden der
chinesischen Regierung empfohlen.
Im Mai 1994 wurde China Enterprise Culture Improvement Association (CECIA), der
hochste offizielle Verein fur Unternehmenskultur Chinas, gemeinsam vom Ministerium to Kultur und vom Ministerium flir Propaganda gegriindet. Nach der Satzung
des Vereins sind die Ziele:
^^^
Vgl.Kapitel5.3und5.4
180
Kapitel 6: Die Rolle der Kulturfaktoren im weiteren Sinne
-
„den Aufbau und die Verbesserung der Untemehmenskultur fiir alle
Untemehmen in China zu organisieren, zu koordinieren und voran zu
bringen.
-
den Austausch im Rahmen der Untemehmenskultur zwischen chinesischen und auslandischen Untemehmen zu unterstutzen.
die Untemehmenskultur mit sozialistischen und traditionellen chinesischen Kulturfaktoren zu erganzen und zu entwickeln.
den Untemehmen zu helfen, ihre Leistungen im Rahmen der sozialistischen geistigen Zivilisation zu erhohen."^^^
-
Die „traditionellen chinesischen Kulturfaktoren" bedeuten hier im Wesentlichen die
Kulturfaktoren im engeren Sinne, wie an der folgenden Darstellung der konkreten
Aufgaben des Vereins deutlich zu erkennen ist:
-
„Organisieren, Ausfiihren der Kulturveranstaltungen von und fiir
Untemehmen,
-
Bewertung der Ergebnisse beim Aufbau von Untemehmenskulturen und
Verbreitung erfolgreicher Erfahmngen,
Forschung iiber wichtige Themen im Bereich der Untemehmenskultur,
Aufbau eines Informationsnetzwerkes fur Untemehmenskultur,
Unterstiitzung wirtschaftlicher und betrieblicher Aktivitaten durch
Kulturveranstaltungen wie Konzerte, Theater, Sport etc.,
Ausbildung von Musikern und Kunstlern fiir Untemehmen,
Organisation des Austauschs der Untemehmenskultur zwischen chine-
-
Diese Aufgaben werden von sieben verschiedenen Abteilungen - Abteilung fur Konzepte der Untemehmenskultur, fiir Information, fur Kultur und Kunst, fiir internationale Kooperationen, fiir inlandischen Austausch, fiir Forschung und Schulung, fur
Anwendung traditioneller chinesischer Kultur - ausgefiihrt. Darin beschaftigen sich
die Abteilung fiir Kultur und Kunst direkt und die Abteilung fiir Anwendung
traditioneller chinesischer Kultur iiberwiegend mit Kulturfaktoren im engeren Sinne.
Im Jahr 2002 hat die CECIA, mit Genehmigung von und in Kooperation mit dem
Ministerium far Arbeit und Sozialversicherung Chinas, eine neue Stelle - Chief
China Enterprise Culture Improvement Association (1994), Ubersetzung des Verfassers
Ebenda
Unternehmenskultur - Chinesischer Kern und westlicher Uberbau
Cultural Officer (CCO) - fiir staatliche Untemehmen eingerichtet. Ein CCO hat als
Aufgabe die Fiihrung und Entwicklung der Unternehmenskultur in drei
Hauptkategorien:
-
Klassische westliche Unternehmenskultur (Organisation, Philosophie,
Identitat etc.),
- Traditionelle chinesische Unternehmenskultur (Nutzung der Kulturfaktoren
im engeren Sinne),
- Kultur im weiteren Sinne (interkulturelles Management fur Kooperation
zwischen chinesischen und auslandischen Untemehmen).
Bis Ende 2004 hat CECIA 23 CCO-Kurse in zehn Stadten - dazu zahlen die Untersuchungsorte Peking, Shanghai, Jinan und Qingdao - fur staatliche Untemehmen
landesweit durchgefiihrt.
Die CECIA ist nicht der einzige Verein, der die Kulturfaktoren im engeren Sinne als
Bestandteil der Untemehmenskultur sieht und sie fiir Aufbau und Entwicklung der
Untemehmenskultur nutzt. Dariiber hinaus gab es bis Ende 2004 landesweit in China
auf Provinz- und Stadtebene noch ca. einhundert unabhangige lokale Vereine fiir
Untemehmenskultur. ^^^ An alien sechs Untersuchungsorten dieser Arbeit gibt es
eigene Vereine fur Untemehmenskultur. Viele von ihnen versuchen in Kooperation
mit lokalen Kulturbehorden die Nutzung der Kulturfaktoren im engeren Sinne in
Untemehmen zu unterstiitzen.
Den Hinweisen und Anregungen der CECIA und der lokalen Vereine folgend haben
zunehmend Untemehmen beim Aufbau ihrer Untemehmenskultur die Kulturfaktoren
im engeren Sinne in Praxis und Theorie genutzt. Daruber hinaus sind die Ergebnisse
und die Anzahl der Kulturveranstaltungen, die ein Untemehmen organisiert oder
engagiert, aus der Sicht der zustandigen staatlichen Behorden ein wichtiger Teil des
Untemehmenserfolgs.
Obwohl die CECIA und die lokalen Vereine ihre Arbeitsschwerpunkte im Wesentlichen auf staatliche Untemehmen konzentrieren, sind die Jointventures in China,
insbesondere ihre chinesischen Untemehmenspartner und Mitarbeiter ebenfalls beeinflusst worden. In der Untersuchung fur diese Arbeit wurde beobachtet, dass die
China Enterprise Culture Improvement Association (1994), Ubersetzung des Verfassers
181
182
Kapitel 6: Die Rolle der Kulturfaktoren im weiteren Sinne
Teilnahme an Kulturveranstaltungen ftir die Mitarbeiter eines Jointventures nicht nur
Unterhaltung bietet, sondem auch der Karriere forderlich sein kann. Fiir diejenigen,
die sich in Kulturveranstaltungen profilieren konnten, bietet das Jointventure Vorteile,
von kleinen Zuschussen, Lob im Untemehmen bis hin zum Aufstieg am Arbeitsplatz.
Herr Liu, Vizedirektor des Untemehmens Nr. 10 und Leiter ftir den Aufbau der
Untemehmenskultur, beantwortete die Interviewfrage „Warum sollte die Teilnahme an
der Kulturveranstaltung zum Aufstieg am Arbeitsplatz fiihren?" dahin gehend, dass
„ein guter Mitarbeiter, ein guter Gruppen- oder Abteilungsleiter mehrere Fahigkeiten
haben soil, und weil eine kulturelle Fahigkeit bei der Organisation, der Kundenbindung und der Motivation hilft".
Untersuchungsergebnisse der Zeitschrift Neweekly ^^"^ haben gezeigt, dass diese
Vorgehensweise auch in normalen chinesischen Untemehmen ublich ist. Dabei
berichtete eine Mitarbeiterin aus einem staatlichen Untemehmen, dass „im Betrieb
sehr oft Karaoke-Wettbewerbe veranstaltet werden und die Gewinner deutlich mehr
Chancen bei Aufstieg und Lohnerhohung haben" ^^^. Ein Untemehmer in Kanton
berichtete, dass er pro Woche mindestens einmal zum Karaoke geht, „nicht um selbst
zu singen, sondem um Kunden zu begleiten"^^^.
Historisch basieren die Anfordemngen an kulturelle Fahigkeiten der Mitarbeiter auf
der chinesischen Tradition, dass „Leute mit Kultur" als „Edle" bezeichnet wurden und
jeder „Edle" vier verschiedene kulturelle Fahigkeiten konnen musste.^^^ Aus dieser
Uberlegung und aus erfolgreichen Erfahmngen in der Praxis heraus versuchen die
chinesischen Untemehmen und auch deutsch-chinesische Jointventures ihre Mitarbeiter als „Edle" auszubilden, in der Hoffnung, dadurch selbst als „edle Untemehmen" angesehen zu werden.
Das Untemehmen Nr. 11, das im Jahr 2001 gegrundet wurde, macht zum Beispiel in
seiner Untemehmenskultur deutliche AuBemngen tiber Kulturfaktoren im engeren
Sinne:
355
356
357
Vgl. Kapitel 5.5
Li (2002), S. 238, Ubersetzung des Verfassers
Ebenda, S. 234, Ubersetzung des Verfassers
Vgl. Kapitel 2. L2
Unternehmenskultur - Chinesischer Kern und westlicher Uberbau
183
„Mission:
-
Der Entwicklung der Gesellschaft dienen.
-
Die Lebensqualitat der Menschen verbessem.
-
Eine weltbekannte Marke fiir neue Energieversorgung aufbauen.
Spirit:
-
Immer versuchen, Produkte bester Qualitat fur den Kunden
herzustellen.
Selbstbewusstsein und Untemehmenstradition sind uns wertvolle
Schatze.
Management:
-
Das Untemehmen praktisch, effektiv und menschlich managen.
Teamarbeit mit deutlichen personlichen Verantwortungen, gemeinsame Nutzung des Wissens und der Erfahrung sind die Voraussetzung ftir gute Leistung.
Personal:
- Personal ist das wichtigste Kapital. Personliche Entwicklung
bedeutet zugleich Entwicklung des Untemehmens.
- Kulturveranstaltungen werden vom Unternehmen angeboten.
Die Teilnahme wird der Belegschaft empfohlen
Lemkonzept:
- Lebenslang lemen und sich entwickeln.
- Lernen mit SpalJ und durch Unterhaltung."^^^
Diese Unternehmenskultur mit Nutzung der Kulturfaktoren im engeren Sinne wurde
nicht nur vorgeschrieben. Viel mehr wurde ein eigenes Kulturzentrum gebaut und
Personal, in der Regel Absolventen der Musik- und Kunsthochschule, eingestellt.
Innerhalb des Untemehmens organisiert das Kulturzentrum regelmaBig Veranstaltungen - Ausstellungen, Konzerte, Filmevorfiihrungen, Theater, sportliche Veranstaltungen etc. Nach auBen hin agiert das Untemehmen durch Kulturveranstaltungen mit
anderen Untemehmen, Behorden usw. Die anderen zwei Untemehmen, die die
Kulturfaktoren im engeren Sinne in ihre Untemehmenskultur geschrieben haben,
flihren zwar kein eigenes Kulturzentmm, engagieren sich aber ebenfalls in verschiedenen Kulturveranstaltungen entweder innerhalb des Untemehmens oder in
offentlichen Kultureinrichtungen.
Ubersetzung des Verfassers
184
Kapitel 6: Die Rolle der Kulturfaktoren im weiteren Sinne
Aus der Sicht der chinesischen Regierung ist es wichtig, dass ein Untemehmen neben
guten Beitragen zu „materieller Zivilisation" auch gute Leistungen im Rahmen der
„geistigen Zivilisation" erbringt. Im Jahr 1979 rief die Zentralregierung landesweit
dazu auf, „neben der Schopfling hoherer materieller Zivilisation auch gleichzeitig
sozialistische geistige Zivilisation durch reiche und bunte Kulturangebote aufzubauen"^^^. Im Jahr 2002 wurde weiterhin aufgefordert „die materielle Zivilisation und
die geistige Zivilisation gleichermaBen fest anzupacken, (...) die vorzuglichen Traditionen der nationalen Kultur zu iibemehmen, die niitzlichen Errungenschaften der
auslandischen Kulturen zu absorbieren.^^^ Damit haben die in der Mao-Zeit systematisch eingerichteten Untemehmensabteilungen fur Propaganda und Kultur, deren
Hauptaufgabe war, die Politik der Zentralregierung zu vertreten und durchzusetzen,
neue Aufgaben im Rahmen der Wirtschaftsreform bekommen. 1980 wurden diese
Hauptaufgaben fur alle zustandigen Kulturbehorden und deren Personal noch einmal
und klarer darin bestatigt, dass die Kultur dem Volk, dem Sozialismus im AUgemeinen
und der Wirtschaft im Besonderen dienen soll.^^^ Dabei ist die Organisation von
Kulturveranstaltungen oder eine Teilnahme an ihnen ein Hauptprinzip fiir eine Leistungsbewertung.
Beispielsweise vergibt die zustandige Regierungsbehorde fur Kultur, Propaganda und
Untemehmen der Provinz Shandong das Pradikat „ausgezeichnete Untemehmenskultur" in zwei Kategorien: allgemeine Ergebnisse und kulturelle Ergebnisse. Fiir die
allgemeinen Ergebnisse der Untemehmenskultur werden bewertet:
-
^^^
„das Zusammenwirken von betrieblicher Organisation, wirtschaftlichen Aktivitaten und kulturellen Veranstaltungen,
die Nutzung der Untemehmenskultur bei der Losung betrieblicher
Probleme,
die Entwicklung und Besonderheiten der Untemehmenskultur,
die Innovation der veralteten Vorschriften, Einrichtungen und
Methoden zur Anpassung an eine modeme Untemehmenskul-
Deng (1979), S. 208, Ubersetzung des Verfassers
Vgl. Jiang (2002)
Vgl. Editorial der Volkstageszeitung (1980)
Ministerium fiir Propaganda der Provinz Shandong, Untemehmensverein der Provinz Shandong
etc. (2000), Ubersetzung des Verfassers
Unternehmenskultur - Chinesischer Kern und westlicher Uberbau
185
Bei den kulturellen Ergebnissen geht es wesentlich um die Resultate im Bereich der
engeren Kultur:
- „Untemehmenszeitungen und Zeitschriften,
- Kunstwerke und Propagandabilder,
- Kulturveranstaltungen und Werbungen,
Das Untemehmen Nr. 11 ist in dieser Provinz beispielsweise insbesondere wegen
seiner erfolgreichen Nutzung der Kulturfaktoren im engeren Sinne von der Provinzregierung seit 2003 als Modelluntemehmen fur den Aufbau einer erfolgreichen Unternehmenskultur ausgezeichnet worden.
6.2
Einfluss internationaler Kultur
China hat sich seit der von Deng Xiaoping eingeleiteten wirtschaftlichen und politischen Reform am Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts selbstbewusst dem
Dialog mit anderen Kulturen und Wertesystemen, insbesondere dem Westen gegentiber, geoffnet. Die Globalisierung hat anschlieBend in den 80er Jahren China beeinflusst, und zwar nicht allein in der Wirtschaft, sondem auch im politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bereich. Obwohl die kulturellen Einfliisse auf China eine
Mischung vor allem von hoch entwickelten Landem sind, spieh die US-amerikanische
Kultur dabei eine ganz besondere Rolle. Viele bekannte Symbole kultureller Globalisierung in China, wie z. B. Popmusik, McDonalds, Hollywood, American English und
das Internet, stammen vor allem aus den USA. Diese Tatsache bedeutet natiirlich nicht
automatisch, dass damit US-amerikanische Werte iibemommen werden. Sie fordert
aber auf jeden Fall eine deutliche Annaherung.
Seit 1981 miissen alle Studenten und seit 1984 alle Schiller in China die englische
Sprache im Pflichtfach erlemen. Auch staatliche Angestellte wurden und werden
aufgefordert, eine Fremdsprache, in der Regel Englisch, zu beherrschen. Diese
MaBnahmen wurden und werden mit Aufstieg und Lohnerhohung der Angestellten
Ministerium fiir Propaganda der Provinz Shandong, Untemehmensverein der Provinz Shandong
etc. (2000), Ubersetzung des Verfassers
186
Kapitel 6: Die Rolle der Kulturfaktoren im weiteren Sinne
verbunden. Sie ftihrten und fiihren im chinesischen Buchmarkt zu steigenden Absatzen
englischer Literatur, original und auch iibersetzt. Ein weiteres Beispiel ist der Einfluss
der HoUywood-Filme in China. Im Zeitraum von 1994 bis 2003 erzielten die
Hollywood-Filme, die nur 10% der Gesamtmenge der gezeigten Filme ausmachten,
landesweit 60% - 70% der Kasseneinnahmen.^^^ Der Film Titanic^^^ alleine spielte
22%) der Kasseneinnahmen im Jahr 1998 ein.^^^
Die deutsch-chinesischen Untemehmen sind ebenso von der amerikanischen Kultur
beeinflusst worden. Bei 35,9% der Befragten stammen ihre ersten Kenntnisse iiber
Chinesen/Deutsche aus amerikanischen Medien. Zugleich haben nur 26,l%o der
Befragten ihre Kenntnisse aus deutschen oder chinesischen Medien entnommen.^^^
56,9%o aller Befragten sprechen in den meisten Fallen mit ihren deutschen/
chinesischen Kollegen Englisch. Dagegen sprechen nur 43,1%) aller Befragten Chinesisch und Deutsch oder Deutsch durch Dolmetscher.^^^ Im Gesprach haben viele Leute,
insbesondere die jungen chinesischen Mitarbeiter, ihre Lieblingsmusik deutlich
genannt: klassische Musik aus Deutschland und Popmusik aus den USA. Dazu haben
viele Chinesen, z. B. die jungen Mitarbeiter in Jointventures, durch Publikationen
amerikanische Erfolgsbeispiele als Vorbilder kennen gelemt. In dem von vielen
chinesischen Hochschulen und betrieblichen Ausbildungen benutzten Lehrbuch wird
das folgende Beispiel als Vorbild chinesischer Untemehmensmitarbeiter genannt, um
damit zu zeigen, dass amerikanische Aktivitatsstandards flexibler und modemer als
traditionelle japanische und chinesische sind.
In einer Tochterfirma Sonys in den USA entdeckte Akio Morita, GrUnder und Chef der
Sony Corporation, einen jungen amerikanischen Mitarbeiter, den er aufgrund seiner
exzellenten Verkaufserfolge und seines Potentials als Nachwuchsfiihrungskraft
forderte. Dazu gehorte eine Einladung in die Hauptverwaltung nach Tokio und deren
Besichtigung sowie Treffen mit wichtigen Fiihrungspersonlichkeiten von Sony. Als
der junge Mann kurz darauf von einem Konkurrenten mit doppeltem Gehalt abgeworben wurde, war Morita sehr verargert, weil dieses in der japanischen wie auch in
364
365
366
367
368
Ni (2005)
Regie: James Cameron, USA 1997
Ma (2002)
Vgl. Frage 2 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Vgl. Frage 6 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Einfluss internationaler Kultur
187
der chinesischen Tradition als Verrat angesehen wird. Einige Monate spater sah der
Ex-Mitarbeiter Morita auf einer Messe. Er vermied nicht - wie Morita dachte - sich
mit ihm zu treffen. Im Gegenteil, er ging absichtlich auf ihn zu, um die neuen Produkte
des Konkurrenten von Sony vorzustellen. „Schuldig oder verraterisch ist er nicht. Das
entspricht dem Aktivitatsstandard amerikanischer Untemehmen."^^^
Diese US-amerikanischen Aktivitatsstandards haben die deutsch-chinesischen Unternehmen, insbesondere ihre jungen chinesischen Mitarbeiter, gepragt. In einem Gesprach in Hongkong hat der deutsche Leiter des Untemehmens Nr. 23 ein ahnliches
Beispiel genannt. Viele junge chinesische Spitzenkrafte, die jahrelang von dem Unternehmen ausgebildet wurden, hatten „wegen nur 50 Cent mehr das Untemehmen
verlassen, um fur andere und vor allem amerikanische Firmen zu arbeiten". In
Gesprachen auf dem Festland wurde das Thema mehrfach wiederholt. Die Mutterfirma
des Untemehmens Nr. 6 hat sogar 2004 in Stuttgart einen Workshop mit dem Schwerpunkt Wiederherstellung der Loyalitdtstradition im Gemeinschaftsunternehmen in
China organisiert. Die deutsch-chinesischen Untemehmen und insbesondere die
deutschen Untemehmensleiter sehen den beschriebenen amerikanischen Einfluss sehr
negativ. Fur die Konkurrenten, insbesondere die amerikanischen Firmen ist das
Gegenteil der Fall. Die deutschen und US-amerikanischen Untemehmen in China
bekampfen einander nicht nur mit Management, Qualitat und Geld, sondem auch mit
Kulturfaktoren. Dabei wird Deutschland, wie vorher geschildert, zwar wegen der
klassischen Musik und Literatur, FuBball usw. von jungen Chinesen bevorzugt, aber
Nike-Schuhe zu tragen, Coca-Cola zu trinken und bei McDonalds zu essen ist in China
in Mode. Durch weitere Gesprache mit jungen chinesischen Mitarbeitem wurde
bestatigt, dass es in der Hauptsache drei Griinde fur einen Wechsel zu einem USamerikanischen Untemehmen gibt: Zum einen ist dieses Verhalten nach USamerikanischem Standard normal. Obwohl es der chinesischen Tradition widerspricht,
wird dieses Verhalten von jungen Chinesen nicht kritisiert, weil diese sich dem
westlich-amerikanischen Wertekanon, von westlich orientierten Medien beeinflusst,
angenahert haben. Zum Zweiten bedeutet die Arbeit far ein US-amerikanisches
Untemehmen fiir die jungen Leute zugleich eine Annahemng an die Quelle der
beliebten Pop-Kulturen. Erst zuletzt locken die 50 Cent mehr Lohn.
^^^
Luo/Lin (2003), S. 7-8, Ubersetzung des Verfassers
188
Kapitel 6: Die Rolle der Kulturfaktoren im weiteren Sinne
Wahrend die amerikanische Popkultur oft der deutschen Kultur vorgezogen wird,
unterliegt im Vergleich der deutschen zur japanischen Kultur oft letztere in der
Wertschatzung durch Chinesen, obwohl Japan weltweit der zweitgroBte Handelspartner und Investitionsland fiir China ist. Einer der Griinde liegt daran, dass aus der
Sicht der Chinesen Japan iiber keine eigene Hochkultur verftigt, da die alte chinesische
Kultur die hauptsachliche Quelle fiir die japanische Kultur darstellt. Im Vergleich dazu
ist es fiir Chinesen erstrebenswert und ehrenhaft, die europaische Kultur sowie die
deutsche Musik und Literatur zu kennen und zu studieren. Ein anderer Grund resultiert
aus der jtingeren Geschichte. Wegen des Angriffs Japans auf China im 2. Weltkrieg
haben viele Chinesen und chinesische Untemehmen nur eine geringe Toleranz gegeniiber der japanischen Kultur oder dem japanischen Managementstil entwickelt. Eine
aktuelle Untersuchung in Shanghai^^^ zeigt, dass von der kulturellen Akzeptanz her
europaische und amerikanische Untemehmen als Arbeitgeber viel attraktiver sind als
japanische. Die Quote der aktiven Abwanderung chinesischer Mitarbeiter aus Unternehmen betrug beispielsweise im Jahr 2002 bei japanischen Untemehmen 24,5%,
wahrend sie bei europaischen und amerikanischen Untemehmen bei 18,8% lag.^^^
Auch die letzte Quote ist im Vergleich zu Firmen in Europa und den USA sehr hoch.
Seit Jahren befmdet sich China im Wirtschaftsboom. In der Industrie konkurrieren rein
chinesische Untemehmen, Tochtemntemehmen der intemationalen Konzeme und
chinesisch-auslandische Jointventures gleichzeitig im jungen chinesischen Markt.
Dadurch ist der Bedarf an jungen und qualifizierten Mitarbeitem hoch. Junge Leute
mit Ausbildung in Management, als Ingenieur usw. haben somit besonders gute
Chancen am Arbeitsmarkt. Deswegen ist die Quote der aktiven Abwandemng chinesischer Mitarbeiter hoch.
6.3
Wandel der Unternehmenskultur
Kultur und Kulturen sind nicht statisch, sondem befmden sich mehr oder weniger
immer in einem Prozess der Verandemng. In den letzten 20 Jahren hat sich die
politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Umgebung in China unter der
^^^
Dai (2005)
Ebenda
Wandel der Unternehmenskultur
189
Reformpolitik und dem Einfluss der Globalisierung und Intemationalisierung sehr
dynamisch entwickelt. Damit haben viele der Denk- und Verhaltensweisen sowie
Weltanschauungen, die friiher als „typisch chinesisch" gekennzeichnet wurden, heute
ganz neue Auspragungen. Das betrifft insbesondere die chinesischen Mitarbeiter in
den Jointventures in China. In den Gemeinschaftsuntemehmen werden mehr Moglichkeiten und Freiheiten angeboten, urn neue Denk- und Verhaltensmodelle ausprobieren
zu konnen. Die Veranderungen betreffen meistens alte chinesische Denk- und
Verhaltensweisen - wie z. B. Abhangigkeit und Bescheidenheit. Aus westlicher Sicht
sind diese Denk- und Verhaltensweisen eher kritisch, weil sie fur modeme Unternehmen nicht geeignet sind.^^^
Fast alle Forschungen in dem betreffenden Bereich, z. B. die Forschung von Hofstede
in den 60er und 70er Jahren, die Meta-Analyse iiber Individualismus-KoUektivismus
und das Regensburger Forschungsprojekt in den 90er Jahren etc., hatten als ahnliches
Ergebnis gezeigt, dass in China im Vergleich zu Deutschland ein hohes MaB von
Kollektivismus, Abhangigkeit, Bescheidenheit und passiver Reaktion herrschte. ^^^
Diese Situation hat sich aber in der jiingeren Vergangenheit allmahlich geandert. Die
Antworten auf die konstruierte Frage Wie trifft man Entscheidungen in Bezug auf seine
Arbeif^^ haben die aktuelle Situation in deutsch-chinesischen Untemehmen aufgezeigt:
Niemand (0%) traf Entscheidungen nach Anweisung. Damit wurde das Problem der
passiven Reaktion uberwunden. Durchschnittlich trafen 35,1% der chinesischen und
33,4% der deutschen Befragten Entscheidungen, ohne sie ihren deutschen oder
chinesischen Mitarbeitem zu erlautem. In der Untersuchung wurde festgestellt, dass
dieser Wert in groBen Jointventures viel hoher ist als in kleinen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass in kleinen Jointventures traditionelle chinesische Denk- und
Verhaltensweisen starker wirken. Uber die Halfte der chinesischen (51,4%)) und
deutschen (57,1%)) Befragten trafen Entscheidungen zusammen mit ihren deutschen
und chinesischen Mitarbeitem. Dieser hohe Prozentsatz weist auf eine weitere Anderung im Verhalten chinesischer Mitarbeiter hin: Die Akzeptanz von Teamwork ist dort
im Gegensatz zu vielen staatlichen Untemehmen deutlich erhoht.^^^
372
373
374
375
Vgl. Schuchardt (1994), S. 128ff; vgl. Duerkop (1996), S. 144ff.
Vgl. Hofstede (1993), 65ff; vgl. Oyserman/Coon/Kemmelmeier (2002); vgl. Thomas/Schenk
(1996), 59ff
Vgl. Frage 8 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
Vgl. Frage 8 und die Ergebnisse, Kapitel 4.2
190
Kapitel 6: Die Rolle der Kulturfaktoren im weiteren Sinne
Fur diese Veranderung gibt es zwei Grunde. Zum Ersten ist es die Bereitschaft der
jungen chinesischen Mitarbeiter ein westliches Konzept der Selbststandigkeit, der
Selbstsicherheit etc. zu akzeptieren. Diese Akzeptanz entwickelte sich nicht nur in den
deutsch-chinesischen Untemehmen, sondem hat ihren Ursprung in Veranderungen in
der vorgelagerten Ausbildung. Seit etwa Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts
haben chinesische Schulen und Hochschulen dieses Konzept empfohlen. Zum Zweiten
sind „self-discipline", „self-confidence" und andere selbststandige Fahigkeiten direkte
Anforderungen von vielen Untemehmen, wie zum Beispiel die Vorschrift vom
Untemehmen Nr. 19.^^^
Die Verandemngen im Kollektivismus und Individualismus sind eine direkte Folge der
interkulturellen Zusammenarbeit in chinesisch-auslandischen Jointventures. In der
Untersuchung gaben viele Befragte, insbesondere junge chinesische Mitarbeiter, an,
dass sie personlich wahrend der Zusammenarbeit die Fahigkeit zu eigenstandiger und
unabhangiger Arbeit, zur selbst-standigen Verantwortung usw. von deutschen KoUegen gelemt oder ein Verstandnis fur IndividuaHsmus, Kollektivismus, Teamarbeit etc.
auf westlichem Standard erreicht hatten.
In Peking schilderte eine 24-jahrige Mitarbeiterin des Untemehmens Nr. 8, dass sie als
Einzelkind einer reichen Familie zwar gut ausgebildet wurde, sie aber, wie viele der
nach Einfuhmng der Ein-Kind-Politik seit 1979 geborenen jungen Chinesen, Schwierigkeiten hatte, sich als Mitglied eines Teams zu verhalten. „Vor meiner Arbeit im
Jointventure dachte ich mir, dass ich auch nach westlichem Standard genug individuell
sei", sagte sie. „Aber durch die personliche Begegnung mit deutschen Kollegen sowie
durch meine personliche Beobachtung bemerkte ich erst, dass mein ,Individualismus'
teilweise typisch chinesisch war. Zum Beispiel hielt ich den Regeln des chinesischen
Gw<7«x/-Netzwerk folgend mein Kundennetzwerk, das ich selbst aufgebaut und betreut
hatte, vor meinen Kollegen geheim. Die deutschen Kollegen verhalten sich aber anders:
Sie bauen das Netzwerk auf und pflegen es in Teamarbeit. Davon habe ich gelemt und
das tue ich jetzt auch. Wahrscheinlich funktioniert das aber nur hier im Jointventure
ohne Probleme."
^'^^ Vgl. Kapitel 6.1
„ China dndern oder sich dndern?"
6.4
„China andern oder sich andern?"
Wie bereits geschildert ist die Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures
eine Mischung aus beiden Kulturen und amerikanischem Kultureinfluss. Als Kooperationspartner mochten die chinesische sowie die deutsche Seite die Managementweise
und die Kultur in der Untemehmung so weit wie moglich nach eigener Gewohnheit
und Tradition gestalten. In der Untersuchung wurde deutlich, dass, je groBer das
Jointventure und je hoher der deutsche Aktienanteil sind, desto ausgepragter sind
deutsche Managementkonzepte, Kultur und Tradition. Die deutsche Verwaltung des
Untemehmens Nr. 19 hatte am Anfang der Zusammenarbeit nach deutscher Tradition
alle auBeren Wande des Untemehmens in WeiB streichen lassen. Diese Entscheidung
widerspricht der chinesischen Tradition, wonach WeiB die Farbe der Trauer ist.
Dennoch halt das Untemehmen die Wandgestaltung seit 20 Jahren durch, obwohl die
Wande zweimal im Monat wegen starker Umweltverschmutzung nachgestrichen
werden mussen. Diese Begebenheit wurde in China lange Zeit positiv gewertet, weil
man die konsequente Ubemahme einer deutschen Untemehmenstradition als einen
Erfolgsfaktor betrachtet.^^^
Mit Unterstiitzung des Untemehmens Nr. 19 baut die Stadt Shanghai seit 2002 in
Anting, wo sich das Untemehmen befmdet, die Anting New Town - eine „German
Town". Die Anting New Town erstreckt sich tiber eine Flache von ca. 5,4 km^. Der
Masterplan wurde von dem deutschen Buro AS&P - Albert Speer und Partner - nach
dem Vorbild der Stadt Weimar geplant. Mehr als 130 bekannte deutsche Architekten
haben fur diesen Plan gearbeitet. „So wird diese German Town durch eine rein
deutsche Landschaft, deutsche Technik, deutsche Architektur, deutsche Kultur und ein
deutsches Konzept gekennzeichnet."^^^
Wenn das Untemehmen seinen Erfolg in China hatte halten konnen, ware seine
komplette Ubemahme der deutschen Kultur und deutscher Managementkonzepte in
dem gemeinsamen Untemehmen wahrscheinlich nicht kritisiert worden. Im ersten
Quartal 2005 allerdings ist sein Absatz in China stark gefallen. Dem Jointventure droht
2005 ein Verlust - der erste Verlust seit 20 Jahren in China. Anlasslich dieses Ein^^^
378
Vgl. Wang/Xia (2005)
Yan (2005), Ubersetzung des Verfassers
191
192
Kapitel 6: Die Rolle der Kulturfaktoren im weiteren Sinne
schnittes haben einige chinesische Kooperationspartner und Forscher die moglichen
Ursachen analysiert. Ihrer Meinung nach liegt die Hauptursache darin, dass das
Untemehmen nicht tief genug in die chinesische Kultur integriert ist.^^^ Der Kulturbegriff hier ist ein deutlich breiterer, der Managementkultur, Untemehmenskultur und
Kulturfaktoren im engeren Sinne umfasst. Untemehmenskulturbezogen wurde einerseits die Annaherung durch Kulturveranstaltungen an die chinesische Kultur und den
chinesischen Markt als richtige MaBnahme bestatigt. Andererseits wurde die komplette
Ubemahme der deutschen Kultur, z. B. die Auswahl der Wandfarbe, mit der
chinesischen Wortwendung „quadratischer Kopf ^^^ als Synonym fur Unflexibilitat
und Burokratie kritisiert. Die Kritiker empfehlen, dass „das Jointventure seine Unternehmenskultur noch mehr lokalisieren solle"^^^ Weiter wird aus der Frage „China
andem oder sich andem"^^^ heraus vorgeschlagen, dass, „da das Jointventure in China
mehr Autos als in Deutschland baut, sich die urspriingliche deutsche Untemehmenskultur und Strategic auch andem soU"^^^
Ruxiang suisu^^"^ - das etwa das Gleiche wie When in Rome do as the Romans do
bedeutet - ist ein altes chinesisches Sprichwort mit konfuzianischen Wurzeln. Bei der
Frage „China andem oder sich andem" kommt diesem Sprichwort eine gmndsatzliche
Bedeutung zu. Demzufolge ist der Vorschlag, dass „sich die urspriingliche deutsche
Untemehmenskultur und Strategic auch andem soil", aus chinesischer Sicht folgerichtig.
Dariiber hinaus handelt es sich hier, insbesondere seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, um ein allgemeines Konzept zur Losung des interkulturellen Problems der
Nutzung der traditionellen chinesischen bzw. konfuzianischen Kultur in China. Wie
bereits betrachtet wurde, hat die Sozialfunktion der Kultur die paradoxe Aufgabe, nach
„aul3en" und „innen" zu wirken.^^^ Hier spielen die chinesische Kultur im Allgemeinen
und der Konfiizianismus im Besonderen dieselbe Rolle auf einer erweiterten Ebene:
379
380
381
382
383
384
385
Vgl. Chen (2005); vgl. Li (2005)
Wang/Xia (2005), Ubersetzung des Verfassers
Ebenda, Ubersetzung des Verfassers
Ebenda, Ubersetzung des Verfassers
Ebenda, Ubersetzung des Verfassers
Original: A ^ ^ ^ #
Vgl. Kapitel 5.4
„ China dndern oder sich dndern? "
193
nach „auBen" fremde Kulturen abzuwehren und nach „innen" fur die Nachhaltigkeit
einer harmonischen Gesellschaft im ganzen Land zu sorgen.
Angesichts der zunehmenden interkulturellen Zusammenarbeit und Globalisierung
reagieren die chinesische Regierung, die chinesischen Untemehmen, die chinesischen
Partner der Gemeinschaftsuntemehmen, die normalen Burger etc. aufgrund eigener
Interessen unterschiedlich. Wahrend zum Beispiel die normalen Burger mehr westliche Filme und Femsehprogramme sehen, mehr Konzerte und Theater direkt aus dem
Westen besuchen sowie das Internet mit mehr Freiheit nutzen wollen, ubt die Regierung scharfere Zensuren beim Import der Kulturprodukte aus und kontrolliert das
Internet strenger.^^^
Bei der Bewahrung der konfiizianischen Kultur allerdings stimmen alle o. g. Schichten,
von normalen Biirgem bis zur Zentralregierung, voUig uberein. Es wurden bereits in
vorigen Kapiteln Beispiele beschrieben, bei denen Kulturfaktoren im engeren Sinne
mit konfuzianischer Auspragung von chinesischen Partnem und Mitarbeitem in
deutsch-chinesischen Jointventures bevorzugt oder automatisch genutzt wurden. Wenn
man diese Nutzung aus der Sicht der breiteren Kultur und der Sicht der staatlichen
Politik betrachtet, wird klar, dass sie wegen ihrer fiinktionalistischen und reflektierten
Resultate angesichts der Globalisierung von der chinesischen Regierung nur unterstutzt und weiter entwickelt werden kann.
Der Prozess des Wiederaufbaus des Konfiizianismus hat sich seit Anfang der 90er
Jahre des 20. Jahrhunderts beschleunigt. Die klassischen konfiizianischen Werke, z. B.
Li Ji {Buck der Riten und Sitten), Lun Yu (Konfuzius Gesprdche) etc., sind immer mehr
als Lehrmaterial eingesetzt worden. Unter den Trainingsmaterialien der CECIA
spielen Ausschnitte dieser konfiizianischen Werke beim Aufl^au eines modemen
Konzeptes fur eine harmonische Untemehmenskultur und interkulturelles Management eine wichtige Rolle.
Dariiber hinaus setzt die chinesische Regierung die konfuzianische Kultur nicht nur als
ein Instrument zur Abwehr der Uberfremdung der eigenen Kultur ein, sondem
verbreitet sie auch aktiv auBerhalb Chinas. So plant beispielsweise die ZentralregieVgl. Ministerium fur Propaganda Chinas, Ministerium fiir Kultur Chinas etc. (2005)
194
Kapitel 6: Die Rolle der Kulturfaktoren im weiteren Sinne
rung Chinas weltweit 100 Konftizius-Institute zu eroffnen, um damit die konfUzianische Kultur auch in fremden Kulturen bekannt zu machen. 1994 wurden das erste
Konfuzius-Institut in Korea und 1995 weitere drei in Frankreich und Deutschland
(jeweils in Berlin und Erlangen) eroffnet. Weiterhin hat die chinesische Regierung in
Kooperation mit der UNESCO anlasslich des 2.556. Geburtstages von Konfiizius
erstmals zeitgleich in 30 Konfuzius-Tempeln in der Volksrepublik China, in der Sonderverwaltungszone Hongkong sowie in Taiwan, Korea, Deutschland, USA und
Singapur Gedenkfeiem veranstaltet.
Ob der aus der Frage „China andem oder sich andem?" hervorgegangene Vorschlag
„dass sich die urspriingliche deutsche Untemehmenskultur und Strategic auch andem
soil" far beide Seiten der Gemeinschaftsuntemehmen Sinn macht, muss in der Praxis
erprobt und bestatigt werden. Auch andere Losungsmoglichkeiten sind denkbar. Dabei
ist allerdings eindeutig, dass, solange die Partnerschaft und Zusammenarbeit sich in
China befindet, die Nutzung der Kulturfaktoren im engeren und im weiteren Sinne
auch fiir deutsche Untemehmer, Manager und Mitarbeiter sinnvoll und notig ist, um
eine nachhaltige Entwicklung und Erfolge der deutsch-chinesischen Jointventures zu
gewahrleisten.
6.5
Fazit
Aus den Untersuchungsergebnissen werden vier der Kultur im weiteren Sinne
zurechenbare Ergebnisse vertiefend abgeleitet. Zum einen gehoren zum chinesischen
Verstandnis des westlichen Begriffs Untemehmenskultur viele traditionelle Inhalte,
die ihre Wurzeln in der Kultur im engeren Sinne haben. Zum Zweiten sind die
deutsch-chinesischen Untemehmen zunehmend von der intemationalen Kultur,
insbesondere der US-amerikanischen Pop-Kultur beeinflusst worden. Zum Dritten
untersucht die Arbeit Individualismus und Kollektivismus als ein typisches Beispiel
ftir Wandel der Untemehmenskultur und kommt zu anderen Ergebnissen als Forschungen vor etwa zehn Jahren. Als viertes werden sowohl Erfolg als auch Misserfolg
Integration deutscher Kultur in China diskutiert.
Fazit
195
Die Kulturfaktoren im weiteren Sinne und die gesamte Kulturumgebung sowie die
Entwicklung der Kulturintegration spielen eine Rolle fiir den Erfolg und die Zukunfl
der deutsch-chinesischen Jointventures. Der deutschen und der chinesischen Kultur
wird dabei einerseits mit Toleranz und Akzeptanz begegnet, andererseits entwickelt
sich die Kulturintegration dynamisch.
Schlussbetrachtung und Ausblick
Fur eine interkulturelle Kommunikation, die darauf basierende wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie den Erfolg beider sind das gegenseitige Verstehen und Vertrauen,
Akzeptanz und Toleranz wichtige Voraussetzungen. Die chinesische und die deutsche
Kultur sind jedoch sowohl in ihrer jeweiligen Geschichte und in ihren heutigen
Auspragungen sehr unterschiedlich und damit flir Menschen, die im jeweils anderen
Kulturkreis agieren, anfangs sehr fremd und bieten auch nach langer Erfahrung immer
wieder fremde und uberraschende Momente. Daraus kann einerseits ein gegenseitiges
Interesse erwachsen einander kennen zu lemen und zu erganzen. Andererseits stellt
dieser sehr unterschiedliche kulturelle Hintergrund die Agierenden immer wieder vor
die Aufgabe die Schwierigkeiten in der Kommunikation und Zusammenarbeit zu
uberwinden. Dieses gilt grundsatzlich und im besonderen Rahmen auch fiir deutschchinesische Wirtschaftsbeziehungen und die Zusammenarbeit in deutsch-chinesischen
Jointventures.
Zwei Rahmenbedingungen sind fur Aufbau und Erfolg der deutsch-chinesischen
Jointventures wichtig. Zum einen basiert jeder Aufbau eines Jointventures in der Regel
auf den gemeinsamen wirtschaftlichen Zielen, die die deutschen und chinesischen
Kooperationspartner haben. Zum Zweiten ist es entscheidend, ob die Mitarbeiter aus
zwei unterschiedlichen Kulturen in den Jointventures problemlos zusammenarbeiten
und ob die Untemehmen sich an die chinesische Gesellschaft und PoHtik gut anpassen
konnen. Dabei spielen die Kulturfaktoren im engeren Sinne - Musik, Theater, Filme,
Malerei, Literatur - eine bedeutende RoUe.
Auf der Basis einer empirischen Forschung, die innerhalb von ca. drei Jahren bei 26
unterschiedlichen deutsch-chinesischen Untemehmen in insgesamt ftinf Stadten und
einer Sonderverwaltungszone durchgefiihrt wurde, hat die Arbeit die RoUe der Kulturfaktoren im engeren Sinne ausfuhrlich betrachtet.
Die gegenseitige Wahmehmung und Einschatzung als Kulturland ermoglicht den kontinuierlichen Kulturaustausch zwischen Deutschland und China. Den Kulturfaktoren
im engeren Sinn kommt dabei eine RoUe als Transportmittel zur gegenseitigen Information zu. Im Weiteren nehmen sie zwei wichtige Funktionen wahr. Zunachst stellen
19 8
Schlussbetrachtung und A usblick
sie einen gemeinsamen Ausgangspunkt fur divergierende Interessen und Meinungen
dar. Daruber hinaus sind sie als ein Teil des betriebswirtschaftlichen Instrumentariums
tief in der chinesischen Tradition verwurzelt. Die chinesischen Untemehmenspartner
und Mitarbeiter sind anders als die deutschen im Umgang mit ihnen erfahren. Fiir die
deutschen Mitarbeiter sind sie zum Teil neu, aber mit Blick auf den Erfolg des Unternehmens akzeptabel.
Die Kulturfaktoren im engeren Sinne - Musik, Theater, Film, Literatur, Malerei usw. spielen in den deutsch-chinesischen Jointventures in den folgenden fiinf Bereichen
eine bedeutende Rolle:
1. Die Medien, vor allem Film und Literatur, sind zunachst fur gegenseitige
Vorkenntnisse, allerdings auch fur Vorurteile von Bedeutung. Daruber hinaus
spielen sie eine wichtige Rolle fur die Bestatigung, Erganzung und Verbesserung der Kenntnisse iibereinander wahrend der Zusammenarbeit zwischen
den deutschen und chinesischen Mitarbeitem.
2. Konzert, Theater und andere kulturelle Veranstaltungen haben eine Bruckenfiinktion zwischen den zwei Kulturen und bzw. zwischen den deutschen und
chinesischen Ftihrungskraften und Mitarbeitem. Zur Uberwindung interkultureller Unterschiede und zur Losung personlicher Konflikte ist diese Briickenfunktion besonders effektiv.
3. Musik, Theater und Malerei werden als Instrumente zur Imagepflege der
deutsch-chinesischen Jointventures genutzt. Durch Untersttitzung von und
Teilnahme an verschiedenen kulturellen Veranstaltungen im engeren Sinne
bauen die Jointventures in der Gesellschaft und bei lokalen Regierungen ein
positives Image auf. So konnen sich die Jointventures in das Geflecht aus
Wirtschafl, Politik, Gesellschaft und Kultur in China besser einfiigen.
4. Durch Nutzung der Einrichtungen innerhalb der Jointventures und - noch
haufiger - der offentlichen Kultureinrichtungen werden Mitarbeiter sowohl
motiviert als auch unterhalten.
Schlusshetrachtung und A usblick
199
5. Als Trager der zwei Kulturen sind die deutsch-chinesischen Jointventures selbst
Orte flir den Kulturaustausch. Die Kulturfaktoren im engeren Sinne spielen eine
bedeutende RoUe bei der Prasentation der chinesischen oder deutschen Kulturen und Traditionen.
Dariiber hinaus betrachtet die Arbeit im Rahmen der Intemationalisierung und
Globalisierung weitere wichtige Punkte im Bereich der Kultur im weiteren Sinne und
der allgemeinen Untemehmenskultur.
1. Die Untemehmenskultur deutsch-chinesischer Jointventures ist zwar auf westlichen Basistheorien aufgebaut, dennoch dominieren die chinesische Kultur und
Tradition.
2. Die Internationale Kultur, insbesondere die amerikanische Pop-Kultur, hat die
deutsch-chinesischen Jointventures und ihre Mitarbeiter signifikant beeinflusst.
3. Unter der Intemationalisierung und Globalisiemng haben sich viele Denk- und
Verhaltensweisen sowie die Weltanschauung der chinesischen Mitarbeiter sehr
dynamisch entwickelt. Das Verhaltnis von Individualismus und KoUektivismus
hat sich merklich in Richtung auf den Individualismus verschoben.
4. Die Breite des Anteils der deutschen bzw. der chinesischen Kultur in deutschchinesischen Jointventures wird vom Anteil an den Investitionen und vom
wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg beeinflusst. Diese Breite verandert sich
dynamisch und fuhrt oft zu Debatten dariiber, ob z. B. in China mehr westliche
Kultur akzeptiert werden soil oder die deutschen Untemehmen in China sich
mehr an die chinesische Kultur anpassen soUen.
Die Entwicklung der deutsch-chinesischen Jointventures in der VR China in den
letzten ca. 25 Jahren zeigt, dass viele Gmndbestandteile der Untemehmenskultur
deutsch-chinesischer Jointventures, z. B. Managementstil, Philosophic, Strategic usw.,
sich sehr dynamisch entwickeh haben, um sich dadurch der schnellen wirtschaftlichen
Entwicklung und der Vertiefung der Globalisiemng anzupassen. Im Vergleich dazu
stellt sich die Rolle der Kulturfaktoren im engeren Sinne ziemlich kontinuierlich und
200
Schlussbetrachtung und A usblick
stabil dar, nicht nur, well sie effektive Instrumente sein konnen, sondem auch, well sie
von der deutschen und chinesischen Seite gemeinsam akzeptiert werden. Deshalb
werden die Kulturfaktoren im engeren Sinne ihre Rolle in deutsch-chinesischen
Jointventures noch eine lange Zeit spielen. Folglich erscheint es sinnvoll und angeraten, weitergehende Forschungen, z. B. einen Vergleich der Ergebnisse des Einsatzes
verschiedener Kulturfaktoren und tiber die Beziehung zwischen Form und Inhalt der
Kulturfaktoren im engeren Sinne in deutsch-chinesischen Jointventures durchzufiihren.
Anhang
Anhang 1:
Schriftlicher Fragebogen
Erster Teil von Frage 1:
Bevor Sie Ihre chines is chen/deutschen Arbeitskollegen personlich kennen lernten,
hatten Sie da bereits Kenntnisse fiber Chines en/Deutsche?
a. Ja.
b. Nein.
Zweiter Teil von Frage 1:
Stimmten diese Kenntnisse mit Ihren personlichen Erfahrungen Uberein?
a. Ja.
b. Nein.
Frage 2:
Aus welchen Quellen stammen Ihre ersten Kenntnisse fiber Chines en/ Deutsche?
a. Deutsche/Chinesische Medien
b. Amerikanische Medien
c. Personliche Erfahrung
d. Erzdhlung von Freunden
Erster Teil von Frage 3:
Wie oft haben Sie in den letzten 3 Jahren im Kino oder zu Hauseper Video/DVD einen
chinesischen oder einen ausldndischen Film fiber China/Deutschland bzw. Chinesen/
Deutsche gesehen?
a. Weniger als 3 Mai
b. 4-6 Mai
c. 7-10 Mai
d. Mehrals 10 Mai
202
Anhang
Zweiter Teil von Frage 3:
Nennen Sie bitte den Titel, der Sie am meisten beeindruckt hat:
.
Erster Teil von Frage 4:
Haben Sie Freunde unter den chines is chen/deutschen Arbeitskollegen?
a. Ja.
b. Nein.
Zweiter Teil von Frage 4:
Was wilrden Sie gem mit einem chinesischen/deutschen Kollegen zusammen machen,
wenn Sie am Wochenende einen Nachmittag zusammen verbringen sollen?
a. Reise/Ausflug
b. Gesprdch fiber die Arbeit
c. Besuch einer traditionellen chinesischen Kulturveranstaltung (Theater,
Konzert usw.)
d. Besuch und Gesprdch in einem Teehaus
Frage 5:
Wie stellen Sie sich die Beziehungen zwischen Ihnen und Ihren deutschen/chinesischen
Kollegen vor?
a. Eher egalitdr
b. Eher hierarchisch
c. Ich mochte eher egalitdr, aber meine chinesischen/deutschen Kollegen
wollen nicht.
d. Ich mochte eher hierarchisch, aber meine deutschen/chinesischen
Kollegen wollen nicht.
Frage 6:
Welche Sprache sprechen Sie in den meisten Fallen mit Ihren deutschen/chinesischen
Kollegen/Mitarbeitern/Vorgesetzten?
a. Deutsch (direkt)
b. Deutsch (durch Dolmetscher)
c. Chinesisch
d. Englisch
Anhangl:
203
Schriftlicher Fragebogen
Erster Teil von Frage 7:
In Bezug auf die Einstellung zu Sex finden
Sie Ihre
deutschen/chinesischen
Kollegen/Mitarbeiter/Vorgesetzte:
a. Konservativ
b. Offen
c. Offener
d. Viel offener
Zweiter Teil von Frage 7:
Diese Einschdtzung beruht auffolgender Quelle:
a. Chinesische Medien
b. Deutsche Medien
c. Amerikanische Medien
d. Personliche Erfahrung oder andere Quelle
Frage 8:
In Bezug auf Ihre Arbeit treffen Sie normalerweise Entscheidungen,
a. ohne sie Ihren deutschen/chinesischen Mitarbeitern zu erldutern.
b. zusammen mit Ihren deutschen/chinesischen Mitarbeitern.
c. indent Sie zuerst die Vorschldge Ihrer deutschen/chinesischen Mitarbeiter
horen.
d. nach Anweisung.
Frage 9:
Bei der Losung eines schweren Problems
milssen Sie mit Ihrem
deutschen/
chinesischen Mitarbeiter reden. Welchen Ort bevorzugen Sie, wenn es moglich ist?
a. BUro in der Arbeitszeit
b. Privater Besuch in der Freizeit
c. Bei einem gemeinsamen Essen
d. In der Pause einer gemeinsamen Kulturveranstaltung
Frage 10:
Wie wurden Sie die Unternehmensgrundsdtze oder einen bestimmten Slogan des Jointventures in Ihrem Buroprdsentieren
lassen?
204
Anhang
a.
AlsPlakat
b. Durch eine chinesische Malerei mit Kalligraphie.
c. Hdufig auswendig aufsagen.
d. Auf Buropapier ausdrucken.
Anhang 2: Themen zum mundlichen Interview
Anhang 2:
205
Themen zum mundlichen Interview
Thema 1:
Gibt es innerhalh des Jointventures kulturelle Veranstaltungen? Hat sich das als sinnvoll herausgestellt? Warum? Unterstutzt das Jointventure aufierhalb des Unternehmens kulturelle Veranstaltungen? Warum?
Thema 2:
Stimmen Ihre Kenntnisse aus Medien uber Deutsche/Chinesen mit Ihren personlichen
Erfahrungen uberein? Konnen Sie ein Beispiel nennen? Sprechen Sie dariiber mit
Ihren Bekannten und Freunden oder schreiben Sie sogar dariiber an offentliche
Medien?
Thema 3:
Warum bevorzugen Sie bei einem wichtigen oder schwierigen Gesprdch mit Ihren
deutschen/chinesischen Kollegen/Mitarbeitern/Vorgesetzten
ein Restaurant, ein Kon-
zert oder das Bilro?
Thema 4:
Gibt es US-amerikanische Einfliisse in dem Jointventure? Konnen Sie Uber Ihre Erfahrungen berichten?
Anhang
206
Anhang 3:
Zeittafel der chinesischen Dynastien und Regierungen
Zeitraume
Dynastien und Regierungen
Vorgeschichte
ca. 6000-2100 v.Chr.
Xia-Dynastie
21.-16. Jahrhundert v. Chr.
Shang-Dynastie
16.-11. Jahrhundert v. Chr.
Zhou-Dynastie
ll.Jahrhundert-221 v. Chr.
Qin-Dynastie
221-206 v.Chr.
Han-Dynastie
206 V. Chr.-220 n. Chr.
Die Drei Reiche
220-280
Die Westliche/Ostliche Jin
Die Sudliche/Nordliche Dynastien
265-420
420-581
Sui-Dynastie
581-618
Tang-Dynastie
618-907
Song-Dynastie
960-1279
Yuan-Dynastie
1279-1368
Ming-Dynastie
Qing-Dynastie
Die Republik China
Die Volksrepublik China
Mao Tse-tung
Deng Xiaoping
Jiang Zemin
1368-1644
1644-1911
1911-1949 (danach in Taiwan)
Hu Jintao
1949-heute
1949-1976
1977-1990
1990-2004
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