Vorlesung: Kognitiv-Affektive Neurowissenschaften Neuroanatomie II Prof. Dr. rer. nat. Markus Mühlhan Hirnstamm & Hirnnerven Kurzer Rückblick Ansicht von ventral Ansicht von dorsal Zwischenhirn (Diencephalon) Zwischen Hirnstamm und Telencephalon (Großhirn) Zum Zwischenhirn zählen: • • • • • Der Nervus Opticus ist eine Ausstülpung des Diencephalons und hier ebenfalls blau dargestellt um zu verdeutlichen, dass es sich um keinen Hirnnerven im engeren Sinne handelt. Thalamus Epithalamus Subthalamus Hypothalamus Metathalamus Funktionen: • unbewusste, • sensorische, • vegetative Regulation Zwischenhirn (Diencephalon) Thalamus (Vorhalle) ursprünglich wurde der 3. Ventrikel so bezeichnet Fast alle Sinnesbahnen werden im Thalamus umgeschaltet (Bulbi olfactorii nicht, Teil des Telencephalons) Übernimmt wichtige Relaisfunktionen Bsp. Relaisfunktion: Sie merken nicht, das sie Kleidung oder einen Ring am Finger tragen. Bei Bewegung des Rings, wird die sensorische Information weitergegeben und damit bewusst. Thalamus: Kerngebiete • Absteigende Bahnen aus dem Kortex ziehen im Allgemeinen nicht durch den Thalamus Der Thalamus besteht aus zahlreichen Kerngebieten: •Spezifische Kerne: direkte Verbindung zum Kortex •Unspezifische Kerne: keine direkte Verbindung zum Kortex, aber zum Hirnstamm 5 Projektionen der Thalamuskerne Spezifische Kerne • Die ventralen Kerne weisen Projektionen in sensorische und sensomotorische kortikale Regionen auf Sie übertragen Informationen zu: • Lageempfindung, Vibration, Druck, Diskrimination und Tastsinn, Schmerz, Temperaturempfinden • Sie bilden Rückkopplungsschleifen zu motorischen Rindenfeldern • Bei Schädigung kommt es zu kontralateralen Störungen der Oberflächen- und Tiefensensibilität mit Missempfindungen und abnormen Schweregefühlen in den Extremitäten oder motorischen Ausfällen 6 Projektionen der Thalamuskerne Spezifische Kerne • Die medialen Kerne erhalten Afferenzen aus ventralen-, intralaminären-, hypothalamischen Kernen und aus dem Globus Pallidus (bleiche Kugel) • Sie projizieren in frontale Regionen • Z.B. Lernen, Gedächtnis, Emotionen • Die Läsion der Bahnen führt zum Stirnhirnsyndrom, einem komplexen, heterogenen Störungsbild • Z.B. Störung der exekutiven Funktionen, Antriebslosigkeit, Gereiztheit, Missmut, Perseverationen, Inhibitionsstörungen 7 Projektionen der Thalamuskerne Spezifische Kerne • Die dorsale Kerngruppe wird durch den Pulvinar (Polster) gebildet • Größter Kern des Thalamus • Erhält Afferenzen aus anderen thalamischen Kerngebieten und projiziert in die Assoziationsgebiete der Parietaltemporal und Okzipitallappen • Am Pulvinar liegen das Corpus geniculatum laterale und das Corpus geniuculatum mediale an, die zum Methathalamus zählen • Sie sind Teil der Seh- bzw. Hörbahn 8 Projektionen der Thalamuskerne Unspezifische Kerne Nucleus anterior: Afferenzen und Efferenzen zum Gyrus cinguli und zu den Mammilarkörpern Der Nucleus centromedianus ist der größte unspezifische Thalamuskern. Er ist Teil des aufsteigenden retikulären aktivierenden Systems (ARAS), welches in der Formatio reticularis beginnt. Er wird mit der Erregung limbischer und kortikaler Regionen in Verbindung gebracht. 9 Funktionelle & Strukturelle Konnektivität zwischen Thalamus und Kortex FC: Funktionelle Konnektivität DTI: Diffusions-Tensor Imaging (strukturelle Konnektivität) Aus: Schneider und Fink (2013). Abbildung 15.7 10 Zwischenhirn im Medianschnitt Epi- & Hypothalamus Hypothalamus: vegetatives Regulationszentrum (z.B. Körpertemperatur, Nahrungsaufnahme, Stress, Wachstum, sexuelle Erregung, Wasserhaushalt) Epiphyse: Regulation des Tag-Nacht-Rhythmus Freisetzung von Melatonin („Schlafhormon“) Durch Kalkablagerungen gute Landmarke im CT epi = auf-, draufsitzend hypo = unterhalb Afferente und efferente Verbindungen des Hypothalamus Wichtige afferente und efferente Verbindungen des Hypothalamus Afferenzen •Aus dem Hippocampus über die Fornix(Gewölbe) bahn in den Hypothalamus •Über das mediale Vorderhirnbündel gelangen Afferenzen von den olfaktorischen Arealen zu den präoptischen Kernen •Über die Striea terminalis von der Amygdala zum Hypothalamus •Über pedunculus corporis mammilaris gelangen viszerale Afferenzen und solche aus erogenen Zonen zum Hypothalamus a) Afferenzen 12 Afferente und efferente Verbindungen des Hypothalamus Wichtige afferente und efferente Verbindungen des Hypothalamus Efferenzen •Der Fasciculus longitudinalis dorsalis zieht zum Hirnstamm und über mehrere Umschaltungen in parasympathische Kerngebiete •Der Traktus mammilotegmentalis sendet Efferenzen zum Tegmentum des Mittelhirns, die zur Formatio reticularis weiterziehen (vegetative Informationen) •Der Fasciculus mammilothalamicus (Vicq-d‘ Azyr Bündel) verbindet den Hypothalamus mit dem Nucleus anterior thalami, welcher mit dem Gyrus cinguli in Verbindung steht (Teile des limbischen Systems) •Tractus supraopticohypophysalis und der tuberohypophysalis stellen efferente Bahnen zur Hypophyse dar b) Efferezen 13 Ausgewählte Regionen und Funktionen des Hypothalamus 14 Epithalamus (grün markiert) ←Verkalkungen (Hirnsand) Epithalamus (aufsitzend) Sezerniert Melatonin in Abhängigkeit der Helligkeit Besteht aus: Globus pinealis (Epiphyse); Habenula (Zügel, Epiphysenstiel; Commisura habenularum, Stria medullaris thalami, Commissura epithalamica 15 Epithalamus (Habenulae) • • • In den Habenulae werden zahlreiche Informationen verarbeitet Über den Einfluss auf neuromodulatorische Systeme (insb. dopaminerge, serotonerge) stark in die Verhaltensregulation eingebunden Haupts. Unterdrückung motorischer Komponenten 16 Der Subthalamus (rot markiert) Zum Subthalamus zählen: • Nucleus subthalamicus und Globus pallidus • Funktionell werden diese Strukturen zu den Basalganglien zugeordnet • Unter anderem Steuerung der Grobmotorik 17 Die Basalganglien Regionen subkortikaler grauer Substanz Nucleus caudatus (Schweifkern) Corpus Striatum (Streifenkörper) Putamen (Schale) Nucleus lentiformis Globus Pallidus (Linsenkern) (bleiche Kugel) Substanzia Nigra (schwarze Substanz) 18 Das motorische System Funktion der Basalganglien Koordination, Programmierung und Terminierung von Handlungsabläufen - Hemmung - Erregung Koordination der eingesetzten Kraft Integration komplexer Verhaltensmuster Teil des Belohnungssystems, also Belohnungslernen, habituelles Verhalten, motivationales Verhalten 19 Das Ventrikelsystem • Ausgusspräparat des Ventrikelsystems • Erweiterung des Rückenmarkkanals Ventrikelsystem & Liqourzirkulisation • Liquor: • • Klare Flüssigkeit Ca. 150 ml in Ventrikeln (20%) und im Subarachnoidalraum (80%) • Liquorproduktion: 400500 ml pro/Tag PNS: • Rückenmarksnerven,• periphere Ganglien & Hirnnerven! • In den Plexus choroidei Zirkuliert um das Gehirn und Rückenmark Ventrikelsystem & Liqourzirkulisation Liquor: •Wenig Zellen •Wenig Eiweiß •Versorgungsfunktion unwahrscheinlich •Lässt das Gehirn „aufschwimmen“ •Dadurch Reduktion des eigenen Gewichts PNS: • Rückenmarksnerven, periphere Ganglien •Schwimmend & gelagert Hirnnerven! •Dadurch Schutz vor Stößen Liquorrückresorption Liquor wird im Subarachnoidalraum des Gehirns und des Rückenmarks resorbiert Subarachnoidalraum = unterhalb der Spinnengewebshaut Eine Liquorentnahme zur Untersuchung potenzieller entzündlicher Erkrankungen Kann somit aus dem unteren Rückenmarkskanal erfolgen Dura Mater = harte Mutter Arachnoidea = Spinngewebshaut Pia Mater = weiche Mutter Die harte und die weiche Mutter (Meningen des Gehirns) a) Der Schädel wurde entfernt um die Dura mater zu zeigen Darunter befinden sich die Arachnoidea und die Pia Mater Die Meningen (Hirnhäute) umgeben das gesamte ZNS, also auch das Rückenmark Das Corpus Callosum (Hirnbalken) Die größte Kommissur im ZNS Stamm Knie Schnauze/Schnabel Hinterende Die Bereiche des Corpus Callosum sind Namensgeber für zahlreiche umliegende Strukturen z.B. Subgenualer anteriorer zingulärer Kortex (sgACC) unter dem Knie liegend Perigenualer anteriorer zinguläere Kortex (pgACC) um das Knie liegend 25 zinguläre Subregionen und Funktionen Shackman et al, 2011 → Vogt, 2005 ↓ 26 Gyri und Sulci Gyrus: Windung Sulcus: Rinne oder Furche Fissur: Riss/Furche – tiefer als Sulci, z.T. andere Form 27 Sensorische-, motorische Zonen und Assoziationsareale 28 Der Kortex unter dem Kortex: Die Insula Die Insulae und die Opercula liegen unmittelbar aneinander an. Anatomisch trennen sie aber mehrere Zentimeter. Operculum: Deckelchen Insula Fissura lateralis Fissura lateralis Insula 29 Versatz durch schräge Schichtführung Der Kortex unter dem Kortex: Die Insula Operculum: Deckelchen Auch die Insula kann in anatomisch und funktionell unterschiedliche Regionen unterteilt werden Die anteriore Insula hat z.B. eine wichtige Rolle in der Zuweisung von Salienz Die posteriore Insula integriert z.B. emotionale und somatische Informationen 30 Versatz durch schräge Schichtführung Ausgewählte Funktionen bestimmter Hirnbereiche 31 Spektrum.de Ausgewählte Funktionen bestimmter Hirnbereiche 32 Spektrum.de Cerebellum Das Cerebellum besitzt ebenfalls einen Kortex Die Weiße Substanz im inneren wird als Arbor vitae „Lebensbaum“ bezeichnet 33 Cerebellum Über die Kleinhirnstiele gelangen in Informationen aus folgenden Regionen ins Kleinhirn • • dem Rückenmark: Information über die Körperhaltung die Muskel- und Sehnenspannung und Gelenkstellung Zur Steuerung des Stehens und Gehens • den Nervi vestibulocochleares: Zur Regulation des Gleichgewichts, bei Schädigung tritt Schwindel auf • den Motorkortizes, Regulation von feinen Willkürbewegungen z.B. manipulieren von Gegenständen oder der optimalen Koordination der Kehlkopfmuskulatur beim Sprechen • • Die genauen Funktionen des Kleinhirns sind bis heute weitgehend unbekannt Es scheint auch an höheren kognitiven und emotionalen Prozessen beteiligt zu sein 34 Cerebellum Unter anderem involviert in • Aufmerksamkeitsprozesse • Sprache • soziale Kognition • Exekutive Funktionen • Insb. in die Vorhersagbarkeit bestimmter Komponenten Annahmen meist spekulativ 35 Hippocampus (Seepferdchen) Zur Hippocampusformation zählen: • Subiculum (kleine Unterlage, Verbindung zwischen Hippocampus und Parahippocampus) • Cornu ammonis (Ammonhorn, Hippocampus im engeren Sinne) • Gyrus Dentatus (gezahnter Gyrus) Ammonit Urzeitshop.de 36 36 Die Amygdala (Mandel) kortikomediale Kerne 37 Amygdaloidale Subregionen Momentan werden vier amygdaloidale Subregionen unterschieden • • • • Superfisziale Kerne (SF) Centromediale Kerne (CM) Baslolaterale Kerne (LB) Amygdalo-strialer Übergangsbereich (AStr) Amunts et al, 2005 38 Mit welchen Regionen sind die Kerngebiete verbunden? Basolaterale Nuclei (LB) Centromediale Nuclei (CM) Superfisziale Nuclei (SF) 39 Funktionelle Konnektivität amygdaloider Subregionen 40 Die Kartierung (Mapping) des Kortex Eine kurze Übung zum Einstieg in das Thema • Stellen Sie Sich vor ein Außerirdischer würde versuchen Europa in einzelne Gebiete zu unterteilen, welche Kriterien könnte er verwenden? Zum Beispiel: gemeinsame Sprache? Kultur? Werte? Infrastruktur? …? 41 moviepilot.com • • • • • Die Kartierung (Mapping) des Kortex • Ähnlich verhält es sich mit dem Gehirn • Jedes Areal lässt sich durch vielfältige Eigenschaften beschreiben Zum Beispiel: • Die Dichte der Nervenzellkörper • die jeweilige Menge an Myelin • die funktionelle Konnektivität der Neurone untereinander 42 Gizmodo.com • die Reaktion der Neurone auf bestimmte Aufgaben Wodurch könnte sich also ein Hirnareal auszeichnen? Hat jemand eine Idee? Aus: Schneider und Fink, (2013), funktionelle MRT in Psychiatrie und Neurologie. S. 780 43 Die Kartierung (Mapping) des Kortex Brodmann Areale Korbinian Brodmann´s wegweisendes Werk: „Vergleichende Lokalisationslehre“ von 1909 Zilles and Amunts, 2010, Nat Rev Neuroscience Zytoarchitektonisce Mikrographien Die Pfeile deuten auf die Grenze zwischen zwei Hirnarealen 44 Die Kartierung (Mapping) des Kortex Brodmann Areale • Ursprünglich 43 Areale • Unterteilung aufgrund mikroskopischer (zytoarchitektonischer) Unterschiede der Nervenzellverteilung • Diese müssen nicht der makroskopischen Struktur entsprechen! • Gleichartig aufgebaute Felder bezeichnet man als Rindenfelder (Areae) • Bild rechts: Hirnatlas erstellt von Korbinian Brodmann an einem Gehirn zu Beginn des 20. Jahrhunderts (1909) • Die Klassifizierung in BrodmannArealen gilt heute als veraltet und sollte nicht mehr verwendet werden! 45 PROMETHEUS Lernatlas der Anatomie, Thieme Moderne Methoden Beispiel: Der Jülich-Düsseldorfer zytoarchitektonische Atlas • • • Post mortem Untersuchung von 10 Gehirnen Untersucherunabhängige zytoarchitektonische Analyse welche die Grenzen kortikaler Areale mittels statistischer Analyse der laminären Zellverdichtung bestimmt Mikroskopische Validierung der Ergebnisse • • • Quantitative Beschreibung anatomischer Struktur Im standardisierten MNI Referenzraum (Montreal Neurological Institute) Zytoarchitektonische Wahrscheinlichkeitskarten • Integration funktioneller und struktureller Daten 46 Moderne Methoden Arbeitsweise Schneider & Fink, 2013 47 Die Kartierung (Mapping) des Kortex Moderne Methoden • Ein neuer multimodaler Hirnatlas (Glasser et al, 2016) entstanden aus den Daten des Human Connectome Project • Basierend auf funktionellen Aktivierungs- und Konnektivitätsdaten als auch auf strukturellen Daten (Myelingehalt) • Es werden also mehrere Kriterien gleichzeitig einbezogen • Resultat: 360 verschiedene kortikale Areale 48 Die Kartierung (Mapping) des Kortex Moderne Methoden • >>> 49 Die Kartierung (Mapping) des Kortex Moderne Methoden • • • Als weiteres Kriterium wird die Rezeptorverteilung diskutiert Nicht jedes Merkmal zeigt kortikale Grenzen an Wenn aber mehrere Merkmale eine bestimmte Grenze anzeigen, sind die Orte dieser Grenzen normalerweise in sehr guter räumlicher Übereinstimmung 50 in-vitro multi-receptor autoradiography Vielen Dank für die Aufmerksamkeit 51