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Lösungsbeispiel Probeklassenarbeit Andorra

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Lösungsbeispiel Probeklassenarbeit Andorra – Fließtext
Das von Max Frisch im Jahre 1969 veröffentlichte Drama „Andorra“ handelt von der
Identitätsfindung des jungen Mannes Andri, der den antisemitischen Vorurteilen seiner
Mitmenschen ausgesetzt ist. Die vorliegenden Szene handelt vom Zorn des Vaters diesen
Vorurteilen gegenüber.
Anlass für die Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn im vierten Bild ist der zuvor
stattgefundene Besuch des Doktors, welcher dessen antisemitische Einstellung verrät,
woraufhin Andri die Behandlung verweigert. Bereits im dritten Bild werden Andris
handwerkliche Fähigkeiten aufgrund von antisemitischen Vorurteilen vom Tischler bewusst
ignoriert. Im Anschluss an die zu analysierende Szene äußert Andri beim familiären
Abendessen den Wunsch, Barblin zu heiraten, woraufhin die Mutter Position für die Kinder
bezieht. Der Vater lehnt dies jedoch strikt ab und entflieht dem Konflikt, indem er sich in der
Kneipe den Mut dazu antrinkt, Andri endlich die Wahrheit bezüglich seiner Herkunft
mitzuteilen.
Die zur Analyse vorliegende Szene beginnt damit, dass der Lehrer die antisemitische
Einschätzung des Doktors, welcher noch versucht, diese als Witz darzustellen, hört und ihn
daraufhin mit eindeutiger Geste hinauswirft. Die Mutter missbilligt das aufbrausende
Verhalten des Lehrers, hat ihm jedoch nicht viel entgegenzusetzen. Es folgt ein langes
Gespräch zwischen dem Lehrer und Andri, welches jedoch eher ein emotionaler Vortrag
des Vaters vor Andri und seiner Frau ist. Der Lehrer monologisiert darüber, dass Andri sich
gegen die Vorurteile wehren und den Worten der Andorraner keine Beachtung schenken
solle. Er verurteilt das Verhalten und die Art der Dorfbewohner aggressiv.
Da Andris Gesprächsanteil in der vorliegenden Szene sehr gering ist – er hat nur zwei Zeilen
– und der Leser auch keine Hinweise sein Verhalten betreffend anhand von
Regieanweisungen erfährt, gestaltet sich die Analyse dessen relativ schwierig. Andris
Verschlossenheit in dieser Szene lässt sich jedoch durch dessen zuvor gegangene
emotionale Verletzung durch den Amtsarzt erklären. Aufgrund der erneuten, unschönen
Konfrontation mit den Vorurteilen anderer zweifelt er an sich. Er beginnt jedoch auch bereits
damit, sich an solche Interaktionen zu gewöhnen und scheint zu resignieren. Das energische
Verhalten seines Vaters schüchtert ihn zusätzlich ein und lässt ihm in dem Dialog keinen
Raum. An seinen Aussagen „Ja, Vater?“ (Z. 34) und „Was, Vater, soll ich sagen?“ (Z. 49) lässt
sich erkennen, dass Andri überfordert ist und sich bedrängt fühlt. Er stimmt seinem Vater
oberflächlich zu, hat jedoch kein echtes Interesse an dem Gespräch und weicht genervt aus.
Dies könnte damit zusammenhängen, dass er vorhat, seinem Vater etwas Wichtiges,
nämlich die geplante Verlobung mit Barblin, mitzuteilen.
Die Gedanken und Gefühle des Lehrers offenbaren sich eindeutiger. Er dominiert das
Gespräch sowohl inhaltlich als auch aufgrund der Höhe seines Redeanteils. Ebenso wie er
Andri in dem Gespräch einschüchtert, verweist er auch seine Frau auf ihren Platz und
schließt sie von dem Gespräch aus (vgl. Z. 62: „Von Mann zu Mann.“). Der Lehrer ist
aufgebracht und wütend gegenüber Andri (vgl. Z. 53: „manchmal platzt mir der Kragen“),
dem Doktor (vgl. Z. 18 wirft den Hut hinaus) und der Mutter (Vgl. Z. 60 f.). Das zeigt, dass er
sehr ungehalten und emotional ist. Die Tatsache, dass er selbst dafür verantwortlich ist, dass
Andri mit gemeinen Vorurteilen kämpfen muss, verstärkt diese Wut (vgl. Z. 45–48). Der
Lehrer hat sowohl Angst vor der Preisgabe des Geheimnisses als auch davor, dass sich die
Situation für Andri weiter verschlechtert. Daher setzt er sich verbal für seinen Sohn ein,
versucht ihn zu schützen und richtet väterliche Worte des Rates an Andri (vgl. Z. 43 ff.).
Zusammenfassend lässt sich anhand dieser Szene ablesen, dass die Beziehung zwischen
Vater und Sohn einseitig ist. Der Lehrer beginnt, sich für Andris Probleme zu interessieren
und möchte ihm helfen, wohingegen Andri davon überfordert ist und bereits beginnt, sich
mit seinem Schicksal abzufinden. Der Lehrer möchte Andri ermutigen und ihn dazu
motivieren, sich zu wehren und für sich einzutreten (vgl. Z. 42: „[D]u sollst sich auch nicht
fürchten.“). Jedoch vermeidet er es erneut, Andris Situation klarzustellen und ihm dadurch
zu helfen. Statt eine Aufklärung zu erreichen, verschlimmert er Andris Lage noch und bringt
ihn in eine Situation, in der die väterlichen Worte keine Bedeutung mehr einnehmen
können.
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