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Zertifikatsarbeit Führung von Mitarbeitenden

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Zertifikatsarbeit
eingereicht an der ZHAW Soziale Arbeit
CAS Führung und Zusammenarbeit 2017
Fiorentino Nino
nino.fiorentino@bluewin.ch
17.10.2017
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .................................................................................................................................................. 3
1.1 Ausgangslage ...................................................................................................................................... 3
1.2 Fragestellung ...................................................................................................................................... 3
1.3 Aufbau der Arbeit ............................................................................................................................... 4
1.4 Ziel und Adressatenschaft .................................................................................................................. 4
2. Wie wichtig ist die Bedeutung des Humankapitals für den Erfolg eines Unternehmens? ...................... 5
2.1 Was ist Humankapital? ....................................................................................................................... 5
2.2 Die Vernachlässigung des Humankapitals und deren Folgen ............................................................ 5
2.3 Fazit: Humankapital - Erfolgsfaktor für ein Unternehmen ................................................................. 5
3. Mitarbeitende im Fokus der Führung?..................................................................................................... 6
3.1 Wozu Führung? .................................................................................................................................. 6
3.2 Ohne Mitarbeitende kann der Zweck der Führung nicht erfüllt werden........................................... 6
3.3 Führung im Wandel der Zeit............................................................................................................... 6
3.3.1 Die zentrale Bedeutung der Führungskraft im Wandel .............................................................. 6
3.3.2 Die Zurückweisung der Fokussierung auf die Führungskraft ...................................................... 7
3.4 Fazit: Führung von Mitarbeitenden – Optimierung der Leistungserbringung ................................... 7
4. Die Führung von Mitarbeitenden – keine zentrale Führungsaufgabe? ................................................... 7
4.1 Unklarheiten auf der Führungsebene – die Vermischung von Aufgaben .......................................... 7
4.2 Führung von Mitarbeitenden - eine «Nebenbei-Tätigkeit»? ............................................................. 8
4.3 Aufgaben einer heutigen Führungsperson......................................................................................... 8
5. Zu wenig Zeit für die Führung von Mitarbeitenden ................................................................................. 9
5.1 Die Belegung der aufgestellten These ................................................................................................ 9
5.2 Fazit .................................................................................................................................................... 9
6. Warum wir ein neues Führungsverständnis brauchen .......................................................................... 10
6.1 Die Komplexität der Systeme ist gestiegen ...................................................................................... 10
6.2 Die Ansprüche von Arbeitnehmenden haben sich verändert .......................................................... 10
6.3 Motivation und Mitarbeiterzufriedenheit........................................................................................ 10
6.4 Fazit: Substitution des Führungsverständnisses .............................................................................. 11
7. Selbstorganisation, Mitunternehmertum, kollegiale Führung – ein neues Verständnis von Führung? 11
7.1 Wie kann Motivation ermöglicht werden ohne das Einwirken von Führungskräften? ................... 11
7.2 Hierarchische Strukturen in einer komplexer werdenden Welt ...................................................... 12
7.3 Wie sieht die Alternative zu hierarchischen Strukturen aus? .......................................................... 12
7.4 Die neue Denkweise ......................................................................................................................... 12
7.5 Die Abgrenzung zum systemischen Ansatz – ein Versuch ............................................................... 13
7.6 Fazit - Folgerungen und Erkenntnisse .............................................................................................. 13
1
8. Schlusswort ............................................................................................................................................ 14
Literaturverzeichnis ................................................................................................................................ 15
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1. Einleitung
1.1 Ausgangslage
Immer wieder und in unterschiedlichen Betrieben, ist mir in meiner bald zehnjährigen Führungsarbeit
aufgefallen, dass Führungskräfte oft sehr wenig Zeit haben um sich auf das Führen von Mitarbeitenden
zu konzentrieren. Dies führte nicht selten zu unmotivierten und unzufriedenen Mitarbeitenden oder gar
zu Kündigungen. Nicht nur, dass die Suche, Einstellung und Einarbeitung von neuem Personal Ressourcen
bindet, sondern auch die Tatsache, dass bei jedem Abgang Wissen, Fähigkeiten und Beziehungen verloren
gehen, schaden einem Betrieb und verursacht Kosten.
Im CAS «Führung und Zusammenarbeit» haben wir eine Vielzahl von verschiedenen Werkzeugen und
Methoden kennengelernt, wie besser geführt werden kann und wie man die Zufriedenheit von
Mitarbeitenden mit der Erreichung von Organisationszielen in Einklang bringt. Dennoch habe ich mich
immer wieder gefragt, wie es sein kann, dass viele Führungskräfte über Stress und Überlastung klagen
und sich fragen, woher sie die Zeit nehmen sollen sich auch noch um Bedürfnisse und Anliegen ihrer
Mitarbeitenden zu kümmern. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass dieses Versäumnis oftmals zu noch
mehr Stress und Druck führt. Viele Führungskräfte sind erschöpft vom Versuch es allen Recht zu machen
und sich selbst und ihre Mitarbeitenden zu motivieren um Höchstleistungen zu erreichen. Wir wissen,
etwas läuft falsch. Trotzdem unterdrücken wir hartnäckig die Frage, warum dies so ist.
1.2 Fragestellung
Aus den vorgängigen Überlegungen stelle ich mir die zentrale Frage, was der Grund dafür sein könnte,
dass Führungskräften zu wenig Zeit zum Führen von Mitarbeitenden haben? Ich bin mir bewusst, dass die
Antwort auf diese Frage viele Aspekte umfasst und vermutlich ein Buch füllen und den Rahmen dieser
Arbeit bei weitem sprengen würde. Trotzdem lässt mich der Gedanke und die damit verbundene Frage
nicht mehr los. Wie gehe ich aber dieser Frage nach ohne mich in den Tiefen von möglichen Antworten
zu verlieren? Aus diesem Grund habe ich mich entschieden anstatt eine Frage zu beantworten, einer
These nachzugehen:
«Führungskräfte haben im heutigen Führungsverständnis zu wenig Zeit für die Führung ihrer
Mitarbeitenden».
In einem ersten Teil wird gemäss der vorliegenden These untersucht, ob in unserem heutigen und
überwiegend hierarchischen Führungsverständnis genügend Ressourcen in Form von Zeit vorhanden sind,
um der nachhaltigen Pflege von Mitarbeitenden nachzukommen. Hierarchisch bezeichnet in diesem
Kontext, dass Mitarbeitende in einer pyramidenförmigen, also vertikalen Struktur geführt werden. Wenn
dies geklärt und die These bewiesen werden konnte, wird in einem zweiten Teil danach gefragt, welche
Alternativen zur Verfügung stehen, wie diese aussehen und helfen könnten mehr Zeit für die Führung von
Mitarbeitenden zu generieren.
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1.3 Aufbau der Arbeit
Um die vorliegende These zu überprüfen, muss im zweiten Kapitel zuerst die Bedeutung der Führung von
Mitarbeitenden, also der Wert des Humankapitals für ein Unternehmen geklärt werden. Im dritten Kapitel
wird es darum gehen, herauszufinden, worin der Zweck der Führung besteht und welcher Stellenwert der
Führung von Mitarbeitenden dabei zukommt. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, wie sich das
Verständnis von Führung verändert hat und wo wir heute stehen.
Im vierten Kapitel wird danach gefragt, warum der Führung von Mitarbeitenden im heutigen
Führungsverständnis zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Im darauffolgenden fünften
Kapitel, geht es dann darum, die vorliegende These zu belegen, indem anhand von gesammelten
Anhaltspunkten aufgezeigt wird, warum Führungskräfte tatsächlich zu wenig Zeit für die Führung von
Mitarbeitenden haben.
Im sechsten Kapitel wird dargelegt, mit welchen zusätzlichen Herausforderungen sich Führungskräfte
auseinandersetzen müssen und ob sie dazu ein neues Verständnis von Führung benötigen. Abschliessend
wird im siebten Kapitel ein Gegenvorschlag zu den gängigen Führungsstrukturen aufgezeigt.
1.4 Ziel und Adressatenschaft
Angesicht der heutigen Veränderungen einer durch Digitalisierung und Globalisierung immer komplexer
werdenden Arbeitswelt, sehen sich Führungskräfte mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Nicht nur,
dass sich Ansprüche und Bedürfnisse von Arbeitnehmenden verändert haben, auch die Tatsache, dass in
den heutigen Führungsstrukturen viele Führungskräfte chronisch überlastet sind, lässt den Schluss zu,
dass nicht alles so optimal läuft, wie es zum Teil den Anschein macht. Ich versuche deshalb darzulegen,
warum die Zeit für die Führung von Mitarbeitenden fehlt und welche Alternative zur Verfügung steht. Da
Arbeit nach wie vor einen grossen Stellenwert in der Gesellschaft einnimmt, richtet sich die folgende
Arbeit nicht nur an Führungskräfte, sondern auch an wissenschaftliche, politische, wirtschaftliche und
allgemein interessierte Kreise.
Da diese Thematik viele Aspekte umfasst und die formellen Vorgaben dieser Zertifikatsarbeit eingehalten
werden müssen, hat die folgende Arbeit nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Ich werde deshalb bei
vielen Aspekten nicht in die Tiefe gehen können, sondern nur die Oberfläche und die hervorstechendsten
Merkmale beschreiben. Trotzdem sollen die daraus resultierenden Erkenntnisse ein neues Bewusstsein
fördern und im besten Fall zu einem Umdenken anregen.
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2. Wie wichtig ist die Bedeutung des Humankapitals für den Erfolg
eines Unternehmens?
Da in der vorliegenden These die Mitarbeitenden zentral sind, muss zuerst dargelegt werden, warum
diese für den Erfolg eines Unternehmens von solch grosser Bedeutung sind.
2.1 Was ist Humankapital?
Nach Dürendorfer, Nink und Wood (2005, S. 14-15) bezeichnet Humankapital den Nutzen des Menschen
für ein Unternehmen, für eine Volkswirtschaft, für einen Wirtschaftsstandort und für eine Gesellschaft
und gilt deswegen als entscheidende Wachstumsrendite. Dürendorfer et. al (2005, S. 14) bedienen sich
weiter, einer Erklärung der Europäischen Union, wo Humankapital als «Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie
das Wissen, das in Personen verkörpert ist und dass durch Ausbildung, Weiterbildung und Erfahrung
erworben werden kann» definiert wird. Humankapital verweist dabei auf den Menschen als Wertträger
statt als Kostenfaktor. Scholz betrachtet (Scholz, 2004; zit. nach Dürendorfer et. al, 2005, S. 15)
demzufolge auch Mitarbeitende als Erfolgsfaktor für ein Unternehmen.
2.2 Die Vernachlässigung des Humankapitals und deren Folgen
Die Gallup GmbH beziffert in einer Studie (Gallup-Studie, 2014) die jährlichen Kosten der
Mitarbeiterunzufriedenheit durch Fehltage, Fluktuationen und schlechte Produktivität mit einer Summe
von etwa 85 Milliarden Euro pro Jahr allein in Deutschland. Viele Beschäftigte bemängeln, dass sie zu
wenig Anerkennung erhalten oder ihre Meinung im Unternehmen nicht gehört wird. Die fehlende
emotionale Bindung gegenüber einem Unternehmen macht sich durch Absentismus, geringe Motivation
sowie «Dienst nach Vorschrift» bemerkbar. Die Gallup-Studie (2014) betont dann auch, dass die Gründe
für eine mangelnde emotionale Bindung ganz eindeutig nicht in den Rahmenbedingungen des
Arbeitsverhältnisses liegen. Vielmehr sind es die Führungskräfte, welche in der Verantwortung stehen.
Sie sind es, die das Arbeitsumfeld durch ihr Führungsverhalten prägen und gestalten.
2.3 Fazit: Humankapital - Erfolgsfaktor für ein Unternehmen
Wer also zu wenig Zeit in seine Mitarbeitenden investiert, generiert Verluste und ist über kurz oder lang
nicht mehr wettbewerbsfähig. Es wird deutlich, so die Gallup-Studie (2014), welchen Einfluss das
Führungsverhalten, also die Erfüllung der elementaren Bedürfnisse und Erwartungen am Arbeitsplatz, auf
die Verbundenheit der Mitarbeitenden hat. Die oben genannte Summe geht den deutschen Unternehmen
und der Gesellschaft also verloren. Aber wodurch? Durch mangelhafte Motivation der Mitarbeitenden so
Zeuch (2015, S. 12). Die Hauptursachen der Demotivation sieht er vor allem in fehlender Mitbestimmung
und Mitgestaltung. Die Gallup Studie (2014) verdeutlicht dies; viele Beschäftigte haben laut Umfrage das
Gefühl, dass ihre zentralen Bedürfnisse und Erwartungen von ihren direkten Vorgesetzten teilweise oder
völlig ignoriert werden. Wer also nicht anerkannt wird, so Zeuch (2015, S. 15) weiter, wird nicht zur
Mitbestimmung eingeladen. Ein zentraler Aspekt der Motivation ist jedoch die Einbindung in
Entscheidungen.
Es besteht demnach ein direkter Zusammenhang zwischen dem Führungsverhalten, der Motivation von
Mitarbeitenden und dem Erfolg eines Unternehmens.
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3. Mitarbeitende im Fokus der Führung?
Folgend wird nicht erörtert «was» Führung ist, sondern «wozu», also welchem Zweck Führung dient.
3.1 Wozu Führung?
Gemäss Sprenger (2012, S. 18) ist der Zweck der Führung, das Überleben des Unternehmens zu sichern,
denn ein Unternehmen strebt, wie alle sozialen Systeme, nach Selbsterhaltung. Das heisst, dass eine
Führungskraft nur dann eine Existenzberechtigung im Unternehmen hat, wenn die Produktivität höher ist
als ihr Preis.
Das Ergebnis von Führung, also ihr Zweck im Unternehmen, ist auf die Erbringung von Wertschöpfung,
auf Leistung und somit auf das Erreichen von Zielen ausgerichtet. Sie legitimiert sich demnach aus dieser
wertschöpfenden und ergebnisbezogenen Funktion.
3.2 Ohne Mitarbeitende kann der Zweck der Führung nicht erfüllt werden
Führungskräfte können Unternehmensziele allerdings nicht alleine erreichen, dazu benötigen sie
zwangsläufig die Hilfe ihrer Mitarbeitenden. Insofern muss sich die Führungskraft immer auch den
Bedürfnissen und Anliegen von Mitarbeitenden zuwenden. Sprenger (2012, S. 34) untermauert dies mit
der Aussage, dass es Führungskräfte ohne Mitarbeitende nicht gibt, dass Mitarbeitende die Bedingung
derer Existenz sind und bezeichnet dieses Verhältnis als wechselseitige Abhängigkeit.
Wir sehen also, dass Führungskräfte nur indirekten Einfluss auf die Erbringung von Leistung und
Ergebnissen hinsichtlich der Wertschöpfung nehmen können, denn sie brauchen ihre Mitarbeitenden
dazu. Somit ist hinsichtlich der vorliegenden These geklärt, dass die Führung von Mitarbeitenden eine
zentrale Aufgabe von Führungskräften sein muss, wenn ein Unternehmen erfolgreich sein will.
3.3 Führung im Wandel der Zeit
Wie wir gesehen haben, besteht der Zweck der Führung darin, Unternehmensziele zu verwirklichen,
welche der Wertschöpfung dienen. Dazu wiederum werden Mitarbeitende benötigt, die sich für den
Erfolg eines Unternehmens engagieren.
Um zu sehen, in welchem Verständnis dies heute geschieht, macht es Sinn sich der Entwicklung des
Führungsverständnisses zuzuwenden. Da wir das «wozu» geklärt haben, stellt sich nun also die Frage
nachdem «wie». Die Fülle von Theorien zwingt mich dazu, nur die wichtigsten Entwicklungen der
Führungsgeschichte zu betrachten. Das Hauptaugenmerk liegt dabei aus Sicht der vorliegenden These
darauf, wie sich die Beziehung zwischen Führenden und Geführten verändert hat, und ob dabei zu
erkennen ist, welchen Stellenwert dem Wohlergehen der Mitarbeitenden zuteilwird.
3.3.1 Die zentrale Bedeutung der Führungskraft im Wandel
Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts so Stippler, Moore, Rosenthal und Dörffer (2011, S. 13-25), stehen die
personenzentrierten Führungstheorien in welchen die führende Person im Zentrum der Betrachtung
steht, im Mittelpunkt. Führung wird dabei als einseitige Einflussnahme von Seiten der führenden Person
in Richtung der Geführten verstanden.
Bei den nachfolgenden Ansätzen, sind nicht mehr nur die Fähigkeiten und Eigenschaften der führenden
Person zentral, sondern auch deren Verhalten. Das Verhalten von Führungspersonen in bestimmten
Situationen, sowie die Beziehung zwischen Führenden und Geführten rückt dabei in den Mittelpunkt der
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Betrachtung. Dementsprechend wird versucht Führungsstile zu bestimmen aus denen effektive Führung
in bestimmten Kontexten resultiert. Man nimmt dabei zum ersten Mal Bezug auf die individuellen
Bedürfnisse der Geführten und passt dementsprechend den Führungsstil an. Trotzdem, das
Hauptaugenmerk liegt noch immer auf der Führungskraft.
3.3.2 Die Zurückweisung der Fokussierung auf die Führungskraft
Die eben aufgezeigte Entwicklung von der Konzentration auf die führende Person hin zur Situation und
der Beziehung zu den Geführten, setzt sich in den Ansätzen der systemischen Führungstheorie fort. Nach
Stippler et al. (2011, S. 28- 33) rückt dabei die Zurückweisung der Fokussierung auf die Führungskraft,
sowie die Betrachtungsweise der Organisation als komplexes, undurchschaubares und sich selbst
regulierendes System ins Zentrum. Auch in diesem Ansatz existieren unterschiedliche Strömungen und
Orientierungen. Sie unterscheiden sich jedoch vor allem hinsichtlich des Stellenwertes der Führungskraft
bzw. der Möglichkeit der Führung. Zusammenfassend kann jedoch gesagt werden, dass Führung dabei
bedeutet, steuerbaren Einfluss auf nicht steuerbare Systeme auszuüben. Unter anderem indem
entsprechende Kommunikationsräume geschaffen und genutzt werden, sowie Steuerungsversuche durch
Beobachten, Kommunizieren und Konstruieren stattfinden.
3.4 Fazit: Führung von Mitarbeitenden – Optimierung der Leistungserbringung
Natürlich fehlen viele Theorien, welche Berechtigung hätten erwähnt zu werden. Mir war es aber wichtig
aufzuzeigen, dass sich der Fokus von der zentralen Bedeutung der führenden Person wegbewegt hat. Dies
ist insofern von Bedeutung, da sich das Führungsverständnis dahingehend verändert hat, dass heute nicht
mehr nur die Führungsperson im Zentrum der Betrachtung steht, sondern ebenso die Geführten und die
Systeme, in denen sie arbeiten. Trotzdem hat sich nichts daran geändert, dass Mitarbeitende als
Leistungsträger betrachtet werden. Denn die Führungsforschung widmet sich hauptsächlich dem
Umstand, wie Mitarbeitende optimal geführt, also effektiv zur Leistungserbringung motiviert werden
können.
4. Die Führung von Mitarbeitenden – keine zentrale
Führungsaufgabe?
Glauben wir der Führungsforschung bezüglich der Fokussierung auf die Mitarbeitenden, ist das optimale
Führen von eben diesen die zentrale Aufgabe, welcher Führungskräfte nachkommen müssten. Warum
scheint es dann so, dass genau dies vernachlässigt wird?
4.1 Unklarheiten auf der Führungsebene – die Vermischung von Aufgaben
Ein erster Anhaltpunkt warum die Führung von Mitarbeitenden vernachlässigt wird, liefert meiner
Meinung nach die untenstehende Definition von Bea und Schweitzer (1995, S. 23).
«Führung ist zielorientierte Gestaltung von Unternehmen (= Unternehmensführung) bzw. zielorientierte
Beeinflussung von Personen (= Personalführung)».
Führungskräfte haben demnach zwei umfangreiche und zentrale Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen.
Malik (2014, S. 26) sagt dazu, dass Sachaufgaben unbedingt von Führungsaufgaben getrennt werden
müssen. Denn Sachaufgaben dienen einem Sachzweck einer Organisation. Dagegen, so Malik weiter,
seien Führungsaufgaben vor allem Gestaltungs- und Lenkungsaufgaben. Mit diesen werden wiederum die
Sachaufgaben gemanagt. Mit Gestaltung- und Lenkungsaufgaben meint Malik meiner Auffassung nach
eben genau das, was die Führungsforschung zutage gefördert hat, nämlich, dass das optimale Führen von
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Mitarbeitenden als Kernaufgabe von Führungskräften zu verstehen ist. Anscheinend führt aber die
Vermischung dieser beiden Aufgaben zu einem Führungsdefizit im Sinne von fehlender Zeit für die
Führung von Mitarbeitenden. Reinhard Sprenger (2014, S. 19) sagt dazu, dass in einer Umfrage bei einer
Schweizer Bank die Mehrheit der Führungskräfte ausgesagt hätten, dass sie deutlich über 70 Prozent mit
Sachaufgaben beschäftigt seien.
4.2 Führung von Mitarbeitenden - eine «Nebenbei-Tätigkeit»?
Trotz der mannigfaltigen Angebote an Führungstheorien, welche das Leiten von Mitarbeitenden als
zentrale Führungsaufgabe darstellen, herrscht anscheinend Uneinigkeit darüber, was denn nun
Führungsaufgaben sind. Sprenger (2012, S. 29) sagt dazu, dass wer die Frage stellt, wie viel Zeit
Führungskräfte mit eigentlichen Führungsaufgaben verbringen, regelmässig grosses Rätselraten darüber
auslöst, was denn eigentlich Führungsaufgaben seien. Die weitaus treffendste Zustandsbeschreibung so
Sprenger (2012, S. 29) weiter, sei aber die Antwort von einem Manager, welcher sagt: «Ich habe keine
Zeit zum Führen, ich muss ja noch arbeiten». Führen von Mitarbeitenden ist offenbar keine Arbeit,
sondern eine «Nebenbei-Tätigkeit». Bei dieser Haltung verwundert es nicht, dass somit die Zeit fehlt, sich
um das Wohlergehen von Mitarbeitenden zu kümmern.
4.3 Aufgaben einer heutigen Führungsperson
Dass Führung zur «Nebenbei-Tätigkeit» verkümmert, erstaunt auch nicht weiter, wenn man den
folgenden Aufgabenkatalog vor Augen hat.
Denn gemäss Niermeyer und Postall (2011) haben Führungskräfte anspruchsvolle und komplexe
Aufgaben zu bewältigen. Sie stellen in ihrem Buch einen Aufgabenkatalog vor, in welchem aktuelle
Aufgaben von heutigen Führungskräften aufgeführt werden. Dementsprechend müssen Führungskräfte:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Stellenbewerber auswählen
Mitarbeiter führen und ihnen Aufgaben, Ressourcen und Ziele zuteilen
Mitarbeiter beurteilen
Mitarbeiter fördern oder bei Pflichtverletzungen disziplinarisch vorgehen
Arbeitsergebnisse kontrollieren, freigeben und gegenüber der nächst höheren Instanz
verantworten
Budgets planen und verantworten
Entscheidungen treffen und verantworten
Konflikte schlichten
Eigene Aktivitäten mit anderen Führungskräften abstimmen
Entwicklungen ausserhalb der eigenen Abteilung und des eigenen Unternehmens beobachten
und bewerten. (S. 31)
Obwohl Aufgaben in Zusammenhang mit Mitarbeitenden genannt werden (welche alleine schon ein
Führungspensum ausfüllen würden), machen sie dennoch den kleineren Teil der zu bewältigenden
Aufgaben aus. Kein Wunder, dass es Themen wie «Burn-Out» und «Stress» wieder vermehrt in die
Schlagzeilen schaffen!
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5. Zu wenig Zeit für die Führung von Mitarbeitenden
Die erhaltenen Anhaltspunkte, der vorangegangenen Kapitel dienen nun dazu aufzuzeigen, warum die
vorliegende These eine Richtigkeit aufweist.
«Führungskräfte haben im heutigen Führungsverständnis zu wenig Zeit für die Führung ihrer
Mitarbeitenden».
5.1 Die Belegung der aufgestellten These
1. Nach wie vor sind die gängigen Führungsstrukturen hierarchisch angelegt
Wie uns die Gallup Studie eindrücklich zeigt, vernachlässigen es Führungskräfte regelmässig, sich um das
Wohlergehen ihrer Mitarbeitenden zu kümmern. Wie ist dies möglich, wo ihnen doch eine sehr breite
Palette an Führungstheorien zur Verfügung steht um eben genau dies zu optimieren? Wir konnten sehen,
dass trotz der Entwicklungen in der Führungsforschung nach wie vor die Führungsperson im Zentrum
steht und die alleinige Verantwortungs- und Entscheidungsgewalt innehat. Es hat sich also nur wenig an
den tief verwurzelten Führungsstrukturen verändert. Im heutigen Führungsverständnis wird nach wie vor
hierarchisch geführt, und dies verlangt nach autoritären Machtstrukturen. Meines Erachtens änderte sich
alleinig der Stellenwert der Führungskraft bzw. deren Möglichkeit zur Führung. Echte Übernahme von
Verantwortung und Selbstbestimmung der Mitarbeitenden findet nur selten statt, denn am Ende jeder
Entscheidung steht die Führungskraft. Dementsprechend werden im Führungsalltag zwangsläufig
Ressourcen in Form von Zeit gebunden.
2. Vermischung von Sach- und Führungsaufgaben
Wie wir gesehen haben, ist das Auseinanderhalten dieser beiden Aufgaben schwierig und unklar. Niemand
kann Leader und Manager in einem sein, so Oestereich und Schröder (2017, S. 13). Aktuell sei aber genau
dies in den meisten Unternehmen Standard. Niemand scheint also ganz genau zu wissen, wem welche
Aufgabe zugedacht ist. Festzuhalten ist dabei, dass viele Führungskräfte ihr Augenmerk mehrheitlich auf
die Sachaufgaben legen, und demnach keine Zeit mehr für ihre Mitarbeitenden haben. Dazu kommt ein
umfangreicher Aufgabenkatalog, welcher zur Folge hat, dass Zeit Mangelware ist.
3. Führung von Mitarbeitenden ist eine «Nebenbei-Tätigkeit»
Die aufgeführten Punkte lassen einen eindeutigen Schluss zu, nämlich das die Führung von
Mitarbeitenden zur Nebensache verkommt. Viele Führungskräfte kennen es - wer im Stress ist und keine
Zeit hat, dem fehlt schnell einmal die Empathie für seine Mitarbeitenden. Das Führen von Mitarbeitenden
verkommt zur lästigen «Nebenbei-Tätigkeit» für die man zu wenig Zeit hat und einem dazu noch am
Arbeiten hindert.
5.2 Fazit
Die Summe der oben genannten Punkte lässt eine klare Schlussfolgerung zu: Obwohl ersichtlich wurde,
dass die Kernaufgabe der Führung das Führen von Mitarbeitenden ist, wird diese Tatsache schon fast
ignorant vernachlässigt. Man weiss, dass dies hohe Kosten generiert, trotzdem - so richtig wahrhaben will
das niemand. Als ich im soeben besuchten CAS «Führung und Zusammenarbeit» in einer Lektion, in der
es um Management Tools ging den Dozenten danach gefragt habe, wann wir uns die Zeit nehmen sollen
diese umzusetzen, wusste der keine passende Antwort darauf. Dies ist bezeichnend für die Notlage in der
wir uns befinden. Alle wissen es, aber niemand spricht darüber!
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Aus meiner Sicht konnte ich die eingangs erwähnte These vollumfänglich stützen. Denn der chronische
Zeitmangel für die Führung von Mitarbeitenden offenbart sich als Symptom von hierarchischen
Führungsstrukturen, der Vermischung von Sach- und Führungsaufgaben und einem übervollen
Aufgabenkatalog, welcher sich auf die innere Haltung der Führungskräfte, die Führung von
Mitarbeitenden als Nebensache zu betrachten, auswirkt. Abschliessend Sprenger dazu: »Mitarbeiter
führen ist Arbeit – nehmen sie sich Zeit dafür» (Sprenger, 2014, S. 259).
6. Warum wir ein neues Führungsverständnis brauchen
Neben der fehlenden Zeit für die Führung von Mitarbeitenden, sehen sich Führungskräfte heute mit
zusätzlichen Veränderungen konfrontiert. Wie diese aussehen und ob das heutige hierarchische
Führungsverständnis in der Lage ist diesen zu begegnen, sehen wir folgend.
6.1 Die Komplexität der Systeme ist gestiegen
Durch digitale Medien, die Globalisierung und die damit verbundene Vernetzung sind die Ansprüche an
ein Unternehmen vielseitiger geworden. Oestereich und Schröder (2017, S. 9) sagen dazu, das neue
Mantra lautet, dass nur die Unternehmen überleben, welche sich schnell und flexibel anpassen und
weiterentwickeln. Malik (2014, S. 19) ergänzt, dass für die rasch wachsende Komplexität und für die
Dynamik der immer stärkeren Vernetzung der Gesellschaft und ihrer Ökonomien zu globalen Systemen
die Führungsvorstellungen, welche ihre Wurzeln im vorigen Jahrhundert in einer noch weit einfacheren
und langsameren Welt haben, immer weniger geeignet sind.
6.2 Die Ansprüche von Arbeitnehmenden haben sich verändert
Nicht nur die Märkte haben sich gewandelt, auch die Werte, Wünsche und Erwartungen von
Arbeitnehmenden haben sich weiterentwickelt. Durch den Aufstieg der Erwerbsarbeit während der
Industrialisierung zu einer zentralen gesellschaftlichen Kategorie ging gleichzeitig der Niedergang
identitätsstiftender Strukturen wie Kirche, Familie, Haus und Hof einher. Da ist es nicht weiter
verwunderlich, dass Menschen neue Ansprüche an ihre Arbeit haben. Gemäss Wilke (1999; zit. nach
Fiorentino, 2010, S.15) verblasst das Moment der Pflichterfüllung und Arbeit wird Mittel zu persönlicher
Bedürfnisbefriedigung. An Arbeit wird zunehmend der Anspruch gestellt, dass sie Freude, Sinnstiftung,
Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung ermöglichen soll.
6.3 Motivation und Mitarbeiterzufriedenheit
Ein zentraler Aspekt der Motivation ist für Zeuch (2015, S. 15) die Einbindung in Entscheidungen. Denn
wen man nicht anerkennt, wird nicht zur Mitbestimmung eingeladen. In herkömmlichen Organisationen
jedoch, so Laloux (2016, S. 77), besteht die Rolle der Führung darin Druck auszuüben, also zu motivieren
und dadurch die Mitarbeitenden aufzufordern, mehr zu tun, schneller zu sein. An den meisten
Arbeitsplätzen wird die Motivation der Mitarbeitenden langsam aber sicher aufgezehrt. Ideen gehen im
Treibsand der Entscheidungsprozesse verloren. Gleichzeitig müssen absurde Entscheidungen umgesetzt
werden, die an der Spitze der Pyramide getroffen wurden. Wir können auch nicht nur wie Bergmann in
einem Interview mit Morgenthaler (2017, S. 2) sagt, über die Verbesserung von Führungstechniken und
Organisationformen reden. Denn dies dient den Unternehmen dazu, wie sie ihre Angestellten noch
raffinierter domestizieren und ausbeuten können. Mit anderen Worten, Motivierung verkommt zur
Fremdsteuerung, zur Manipulation und erfordert zwingend hierarchische Strukturen.
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Wie uns die Gallup Studie aber eindrücklich vor Augen geführt hat, trägt diese Haltung entscheidend dazu
bei, dass ein grosser Teil der Mitarbeitenden unmotiviert ihrer Arbeit nachkommen. Dies hat nicht nur
unzufriedene Mitarbeitende zur Folge, sondern ist auch mit enormen Kosten verbunden.
6.4 Fazit: Substitution des Führungsverständnisses
Wenn man voraussetzt, dass Motivation für das Erbringen von Leistung in einem Unternehmen zentral
ist, wird schnell klar, dass dies der Schlüssel zum Erfolg ist. Anscheinend ist dies aber nicht wie bisher
durch das Einwirken auf die Haltung, Werte und Verhaltensweisen von Menschen möglich. Denn nicht
nur die Systeme in denen wir arbeiten sind komplexer geworden, sondern auch der Umstand, dass die
Ansprüche an unsere Arbeit weit über den materiellen Wert hinausgehen, tragen dazu bei, dass das
heutige Führungsverständnis an Grenzen stösst.
Demnach brauchen wir ein Führungsverständnis welches den neuen Anforderungen gerecht wird. Denn
wie wir gesehen haben hat sich vieles verändert, nur das Verständnis von Führung nicht. Nach
jahrelangem optimieren von Prozessen und dem Versuch durch effektivere Führung von Mitarbeitenden
Gewinne zu maximieren, stehen wir einem Problem nie gekannten Ausmasses gegenüber. Burnout,
Stress, riesige Verluste in der Volkswirtschaft aufgrund von falscher Führung sowie die Ausbeutung von
Ressourcen und Menschen hat uns in eine Sackgasse geführt. Die Welt und damit auch die Aufgabe von
Führungskräften wird komplexer. Dies verlangt nach neuen Ideen, nach einem neuen Verständnis von
Führung und Unternehmenskultur.
7. Selbstorganisation, Mitunternehmertum, kollegiale Führung – ein
neues Verständnis von Führung?
Wie sieht aber dieses neue Verständnis aus, aus welchem Material ist es gebaut, welche Pfeiler tragen
es? Zeuch (2015, S. 27) sagt, dass ein zentraler Aspekt menschlicher und damit agiler und innovativer
Unternehmen darin besteht, mehr Selbstorganisation zu ermöglichen. Ist dies die Idee, die wir brauchen?
Mehr Selbstorganisation? Ob dies der Ansatz ist, um den neuen Herausforderungen zu begegnen, sehen
wir folgend. Leider ist der Umfang dieser Arbeit zu klein, um mich umfänglich mit dem Ansatz der
Selbstorganisation auseinandersetzen zu können. Ich werde daher einige mir als grundlegend
erscheinende Aspekte herausnehmen, welche die Selbstorganisation aus meiner Sicht zur
zukunftsweisenden Form der Unternehmensführung machen.
7.1 Wie kann Motivation ermöglicht werden ohne das Einwirken von Führungskräften?
Wäre es nicht wünschenswert, dass Mitarbeitende Innovation vorantreiben, Ideen einbringen, Abläufe
jenseits von Stellenbeschreibungen verbessern, sich ungefragt für das Überleben des Unternehmens
einsetzen? Wenn Mitarbeitende erst fragen müssen, ob sie etwas verändern dürfen, wird nichts
passieren. Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass solange eine Führungskraft ergebnisverantwortlich
bleibt, Mitarbeitende nur begrenzt und bedingt Verantwortung übernehmen. Die Einbindung in
Entscheidungen ist demnach ein zentraler Aspekt der Motivation. Denn Eigenverantwortung, so
Oestereich und Schröder (2017, S. 51) ergibt sich aus den Rahmenbedingungen der Arbeit, nicht durch
Einwirken auf die Haltung, Werte und Verhaltensweisen von Menschen.
Das heisst also, dass wir nicht wie gewohnt Vorgesetze brauchen, welche die Ergebnisse absegnen,
sondern Systeme, indem jeder Verantwortung für seine Aufgabe übernimmt. Ein Grundprinzip von
kollegial geführten Organisationen ist dann auch, so Oestereich und Schröder (2017, S. 51), die absolute
Eigenverantwortung, Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit im eigenen Zuständigkeitsbereich.
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7.2 Hierarchische Strukturen in einer komplexer werdenden Welt
Nach Laloux (2017, S. 59), muss jede Entscheidung, die etwas mit Koordination zu tun hat von den
Führungskräften genehmigt werden. In einer pyramidenförmigen Organisation laufen die ReportingLinien nur an der Spitze zusammen. Aber die Leute an der Spitze haben nicht die Zeit zu verstehen, was
vor Ort geschieht. Selbst wenn die führende Person an der Spitze noch mehr Zeit investiert, wird die
Pyramidenstruktur in einer komplexen Welt zum Engpass. Es handelt sich um ein strukturelles Problem,
welches durch mehr Arbeitszeit nicht gelöst werden kann. Ein Steilpass zur vorliegenden These. Was aber
ist die Alternative? Sie umgibt uns bereits, so Laloux (S. 59-60) weiter, denn alle komplexen Systeme
arbeiten nach einer verteilten Autorität. Kein einziges komplexes System arbeitet mit einer
Pyramidenhierarchie. Dazu nimmt er das Gehirn als Beispiel: Wäre eine Zelle der CEO und ein und jeder
Gedanke müsste genehmigt werden, es würde kollabieren. Es ist viel zu komplex um hierarchisch zu
funktionieren.
7.3 Wie sieht die Alternative zu hierarchischen Strukturen aus?
Wie wir gesehen haben, werden Mitarbeitende nicht zur Selbstbestimmung befähigt solange sie sich
hinter Vorgesetzen verstecken können. Ist es demnach notwendig, dass es keine Hierarchien, keine
Führungskräfte mehr gibt? Laloux (2017, S. 63-78) sagt dazu, dass dies ein häufiges Missverständnis
bezüglich selbstgeführten Organisationen sei. Das heisst nicht, dass es keine Hierarchien mehr gibt.
Allerdings gibt es keine Vorgesetze mehr, die die Macht haben, Einstellungen und Gehaltserhöhungen zu
genehmigen, sowie darüber zu entscheiden, ob eine Idee umgesetzt wird oder nicht. Wenn es keinen
Vorgesetzen mehr gibt, eröffnet sich der Raum für die Entstehung anderer, natürlicher, spontaner und
flexibler Hierarchien. Diese gründen auf Anerkennung und Fähigkeiten. Mit «dezentral verteilt» meinen
dann auch Oestereich und Schröder (2015, S. VII), dass unten und oben nicht mehr relevant ist, sondern
wer für welche Führungs- und Entscheidungsbedarfe, die jeweils geeignete Person ist. Es gibt demnach
zwar weiterhin Führungskräfte, so die beiden Autoren weiter, aber nicht mehr vorgesetzt, exklusiv und
unbefristet, sondern situativ. Als selbstverständlicher Teil der Arbeit ist jeder mehr oder weniger auch
immer Führungskraft.
7.4 Die neue Denkweise
Ein überzeugendes Argument sich mit der Selbstorganisation zu befassen, ist hinsichtlich der vorliegenden
These vor allem, dass hiermit Führungskräfte entlastet werden. Dies nicht aus der Sicht der heutigen
Führungspraktiken, vielmehr aus dem Blickwinkel einer neuen Denkweise. Wie wir gesehen haben, bilden
sich Führungskräfte in selbstorganisierten Strukturen natürlich und demokratisch, werden erschaffen und
erschaffen sich nicht selbst. Dies eröffnet neue Möglichkeiten wie Zeit genutzt und eingesetzt werden
kann. Nach Kaltenecker (2015, S. 25) darf Führung nicht mehr als Rolle, sondern muss als Verhalten
verstanden werden. In unterschiedlichen Situationen braucht es unterschiedliche Impulse von
verschiedenen Seiten. Führungsleitung ist demnach ein sozialer Fluss des Zusammenspiels und der
Vernetzung. So tritt dann an die Stelle des privilegierten Regisseurs ein Kollektiv, das sich
Ergebnisverpflichtungen und Entscheidungsrechte gleichermassen teilt. Für Sprenger (2014, S. 278-279)
bedeutet dann auch Führung mit den Mitarbeitenden gemeinsam etwas zu schaffen, sie zu begleiten, bis
zu dem Punkt, an dem sie keine Führung mehr brauchen.
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7.5 Die Abgrenzung zum systemischen Ansatz – ein Versuch
Bevor ich zu den Schlussfolgerungen gelange, möchte ich noch etwas anmerken, worüber ich mir den Kopf
zerbrochen habe. Wie grenzt man den systemischen vom selbstorganisierten Ansatz ab. Bis mir
aufgegangen ist, dass man den systemischen Ansatz nicht abgrenzen, sondern um den Begriff der agilen
Führung erweitern muss. Denn die systemische Führung beinhaltet bereits Komponenten der
Selbstorganisation und nimmt schon seit einiger Zeit in der Organisations- und Führungsentwicklung
einen zentralen Stellenwert ein.
Den Unterschied zu den selbstorganisierten Ansätzen sehe ich darin, dass in den systemischen Strukturen
jemand, also eine einzelne dafür vorgesehene Person führt und demnach die Verantwortung dafür hat,
das ganze System im Blick zu haben und dementsprechend zu handeln. In einem neuen Verständnis wird
jedoch situativ «geführt», es übernimmt jeweils die Person die Führung, die für die Situation oder ein
bestimmtes Thema gerade am kompetentesten ist. Gloger und Rösner (2014, S. 35) führen an und das
gefällt mir sehr, dass sich soziale Systeme schon immer und zu allen Zeiten selbstorganisiert haben, um
zu überleben und existieren zu können. Selbstorganisation ist also kein Mythos, sondern eine
systemimmanente Selbstverständlichkeit.
7.6 Fazit - Folgerungen und Erkenntnisse
Solange Führungskräfte bestimmen, wer, wo, was zu tun hat, solange werden Mitarbeitende ihr wahres
Potenzial nicht offenbaren. Denn jeder hat spezielle Fähigkeiten und Kompetenzen. Sind diese aber am
falschen Ort eingesetzt, verkümmern sie. Es kann ja sein, dass zum Beispiel die Person im Hausdienst
besser zuhören kann als die Schulsozialarbeit. Oder die Schulleitung die bessere Lehrkraft ist, weil diese
Freude am Umgang mit Schülern hat. Ein Schulkind die Komplexität einer Auseinandersetzung in dessen
Lebenswelt besser versteht als die Person in der Jugendarbeit. Was ich damit sagen will ist, dass je nach
Aufgabe, die ansteht, unterschiedliche Personen am besten dazu geeignet sind diese zu lösen. Denn so
kann man seine Fähigkeiten einsetzen und damit dem Kollektiv Erfolg ermöglichen, dies generiert Sinn
und erzeugt Motivation. Oestereicher und Schröder (2017, S. VII) meinen damit dann auch, dass eine
Person, je nachdem welche Fähigkeiten ein Kontext erfordert, zuständig für einen Bereich über einen
längeren Zeitraum oder nur für die einmalige Entscheidungsaufgabe ist. «So können Mitarbeitende zum
stärksten, gesündesten Ausdruck ihrer selbst werden» (Laloux, 2017, S. 79).
Die Selbstorganisation wirkt sich also positiv auf die Motivation von Mitarbeitenden aus. Denn den
eigenen Interessen kommt mehr Bedeutung zu und die Arbeit wird bedeutungs- und sinnvoller erlebt.
Dadurch, dass es keine konventionellen Führungsaufgaben mehr gibt, haben auch Führungskräfte wieder
die Möglichkeit sich zu entfalten, ihre Fähigkeiten dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden:
Sinn machen und Freude bereiten. Was ich zudem auch immer wieder im meinem Berufsleben als negativ
empfunden habe ist, dass viele Menschen ihre wahre Identität zu Hause lassen und in Rollen schlüpfen,
sobald sie im Unternehmen sind. Genau dies führt aber dazu, dass wir uns nicht als Menschen, sondern
als funktionstragende Personen begegnen und es somit versäumen, einander wahrzunehmen und
voneinander zu lernen. Sich selbst und anderen Kompetenzen und Fähigkeiten zu zugestehen, ohne
dadurch an Wert zu verlieren. Darin sehe ich die Errungenschaft der Selbstorganisation!
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8. Schlusswort
«...man braucht nicht über den Menschen zu stehen; man muss mit ihnen sein» (Sprenger, 2012, S. 259).
Vielleicht ist dies die Zukunft der Führung. Aber dazu brauchen wir, wie bei allem Neuen, Mut zum Risiko
es zu tun und die Bereitschaft zum Scheitern. Schaffen wir es gemeinsam Umzudenken und beteiligen alle
anstatt einige wenige am Erfolg, sehe ich nicht nur in Bezug auf die Arbeitswelt eine Chance für
Entwicklung, sondern in allen Bereichen des menschlichen Zusammenseins. Es ist mir bewusst, dass ich
den Lesenden einiges schuldig geblieben bin in Bezug auf selbstorganisierte Unternehmensstrukturen. Es
bleiben viele Fragen offen, wie zum Beispiel die der Lohnverteilung, was passiert mit «ausrangierten»
Führungskräften, wie implementiert man ein neues Führungsverständnis, wie geht man mit Konflikten
um, wie finden Entscheidungsprozesse statt, welche Rahmenbedingungen müssen vorhanden sein, wie
gestaltet man Kommunikation usw. Dies sind Aspekte die mich persönlich sehr interessieren und
Gegenstand von weiteren Ausführungen wären. Leider ist der Umfang dieser Arbeit zu klein, um mich
weiter damit zu befassen. Dennoch denke ich, dass der Ansatz zukunftsweisend ist. Weg von
zentralisierten Strukturen zu kommen, in denen einige wenige Macht über viele haben. Dabei kommt mir
der Film «Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen» in den Sinn. In diesem Werk kommt zum Ausdruck,
dass kleine Zusammenschlüsse, überschaubarer Systeme, welche von Menschen für Menschen
geschaffen werden, sehr effizient sind. Warum sind sie dies? Weil die Menschen nicht nur Mitarbeitende
sind, sondern Mitdenkende, Beteiligte, Mitbegründende und die ihnen entsprechenden Fähigkeiten
miteinbringen können. Eben, selbstbestimmt und selbstorganisiert!
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Literaturverzeichnis
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