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Die Geschichte des Rituals der GLvÖ

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Die Geschichte des Rituals der Großloge von Österreich
Georg Klee
Mein Bürge hat mich schon sehr früh auf die Bedeutung des Rituals
hingewiesen und mir die besondere Schönheit und die eindrückliche
Schlichtheit der Sprache ans Herz gelegt. Natürlich hat er mir auch vom
Schauspieler und Theaterdirektor Friedrich Ludwig Schröder erzählt, dem
wir dieses Ritual zu verdanken haben. Später hörte ich auch von den
Vorbereitenden Meistern und von an-deren erfahrenen Brüdern, dass wir
nach einem modifizierten Schröderschen Ritual arbeiten.
Als ich dann zum ersten Mal ein Schrödersches Ritual sah, bekam ich einen
ordentlichen Schrecken. Das Schrödersche Ritual ist viel, viel länger und
auch viel langatmiger, es enthält Gebete und Gesänge, die es bei uns zum
Glück nicht mehr gibt, und es ist in einer mir doch recht antiquiert
erscheinenden Sprache verfasst. Es war ganz anders als unser schlichtes, auf
das Wesentliche konzentrierte Ritual, das mir von Anfang an ungeheuer gut
gefallen hatte. Also fing ich an, mich selbst auf die Suche zu begeben.
Allerdings ohne jeden Erfolg.
Im Jahr 2011 war unser Ritual in Zeit & Maß gemäß dem Jahresthema „Das
Ritual ist unsere Mitte“ Titelthema. Da habe ich mich sehr gefreut, endlich
aus berufener Quelle mehr über die Geschichte unseres Rituals zu erfahren.
Doch ich war sehr enttäuscht, als ich alles gelesen hatte. Außer einigen sehr
allgemeinen Beschreibungen verschiedener Rituale war wieder nichts
Genaues über die Geschichte unseres Rituals zu finden.
„Vergleicht man die einzelnen Rituale, stellt man Abweichungen fest,
deren Entstehungsgrund manchmal im Dunkeln liegt.“ 1
So gescheit war ich schon vorher gewesen. Auch hier las ich wieder, dass
wir nach einem modifizierten Schröderschen Ritual arbeiten. Das brachte
mir in keiner Weise den erhofften Erkenntnisgewinn.
1
Zeit & Maß Nr. 12, 2011, S 3
Woher also kommt unser Ritual, das so anders als alle anderen Rituale ist?
Es kann doch nicht einfach vom Himmel gefallen sein.
Die Schlüssel dazu fand ich an vielen Stellen in den sechs Bänden zur
Geschichte der Freimaurerei in Österreich des i.∙. d.∙. e.∙. O.∙.
vorangegangenen Brs.∙. Günter K. Kodek, bei dem ich mich an dieser Stelle
ausdrücklich posthum für seine unglaublich verdienstvolle Arbeit bedanken
möchte, sowie im Archiv der GLvÖ. 2
Die Freimaurerei war in allen habsburgischen Erbländern in der Zeit von
1795 bis 1867 verboten. In dieser Zeit gab es, mit Ausnahme einiger
französischer Militärlogen in der Zeit Napoleons und einer einzigen Arbeit
im revolutionären Wien des Jahres 1848 keine regulären Arbeiten. Erst der
„österreichisch-ungarische Ausgleich“ von 1867 war die Geburtsstunde der
k.u.k. Monarchie. Das bedeutete: Österreich mit einem Kaiser, Ungarn mit
einem König, verkörpert in ein und derselben Person mit zwei
unterschiedlichen Rechtssystemen in Cis- und Transleithanien.
Das neue Vereinsrecht im Kaiserreich Österreich sah unangemeldete
Kontrollen von Vereinen durch staatliche Kommissare vor. Das machte die
reguläre, gedeckte Logenarbeit von Freimaurern unmöglich. Das im
Königreich Ungarn gültige Vereinsgesetz erlaubte hingegen rituelle Arbeiten
ohne Beisein profaner Staatsorgane.
Bereits im Jahr 1868 gründeten Ludwig Lewis und Franz Julius
Schneeberger in Pest die erste Loge „Zur Einigkeit im Vaterland“3. Sie
arbeitete in deutscher Sprache mit einem englischen Patent und gilt als
Mutterloge der Johannismaurerei in Ungarn. 1869 erfolgt in Ödenburg
(Sopron) die Gründung der ebenfalls in deutscher Sprache arbeitenden Loge
„Zur Verbrüderung“, in der auch Suchende aus Österreich aufgenommen
wurden. Diese Loge arbeitete anfangs unter dem Schutz und nach den
Statuten und den Schröder’schen Ritualen der Großen Loge von Hamburg.
Hier taucht der Friedrich Ludwig Schröder also zum ersten Mal auf.
2
Hier besonders: Günter K. Kodek: Zwischen verboten und erlaubt. Die Chronik der Freimaurerei in der österreichisch-ungarischen Monarchie (1867–1918) und der I. Republik Österreich (1918–1938), Wien 2009 und Günter
K. Kodek: Unbeirrt durch den Lärm der Welt. Chronik der Freimaurerei in der II. Republik Österreich von 1945
bis 1985, Wien 2014
3
Günter K. Kodek: Zwischen verboten und erlaubt, S. 14
Warum gerade die Statuten der Großen Loge von Hamburg? Anders als z.B.
die drei preußischen Großlogen hatte die Großloge von Hamburg praktisch
von Anfang an jüdischen Brüdern ausländischer Logen das Besuchsrecht
eingeräumt und bereits 1816 entschieden, dass jeder rechtschaffene Mann
unabhängig von seinem Glauben aufgenommen werden könne. 1841
erfolgte die erste Aufnahme eines Juden in die Hamburger Loge „Ferdinande
Caroline zu den drei Sternen“.
Zurück ins Jahr 1869: Franz Julius Schneeberger gründete gemeinsam mit
den in Ungarn aufgenommenen österreichischen Freimaurern, die
überwiegend aus Wien stammten, in Wien den unpolitischen Verein
„Humanitas“. Im Jahr 1871 erfolgte dann die Gründung der Loge
„Humanitas“, der ersten sogenannten Grenzloge, durch Mitglieder der
Logen, die zuvor in Ödenburg gearbeitet und dann ehrenvoll gedeckt hatten.
Im Laufe des Jahres affiliierten fast alle restlichen Wiener in die
„Humanitas“ und 1872 erfolgte die Lichteinbringung in Neudörfl/LajtaSzentmiklós bei Wiener Neustadt.
Dieser Gründung folgten bis 1918 weitere 15 Gründungen von Grenzlogen.
Auf österreichischem Boden, also in der Regel in Wien, bestand jeweils ein
humanitärer Verein mit denselben Mitgliedern einer Freimaurer-Loge auf
ungarischem Boden, in der rituell gearbeitet wurde. Die österreichischen
Grenzlogen arbeiteten unter dem Schutz der im Jahre 1870 gegründeten
Johannis-Großloge von Ungarn. Nach der Vereinigung mit dem Großorient
von Ungarn, der Oberbehörde für die nach Schottischem Ritus arbeitenden
Logen, im Jahr 1886 nahm sie den Namen Symbolische Großloge von
Ungarn an.
Die rituellen Arbeiten dieser Grenzlogen fanden bis zum Beginn des Ersten
Weltkrieges unterschiedlich oft statt, von anfangs einmal monatlich bis nur
einmal im Jahr an einem Wochenende, meistens über zwei Tage verteilt:
Üblich war zunächst am Samstag eine Arbeit im III. Grad, dann eine im II.
Grad und schließlich am Sonntag Aufnahmen im I. Grad. Die Anreise erfolgte
gemeinsam mit der Eisenbahn im Schnellzug oder nach Pressburg auch mit
dem Donauschiff.
Die humanitären Vereine trafen sich in Wien zuerst in öffentlichen Lokalen,
später in eigenen Räumlichkeiten, die zum Teil gemeinsam von mehreren
Vereinen genutzt wurden. Diese Vereinsräumlichkeiten waren ähnlich wie
Logenräume eingerichtet und sie wurden unter den Logenmitgliedern meist
als „Tempel“ bezeichnet. Im Großlogenarchiv gibt es mehrere gedruckte
Einladungen der Loge „Treue“ aus dem Jahr 1907 zu einer Arbeit im I. Grad mit Angabe des Baustückes - in der Dorotheergasse 12. Für sogenannte
Schwesternarbeiten wurden die Vereinslokale in besonderer Weise
geschmückt, denn in den meisten Grenzlogen wurden die Schwestern, wenn
auch nur sehr beschränkt, in die freimaurerische Gemeinschaft einbezogen.
Die Struktur der Logenmitglieder hatte sich gegenüber dem 18. Jahrhundert
total verändert. Der Adel war nun im Gegensatz zum 18. Jahrhundert nur
noch ganz selten vertreten, der Hochadel spielt keine Rolle mehr, dafür
überwogen Kaufleute, Fabrikanten, Gewerbetreibende, Bankbeamte, Ärzte,
Apotheker, Architekten, Rechtsanwälte, Ingenieure, Schriftsteller und
Journalisten. Es verkehrten aber auch Schauspieler, bildende Künstler,
Wissenschaftler und Staatsbeamte in den Logen. Eine große Zahl von
Decknamen zeigt, dass es für bestimmte Berufsgruppen wie Lehrer oder
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, z.B. für den Sozialpolitiker
Ferdinand Hanusch, nicht opportun war, offiziell dem Bund anzugehören.
Die Loge „Humanitas“ wollte sich ebenfalls unter den Schutz der Großen
Loge von Hamburg stellen und nach ihren Statuten und Ritualen arbeiten,
der Antrag wurde aber unter Hinweis auf die Zuständigkeit der inzwischen
gegründeten Johannis-Großloge von Ungarn abgelehnt. Die Loge
„Humanitas“ arrangierte sich daher mit der JGLvU.
Aus dem Jahr 1872, also bereits aus dem zweiten Jahr ihres Bestehens, gibt
es im Archiv der Großloge handschriftliche Rituale der Loge „Humanitas“.
Das Ritual I°, mit dem ich mich hier beschäftige, ist viel kürzer und ganz
anders als das von Schröder, auf dem es im Kern beruht, noch um Einiges
kürzer als unser heutiges, und es klingt uns noch heute sehr vertraut. Trotz
seiner Kürze enthält es Elemente, die es im Schröder-Ritual nicht gibt, wie
zum Beispiel die Erteilung des kleinen und des großen Lichtes, die es aber
so ähnlich bereits in den nach französischen Vorbildern aus der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts entstandenen Ritualen der Großen NationalMutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ und später der Strikten Observanz gab.
Es leitet sich, wie die meisten nicht-englischsprachigen Rituale im 18.
Jahrhundert, vom französischen Ritual ab, das ab 1737 in Broschüren
beschrieben und 1745 im Buch „L’ Ordre de Francs-Maçons trahi“ bzw. 1745
in dessen deutscher Übersetzung „Die offenbarte Freymaurerei“ ziemlich
genau dargestellt wurde. Vielleicht hat MvSt Franz Julius Schneeberger
dieses kurze Ritual der Loge Humanitas verfasst.4
Innerhalb der Loge „Humanitas“, die bereits an die 300 Mitglieder hatte.,
gab es nun eine Gruppe, die mit dem Führungsstil des MvSt nicht zufrieden
waren, und denen dieses Ritual immer noch zu eng an religiöse
Vorstellungen und Begriffe gebunden und zu wenig fortschrittlich war.
Damit waren sie nicht allein. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in
einigen deutschen Logen Bestrebungen, die Rituale „von veralteten
Gebräuchen“ zu bereinigen, „um nicht hinter dem Zeitgeist zurück zu
bleiben“, „damit es auch den Gebildeten anspricht und nicht zu Spott und
Hohn herausfordert.“ Einige Großlogen erlaubten das, die Mehrheit wollte
das aber nicht.
1873 hatte eine Meisterkonferenz der Loge „Humanitas“ mit großer
Mehrheit den Entwurf für eine neue Verfassung abgelehnt. Im Jahr 1874
gründeten deswegen acht Logenmitglieder in Pozsony/Pressburg die Loge
„Zukunft“ und in Wien den Verein „Literarischer Geselligkeits-Club“. An der
Spitze der Gruppe, die eine Änderung der Statuten verlangt hatte, stand der
DepMvSt.∙der „Humanitas“, Hermann Beigel.
Hermann Beigel, 1830 im preußischen Teil Polens geboren, hatte in
Greifswald, Breslau und Berlin Medizin studiert, war anfangs Badearzt in
einem kleinen Kurort in Schlesien, und erhielt als erster Deutscher einen
Ruf an das Charing Cross Hospital in London, wo er der Abteilung für
Hautkrankheiten vorstand, als Lecturer of skin diseases arbeitete und
danach Physician am Metropolitan Free Hospital war. 1862 wurde er in die
Londoner Loge „Tranquility“ Nr. 185 aufgenommen, in der er im Jahre 1870
zum MvSt gewählt wurde. Am Feldzug von 1870 - 71 nahm er als
Regimentsarzt beim 65. Infanterie-Regiment zu Köln teil und wurde bei
4
Der Zirkel Nr. 5, 1. März 1872, S. 18, anlässlich der Lichteinbringung wird die erste Aufnahme nach einem von
der L Humanitas selbst ausgearbeiteten Ritual durchgeführt, von dem ich annehme, dass der MvSt Schneeberger
es so wie praktisch alle anderen Schriftstücke, Statuten etc. selbst verfasst hat.
Verdun mit dem Eisernen Kreuz dekoriert. Nach Beendigung des Feldzuges
folgte er einem Ruf als leitender Arzt an das neugegründete MariaTheresien-Frauen-Hospital in Wien. Anfang 1873 affiliierte er in die Loge
„Humanitas“, und 1874 war er dann Gründungsmitglied der Loge
„Zukunft“5.
Die Mitglieder der neuen Loge „Zukunft“ wandten sich gegen alle aus ihrer
Sicht falsch verstandenen Traditionen, „gegen Gefühlsduselei und
Vereinsmeierei“. Sie forderten die Betonung der Autonomie der Logen
gegenüber der Großloge, die Abschaffung der Voraussetzung des Glaubens
an Gott und die Unsterblichkeit der Seele, Zugang für jeden, der die sittlichethischen Voraussetzungen erfüllt, weiters den Ersatz der Bibel durch die
Logenverfassung („zum Selbstdenken und zu eigener Erforschung des
höchsten Gedankens“), die Abschaffung der Gebete und der Anrufung des
Großen Baumeisters aller Welten, die Abschaffung des Eides und des Kniens
bei der Aufnahme, die Abschaffung aller Titel wie „ehrwürdiger“ und
„ehrwürdigster“ und der aus dem kirchlichen Bereich stammenden
Bezeichnungen wie Altar, Tempel und Katechismus, die Gleichstellung aller
Grade beim Stimmrecht in allen Verwaltungs- und Organisationsfragen, die
strenge Prüfung der freimaurerischen Geschichte und Literatur sowie die
laufende Erörterung wissenschaftlicher Themenkreise.
Ausgehend vom Ritual der Loge „Humanitas“ bzw. dem Schröder’schen
Ritual und wenigstens einem weiteren Ritual aus der französischen
Tradition, das ich noch nicht identifizieren konnte, sowie Elementen des
englischen Rituals, das Hermann Beigel von seinem Aufenthalt in London
kannte, schuf er durch Streichung aller kirchlichen Begriffe und deistischen
Bezüge, durch Konzentration auf das Wesentliche und auch durch
behutsame Ergänzung mit einigen wenigen neuen Inhalten in nur vier
Wochen ein einfaches, logisches, konsistentes und vollkommen laizistisches
Ritual. Damit sollte ausdrücklich auch Atheisten der Eintritt in die
Freimaurerei ermöglicht und darüber hinaus den wissenschaftlichen
Erkenntnissen und den sozialen Entwicklungen der Zeit besser entsprochen
5
Günter K. Kodek: Unsere Bausteine sind die Menschen. Die Mitglieder der Wiener Freimaurerlogen
(1869–1938), Wien 2009, S 36.
werden. 6 Das alles geschah drei Jahre vor der radikalen laizistischen Reform
des Grand Orient de France!
Das Ritual der Loge „Zukunft“ aus dem Jahre 1874 ist unserem heutigen
Ritual ähnlicher als die späteren Rituale der Johannis-Großloge von Ungarn
aus dem Jahre 1877 und der Symbolischen Großloge von Ungarn aus dem
Jahre 1888. Damit kann das Jahr 1874 als das eigentliche Geburtsjahr des
bis heute weitgehend gleichen Rituals der GLvÖ gelten, das diesem Ritual
noch immer - oder besser: wieder - in großen Teilen gleicht.
Weitere wichtige Gründe für eine Reform der Rituale waren:
•
die zunehmend selteneren rituellen Arbeiten in Transleithanien, oft
unter großem Zeitdruck wegen der umständlichen An- und
Abreisen,
•
der Ersatz der Katechismen in den Ritualen durch Instruktionen in
nichtrituellen Arbeiten, und vor allem
•
die immer größer werdende Bedeutung der Vorträge zu
überwiegend aktuellen und wissenschaftlichen Themen bei den
regelmäßigen Treffen in den Wiener Vereinslokalen gegenüber den
rein rituellen Arbeiten.
Diese regelmäßigen Treffen waren den Logen-Mitgliedern∙viel wichtiger als
langatmige rituelle Arbeiten. Das führte auch zur Gründung humanitärer
Institutionen. Von ihnen wurden zum Beispiel das Erste österreichische
Kinderasyl und später das Rekonvaleszentenheim für arme Frauen
gegründet und betrieben.
Die einzelnen Logen unter dem Schutz der Johannis-Großloge von Ungarn
verwendeten in dieser Zeit unterschiedliche Rituale und unterschiedliche
Logeneinrichtungen, was dazu führte, dass sich die Freimaurer bei
Besuchen in anderen Logen oft nicht zurechtfanden. Daher wurde bereits im
Jahre 1875 auf einer Großversammlung der Großloge der dringende
Wunsch nach Vereinheitlichung der Rituale geäußert, um auf diese Weise
auch Einigkeit und Zusammengehörigkeit zu fördern. Auf einer weiteren
6
Ritual der ger. und vollk. unter dem Schutze der Ehrwürdigsten Großloge von Ungarn stehenden St.
Johannis-Loge „Zukunft“ im Orient Preßburg für den Lehrlingsgrad, gedruckt bei Bär & Hermann in
Leipzig o.J. [1874]
Versammlung wurde dann beschlossen, für alle Logen verbindliche Rituale
herauszugeben und dabei aber „die auf den A.B.a.W. bezogenen Stellen …
dem Gutdünken einer jeden einzelnen Loge [zu] überlassen, in welchem
Maße sie dieselben, als nicht zum Meritum des Bundes gehörig, in
Anwendung bringen will“.7
1875 erhielt Hermann Beigel vom Kollegium der Großbeamten den
offiziellen Auftrag, „auf Basis des Schröder’schen Rituals für alle Logen
gültige Rituale für die drei Johannisgrade zu erarbeiten“. Ich nehme an, dass
der Auftrag so formuliert wurde, um einerseits all jene zu beruhigen, die das
neue Ritual der Loge „Zukunft“ noch nicht kannten, und andererseits die
Hamburger Tradition der religiösen Toleranz zu betonen. Schröder war im
Ritual der Loge „Zukunft“ nur mehr in Spuren vorhanden.
Von diesem Beschluss zur Reform der Rituale kam also die immer wieder
wiederholte Behauptung, dass wir nach modifizierten Schröder’schen
Ritualen arbeiten. Hermann Beigel nahm aber sein Ritual der Loge „Zukunft“
als Grundlage für das neue Ritual für den I. Grad der Johannis-Großloge von
Ungarn.
Darauf wurde, wie es offiziell hieß, „das Ritual auf Grundlage des
Schröder’schen (Hamburger) Rituales unter Mitwirkung von Hugo Maszák
bearbeitet, vorerst aber mit Rücksicht auf die großen Kosten nicht in Druck
gelegt, bis die ehrw. Gr.-Loge-Jahres-Versammlung darüber bestimmt, ob sie
zu acceptiren sei oder nicht.“8
Im April 1876 ernannte übrigens die United Grand Lodge of England
Hermann Beigel zum ersten Repräsentanten bei der Johannis-Großloge von
Ungarn, offensichtlich, ohne von seinen revolutionären Ideen und
Aktivitäten zu wissen.
Im Jahre 1876 wurde das Ritual, „welches die Meister der Loge ,Zukunft‘,
Beigel, Scaria, Lobe, Goldenberg, Meschorer und G. berathen und auf
Grundlage des in England üblichen Rituales ausgearbeitet“ ….. „trotz
lebhafter Befürwortung der Grossloge, nur soweit angenommen, als es die
Stellung der Tische und den Beginn und Schluss der Loge betrifft. Das
weitere Ritual wurde einstweilen der nächsten Berathung vorbehalten.“9
7
Günter K. Kodek: Zwischen verboten und erlaubt, S. 66.
Allgemeine österreichische Freimaurer-Zeitung, 31.12.1875, S. 145.
9
Allgemeine österreichische Freimaurer-Zeitung, 31.3.1876, S. 42.
8
„Die Ausarbeitung des neuen Ritualentwurfes, bei dem die eingebrachten
Gegenbemerkungen in Betracht gezogen werden sollen, wurde einem
Dreier-Comité, welches aus den Brüdern Franz Belányi, Julius Stielly und
Alexander Uhl besteht, übergeben.“
Im Herbst 1876 fand eine rituelle Probearbeit statt, die ungeteilte
Zustimmung fand, daher wurde der Ritual-Entwurf des Komitees als
verbindlich angenommen.10 Unter den Autoren des Aufnahmerituals wird
Beigel nicht mehr erwähnt: „Wie wir von sicherer Seite vernehmen, ist die
gediegene Redigirung der Entwürfe hauptsächlich Br. Stielly zuzuschreiben,
der dieselben seinen fachkundigen Beiräthen vorlegte, ohne dass diese,
kleine Abänderungen abgerechnet, etwas bemangelnswerthes gefunden
hätten. Dem Aufnahmsrituale dient das Elaborat des Br. Ernst Wohlfarth, M.
v. St. der Loge ‚Galilei‘, Or. Budapest, als Basis, und überaus schön sind seine
beigelegten, dem Rituale beispielsweise beizugebenden Ansprachen, die
dem Zeitgeiste volle Rechnung tragen.“11
Im Herbst des Jahres 1877 wurden nach geringfügigen Änderungen die noch
fehlenden Rituale im I. Grad für Fest-, Schwestern- und Trauerarbeiten, für
Tafellogen und für die Inauguration von Tempeln beschlossen. Neun Jahre
nach der Lichteinbringung in die erste Grenzloge auf ungarischem Boden
wurde das neue vollständige Ritual I° gedruckt und allen Logen, die unter
dem Schutz der Johannis-Großloge von Ungarn arbeiten, zur Verfügung
gestellt.
Der Grundriss der Loge entspricht dem Hamburger Ritual. Er weicht in
einigen Punkten vom heute bei uns gebräuchlichen ab und ähnelt noch
mehr der Anordnung in englischen und deutschen Logen.
Die obligatorischen Stellen wurden mit Anführungszeichen hervorgehoben,
wobei es „der Einsicht des Meisters überlassen blieb, alles Übrige von Fall zu
Fall den obwaltenden Verhältnissen entsprechend zu ändern“.12
Die Tafel-Logen haben einen ähnlichen Ablauf wie die Weißen Tafeln im
Anschluss an eine Rezeption, und die Trauer-Loge verläuft sehr ähnlich wie
unsere Trauerarbeit, das Rosenritual ist aber noch nicht enthalten.
10
Günter K. Kodek: Zwischen verboten und erlaubt, S. 78.
Allgemeine österreichische Freimaurer-Zeitung, 16.11.1876, 151.
12
Günter K. Kodek: Zwischen verboten und erlaubt, S. 83.
11
Was wir nicht mehr kennen, sind die nichtrituellen „Schwesternlogen“ mit
Vorträgen ernsten Inhaltes mit der Tendenz, Zweck und Wirken der
Freimaurerei den Schwestern verständlich zu machen, meist gefolgt von
Schwestern-Tafel-Logen.
Durch die Streichung des Lehrlings-Katechismus aus dem Ritual für den I.
Grad, einer langen Reihe von Fragen und Antworten über den Inhalt des
Lehrlingsgrades zwischen dem Meister vom Stuhl und verschiedenen
Beamten, über die der Lehrling vor der Lohnerhöhung geprüft wurde, war
es notwendig, Instruktionen über die Lehrinhalte einzuführen. Diese
Instruktionen konnten ohne weiteres in Wien stattfinden, da sie nicht mehr
Teil der rituellen Arbeit waren.
1886 erfolgte der Zusammenschluss der Johannis-Großloge von Ungarn mit
dem Großorient von Ungarn zur Symbolischen Großloge von Ungarn. Dabei
wurde vereinbart, dass die ersten drei Grade in „blauen“ Logen und die
Grade bis zum 33. in „roten“ Logen bearbeitet werden, so wie bei uns heute.
Leider wurde dabei nicht vereinbart, für die ersten drei Grade einfach die
Rituale der Johannis-Großloge von Ungarn weiter zu verwenden. Entweder
wurden sie von einer schlechten Vorlage übernommen, schlecht übersetzt
oder irgendjemand, der leider keines der Talente von Hermann Beigel hatte,
hat sie neu geschrieben. Was dabei herauskam, ist ein Lehrbeispiel für den
gewaltigen Unterschied zwischen gut und gut gewollt bzw. gut gemeint. Im
Bestreben, nur an die Vernunft des Aufzunehmenden zu appellieren und
diesem lang und breit die Fortschrittlichkeit der Maurerei zu zeigen,
entstand ein nüchterner, ja äußerst trockener Text, wobei jede nur
halbwegs poetische Formulierung vermieden wurde. Am 25. September
1888 wurden diese nunmehr verbindlichen Rituale veröffentlicht.
Das Ritual I° ist von den Ritualen aus dem 19. Jahrhundert dasjenige, das
unserem heutigen am wenigsten gleicht. An vielen Stellen wurden in das
ohnehin recht lange Ritual der Johannis-Großloge von Ungarn weitere
langatmige und gestelzte Textteile eingefügt. Für die drei Reisen des
Suchenden gab es nunmehr zwei Varianten, eine konventionellere mit drei
kurzen Reisen, allerdings nur begleitet von Musik oder Gesang statt der drei
uns so vertrauten Ermahnungen und Ansprachen, und eine weitere mit
einer langen Rede, in der ausführlich erklärt wurde, dass die früher üblichen
drei Reisen heute nicht mehr notwendig seien, um die „nöthigen
Erfahrungen und Kenntnisse zu sammeln, um das praktische Leben kennen
zu lernen und sich gegen die mannigfaltigen Wechselfälle des menschlichen
Lebens zu stählen“, da durch die zwei größten und wichtigsten Erfindungen,
welche die Menschen überhaupt bis jetzt gemacht haben, nämlich die
Buchdruckerkunst und die Eisenbahnen, es nicht mehr dieser drei
Wanderjahre bedarf, um sich die angeführten Erfordernisse anzueignen,
zumal das Hauptgewicht auf den moralischen und intellektuellen
Eigenschaften liege.
Dafür entfielen leider einige schöne und wichtige Elemente der Beigel’schen
Rituale. Der harmonische und konsistente Aufbau der Rituale der Loge
Zukunft und der Johannis-Großloge von Ungarn ging ebenso verloren wie
die eingängige und schöne Sprache.
Am 5. November 1918 ersuchte der Zentral-Ausschuss der Wiener
Grenzlogen die Symbolische Großloge von Ungarn, die bisherigen
österreichischen Grenzlogen aus ihrem Verband zu entlassen, um eine
eigene Großloge gründen zu können, und es kam noch im Jahr 1918 zur
Gründung der Großloge von Wien, die offizielle Konstituierung erfolgte mit
Patent der Symbolischen Großloge von Ungarn am 31. Mai 1919. 1921
wurde die Großloge von Wien durch den Deutschen Großlogen-Bund
anerkannt, nachdem im Jahr 1920 die Alten Pflichten in die Konstitution
aufgenommen worden waren.
Ab 1923 wurde in allen Logen bei rituellen Arbeiten wieder die Bibel auf
den Altar gelegt, bis dahin war in einigen Logen an ihrer Stelle noch immer
die Konstitution aufgelegt worden. 1924 wurden die Hausgesetze der
einzelnen Logen mit der Konstitution in Einklang gebracht und es wurde
wieder einmal mit der Vereinheitlichung der Rituale begonnen. Nachdem
die Großloge von Wien bereits mit 40 freimaurerischen Großbehörden im
gegenseitigen Anerkennungsverhältnis stand, wurde im Jahre 1926 die
Frage nach der offiziellen Stellung der Großloge von Wien zum
Monotheismus bzw. zum „Großen Baumeister aller Welten“ positiv
beantwortet, um die Anerkennung durch weitere amerikanische Großlogen
zu ermöglichen. 1927 wurde festgelegt, dass bei allen rituellen Arbeiten, bei
denen die drei Lichter entzündet werden, obligatorisch freimaurerische
Bekleidung anzulegen ist. Der Brauch sei in der Zeit vor 1918 vernachlässigt
worden, da dies unter der Polizeiherrschaft der Monarchie nicht möglich
gewesen ist, jetzt sei es aber höchste Zeit, wieder daran zu erinnern, dass
dies überall in der Welt so üblich ist.
Im Jahr 1927 wurde in der Loge Zukunft der Antrag gestellt, die Erleuchtung
der Loge möge nur bei Arbeiten zur Lohnerhöhung und sonstigen
Festarbeiten erfolgen und die entsprechenden Stellen im Ritual mögen
geändert oder weggelassen werden. Nach längerer Diskussion wurde der
Antrag abgelehnt, da in diesem Zusammenhang auch noch der Vorschlag
gemacht wurde, die freimaurerische Bekleidung möge nur mehr bei
besonderen Anlässen getragen werden, da sie sonst „profaniert“ werde.
Bei der Überarbeitung der Rituale aus der Grenzlogenzeit wurde zum Glück
auf das Ritual der Loge „Zukunft“ aus dem Jahr 1874 zurückgegriffen. Mit
Jahresbeginn 1930 traten die neuen Rituale I° und II° in Kraft. Damit
verschwanden die Rituale von 1888 im Dunkel der Geschichte.
Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass individuelle Änderungen
des Rituals unzulässig sind und es auch keine Schwestern-„Arbeiten“ gibt,
sondern nur Schwestern-„Abende“. Im gleichen Jahr 1930 wurde auch das
ausdrückliche Bekenntnis zu den Menschenrechten in die Konstitution
aufgenommen.13
1931 beschloss die Große National-Mutterloge „Zu den 3 Weltkugeln“ in
Berlin, die Beziehungen mit der Großloge von Wien abzubrechen. Die auf
Grund der erstellten, hunderte Seiten umfassenden Gutachten im Protokoll
für die Abstimmung als relevant festgehaltenen Punkte lauteten:
1. „das Zahlenverhältnis von Nichtchristen, getauften Nichtchristen und
Christen,
2. die ausgesprochen pazifistische und politische Einstellung,
3. die Zugehörigkeit zur AMI (Association Maçonnique Internationale)
und
4. der Gesamtgeist, der in den Wiener Logen herrscht …“ 14
13
14
Günter K. Kodek: Zwischen verboten und erlaubt, S. 288
Günter K. Kodek: Zwischen verboten und erlaubt, S. 298-299.
Kurze Zeit später erklärte auch die Große Loge von Preußen genannt „Zur
Freundschaft“ (vormals Royal York) die Einstellung ihrer Beziehungen.
1932 kam es zur Anerkennung durch die United Grand Lodge of England,
während das Verhältnis zu den weiteren deutschen Großlogen immer
schlechter wurde.
1934 wurde ein „auf die Haupthandlung unter Hinweglassung aller den
Aufbau und Gang der Handlung beeinträchtigenden Weiterungen“ neu
bearbeitetes und nunmehr „schlicht-eindringliches“ Ritual für den III. Grad
verabschiedet.
Nach dem Bürgerkrieg 1934 verringerte sich in der Zeit des Ständestaates
der Mitgliederstand der Großloge von Wien von ca. 1.800 auf kaum 1.100
Mitglieder. Anfang 1935. Wegen der dadurch angespannten wirtschaftlichen
Lage und wegen der Versammlungsverbote konnten nur wenige rituelle
Arbeiten, oft aus Gründen der Sparsamkeit als Gemeinschaftsarbeiten,
durchgeführt werden. Die Loge „Eintracht“ stellte ihre rituellen Arbeiten ein
und traf sich nur mehr im Kaffeehaus.
In der Folgezeit wurden einige weitere Logen eingeschläfert oder
verschmolzen, weitere Mitglieder deckten, es fanden aber auch wieder
Aufnahmen statt, insgesamt konnte der Mitgliederschwund gebremst
werden.
Am 15. April 1938 wurde die Großloge von Wien offiziell aufgelöst, ebenso
alle Logen, eine nach der anderen, was sich noch bis ins Jahr 1939 hinzog.
Gleich nach der Befreiung Wiens trafen sich 48 Mitglieder der einstigen
Großloge von Wien und reaktivierten die im März 1938 gewaltsam
aufgelöste Großloge von Wien. Da aus ihrer Sicht 1938 kein offizielles
Verbot der Freimaurerei stattgefunden hatte, standen sie auf dem
Standpunkt, dass die Großloge von Wien nicht eingeschläfert wurde,
sondern dass die Arbeit nur unterbrochen wurde. Eine erste Sammelloge,
die den Namen „Humanitas renata“ tragen sollte, wurde gegründet.
Da keine Rituale vorhanden waren, wurden sie von den Erwin Kulka und
Ferdinand Rangetiner aus dem Gedächtnis niedergeschrieben, und - wie
sich später herausstellen sollte - es stimmten diese Rituale bis auf
geringfügige Kleinigkeiten mit den zuletzt verwendeten Ritualen aus der
Zwischenkriegszeit überein.
Im Jahre 1956 erfolgte die erste Überarbeitung der Rituale der GLvÖ durch
Großmeister Bernhard Scheichelbauer, Anfang 1959 wurden die
verbindlichen Rituale für den I. Grad vervielfältigt und an die Logen verteilt,
zum geplanten Druck ist es aber nicht gekommen.
In den Jahren 1972 bis 1974 werden die Rituale von einer
Ritualkommission unter Leitung des DepGM Kurt Baresch neuerlich
überarbeitet und neu herausgegeben.
Bei dieser Neuauflage der Rituale für den I., II. und III. Grad sowie für
Lichteinbringung und Trauerarbeit durch Kurt Baresch, Jörg Mauthe und
Viktor Rannicher wurden „unter besonderer Berücksichtigung überlieferter
bzw. verloren gegangener Texte“ zahlreiche Formulierungen verbessert,
Widersprüche und unnötige Wiederholungen beseitigt und auch einige neue
Elemente, wie z.B. das regelmäßige Gedenken „an die Brr.·., die vor uns am
rauen Stein gearbeitet haben und uns i.·.d.·.e.·.O.·. vorausgegangen sind“
oder das Rosenritual in die Rezeption, eingefügt. Die „Handschrift“ Jörg
Mauthes, sein herausragendes sprachliches Talent und sein enormes Wissen
sind unverkennbar.
So entstanden unsere heutigen Rituale, die nicht einfach vom Himmel
gefallen sind. Sie stammen auch nicht von König Salomo, wie in Amerika
noch vielfach gelehrt wird, sie wurden von Mitgliedern unserer Kette
geschaffen. Heute arbeiten alle Logen unter dem Schutz der GLvÖ nach den
gleichen Ritualen, deren ferner Ursprung die englischen Rituale aus der Zeit
nach 1730 sind, die französischen Rituale aus der 1. Hälfte des 18.
Jahrhunderts und die auf ihnen beruhenden deutschen Rituale, das
Hamburger Ritual des Friedrich Ludwig Schröder, die einfachen und sehr
knappen Rituale der Loge „Humanitas“ aus dem Jahre 1872, die radikal
laizistisch reformierten Rituale der Loge „Zukunft“ aus dem Jahre 1874, die
Rituale der GLvW aus den Jahren 1930 und 1934 sowie die Rituale der GLvÖ
von 1957 und 1972 bis 1974.
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