Uploaded by Jane Dewhurst Bratschi

Umgang mit Fehlern / Dealing with errors

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Pädagogische Hochschule FHNW
Sekundarstufe II
Lernförderlicher Umgang mit Fehlern im Sprachunterricht
Jane Dewhurst Bratschi
Juni 2018
IAL betreut durch Z. Dellios
Bildung und Unterricht
Matrikelnummer: 16-736-035
Email: jane.dewhurst@student.fhnw.ch
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Pädagogische Hochschule FHNW
Sekundarstufe II
„Fehler [...] sind das Tor zu neuen Entdeckungen.“
James Joyce, Ulysses
1.
Einleitung
In den letzten Jahrzehnten hat sich sowohl in der Fremdsprachendidaktik als auch in der
allgemeinen Didaktik ein Paradigmenwechsel vollzogen. Nachdem Fehler lange Zeit als Defizite
angesehen wurden, die am besten völlig vermieden und, falls unvermeidlich, möglichst sofort
korrigiert werden sollten (wie Brookes es 1960 formulierte: „error, like sin, is to be avoided and its
influence overcome“, zitiert in Bitchener & Ferris 2012: 4), haben solche Ansichten in letzter Zeit
einer offeneren und toleranteren Haltung gewichen (vgl., z.B., Althof 1999: 7-10, Weingardt 2004:
20-25, Türling 2014: 29). Aus der Sicht der allgemeinen Didaktik gelten Fehler in Lernsituationen
nicht mehr als Makel, sondern als wichtige Wegmarken im Lernprozess, Mittel zum Erwerb von
Lernstrategien und metakognitiven Kompetenzen – gar als „wichtiger Bestandteil von Prozessen
des verstehenden Lernens“ (Schumacher 2010: 8; vgl. Oser et al. 1999, Helmke 2010). Im Zuge
des zeitgenössischen Wandels hin zu einem kompetenzorientierten und individualisierten
Unterricht erscheint die Umsetzung dieser „neuen Fehlerkultur“ umso wichtiger und notwendiger.
Als angehende Englischlehrerin bin ich häufig mit falscher Wortwahl sowie mit
fehlerhaften Strukturen im Klassenzimmer konfrontiert. Die Frage nach einer angemessenen
Reaktion stellt sich für Fremdsprachenlehrer umso dringender, da Fehler aus den Perspektiven der
Zweitspracherwerbsforschung sowie der Fremdsprachendidaktik einerseits als unvermeidlich und
sogar förderlich für den Lernprozess gelten, andererseits aber angemessen und nuanciert behandelt
werden müssen, wenn ein Lerneffekt erzielt und das Lernklima erhalten werden sollen. Im
folgenden Aufsatz wird daher der Frage nachgegangen, wie diese Ziele im gymnasialen
Englischunterricht mit Bezug auf die mündliche Kommunikation zu erreichen sind.
2.1
Fehler in der allgemeinen Didaktik
Die alte Fehlerkultur, die sowohl in der Lernpsychologie als auch in der Unterrichtspraxis verbreitet
war und in gewissen Kontexten noch bleibt, basiert auf hartnäckigen Annahmen bezüglich des
Lernprozesses und des Fehlermachens insgesamt. Traditionell war die Haltung Fehlern gegenüber
von Intoleranz geprägt: Fehler wurden verhindert und tabuisiert wegen der Befürchtung, sie
könnten Lernende in die Irre führen (vgl. Oser & Spychigers „Fehlervermeidungsdidaktik“ 2005:
2
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164). Im Zuge des Wechsels zur neuen Fehlerkultur sind aber Forscher und Didaktiker gegen
solche Annahmen ins Feld gezogen. So betonen beispielsweise Oser & Spychiger die Wichtigkeit
des negativen Wissens für die kognitive Entwicklung: Unter diesem Begriff verstehen sie „jene
Aspekte des Erkennens, die eine bisher erworbene kognitive Struktur ins Wanken bringen oder ihr
aber eine unerschütterbare Sicherheit geben“ (2005: 11). Durch Fehler, so Oser & Spychiger,
entwickeln Lernende ein „geistiges Immunsystem“ (2005: 42), eine Ansammlung negativen
Wissens, die für das Verständnis der Lerninhalte unentbehrlich ist. Oser et al. bieten daher eine
dynamische Definition des Fehlerkonzepts, die diesem Prozess der Wissenskonstruktion
Rechnung trägt: ein Fehler ist „ein von einer Norm abweichender Sachverhalt oder Prozess, der es
überhaupt erst ermöglicht, den diesem Sachverhalt oder Prozess entgegengesetzten richtigen
normbezogenen Sachverhalt in seinen Abgrenzungen zu erkennen“ (1999: 17). Lernen heisst daher,
durch den Prozess des Fehlermachens das negative Wissen als „Abgrenzungswissen“ aufzubauen
und dadurch das normentsprechende positive Wissen zu stärken und prozedural umzusetzen.
Ausgehend
von
solchen
Erkenntnissen
wächst
in
den
letzten
Jahren
das
Forschungsinteresse an Fragen des Fehlermachens auf so diversen Gebieten wie der
Kognitionswissenschaft und der Entwicklungspsychologie, der Allgemeindidaktik und der Ethik
(vgl. Althof 1999: 8). In der Allgemeindidaktik werden pädagogisch relevante Themen wie die
Kultivierung einer konstruktiven Fehlerkultur, die Fehleranalyse und -korrektur, und die Förderung
von Fehlerkompetenz bei Lehrkräften, detailliert unter die Lupe genommen (vgl. Oser et al. 1999:
11-42). Ausserdem wird die Bedeutsamkeit der neuen Fehlerkultur für den Unterricht in
verschiedensten Fächern und Kompetenzbereichen betont. Oser & Spychiger befürworten
beispielsweise einen grundlegenden Bewusstseinswandel unter Lehrpersonen bezüglich der
vielfältigen Rolle des Fehlermachens beim Lernprozess:
„Schulen und Lehrpersonen müssen lernen, dass (a) bei der Erarbeitung eines Stoffes,
(b) bei der Diskussion dessen, was in einer bestimmten Situation moralisch wichtig
oder unwichtig ist, und (c) beim Erwerb einer Fertigkeit oder einer Routine (auch einer
geistigen Fertigkeit wie das Sprechen einer Fremdsprache) das Fehlermachen eine
bedeutsame Rolle spielt […].“ (2005: 118)
Sie ermitteln die wichtigsten Voraussetzungen für eine solche positive Fehlerkultur: erstens, dass
Fehler als solche wahrgenommen werden müssen, zweitens, dass ein positives Arbeitsklima
herrschen soll und drittens, dass ein sachlicher Umgang mit Fehlern (auch mit den eigenen) von
der Lehrperson gepflegt werden muss (2005: 124-132). Die zentrale Rolle der Lehrperson bei der
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Kultivierung eines lernförderlichen Umgangs mit Fehlern wird auch von Rakoczy & Pauli
untermauert, die ebenfalls das Korrigieren einerseits aber auch das Unterstützen andererseits
hervorheben: „Konstruktive Rückmeldungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie korrigierende und
zukunftsgerichtete Hilfestellungen geben“ (Rakoczy & Pauli 2006: 218). Für Lehrpersonen, die mit
Fehlern konfrontiert sind, eröffnet sich eine Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten, einschliesslich
Fehler identifizieren und öffentlich machen, Falsches und Richtiges kontrastieren und begründen,
den Aufbau von Gedächtnisstützen ermöglichen, Repetitionsmöglichkeiten schaffen, Gelerntes
festhalten und Langzeitwirkung überprüfen (vgl. Oser & Spychiger 2005: 125-132).
2.2
Fehler in der Sprachpädagogik
In der Sprachpädagogik sowie in der Zweitspracherwerbsforschung hat sich ein ähnlicher
Paradigmenwechsel bezüglich Fehler im Zuge des Übergangs von behavioristischen zu
kommunikativen Lehransätzen Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre vollzogen. Die kognitive
Spracherwerbsforschung zur Erstsprachentwicklung bei Kindern erkannte schon früh die
Wichtigkeit des Fehlermachens. Hölscher formuliert es folgendermassen:
„wir
[wissen], dass solche
„Entwicklungsfehler“
im
Laufe
der
weiteren
Sprachentwicklung häufig von alleine verschwinden. Die Kinder brauchen die Fehler,
um Fortschritte zu machen. Man sollte Entwicklungsfehlern dieser Art aus den oben
genannten Gründen nicht zu viel Aufmerksamkeit beimessen. Es ist sogar so, dass die
Kinder von Fehlertoleranz beim Sprachlernen besonders profitieren.“ (Hölscher &
Roche 2003: 13, zitiert in Roche & Suñer 2017: 309).
Ähnliche Feststellungen wurden längst von Wissenschaftlern wie Corder (1981) bei der
Zweitspracherwerbsforschung gemacht. Laut Corder entstehen Fehler aus der Bedürfnis der
Lernenden, ihre Hypothesen über die Zielsprache und seine grammatikalischen Strukturen zu
prüfen. Wenn Lernende auf Unverständnis stossen oder korrigierendes Feedback erhalten (negative
evidence), werden sie auf Unterschiede zwischen den Strukturen ihrer Interimsprache (der
interlanguage, vgl. Selinker 1972) und denen der Zielsprache aufmerksam gemacht, ein Verfahren,
das in der angloamerikanischen Spracherwerbsforschung als noticing the gap bezeichnet wird (siehe
Schmidt 1990). Nur so können sie ihre Interimsprache entwickeln und sich an die Zielsprache
annähern. Die Parallelen zu Osers Theorie des negativen Wissens sind hier naheliegend. Fehler
sind daher, so Corder, eine wichtige Informationsquelle für Forscher und Lehrpersonen zum
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entstehenden linguistischen System des Lernenden und somit zum Lernprozess (vgl. Ellis 2008:
48).
Zu solchen Erkenntnissen aus der kognitiven Zweitspracherwerbsforschung kommen auch
Impulse aus der kommunikativen und postkommunikativen Sprachdidaktik hinzu. Seit dem
Aufkommen kommunikativer Ansätze in den 70er Jahren wird vor allem auf dem Aufbau
kommunikativer Kompetenz in der Fremdsprache Wert gelegt, was allerdings auch
grammatikalische und linguistische Kompetenzen umfasst (Canale & Swain 1980). Bei
kommunikativen sowie bei postkommunikativen Lehransätzen wird die explizite Behandlung
grammatikalischer Strukturen – sowie formale Überlegungen wie die grammatikalische Richtigkeit
– der Kommunikation und Interaktion in der Fremdsprache untergeordnet.
1
Auch im
deutschsprachigen Raum liegt der Schwerpunkt bei der modernen Fremdsprachendidaktik auf
Handlungsorientiertheit und kommunikativer Kompetenz (Roche 2008, Roche et al. 2012).
Zum lernförderlichen Korrekturverhalten bei der Fremdsprachendidaktik gehört daher
einerseits eine gewisse Zurückhaltung damit der Interaktions- und Kommunikationsfluss nicht
gestört wird: es „kann nicht mit den gleichen Massstäben Fehlerkorrektur betrieben werden, wie
dies bei der systematischen Präsentation von Lernstoff im Unterricht der Fall ist“ (Roche und
Suñer 2017: 309). Andererseits ist es schwierig nachzuvollziehen, wie Lernende ohne Angabe der
korrekten Strukturen der Zielsprache ihre Interimsprache entwickeln und an die Strukturen der
Zielsprache herannähern sollen. Vor diesem Hintergrund sehen sich Lehrpersonen mit
verschiedenen, zum Teil widersprüchlichen Handlungsmöglichkeiten konfrontiert: sollen sie
Fehler grundsätzlich korrigieren oder Selektivität und Toleranz in ihrem Korrekturverhalten
pflegen? Sollen sie ein explizites Korrekturverhalten pflegen, vielleicht auf Kosten der Interaktion
und des Lernklimas? Oder sollen sie Fehler eher implizit behandeln, mit dem Risiko, dass sie
möglicherweise nicht als solche erkannt werden? Sollen Fehler direkt verbessert oder indirekt
signalisiert werden, Letzteres verbunden mit einer Anregung zur Selbstkorrektur? Und sollen
Lehrpersonen selber eingreifen oder die Lernenden anregen, einander zu korrigieren und
kooperativ am Aufbau negativen Wissens teilnehmen?
1
Auch der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen priorisiert bei der
mündlichen Sprachproduktion die kommunikative Kompetenz über der grammatikalischen
Korrektheit (vgl. Trim et al. 2001; Kleppin 2010: 227).
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2.3
These
In diesem Aufsatz wird den obigen Fragen zum Korrekturverhalten bei mündlichen Fehlern
nachgegangen. Nach einer einleitenden Diskussion der Frage, inwiefern und unter welchen
Umständen eine Korrekturhandlung im Sprachunterricht überhaupt als lernförderlich gilt (3.1),
erörtere ich die verschiedenen Aspekte und Kriterien der Selektion (3.2). Nach der anschliessenden
Diskussion der verschiedenen Formen mündlichen Feedbacks (4.1) gehe ich auf die bisherigen
Forschungsergebnisse zu Fragen der Wirksamkeit expliziten und impliziten Korrekturverhaltens
(4.2) sowie der Initiierung der Selbstkorrektur (4.3) ein. Ausserdem werden Möglichkeiten der PeerKorrektur (5.1) und der kooperativen Konstruktion negativen Wissens bei der Interaktion auf ihre
Effektivität hin untersucht (5.2). Es wird argumentiert, dass korrigierendes Feedback beim
Sprachunterricht vorzugsweise explizit sein und womöglich die Lernenden zur Selbstkorrektur
anregen soll. Dennoch kann je nach Lernkontext und Lernenden eine höhere Fehlertoleranz und
grössere Selektion empfehlenswert sein. Ausserdem sollen Lehrpersonen womöglich PeerKorrektur fördern und negatives Wissen anhand verschiedener Lehrmethoden behandeln und
fokussieren.
3.1
Interaktion und Fehlertoleranz
Wie oben (2.2) erläutert, gilt die Interaktion aus der Sicht moderner Spracherwerbstheorien sowie
der Interaktionsforschung als zentrales Mittel des Spracherwerbs sowie der kognitiven
Entwicklung schlechthin. Interaktionistischen Theorien zufolge werden deklaratives und
prozedurales Wissen über die Fremdsprache mittels der Interaktion und der Sprachproduktion
erworben (Long 1996). Laut solcher Theorien finden im Rahmen der Interaktion die wichtigen
Prozesse der Form- und Bedeutungsaushandlung (negotiation for form und negotiation for meaning), bei
denen Lernende ihre Interimsprache testen und – infolge positiver oder negativer Rückmeldungen
von ihrem Gesprächspartner – umändern und neu testen können. Wiggelsworth formuliert es
folgendermassen:
„[…] interaction is considered to be the site of cognitive development, including
language development. In such interactions, language mediates cognitive development
as well as reflects the processes taking place. The approach is based on the premise
that interaction is critical to successful SLA and that classroom practice can be
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designed to maximize learners’ opportunities to notice, test hypotheses, and receive
and internalize feedback […]“ (2005: 103)
Ähnlich wie bei Corder (1981, siehe 2.2) spielt auch bei interaktionistischen und
postkommunikativen
Ansätzen
der
negative
evidence
daher
eine
Schlüsselrolle
beim
Zweitspracherwerb.
Angesichts solcher Einsicht sieht sich die Fremdsprachenlehrperson mit einem Dilemma
konfrontiert: Da übermässige Intervention die Interaktion unterbricht und ausserdem Lernende
möglicherweise einschüchtert oder demotiviert, steht es in der Spracherwerbsforschung fest, dass
Lehrpersonen eine gewisse Fehlertoleranz pflegen und keinesfalls alle Fehler korrigieren sollen (vgl.
Lyster 1998, Loewen 2005; Pawlak 2012: 122). Dennoch spielen negative Rückmeldungen bei
Prozessen wie noticing-the-gap zwischen der Interimsprache und der Zielsprache, beim
Hypothesentesten sowie beim Aufbau negativen Wissens eine zentrale Rolle (vgl. Pawlak 2012: 5256; 83-88). Ausserdem gilt korrigierendes Feedback als wichtiges Mittel zur punktuellen Integration
grammatikalischer Instruktion innerhalb des kommunikativen und bedeutungsfokussierten
Unterrichts (sogenannter focus on form). Man soll nicht *alles* korrigieren, aber man soll ganz sicher
nicht *nichts* korrigieren!
3.2
Korrektur und Selektion
Es stellt sich daher die Frage, bei welchen Fehlern eine Korrekturhandlung angebracht oder
erwünschenswert ist und, bei welchen nicht. Pawlak betont, dass die pädagogische
Grundentscheidung, wann man eine Korrekturhandung vornimmt, multifaktoriell bedingt ist, z.B.
durch:
„the type of error being treated, the psycholinguistic readiness to acquire a specific
form, the task in hand, the objectives of the lesson, the instructional setting, and
individual variation which manifests itself in such factors as age, level of proficiency,
aptitude, learning styles, motivation, anxiety levels or learning goals, to name just a
few.“ (2012: 88)
Wie das obige Zitat verdeutlicht, basiert die Entscheidung Korrigieren / nicht Korrigieren auf sehr
unterschiedlichen Kriterien bezüglich Lernkontexts, Lernziele und Aufgabenstellung auf der einen,
aber auch individueller Lernstrategien, Motivation und affektiver Faktoren auf der anderen Seite.
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Eine unweigerlich wichtige Rolle bei der Entscheidung für oder gegen eine
Korrekturhandlung spielen lernkontextbezogene Faktoren wie der Lehrplan und das
Unterrichtsprogramm. So wird beispielsweise die Reihenfolge, in der grammatikalische Strukturen
unterrichtet
werden,
von
den
Lehrmitteln
bestimmt,
die
wiederum
auf
gewissen
sprachpädagogischen Kriterien bezüglich der Sprachentwicklung und der vermeintlichen
Schwierigkeit
der
sprachlichen
Form
beruhen.
Für
Lehrpersonen
bieten
solche
sprachpädagogischen Annahmen und die darauf basierenden Unterrichtsprogramme wichtige
Anhaltspunkte zur Abschätzung der psycholinguistischen Bereitschaft (vgl. Pienemanns teachabilityHypothese 1998). Gerade bei weniger fortgeschrittenen Lernenden, wo mehr Selektion geboten ist,
lassen sich Lehrpersonen häufig von solchen Überlegungen leiten. Pawlak stellt fest:
„the decision as to which linguistic features should primarily be addressed at the
expense of others must be closely related to curricular choices, previous and future
instruction targets, the goals of a particular lesson and the activity being
performed“ (2012: 124)
Es liegt nah, dass eine Lehrperson ihre Korrekturhandlungen vor allem auf die Strukturen
ausrichtet, die zu dem Zeitpunkt im Fokus des Unterrichtsprogramms stehen. Pawlak befürwortet
den Gebrauch solchen ‘fokussierten’ Feedbacks (focused corrective feedback), da es:
„helps to channel learners’ limited attentional resources to a specific rule or a limited
set of items, with the effect that the form-meaning connections become more
relevant to them, and they are much more likely to make internal comparisons and
detect mismatches between their current capacities and the target language
norm.“ (2012: 124)
Gerade bei kürzlich behandelten Formen bietet fokussiertes Feedback daher die Möglichkeit, die
psycholinguistische Bereitschaft zu gewährleisten, den noticing-the-gap-Effekt zu steigern und den
Lernprozess zu optimieren.2
Eine weitere wichtige Überlegung bei der Unterrichtssituation und bei den Lernzielen ist,
ob die Aufgabenstellung und die Unterrichtseinheit hauptsächlich auf die Einübung und Förderung
2
Dafür sprechen auch die Befunde Philps (2003), dass recasts eher in uptake resultierten bei
Lernenden, die ‘bereit’ sind, den Sachverhalt aufzunehmen.
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kommunikativer Kompetenz oder
grammatikalischer
Richtigkeit
ausgerichtet
sind.
Sprachpädagogische Ausgabenstellungen können einerseits unfocused sein, das heisst, den Gebrauch
einer Vielzahl verschiedener Strukturen und Redewendungen zulassen und vor allem auf den
Aufbau von fluency (fliessendes Sprechen und Kommunikation) ausgerichtet sein. Andererseits
zielen focused Aufgabenstellungen auf die Einarbeitung in ein bestimmtes grammatikalisches Thema
und die Einübung verwandter Strukturen (vgl Ellis 2003: 16-17). Da bei unfokussierten, primär
kommunikativen Aufgaben die Interaktion von vorrangiger Bedeutung ist, liegt es nah, dass hier
weniger interveniert wird als bei fokussierten Aufgaben. Bei den Letzteren, wird die
Korrekturhandlung wieder von den oben genannten pädagogischen Überlegungen zum
Unterrichtsprogramm und zu den unterrichteten grammatikalischen Strukturen beeinflusst: die
Lehrperson wird vor allem bezüglich der fokussierten Strukturen Korrekturhandlungen
vornehmen (siehe Pawlak 2012: 124-125).
Bei lernerzentrierten Faktoren wie Begabung, Motivation und Lernstilen wird häufig die
Lehrperson in ihrer gesamten Sensibilität und menschlicher Kompetenz herausgefordert. Wie
Pawlak konstatiert, können individuelle Faktoren wie Arbeitsgedächtnis sehr unterschiedlich
ausfallen, und sie sind darüber hinaus nur wenig erforscht (2012: 222) Bei emotionalen und
affektiven Faktoren wie Motivation und Beklemmung muss die Lehrperson entscheiden, wo eine
Korrektur produktiv einwirkt und wo „the learner is likely to be intimidated, humiliated or
discouraged from future participation“ (2012: 119). Es gehört selbstverständlich zur individuellen
Förderung sowie zur Förderung eines produktiven Unterrichtklimas, dass Lehrpersonen in
gewissen Fällen ein zurückhaltendes oder sehr implizites Korrekturverhalten (s. unten) pflegen.
4.1
Formen des negativen Feedbacks
Hat sich die Lehrperson zu einer Intervention entschieden, stehen ihr eine Vielzahl diverser
Korrekturhandlungen zur Auswahl. Wie bei den Fragen zur Selektion und Fehlertoleranz im
vorhergehenden Abschnitt (3.1-3.3), ist die Entscheidung zu einer spezifischen Form der
Korrekturhandlung multifaktoriell bedingt und wird sowohl von pädagogischen Überlegungen zu
Lernkontext, zu den Lernzielen und zum Vorwissen wie auch von individuellen, lernerbezogenen
Faktoren wie der kognitiven Reife und der psycholinguistischen Bereitschaft beeinflusst.
Bei den verschiedenen Korrekturhandlungen wird grundsätzlich unterschieden zwischen 1.
explizitem und implizitem Feedback, 2. Feedback mit und ohne grammatikalische[r] Erklärung,
und 3. direktem/inputbietendem (input-providing) und indirektem/outputforderndem (outputprompting) Feedback. Im Unterschied zum schriftlichen Feedback, das immer explizit ist (das heisst,
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Lernende nehmen das Feedback explizit als Korrektur wahr) liegt bei der mündlichen
Sprachproduktion eine Vielzahl diverser (expliziten und impliziten) Handlungsmöglichkeiten vor.
So unterscheiden beispielsweise Lyster und Ranta (1997) zwischen sechs Formen von
Lehrerfeedback: explicit correction, recast, clarification request, metalinguistic feedback, elicitation und repetition
(vgl.
auch
Carroll
&
Swain
1993;
für
einen
Überblick
über
angloamerikanische
Forschungsergebnisse mit Bezug auf deutschsprachige Fremdsprachenforschung Hoffmann 2014:
69). Die untenstehende Tabelle von Sheen & Ellis unterteilt diese Formen nach den Kriterien
explizit/implizit und inputbietend/outputfordernd und fügt auch die Kategorie der
paralinguistischen Signale (paralinguistic signals) hinzu:
Implicit
Explicit
Input Conversational recasts (i.e.,  Didactic recasts (i.e., the correction takes
providing
the correction consists of a
the form of a reformulation of a student
reformulation of a student
utterance even though no communication
utterance in the attempt to
problem has arisen).
resolve a communication  Explicit correction only (i.e., the correction
problem; such recasts often
takes the form of a direct signal that an
take the form confirmation
error has been committed and the correct
checks
where
the
form is supplied).
reformulation is followed by  Explicit correction with metalinguistic
a question tag as in “Oh, so
explanation (i.e., in addition to signaling an
you were sick, were you?”).
error has been committed and providing
the correct form, there is also a
metalinguistic comment).
Output Repetition (i.e., the learner's  Metalinguistic
clue (i.e., a brief
prompting
erroneous
utterance
is
metalinguistic statement aimed at eliciting a
repeated
without
any
correction from the learner).
intonational highlighting of  Elicitation (i.e., an attempt is made to
the error).
verbally elicit the correct form from the
 Clarification requests (i.e.,
learner by, for example, a prompting
attention is drawn to a
question).
problem utterance by the  Paralinguistic signal (i.e., an attempt is
speaker indicating he/she has
made to non-verbally elicit the correct form
not understood it).
from the learner).
Tabelle 1: Formen des negativen Feedbacks nach Sheen und Ellis (2011: 594)
Wie Tabelle 1 deutlich zeigt, können recasts sowohl implizit als auch explizit sein – entscheidend ist,
ob der/die Lernende den recast als Korrektur wahrnimmt. Wiederum kann metalinguistisches
Feedback sowohl inputbietend/direkt als auch outputfordernd/indirekt sein – es kann sein, dass
Lernende anhand von minimalem grammatikalischen Input in Form eines Hinweises (zum Beispiel,
„Denk an die Zeitform!“) den Fehler selbst korrigieren können.
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4.2
Effektivität expliziten und impliziten Korrekturverhaltens
Bei der Wahl zwischen explizitem und implizitem Korrekturverhalten ist zu berücksichtigen, dass
sowohl bei Lernenden als auch bei Fremdsprachenforschern eine klare Präferenz für explizites
Korrekturverhalten vorliegt (zum Beispiel Brown 2009, Lyster & Ranta, 1997: 57, Ur 2012: 93).
Laut Hoffmann gelten explizite Korrekturhandlungen „aufgrund ihrer höheren (bewussten)
Wahrnehmbarkeit bzw. Verständlichkeit im Vergleich zu impliziten Berichtigungen als
lernfördernder“ (Hoffmann 2014: 68). Im Einklang mit dem noticing-the-gap-Prinzip nehmen vor
allem erwachsene Lernende dank der erhöhten Aufmerksamkeit den Unterschied zwischen ihrem
Sprachgebrauch und der betroffenen Form der Zielsprache effektiver wahr und sind daher besser
in der Lage, die erforderlichen Änderungen bei ihrer interlanguage vorzunehmen. Die
Spracherwerbsforschung bestätigt dies vor allem mit Bezug auf systematische, strukturbezogene
Fehler. Hier resultiert explizite Korrektur mit viel grösserer Häufigkeit in noticing und Integrierung
der Regel (uptake), recasts dahingegen werden häufig nicht als Korrektur wahrgenommen mit der
Folge, dass die Regel oft nicht integriert wird (Lyster 1998; vgl. Sheen 2004 und 2006, Loewen
2007, Sheen & Ellis 2011).
Allerdings ergibt sich in anderer Hinsicht aus der Forschung zur Wirksamkeit der
verschiedenen Korrekturhandlungen ein differenziertes Bild. Die Studien Lysters & Rantas (1997)
und Lysters (1998) zeigen beispielsweise, dass implizite Korrekturhandlungen (zum Beispiel recasts)
bei phonologischen Fehlern wirksam sein können – das heisst, sie resultieren häufig in uptake oder
Selbstkorrektur.
Dieser
Korrekturverhaltens
bei
Unterschied
in
verschiedenen
der
Wirksamkeit
Sprachphänomenen
impliziten
lässt
sich
und
mit
expliziten
grosser
Wahrscheinlichkeit auf die unterschiedliche kognitive Komplexität verschiedener Sprachfehler
zurückführen. Bei phonologischen Fehlern nehmen Lernende den Unterschied zwischen ihrer
Aussprache und der der Lehrperson sofort wahr. Bei der Berichtigung kognitiv komplexer
grammatikalischer Fehler dahingegen, wird ein höheres Aufmerksamkeitsniveau und daher eine
explizitere Korrekturhandlung benötigt. Ausserdem zeigt die Studie Olivers (2000), dass recasts
vorzugsweise bei jüngeren Lernenden und im kommunikativen Unterricht eingesetzt werden und,
dass bei dieser Zielgruppe kein Unterschied bezüglich der Wirksamkeit impliziter und expliziter
Korrekturhandlungen festgestellt werden konnte. Dies lässt sich vielleicht auf die tiefere kognitive
Entwicklungsstufe und geringere Offenheit für metalinguistische Erklärungen bei jüngeren
Lernenden zurückführen.
Es scheint daher naheliegend, dass beim gymnasialen Englischunterricht ein differenziertes
Korrekturverhalten empfehlenswert ist, das sowohl auf das sprachliche Phänomen
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(phonologischer oder grammatikalischer Fehler?) als auch auf die Zielgruppe (Oberstufe oder
Unterstufe?) abgestimmt ist. Dabei sind bei grammatikalischen, strukturell komplexen Fehlern,
sowie bei kognitiv fortgeschrittenen Lernenden (zum Beispiel, Lernende, die schon beim
Fremdsprachen- oder Lateinunterricht mit metalinguistischen Erklärungen regelmässig
konfrontiert
wurden)
explizite
Korrekturhandlungen
vorzugsweise
einzusetzen.
Bei
phonologischen Fehlern und jungen, weniger erfahrenen Lernenden dahingegen sollten implizite
Korrekturhandlungen vermehrt verwendet werden.
4.3
Effektivität inputbietenden und outputfordernden Feedbacks
Ähnlich umstritten ist der Gebrauch von direktem und indirektem, das heisst, von inputbietendem
und outputforderndem Feedback. Die Frage, ob Lehrpersonen die richtige Form selbst bieten oder
Lernende zur Selbstkorrektur anregen sollen, beschäftigt die Spracherwerbsforschung schon lange
beschäftigt. Long (1996, 2007) argumentiert, dass Input, zum Beispiel in Form eines didactic recasts,
besonders lernförderlich ist, da er die Aufmerksamkeit der Lernenden auf den Fehler lenkt aber
gleichzeitig die korrekte Form (positive evidence) angibt. Befürworter der Lernerzentriertheit und
Lernerautonomie (Benson 2001, 2007) sowie interaktionistischer Spracherwerbstheorien (Swain
1995, Long 1996) hingegen befürworten, dass Lehrpersonen anhand verschiedener Strategien, zum
Beispiel metalinguistische Hinweise oder andere Aufforderungen (prompts), Lernende zur
Selbstkorrektur anregen sollen. Lyster & Ranta (1997) und Lyster (1998) bieten sowohl theoretische
als auch empirische Begründungen ihres Arguments, dass die sogenannte negotiation of form – die
Aushandlung der grammatikalisch richtigen Form im Laufe der Interaktion – förderlich ist für
noticing, für die kognitive Verarbeitung und für das Erstellen des negativen Wissens, sowie für die
Prozeduralisierung der korrekten Struktur.
Laut Lyster & Ranta sind indirekte Strategien wie metalinguistische Hinweise und elicitation
(vielleicht verbunden mit metalinguistischem Feedback) besonders effektive Methoden, eine
Selbstreparatur einzuleiten. Ihre umfassende Studie zu verschiedenen verbalen Feedbackstrategien
ergibt die folgenden Erkenntnisse:
„The feedback types that allow for negotiation of form are the four that lead to
student-generated repair, namely elicitation, metalinguistic feedback, clarification
requests, and repetition. Both elicitation and metalinguistic feedback proved to be
particularly powerful ways of encouraging repairs that involve more than a student
repetition of the teacher’s utterance – these feedback moves resulted in student12
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generated repair 45% and 46% of the time, respectively. Clarification requests and
repetition were the next most successful, eliciting student-generated repair 27% and
31% of the time, respectively. Recasts and explicit correction, both definitionally
incompatible with student-generated repairs, elicited no repair other than
repetition.“ (Lyster & Ranta 1997: 56).
Bei der elicitation wäre ausserdem der Gebrauch paralinguistischer Signale anzuführen (zum Beispiel
Kopfschütteln, Handgesten, Mimik und so weiter). Insbesondere bei der CELTA-Lehrerbildung
werden metalinguistische Gesten wie Wörter auf die Finger abzählen (zum Lernende darauf
hinzuweisen, dass sie das Hilfsverbum weggelassen haben und dadurch zur Selbstkorrektur
anzuregen) häufig eingeübt und verwendet. Leider ist die Effektivität solcher paralinguistischen,
form-fokussierten Korrekturhandlungen zur Zeit zu wenig erforscht (vgl. Davies 2006).
Wie die obigen Bemerkungen zeigen, gibt es zunehmend Belege dafür, dass durch die
Initiierung der Selbstkorrektur einen höheren Lerneffekt erzielt werden kann. Daher sollen
Lehrpersonen womöglich vorerst outputforderndes Feedback bieten, insbesondere wenn
grammatikalische Richtigkeit und den korrekten Gebrauch einer bestimmten grammatikalischen
Form im Fokus des Unterrichts sind (vgl. Pawlak 2012: 128). Eine weitere Möglichkeit, die im
nächsten Abschnitt behandelt wird, ist die Aufforderung zur Peer-Korrektur (s. 5.1 unten). Da aber
Lernende und Spracherwerbsforscher sich einig sind, dass Fehler auf jedem Fall schlussendlich
durch Angabe der richtigen Form korrigiert werden müssen (siehe Ur 2012: 94; Ellis 2005: 328332), sollten Lehrpersonen zu einer direkten Korrekturhandlung übergehen, falls die Initiierung
der Selbst- oder Peer-Korrektur fehlschlägt.
5.1
Peer-Korrektur
Eine weitere Handlungsmöglichkeit, die ebenfalls mit den Grundsätzen der Lernerzentriertheit und
der Lernerautonomie vereinbar ist, ist die Anregung zur Peer-Korrektur. Wie Ellis es formuliert:
„[t]eachers are often advised to give learners the opportunity to self-correct, and, if that fails to
invite other students to perform the correction […]. Such advice can be seen as part and parcel of
the western educational ideology of learner-centredness“ (2009: 7). Bei mündlichen Fehlern hängt
die Entscheidung, Peer-Korrektur zu initiieren, wiederum mit vielen der oben (s. 3.2 und 4.1)
diskutierten lernkontext- und lernerbezogenen Faktoren zusammen. Bei unfokussierten,
kommunikativen Aufgaben scheint es nicht sinnvoll, den Interaktionsfluss dauerhaft von anderen
Lernenden unterbrechen zu lassen. Bei form-fokussierten Aufgaben bietet die Peer-Korrektur
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andererseits eine Möglichkeit an die richtige Form zu gelangen und stärkt daher das positive und
negative Wissen im Klassenkontext. Dennoch muss die Lehrperson unter Umständen darauf
achten, dass sie sich nicht dauerhaft auf die Lernstarken verlässt und sie in Ihrem Wissen weiter
stärkt, während die Lernschwachen zunehmend blossgestellt werden. Ausserdem könnte die PeerKorrektur je nach Ausführung von gewissen Lernenden als einschüchternd oder beschämend
empfunden werden (vgl. Pawlak 2012: 151-152).
Die Effektivität der Peer-Korrektur – bezüglich des Korrekturverhaltens sowie der
metakognitiven und metalinguistischen Kompetenzen der Lernenden – lässt sich aber
möglicherweise durch gezieltes Training und strategische Instruktion steigern. Durch
Bewusstseinserhöhung und Einweisung in den oben (4.1) beschriebenen Korrekturstrategien (z.B.
metalinguistische Hinweise, elicitation usw.) im Zusammenhang mit dem regelmässigen Einsatz
interaktionistischer Aufgabenstellungen lässt sich vielleicht ein kooperativer und produktiver
Umgang mit Fehlern erlernen und im Klassenverband institutionalisieren. Pawlak schlägt eine
Vielzahl an Lernzielen vor, die Lernende durch solche Methoden erreichen können:
„[Learners] can be instructed, for instance, in how to monitor their own speech as well
as that of the teacher and their peers, attend to and notice the various corrective moves,
respond to them in the right way by making an attempt at uptake and repair, and also
provide feedback on the oral output of others.“ (2012: 152)
Zusätzlich zu einem produktiven Korrekturverhalten können Lernende auf diese Weise, so Pawlak,
ihre Kompetenzen bei der Aushandlung der korrekten grammatikalischen Form sowie bei noticing
und bei der Selbstkorrektur steigern.
5.2
Kollaborative Fehlerbehandlung
Zusätzlich zur Peer-Korrektur bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, die Fehlerbehandlung
im Klassenkontext durchzuführen und womöglich die Lernenden gemeinsam an dem Aufbau
negativen und Abgrenzungswissen teilnehmen zu lassen. Lehrpersonen können beispielsweise
während einer kommunikativen Aufgabe Fehler auf einer Folie protokollieren und sie
anschliessend mit den Lernenden besprechen (vgl. Pawlak 2012: 151). Dabei können Lernende
anhand von Gedächtnisstützen für geläufige Fehler und Fehlerquellen sensibilisiert werden, z.B.
bei Fehlern mit Konditionalformen wird häufig die ‘Eselsbrücke’ „‘If’ and ‘will’ makes me ill; ‘if’
and ‘would’ is no good“ rezitiert. So wird negatives Wissen und Abgrenzungswissen explizit im
Klassenkontext behandelt, prozeduralisiert und auf Lerninhalte bezogen. Allerdings lässt sich hier
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weniger von einer mündlichen Korrekturhandlung als von einer kooperativen diagnostischen oder
bewusstseinserhöhenden Aktivität sprechen.
Ein weiteres Verfahren, dessen Lernförderlichkeit einigermassen empirisch belegt ist, ist der
collaborative dialogue bei der Fehlerbehandlung und -analyse (vgl. Swain 2005). Einige Studien (z.B.
Swain 2006, Storch 2008) zeigen, dass wenn Lernende paarweise an sprachanalytische Aufgaben
(z.B. Textrekonstruktion oder der Analyse Lehrerfeedbacks) arbeiten, kommt häufig ein vertiefter
metalinguistischer Austausch über die jeweiligen grammatikalischen Strukturen, sowie die Selbstund Peer-Korrektur zustande. Der folgende Austausch zwischen Lernenden zum Gebrauch des
Artikels bei Länderbezeichnungen wurde von Storch (2008: 103-104) aufgezeichnet:
189 Y: like Soviet Union. . .
190 E: like Soviet Union
191 Y: wait a moment . . . do we have to put the article in the Soviet Union?
192 The Soviet, Soviet Union . . . the Soviet Union, Soviet Union. Yeah
193 the Soviet
194 E: are you sure?
195 Y: the United States
196 E: ah yeah. . .
197 Y: the United Nations
198 E: yeah, yeah
199 Y: the Soviet Union
200 E: you’re right
Kollaborative, form-fokussierte Aufgaben eignen sich gut zur Lernkontrolle, da sie die
metasprachliche Reflexion und das Abgleichen zwischen Interimsprache und Zielsprache
äusserliche Form geben. Noch wesentlicher: sie bieten Lernenden die Möglichkeit, gemeinsam ihr
Abgrenzungswissen aufzubauen, anzuwenden und darüber zu reflektieren.
6.
Fazit
Mein Ziel in diesem Aufsatz war, die Vielzahl der Korrekturhandlungen, die Lehrpersonen bei der
mündlichen Sprachproduktion zur Verfügung stehen, zu beleuchten und auf ihre Effektivität hin
zu untersuchen. Dabei ist die Komplexität dieses Entscheidungsprozesses, der häufig von sehr
vielen zusammenhängenden Faktoren abhängt, deutlich zum Vorschein gekommen. Für
Lehrpersonen, die solche Entscheidungen regelmässig im Klassenzimmer blitzschnell treffen
müssen, stellt die angemessene Reaktion auf mündliche Fehler zweifelsohne eine grosse
fachdidaktische Herausforderung. Nichtsdestotrotz lassen sich gewisse Leitfäden sehr deutlich aus
der obigen Diskussion ableiten.
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Im Einklang mit lernerzentrierten und kompetenzorientierten Lehnansätzen sind sprachliche
Fehler vorzugsweise durch explizites, outputforderndes Feedback zu behandeln. Wie in Abschnitt
4.3 erörtert, resultiert ein solches Korrekturverhalten am ehesten in noticing, uptake und im Aneignen
der korrekten Form (vgl. oben 4.3). Wie Allwright & Bailey es treffend formulieren: „[n]o matter
how hard a teacher tries to correct errors, only the learner can do the learning necessary to improve
performance, regardless of how much treatment is provided” (1991: 9). Mit anderen Worten: erst
wenn Lernende ihren Fehler bemerken und verstehen und sich um eine Reparatur bemühen, wird
der Lernschritt vollzogen. Und erst wenn eine Lehrperson beobachtet, dass Lernende sich selber
korrigieren, kann sie davon ausgehen, dass sie den Sachverhalt erfolgreich aufgenommen und
angewandt haben. Ein solches Korrekturverhalten eignet sich besonders gut für formfokussierten
Unterricht (und da, vor allem mit Bezug auf die unterrichtete Form) sowie für sprachlich oder
kognitiv fortgeschrittene Lernende, die eine grosse Vertrautheit mit grammatikalischen
Erklärungen und Metasprache vorweisen.
Dennoch gibt es eine Vielzahl an lernkontext- und lernerbezogenen Gründen, wieso eine
Lehrperson sich gegen eine explizite, outputfordernde Korrekturhandlung entscheiden könnte.
Wie erläutertet in Abschnitten 2.2 und 3.2, könnte die Entscheidung der Lehrperson bei jüngeren,
weniger fortgeschrittenen oder kognitiv weniger entwickelten Lernenden, oder aber im Rahmen
einer unfokussierten, kommunikativen Unterrichtseinheit eher für eine (unter Umständen viel)
grössere Fehlertoleranz oder für ein implizites Korrekturverhalten ausfallen (vgl. oben 2.2, 3.2).
Ausserdem könnte sich eine Lehrperson bei gewissen Lernenden oder bei gewissen Klassen
aufgrund affektiver oder emotionaler Faktoren für eine grössere Fehlertoleranz oder für einen
vermehrten Einsatz impliziter, weniger stigmatisierender Korrekturhandlungen entscheiden.
Weitere
Möglichkeiten
zum
Aufbau
einer
produktiven
Fehlerkultur
im
Fremdsprachenunterricht bestehen in der kooperativen Behandlung geläufiger Fehler oder im
Einsatz kollaborativer, form-fokussierter Aufgaben. Vor allem der collaborative dialogue bietet eine
vielversprechende Möglichkeit, die Konstruktion negativen Wissens und Abgrenzungswissens zu
reflektieren, zu thematisieren und für die Lehrperson transparent zu machen.
Die oben ausgeführten Schlussfolgerungen zeigen sehr deutlich, wie weit wir uns in der
modernen Fremdsprachendidaktik von der Fehlervermeidung und Fehlerverdrängung entfernt
haben – zumindest in der Theorie. Mündliche Fehler werden im Unterricht mit Vorliebe fokussiert,
repariert und thematisiert. Negatives Wissen wird gemeinsam konstruiert, reflektiert, angewandt.
Fehlertoleranz wird strategisch und feinfühlend eingesetzt. Mit anderen Worten werden viele der
Grundlagen, die Oser & Spychiger (2005) für die neue Fehlerkultur ermitteln, und viele der
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Handlungsmöglichkeiten, die sie empfehlen, in der Sprachpädagogik schon befürwortet. Es liegt
an uns Englischlehrern und -lehrerinnen, sie umzusetzen und die Totenglocke für die alte
Fehlerkultur endgültig zu läuten.
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