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(Springer-Lehrbuch) Klaus Moser (eds.) - Wirtschaftspsychologie-Springer-Verlag Berlin Heidelberg (2015)

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Klaus Moser Hrsg.
Wirtschaftspsychologie
2. Auflage
Springer-Lehrbuch
Klaus Moser (Hrsg.)
Wirtschafts­
psychologie
2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage
Mit 52 Abbildungen und 24 Tabellen
Herausgeber
Klaus Moser
Lehrstuhl für Psychologie, insbes. Wirtschafts- und Sozialpsychologie
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Nürnberg
Ergänzendes Material finden Sie unter
http://www.lehrbuch-psychologie.de
ISSN 0937-7433
ISBN 978-3-662-43575-5 ISBN 978-3-662-43576-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2
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V
Vorwort zur zweiten Auflage
Nach rund sieben Jahren war es Zeit, die Kapitel des
Lehrbuchs Wirtschaftspsychologie zu aktualisieren,
in einigen Fällen auch gründlich zu überarbeiten.
Die Entstehung des Lehrbuchs Wirtschaftspsychologie war seinerzeit auch programmatisch motiviert.
Es galt, das Gebiet der Wirtschaftspsychologie zu
strukturieren, und zwar über die Triade „Kaufen
und Konsumieren, Haushalten und Verbrauchen
sowie Bewerten und Gestalten“. Diese Gliederung hat sich bewährt und wurde auch für diese
2. Auflage beibehalten. Zudem sollte die Wirtschaftspsychologie aus dem Schatten der Arbeitsund Organisationspsychologie heraustreten. Dies
ist mittlerweile nicht nur dank dieses Lehrbuchs
gelungen. So wurde inzwischen auch die mitgliederstärkste Fachgruppe der Deutschen Gesellschaft
für Psychologie in „Arbeits-, Organisations- und
Wirtschaftspsychologie“ umbenannt, und auch
die neueste Auflage des renommierten „Dorsch“
enthält nun eine Sektion „Wirtschaftspsychologie“.
Eine Neuerung in der 2. Auflage besteht darin,
dass zum Buch auf der Website ▶ http://www.
lehrbuch-psychologie.de eine Webplattform mit
Ergänzungsmaterialien für Lernende und Lehrende eingerichtet wurde. Studierende finden dort
Online-Lernkarten und die Antworten auf die
Kontrollfragen des Buches. Lehrende können Abbildungen und Tabellen sowie Foliensätze für die
Vorlesung herunterladen.
In verschiedenen Phasen der Entstehung dieses
Lehrbuchs haben auf Seiten des Springer-Verlags Joachim Coch, Judith Danziger und Marion
Sonnenmoser mitgewirkt. Ihnen sei für die stets
angenehme Zusammenarbeit ebenso gedankt wie
meiner Arbeitsgruppe in Nürnberg, wo Hannelore
Lang, Susanne Piehl und Renate Würges glücklicherweise vieles an Organisation, Schreib- und Bibliotheksarbeiten übernehmen konnten.
Klaus Moser
Nürnberg, im Juni 2014
Moser: Wirtschaftspsychologie, 2. Auflage
Der Wegweiser zu diesem Lehrbuch
Lernmaterialien zum Lehrbuch Wirtschaftspsychologie
im Internet – www.lehrbuch­psychologie.de
-
Alles für die Lehre – fertig zum Download:
Foliensätze, Abbildungen und Tabellen für
Dozentinnen und Dozenten zum Download
Schnelles Nachschlagen: Glossar mit über
zahlreichen Fachbegriffen
Kapitelzusammenfassungen: Das steckt drin
im Lehrbuch
Memocards. Kontrollfragen und Antworten:
Prüfen Sie Ihr Wissen
Weitere Websites unter ▶ www.lehrbuch­psychologie.de
---
Deutsch-englisches Glossar mit zahlreichen
Fachbegriffen
Memocards: Fachbegriffe pauken
Kommentierte Linksammlung
Kleine Phraseologie des Business-Neusprech
Dozentenmaterialien: Abbildungen und
Tabellen
--
Lernziele der 12 Buchkapitel
Glossar der wichtigsten Fachbegriffe
Memocards und Verständnisfragen mit
Antworthinweisen
Hörbeiträge aller Kapitel kostenlos zum
Download
Dozentenmaterialien: Vorlesungsfolien,
Abbildungen, Tabellen
IX
Lernmaterialien zum Lehrbuch Wirtschaftspsychologie im Internet
---
---
Glossar mit zahlreichen Fachbegriffen
Memocards: Überprüfen Sie Ihr Wissen
Kapitelzusammenfassungen
Prüfungsfragen & Antworten: Üben Sie für
die Prüfung
Dozentenmaterialien: Abbildungen und
Tabellen
Vollständige Kapitel im MP3-Format zum
kostenlosen Download
Memocards: Prüfen Sie Ihr Wissen
Glossar mit über 100 Fachbegriffen
Kontrollfragen und Antworten
Foliensätze sowie Tabellen und Abbildungen
für Dozentinnen und Dozenten zum Download
---
---
Verständnisfragen und -antworten
Glossar mit zahlreichen Fachbegriffen
Memocards
Kapitelzusammenfassungen
Dozentenmaterialien: Folien, Abbildungen
und Tabellen
Kapitelzusammenfassungen
Verständnisfragen und -antworten
Glossar der wichtigsten Fachbegriffe
Memocards
Kommentierte Linksammlung
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Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1
1.2
1.3
Klaus Moser
Kaufen und Konsumieren: Erlangen von Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
Haushalten und Verbrauchen: Erhalten von Ressourcen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Bürger sein: Bewerten und Gestalten von Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
I
Kaufen und Konsumieren: Erlangen von Ressourcen
2
Werbewirkungsmodelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
2.6
Klaus Moser
Stufenmodelle der Werbewirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Hierarchie-von-Effekten-Modelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Zwei-Prozess-Modelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Das duale Vermittlungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Das Rossiter-und-Percy-Modell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Funktionen von Werbewirkungsmodellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3
3.1
3.2
3.3
3.4
3.5
3.5.1
3.5.2
3.5.3
3.5.4
3.6
3.7
4
4.1
4.1.1
4.1.2
4.1.3
4.2
4.2.1
4.2.2
4.3
4.3.1
4.3.2
4.4
Kaufentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Hans-Georg Wolff, Klaus Moser
Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Grundlegendes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Eine Typologie von Kaufentscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Entscheidungsstrategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Kaufentscheidungen als zielorientiertes Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Anstrengungsvermeidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Vermeidung negativer Emotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Die Rechtfertigbarkeit von Entscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Kaufentscheidungen als zielorientiertes Handeln – Fazit und Erweiterungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Rationalität von Kaufentscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
Erfolgreiches Überzeugen durch Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Dieter Frey, Peter Fischer, Andreas Kastenmüller, Tobias Greitemeyer, Klaus Moser
Grundlagen des Überzeugens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Offenheit und kritisches Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Die Rolle von Argumenten in Theorien zur Einstellungsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Argumente als „Bäume“: Der Baum als Symbol für eine Argumentationskette. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Kommunikationsinhalte – Qualität von Argumenten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Verständlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Zweiseitige Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Qualität von Argumenten – Randbedingungen ihrer Wirksamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Eigenschaften des Senders. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Eigenschaften des Empfängers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Ein Beispiel eines integrativen argumentorientierten Programms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
XI
Inhaltsverzeichnis
5
5.1
5.1.1
5.1.2
5.1.3
5.1.4
5.2
5.2.1
5.2.2
5.2.3
5.2.4
5.2.5
6
6.1
6.1.1
6.1.2
6.1.3
6.1.4
6.2
6.2.1
6.2.2
6.2.3
6.2.4
6.2.5
7
7.1
7.2
7.2.1
7.2.2
7.2.3
7.3
7.3.1
7.3.2
7.3.3
7.4
7.4.1
7.4.2
7.5
8
8.1
8.2
8.2.1
8.2.2
Persuasion durch Glaubwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Matthias Spörrle, Florian Becker, Lutz von Rosenstiel
Begriffliche Klärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Einstellung, Persuasion und daraus resultierende Verhaltensweisen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Glaubwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Ethik und Moral im Kontext der Persuasion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Glaubwürdigkeit im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Der Sender der Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Aspekte der Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Der Empfänger der Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
Der Kommunikationskanal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Der Kontext der Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Emotionale Werbung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Axel Mattenklott
Begriffsklärungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
Eine Klassifikation von Werbebotschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
Emotion, Stimmung und Gefühl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
Identifizierung und Messung von Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Zwei Arten emotionaler Reaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Modelle emotionaler Werbung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Emotionale Konditionierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
Einstellungsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
Gefühle durch den Gebrauch von Marken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
Gefühle als Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Wirkung spezifischer Gefühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
Markenmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Michaela Wänke, Arnd Florack
Einführung und Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Psychologische Theorien und Modelle der Markenwirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Sozial-kognitive Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Selbstrelevante Funktionen von Marken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Marken-Kunden-Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Markenstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Marken- und Produktlinienerweiterung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Die optimale Markenbreite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Psychologische Funktionen als Basis von Markenarchitekturstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Steuerung der Markenidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Komponenten der Markenidentität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Umsetzung der Markenidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Zukunft der Markenführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
Kundenzufriedenheit und Kundenbindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Friedemann W. Nerdinger, Christina Neumann, Susanne Curth
Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
Definitionsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Kundenzufriedenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Kundenbindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
XII
Inhaltsverzeichnis
8.3
8.3.1
8.3.2
8.4
8.4.1
8.4.2
8.5
Theoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Entstehung von Kundenzufriedenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Entstehung von Kundenbindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Messung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Messung der Kundenzufriedenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Messung der Kundenbindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
9.1
9.2
9.2.1
9.2.2
9.2.3
9.3
9.3.1
9.3.2
9.3.3
9.4
9.4.1
9.4.2
9.5
9.5.1
9.5.2
9.5.3
10
10.1
10.1.1
10.1.2
10.2
10.2.1
10.2.2
10.3
10.3.1
10.3.2
10.3.3
10.3.4
10.3.5
10.4
10.4.1
10.4.2
10.5
10.5.1
10.5.2
10.5.3
124
124
126
128
128
133
133
136
Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Georg Felser
Psychologie und Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
Produktpolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Passung von Marke und Produkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Produkt- und Markennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
Multisensuale Gestaltung von Produkten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
Preis- und Konditionenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Preis und Absatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Preisstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rückgabegarantien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vertriebspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Direktmarketing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gestaltung der Verkaufsräume. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kommunikationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Public Relations. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kommunikation mit Multiplikatoren und die Diffusion von Produktinnovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die direkte Kommunikation mit dem Kunden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145
145
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147
148
149
151
153
153
154
156
158
Methoden der psychologischen Marktforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Ranjit K. Singh, Anja S. Göritz, Klaus Moser
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Was ist psychologische Marktforschung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Psychologische Marktforschung als Evaluationsforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Explizite Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aufmerksamkeit und Erinnerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Erfassung von Verbraucherurteilen, Einstellungen und Werthaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Implizite Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Projektive Verfahren und Kreativtechniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Apparative Aufmerksamkeitsmessung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Implizite Erinnerungsmessung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Reaktionszeitmaße. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Physiologische Maße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Erfassen des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Verhaltensbeobachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Apparative und experimentelle Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Online-Marktforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Online Access Panels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Market Research Online Communities. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tracking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
162
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170
171
171
172
172
173
173
174
174
177
XIII
Inhaltsverzeichnis
II
11
11.1
11.2
11.2.1
11.2.2
11.3
11.3.1
11.3.2
11.4
12
12.1
12.1.1
12.1.2
12.1.3
12.2
12.2.1
12.2.2
12.2.3
12.2.4
12.2.5
12.3
12.3.1
12.3.2
12.3.3
12.4
12.4.1
12.4.2
12.4.3
12.5
12.5.1
12.5.2
12.6
13
13.1
13.2
13.2.1
13.2.2
13.2.3
13.3
13.3.1
13.3.2
13.4
13.4.1
Haushalten und Verbrauchen: Erhalten von Ressourcen
Finanzpsychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Stefan Schulz-Hardt, Frank Vogelgesang, Andreas Mojzisch, Christoph Ehrling
Was ist Finanzpsychologie?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
Grundlagen der Finanzpsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Geld- und Preiswahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Finanzbezogenes Entscheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anwendungsgebiete der Finanzpsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlegerverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sparen und Verschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fazit und abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183
188
192
192
198
201
203
Gesundheit in Wirtschaft und Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Georg Bauer, Gregor Jenny
Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
Gesundheitsbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rahmenmodell zur Gesundheitsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesundheitsdynamik in der Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesundheit und Gesundheitsdeterminanten des Individuums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Konzepte und Messung von Gesundheit und Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesundheitskompetenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Selbstwirksamkeitserwartung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesundheitsverhalten und Lebensstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Salutogenese und Stressbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesundheit und Gesundheitsdeterminanten in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesundheit von Bevölkerungsgruppen (Epidemiologie). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesundheitliche Ungleichheit zwischen Bevölkerungsgruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Öffentliche Prävention und Gesundheitsförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesundheit und Volkswirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Direkte und indirekte Kosten von Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesundheitsökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Staatliche und privatwirtschaftliche Gesundheitsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesundheit im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Arbeitsbezogene gesundheitliche Belastungen und Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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223
224
Work-Life-Balance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
Bettina S. Wiese
Was ist Work-Life-Balance? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
Psychologische Modellvorstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
Stress- und ressourcentheoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tätigkeitsanalytische Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Entwicklungs- und biografieorientierte Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Positive und negative Aspekte des Zusammenspiels von Beruf und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Konflikte zwischen Beruf und Familie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Positive Aspekte des Zusammenspiels zwischen Beruf und Familie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ansatzpunkte zur Förderung der Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Individuelle und partnerschaftliche Strategien der Balancierung verschiedener Lebensbereiche. . . . . . . .
229
229
230
232
232
233
234
234
XIV
Inhaltsverzeichnis
13.4.2
Gesetzgeberische und organisationale Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
14
14.1
14.2
14.3
14.4
14.5
14.6
14.7
15
15.1
15.2
15.3
15.3.1
15.3.2
15.3.3
15.3.4
15.4
15.5
15.5.1
15.5.2
15.5.3
15.5.4
III
16
16.1
16.2
16.2.1
16.2.2
16.2.3
16.2.4
16.2.5
16.3
16.3.1
16.3.2
16.3.3
16.3.4
16.4
Berufswahl und berufliche Entwicklung aus psychologischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Gerhard Blickle
Definitionen: Job, Beruf und Erwerbsarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Familiäre Lebensverhältnisse und Bildungsbeteiligung als Einflussgrößen der beruflichen
Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anfänge der beruflichen Entwicklung von der Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter . . . . . . . . . . .
Psychologische Konzepte der Berufsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Berufliche Etablierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Stabilität des Berufsverlaufs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Perspektiven aufgrund des demografischen Wandels in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246
248
250
252
256
258
259
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
Arbeitslosigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
Karsten I. Paul, Klaus Moser
Forschungsfragen der psychologischen Arbeitslosigkeitsforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Definitionen und ihre Bedeutung: Zum Begriff der Arbeitslosigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Arbeitslosigkeit und psychische Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
Existiert ein Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und psychischer Gesundheit?. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Moderatoren des Zusammenhangs zwischen Arbeitslosigkeit und psychischer Gesundheit . . . . . . . . . . . .
Das Kausalitätsproblem: Führt Arbeitslosigkeit zu psychischer Beanspruchung oder psychische
Beanspruchung zu Arbeitslosigkeit?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wirkmechanismen: Welche Aspekte der Arbeitslosigkeitssituation beeinträchtigen die psychische
Gesundheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Allgemeingesellschaftliche Folgen von Arbeitslosigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der Weg zurück in die Erwerbstätigkeit: Hilfe durch die Psychologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensstrategien, welche die Wiederbeschäftigung fördern. . . . . .
Psychologische Aspekte von Interventionen für Arbeitslose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zeitarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Outplacementberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
265
266
268
269
273
274
274
274
276
277
279
Bürger sein: Bewerten und Gestalten von Ressourcen
Nachhaltiges Konsumentenverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
Matthias Spörrle, Magdalena Bekk
Reflexionen des Nachhaltigkeitsbegriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
Psychologische Erklärungsansätze nachhaltigen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
Evolutionärer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Norm-Aktivierungs-Modell zur Erklärung von prosozialem Verhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Theorie der Werte, Ansichten und Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Theorie des geplanten Verhaltens zur Erklärung durch Selbstinteresse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fazit zu den psychologischen Erklärungsansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Personenmerkmale und Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Geschlecht und Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Persönliche Werte und Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Soziale Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Persönlichkeitsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Situative Determinanten nachhaltigen Verhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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290
291
291
292
292
292
293
294
295
295
XV
Inhaltsverzeichnis
16.5
17
17.1
17.1.1
17.1.2
17.2
17.2.1
17.2.2
17.2.3
17.3
17.3.1
17.3.2
17.3.3
17.3.4
17.3.5
18
18.1
18.1.1
18.2
18.3
18.4
18.5
18.5.1
18.5.2
18.6
18.6.1
18.6.2
18.6.3
18.6.4
18.7
19
19.1
19.2
19.2.1
19.2.2
19.2.3
19.2.4
19.3
19.3.1
19.3.2
19.3.3
19.4
19.4.1
Personenseitig-stabile und situative Determinanten: Der Mehrwert einer Synthese. . . . . . . . . . . . . . . 298
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
Bürgersinn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
Theo Wehner, Gian-Claudio Gentile, Stefan T. Güntert
Begriffsverständnis und konzeptionelle Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
Bürgersinn und Freiwilligkeit in der Tätigkeitsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dimensionen des Bürgersinns. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Freigemeinnützige Tätigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Definition und gesellschaftliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Motivation zu freigemeinnütziger Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Freigemeinnützige Tätigkeit aus Sicht der Arbeitswelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft – die akademische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Formen des Engagements von Unternehmen – die praxisorientierte Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Formen und Bedeutung des Corporate Volunteering. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Freiwilligkeit im Spannungsfeld von kurzfristigen Win-Win-Potenzialen und nachhaltigen Motiven . . . . .
Kein Corporate Volunteering ohne individuelles Volunteering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
304
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307
307
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313
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317
318
319
Kontraproduktives Verhalten durch Schädigung öffentlicher Güter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Julia Pitters, Erich Kirchler
Produktivität – Kontraproduktivität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
Zur Bestimmung des Begriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Soziale Dilemmata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Umweltschädliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vandalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wirtschaftskriminalität und Schattenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wirtschaftskriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schattenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Steuern als soziales Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Perspektive der Nutzenmaximierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Psychologische Einflussfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Integrierende Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ausblick und Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Berufliche Selbstständigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
Günter F. Müller
Bedeutung einer psychologischen Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
Psychologische Erklärungen beruflich selbstständigen Arbeitsverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
Frühkindliche Prägungen und Sozialisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Persönlichkeitsspezifische Dispositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
Selbstständigkeitsrelevante Kernqualifikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
Entwicklung von Absichten für eine selbstständige Erwerbstätigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
Erfolgsfaktoren beruflicher Selbstständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
Erfolgsindikatoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
Erfolgsfördernde Faktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
Erfolgsabträgliche Faktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
Förderung beruflich selbstständigen Verhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
XVI
Inhaltsverzeichnis
19.4.2
19.5
Weiterbildung und Beratung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
Perspektiven einer psychologischen Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
20
20.1
20.2
20.2.1
20.2.2
20.3
20.3.1
20.3.2
20.3.3
Epilog. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
Klaus Moser, Roman Soucek
Wirtschaftspsychologie als angewandte Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
Beiträge der Wirtschaftspsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
Die Natur des Menschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ökonomische Psychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ethische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Individuen: Konsumenten – Verbraucher – Bürger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
364
366
368
369
371
372
373
Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
XVII
Autorenverzeichnis
Bauer, Georg F., PD Dr.
Frey, Dieter, Prof. Dr.
Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention
Universität Zürich
Hirschengraben 84, CH-8001 Zürich
Department Psychologie, Lehrstuhl für Sozialpsychologie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Leopoldstraße 13, 80802 München
Becker, Florian, Prof. Dr.
Gentile, Gian-Claudio, Dr.
Fakultät für Angewandte Natur- und Geisteswissenschaften
Hochschule Rosenheim
Hochschulstraße 1, 83024 Rosenheim
Institut für Sozialmanagement, Sozialpolitik und Prävention
Hochschule Luzern
Werftestrasse 1, CH-6002 Luzern
Bekk, Magdalena
Göritz, Anja S., Prof. Dr.
Lehrstuhl für Marketing und Markenmanagement
Universität zu Köln
Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln
Institut für Psychologie, Wirtschaftspsychologie
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Engelbergerstraße 41, 79085 Freiburg
Blickle, Gerhard, Prof. Dr.
Greitemeyer, Tobias, Prof. Dr.
Institut für Psychologie
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Kaiser-Karl-Ring 9, 53111 Bonn
Institut für Psychologie
Universität Innsbruck
Innrain 52, A-6020 Innsbruck
Curth, Susanne, Dr.
Güntert, Stefan T., Dr.
Leiterin für Marketing
Mecklenburger Backstuben GmbH
Am alten Bahndamm 15,
17192 Waren (Müritz)
Arbeits- und Organisationspsychologie
ETH Zürich
Weinbergstrasse 56/58, CH-8092 Zürich
Jenny, Gregor J., Dr.
Ehrling, Christoph
Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie, Abt. für Wirtschaftsund Sozialpsychologie
Georg-August-Universität Göttingen
Goßlerstraße 14, 37075 Göttingen
Felser, Georg, Prof. Dr.
Fachbereich Wirtschaft, Studiengang Wirtschaftspsychologie
Hochschule Harz
Friedrichstraße 57–59, 38855 Wernigerode
Fischer, Peter, Prof. Dr.
Lehrstuhl für Sozial-, Arbeits-, Organisations- und
Wirtschaftspsychologie
Universität Regensburg
Universitätsstraße 31, 93053 Regensburg
Florack, Arndt, Prof. Dr.
Angewandte Sozialpsychologie und
Konsumentenverhaltensforschung
Universität Wien
Universitätsstraße 7, A-1010 Wien
Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention
Universität Zürich
Hirschengraben 84, CH-8001 Zürich
Kastenmüller, Andreas, Prof. Dr.
Institut für Pädagogik
Universität Regensburg
Universitätsstraße 31, 93053 Regensburg
Kirchler, Erich, Prof. Dr.
Institut für Wirtschaftspsychologie
Universität Wien
Universitätsstraße 7, A-1010 Wien
Mattenklott, Axel, Prof. Dr. em.
Psychologisches Institut
Johannes-Gutenberg-Universität
Wallstraße 3, 55122 Mainz
Mojzisch, Andreas, Prof. Dr.
Institut für Psychologie, Arbeitsgruppe Sozialpsychologie
Stiftung Universität Hildesheim
Marienburger Platz 22, 31141 Hildesheim
XVIII
Autorenverzeichnis
Moser, Klaus, Prof. Dr.
Spörrle, Matthias, Prof. Dr.
Lehrstuhl für Psychologie, insbes. Wirtschafts- und
Sozialpsychologie
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Lange Gasse 20, 90403 Nürnberg
Fakultät für Wirtschaftspsychologie
Hochschule für angewandtes Management
Am Bahnhof 2, 85435 Erding
Vogelgesang, Frank, Dr.
Müller, Günter F., Prof. Dr. em.
UMBRA Landau
Am Rauhberg 1a, 76829 Landau
Beratung und Entwicklung von Personen, Gruppen und Teams
Borsbergstraße 6, 01309 Dresden
Wänke, Michaela, Prof. Dr.
Nerdinger, Friedemann W., Prof. Dr.
Institut für Betriebswirtschaftslehre
Universität Rostock
Ulmenstraße 69, 18057 Rostock
Lehrstuhl für Konsumentenpsychologie und ökonomische
Psychologie
Universität Mannheim
Parkring 47, 68131 Mannheim
Neumann, Christina, Dr.
Wehner, Theo, Prof. Dr.
Geschäftsführerin
Mecklenburger Backstuben GmbH
Am alten Bahndamm 15, 17192 Waren (Müritz)
Arbeits- und Organisationspsychologie
ETH Zürich
Weinbergstraße 56/58, CH-8092 Zürich
Paul, Karsten, Dr.
Wiese, Bettina S., Prof. Dr.
Lehrstuhl für Psychologie, insbes. Wirtschafts- und
Sozialpsychologie
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Lange Gasse 20, 90403 Nürnberg
Institut für Psychologie
RWTH Aachen
Jägerstraße 17–19, 52066 Aachen
Wolff, Hans-Georg, Prof. Dr.
Pitters, Julia, Dr.
PittersⓅ Trendexpert e.U.
Webergasse 11/2, A-1200 Wien
Rosenstiel, Lutz von, Prof. Dr.
Verstorben; letzte Institution:
Lehrstuhl für Organisations- und Wirtschaftspsychologie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Leopoldstraße 13, 80802 München
Schulz-Hardt, Stefan, Prof. Dr.
Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie, Abt. für Wirtschaftsund Sozialpsychologie
Georg-August-Universität Göttingen
Goßlerstraße 14, 37075 Göttingen
Singh, Ranjit K., Dipl.-Sozialw.
Institut für Psychologie, Wirtschaftspsychologie
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Engelbergerstraße 41, 79085 Freiburg
Soucek, Roman, Dr.
Lehrstuhl für Psychologie, insbes. Wirtschafts- und
Sozialpsychologie
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Lange Gasse 20, 90403 Nürnberg
Department Psychologie, Organisations- und
Wirtschaftspsychologie
Universität zu Köln
Bernhard-Feilchenfeld-Str. 11, 50969 Köln
1
Einleitung
Klaus Moser
1.1
Kaufen und Konsumieren: Erlangen von Ressourcen – 2
1.2
Haushalten und Verbrauchen: Erhalten von Ressourcen – 4
1.3
Bürger sein: Bewerten und Gestalten von Ressourcen – 6
Literatur – 7
K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie, Springer-Lehrbuch,
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
1
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21
22
Kapitel 1 • Einleitung
„Denn überall nach dem Nutzen fragen, ziemt sich am wenigsten für hochsinnige und freie Männer.“ (Aristoteles)
„Ich habe kein Talent zur Faulheit.“ (Theodor Heuss)
Psychologie ist die Wissenschaft vom Erleben und Verhalten von Menschen. Wenn sich diese mit wirtschaftlichen
Sachverhalten befasst, dann betreibt man Wirtschaftspsychologie. An Hochschulen ist Wirtschaftspsychologie für
Studierende der Psychologie ein Anwendungsfach; Theorien, Erkenntnisse und Methoden der Psychologie werden
demnach auf ihre Anwendbarkeit auf den wirtschaftlichen
Kontext hin betrachtet. So gesehen ist Wirtschaftspsychologie eine spezielle Psychologie, sie gehört u. a. auch institutionell in entsprechende psychologische Institute, Fachbereiche
oder Departements. Wirtschaftspsychologie wird aber auch
in den Wirtschaftswissenschaften und oft von Wirtschaftswissenschaftlern betrieben – oder sie wird als Grundlagenwissenschaft beispielsweise in wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten nachgefragt. So befassen sich
etwa Betriebswirte auch mit verhaltenswissenschaftlichen
Fragen, Wirtschaftspsychologie ist für diese Studierenden
allerdings nicht ein Anwendungsfach, sondern ein Neben-,
Wahl- oder Vertiefungsfach. Dies ist kein terminologischer Zufall. Während in der Psychologie typischerweise
Grundlagen fokussiert werden, stehen in der Betriebswirtschaftslehre Anwendungsfragen im Zentrum, sie ist eine
Gestaltungswissenschaft (▶ Info-Box), die sich mit dem
möglichst zweckmäßigen Design von Unternehmen befasst.
Unternehmen geht es darum, Güter, Dienstleistungen
oder Nutzungsrechte bereitzustellen, zu erbringen bzw.
zu verwalten und dann zu verkaufen, zu vermieten usw.
Es stellen sich mindestens so lange Fragen an die Psychologie, wie diese Güter (im weiteren Sinne) durch Menschen hergestellt und von Menschen erworben werden.
Wirtschaftspsychologie, die sich auf diese Fragestellungen
konzentriert, kann auch als „Business Psychology“ oder
Betriebspsychologie bezeichnet werden, und genau dieser Fokus ist das, was oft als primäres Aufgabengebiet von
Wirtschaftspsychologie verstanden wird.
Info-Box
| |
Gestaltungswissenschaften und Artefakte
Gestaltungswissenschaften befassen sich mit Artefakten (Simon, 2001). Ob dies nun Maschinen sind oder
Computerprogramme, Brücken oder Unterrichtskonzepte, es sind Resultate von Designüberlegungen.
Diese Artefakte existieren nicht außerhalb der Natur,
sie müssen den Naturgesetzen gehorchen, zugleich
aber werden sie an menschliche Ziele und Zwecke
angepasst. Daher müssen alle, die Gestaltungswissenschaften betreiben, gute Kenntnisse der Natur haben,
zugleich aber auch diese „nutzen“, um erwünschte Ziele
zu erreichen. In eben diesem Sinne sind auch Unternehmen „Artefakte“.
Seinen Zweck erfüllt ein Artefakt unter Berücksichtigung
von Ziel, Eigenschaften des Artefakts und Umgebung,
in der das Artefakt seine Leistung zu erbringen hat. Insofern Unternehmen solche Systeme sind, müssen „Designer“ von Unternehmen, also Manager, menschliches
Verhalten erklären können, und solange Unternehmen
in einer Umgebung wirken, an die sie sich adaptieren
müssen und in der Menschen eine bedeutsame Rolle
spielen (als Kunden, als Öffentlichkeit, als Aktionäre
etc.), müssen sie auch für das Verständnis ihrer Umwelt
angemessene Annahmen über die menschliche Natur
machen. Für jeden „Designer“ eines Artefakts sind im
Grunde „lästige“ Randbedingungen zu beachten, insbesondere unvorhersagbare oder schwierig bewältigbare
Herausforderungen in der Umwelt. Daher bestehen zwei
verführerische Tendenzen: Die Umwelt zu einfach zu erklären oder sie gleich so mit zu verändern und zu vereinfachen, dass das Artefakt „passt“. An diesen Stellen ist es
professionelle Aufgabe der Wirtschaftspsychologie, über
die Natur des Menschen aufzuklären und im täglichen
Handeln diese vielleicht sogar in Schutz zu nehmen.
Mittlerweile ist der Teil der Wirtschafts- oder Betriebspsychologie, der sich mit der Produktionsseite befasst, zur Arbeits- und Organisationspsychologie geworden, die alleine
schon umfangreiche Lehrbücher füllt und in der vorliegenden Lehrbuchreihe ebenfalls eigens berücksichtigt wird
(Nerdinger, Blickle & Schaper, 2011; vgl. auch Schuler &
Moser, 2014). Das vorliegende Lehrbuch stellt zunächst die
Konsumtionsseite in den Mittelpunkt (Sektion I), betrachtet also verschiedene Fragen des Konsumentenverhaltens.
Den Menschen als Konsumenten zu betrachten, bedeutet
v. a., zu fragen, wie es dazu kommt, dass er Güter kauft.
Solche Güter sind für ihn nützlich, wobei wir von einem
sehr allgemeinen Begriff von „Nutzen“ ausgehen; in diesem
Lehrbuch wird daher auch der Begriff der Ressource verwendet. Wer also beispielsweise eine Eintrittskarte für einen
Kinobesuch erwirbt, ist ebenfalls Konsument, wobei offen
bleibt, ob die Ressource nun deshalb wertvoll ist, weil man
Spaß hat, etwas aus dem Film lernen kann, sich zerstreuen
will oder einfach nur gerne das tut, was alle tun.
1.1
Kaufen und Konsumieren: Erlangen
von Ressourcen
Über den Erfolg der Unternehmen entscheidet letztlich
der Absatz, also die Bereitschaft der potenziellen Konsu-
3
1.1 • Kaufen und Konsumieren: Erlangen von Ressourcen
menten, die Güter zu erwerben. Konsumenten stellen die
Umgebung dar, auf die sich Unternehmen ganz besonders
einzustellen haben. Die Markt- und Werbepsychologie
(z. B. Moser, 2002) befasst sich mit der Frage, wie diese
Umgebung genauer zu verstehen ist. Die ▶ Kap. 2–10 des
vorliegenden Lehrbuchs behandeln einige besonders bedeutsame Fragestellungen, mit denen sich Unternehmen
konfrontiert sehen. Die Beiträge der ersten Sektion des
Lehrbuchs gehen von einer bestimmten Sichtweise auf Individuen aus, sie treten als Nachfrager von Gütern auf, die
sie kaufen und konsumieren. Solche Güter haben einen bestimmten subjektiven Wert, sie stellen Ressourcen für das
Individuum dar. Sektion I gibt Antworten auf die Frage,
wie Menschen eigentlich dazu kommen, etwas für eine für
sie wertvolle Ressource zu halten: Offensichtlich wirken
Werbebotschaften auf sie ein (▶ Kap. 2; „Werbewirkungsmodelle“). Nicht jede Werbebotschaft erreicht ihr Ziel, ein
gängiges Bonmot unter Werbefachleuten besagt: „50 % des
Geldes, das für Werbung ausgegeben wird, wird praktisch
aus dem Fenster hinausgeworfen – man weiß nur nicht,
welche 50 % es sind.“ Genauer zu verstehen, wie Werbung
eigentlich wirkt, sollte also letztlich auch den ökonomischen Werbeerfolg vorherzusagen helfen. ▶ Kap. 2 gibt
einen Überblick über verschiedene Theorien, die sich teilweise ergänzen, teilweise aber auch darum konkurrieren,
Werbewirkungsprozesse in ihrer Gesamtheit zu beschreiben und zu erklären.
Ein wesentlicher Beitrag von Werbebotschaften ist
es, Kaufentscheidungen von Konsumenten zu beeinflussen. Wie genau Kaufentscheidungen zustande kommen,
ist daher ein besonders interessantes Anwendungsgebiet.
▶ Kap. 3 („Kaufentscheidungen“) behandelt u. a. unterschiedliche Formen von Entscheidungen. Die Spannweite
reicht von wenig reflektierten, fast automatisch ablaufenden Verhaltensweisen bis hin zu gründlich durchdachten,
länger währenden Abwägungen zwischen einer größeren
Zahl von Alternativen. Eine zentrale Botschaft dieses Kapitels wird sein, dass es Konsumenten nicht nur darauf ankommt, möglichst „ökonomisch“ zu entscheiden, sondern
dass Ziele wie Anstrengungsvermeidung, das Vermeiden
von negativen Emotionen (z. B. Enttäuschungen) oder
die Rechtfertigbarkeit von Entscheidungen vor anderen
und sich selbst eine mindestens ebenso große Rolle spielen. Das Wissen um solche Entscheidungsprozesse und
Entscheidungskriterien ist für die Planung von Überzeugungstechniken wie Werbung oder Argumentationen im
persönlichen Verkauf von zentraler Bedeutung. Kaufentscheidungen resultieren allerdings auch aus persönlichen
Mängelzuständen wie Einsamkeit und können sogar Bestandteil eines Teufelskreises von Materialismus und Einsamkeit sein (Peters, 2013). Dies weist darauf hin, dass Erkenntnisse dieses Lehrbuchs nicht nur für Unternehmen,
sondern auch für Individuen nutzbar sind.
Wenn sich Konsumenten überzeugen (oder bestärken) lassen, dann durch vermeintlich oder tatsächlich
gute Argumente („logos“; ▶ Kap. 4), Glaubwürdigkeit des
Überbringers der Botschaft („ethos“; ▶ Kap. 5) oder Emotionalisierung („pathos“; ▶ Kap. 6). Damit wird in diesem
Lehrbuch eine jahrtausendealte Unterscheidung aufgegriffen, die der griechische Philosoph Aristoteles eingeführt
hat, um die verschiedenen Möglichkeiten der Persuasion
zu verdeutlichen (Aristoteles, übers. 2002). Jeder Persuasionsversuch stellt auch eine Information dar, vermittelt
zumindest gewisse „Evidenzen“. Werbebotschaften können die zahlreichen Vorteile eines Produkts beschreiben
und auch über den Preis informieren. Damit solche Werbebotschaften Wirkung erzielen, sind allerdings gewisse
Voraussetzungen erforderlich, die man vereinfacht als Fähigkeit und Motivation bezeichnen kann. Wenn Werbebotschaften verständlich sind, sollten sie also wirken. Wie
aber ▶ Kap. 4 weiter ausführt, gibt es eine ganze Reihe von
Faktoren, die selbst qualitätsvolle Argumente wirkungslos
lassen können. Solche motivationalen Faktoren bei den
Rezipienten sind die geringe Bereitschaft, sich überhaupt
mit Werbebotschaften auseinanderzusetzen, der Vorsatz,
sich nicht manipulieren zu lassen, ein grundsätzliches
Misstrauen Werbung gegenüber usw. Eine Gegenreaktion
hierzu ist, alles zu unternehmen, um die Glaubwürdigkeit der Botschaft zu erhöhen. ▶ Kap. 5 („Persuasion durch
Glaubwürdigkeit“) erläutert, dass insbesondere wahrgenommene Kompetenz des Senders und seine Vertrauenswürdigkeit förderliche Faktoren sind. Alternativ hierzu,
oder auch als Ergänzung, kommt die Emotionalisierung
der Rezipienten infrage. „Alternativ“ deshalb, weil bei
manchen Formen der Emotionalisierung die Glaubwürdigkeit der Werbebotschaft keine angemessene Kategorie
mehr ist, beispielsweise wenn dramatisierende Werbespots
eingesetzt werden. In anderen Fällen kann Emotionalisierung bedeuten, dass die Rezipienten durch Werbung aktiviert oder einfach unterhalten werden (z. B. durch Humor).
▶ Kap. 6 („Persuasion durch Emotionalisierung“) erläutert die
Möglichkeiten und Grenzen solcher Vorgehensweisen.
Die Welt der Waren ist so vielfältig, dass wir uns ständig
am Rande der Überforderung bewegen. Jedes Angebot zu
überprüfen, führt rasch zu einer Informationsüberflutung.
Die Ressource Information wird zur Last, sie überwältigt uns,
beeinträchtigt unser Bedürfnis, unsere Umwelt zu verstehen,
und kann zur Konfusion führen (▶ Info-Box). Individuen
wehren sich gegen Informationsüberflutung durch verschiedene Strategien, was wiederum Unternehmen zu Gegenstrategien veranlasst. Wenn und weil z. B. Werbespots wenig Aufmerksamkeit erfahren oder sogar gezielt weggezappt werden,
überlegen sich Unternehmen alternative Kommunikationswege wie Sponsoring oder Public-Relations-Aktivitäten. Viel
bedeutsamer aber ist es für Unternehmen, den Individuen
sie „entlastende“ Angebote machen. Genau hierauf gehen
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22
Kapitel 1 • Einleitung
▶ Kap. 7 und ▶ Kap. 8 ein. So wird in ▶ Kap. 7 erläutert,
welche immense Rolle mittlerweile Marken spielen. Aus der
Perspektive der zu vermeidenden Informationsüberflutung
ermöglichen diese grob vereinfachende Kategorisierungen:
Produktalternativen sind „sehr gut“, wenn sie einen bestimmten Markennamen haben. Bestimmte Markennamen
stehen für Qualität, und neu einzuführende Produkte haben
i. Allg. eine deutlich bessere Erfolgschance, wenn sie unter
einem anerkannten Markennamen angeboten werden. Viele
Konsumenten sind auch bereit, nur deshalb für ein Produkt
einen höheren Preis zu bezahlen, weil es ein Markenprodukt
ist. Informationsüberflutung und das aufwändige Abwägen
von Alternativen können wir auch vermeiden, wenn wir bei
einer einmal gewählten Alternative bleiben und markentreu
sind. Dem Thema „Kundenbindung“ wird daher ebenfalls
ein eigenes Kapitel gewidmet (▶ Kap. 8; „Kundenzufriedenheit
und Kundenbindung“). Wie weiter erläutert werden wird, hat
Kundenbindung verschiedene Ursachen. Die Zufriedenheit
mit dem Produkt oder dem Unternehmen ist nur ein Faktor. Wie ▶ Kap. 8 im Einzelnen erläutert, haben die meisten
Bedingungsfaktoren direkt oder indirekt etwas damit zu tun,
dass sie Resultat einer Vereinfachungsstrategie sind. Etwas
hierüber zu wissen, ist für fast jedes Unternehmen relevant,
zumal treue Kunden oft um ein Vielfaches lukrativer sind als
neu zu gewinnende Kunden.
Info-Box
| |
Drei Ursachen der Informationsüberflutung
Es kann mehrere Ursachen haben, sich von Informationen überflutet zu fühlen. Naheliegenderweise ist es
zunächst einmal die bloße Zahl, z. B. von Werbeinformationen, die alltäglich auf uns einstürmt und in uns
ein Gefühl der Überwältigung erzeugen kann. Doch
selbst wenn wir diese Informationsmenge abzuwehren lernen, können wir uns überflutet fühlen, und zwar
weil wir ein Gefühl der Hilflosigkeit erleben. Beispielsweise würden einige gerne die als „Pop-ups“ erscheinenden Werbungen auf ihrem Laptop unterdrücken,
wissen aber nicht, wie sie das tun können. Eine dritte
Ursache von Informationsüberflutung ist jene, die sich
in Verwirrung ausdrückt, weil wir Informationen (z. B.
Werbebotschaften) nicht zu interpretieren wissen, weil
wir orientierungslos sind. Was nützt es beispielsweise
schon, einen neuen Laptop „bedarfsgerecht“ im Internet zusammenstellen zu können, wenn man schlicht
und einfach keine Idee hat, wie man die zahlreichen
Wahlmöglichkeiten eigentlich bewerten soll und ob sie
überhaupt wichtig sind? So kommt es, dass „an sich“
wertvolle Ressourcen, nämlich Informationen, zu einem
Stressor werden können (Soucek & Moser, 2010), dass
wir Informationsüberflutung erleben.
All das, was wir bis zu dieser Stelle betrachtet haben, kann
auch als „Marketingpsychologie“ bezeichnet werden. Instrumente zur „Marktbearbeitung“ kommen nicht ohne
Psychologie aus, wie ▶ Kap. 9 an einer beeindruckenden
Vielzahl von Einzelbeispielen illustriert. Der „Marketingmix“ eines Unternehmens setzt sich aus vier Bestandteilen
zusammen, und bei den meisten davon ist es kaum vorstellbar, dass sie auf psychologische Überlegungen verzichten können:
Produktpolitik (z. B. Kreierung eines Markennamens
oder Gestaltung von Produktverpackungen)
Preis- und Konditionenpolitik (z. B. Sonderangebote
oder Rückgabegarantien)
Vertriebspolitik (z. B. die Formulierung von Werbebriefen)
Kommunikationspolitik (z. B. Krisenkommunikation
im Rahmen der „Public Relations“)
-
Auch wenn der wirksame Einsatz von Marketinginstrumenten auf Erfahrungswissen basieren kann, vermittelt
doch in vielen Fällen erst die systematische Gewinnung
von Daten ein ausreichendes Verständnis für die psychologische Wirkung von Marketinginstrumenten. Die Wirkung von Maßnahmen ist oft nur dann abschätzbar, wenn
man sich psychologischer Methoden der Marktforschung
bedient (▶ Kap. 10; „Methoden der psychologischen Marktforschung“). „Psychologisch“ sind die vorgestellten Methoden der Marktforschung, wenn sie Erleben und Verhalten
der Konsumenten analysieren. Im Mittelpunkt solcher
Betrachtungen steht also weniger die Frage, welchen Verbreitungsgrad bereits bestimmte Güter haben oder wie die
Kaufkraft der Konsumenten beschaffen ist.
Die erste Sektion dieses Lehrbuchs wurde mit „Kaufen
und Konsumieren: Erlangen von Ressourcen“ überschrieben, um ein bestimmtes Verständnis von Gütern, aber auch
eine bestimmte Sichtweise auf den Menschen zu verdeutlichen. Güter werden im Wettbewerb erworben, sie sind
knapp. Man erhält Verfügungsgewalt und konsumiert sie.
All dies trifft nun allerdings für viele der für Menschen
wertvollen Ressourcen nicht oder nur teilweise zu. Beispielsweise gibt es Güter wie Gesundheit, Freiheit oder
Arbeitsmarktfähigkeit, die man nicht einfach „kaufen“
kann. Gleichwohl sind es Güter, die man pflegen kann, die
sich gelegentlich auch „Schritt für Schritt“ entwickeln, mit
denen man eher haushaltend und allenfalls bedächtig verbrauchend umgehen sollte.
1.2
Haushalten und Verbrauchen:
Erhalten von Ressourcen
So bedeutsam es auf den ersten Blick zu sein scheint, dass
wir Güter erwerben: Vieles von dem, was wir im Alltag
5
1.2 • Haushalten und Verbrauchen: Erhalten von Ressourcen
tun, benötigen und wertschätzen, dient dem Erhalten von
Ressourcen. In vorliegendem Lehrbuch geht es nicht nur
darum, wie Menschen Ressourcen erlangen (z. B. durch
Kauf), sondern auch darum, wie sie diese erhalten. Zunächst einmal ist daran zu denken, dass Individuen für
die von ihnen nachgefragten Güter Gegenleistungen zu
erbringen haben, üblicherweise wird dies Geld sein. Diese
Ressource ist aus verschiedenen Gründen Gegenstand
wirtschaftspsychologischer Betrachtungen; die sog. „Finanzpsychologie“ – von Ökonomen auch als „Behavioral Finance“ bezeichnet – wird in ▶ Kap. 11 definiert als
„Wissenschaft vom Erleben und Verhalten von Menschen
im Umgang mit Geld oder liquiditätsnah investierten
bzw. aufgenommenen Mitteln“. So ist die Wahrnehmung
des Werts von Geld durchaus variabel, und teilweise sind
Preise sogar Signale für Qualität und Nutzenversprechen
eines Produkts (▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Demonstrativer Konsum – Über den besonderen
„Nutzen“ kostspieliger Aktivitäten
Festliche Zusammenkünfte waren wohl ursprünglich
der Gastfreundschaft gewidmet oder trugen religiösen Charakter; diese Motive finden sich auch in der
späteren Entwicklung, doch sind sie nicht mehr allein
entscheidend. Die Feste der Vornehmen mögen zwar
nebenbei einem religiösen Anliegen oder, weit öfters,
dem Bedürfnis nach Erholung und geselligem Zusammensein dienen, doch gleichzeitig verfolgen sie auch
einen neidvollen Zweck; und dieser Zweck wird nun
keineswegs schlechter erfüllt, auch wenn er nicht offen
zutage tritt, sondern ihm der Mantel der Frömmigkeit
oder Geselligkeit umgehängt wird. Der wirtschaftliche
Effekt, den man erzielen will, das heißt der stellvertretende Konsum und der kostspielige Aufwand an komplizierter Etikette, leidet nämlich dadurch in keiner
Weise. (Veblen, 1997, S. 85 f.)
Dass Geld selbst eine zumindest vorübergehend erhaltenswerte Ressource ist, wird v. a. dann zu einem ökonomisch
relevanten Thema, wenn Konsumentscheidungen aufgeschoben und das Geld „gespart“ wird. Volkswirtschaftlich
bedeutsam wird dies, wenn sich eine kollektive Konsumzurückhaltung negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung
auswirkt.
Eine weitere zentrale Ressource, die sich der Vorstellung, man könne sie „kaufen“, weitgehend entzieht, ist die
Gesundheit. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass man ihrer erst oft dann gewahr wird, wenn sie verloren zu gehen
droht. Auch wenn man Gesundheit nicht kaufen kann, so
ist sie keineswegs eine unbedeutende ökonomische Größe.
Öffentliche und private Ausgaben in diesem Bereich haben
in den Industrieländern einen beeindruckenden Umfang
angenommen. Diesem zentralen menschlichen Gut wird
daher in diesem Lehrbuch ein eigenes Kapitel gewidmet.
Wenn Produkte und Dienstleistungen um das Thema „Gesundheit“ angeboten werden, dann geht es primär darum,
negative Zustände zu vermeiden oder in einem möglichst
großen Umfang zu beseitigen (z. B. Rauchen, Übergewicht,
mangelnde Bewegung oder ein körperliches Gebrechen).
Entsprechend spielen Vermeidungsthemen eine große
Rolle. Dies drückt sich u. a. darin aus, dass in entsprechenden Werbebotschaften oft Furchtappelle eingesetzt werden.
In ▶ Kap. 12 wird für ein positives Konzept von Gesundheit geworben, was sie in die Nähe der Idee von
„Lebensqualität“ rückt. Hier wird eine zentrale Frage
angesprochen, nämlich diejenige nach dem „guten Leben“. Interessant ist, dass die Autoren des Kapitels nicht
nur die Verantwortung des Individuums betonen und
dafür plädieren, diese zu stärken, sondern dass sie auch
die Unternehmen in die Pflicht nehmen wollen. Die Frage
nach einem angemessenen Gesundheitsbegriff führt uns
zu den zentralen Lebenszielen, zum Wert, der verschiedenen Lebensbereichen zugemessen wird, und damit zur
„Work-Life-Balance“. Erneut stellt sich die Frage nach der
„eigentlichen“ menschlichen Natur, auf die dann auch
Unternehmen Rücksicht zu nehmen haben. Sind die wirtschaftlichen „Artefakte“, die Gegenstand der entsprechenden Gestaltungswissenschaften sind, der menschlichen Natur angepasst (▶ Info-Box zu Beginn des Kapitels)? Oder
sind sie so gestaltet, dass wesentliche Voraussetzungen für
ein „gutes Leben“ nicht mehr gegeben sind? Diese Frage
wird sehr prinzipiell bereits in ▶ Kap. 12 gestellt, wenn
gefragt wird, ob bestimmte Merkmale der Arbeitswelt die
Gesundheit der Arbeitnehmer beeinträchtigen. Sie wird in
den nachfolgenden Kapiteln mehrfach wiederholt, wenn
die Vereinbarkeit von Arbeit einerseits, Freizeit und Familie andererseits thematisiert wird. Kann es sein, dass
die Bemühungen um den Erhalt (und die Vermehrung)
einer Ressource, nämlich Einkommen aus Erwerbsarbeit
zu erzielen, zu einer Verformung der menschlichen Natur
führen? In ▶ Kap. 13 („Work-Life-Balance“) wird zumindest
ein entsprechendes Spannungsverhältnis gesehen, und es
werden verschiedene Vorschläge unterbreitet, wie eine
bessere Vereinbarung oder Ausbalancierung möglich ist.
Offensichtlich hat sich die Metapher der „Ausbalancierung“ eingebürgert, weil es hier um die Abstimmung verschiedener erhaltenswerter, wertvoller Ressourcen handelt.
Warum die Balance so schwer zu finden ist, ist auch auf die
rapiden Veränderungen in der Arbeitswelt zurückzuführen. So fragt auch ▶ Kap. 14 im Grunde danach, wie sich
das Wechselspiel von ökonomischen Bedingungen und
Möglichkeiten eines guten Lebens wohl entwickeln wird.
Hier wird stärker betont, dass sich die Individuen in ihrer
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Kapitel 1 • Einleitung
Lebensgestaltung den Erfordernissen des gesellschaftlichen
Wandels anzupassen hätten.
▶ Kap. 13 und ▶ Kap. 14 behandeln das Thema Erwerbsarbeit also zentral. Gewiss dient sie dazu, eine erste
wichtige Ressource zu erhalten und zu mehren, nämlich
die finanzielle Ausstattung des Individuums. Dies legt
nahe, in Erwerbsarbeit allenfalls ein „notwendiges Übel“
zu sehen. Es sind aber keineswegs nur einige wenige „Arbeitssüchtige“, die in der Arbeit – und damit natürlich auch
in der Beschäftigungsfähigkeit – mehr sehen. Nicht nur in
dieser Hinsicht ist es aufschlussreich, sich mit den psychosozialen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit zu befassen.
Die Forschung zu den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit
(▶ Kap. 15) verdeutlicht u. a. den hohen Stellenwert des
Arbeitens (in Erwerbsarbeit) anhand der Auswirkungen
von Arbeitslosigkeit auf die seelische Gesundheit. Erwerbsarbeit hat über die Chance, ein Auskommen zu erzielen,
hinaus auch andere wichtige Funktionen für den arbeitenden Menschen, wie z. B. das Erleben von Anerkennung, die
Definition einer Identität oder die Möglichkeit, etwas für
andere Menschen Nützliches zu tun.
▶ Kap. 13, ▶ Kap. 14 und ▶ Kap. 15 behandeln Fragestellungen, die auch in der Arbeitspsychologie bzw. der
Berufspsychologie behandelt werden. Sie nähern sich vor
allem dann dem Kern der Wirtschaftspsychologie, wenn
es um die ökonomische Bewertung dieser Ressourcen geht
(z. B. Zahlungsbereitschaft für Lebensqualität, die eigene
Weiterbildung, häusliche Dienstleistungen) oder darum,
welche monetären und nicht-monetären Kosten aus dem
Verlust der Ressourcen resultieren.
1.3
Bürger sein: Bewerten und Gestalten
von Ressourcen
Die Ausführungen in dieser Einleitung haben mit der Annahme begonnen, dass wirtschaftliche Gestaltungsfragen
solche Designfragen sind, die auf die Umgebung der Artefakte Rücksicht zu nehmen haben. Zur „Umgebung“ von
Unternehmen zählen Verbraucher, andere Unternehmen
(als Abnehmer, Zulieferer und Konkurrenten), aber z. B.
auch die natürliche Umwelt, sei es als Rohstofflieferant
oder auch schlicht als Lebensgrundlage. Welche Konsequenzen sich hieraus ergeben, wird in Sektion III dieses
Lehrbuchs behandelt. ▶ Kap. 16 setzt sich mit der Umgebung der „Märkte“ auseinander, auf denen Individuen und
Unternehmen agieren. Insbesondere wird untersucht, unter welchen Bedingungen Individuen verantwortungsvoll
mit ihrer Umgebung umgehen.
So wie Individuen nicht nur frei verfügbare Ressourcen (Güter, Dienstleistungen, Nutzungsrechte) erwerben,
sondern sich auch um Ressourcenerhaltung zu kümmern
haben, so ist dies auch für Unternehmen eine zentrale He-
rausforderung. Erwerb und Aufrechterhaltung von Ressourcen erfordern aber Aufwand bzw. stellen Kosten dar.
Daher neigen viele Unternehmen dazu, diese Kosten zu
„externalisieren“. Beispielsweise überlassen sie die Ausbildung zukünftiger Mitarbeiter gerne der Allgemeinheit
oder wälzen die Kosten von Umstrukturierungen (z. B.
Freisetzen von Mitarbeitern) auf Sozialversicherungssysteme ab. Sollte man sich damit abfinden? Oder gibt es nicht
grundlegende Ressourcen, die so viel Verantwortungssinn
erfordern, dass sie nicht weiterhin dem sog. freien Spiel der
Kräfte in Märkten überlassen werden können?
Abermals ist nunmehr danach zu fragen, auf welche
Art von „gutem Leben“ das Agieren von Unternehmen
und Individuen ausgerichtet sein sollte. Die momentane
Ressourcenausstattung zu optimieren, kann kein angemessenes Leitbild sein. Sie kann es jedenfalls dann nicht
sein, wenn wir das Gebot der Nachhaltigkeit respektieren. Unternehmerisches wie individuelles Handeln kann
ansonsten langfristig gar nicht erfolgreich sein. Für beide
Seiten bedeutet dies, in ihrem Agieren Maximen des guten
Lebens zu bedenken. Worin diese bestehen könnten, wird
in Sektion III exemplarisch beantwortet.
In ▶ Kap. 17 wird dies am Ideal des Bürgersinns (Citizenship) erörtert. Ein „gutes Leben“ geht über das Prinzip
„Nimm und halte fest“ hinaus. Sorge um das Gemeinwesen, um die natürliche Umwelt, um kollektive Güter ist
unabdingbar, auch wenn wir bisher nur wenig darüber
wissen, warum dies noch zu oft so gering geschätzt wird.
Tatsächlich scheint es eben auch zur menschlichen Natur
zu gehören, verbunden zu sein und zu geben, Zugehörigkeit empfinden zu können (Baumeister & Leary, 1995) und
generativ zu sein (▶ Kap. 17). Insbesondere ist kontraproduktives Verhalten keine Naturnotwendigkeit, vielmehr
ein zu erklärendes und auch zu beeinflussendes Phänomen (▶ Kap. 18; „Kontraproduktivität“). Öffentliche Güter
in ihrer Wertigkeit anzuerkennen, ist zwar keine Selbstverständlichkeit, und sie gering zu schätzen, zu missbrauchen
oder sogar für überflüssig zu erklären, ist keine Seltenheit.
Andererseits ist es aber auch nicht wider die menschliche
Natur, wählen zu gehen, Steuern zu bezahlen oder seinen
Mitbürgern zu helfen.
Verantwortliches Handeln als Bürger setzt persönliche
Freiheit voraus, und dies ist am besten durch ökonomische Unabhängigkeit, also Selbstständigkeit, gewährleistet. Daher ist es nur konsequent, wenn dieses Lehrbuch
auch ein Kapitel zur beruflichen Selbstständigkeit enthält
(▶ Kap. 19). Gewiss soll diese nicht romantisiert werden,
nicht jeder ist ob der hierfür erforderlichen Talente geeignet. Die Antwort auf die Frage, ob sich hieraus für jene,
die eben solche – oder auch andere – besonderen Talente
haben, eine besondere Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft ergibt, sollte freilich nicht in einem Lehrbuch
der Wirtschaftspsychologie gesucht werden.
7
Literatur
Mit der Idee des „Bewertens und Gestaltens von Ressourcen“ wird die Verantwortlichkeit wirtschaftlich handelnder Individuen jenseits des kurzfristigen Eigeninteresses fokussiert. Wirtschaftspsychologisch bedeutsam sind
solche Fragestellungen, weil Verhalten erklärt werden soll,
das für das Individuum kurzfristig oft eher ökonomisch
riskant ist denn vorteilhaft.
Das vorliegende Lehrbuch wird mit einem Epilog abgeschlossen. Es werden dort Themen angesprochen, mit
denen es sich informierter auseinandersetzen lässt, wenn
man bereits einen Eindruck davon hat, welche Leistungsfähigkeit die Wirtschaftspsychologie, wie sie in diesem
Lehrbuch und für dieses Lehrbuch definiert wurde, im
Einzelnen hat. Ethische Fragen sollen dort ebenso diskutiert werden wie Menschenbilder. Im Zusammenhang mit
den ethischen Fragestellungen wird abermals Wert darauf
gelegt, die jeweiligen Herausforderungen nicht nur aus der
Perspektive der typischen Anwender von wirtschaftspsychologischen Theorien, Methoden und Erkenntnissen zu
diskutieren, nämlich Wirtschaftsunternehmen, sondern
auch nach der Verantwortung der Wirtschaftspsychologie als Wissenschaft und – last but not least – der Verantwortung des Einzelnen als Konsument, Verbraucher und
Bürger zu fragen.
Literatur
Baumeister, R. F., & Leary, M. R. (1995). The need to belong: Desire for
interpersonal attachments as a fundamental human motivation.
Psychological Bulletin, 117, 497–529.
Moser, K. (2002). Markt- und Werbepsychologie. Göttingen: Hogrefe.
Nerdinger, F., Blickle, G., & Schaper, N. (2011). Lehrbuch Arbeits- und Organisationspsychologie. Heidelberg: Springer.
Peters, R. (2013). Bidirectional dynamics of materialism and loneliness:
Not just a vicious cycle. Journal of Consumer Research, 40, 615–631.
Schuler, H., & Moser, K. (Hrsg.). (2004). Organisationspsychologie. Bern:
Huber.
Soucek, R., & Moser, K. (2010). Coping with information overload in email
communication: Evaluation of a training intervention. Computers in
Human Behavior, 26, 1458–1466.
Simon, H. A. (2001). The sciences of the artificial (3. Aufl.). Cambridge,
Mass: MIT Press.
Veblen, T. (1899, 1997). Theorie der feinen Leute. Frankfurt a. M.: Fischer.
1
9
Kaufen und
Konsumieren: Erlangen
von Ressourcen
Kapitel 2
Werbewirkungsmodelle – 11
Klaus Moser
Kapitel 3
Kaufentscheidungen – 29
Hans-Georg Wolff, Klaus Moser
Kapitel 4
Erfolgreiches Überzeugen durch Argumente – 51
Dieter Frey, Peter Fischer, Andreas Kastenmüller,
Tobias Greitemeyer, Klaus Moser
Kapitel 5
Persuasion durch Glaubwürdigkeit – 67
Matthias Spörrle, Florian Becker, Lutz von Rosenstiel
Kapitel 6
Emotionale Werbung – 83
Axel Mattenklott
Kapitel 7
Markenmanagement – 101
Michaela Wänke, Arnd Florack
Kapitel 8
Kundenzufriedenheit und Kundenbindung – 119
Friedemann W. Nerdinger, Christina Neumann, Susanne Curth
Kapitel 9
Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet – 139
Georg Felser
Kapitel 10
Methoden der psychologischen Marktforschung – 161
Ranjit K. Singh, Anja S. Göritz, Klaus Moser
I
11
Werbewirkungsmodelle
Klaus Moser
2.1
Stufenmodelle der Werbewirkung – 12
2.2
Hierarchie-von-Effekten-Modelle – 15
2.3
Zwei-Prozess-Modelle – 18
2.4
Das duale Vermittlungsmodell – 22
2.5
Das Rossiter-und-Percy-Modell – 23
2.6
Funktionen von Werbewirkungsmodellen – 25
Literatur – 26
K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie, Springer-Lehrbuch,
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
2
12
Kapitel 2 • Werbewirkungsmodelle
8
„Es gibt Aha-Effekte, die sind irrelevant. Irrelevant für den Kauf
eines Produktes. Das ist z. B. der Fall, wenn man bei einem
Spülmittel das Design der Verpackung kommuniziert, indem
man eine phantastische, kreative Kampagne entwirft, die
sagt: ‚In diesem Wahnsinns-Behälter ist dein Spülmittel.‘ Nun ist
das aber den Leuten egal, denn die wollen vor allen Dingen
Bequemlichkeit. Wenn dann eine andere Kampagne auf die
stupideste Oberlehrer-Art sagt: ‚Dank Extrawaschkraft, kein Abtrocknen mehr und mehr Zeit für dich!‘, so hat sie mehr Erfolg.
Diejenige Werbung, die den relevanten Punkt kommuniziert,
wird dabei immer gewinnen. Man muss also zuerst ermitteln,
was den Leuten am wichtigsten ist und wo die Chancen der eigenen Marke in diesem Wirkungsfeld liegen, anstatt mit einer
phantastischen Kampagne verführerisch einen irrelevanten
Punkt zu kommunizieren. Davor muss man seine Kunden bewahren. Die erfolgreichste Kampagne ist die, die den relevanten Punkt herausragend kreativ vermittelt.“ (Sebastian Turner,
Vorstandschef des Art Directors Club; zitiert nach Mattenklott
& Schimansky, 2002, S. 175)
9
▶ Werbewirkungsmodelle befassen sich mit der Frage,
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wie und unter welchen Bedingungen Werbung ihr eigentliches Werbeziel erreicht. Werbung ist ein Reiz, der zu einer
durch den Werbetreibenden erwünschten Reaktion führt,
so die Annahme. Doch warum bleibt diese Reaktion oft
aus? Warum, um ein gerne angeführtes Bonmot zu zitieren, ist die Hälfte der Werbung pure Verschwendung – man
weiß nur nicht welche? Um hierauf eine Antwort geben zu
können, ist ein tieferes Verständnis dafür erforderlich, wie
Werbung eigentlich wirkt.
Was also genau ist mit Werbewirkung gemeint? Und
unter welchen Bedingungen ist eine bestimmte Werbung
wirksam? Zur Beantwortung dieser Fragen betrachten
wir verschiedene Werbewirkungsmodelle. Alle diese Modelle machen Aussagen darüber, wie und warum Werbebotschaften die Beworbenen erreichen – oder eben nicht
erreichen. Die einfachsten Vorstellungen gehen davon
aus, dass die Werbung nur geschickt genug gemacht sein
muss, der Rest geschieht dann „wie von selbst“. Solche
Reiz-Reaktions-Modelle stellen den Ausgangspunkt
der nachfolgenden Ausführungen dar. Wie wir allerdings sehen werden, findet zwischen Reiz und Reaktion
allerhand statt. Was dies genau ist, ist der Kerngegenstand aller Werbewirkungsmodelle. Aus diesen Modellen lassen sich jeweils interessante und aufschlussreiche
Gestaltungsempfehlungen ableiten, sie haben aber auch
Integrationskraft, die vielfältigen Befunde zur Wirkung
einzelner Gestaltungselemente zu bündeln. Die Darstellung verschiedener Modelle zur Werbewirkung wird zudem Ideen davon vermitteln, auf welchen Ebenen und
mit welchen Methoden Werbewirkung vorhergesagt und
evaluiert werden kann.
2.1
Stufenmodelle der Werbewirkung
Werbung kann als Reiz oder „Stimulus“ beschrieben werden, mit dem eine bestimmte Reaktion bei den Beworbenen ausgelöst werden soll, beispielsweise ein Produkt zu
kaufen, es auszuprobieren, es öfter zu nutzen oder es auch
positiv zu beurteilen. Die verschiedenen Stufen der Werbewirkung sind in einem solchen Fall leicht „abzählbar“: Es
gibt genau eine, nämlich die auf den Reiz folgende Reaktion. Tatsächlich scheint es solch einfache Werbewirkungsmodelle zu geben.
Beginnen wir unsere Ausführungen mit zwei populären Annahmen über die Wirkungsweise von Werbung,
die mit den Begriffen „Klassisches Konditionieren“ und
„unterschwellige Beeinflussung“ verbunden sind. Die
Grundlagen des klassischen Konditionierens wurden
von Pawlow (1927) untersucht. Andere Bezeichnungen
für klassisches Konditionieren sind „Konditionierung als
Übertragung von Reflexen“ und „emotionale Konditionierung“. Beruht Werbewirkung auf klassischer Konditionierung? Das klingt gleichermaßen attraktiv und bedrohlich:
Sind Reaktionen auf Werbungen unwillkürliche Reflexe?
Betrachten wir hierzu eine oft zitierte Beispieluntersuchung (▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Klassische Konditionierung in der Werbung?
Gorn (1982) zeigte in einem Experiment Versuchspersonen Anzeigen für einen Füller, wobei gleichzeitig
entweder Popmusik oder klassische indische Musik
lief. Im Anschluss daran konnten die Versuchspersonen
wählen, ob sie lieber einen Füller wie in der Werbung
wollten oder lieber einen anderen Füller. Während die
Versuchspersonen, die die Popmusik hörten, eher den
Füller wählten, für den geworben worden war, wollten
die anderen Versuchspersonen lieber den anderen Füller. Nach Gorn wirkte die Popmusik also als unkonditionierter positiver Stimulus, der mit dem beworbenen
Produkt assoziiert wurde. Die andere, als unangenehm
empfundene Musik wirkte hingegen als negativer unkonditionierter Stimulus (vgl. weiterführend Kellaris &
Cox, 1989).
Kann Werbewirkung dadurch ausgelöst werden, dass man
sich Automatismen bedient, die dann unwillkürlich erwünschte Reflexe hervorrufen? Was wir bis heute wissen,
spricht eher nicht dafür. Zunächst einmal gibt es technische Probleme. Die Wirksamkeit von klassischer Konditionierung wird durch folgende vier Faktoren beschränkt
(Engel, Blackwell & Miniard, 1995):
13
2.1 • Stufenmodelle der Werbewirkung
1. Im Falle gleichzeitigen Auftretens von mehreren konditionierten Reizen kann eine Überschattung auftreten.
2. Erfahrungen mit dem unkonditionierten Stimulus
(US) sind hinderlich (z. B. können bekannte Lieder oft
nicht so effektiv verwendet werden wie neu geschaffene
Musikstücke).
3. Erfahrungen mit dem konditionierten Stimulus (CS)
sind bedeutsam, da Konditionierungsprinzipien für
die Vermittlung von neuen Verhaltensweisen bei neuen
Produkten wirksamer sind als bei bereits existierenden
Produkten.
4. Schließlich können konditionierter und unkonditionierter Reiz als nicht zueinander passend erlebt werden.
Darüber hinaus handelt es sich beim klassischen Konditionieren keineswegs um einen Prozess, der gedankenlos
abläuft. Vielmehr geht die moderne Forschung im Bereich
des klassischen Konditionierens davon aus, dass Beziehungen zwischen Reizen in der eigenen Umgebung gelernt
werden. Genauer gesagt wird eine Kontingenzbeziehung
zwischen CS und US gelernt. Der CS gibt Informationen
über den US und signalisiert, dass dieser demnächst erscheinen wird (vgl. Janiszewski & Warlop, 1993). Dies bedeutet dann, dass die Kontingenz von US und CS bewusst
ist (Shimp, Stuart & Engle, 1991). Und schließlich ist es
nicht nur die bloße Kontiguität von CS und US, welche
die Reaktion von einem Stimulus zum anderen überträgt.
Welche Kombination von CS und US zu einem Konditionierungsprozess führt, ist also jeweils neu zu überprüfen.
Zudem gibt es auch keinen Grund für die Annahme, dass
die Reaktion, die konditioniert wird, ähnlich der Reaktion
ist, die von dem US ausgelöst wird (Allen & Shimp, 1990).
Für den Bereich der Werbung wäre dies ja auch seltsam;
positive Reaktionen auf beliebte Musik mögen z. B. in Mitsummen oder Mitsingen bestehen, was nun gewiss nicht
die Reaktion ist, die von einer Werbung für einen Füller
erwartet wird. Somit stellt sich die Frage, was denn nun tatsächlich konditioniert wird. Tatsächlich spricht einiges dafür, dass es nicht etwa eine offene Verhaltensänderung ist,
sondern vor allem und in erster Linie eine „bewertende
Reaktion“. Klassische Konditionierung wäre dann einfach
ein Mechanismus zur Formung von Einstellungen. Die Anwendbarkeit klassischer Konditionierung, aber auch die
Aussagekraft der Studien hierzu, wird bis heute sehr kontrovers diskutiert (z. B. Pornpitakpan, 2012).
Besteht nun aber ein alternativer Weg, mit Werbung
unwillkürliche (erwünschte) Reaktionen bei den Beworbenen auszulösen, ohne dass sich Zwischenstufen
„einschleichen“ können? Dass sich Konsumenten am
besten gar nicht gegen die Wirkung von Werbung wehren können, beflügelt die Fantasie von Werbetreibenden
und Werbekritikern gleichermaßen. Und daher klingt die
Diskussion darum, ob und inwieweit Rezipienten durch
unterschwellige Werbung beeinflusst werden können,
seit mindestens Mitte des 20. Jahrhunderts nicht ab. Mit
„unterschwellig“ bzw. „subliminal“ ist gemeint, dass Reize
zwar nicht bewusst wahrgenommen werden, aber dennoch
wirksam sind. Die klassische „Studie“ stammt von Vicary
(1957) (▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Die klassische „Studie“ zu unterschwelliger Werbung
Vicary (1957) behauptete, die folgende schon legendäre Untersuchung durchgeführt zu haben: Auf einer
Filmleinwand in einem Kino wurden während Filmvorführungen mit einer Projektionsdauer von 1/3.000 s alle
5 s die Worte „DRINK COKE“ und „EAT POPCORN“ projiziert. Über 45.000 Menschen sollen innerhalb von sechs
Wochen an diesem Experiment teilgenommen haben,
und der Coca-Cola-Umsatzanstieg soll 57,7 %, der von
Popcorn 18,1 % betragen haben.
In der Folgezeit gab es nicht nur öffentliche Kontroversen um die Akzeptabilität dieser Vorgehensweise, sondern
auch Hunderte von Nachfolgeuntersuchungen. Die hieraus
entstandenen Probleme sollen hier nicht im Detail diskutiert werden (vgl. hierzu Brand, 1978). Spätestens seit Ende
der 70er Jahre wird in akademischen Kreisen die Wirksamkeit subliminaler Darbietung von Stimuli bezweifelt;
insbesondere der Effekt auf der Ebene offenen Verhaltens
ist so gut wie null (Trappey, 1996). Zudem spricht einiges
dafür, dass die klassische „Untersuchung“ möglicherweise
erfunden worden ist; selbst die „harten Daten“ wie z. B. die
zitierten Umsatzzahlen werden widersprüchlich berichtet
(Brand, 1978). Des Weiteren wurde nicht genau bedacht,
was „unterschwellig“ denn nun wirklich bedeutet. Schließlich lassen sich die wenigen positiven Belege für die Wirksamkeit subliminaler Werbung allenfalls soweit interpretieren, dass nur sehr unspezifische Effekte erzielbar sind (z. B.
Wecken von Hungergefühlen, nicht aber von Bedürfnissen nach einer bestimmten Popcornmarke). So führte der
Stimulus „beef “ in einem Experiment von Byrne (1959)
dazu, dass die Experimentalgruppe im Vergleich zu einer
Kontrollgruppe angab, hungriger zu sein. In jüngster Zeit
wurden wieder Belege dafür vorgebracht, dass subliminale
Werbung doch eine Wirkung auf das Konsumentenverhalten hat. Allerdings ist die Voraussetzung dafür, dass die
entsprechenden Produkte zielrelevant sind. Beispielsweise
wird die Präferenz für ein Getränk dann durch entsprechende subliminale Werbung verstärkt, wenn die Rezipienten durstig sind. Zudem hat subliminale Werbung für eine
Marke dann keinen (zusätzlichen) Effekt auf die Präferenz,
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Kapitel 2 • Werbewirkungsmodelle
wenn sie ohnehin die gewohnheitsmäßig präferierte Marke
ist (Verwijmeren, Karremans, Stroebe & Wigboldus, 2011).
In der Zeit nach der Entdeckung der sog. unterschwelligen Werbung ist eine ganze Reihe von Phänomenen untersucht und diskutiert worden. Das Interesse
hieran ist sehr unterschiedlich motiviert, wobei die einen
sich den jeweiligen Effekt erhoffen, den andere eher befürchten. Beispielsweise geht mit der Vorstellung einer
unterschwelligen Wirkung die Überlegung einher, die
Betroffenen würden nicht bemerken, dass sie beeinflusst
werden, und sich daher auch nicht dagegen wehren. Diese
Annahme scheint zu implizieren, dass der Beeinflussungsversuch weniger wirksam ist, wenn er bemerkt wird, eine
Annahme, die auffälligerweise kaum überprüft wird. Eine
andere Auffassung lautet, dass es sich um automatisch ablaufende Prozesse handelt, die nicht der Kontrolle der Rezipienten unterliegen. Damit müsste man sich auch keine
Sorgen darüber machen, was die Betreffenden über die
Botschaft denken. Unglücklicherweise wird kaum genauer
untersucht, ob dies nicht eine sehr voreilige Schlussfolgerung ist, wie es auch eine voreilige Schlussfolgerung zu
sein scheint, dass es nur relativ einfache kognitive Prozesse
sind, die solchen Automatismen unterliegen (vgl. Bargh
& Ferguson, 2000). Eine dritte Sicht besteht darin, dass
unterschwellige Wirkung dafür steht, dass den Rezipienten nicht klar ist, woran es liegt, dass sich etwas bei ihnen
verändert bzw. eingestellt hat, was dazu führt, dass Platz
für fehlerhafte Erklärungen entsteht. Typisches Beispiel ist
etwa die positive Bewertung einer Marke, die man zuvor
schon einmal gesehen hat, ohne sich aber daran erinnern
zu können, weshalb das erlebte angenehme Bekanntheitsgefühl (fälschlicherweise) als positive Bewertung der
Marke interpretiert wird (vgl. z. B. Janiszewski & Warlop,
1993; Shapiro, 1999).
Wie wir nunmehr gesehen haben, wirkt Werbung keineswegs so plump, und ohne ein Verständnis für bestimmte
psychologische Mechanismen, Prozesse und Gesetzmäßigkeiten wird man kaum auch nur annäherungsweise vorhersagen können, wie Werbung wirkt. Tatsächlich wird
heutzutage kaum jemand noch behaupten, dass Werbung
unmittelbar und unvermittelt ihre intendierte Wirkung
erreicht und z. B. den Kauf eines Produktes veranlasst.
Vielmehr wird gemeinhin erwartet, dass es verschiedene
Variablen gibt, die zwischen der Präsentation einer Werbung und dem Kauf des beworbenen Produkts vermitteln.
Ein Modell, das bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts
bekannt wurde, macht solche Annahmen: das AIDA-Modell der Werbewirkung. Es unterscheidet vier Stufen der
Werbewirkung:
Attention (Aufmerksamkeit),
Interest (Interesse),
Desire (Drang) und
Action (Aktion).
---
Dies ist ein bis heute populäres Werbewirkungsmodell –
kaum ein Taschenbüchlein über „Marketingtricks“ oder
„Verkaufen leicht gemacht“ kommt ohne die Darstellung
dieses Modells aus. Aber warum ist es so populär?
Erstens ist das AIDA-Modell als Beschreibung des
Ablaufs von Werbewirkung zu verstehen. Danach kann
Werbung zunächst Aufmerksamkeit wecken, dann Interesse erzeugen, im Anschluss Motive („Drang“) ansprechen und schließlich zur Aktion (zum Kauf) bewegen.
Das Modell macht also eine Aussage über den Prozess der
Werbewirkung: Aufmerksamkeit ist Voraussetzung für
Interesse usw., es gibt also einen geordneten Ablauf der
Werbewirkung. Zweitens legt es Empfehlungen nahe, wie
Werbung gestaltet werden sollte: Um wirklich wirksam zu
sein, sollte Werbung die vier Ebenen ansprechen. Und drittens begründet es die Verwendung bestimmter Methoden
zur Ermittlung der Werbewirkung. So lassen sich z. B. die
Aufmerksamkeit anhand von Blickbewegungsprotokollen
oder die angesprochenen Motive durch lautes Denken und
projektive Testmethoden erfassen (▶ Kap. 10).
Seit nunmehr über 100 Jahren gibt es solche Werbewirkungsmodelle, die verschiedene Wirkungsebenen
postulieren, die (angeblich) nacheinander angesprochen
oder durchlaufen werden, um schließlich das Werbeziel zu
erreichen. Ein weiteres, klassisches Beispiel ist das 6-Stufen-Modell von Lavidge und Steiner (1961). Das Modell
geht davon aus, dass Werbewirkung aus insgesamt sechs
Stufen resultiert:
1. Aufmerksamkeit,
2. Wissen,
3. Sympathie,
4. Präferenz,
5. Überzeugung und
6. Kauf.
Hier wird ebenfalls davon ausgegangen, dass jede vorherige Stufe Bedingung dafür ist, die nachfolgende Stufe zu
erreichen.
In dem Modell von McGuire (1985) wird noch weiter
differenziert. Da es zudem nicht nur auf Werbung, sondern
auf viele andere Kontexte des Überzeugens durch Kommunikation anwendbar ist, wird bei seiner Benennung die
Formulierung „persuasive Kommunikation“ verwendet.
Bemerkenswert ist der Differenzierungsgrad des Modells
(▶ Übersicht). So wird deutlich, dass Werbewirkung nur
dann entstehen kann, wenn sich die Beworbenen überhaupt der Werbung aussetzen, also z. B. die entsprechende
Zeitschrift kaufen, den Fernsehkanal einschalten oder die
Webpage aufrufen. Entsprechend wird bei der Untersuchung von Werbewirkung nach Leserschaft, Einschaltquoten oder Ad-Click-Raten gefragt. Das Modell von McGuire
macht ebenso deutlich, dass nicht der (einmalige) Kauf das
Ziel von Werbung ist bzw. sein muss, sondern dass im Ide-
15
2.2 • Hierarchie-von-Effekten-Modelle
alfall eine Stabilisierung („Konsolidierung“) des Verhaltens
z. B. in Form von Markentreue oder möglichst häufiger
Verwendung des Produkts (Wansink & Ray, 1996) erfolgt.
Verschiedene Ebenen der Wirksamkeit einer
persuasiven Kommunikation (McGuire, 1985,
S. 259)
-------
Sich einer Kommunikation aussetzen
Aufmerksamkeit
Interesse
Den Inhalt verstehen
Verknüpfte Kognitionen (Gedanken) generieren
Relevante Fertigkeiten erwerben
Einer Position zustimmen (Einstellungsänderung)
Die Veränderung im Gedächtnis speichern
Das relevante Material im Gedächtnis speichern
Auf der Grundlage des erinnerten Materials entscheiden
Entsprechend der Entscheidung handeln
Konsolidierung des neuen (Verhaltens-)Musters
nach der Handlung
Mit dem in der ▶ Übersicht vorgestellten Modell nimmt
McGuire eine Erweiterung früherer Vorstellungen vor,
die noch ausdrücklicher von einem Informationsverarbeitungsparadigma ausgegangen sind. Dieses lässt sich
auf die einfache Formel eines Zweifaktorenmodells reduzieren, wonach eine Werbebotschaft zunächst rezipiert
und dann gegebenenfalls akzeptiert wird. Der Erfolg eines
Versuchs, eine Einstellung zu ändern, hängt also davon ab,
ob die Beworbenen die Botschaft verstehen und diese dann
akzeptieren. Mit diesem Zweifaktorenmodell lässt sich
insbesondere der kurvilineare Zusammenhang zwischen
Selbstvertrauen und Einstellungsänderung erklären: Personen mit geringem Selbstvertrauen haben Schwierigkeiten
mit dem, was ihnen gesagt wird, während Personen mit
hohem Selbstvertrauen sich gegen Beeinflussungsversuche
wehren, weil sie z. B. allzu sehr von ihrer eigenen Meinung
überzeugt sind (vgl. Rhodes & Wood, 1992).
Allerdings lässt sich die Annahme kritisieren, dass die
Rezeption notwendige Voraussetzung für die Akzeptanz
ist. Nach dem Modell der kognitiven Reaktionen (Greenwald, 1989) wird die Wirkung persuasiver Kommunikation durch die kognitiven Reaktionen der beworbenen
Personen vermittelt, d. h. je nach deren Qualität fällt die
resultierende Einstellung unterschiedlich aus. Oder anders
formuliert: Einstellungsänderung ist weniger das Resultat
des Lernens einer Botschaft, sondern der Gedanken, die
durch die Botschaft hervorgerufen werden (Haugtvedt &
Priester, 1997). Zu einer Kritik an dem Zweifaktorenmodell wird dieser Ansatz nun wie folgt: Wenn es zutrifft, dass
die kognitiven Reaktionen als vermittelnde Variable wirken, dann müsste sich zeigen lassen, dass deren Qualität
selbst dann zu einer stärkeren Einstellungsänderung führt,
wenn sie aus einem geringen Verständnis der Werbebotschaft resultieren. Ein kritischer Test hierzu besteht nun
in folgender Vorgehensweise: Wenn erst das Verständnis
einer bestimmten Werbebotschaft dazu führt, dass Gegenargumente generiert werden, dann müsste ein begrenztes
Verständnis solch einer Werbebotschaft für den Einstellungsänderungsversuch förderlich sein. Mit der Überprüfung dieser Annahme beschäftigt sich die Forschung zur
Wirkung von Ablenkungen bzw. Störungen. Petty und
Brock (1981) nennen allerdings folgende fünf Bedingungen für die Unterstützung einer persuasiven Kommunikation durch Störungen:
1. Die persuasive Kommunikation widerspricht der ursprünglichen Einstellung.
2. Der Rezipient ist in das Thema involviert.
3. Die persuasive Kommunikation provoziert Gegenargumente.
4. Die primäre Aufmerksamkeit ist auf die Nachricht
(und nicht auf die Störung) gerichtet.
5. Die Quelle besitzt hohe Glaubwürdigkeit.
In diesem Abschnitt wurde ausgeführt, dass es allgemein
gültige Stufen der Werbewirkung gibt, die relevant sind,
unabhängig davon, um welche Werbegegenstände, Kontexte oder Rezipienten es sich handelt. In den nächsten
Abschnitten wird genau dies infrage gestellt.
2.2
Hierarchie-von-Effekten-Modelle
Im vorherigen Abschnitt wurden Modelle vorgestellt, die
eine klare Ordnung bzw. Abfolge der Werbewirkung unterstellen, also eine „Hierarchie von Effekten“. Insbesondere
eine Unterscheidung von Ray (1973) ist bekannt geworden.
Er bezeichnet die traditionelle Kognition-Affekt-Konation-Sequenz als Lernhierarchie und stellt sie einer anderen
Sequenz gegenüber, der Kognition-Konation-Affekt-Sequenz, die er als Geringes-Involvement-Hierarchie bezeichnet. („Konativ“ ist in etwa mit „verhaltensbezogen“
übersetzbar.) Schließlich kann noch eine dritte Sequenz
betrachtet werden, die Dissonanz-Attributions-Hierarchie.
Diesen drei ▶ Hierarchie-von-Effekten-Modellen liegt die
Überlegung zugrunde, dass es kognitive, affektive und konative Komponenten in Werbewirkungsmodellen gibt. Zu
den kognitiven Komponenten zählen Aufmerksamkeit,
Bewusstsein, Verstehen und Lernen, zu den affektiven
Komponenten Interesse, Bewertung, Einstellung, Gefühl
und Überzeugung und zu den konativen Komponenten
die Verhaltensabsicht, das Verhalten und die Handlung.
Traditionelle Werbewirkungsmodelle wie z. B. das im vor-
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Kapitel 2 • Werbewirkungsmodelle
.. Tab. 2.1 Die drei Hierarchie-von-Effekten-Modelle. (In Anlehnung an Ray, 1973)
Lernhierarchie („learn-feel-do“)
Dissonanz-Attributions-Hierarchie
(„do-feel-learn“)
Geringes Involvement-Hierarchie
(„learn-do-feel“)
Wenn
– Rezipienten involviert sind und
– Alternativen klar unterscheidbar sind.
Wenn
– Rezipienten involviert sind und
– Alternativen kaum unterscheidbar sind.
Wenn
– Rezipienten wenig involviert sind und
– Alternativen kaum unterscheidbar sind.
Lernen (Kognition)
Einstellungsänderung (Affekt)Verhaltens­
änderung (Konation)
Verhaltens­änderung
Einstellungsänderung
Lernen
Lernen
Verhaltens­änderung
Einstellungsänderung
herigen Abschnitt vorgestellte AIDA-Modell gehen von
einer Lernhierarchie aus (vgl. . Tab. 2.1).
Nach der Lernhierarchie beginnen die Rezipienten von
Werbung damit, etwas über ein Produkt zu lernen, ändern
dann ggf. ihre Einstellung und schließlich ihr Verhalten. Voraussetzung für die Gültigkeit dieses Modells ist allerdings,
dass die Rezipienten involviert sind und das beworbene Produkt von eventuellen Alternativen klar unterscheidbar ist.
Wenn die Produktalternativen kaum unterscheidbar,
die Rezipienten aber weiterhin involviert sind, dann sind
Einstellungsänderungen und Lerneffekte eine Folge von
Verhaltensänderungen. Dieser Prozess wird als „Dissonanz-Attributions-Hierarchie“ bezeichnet. Hierbei müssen
die Rezipienten ihre Entscheidung für ein Produkt vor sich
und anderen rechtfertigen. Da das gewählte Produkt – wie
alle anderen Produkte – nicht nur positive, sondern auch
negative Merkmale hat, die einem erst nach Erwerb des Produkts richtig deutlich werden, entsteht eine Dissonanz, ein
innerer Spannungszustand. Dieser kann dadurch reduziert
werden, dass die gewählte Alternative positiv aufgewertet
wird. Das gezeigte Verhalten wird also so erklärt („attribuiert“), dass zugleich die Dissonanz reduziert wird. Beispiele
für solche Prozesse sind in manchen Spots für Kreditinstitute thematisiert. Geld anzulegen und zu vermehren ist ein
involvierendes Thema; ob die beworbene Dienstleistung das
auch wirklich einlöst, was sie (vermeintlich) versprochen
hat, stellt sich aber erst bei der Inanspruchnahme heraus.
Da dies aber erst dann möglich ist, wenn man sich bereits
entschieden hat, tritt oft eine Neigung zur Dissonanzreduktion auf, etwa in dem Sinne, sich selbst einzureden, dass
man schon eine gute Entscheidung getroffen haben wird.
Die Geringes-Involvement-Hierarchie ist dann relevant, wenn die Rezipienten wenige Unterschiede zwischen
den beworbenen Produktalternativen zu erkennen vermögen und zudem auch wenig involviert sind. Immerhin aber
werden sie durch die Werbung erreicht, was zu Lerneffekten (z. B. Markenbekanntheit) führt. Diese Effekte führen
wiederum zu Verhaltensänderungen (z. B. Probekäufen)
und schließlich zu Einstellungsänderungen auf der Grundlage der unmittelbaren Erfahrungen mit dem Produkt. Als
Beispiele können hier Spots für Schokoriegel angeführt
werden, von denen einige explizit zum Ausprobieren auf-
fordern. Im Rahmen der Geringes-Involvement-Hierarchie
hat Werbung evtl. zusätzlich die Funktion, das zunächst
probeweise gezeigte Verhalten zu verstärken. Ansonsten
beschränkt sie sich hauptsächlich darauf, die Marke bekannt zu machen und zum Ausprobieren aufzufordern
(Vakratsas & Ambler, 1999).
Welche Wirkung von Werbung ausgeht, hängt (also)
insbesondere vom ▶ Involvement der Rezipienten ab. Unter Involvement ist ein individueller, interner Zustand der
Erregung oder Aktiviertheit eines Menschen zu verstehen,
wobei dieser Zustand unterschiedlich intensiv sein kann,
unterschiedlich lange andauern kann und i. Allg. auf bestimmte Objekte oder Ereignisse gerichtet ist (Andrews,
Durvasula & Akhter, 1990). Man kann also in etwas unterschiedlich intensiv und unterschiedlich lange involviert sein.
Geringes Involvement während der Rezeption von Werbung
bedeutet, dass sich der typische Zuschauer wenig oder überhaupt nicht mit ihr auseinandersetzt. Und dennoch: Unter
anderem aufgrund massiver Wiederholung ist es ihr möglich, die kognitive Struktur der Zuschauer zu beeinflussen
und eine Vorstellung über das beworbene Produkt zu vermitteln (vgl. Smith & Swinyard, 1982). Diese Änderungen
finden allerdings statt, ohne dass sich der Einzelne dessen
bewusst ist und ohne dass sich eine elaborierte Einstellung
bildet oder ändert. Beispielsweise konnten Hawkins und
Hoch (1992) zeigen, dass (Werbe-)Aussagen dann als glaubhafter eingeschätzt wurden, wenn sie wiederholt präsentiert
worden waren, wobei dieser Effekt stärker auftrat, wenn die
Rezipienten wenig involviert waren.
Ergibt sich später die Notwendigkeit oder Gelegenheit,
ein Produkt zu kaufen, dann können Konsumenten die solchermaßen intensiv beworbene Marke – auf der Grundlage
der neuen kognitiven Struktur – auswählen, ohne bereits
eine differenzierte Einstellung zur Marke zu haben. Gebildet
wird eine Einstellung erst nach dem Kauf und möglicherweise nachdem Erfahrungen mit dem Produkt gemacht worden sind. Es lässt sich also vereinfacht sagen, dass Menschen
nicht deshalb Produkte kaufen, weil sie diese mögen, sondern dass sie diese mögen, weil sie diese gekauft (und damit
gute Erfahrungen gemacht) haben. Diese Annahmen wurden von Smith und Swinyard (1982) in ihrem integrierten
Werbewirkungsmodell zusammengefasst (. Abb. 2.1).
2
17
2.2 • Hierarchie-von-Effekten-Modelle
Summarische Beziehungen
Verhaltensprobe
Kognition
Affekt
Commitment
Affekt
Konation
Affekte
von geringer
Bedeutung
Verhaltensprobe
Affekte
von größerer
Bedeutung
Commitment
Detaillierte Abfolge
Quelle der
Information
Akzeptanz der
lnformation
Kognition
Werbung
gering
Überzeugungen
von geringer
Bedeutung
direkte
Erfahrung
hoch
Überzeugungen
von größerer
Bedeutung
+
.. Abb. 2.1 Das integrierte Informations-Reaktions-Modell der Werbewirkung (gestrichelte Pfeile stehen für schwache, durchgezogene Pfeile
für stärkere Wirkungen). (Nach Smith & Swinyard, 1982. Republished with permission of American Marketing Association, from Journal of Marketing, © 1982; permission conveyed through Copyright Clearance Center, Inc.)
Die kognitive Komponente des Modells von Smith
und Swinyard (1982) besteht aus zwei Teilen, der Überzeugungsstärke und der Akzeptanz der Nachricht. Die
Überzeugungsstärke hängt davon ab, inwieweit ein Rezipient eine Information über das Produkt akzeptiert. Wenn
die dargebotene Information akzeptiert wird, resultieren
stärkere Überzeugungen. In der Regel wird man allerdings
finden, dass Werbung als Informationsquelle eine geringe
Akzeptanz erfährt und zu lediglich schwachen Überzeugungen führt, da die Quelle der Information als wenig
glaubwürdig eingeschätzt wird. (Positive) Affekte bzw.
Einstellungen werden im Falle schwacher Überzeugungen
zwar entstehen, i. d. R. aber nur gering ausgeprägt sein, so
dass sie oftmals gar nicht festgestellt bzw. gemessen werden
können. Im Vergleich hierzu bewirken direkte Erfahrungen (z. B. das Ausprobieren des Produkts) das Entstehen
sehr viel stärkerer Überzeugungen. Schließlich werden auf
der konativen Ebene, also der Ebene des Verhaltens, zwei
Varianten von Verhaltensweisen unterschieden. Zum einen
kann der Kauf eines Produkts Ausdruck von Commitment
(einer „Bindung“) gegenüber dem Produkt sein. Er kann
dann wiederholt erfolgen und Resultat von Markentreue
werden. Zum anderen kann der Kauf eines Produkts v. a.
die Funktion haben, mehr über das Produkt zu erfahren.
Der Erwerb eines Produkts ist also nicht immer Ergebnis
einer Einstellung, sondern kann auch eine Methode sein,
um durch das Ausprobieren Informationen aus erster
Hand zu erhalten. Diese direkten Erfahrungen mit dem
Produkt werden als vergleichsweise glaubwürdig empfunden und ergänzen bzw. ersetzen die Informationen aus der
Werbung. Das „Ausprobieren“ kann in verschiedenen For-
men stattfinden, im Falle niedrigpreisiger Produkte kann
dies ein Probekauf sein, in anderen Fällen aber auch der
Besuch von Ausstellungsräumen (z. B. Möbelhäuser), Probefahrten (z. B. Autos), Probeabonnements (z. B. Zeitungen) usw. (▶ Info-Box)
Info-Box
| |
Ausprobieren als alternative Informationsquelle?
Das Modell von Smith und Swinyard (vgl. auch Smith
& Swinyard, 1983) gibt einen Hinweis darauf, welche
Wirkung von Werbung erwartet werden kann: Beispielsweise können wenig involvierende Produkte von
Werbung profitieren, die dazu beiträgt, das Produkt
auszuprobieren – indem, wenn auch schwache, so
doch zumindest günstige Überzeugungen bewirkt
werden. Solche Kampagnen müssen aber sicherstellen,
dass das Ausprobieren auch wirklich möglich ist, dass
also die Werbemaßnahme z. B. mit kostenlosen Proben,
Coupons, Preisaktionen oder Verkaufsaktionen vor Ort
ergänzt wird. Darauffolgende Werbung kann dann die
Funktion haben, die positiven Aspekte des Probekaufs
zu verstärken (z. B. „zur Entscheidung gratulieren“).
Nach den dargestellten Überlegungen scheinen
Ausprobieren und Werbung zwei Informationsquellen
mit deutlich unterscheidbarem Stellenwert zu sein, die
voneinander unabhängige Wirkungen haben. Ganz so
einfach lässt sich diese Annahme aber nicht aufrechterhalten (Kempf & Smith, 1998). Erstens werden die
unmittelbaren Erfahrungen mit dem Ausprobieren
Kapitel 2 • Werbewirkungsmodelle
18
1
hohes
Involvement
2
3
Werbungseinflüsse:
Argumente
Verarbeitung von
Produkteigenschaften
(Pro- und
Kontraargumente)
Sympathie für
die Vorführung
affektive
Informationsverarbeitung
4
Darbietungshäufigkeit
Bekanntheit der
Marke
Werbungseinflüsse:
Argumente
Verarbeitung von
Produkteigenschaften
(Pro- und
Kontraargumente)
Sympathie für
die Vorführung
affektive
Informationsverarbeitung
Motivation,
Fähigkeit und
Gelegenheit auf
Behauptungen
über Produktmerkmale zu
reagieren
6
7
8
9
10
14
geringes
Involvement
17
18
21
22
Darbietungshäufigkeit
Bekanntheit der
Marke
von der zuvor rezipierten Werbung mit beeinflusst,
wie dies bereits Olson und Dover (1979) am Beispiel
des Geschmacksurteils von Kaffee zeigen konnten.
Zweitens ist das Ausprobieren in seinen eigenständigen Auswirkungen davon abhängig, ob sich die Person
überhaupt kompetent für ein Urteil fühlt, ob der „Test“
überhaupt repräsentativ ist und ob er dabei hilft, die
Eigenschaften des Produkts richtig einzuschätzen.
16
20
Absicht/Handlung
.. Abb. 2.2 Das Alternative-Wege-Modell der Wirkung von Werbung (dicke Pfeile stehen für starke, dünne Pfeile für schwache Effekte). (Nach
Batra & Ray, 1985. Republished with permission of Taylor and Francis Group LLC Books; permission conveyed through Copyright Clearance
Center, Inc.)
15
19
argumentsensitive
Einstellungen
vorführungssensitive
Einstellungen
11
13
Absicht/Handlung
vorführungssensitive
Einstellungen
5
12
argumentsensitive
Einstellungen
2.3
Zwei-Prozess-Modelle
Im Alternative-Wege-Modell von Batra und Ray (1985)
wird auf Überlegungen zu den Hierarchie-von-Effekten-Modellen zurückgegriffen, und die Annahmen werden
weiter ausgeführt: In Abhängigkeit vom Involvementniveau der Rezipienten haben die unterschiedlichen Pfade
der Wirkung von Werbung jeweils variierendes Gewicht
(. Abb. 2.2). Batra und Ray nennen ihr Modell „Prozentsatz-Beitrags-Modell“, um deutlich zu machen, dass die
Pfade bzw. Wege jeweils unterschiedlich bedeutsam sind.
Unter Involvement verstehen Batra und Ray, dass Rezipienten Motivation, Fähigkeit und Gelegenheit haben,
sich mit Argumenten über die Qualität des beworbenen
Produkts auseinanderzusetzen. Ist das Involvement hoch,
dann hängt die Wirkung von Werbung v. a. von der Qualität der Argumente ab, wobei sich zunächst Effekte auf entsprechende Einstellungen und dann auf Kaufabsichten und
Kaufhandlungen ergeben. Wenn das Involvement gering
ist, spielt die Qualität der Argumente eine geringere Rolle;
wichtiger sind die Sympathie für die Vorführung (also ob
die Gestaltung der Werbung beim Rezipienten Gefallen
findet) sowie die Häufigkeit der Darbietung (also die Zahl
an Wiederholungen). Diese beiden Faktoren bewirken zum
einen eine positive Einstellung zur Werbung (vorführungssensitive Einstellungen) und zum anderen einen indirekten
und einen direkten Effekt auf Kaufabsicht und Kaufhandlung. Die Einstellung zum Produkt spielt eine nachgeord-
19
2.3 • Zwei-Prozess-Modelle
nete Rolle: Sie ändert sich, nachdem das Verhalten gezeigt
wurde.
Das Alternative-Wege-Modell von Batra und Ray erlaubt interessante Schlussfolgerungen. Wenn Rezipienten
hoch involviert sind, spielen v. a. die Werbeargumente eine
Rolle, die positiv oder negativ beurteilt werden. Aufmerksamkeitslenkende Mittel wie etwa Sexappeal könnten hier
die Funktion haben, Rezipienten dazu zu bringen, sich der
betreffenden Werbung zu widmen. Aber diese werden –
da motiviert, breiter zu suchen – auch andere Informationsquellen in Betracht ziehen. Hat die Werbung z. B. mit
Sexappeal eine überwältigende Aufmerksamkeitswirkung,
dann ist denkbar, dass die Rezipienten von einer Auseinandersetzung mit den Argumenten abgelenkt werden: Eine
ausführliche Auseinandersetzung wird erschwert (Moser,
1997, 2002; ▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Sexappeal in der Werbung: Wirksam in Situationen von geringem Involvement?
Wenn das Involvement vieler Rezipienten beim Betrachten von Werbung oft gering ist, welche Auswirkungen hat dann der Einsatz von erotischen Motiven
in der Werbung? Wenn wir annehmen, dass Sexappeal
eine Aufmerksamkeitswirkung hat, dann beachten die
Rezipienten die Werbung öfter bzw. sie beachten sie
mit größerer Wahrscheinlichkeit als andere Werbungen. Des Weiteren ist gemäß dem Alternative-Wege-Modell (Batra & Ray, 1985) weniger bedeutsam, ob
sich die Rezipienten mit den Argumenten der Werbung
auseinandersetzen, sondern ob sie ihnen gefällt.
Spricht dies dafür, dass die Wirkung von Sexappeal im
Falle geringen Involvements also durchaus positiv ist?
Im Falle geringen Involvements ist darauf zu achten,
dass nicht nur die Illustration, sondern zumindest auch
der Markenname beachtet wird und dass natürlich
die Einstellung zur Werbung nicht negativ ist – dass
die Werbung tatsächlich gefällt. Und zudem stellen
vor allem solche Werbesituationen eine interessante
Konstellation dar, in denen unmittelbare Reaktionen
auf den Werbeimpuls möglich und erwünscht sind (z. B.
Werbespots mit der Aufforderung „Rufen Sie jetzt an!“).
Neben dem Alternative-Wege-Modell (Batra & Ray,
1985) betont auch das Verarbeitungs-Wahrscheinlichkeits-Modell (Petty & Cacioppo, 1986) die Bedeutung
von Motivation und Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten. Man kann also durchaus sagen, dass auch hier
das Involvementniveau darüber entscheidet, wie persuasive Kommunikation und damit auch Werbung wirkt
(. Abb. 2.3).
Auch in diesem Modell spielt die Qualität der Argumente dann eine Rolle, wenn das Involvement der Rezipienten hoch ist. Die entsprechenden Einstellungsänderungen haben zudem die Eigenschaft, über längere Zeit
hinweg stabil zu bleiben, gegenüber Kritik resistent zu
sein und einen deutlichen Zusammenhang zum Verhalten
aufzuweisen. Dies unterscheidet den „zentralen“ Weg vom
„peripheren“ Weg. Letzterer ist von Bedeutung, wenn das
Involvement gering ist. In diesem Fall hängt die Wirkung
der Werbung davon ab, ob es einen oder mehrere sog. periphere Hinweisreize gibt, auf die Rezipienten positiv reagieren. Hierzu zählen z. B. die Zahl der Wiederholungen,
die Zahl der Argumente, die Humorigkeit der Werbung,
die Attraktivität der dargestellten Modelle oder der Expertenstatus von Quellen. Es sind solche Werbeinhalte oder
Stilmittel, die „das Denken erleichtern“ (vgl. ▶ Kap. 4). Allerdings muss die evtl. resultierende Einstellungsänderung
als peripher bezeichnet werden, sie hält weniger lange an,
ist leicht beeinflussbar und weniger fähig, entsprechendes
Verhalten vorherzusagen.
Eine Kernannahme des Verarbeitungs-Wahrscheinlichkeits-Modells besteht darin, dass Einstellungen mehr
oder weniger stark sein können. Nach Perloff (2003) tragen
folgende Merkmale dazu bei, eine Einstellung als stark bezeichnen zu können:
Bedeutung (es findet eine intensive Auseinandersetzung mit dem Einstellungsgegenstand statt)
Ich-Involviertheit (die Einstellung ist mit zentralen
persönlichen Werthaltungen oder dem Selbst verknüpft)
Extremität (die individuelle Einstellung weicht erheblich von einem neutralen bzw. moderaten Standpunkt
ab)
Gewissheit (wir sind davon überzeugt, dass unsere
Einstellung zutrifft)
Zugänglichkeit (die Einstellung kommt uns schnell in
den Sinn)
Wissen (wir sind über das Thema gut informiert)
Hierarchische Organisation (die Einstellung ist in
sich konsistent und in eine elaborierte Einstellungsstruktur eingebettet)
--
Ähnliche Aussagen wie das Verarbeitungs-Wahrscheinlichkeits-Modell macht auch das heuristisch-systematische
Modell der Informationsverarbeitung und Einstellungsänderung (Chaiken, 1987). Systematische Informationsverarbeitung ist analytisch und an Verständigung orientiert, wobei der Rezipient versucht, alle Informationen zu
erhalten und solche zu prüfen, die zugänglich sind und
für das zu bildende Urteil eine Bedeutung haben könnten. Angewandt auf den Bereich der Einstellungsbildung
und Einstellungsänderung bedeutet dies, dass sich die Rezipienten mit den Argumenten auseinandergesetzt haben
2
20
Kapitel 2 • Werbewirkungsmodelle
1
2
3
4
Persuasive Kommunikation
Motivation, Information zu verarbeiten
(persönliche Relevanz; Bedürfnis nach
Kognition; persönliche Verantwortung etc.)
Fähigkeit, Information zu verarbeiten
(Störung; Wiederholung; Vorwissen;
Verständlichkeit der Nachricht etc.)
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
ja
Gibt es einen peripheren Hinweisreiz
(positiven oder negativen Affekt, attraktive
Expertenquelle, Zahl der Argumente etc.)?
nein
nein
ja
Art der kognitiven Verarbeitung
(anfängliche Einstellung, Qualität der Argumente etc.)
6
8
nein
ja
5
7
Periphere Einstellungsänderung:
Einstellung ist relativ temporär, beeinflussbar
und kann Verhalten nicht vorhersagen
Positive Gedanken
dominieren
Negative Gedanken
dominieren
Keines von beiden oder
neutrale Gedanken
dominieren
Veränderung der kognitiven Struktur:
Entstehen neue Kognitionen und werden diese
im Gedächtnis gespeichert? Werden andere
Reaktionsmöglichkeiten bewusst?
ja (pos.)
Zentrale positive
Einstellungsänderung
Behalten der oder
Rückkehr zur
anfänglichen Einstellung
nein
ja (neg.)
Zentrale negative
Einstellungsänderung
Einstellung ist relativ überdauernd, resistent
und kann Verhalten vorhersagen
.. Abb. 2.3 Das Verarbeitungs-Wahrscheinlichkeits-Modell der Persuasion. (Nach Petty & Cacioppo, 1986)
und dass ihre letztendliche Einstellung darauf basiert, die
entsprechenden Informationen verstanden und bewertet
zu haben. Heuristische Informationsverarbeitung ist demgegenüber eine begrenztere Art, mit Informationen umzugehen, und sie bedeutet wenig kognitive Anstrengung. Es
wird v. a. diejenige Information fokussiert, die es erlaubt,
Heuristiken oder einfache Entscheidungsregeln anzuwenden, um Urteile schnell und effizient fällen zu können.
Einstellungsbezogene Urteile werden dann von solchen
Heuristiken beeinflusst wie „die Mehrheit hat recht“. Maheswaran und Chaiken (1991) fanden, dass selbst unter der
Bedingung einer hohen Motivation, Informationen systematisch zu verarbeiten, heuristische Hinweisreize einen
Einfluss haben, dass sich also heuristische und systematische Informationsverarbeitung ergänzen können. In dieser
Hinsicht unterscheidet sich das heuristisch-systematische
Modell vom Verarbeitungs-Wahrscheinlichkeits-Modell
von Petty und Cacioppo (1986). Weitere Ausführungen
zu den eher weniger auffälligen Unterschieden zwischen
dem Verarbeitungs-Wahrscheinlichkeits-Modell und dem
heuristisch-systematischen-Modell finden sich bei Johnson, Maio und Smith-McLallen (2005).
▶ Zwei-Prozess-Modelle haben in den letzten zwei
Jahrzehnten große Aufmerksamkeit erfahren (Chaiken
& Trope, 1999), sie sind aber nicht ohne Kritik geblieben.
Insbesondere nehmen alle drei vorgestellten Modelle an,
dass Kontextmerkmale wie z. B. die Glaubwürdigkeit der
Quelle oder Humor entweder keinen oder einen positiven
Effekt haben. In letzterem Fall kann man auch von einem
Assimilationseffekt sprechen. Dabei wird übersehen, dass
es Formen der Auseinandersetzung mit persuasiver Kommunikation gibt, die zu Kontrasteffekten führen können.
Unter bestimmten Bedingungen zeigt sich nämlich, dass
anfängliche Urteile über eine Werbebotschaft von Rezipienten um vermutete Kontexteffekte korrigiert werden,
wobei diese Korrekturen so stark ausfallen können, dass
die Urteile negativer ausfallen, als sie es tun würden, wenn
es die Kontextvariablen nicht gegeben hätte. Diese Bedingungen lauten, dass
a. es den Rezipienten bewusst ist, dass Kontextvariablen
ihr Urteil beeinflusst haben könnten,
b. die Rezipienten eine Vorstellung davon haben, wie genau der Kontext sie beeinflusst und
21
2.3 • Zwei-Prozess-Modelle
c. die Rezipienten die Möglichkeit haben und gewillt
sind, einen entsprechenden Korrekturvorgang vorzunehmen (vgl. u. a. Meyers-Levy & Malaviya, 1999).
Zwei-Prozess-Modelle scheinen v. a. eine Richtigkeitsmotivation zu unterstellen, dass es Rezipienten also darum
gehe, zu zutreffenden Schlussfolgerungen zu gelangen.
Tatsächlich spielen aber von Fall zu Fall z. B. eine Verteidigungsmotivation („Recht behalten wollen“) und eine
Eindrucksbildungsmotivation („Einen guten Eindruck
machen wollen“) eine Rolle. Wenn Werbebotschaften beabsichtigen, Einstellungen zu verstärken oder zu verändern,
dann ist auf diese alternativen oder ergänzenden Funktionen von Einstellungen Rücksicht zu nehmen (▶ Info-Box).
Funktionen
Einstellungen|
| Info-Box von
Funktionen von Einstellungen
Einstellungen können verschiedene Funktionen haben
(Perloff, 2003, S. 74–75), was am Beispiel „Einstellung
zur Nutzung von Solarenergie“ erläutert werden soll.
1. Wissen: Einstellungen helfen dabei, Dinge zu erklären und sie persönlich verständlich zu machen.
(„Solarenergie ist ein hervorragendes Beispiel für
nachhaltiges Wirtschaften.“)
2. Nutzen: Einstellungen sind dazu geeignet, Belohnungen zu erhalten und Bestrafungen zu vermeiden. („Solarenergie ist die Zukunft, weil sie uns alle
wirtschaftlich und politisch unabhängig macht
und wir nicht mehr wirtschaftlich erpressbar sein
werden.“)
3. Soziale Anpassung: Einstellungen können dabei
helfen, bei anderen Akzeptanz zu finden. („Alle
meine Freunde sind gegen Kernenergie, und Solarenergie ist die Alternative für uns.“)
4. Soziale Identität: Einstellungen können zum
Ausdruck bringen, wer man ist und wer man gerne
sein möchte. („Ich gehöre zu den Menschen, die
gerne auf überflüssigen Konsum verzichten. Wer
Solarenergie nutzt, lebt einfach bewusster.“)
5. Wertexpression: Einstellungen können zum
Ausdruck bringen, dass man eine ganz bestimmte
Werthaltung zu bestimmten Dingen hat. („Verantwortungsbewusste Menschen nutzen regenerative
Energien – selbst wenn sie derzeit noch etwas
kostspieliger sind als andere Energiequellen.“)
6. Ich-Verteidigung: Einstellungen können dazu dienen, eine Verteidigungsposition gegenüber unangenehmen Gedanken oder Gefühlen einzunehmen.
(„Ich möchte mir von meinen Enkelkindern einmal
nicht vorwerfen lassen, sehenden Auges zur Zerstörung der Erdatmosphäre beigetragen zu haben.“)
An der Idee zweier prinzipiell unterschiedlicher Prozesse
wurde neuerdings Kritik geübt. So wurde ein „Unimodel“
vorgeschlagen (Erb & Kruglanski, 2005). Danach sind es
stets Evidenzen, die zu Einstellungsänderungen führen.
Sowohl Argumente als auch periphere bzw. heuristische
Hinweisreize sind Evidenzen, Argumente sind allenfalls
komplexer, weshalb für ihre Verarbeitung mehr Motivation und Fähigkeit notwendig ist; gleichwohl werden beide
Arten von Evidenzen in Abhängigkeit von ihrer subjektiven Evidenz auf vergleichbare Art verarbeitet – qualitativ
unterschiedliche Prozesse der Persuasion müssten nicht
vorausgesetzt werden (vgl. auch Kruglanski & Gigerenzer,
2011). Ein weiteres neues Persuasionsmodell, das Kognition-in-Persuasion-Modell, geht ebenfalls von einem einheitlichen Prozess der Wirkung persuasiver Botschaften
aus (Albarrazín, 2002). Die Annahme, Persuasion erfolge
evidenzbasiert, bedeutet in dieser allgemeinen Form, dass
im Prozess der Einstellungsbildung ganz unterschiedliche
„Informationen“ herangezogen werden. Hierzu zählen
neben aktuellen Werbeargumenten auch Wissensbestandteile aus dem Gedächtnis, Emotionen („Affekt als Information“) und zurückliegendes Verhalten. Während das
Verarbeitungs-Wahrscheinlichkeits-Modell davon ausgeht,
dass Motivation und Fähigkeit der Rezipienten nur für die
Verarbeitung von Argumenten eine Rolle spielt, geht Albarrazín (2002) davon aus, dass man für die Verarbeitung
ganz verschiedener Evidenzen Motivation und Fähigkeit
benötigt. Wenn Motivation und Fähigkeit zur Verarbeitung
von Evidenzen abnehmen, reduziert dies zwar zuerst die
Wirkung von Argumenten, letztlich aber dann auch die
von peripheren Hinweisreizen und Affekten. Insgesamt
spricht demnach auch weiterhin sehr viel dafür, dass mit
abnehmender Fähigkeit und Motivation der Einfluss der
Qualität von Argumenten schwächer wird. Demgegenüber
ist die Wirkung weniger relevanter Informationen – und
der Begriff der Information ist sehr weit gefasst – eher kurvilinear, er ist also im Falle hoher Motivation und Fähigkeit
eher schwach, nimmt dann zu und nimmt schließlich bei
geringer Motivation und Fähigkeit wieder ab.
Zum Abschluss dieses Abschnitts sei angemerkt, dass
das Konzept der „Evidenz“ sehr flexibel verwendet werden kann. Die „erlebnisorientierte Verarbeitungsstrategie“ beschreibt, dass Einstellungen auch Resultat der
Empfindungen im Akt der Verarbeitung der Botschaften
sind (Strack, 1992; Meyers-Levy & Malaviya, 1999). Damit ist beispielsweise gemeint, dass bereits das Gefühl,
eine Werbebotschaft gut verstanden zu haben, zu einer
Einstellungsänderung führen kann. Werbung kann dann
dazu beitragen, Informationen über eine Marke wiederzuerkennen und zu verarbeiten, eine Einfachheit, die angenehm empfunden wird (Lee & Labroo, 2004). Im Sinne des
„Unimodel“ können solche Empfindungen als „Evidenzen“
interpretiert werden.
2
Kapitel 2 • Werbewirkungsmodelle
22
1
2
Affekt-Transfer-Hypothese
Kognitionen zur Werbung
Einstellung zur Werbung
Kognitionen zur Marke
Einstellung zur Marke
Kaufabsicht
3
4
Duale Vermittlungshypothese
Kognitionen zur Werbung
Einstellung zur Werbung
5
Kognitionen zur Marke
Einstellung zur Marke
6
Reziproke Vermittlungshypothese
7
Kognitionen zur Werbung
Einstellung zur Werbung
Kognitionen zur Marke
Einstellung zur Marke
Kaufabsicht
Kaufabsicht
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
Hypothese unabhängiger Einflüsse
Kognitionen zur Werbung
Einstellung zur Werbung
Kognitionen zur Marke
Einstellung zur Marke
Kaufabsicht
.. Abb. 2.4 Vier Modelle der Einstellung zur Werbung. (Nach Brown & Stayman, 1992, © 1992 by JOURNAL OF CONSUMER RESEARCH, Inc. •
Vol. 19 • June 1992. All rights reserved. Published by the University of Chicago Press.)
2.4
Das duale Vermittlungsmodell
Lange Zeit fehlte ein geeigneter theoretischer Rahmen,
um die Rolle der Einstellung zur Werbung angemessen
zu untersuchen, und so wurden die Ergebnisse der entsprechenden Forschung oft als recht wenig aussagekräftige
„Akzeptanzbefunde“ abgetan, in ihrer Validität grundsätzlich bezweifelt oder auf der Ebene der prinzipiellen Werbekritik abgehandelt. Erst in den 1980er Jahren hat sich diese
Sichtweise geändert, wobei neben der bereits erläuterten
Entwicklung der Forschung über Werbewirkung und Werbewirkungsmodelle der geradezu explodierende Bereich
der emotionalisierenden Werbung ein sehr wichtiger Auslöser war (▶ Kap. 6).
Über welche Wege nun genau die Einstellung zur
Werbung ihre Wirkung entfaltet, war und ist kontrovers.
Brown und Stayman (1992) unterschieden vier verschiedene Modelle zur Wirkung der Einstellung zur Werbung
(. Abb. 2.4).
Das duale Vermittlungsmodell bzw. die duale Vermittlungshypothese stimmt bisher am besten mit den vorliegenden Befunden überein. Damit bewirkt eine positive
Einstellung zur Werbung sowohl positive Gedanken (Kognitionen) als auch eine positive Einstellung zur beworbenen Marke. Die Einstellung zur Marke wird aber nicht
nur von der Einstellung zur Werbung, sondern auch von
den Kognitionen zur Marke beeinflusst, und sie mündet
schließlich in eine verstärkte Kaufabsicht. Wie Brown und
Stayman (1992) zusammenfassend berichten, hängt die
Einstellung zur Werbung u. a. vergleichsweise stark mit
der Einstellung zur beworbenen Marke zusammen, aber
auch mit positiven Gefühlen sowie der Zahl der Wiederholungen der betreffenden Werbung. Einschränkend
muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die
vorherige Einstellung zur Marke auch einen Einfluss auf
die Einstellung zur Werbung hat, ein Faktor, der in den
von Brown und Stayman verglichenen Modellen nicht
explizit berücksichtigt wurde. Zudem kritisieren Fishbein
und Middlestadt (1995, 1997), dass der direkte Zusammenhang zwischen der Einstellung zur Werbung und der
Einstellung zur Marke auf eine wenig repräsentative Auswahl der Studien zurückzuführen sei und der Beitrag, den
die Kognitionen zur Marke leisten würden, unterschätzt
werde.
Die Forschung über „Einstellung zu Werbung“ basierte
lange Zeit auf der Annahme, Werbung würde ganz einfach
nur mehr oder weniger gut gefallen, die besagte Einstellung habe demnach also eindimensionalen Charakter. Die
Einstellung zur Werbung wurde typischerweise erfasst, indem Adjektive wie „glaubhaft“, „überzeugend“, „informa-
23
2.5 • Das Rossiter-und-Percy-Modell
.. Tab. 2.2 Fünf Kommunikationseffekte von Werbung. (Nach
Rossiter & Percy, 1997)
1.
Kategoriebedürfnis
Der Käufer akzeptiert, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung nötig
sind, um einen angestrebten motivationalen Zustand zu erreichen.
2.
Markenbekanntheit
Der Käufer hat die Fähigkeit, die
Marke innerhalb einer Kategorie zu
identifizieren, und zwar in einem
Ausmaß, das einen Kauf ermöglicht
(Reproduktion oder Rekognition).
3.
Einstellung
zur Marke
Der Käufer beurteilt die Marke positiv. Sie kann ein bestimmtes gegenwärtig relevantes Motiv befriedigen.
4.
Kaufabsicht
Der Käufer entwickelt den Vorsatz,
die Marke zu kaufen.
5.
Kauferleichterung
Der Käufer hat die Gewissheit, dass es
keine Kaufhinderungsgründe gibt.
tiv“ und „interessant“ vorgegeben wurden und dann ein
Summenwert gebildet wurde (Edell & Burke, 1987). In der
Praxis der Marktforschung wird oft nur ein Item verwendet, das schlicht danach fragt, wie sehr man die Werbung
mag (vgl. zur Kritik hieran Bergkvist & Rossiter, 2008).
Tatsächlich aber ist die Einstellung zur Werbung mehrdimensional. So unterscheiden z. B. Aaker und Stayman
(1990) drei Emotionen: Amüsement, Irritation (bzw. Ärger) und Wärme, wobei v. a. letztgenannte Emotion in den
vergangenen Jahren verstärkte Aufmerksamkeit erfahren
hat. Wärme ist eine positive, milde, leicht veränderliche
Emotion, die mit physiologischer Aktivierung und dem
Erleben anregender Beziehungen einhergeht (Aaker, Stayman & Hagerty, 1986). Werbung, die als „warm“ bezeichnet
werden kann, muss öfter wiederholt werden, um spürbare
Einstellungsänderungen zu bewirken. Aaker und Stayman
(1990) vermuten, dass emotionale Werbung, die seltener
als fünfmal wiederholt wird, pure Verschwendung sei (weiterführend ▶ Kap. 6).
2.5
Das Rossiter-und-Percy-Modell
Das Werbewirkungsmodell von Rossiter und Percy (1997)
nimmt an, dass Werbung fünf Kommunikationseffekte haben muss, um wirksame Beiträge zur Positionierung einer
Marke zu liefern und das erwünschte Verhalten zu bewirken. Diese fünf Effekte sind in . Tab. 2.2 beschrieben.
Der erste Schritt auf dem Weg zur Werbewirkung besteht darin, ein Kategoriebedürfnis gesichert zu haben.
Dies kann in manchen Fällen bereits gegeben sein, in anderen muss daran erinnert werden, und gelegentlich ist das
Bedürfnis erst noch zu „wecken“. Betrachten wir das Bei-
spiel des Produkts „Mobiltelefon“. Es dürfte schon immer
Menschen gegeben haben, die viel reisen und sich ein Mobiltelefon gewünscht haben. Andere mögen sich an Münztelefone gewöhnt haben, könnten aber durch Werbebotschaften daran erinnert werden, dass ein Mobiltelefon das
Leben einfacher machen würde. Dass es heutzutage auch
möglich und „nützlich“ ist, Fotos über ein Mobiltelefon zu
verschicken, musste erst durch Werbebotschaften erläutert
werden. In der Tat setzt hier auch ein Teil der Werbekritik
an, nämlich dass durchaus gelegentlich überflüssige oder
sogar schädliche „Bedürfnisse“ geschaffen werden.
Ist ein Kategoriebedürfnis gegeben, dann ist als nächstes die Markenbekanntheit (Brand Awareness) zu sichern.
Die Kriterien für Markenbekanntheit sind Reproduktion
oder Rekognition. Nach Rossiter und Percy (1997) ist diese
unumgänglich, sie ist notwendige Voraussetzung für die
Einstellung zur Marke. Rossiter und Percy meinen mit
Markenbekanntheit, dass man sich einer Marke „bewusst“
sein muss, dass man eine „Vorstellung“ von der Marke haben muss, bevor man sie kaufen kann. Entweder müssen
die Käufer in der Kaufsituation (z. B. im Supermarkt) die
Marke wiedererkennen (Rekognition), oder sie müssen
bereits vor der aktuellen Kaufsituation (z. B. auf dem Weg
zum Supermarkt) die Marke erinnern (Reproduktion).
Markenrekognition ist typischerweise ein visueller Prozess, d. h. dass Produktverpackung, Logo oder Formen
und Farben wiedererkannt werden. Demgegenüber ist
Markenreproduktion fast immer ein verbaler Prozess, in
dessen Rahmen ein aktuelles Kategoriebedürfnis Auslöser
für einen entsprechenden Suchprozess wird.
Der nächste Schritt in der Werbewirkungskette ist die
positive Einstellung zur Marke. Werbebotschaften haben
die Funktion, Evidenzen zu präsentieren, die Einstellungen zu entwickeln oder zu bestärken helfen. Werbung,
die auf konkrete inhaltliche Aussagen verzichtet, ist nach
Ansicht von Rossiter und Percy (1997) nur dann und
deshalb erfolgreich, weil einstellungsrelevante Informationen von den Rezipienten erschlossen oder weil bereits
existierende Einstellungen aktiviert und bestärkt werden.
Ein Beispiel für Ersteres ist etwa, dass Rezipienten aus der
Beobachtung, dass eine bestimmte Marke häufig beworben
wird, auf deren Popularität schließen. Die Einstellung zur
Marke besteht im Kern aus einer Überzeugung, die eine
Verknüpfung zwischen Marke und Kauf- oder Nutzungsmotiv herstellt. Rossiter und Percy (1997) unterscheiden
acht fundamentale Motive, die in zwei Gruppen unterteilt
werden (vgl. . Tab. 2.3).
Die erste Gruppe von Motiven wird „informational“
genannt, weil Informationen gesucht werden, um negative Zustände zu reduzieren oder zu beseitigen. Kauf- und
Gebrauchsmotiv für ein Produkt kann also z. B. die Problembeseitigung sein (Shampoo gegen Schuppen). „Gemischte Annäherung-Vermeidung“ steht für einen Kon-
2
24
1
2
Kapitel 2 • Werbewirkungsmodelle
.. Tab. 2.3 Acht fundamentale Kauf- und Gebrauchsmotive
(Rossiter & Percy, 1997)
Negativ entstandene
(informationale) Motive
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Positiv entstandene
(transformationale) Motive
1. Problembeseitigung
2. Problemvermeidung
3. Unvollständige Zufriedenheit
4. Gemischte Annäherung-Vermeidung
5. Gewöhnliche Erschöpfung
6. Sensorische Gratifikation
7. Intellektuelle Stimulation
oder Bewältigung
8. Soziale Anerkennung
flikt, den ein Konsument haben könnte und der durch das
Produkt reduziert oder vermieden wird (z. B. im Sinne des
Slogans „Genießen ohne Reue“). „Gewöhnliche Erschöpfung“ steht für leicht negative Emotionen, die „normal“
(gewöhnlich) sind und auftreten, wenn etwas schon oft
getan wurde; das Produktversprechen kann dann darin
bestehen, Langeweile oder andere Unannehmlichkeiten
zu vermeiden (z. B. „mehr Abwechslung in die Küche“).
Die zweite Gruppe thematisiert positive Reize oder Belohnungen; der Käufer soll in einen positiven oder (noch)
besseren Zustand „transformiert“ werden. In die Oper zu
gehen kann ästhetisches Erlebnis, intellektuelle Herausforderung und Mittel zur Positionierung der eigenen Person
in das soziale Umfeld sein.
Die vierte Stufe der Werbewirkung (. Tab. 2.2) ist
die Kaufabsicht, zu verstehen als Vorwegnahme der
abschließenden Aktion. Diese Aktion kann je nach Entscheidungskonstellation darin bestehen, die Marke vorzuschlagen, zu empfehlen, sich dafür zu entscheiden, sie
unmittelbar zu kaufen oder sie öfter zu nutzen. Die Generierung einer Kaufabsicht ist zwar immer von Vorteil,
aber nicht immer notwendig. Eine positive Einstellung
zur Marke kann auch ohne Verhaltensabsicht unmittelbar zum Verhalten, nämlich dem entsprechenden Kauf,
führen, und zwar dann, wenn es sich um ein Geringes-Involvement-Produkt handelt. Demgegenüber ist es bei Hohes-Involvement-Produkten erforderlich, Verhaltensabsichten zu generieren.
Die fünfte Stufe hat nur scheinbar einen ergänzenden Status, tatsächlich spricht sie oftmals entscheidende
Punkte der Unwirksamkeit von Werbemaßnahmen an.
Wenn potenzielle Käufer Erschwernisse antizipieren, dann
kann es trotz Kaufabsichten zu keinem tatsächlichen Kauf
kommen. Beispiele hierfür sind etwa, dass die Marke am
gewohnten Einkaufsort nicht verfügbar ist, dass die Einkaufsstätten zu weit entfernt liegen, dass man sich das Produkt nicht leisten kann, oder dass aus anderen Gründen die
Realisierung der Absicht aufwändig oder kompliziert ist.
Das Rossiter-und-Percy-Modell nennt es „fehlende Kauf-
erleichterung“, wenn es darum geht zu erklären, warum
selbst die stärkste Einstellung und Absicht nicht zum entsprechenden Verhalten führen (▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Die Theorie des geplanten Verhaltens
Nach der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen,
1991) können subjektive Normen und eine fehlende
wahrgenommene Verhaltenskontrolle dazu führen,
dass aus einer Absicht nicht entsprechendes Verhalten
resultiert. Beispielsweise davon überzeugt worden zu
sein, dass öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen eigentlich richtig ist, führt (noch) nicht zu verändertem Verhalten – nämlich vom Auto umzusteigen. Hinzu kommt
erstens die subjektive Norm, also die Überzeugung,
dass es richtig (und üblich) ist. Und zweitens muss
man auch noch zuversichtlich sein, das Verhalten ausführen zu können. Es geht also nicht nur darum, dass
die Rezipienten einsehen, dass es richtig ist, sie müssen
es auch für normal und machbar halten (vgl. Armitage
& Conner, 2001).
Allerdings darf nicht übersehen werden, dass es öffentliche Verkehrsmittel schwer haben, transformationale
Motive zu befriedigen. So betonen Werbespots für Autos nicht umsonst Aspekte wie „Prestige“, „Freude am
Fahren“ oder die Idee, einen Rückzugsraum zu haben.
Nehmen wir an, ein Geringes-Involvement-Produkt wie
z. B. eine Schokoriegelmarke würde durch einen Fernsehspot zu bewerben sein. Aufgaben des Spots wären, Markenbekanntheit zu gewährleisten und für eine positive Marken­
einstellung zu sorgen. Dies könnte durch die wiederholte
Präsentation des Spots erreicht werden. Diese erleichtert
das spätere Wiedererkennen und ermöglicht es, die Marke
mit einer Motivbefriedigung zu verknüpfen. Hier gibt es
nun eine interessante Unterscheidung, nämlich ob es sich
um ein informationales oder ein transformationales Motiv
handelt. Nach Rossiter und Percy (1997) ist nämlich die
Einstellung zur Werbung nur dann von Bedeutung, wenn
transformationale Motive angesprochen werden. Vereinfacht gesagt: Wenn die Werbung etwas Angenehmes verspricht, sollte sie nicht unangenehme Gefühle auslösen.
Transformationale Werbung will zum Ausdruck bringen,
dass negative oder neutrale Emotionen in positive verwandelt werden (z. B. Freude, Aufregung, Kompetenzerleben,
Stolz). Die Werbung wird eine angenehme und einzigartig
mit der Marke verknüpfte Emotion versprechen. Entscheidend für die Wirkung ist ihr authentischer Charakter.
Hingegen spielt die Akzeptanz bei der Ansprache informationaler Motive keine Rolle, Waschmittelwerbung
kann also z. B. langweilig sein, sofern sie Problemlösun-
25
2.6 • Funktionen von Werbewirkungsmodellen
gen kommuniziert. Tatsächlich spricht informationale
Werbung unangenehme bzw. negative Emotionen an, die
dann – so das Werbeversprechen – beseitigt oder gar in
positive umgewandelt werden.
Betrachten wir nun Hohes-Involvement-Produkte.
Auch hier kommen sowohl informationale als auch transformationale Werbetaktiken infrage. Die Markeneinstellung hängt in diesem Fall stärker von den durch die Rezipienten akzeptierten Produktvorteilen ab, die Argumente
werden differenzierter abgewogen. Reine transformationale Werbung ist allerdings bei Hohes-Involvement-Produkten nur selten zu finden, sie wird vielmehr oft mit informationalen Komponenten kombiniert. Beachtenswert
sind die Empfehlungen von Rossiter und Percy (1997) für
Ableitung von Gestaltungsempfehlungen Die frühen
Emotionale Authentizität ist von höchster Wichtigkeit
und zudem auf die jeweilige Zielgruppe abzustimmen.
Die Rezipienten müssen sich mit dem Produkt in der
Werbung identifizieren und die Werbung nicht nur
mögen.
Oftmals muss auch Produktinformation in der Werbung enthalten sein, wobei durchaus etwas übertrieben werden kann.
Wiederholung ist auch hier förderlich, da sie dazu
dient, eine (Teil-)Entscheidung aufzubauen und
(Teil-)Entscheidungen zu bestärken.
Verwendung von Testmethoden Wenn wir genauer die Wirkung von Werbung untersuchen (▶ Kap. 10), dann müsste
-
transformationale Werbung bei Hohes-Involvement-Produkten:
Typische Beispiele solcher Werbungen sind Automobilanzeigen, die „Fahrgefühle“ vermitteln wollen, Identifikationsfiguren anbieten, zugleich aber auch weiterführende
Informationssuche ermöglichen oder vorbereiten sowie
Rezipienten, die sich bereits zum Kauf entschlossen haben,
in ihrer Entscheidung bestärken.
2.6
Funktionen
von Werbewirkungsmodellen
In diesem Kapitel wurden verschiedene Werbewirkungsmodelle vorgestellt. Deren Bedeutung besteht in vier Funktionen, die diese üblicherweise erfüllen.
Erklärung der Entstehung von Werbewirkung Werbewir-
kungsmodelle machen Annahmen über die Entstehung
von Werbewirkung, das ist ihre ureigenste Aufgabe. Die
differenzierte Auflistung von McGuire (1985) macht deutlich, auf welch unterschiedlichen Ebenen Werbewirkung
stattfindet und prinzipiell erfassbar sein sollte, während die
dann folgenden Modelle darauf hinweisen, dass einzelne
Wirkungsebenen je nach gegebenen Umständen (z. B. Involvement der Rezipienten) von größerer oder geringerer
Bedeutung sind.
Werbewirkungsmodelle wurden auch als Gestaltungsanweisungen verstanden. Wenn z. B. das AIDA-Modell die
Aufmerksamkeitswirkung als Grundvoraussetzung der
Werbewirkung unterstellt, dann ergibt sich daraus die
Empfehlung, Werbung entsprechend zu gestalten, z. B. einen „Aufhänger“ zu verwenden, aber auch Interesse und
Motive anzusprechen und zum Kauf aufzufordern. Auch
aus neueren Modellen ergeben sich Gestaltungsempfehlungen. So würde man z. B. aus dem integrierten Informations-Reaktions-Modell ableiten, dass zu Verhaltensproben
(z. B. Testfahrt) aufgefordert werden sollte, während nach
den Einstellung-zur-Werbung-Ansätzen auf Verhaltensaufforderungen ganz verzichtet wird und das „Gefallen“ der
Werbung im Vordergrund steht.
eigentlich immer Bezug auf ein Werbewirkungsmodell genommen werden. Entsprechendes gilt für die Frage, welche
Methoden zur Überprüfung der Werbewirkung eingesetzt
werden sollten. So spielt z. B. die Erinnerung an Werbeinhalte im Modell von McGuire (1985) eine wichtige Rolle,
während im Alternative-Wege-Modell die mehr oder weniger vage Erinnerung an den Markennamen genügt.
Begründung von Werbezielen Mit der Entscheidung oder
dem „Bekenntnis“ zu einem bestimmten Werbewirkungsmodell gehen auch unterschiedliche Werbeziele einher.
Während ein Teil der Modelle Verhaltensänderungen in
den Vordergrund stellt, ist für andere die (veränderte) Einstellung von Bedeutung. Man kann auch einen Schritt weitergehen und das Werbeziel so definieren, dass bestimmte
Wirkungen erst noch erzeugt werden sollen. Beispielsweise
könnten bestimmte Werbeinhalte das Ziel haben, das Involvementniveau der Rezipienten zu beeinflussen, um
sie für Argumente überhaupt erst zugänglich zu machen.
Wenn man etwa von der Gültigkeit eines der Zwei-Wege-Modelle ausgeht und die Rezipienten argumentativ
überzeugen möchte, dann ergibt sich als (Zwischen-)Ziel
von Werbung, zunächst einmal, deren Involvement zu erhöhen. Das Erreichen dieses Ziels ist dann natürlich mit
anderen Methoden zu evaluieren als im Falle der Anwendung von Einstellung-zur-Werbung-Modellen. Insgesamt
kann man sagen, dass der (letztendliche) Kauf eines Produkts bestimmt nicht das einzige Ziel von Werbung ist.
Zudem hat bereits das Modell von McGuire (1985) darauf
aufmerksam gemacht, dass das Werbeziel nicht nur im
(letztendlichen) Kauf des Produkts besteht, sondern dass
zudem Markentreue zu erreichen versucht wird.
2
Kapitel 2 • Werbewirkungsmodelle
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Kontrollfragen
1. Welche Ebenen der Werbewirkung lassen sich nach
McGuire unterscheiden?
2. Welche drei wesentlichen Hierarchie-von-Effekten-Modelle lassen sich unterscheiden?
3. An der Idee zweier unterschiedlicher Prozesse, wie
sie in Zwei-Prozess-Modellen unterstellt werden,
wurde Kritik geübt. Nennen Sie ein prinzipielles
Argument.
4. Worin sehen Sie die Besonderheiten des Werbewirkungsmodells von Rossiter und Percy (1997)?
5. Was ist damit gemeint, dass eine Funktion von
Werbewirkungsmodellen darin bestehe, „die
Verwendung von Werbewirkungsmethoden zu
begründen“?
Fazit
Dieses Kapitel stellte verschiedene Werbewirkungsmodelle
vor. Werbewirkungsmodelle umschreiben das Zusammenspiel unterschiedlicher Prozesse, die zwischen der Werbedarbietung und der die Werbewirkung abschließenden Reaktion,
was üblicherweise das Kaufverhalten ist, liegen. Während man
lange Zeit von einfachen Stufenmodellen ausging, unterstellen neuere Modelle, dass Werbewirkung auf unterschiedlichen Wegen stattfinden kann und insbesondere in Abhängigkeit vom Involvement der Rezipienten auch unterschiedliche
Wirkungsprozesse eine Rolle spielen.
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2
29
Kaufentscheidungen
Hans-Georg Wolff, Klaus Moser
3.1
Einführung – 30
3.2
Grundlegendes – 30
3.3
Eine Typologie von Kaufentscheidungen – 30
3.4
Entscheidungsstrategien – 33
3.5
Kaufentscheidungen als zielorientiertes Handeln – 35
3.5.1
3.5.2
3.5.3
3.5.4
Anstrengungsvermeidung – 37
Vermeidung negativer Emotionen – 39
Die Rechtfertigbarkeit von Entscheidungen – 41
Kaufentscheidungen als zielorientiertes Handeln –
Fazit und Erweiterungen – 43
3.6
Rationalität von Kaufentscheidungen – 45
3.7
Ausblick – 46
Literatur – 48
K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie, Springer-Lehrbuch,
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
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Kapitel 3 • Kaufentscheidungen
„Sparsam Auto fahren wollen viele. Das dafür nötige Auto kaufen die meisten dagegen nicht. Das könnte an mangelnder
Information liegen, wie eine Studie herausgefunden hat. Ein
Ökolabel für Neuwagen gibt es bereits seit Dezember 2011,
doch offenbar beziehen die wenigsten es in ihre Kaufplanung
mit ein – oftmals schlicht deshalb, weil sie es nicht kennen.
Würden sie es kennen, sähe es anders aus, ergab die Untersuchung von der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW)
in Bergisch Gladbach.“ (H. Lübbehüsen in Zeit-Online vom
20.08.2013)
3.1
Einführung
Menschen fällen jeden Tag eine Vielzahl von Kaufentschei­
dungen. Sie kaufen manche Produkte zum wiederholten
Male, wie etwa Lebensmittel oder Socken, manche aber
auch nur wenige Male im Leben, wie z. B. ein Haus oder
einen Toaster. Solche Kaufentscheidungen laufen nicht im­
mer „nach dem gleichen Muster“ ab. Über manche Ent­
scheidungen denkt man kaum nach, man geht in einen
Laden und findet gleich das „richtige Produkt“. Andere
Käufe beschäftigen eine Person über mehrere Wochen,
und manchmal kann das Ergebnis auch im Verzicht auf
einen Kauf liegen. In wieder anderen Fällen kommt man
mit einem Produkt nach Hause, dessen Kauf man gar
nicht beabsichtigt hatte. Zudem verfolgen Konsumenten
bestimmte Ziele mit einem Kauf; sie können kaufen, um
unmittelbar zu konsumieren, um etwas zu verschenken,
aber auch, um übermäßigen Konsum zu begrenzen, weil
man zukünftigen Bedarf antizipiert (z. B. der Abschluss
einer privaten Rentenversicherung). Und schließlich sind
Kaufentscheidungen oft Bestandteil einer Rolle, also eines
Bündels von standardisierten Verhaltenserwartungen, die
andere an eine Person richten und welche diese zu erfül­
len sucht (z. B. als professioneller Einkäufer, Vater, beste
Freundin etc.).
Dieses Kapitel vermittelt einen Überblick und stellt
die wichtigsten theoretischen Ansätze zur Beschreibung
und Erklärung von Kaufentscheidungen vor. Dabei steht
die Sicht der Psychologie im Vordergrund, die sich Kauf­
entscheidungen aus einer individuellen Perspektive nä­
hert. Diese Sichtweise hebt sich von der des Marketings
ab, die sich dem Thema stärker aus der Produktperspek­
tive nähert und somit v. a. Entscheidungen in bestimm­
ten Produktgruppen untersucht (z. B. Hohes- und Gerin­
ges-Involvement-Produkte, schnelllebige Konsumgüter,
Markenprodukte; vgl. ▶ Kap. 7). Im Folgenden werden
wir zunächst einige Grundbegriffe erläutern. Den Haupt­
teil dieses Kapitels nehmen zwei Ansätze zur Beschrei­
bung von Kaufentscheidungen ein, eine Typologie von
Kaufentscheidungen und ein ▶ Kontingenzansatz, der
davon ausgeht, dass Konsumenten ihre ▶ Entscheidungs-
strategien an Ziele anpassen, die mit der Kaufentschei­
dung in Zusammenhang stehen. Das Kapitel schließt mit
einer Diskussion über die Rationalität von Kaufentschei­
dungen.
3.2
Grundlegendes
Eine Entscheidung ist allgemein definiert als Wahl einer Option aus einer gewissen Zahl von alternativen
Optionen, die sich in ihren Eigenschaften (Attributen)
unterscheiden. Bei Kaufentscheidungen können Konsu­
menten meist zwischen mehreren Produkten wählen, die
unterschiedliche Produkteigenschaften besitzen. . Tab. 3.1
stellt dies für einen Toaster dar. Die Produkteigenschaften
unterscheiden sich in ihrer Wichtigkeit und ihren Konse­
quenzen (z. B. Produktsicherheit vs. Produktfarbe) und sind
dem Konsumenten mehr oder weniger vertraut (z. B. Unter­
schiede zwischen elektronischer und fotosensorischer Röst­
graderkennung). Manche Eigenschaften stehen in einem
negativen Zusammenhang, und Personen müssen dann die
Wichtigkeit von Eigenschaften gegeneinander abwägen, da
kein Produkt die interessierenden Eigenschaften in der
gewünschten Kombination aufweist (z. B. hohe Qualität
und kleiner Preis). In den meisten Fällen besteht zudem
die Option, kein Produkt zu kaufen oder die Entscheidung
aufzuschieben, in manchen Fällen existiert nur ein Produkt
und man kann lediglich entscheiden, ob man dieses kauft
oder nicht.
Kaufentscheidungen unterscheiden sich von anderen
Entscheidungen (z. B. Günther oder Manfred heiraten, für
eine Klausur lernen oder putzen), denn sie finden im Kontext eines Marktes statt. Käufer und Verkäufer handeln
einen Preis aus, d. h. sie ordnen dem Produkt explizit einen
fungiblen, monetären Wert zu. Kaufentscheidungen lassen
sich zudem Entscheidungen unter Unsicherheit zuord­
nen, da es nicht sicher ist, ob die erhofften Konsequenzen
auch tatsächlich eintreten. So hilft z. B. nicht jede Creme
gegen Pickel, und auch bei hochwertigen Markenlaptops
können Akkus explodieren.
3.3
Eine Typologie
von Kaufentscheidungen
Eine Möglichkeit, Kaufentscheidungen zu systematisieren,
ist die Unterscheidung von Typen. Im Folgenden wird eine
Typologie von Kroeber-Riehl und Gröppel-Klein (2013;
Weinberg, 1981) vorgestellt, nach der vier Idealtypen von
Kaufentscheidungen existieren: extensive, limitierte, ha­
bitualisierte und impulsive Kaufentscheidungen. Kroe­berRiel und Gröppel-Klein postulieren, dass sich diese vier
Typen in
31
3.3 • Eine Typologie von Kaufentscheidungen
.. Tab. 3.1 Für welchen Toaster würden Sie sich entscheiden?
Eigenschaften
Produkt A
Produkt B
Produkt C
Produkt D
Hersteller
Siemens
„No-name-Produkt“
Severin
Bomann
Gehäuse
Wärmeisoliert
Designgehäuse aus
gebürstetem Edelstahl
–a
Wärmeisoliert
Leistung (Watt)
1.100
700
900
800
Extras
Automatische Brotzentrierung,
Röstgradelektronik
–a
Temperatursensor,
Softliftfunktion
–a
Preis (€)
29,99
34,99
24,99
9,99
(Angebot, sonst 14,99)
Es handelt sich um realitätsnahe, aber hypothetische Produkte.
a
Keine besonderen Ausstattungsmerkmale.
.. Tab. 3.2 Eine Typologie von Kaufentscheidungen. (In Anlehnung an Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2013)
Merkmale
Extensiv
Limitiert
Habitualisiert
Impulsiv
Hoch
Hoch
Gering
Mittel
Gering
Gering
Gering
Gering
Hoch
Gering
Hoch
Hoch
Involvement
Informationssuche
Vorerfahrung
Dauer der Entscheidungsfindung
Hoch
Extern und intern
Keine
Lang
Gering
Intern
Gegeben
Mittel
–a
Keine
Hoch
Kurz
–a
Keine
–a
Kurz
Strategien
Werden im Prozess
gewählt
Heuristische Strategien,
bewährte Regeln
Fixe Wenn-dann-Regeln
Keine
Konstituierend
Kognitiv
Affektiv
Reaktiv
Begleitend
--
a
Es werden keine Aussagen über eine spezifische Ausprägung gemacht.
ihrem Ausmaß an gedanklicher Steuerung (kognitiv),
dem Ausmaß an emotionaler Aktivierung (affektiv)
und
dem Ausmaß an automatischen Reaktionen (reaktiv)
unterscheiden.
In . Tab. 3.2 sind die jeweiligen Ausprägungen dieser drei
konstituierenden Merkmale dargestellt. Darüber hinaus
unterscheiden sich die vier Typen von Kaufentscheidungen
in weiteren, begleitenden Charakteristika, die ebenfalls in
. Tab. 3.2 enthalten sind.
Extensive Kaufentscheidungen zeichnen sich durch
einen hohen kognitiven Aufwand bei der Informations­
aufnahme und -verarbeitung aus. Produkteigenschaften
werden sorgfältig analysiert, miteinander verglichen und in
ein Gesamturteil über ein Produkt integriert. Konsumenten
suchen intensiv nach Informationen und greifen dabei nicht
nur auf eigenes Wissen und Erfahrungen, sondern auch auf
externe Quellen zurück (z. B. Werbung, Fachzeitschriften,
Bekannte; ▶ Abschn. 3.5.1). Die affektive Aktivierung bei
extensiven Kaufentscheidungen fördert die Bereitschaft
zur intensiven Suche und Verarbeitung von Informationen.
Weinberg (1981, S. 50) spricht in diesem Zusammenhang
von einer „emotionalen Schubkraft“, führt den Begriff jedoch
nicht näher aus. Extensive Kaufentscheidungen sind zudem
nicht reaktiv, d. h. wenig von spontanen Reaktionen geprägt,
sondern werden „wohlüberlegt“ gefällt. Die extensive Kauf­
entscheidung kommt einer ökonomisch rationalen Kaufent­
scheidung am nächsten, d. h. einer Entscheidung, die für den
Konsumenten einen maximalen Nutzen bedeutet.
Extensive Kaufentscheidungen finden sich v. a. dann,
wenn Käufer hoch involviert sind, wenig Vorerfahrung
mit einer Produktkategorie besitzen und die negativen
Konsequenzen einer falschen Entscheidung schwer wie­
gen können. Sie finden sich oftmals beim Kauf von teuren
Gebrauchsgütern. Bei extensiven Kaufentscheidungen sind
dem Käufer zu Beginn wichtige Attribute und Kriterien, die
das Produkt erfüllen soll, noch unbekannt; die konkreten
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22
Kapitel 3 • Kaufentscheidungen
Kaufabsichten entstehen oft erst im Entscheidungsprozess.
Ein Beispiel für eine extensive Kaufentscheidung könnte der
Kauf eines Klaviers darstellen. Man besitzt keine Erfahrung
mit dem Produkt, weiß zu Beginn nicht, welche Produktei­
genschaften relevant sind, und muss sich dementsprechend
z. B. bei der Klavierlehrerin oder Fachhändlern informieren.
Zudem wird man mehrere Fachgeschäfte aufsuchen, um
sich einen Überblick über das Angebot zu verschaffen. Eine
falsche Entscheidung hätte zur Konsequenz, dass man viel
Geld für ein Produkt ausgegeben hat, das schlecht klingt.
Ebenso kann ein Konsument im Entscheidungsprozess noch
weitere Alternativen (Optionen) kennen lernen (Flügel,
E-Piano, Midi-Keyboard). Wenn diese Alternativen weitere
Eigenschaften besitzen, die bisher keine Rolle spielten (z. B.
Platzbedarf, Portabilität), so kann sogar eine Neubewertung
aller Produkte erforderlich sein, um das beste, d. h. für den
Konsumenten nützlichste Produkt zu identifizieren.
Bei limitierten Kaufentscheidungen besitzen Konsu­
menten i. d. R. bereits Erfahrungen mit dem Kauf eines Pro­
duktes. Sie können aufgrund ihres Vorwissens einschrän­
ken, welche Produkte infrage kommen (das sog. „evoked
set“; Howard & Sheth, 1969), und holen kaum weitere In­
formationen ein. Konsumenten kennen die vorhandenen
Marken und die Produktattribute und konzentrieren ihre
Informationssuche auf diese bekannten Alternativen. Oft
wird der Käufer bei der Entscheidung für ein Produkt auf
relativ einfache Entscheidungsstrategien, sog. Faustregeln
oder Heuristiken, zurückgreifen (▶ Abschn. 3.4). Im Ver­
gleich zu extensiven Kaufentscheidungen ist der kognitive
Aufwand somit wesentlich geringer.
Bei habitualisierten Kaufentscheidungen handelt
es sich um Gewohnheitskäufe, d. h. um „gedankenlose“
wiederholte Käufe derselben Marke (▶ Beispiel). Der kog­
nitive Aufwand ist minimal, Informationssuche und -ver­
arbeitung finden kaum statt. Sobald das Bedürfnis nach
einem Produkt entsteht, wird ohne längeres Nachdenken
die „übliche Produktalternative“ gekauft, auch der Anblick
des Produkts im Geschäft kann einen nicht weiter durch­
dachten Kauf anstoßen (Wood & Neal, 2009). Oft handelt
es sich um wenig prestigeträchtige Produkte wie Zahnpasta
oder Windeln (Kaas & Dieterich, 1979). Auf der Ebene des
beobachtbaren Verhaltens zeigen Konsumenten bei habi­
tualisierten Kaufentscheidungen also Markentreue. Dabei
ist umstritten, ob man habitualisierte Kaufentscheidungen
nochmals differenzieren soll. Während Kroeber-Riel und
Gröppel-Klein (2013) Markentreue unter das Konzept der
habitualisierten Kaufentscheidungen subsumieren, unter­
scheiden andere Autoren hingegen zwischen Gewohnheit
einerseits und Markentreue andererseits (Amine, 1998;
Liu-Thompson & Tam, 2013), die sich in ihrer theore­
tischen Basis und ihren Konsequenzen unterscheiden.
Gewohnheit meint den eher routinemäßigen Kauf, der
aus Bequemlichkeit resultiert und routiniert automatisch
abläuft (Wood & Neal, 2009). Sie ist stark von situativen
Reizen als Auslöser abhängig. Dementsprechend können
Änderungen dieser Reize, z. B. durch Sonderangebote oder
Sortimentswechsel, die Routine unterbrechen und zu ei­
nem Wechsel der Marke führen. Demgegenüber beinhaltet
das Konzept der Markentreue über den wiederholten Kauf
einer Marke hinaus auch eine affektive Bindung (Commit­
ment). Dies ist für Unternehmen von großer Bedeutung, da
solche treue Kunden ihrem Produkt auch dann eher treu
bleiben, wenn die Kaufroutine durch Sonderangebote oder
Lieferschwierigkeiten unterbrochen oder der Preis erhöht
wird (Amine, 1998; vgl. auch ▶ Kap. 8). Markentreue Kon­
sumenten empfehlen Produkte zudem häufiger Bekannten
(vgl. auch ▶ Kap. 7).
Beispiel
| |
Hoyer (1984) beobachtete und befragte 120 Personen
beim Waschmittelkauf im Supermarkt. Nahezu drei
Viertel der beobachteten Personen betrachteten nur
eine einzige Waschmittelpackung im Regal genauer
und entschieden sich auch für diese. Vom Einbiegen in
eine Regalreihe bis zur Kaufentscheidung benötigten
die Konsumenten im Mittel 13 s. Auf die Frage nach
dem Grund für ihre Entscheidung nannten sie v. a. die
Qualität des Produktes (28 %, z. B. „beste Marke“, „wäscht
sauberer als andere“), den Preis (23 %, „am billigsten“,
„Sonderangebot“), eine Vorliebe für das Produkt (20 %,
„ich mag es“, „mir gefällt es“) und die Meinung anderer
(10 %, Partner oder Eltern gefällt die Marke). Hoyer zieht
aus dieser Untersuchung den Schluss, dass die Kaufentscheidung für Waschmittel mehrheitlich durch drei simple Vorgehensweisen beschrieben werden kann: „Kaufe
das billigste“ (limitierte Kaufentscheidung), „Kaufe die
bewährte Marke“ (habitualisierte Kaufentscheidung)
und „Kaufe, was andere gut finden“.
Zur Erklärung von habitualisierten Kaufentscheidungen
können auch Lernprozesse herangezogen werden (Kaas &
Dieterich, 1979; Wood & Neal, 2009). Kaufentscheidun­
gen werden durch positive Konsumerfahrungen belohnt
(verstärkt), was zur Wiederholung des entsprechenden
Kaufverhaltens führt. Zudem trägt der Status-quo-Effekt
zur Aufrechterhaltung von Gewohnheiten bei (Inman &
Zeelenberg, 2002, siehe auch ▶ Abschn. 3.5.2).
Impulskäufe sind durch hohe Reaktivität gekenn­
zeichnet, durch den spontanen, ungeplanten und plötzli­
chen Drang ein Produkt zu kaufen (Rook, 1987). Die Ent­
scheidung entsteht oft ohne vorherige Kaufabsicht vor Ort
bei der Betrachtung des Produkts. Obwohl Impulskäufe
oftmals im Zusammenhang mit preiswerten Produkten
diskutiert werden (z. B. Süßigkeiten an der Supermarkt­
33
3.4 • Entscheidungsstrategien
kasse – die sog. Quengelware), können auch hochprei­
sige Produkte, etwa ein Abendkleid oder ein Fernseher,
impulsiv gekauft werden. Der kognitive Aufwand ist bei
Impulskäufen gering. Unterschiedliche Alternativen wer­
den nicht gegeneinander abgewogen und auch mögliche
Konsequenzen kaum berücksichtigt. Impulskäufe sind
außerdem aktivierend und emotional – beispielsweise
beschreiben Konsumenten in Interviewstudien, dass sie
beim Anblick eines Produktes „magisch angezogen“ wer­
den (Rook, 1987). Diese starke Aktivierung und Emotio­
nalisierung unterscheidet Impulskäufe von anderen, sog.
ungeplanten Käufen, bei denen dem Konsumenten beim
Anblick des Produkts einfällt, dass er es benötigt. Es han­
delt sich z. B. nicht um einen Impulskauf, wenn einer Per­
son erst beim Gang durch die Hygieneartikelabteilung ein­
fällt, dass sie ein neues Shampoo benötigt. Eine Erklärung
für Impulskäufe bieten Selbstregulationsansätze. Kaufim­
pulse werden demnach durch externe Stimuli ausgelöst,
(z. B. Kacen, Hess & Walker, 2012; Wells, Parboteeah &
Valacich, 2011) denen Individuen mit größerer Wahr­
scheinlichkeit folgen, wenn ihre persönlichen Ressourcen
erschöpft sind („ego depletion“, z. B. Vohs & Faber, 2009)
oder wenn sie entsprechende Persönlichkeitseigenschaften
aufweisen (Verplanken & Herabadi, 2001). Eine patho­
logische Form von Impulskäufen stellt die Kaufsucht dar
(vgl. ▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Kaufsucht
Beim pathologischen Kaufen oder der Kaufsucht handelt es sich um eine Impulskontrollstörung (Black,
2007). Sie drückt sich in wiederholten, exzessiven Käufen und der gedanklichen Beschäftigung mit Käufen
aus. Der Impuls zum Kaufen wird als unwiderstehlich
und gleichzeitig sinnlos wahrgenommen. Von Bedeutung sind auch die negativen Folgen, die aus solchen
Käufen resultieren, wie subjektives Leiden, Beeinträchtigungen beim Erfüllen sozialer und beruflicher Anforderungen und finanzielle Probleme. Repräsentative
Untersuchungen in Deutschland zeigen, dass zwischen
6 % und 8 % der Bevölkerung als stark kaufsuchtgefährdet eingestuft werden können (Neuner, Raab & Reisch,
2005). Dass dabei gesellschaftliche Konsummuster und
-angebote eine Rolle spielen könnten, zeigt der Anstieg
an Kaufsuchtgefährdeten in den ostdeutschen Bundesländern von 1 % im Jahr 1991 auf 6,5 % im Jahr 2001.
Wie lassen sich solche Typologien beurteilen? Ihre Formu­
lierung bietet Hilfestellung bei der Charakterisierung und
Ordnung unterschiedlichster Kaufentscheidungen. In der
Forschung werden v. a. Impulskäufe und habitualisierte
Kaufentscheidungen als besondere Phänomene hervor­
gehoben. Allerdings ist nicht nachvollziehbar, warum es
gerade vier Typen sein sollen. Andere Autoren etwa be­
schreiben lediglich extensive, limitierte und habitualisierte
Käufe, die bereits anhand ihres kognitiven Aufwands diffe­
renzierbar sind, ohne auf reaktive und emotionale Merk­
male einzugehen (Blackwell, Miniard & Engel, 2001). Zu­
dem sind weitere Kombinationen der drei konstituierenden
Merkmale denkbar, beispielsweise könnte Markentreue als
Entscheidungstypus mit geringer kognitiver, hoher reakti­
ver und hoher affektiver Ausprägung von habitualisierten
Kaufentscheidungen differenziert werden. In der hier vor­
gestellten Typologie ist zudem das Konzept der affektiven
Aktivierung nicht eindeutig beschrieben.
3.4
Entscheidungsstrategien
Ein anderer Ansatz zur Beschreibung von Kaufentschei­
dungen wird von der Gruppe um Bettman vertreten (z. B.
Bettman, Luce & Payne, 1998). Diese Autoren nehmen an,
dass Konsumenten über ein vielseitiges Arsenal von Ent­
scheidungsstrategien verfügen, aus dem sie in Abhängig­
keit von ihren jeweiligen Zielen und dem Entscheidungs­
kontext eine Strategie wählen. Es handelt sich somit um
einen Kontingenzansatz. Bettman und Kollegen postu­
lieren, dass Entscheidungen in der Situation „konstru­
iert“ werden, d. h. Konsumenten wählen Entscheidungs­
strategien während des Entscheidungsprozesses aus und
können diese jederzeit überdenken und ändern. Viele
Konsumenten haben zwar auch feste Präferenzen für Pro­
dukte oder Produkteigenschaften (Gewohnheitskäufe), in
anderen Fällen überlegen sich Konsumenten jedoch erst
im Angesicht der Produkte im Supermarktregal, wie sie
eine Entscheidung fällen. Auf diese Weise können Kontext­
merkmale, wie etwa vorhandene Produktalternativen oder
Zeitdruck, die Wahl einer Entscheidungsstrategie beein­
flussen – und damit auch den Kauf selbst. Zur Erläuterung
dieses Ansatzes werden in diesem Abschnitt zunächst Ent­
scheidungsstrategien beschrieben und im folgenden Ab­
schnitt Faktoren dargestellt, die die Wahl einer Strategie
beeinflussen.
In der Forschung wird eine Vielzahl von Entschei­
dungsstrategien beschrieben, die bei Kaufentscheidungen
Anwendung finden. Zur Identifikation dieser Strategien
verwenden experimentelle Studien oft Informations-Display-Matrizen, zu denen auch die Darstellung in . Tab. 3.1
gehört (Bettman et al., 1998; Betsch, Funke & Plessner
2011). In den Spalten solcher Matrizen werden verschie­
dene Produkte dargestellt, deren unterschiedliche Eigen­
schaftsausprägungen sich dann in den Zeilen befinden (in
. Tab. 3.1 könnte man die Zeile „Extras“ noch in mehrere
Zeilen mit den Ausprägungen „vorhanden“ und „nicht vor­
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22
Kapitel 3 • Kaufentscheidungen
handen“ aufteilen). Die Zellen, in denen sich die konkre­
ten Produkteigenschaften befinden, sind im Experiment
verdeckt. Wenn sich Versuchspersonen (Vpn) über eine
bestimmte Eigenschaft eines Produktes informieren möch­
ten, müssen sie die entsprechende Zelle aufdecken. Durch
diese Versuchsanordnung wird nachvollziehbar, welche Ei­
genschaften beachtet werden und in welcher Reihenfolge
dies geschieht, ob z. B. zunächst alle Eigenschaften eines
Produktes oder alle Ausprägungen einer Eigenschaft be­
achtet werden usw. Man kann so unterschiedliche Strategien der Informationsaufnahme identifizieren, von denen
eine Auswahl in . Tab. 3.3 dargestellt ist (Bettman et al.,
1998; Betsch et al., 2011). Diese Strategien unterscheiden
sich in vier grundlegenden Aspekten:
1. Extensive vs. limitierte Informationsverarbeitung:
Diese Unterscheidung bezieht sich auf die beachtete
Informationsmenge. Man kann entweder versuchen,
möglichst viele verfügbare Informationen zu berück­
sichtigen (extensive Verarbeitung), oder aber sich auf
wenige Informationen beschränken (limitierte Verar­
beitung). Beispielsweise könnten sich Personen auf den
Vergleich des Produktdesigns beschränken und einfach
den schönsten Toaster kaufen. Sie könnten aber auch
weitere Informationen beachten, wie etwa den Preis
oder Zusatzfunktionen.
2. Eigenschaftsorientiertes vs. produktbasiertes Vorgehen: Bei eigenschaftsorientierten (attributbasierten)
Strategien wird jeweils eine Produkteigenschaft heraus­
gegriffen und für alle Produkte beachtet. Zum Beispiel
kann man zunächst die Preise aller angebotenen Pro­
dukte beachten und erst dann weitere Merkmale be­
trachten. Bei produktbasierten (alternativenbasierten)
Strategien werden nacheinander die Produkte anhand
ihrer relevanten Eigenschaften begutachtet, d. h. erst
werden Eigenschaften von Produkt A begutachtet, es
folgen Eigenschaften von Produkt B usw.
3. Kompensatorische vs. nonkompensatorische Strategien: Bei kompensatorischen Strategien können
schlechte Produkteigenschaften durch andere gute
Eigenschaften ausgeglichen werden, bei nonkompen­
satorischen Strategien wird ein solcher Ausgleich nicht
vorgenommen. So kann beispielsweise ein hoher Preis
bei kompensatorischen Strategien durch andere posi­
tive Eigenschaften (Qualität, Haltbarkeit) ausgeglichen
werden. Bei nonkompensatorischen Strategien würde
z. B. eine Alternative, die zu teuer ist, nicht weiter be­
achtet, unabhängig davon, wie gut andere Eigenschaf­
ten ausgeprägt sind.
4. Selektive vs. konsistente Informationsverarbeitung:
Selektivität existiert sowohl hinsichtlich der Produkte
als auch hinsichtlich der Produkteigenschaften. Bei
selektiven Strategien wird für jedes Produkt (oder jede
Eigenschaft) eine unterschiedliche Zahl an Informa­
tionen beachtet, während beim anderen Extrem, also
konsistenten Strategien, die Informationsmenge für
jedes Produkt (jede Eigenschaft) gleich bzw. konsis­
tent ist. Beachtet eine Person bei allen Produkten nur
eine Eigenschaft, so liegt Selektivität hinsichtlich der
Eigenschaften und Konsistenz hinsichtlich der Pro­
dukte vor. Beachtet eine andere Person die Eigen­
schaften der Produkte A und B, nicht aber die von
Produkt C, handelt es sich um Selektivität hinsichtlich
der Produkte.
Die in . Tab. 3.3 beschriebene multiplikative Strategie spielt
in der präskriptiven Entscheidungstheorie eine besondere
Rolle, da sie den Prototyp einer ökonomisch „rationalen“
Strategie darstellt (vgl. Frey, 1990; O‘Shaugnessy, 1987).
Die Anwendung der multiplikativen Strategie erfordert die
Bestimmung der Wichtigkeit der Produkteigenschaften
und die Qualitätsbewertung der Eigenschaftsausprägungen
für jedes Produkt. Die Bewertung der Eigenschaftsausprä­
gung wird mit der Wichtigkeit der Eigenschaft multipli­
ziert und dann für jedes Produkt addiert. Bei den Toastern
in . Tab. 3.1 müsste man also zunächst die Wichtigkeit der
Merkmale Hersteller, Gehäuse, Leistung, Extras und Preis
bestimmen, indem man z. B. festlegt, dass die wichtigste
Eigenschaft der Preis ist, die zweitwichtigste das Gehäuse,
und diesen Eigenschaften dann Punktwerte gemäß ihrer
Wichtigkeit zuordnet (etwa Preis 10 Wichtigkeitspunkte,
Gehäuse 6 Punkte etc.). In einem zweiten Schritt würde
die (subjektive) Qualität der jeweiligen Eigenschaftsaus­
prägungen bewertet, so kann z. B. die Qualität eines jeden
Gehäuses auf einer Skala von 1 bis 5 bewertet werden.
Diese Qualitätsbewertungen werden anschließend mit den
dazugehörigen Wichtigkeiten der Eigenschaften multipli­
ziert. Die Ergebnisse werden dann für jedes Produkt zu ei­
nem Gesamturteil addiert, und dann wird das Produkt mit
dem besten Gesamturteil gekauft. Bei der multiplikativen
Strategie handelt es sich um eine extensive, eigenschafts­
orientierte, konsistente und kompensatorische Strategie.
Sie bildet die Basis einer Reihe von Marktforschungsme­
thoden, wie etwa der Conjoint-Analyse (z. B. Klein, 2002;
Moser & Wolff, 2007).
Die anderen Entscheidungsstrategien stellen demge­
genüber Vereinfachungen, sog. heuristische Strategien
dar. Beispielsweise wird bei der additiv-kompensatorischen
Regel auf die Bestimmung der Merkmalswichtigkeit ver­
zichtet – man zählt einfach nur die positiven Eigenschaften
der Produkte. Bei der lexikografischen Strategie wird auf
die Berücksichtigung aller Produkteigenschaften verzichtet
und lediglich die wichtigste(n) Eigenschaft(en) betrachtet.
Ist bei den Toastern in . Tab. 3.1 das Design die wichtigste
Produkteigenschaft, würde man sich nach der lexikografi­
schen Strategie für Produkt B entscheiden und den hohen
Preis sowie die geringe Leistung dieses Produkts nicht wei­
35
3.5 • Kaufentscheidungen als zielorientiertes Handeln
.. Tab. 3.3 Entscheidungsstrategien
Strategie
Informa­
tionsmenge
Selektivität
Orientierung
Kompensatorisch
Beispiel
Multiplikativ
(additiv gewichtend)
Extensiv
Konsistent
Eigenschafts­
orientiert
Kompensatorisch
„Ich habe verschiedene Produkteigenschaften berücksichtigt, diese unterschiedlich gewichtet und dann das
insgesamt beste gewählt.“
Lexikographisch
Limitiert
Selektiv
Produktorientiert
Nonkompensatorisch
„Ich entschied mich für das Produkt,
das nach dem wichtigsten Merkmal am
besten abschnitt; wenn mehrere Produkte
gut abgeschnitten hatten, entschied
ich mich nach dem zweitwichtigsten
Merkmal.“
Satisficing
(zufriedenstellend)
–a
Selektiv
Produktorientiert
Nonkompensatorisch
„Ich sah mir mehrere Produkte nacheinander an und entschied mich für das erste,
das mir in Ordnung zu sein schien.“
Elimination
nach Eigenschaftsausprägungen
–a
Variabela
Eigenschaftsorientiert
Nonkompensatorisch
„Ich schloss nacheinander die Produkte
mit inakzeptablen Eigenschaften aus.“
Additiv
kompensatorisch
Extensiv
Konsistent
Produktorientiert
Kompensatorisch
„Ich habe verschiedene Eigenschaften
berücksichtigt und das Produkt mit den
meisten guten Eigenschaften gewählt.“
Mehrheitlich
bestätigend
Extensiv
Konsistent
Produktorientiert
Kompensatorisch
„Ich habe zuerst zwei Produkte verglichen.
Das bessere von den beiden habe ich
dann mit dem nächsten verglichen etc.“
Konjunktiv
(abzählend)
–a
Konsistent
Produktorientiert
Kompensatorisch
„Ich kaufte das Produkt mit den wenigsten schlechten Eigenschaften.“
a
Die Ausprägung dieser Eigenschaft ist nicht eindeutig und hängt von der konkreten Entscheidungssituation ab.
ter berücksichtigen. Wann Konsumenten bestimmte Stra­
tegien bevorzugt einsetzen, wird im folgenden Abschnitt
näher erläutert.
3.5
Kaufentscheidungen
als zielorientiertes Handeln
Die erörterten Entscheidungsstrategien zeigen, dass die
Informationssuche und -integration mittels mehrerer
Strategien geschehen kann. Es stellt sich daher die Frage,
wann Konsumenten welche Strategien verwenden. Nach
dem Kontingenzansatz von Bettman et al. (1998) sind es
v. a. zwei Faktoren, die diese Entscheidung bestimmen. Ers­
tens spielen Ziele, die Konsumenten in einer Kaufsituation
verfolgen, eine Rolle. Diese stehen im Ansatz von Bettman
et al. im Vordergrund. Die Autoren heben vier Ziele her­
vor, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. Ein
zweiter Faktor, der die Wahl einer Entscheidungsstra­
tegie beeinflusst, sind Kontextmerkmale, wie etwa die
Produktpräsentation oder Merkmale der Einkaufsstätte.
Kontextfaktoren spielen bei Bettman et al. eine untergeord­
nete Rolle und werden v. a. dann hervorgehoben, wenn sie
die Wahl einer Entscheidungsstrategie beeinflussen. Eine
Übersicht über weitere Kontextmerkmale befindet sich in
der nachfolgenden ▶ Info-Box.
Info-Box
| |
Kontextmerkmale
Neben den Zielen von Konsumenten werden Kaufentscheidungen auch von Kontextmerkmalen beeinflusst.
Im Rahmen des Kontingenzansatzes von Bettman et al.
(1998) werden einige Kontextmerkmale, die die Wahl
einer Entscheidungsstrategie beeinflussen, explizit berücksichtigt, z. B. die Komplexität des Produktangebots
oder fehlende Produktinformationen. In dieser Info-Box
werden weitere Kontextfaktoren vorgestellt, die sich
zwar allgemein auf Kaufentscheidungen auswirken, ob
und wie diese Faktoren die Wahl von Entscheidungsstrategien beeinflussen, bleibt allerdings offen.
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Kapitel 3 • Kaufentscheidungen
Ein produktnaher Faktor ist die Formulierung von
Produkteigenschaften, von der sich Konsumenten
beeinflussen lassen. Prominentestes Beispiel ist der
Framing-Effekt, der sich aus der Prospect Theory
von Tversky und Kahneman (1979) ableiten lässt
(vgl. ▶ Kap. 11). Nach dieser Theorie bildet nicht der
absolute Wert einer Produkteigenschaft die Grundlage
für die Eigenschaftsbewertung, sondern die relative
Differenz zu einem Referenzpunkt. Liegt eine Ausprägung unterhalb des Referenzpunktes, so wird sie als
„Verlust“ betrachtet, liegt sie darüber, so wird sie als Gewinn betrachtet. Darüber hinaus gewichten Personen
Gewinne und Verluste nicht gleich, sondern sie sind im
Rahmen von Kaufentscheidungen verlustaversiv, d. h.
sie gewichten Verluste stärker als Gewinne. Diese Mechanismen lassen sich gezielt für die Formulierung von
Produkteigenschaften nutzen. Eine positive Formulierung im Sinne eines Gewinnes (positiver Frame) deutet
an, dass ein Wert über dem vermeintlichen Referenzpunkt liegt, während eine negative Formulierung im
Sinne eines Verlusts (negativer Frame) andeutet, die
Produkteigenschaft liege unter dem Referenzpunkt.
Dass solche Formulierungsunterschiede tatsächlich die
Beurteilung von Produkten beeinflussen, haben Levin
und Gaeth (1988) in einem Versuch gezeigt, in dem die
Versuchspersonen Hackfleischbeschreibungen beurteilen sollten. Das Hackfleisch wurde entweder als „75 %
mager“ (positiver Frame) oder „25 % Fettgehalt“ (negativer Frame) beschrieben. Es zeigte sich, dass Personen
in der Bedingung mit positivem Frame das Hackfleisch
signifikant positiver beurteilten als Personen in der
Bedingung mit negativem Frame – und das selbst dann
noch, wenn sie das Fleisch kosten konnten (wenn auch
in geringerem Ausmaß).
Mehrere Studien zeigen zudem, dass Merkmale der
Einkaufsstätte einen Effekt auf Kaufentscheidungen
haben. Ob Listen mit einzelnen Einflussfaktoren, wie
etwa Gestaltung der externen (z. B. Eingang, Größe
des Gebäudes) und internen (z. B. Licht, Musik, Geruch)
Umgebung, das Ladenlayout (z. B. Warenanordnung,
Geräumigkeit) oder soziale Faktoren (Personal, Gedränge, vgl. Turley & Milliman, 2000) sinnvoll sind, ist
fraglich. Donovan, Rossiter, Marcoolyn und Neasdale
(1994) postulieren, dass sich solche Aspekte allgemein
auf das emotionale Befinden (Fröhlichkeit [„pleasure“] und Aktivierung) der Konsumenten auswirken.
Das emotionale Befinden wiederum wirkt sich auf
relevante Verhaltensweisen von Konsumenten aus,
wie etwa die Verweildauer im Geschäft oder die Höhe
der Ausgaben. Es muss jedoch berücksichtigt werden,
dass vermutlich nicht die „eine beste Ladenatmo-
sphäre“ existiert, sondern diese von den angebotenen
Produkten und den Zielen der Kunden abhängig ist
(z. B. Bummeln vs. spezifische Kaufabsicht; Kalcheva &
Weitz, 2006).
Auch das Internet kann als Einkaufstätte mit besonderen Eigenschaften betrachtet werden, in dem grundlegende psychologische Prozesse der Kaufentscheidung zwar gleich ablaufen, sich jedoch aufgrund der
Spezifika des Mediums unterschiedliche Bedeutungen
von Einflussfaktoren ergeben können (Punji, 2012). Der
Onlinekauf gilt als komfortabel, da man Fahrtzeiten
und -kosten einsparen und zu jeder Tageszeit Einkäufe
tätigen kann. Die Produktvielfalt ist groß, es besteht
die Möglichkeit, Produktinformationen oder Testberichte abzurufen, und Preisvergleiche sind bequem
per Mausklick erhältlich. Das wohl größte Forschungsinteresse gilt hier dem Vertrauen von Konsumenten
(Darley, Blankson & Luethge, 2010). Da Konsumenten
nur in virtuellem Kontakt mit dem Verkäufer stehen,
besitzen sie weniger Informationen über die Vertrauenswürdigkeit des Händlers. Dies ist beispielsweise bei
der Sicherheit persönlicher Daten (z. B. Kreditkarteninformationen), der Zuverlässigkeit beim Versand oder
der Übereinstimmung der Ware mit ihrer Beschreibung
von Bedeutung (Grabner-Kräuter & Kaluscha, 2003).
Des Weiteren können Waren nur virtuell präsentiert
werden, es fehlen sensorische Informationen (z. B.
bei Parfum, Lebensmitteln oder Möbeln). Hier können
Produktproben, Erfahrungsberichte oder entsprechende Rückgaberegeln den Kauf erleichtern (Spence
& Gallace, 2011). Ein weiterer Aspekt des Onlineshoppings ist das eingeschränkte „Einkaufserlebnis“:
Bummeln und Windowshopping sind in der virtuellen
Welt schwer möglich (Rowley, 2002).
Ein erstes Ziel, das in ökonomischen Theorien eine pro­
minente Rolle spielt, ist, eine akkurate Entscheidung
zu treffen. Konsumenten sind demnach bemüht, das für
ihre Bedürfnisse beste Produkt zu wählen. Die multipli­
kative Strategie stellt hierfür den Königsweg dar, mit dem
in jedem Fall das beste Produkt identifiziert wird – wenn
man mögliche Fehler bei der Eigenschaftsbewertung und
-gewichtung außer Acht lässt (vgl. ▶ Abschn. 3.7). Bei den
anderen Strategien kann es zu suboptimalen Lösungen
kommen, da Informationen nicht beachtet oder nur unge­
nügend gegeneinander abgewogen werden. Beispielsweise
kann die Verwendung der konjunktiven Strategie dazu
führen, dass ein Produkt mit wenigen, aber gravierenden
negativen Eigenschaften gewählt wird, und je nach Prä­
sentationsreihenfolge kann Satisficing zur Wahl eines zu­
friedenstellenden, nicht aber des besten Produkts führen.
37
3.5 • Kaufentscheidungen als zielorientiertes Handeln
Dennoch verwenden Konsumenten diese „subopti­
malen“ heuristischen Strategien. Den Grund hierfür se­
hen Bettman et al. (1998) darin, dass Käufer weitere Ziele
verfolgen, die mit dem Ziel, eine akkurate Entscheidung
zu treffen, in Widerspruch stehen. Bei der Wahl einer Ent­
scheidungsstrategie berücksichtigen Käufer auch
die Vermeidung von Anstrengungen,
die Vermeidung negativer Emotionen und
die Rechtfertigbarkeit von Kaufentscheidungen.
--
Wie in den folgenden Abschnitten erörtert wird, führt
die Berücksichtigung dieser Ziele dazu, dass Käufer nicht
immer die multiplikative Strategie, sondern heuristische
Strategien verwenden.
3.5.1
Anstrengungsvermeidung
Eine akkurate Entscheidung anhand der multiplikativen
Strategie zu fällen, kostet Zeit und Anstrengung: Sämtliche
Eigenschaften aller Produkte müssen begutachtet, bewer­
tet und gewichtet werden. Es ist unmittelbar einsichtig,
dass die multiplikative Strategie bei einer großen Zahl von
Produkten und Produkteigenschaften sehr zeitaufwändig
ist. Konsumenten sind daher nicht immer bereit, die er­
forderlichen Ressourcen aufzubringen, um eine akkurate
Entscheidung zu treffen. Vielmehr sind sie auch daran
interessiert, Anstrengungen zu vermeiden. Konsumenten
greifen deshalb auf weniger aufwändige heuristische Stra­
tegien zurück, auch wenn mit ihnen nicht immer das beste
Produkt identifiziert werden kann. Sie wägen ab, ob sich
der zeitaufwändige Einsatz der multiplikativen Strategie
lohnt oder ob das Risiko, ein zweitklassiges Produkt zu
kaufen, ihnen die Einsparungen an Zeit und Anstrengung
wert sind (Shugan, 1980). Bei der Wahl einer heuristischen
Strategie muss außerdem berücksichtigt werden, dass die
Kosten des Einsatzes unterschiedlicher Strategien nicht
konstant, sondern situationsabhängig sind. Es ergeben
sich somit je nach Situation unterschiedliche Kosten-Nutzen-Relationen für die jeweiligen Strategien. Im Folgen­
den werden drei situative Faktoren vorgestellt, die die
Wahl einer Entscheidungsstrategie beeinflussen, nämlich
Komplexität, Informationsdefizite und Zeitdruck.
Komplexität
Die Komplexität einer Entscheidung wird von der Zahl der
vorhandenen Produkte und der Zahl ihrer Produkteigenschaften bestimmt, d. h. je mehr Produkte und je mehr
Produkteigenschaften vorliegen, desto komplexer die Kauf­
entscheidung. Dies gilt beispielsweise für die Produktviel­
falt im Internet, wo die Entscheidung zwischen 50 ver­
schiedenen Laptoptaschen komplexer ist als die zwischen
nur drei Taschen, da mehr Produkte mit ihren Eigenschaf­
ten berücksichtigt werden müssen. Die Kosten für die
Entscheidung steigen insbesondere für die multiplikative
Strategie stark an: Für jedes weitere Produkt, das zu einem
Sortiment hinzukommt, müssen alle Produkteigenschaf­
ten beachtet, bewertet und in ein Gesamturteil integriert
werden. Denkt man an die Produktvielfalt in einigen Ka­
tegorien, so erscheint die Verwendung der multiplikativen
Strategie manchmal fast unmöglich (z. B. bei der Größe des
Müslisortiments in manchen Supermärkten). Demgegen­
über steigen die Kosten bei der Verwendung heuristischer
Strategien mit zunehmender Komplexität langsamer an.
Bei der mehrheitlich bestätigenden Strategie kommt z. B.
mit jedem weiteren Produkt lediglich ein Produktvergleich
hinzu, und bei der lexikografischen Strategie kann es aus­
reichen, eine einzige Eigenschaft des neuen Produktes zu
beachten. Die Strategien unterscheiden sich also in dem
Ausmaß, mit dem die Kosten bei zunehmender Komple­
xität ansteigen – aber eben auch in der Wahrscheinlichkeit,
eine gute Wahl zu treffen. Welche Entscheidungsgüte mit
heuristischen Strategien realisiert wird, kann nicht pau­
schal beantwortet werden. Dies hängt von den konkreten
Produktalternativen und ihren Ausprägungen ab.
Insgesamt hat sich gezeigt, dass zunehmende Kom­
plexität zur Verwendung weniger komplexer Strategien
führt. Entscheider verwenden mit zunehmender Zahl an
Produkten stärker nonkompensatorische Strategien und
greifen mit steigender Zahl an Produkteigenschaften stär­
ker auf selektive Strategien zurück. So zeigt beispielsweise
Payne (1976), dass Versuchspersonen (Vpn) beim Ver­
gleich von zwei Apartments meist alle Informationen be­
achten und miteinander vergleichen. Beim Vergleich von
sechs oder zwölf Apartments ist dies jedoch nicht mehr
der Fall: Je mehr Informationen vorliegen, desto geringer
ist der relative Anteil von Merkmalen, der beachtet und
in ein Urteil integriert wird. Die Vpn setzen stärker Stra­
tegien wie Elimination nach Eigenschaftsausprägungen
und darüber hinaus auch Strategiekombinationen ein.
Manche Vpn schränkten z. B. in einem ersten Schritt die
Zahl der infrage kommenden Apartments anhand weniger
Produkteigenschaften ein (eliminativ nach Eigenschafts­
ausprägungen) und verwendeten dann in einem zwei­
ten Schritt kompensatorische Strategien (z. B. die additiv
kompensatorische Strategie), um sich für eine Produktal­
ternative zu entscheiden. Interessanterweise bilden einige
Shoppingportale im Internet ähnliche Strategiekombinati­
onen ab, wenn dort etwa die Suche zunächst auf Vier-Ster­
ne-Hotels mit Sauna eingeschränkt werden kann, bevor
man sich über die verbleibenden Alternativen genauer
informiert. Ob darüber hinaus eine höhere Zahl an Pro­
dukten zu geringerer Zufriedenheit mit der Entscheidung
oder dem Verzicht auf einen Kauf führt, ist umstritten.
Die Befunde sind sehr heterogen. Metaanalytisch ergibt
sich ein Nulleffekt (d = 0.02), und es wurden nur wenige
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22
Kapitel 3 • Kaufentscheidungen
Moderatoren identifiziert (Scheibehenne, Greifeneder &
Todd, 2010). Bei Erfahrung in einer Produktkategorie und
stabilen Präferenzen tritt dieser Choice-Overload-Effekt
beispielsweise nicht auf.
Informationsdefizite
Einen weiteren „Kostentreiber“ bei Entscheidungen stellen
Informationsdefizite dar. Oft sind Produktinformationen
unvollständig (z. B. die Kosten für Ersatzteile beim Neu­
wagenkauf), schwer verständlich (ist ein „körniger“ Hem­
denstoff gut?) oder schwer vergleichbar (z. B. bei Käse:
„45 % Fett in Trockenmasse“ vs. „16 % Fett absolut“). In
solchen Fällen sind extensive Strategien, wie die multipli­
kative oder additiv kompensatorische Strategie, nicht ohne
Weiteres anwendbar, denn diese Strategien basieren auf der
Berücksichtigung aller Informationen.
Was können Konsumenten in solchen Fällen unterneh­
men? Zunächst einmal müssen die Informationsdefizite
bemerkt werden. Dies ist eher der Fall, wenn man eigen­
schaftsorientierte Strategien verwendet, da man dabei die
Produkteigenschaften explizit miteinander vergleicht (z. B.
wenn Produkt A auf den Kaloriengehalt hinweist, nicht
aber Produkt B). Des Weiteren fallen Konsumenten Defi­
zite eher auf, wenn sie Erfahrung mit einer Produktkate­
gorie besitzen und die relevanten Kriterien kennen. Haben
Konsumenten Defizite bemerkt, können sie sich überlegen,
ob sie bereit sind, auf diese Informationen zu verzichten,
oder ob sie weitere Anstrengungen unternehmen möchten,
um die fehlenden Informationen einzuholen.
Verzichten Konsumenten auf das Einholen von Infor­
mationen, so können sie versuchen, die fehlenden Informationen zu erschließen (Kardes, Posavac & Cronley,
2004). Dabei versuchen sie, fehlende oder unverständliche
Informationen unter Berücksichtigung der vorhandenen
Informationen zu bestimmen. Es finden dabei zwei Stra­
tegien Anwendung, die jeweils die Eigenschaften anderer
Produkte berücksichtigen. Konsumenten können zum ei­
nen andere Produkte heranziehen und für die fehlende In­
formation eine durchschnittliche Ausprägung annehmen.
Zum anderen können Entscheider auf vermutete Zusam­
menhänge zwischen Produktattributen zurückgreifen und
so fehlende Produktinformationen aus den gegebenen In­
formationen über ein Produkt bestimmen. So wird z. B. bei
teureren Produkten oder solchen mit längerer Garantiezeit
oft eine bessere Qualität vermutet. Auch die Tatsache, dass
es sich um ein Markenprodukt handelt, kann zur Erschlie­
ßung weiterer Produkteigenschaften herangezogen werden
(vgl. ▶ Kap. 7). Die Erschließung von Produkteigenschaf­
ten führt i. d. R. zu einer moderateren Beurteilung des
Produkts, d. h. Produkte mit positiven Ausprägungen in
vorhandenen Informationen werden schlechter, solche mit
negativen Ausprägungen besser beurteilt (Sanbonmatsu,
Kardes, Posavac & Houghton, 1997).
Konsumenten können fehlende Informationen da­
rüber hinaus aktiv suchen. Es können interne und externe
Suchprozesse unterschieden werden. Bei der internen Suche wird auf Informationen zurückgegriffen, die Konsu­
menten bereits im Gedächtnis gespeichert haben. Diese
Informationen basieren sowohl auf eigenen Erfahrungen
(z. B. frühere Käufe) als auch auf Informationen, die Kon­
sumenten aus anderen Quellen lernen (z. B. Werbebot­
schaften). Wird die interne Suche nach Informationen als
nicht ausreichend beurteilt, wird es vermehrt zur externen
Suche kommen, d. h. Konsumenten bemühen sich aktiv,
die fehlenden Informationen in ihrer Umwelt zu finden.
Wollen sie eine möglichst akkurate Entscheidung treffen,
müssen sie in diesem Fall entsprechende Kosten bei der
externen Informationssuche in Kauf nehmen (Strebel, Er­
dem & Swait, 2004).
Das Ausmaß an externer Suche hängt von den Kosten
des Informationserwerbs und dem Nutzen, der durch die
zusätzlichen Informationen zustande kommt, ab („Lohnt
es sich, weitere Preisvergleiche anzustellen, nur um ein paar
Cent zu sparen?“). Persönliche und situative Bedingungen
des Such- und Entscheidungsverhaltens sind Zeitdruck, die
Bedeutung der Entscheidung, die Verfügbarkeit und Qua­
lität von externen Informationen, vorherige Erfahrungen
und das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Entscheidun­
gen zu fällen (Bettman et al., 1998; Blackwell et al., 2001;
Strebel et al., 2004). Die Bedeutung der Entscheidung
drückt sich in der hohen emotionalen Beteiligung oder in
dem hohen wahrgenommenen Risiko aus (z. B. drohende
schwerwiegende Konsequenzen falscher Entscheidungen).
Folgende fünf Faktoren sind hier relevant:
1. Höhe des Preises,
2. Verwendungsdauer,
3. Öffentlichkeit des Konsums,
4. Unsicherheit und
5. Konsequenzen der Entscheidungen.
Das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Entscheidungen
zu fällen, hängt davon ab, wie gut die Eigenschaften ei­
nes Produktes bekannt sind und wie die eigene Fähigkeit,
Marken- oder Produkteigenschaften zu beurteilen, einge­
schätzt wird.
Interessanterweise nimmt das Ausmaß an externer
Suche mit größerer Erfahrung nicht linear ab. Vielmehr
ist der Zusammenhang zwischen externer Suche und
Erfahrung umgekehrt u-förmig, d. h. wenn Personen be­
reits etwas Erfahrung mit einem Produkt besitzen, findet
externe Suche am häufigsten statt (Moorthy, Ratchford
& Talukdar, 1997). Im Gegensatz dazu suchen Personen
ohne Erfahrung seltener, weil sie nicht wissen, wie sie an
Informationen kommen können, und die Informationen
in Ermangelung von Vorwissen verwirrend sein könnten.
Ebenso verzichten Personen mit viel Erfahrung oft auf
39
3.5 • Kaufentscheidungen als zielorientiertes Handeln
externe Suche, da sie auf ihr erworbenes Produktwissen
zurückgreifen können.
Die am häufigsten verwendeten Quellen bei der externen Informationssuche sind Bekannte, Fachzeitschriften,
Fachgeschäfte, Produktanzeigen und das Internet. Strebel
et al. (2004) finden, dass Bekannte eine Sonderrolle ein­
nehmen, denn die Nutzung dieses Kanals ist unabhängig
von den anderen Kanälen, welche sich gegenseitig ersetzen
können. Ältere Personen stützen sich weniger auf Fachin­
formationen und Bekannte, sondern v. a. auf Fachgeschäfte
und allgemeine Zeitschriften. Die Autoren finden außer­
dem, dass Experten eher auf fachbezogene Informationen
(Fachzeitschriften) zurückgreifen, während Laien stärker
Informationen von Bekannten verwenden. Ähnliche Er­
gebnisse berichten Jaillet (2003) für die Suche im Internet,
hier suchen Experten stärker auf fachspezifische Webseiten,
während sich Personen mit geringerer Expertise auf allge­
meinere Seiten, beispielsweise Suchmaschinen, zurückgrei­
fen. Für den Autokauf berichten Kim und Ratchford (2012),
dass die Nutzung des Internets zu einer insgesamt längeren
Suchdauer führt. Obwohl die Suche als effektiver einge­
schätzt wird, werden die Suchkosten hier von Konsumenten
nur ungenügend berücksichtigt (Maity, Hsu & Pelton, 2012).
Zeitdruck
Ein weiterer Faktor, der die Wahl einer Entscheidungs­
strategie beeinflusst, ist Zeitdruck. Nicht immer haben In­
dividuen die Zeit, sich intensiv mit Produkten und ihren
Eigenschaften auseinanderzusetzen, beispielsweise wenn
man „schnell noch Lebensmittel kauft“ oder noch heute
ein Geburtstagsgeschenk benötigt. Eine erste Reaktion
auf Zeitdruck ist, seine Anstrengungen zu verstärken
und schneller zu arbeiten bzw. Entscheidungsstrategien
schneller durchzuführen. Ist die Zeit jedoch sehr knapp
bemessen, reicht schnelleres Arbeiten alleine nicht aus.
Konsumenten verwenden dann stärker nonkompensato­
rische Strategien, die weniger zeitaufwändig sind als z. B.
die multiplikative Strategie. Darüber hinaus haben Payne,
Bettman und Johnson (1988) in Simulationsstudien ge­
zeigt, dass unter sehr hohem Zeitdruck einfachere Stra­
tegien (z. B. eliminativ nach Eigenschaftsausprägungen)
sogar zu besseren Kaufentscheidungen führen können als
die multiplikative Strategie. Dies ist dann der Fall, wenn
die multiplikative Strategie nicht vollständig durchgeführt
werden kann und man sich auf der Basis von Teilergebnis­
sen dieser Strategie entscheiden muss. Ein weiterer Befund
ist, dass bestimmte „Entscheidungsanomalien“ wie der in
▶ Abschn. 3.5.2 erläuterte Kompromisseffekt unter Zeit­
druck seltener auftreten, da andere Entscheidungsstrategien verwendet werden (Dhar, Nowlis & Sherman, 2000).
Dhar und Nowlis (1999) zeigen auch, dass Personen unter
Zeitdruck eher gewillt sind, schwierige Entscheidungen zu
treffen, die sie normalerweise zurückstellen würden. Die
Reduktion dieser Effekte ist darauf zurückzuführen, dass
Konsumenten auf nonkompensatorische Strategien zu­
rückgreifen, bei denen Abwägungen zwischen Produktei­
genschaften eine geringere Rolle spielen.
3.5.2
Vermeidung negativer Emotionen
Kaufentscheidungen sind i. d. R. keine neutralen Ereig­
nisse, sondern mit affektiven Reaktionen verbunden.
Stimmungen und Emotionen, die sich aus der erweiterten
Situation ergeben (z. B. Ladenatmosphäre, Niederlage des
Lieblingsfußballvereins, vgl. Angie, Connelly, Waples &
Kligyte, 2011), spielen ebenso eine Rolle wie die Antizi­
pation von emotionalen Konsequenzen, die aus dem Kauf
eines Produktes resultieren. Emotionen entstehen auch im
Entscheidungsprozess selbst, wenn z. B. die optimale Pro­
duktwahl schwierig ist. Im Folgenden werden zwei Ansätze
vorgestellt, die die Rolle von Emotionen bei Kaufentschei­
dungen thematisieren.
Im Rahmen des Kontingenzansatzes von Bettman et al.
(1998) hat v. a. Luce (im Überblick Luce, Bettman & Payne,
2001) die Vermeidung von negativen Emotionen themati­
siert. Nach diesem Ansatz entstehen negative Emotionen
im Entscheidungsprozess, da man Kompromisse einge­
hen muss: Das hochwertige Designprodukt ist i. d. R. nicht
das billigste, sodass man entweder beim Design oder beim
Preis Abstriche machen und auf eine positive Produktei­
genschaft zugunsten einer anderen verzichten muss. Man
muss sog. ▶ Trade-offs vornehmen, die zu negativen Emo­
tionen führen. Das Erfordernis, Trade-offs vorzunehmen,
ist Folge eines negativen Zusammenhangs zwischen zwei
Produkteigenschaften, z. B. je hochwertiger das Material,
desto höher (d. h. schlechter) der Preis. Je enger dieser
Zusammenhang ist und je wichtiger die beteiligten Ei­
genschaften, umso schwieriger wird eine Entscheidung,
denn man kann nur ein Produkt kaufen, das zumindest
eine schlechte, aber wichtige Eigenschaft aufweist. Konsu­
menten haben in solchen Fällen die sprichwörtliche „Qual
der Wahl“, die sie nach Möglichkeit zu vermeiden suchen.
Nach Luce et al. (2001) existieren zwei Möglichkeiten
um negative Emotionen zu minimieren, und zwar die Ver­
wendung problemlösungsorientierter und emotionsorien­
tierter Bewältigungsstrategien (Lazarus, 1990). Problemlösungsorientierte Strategien zielen direkt auf die Lösung
des Problems und der Verbesserung der Entscheidung.
Eine Möglichkeit ist beispielsweise die Verwendung exten­
siverer Entscheidungsstrategien, bei der sich Konsumenten
eingehender mit den Produkten und ihren Attributen be­
schäftigen. Ein Hinweis darauf, dass Konsumenten pro­
blemlösungsorientierte Strategien einsetzen, ist, dass sie
bei schwierigen Trade-offs länger benötigen, um zu einer
Entscheidung zu gelangen (Luce, 1998).
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22
Kapitel 3 • Kaufentscheidungen
Emotionsorientierte Bewältigungsstrategien zie­
len stärker auf die Vermeidung negativer Emotionen, die
durch schwierige Trade-offs entstehen. Luce et al. (2001)
postulieren, dass Individuen zum einen die Entscheidung
vermeiden, also tatsächlich auf einen Kauf verzichten oder
ihre Entscheidung zunächst aufschieben („noch einmal
darüber schlafen müssen“). Zur Minimierung negativer
Emotionen kann in manchen Situationen auch die Wahl
von Produkten mit bestimmten Eigenschaften geeignet
sein. Hierzu gehört beispielsweise die Wahl einer Status-quo-Option (▶ Beispiel). Darüber hinaus besteht für
Konsumenten die Möglichkeit, eine Entscheidungsstrate­
gie zu wählen, mit der sie Trade-offs nicht explizit beachten
müssen. Dies ist insbesondere bei der Verwendung von
nonkompensatorischen und eigenschaftsorientierten Stra­
tegien der Fall. Nonkompensatorische Strategien basieren
auf dem Prinzip, dass kein Ausgleich einer schlechten Ei­
genschaft durch eine gute stattfindet und somit Trade-offs
nicht beachtet werden müssen. Bei eigenschaftsorientier­
ten Strategien wird zwar jede Eigenschaft für sich beach­
tet und zwischen den Produkten verglichen (z. B. beim
Preisvergleich von Produkten), es kommt jedoch nicht zu
Trade-offs, weil diese auf dem Vergleich unterschiedlicher
Eigenschaften beruhen (z. B. Preis und Sicherheit verglei­
chen). Durch die charakteristische Strategiewahl kommt es
zu Kaufentscheidungen, die im Ergebnis nicht unbedingt
die bestmögliche Alternative repräsentieren, dafür jedoch
zum Ziel der Minimierung negativer Emotionen beitragen.
Beispiel
| |
Luce (1998, hier in Auszügen dargestellt) gab ihren
Versuchspersonen (Vpn) Informationen über Autos und
manipulierte die Qualität der zur Verfügung stehenden
Optionen in drei Bedingungen. In der Kontrollbedingung konnten die Vpn lediglich zwischen den Autos
wählen. In einer zweiten Bedingung konnten sich die
Vpn zusätzlich entscheiden, die Entscheidung aufzuschieben. In einer dritten Bedingung wurde eine Status-quo-Option eingeführt, indem den Vpn mitgeteilt
wurde, sie hätten sich ursprünglich bereits für ein Auto
entschieden gehabt, nun seien jedoch weitere Modelle
auf dem Markt und sie müssten sich erneut entscheiden. Zusätzlich wurde die Schwierigkeit von Trade-offs
(hoch vs. niedrig) manipuliert, indem die Trade-offs
entweder zwischen Stereoanlage und Handhabung
(geringe Schwierigkeit) oder zwischen Sicherheit und
Umweltbelastung (hohe Schwierigkeit) vorgenommen
werden mussten. . Abb. 3.1 zeigt das Ergebnis. In den
Kontrollbedingungen werden die beiden Autos in etwa
gleich häufig gewählt. Wird den Vpn die Möglichkeit gegeben, die Entscheidung aufzuschieben, so wird diese
Option bei schwierigem Trade-off signifikant häufiger
gewählt. Die Vpn vermeiden in diesem Fall negative
Emotionen, indem sie die Entscheidung, die negative
Emotionen auslösen kann, einfach vertagen. Wird den
Vpn in der Status-quo-Bedingung mitgeteilt, sie hätten
sich ursprünglich bereits für Auto A entschieden, so
wird diese Option bei einem schwierigen Trade-off
signifikant häufiger gewählt. Luce nimmt an, dass durch
das Festhalten an der ursprünglich gewählten Option
negative Emotionen vermindert werden. Da die Optionen insgesamt von gleicher Qualität sind, kann man
durch eine Revision der ursprünglichen Entscheidung
wenig gewinnen und man dürfte den Wechsel zu einer
minderwertigen Option stärker bereuen. Insgesamt
entscheiden sich die Vpn bei schwierigem Trade-off
vermehrt für solche Optionen, mit denen negative
Emotionen vermieden werden können.
Eine weitere Theorie, die das Vermeiden negativer Emoti­
onen bei Entscheidungen thematisiert, ist die Theorie des
Bereuens („regret theory“; Bell, 1982; Zeelenberg, 2007).
Die Theorie betrachtet das Ausmaß des Bereuens, das mit
der Wahl eines Produkts einhergeht. Hat man sich für ein
Produkt entschieden und findet im Nachhinein heraus,
dass man besser ein anderes Produkt gekauft hätte, so wird
man Reue empfinden. Reue erleben Konsumenten nicht
nur nach einer Kaufentscheidung, sondern Konsumenten
können das Ausmaß an Reue, das mit einer Option einher­
geht, bereits vor einem Kauf antizipieren und berücksichti­
gen dies in ihren Entscheidungen (Zeelenberg, 2007). Käu­
fer nehmen mögliche Szenarien vorweg, die beim Kauf der
Alternativen auftreten können, und fragen sich, wie stark
sie eine falsche Entscheidung bereuen würden. Zeelenberg
nennt die folgenden Determinanten, die das Ausmaß des
antizipierten Bereuens beeinflussen:
1. Die Schwierigkeit einer Entscheidung: Bei Unsicher­
heit hinsichtlich der Konsequenzen oder bei schwierigen
Trade-offs spielt antizipiertes Bereuen eine größere Rolle.
2. Der Zeitpunkt, zu dem die Konsequenzen eintreten:
Je näher der Zeitpunkt, zu dem Konsequenzen zu er­
warten sind, desto stärker das antizipierte Bereuen.
3. Die Möglichkeit, Informationen über die Produkte
zu erhalten: Wenn Konsumenten erwarten, dass sie
nach dem Kauf Informationen über die Konsequenzen
des nicht gewählten Produkts erhalten (z. B. wenn ein
Freund das Alternativprodukt kauft), spielt antizipier­
tes Bereuen eine größere Rolle.
4. Wichtigkeit einer Entscheidung: Je relevanter die
Konsequenzen einer Entscheidung sind, desto stärker
sind die Effekte antizipierten Bereuens. Hierzu zählt
Zeelenberg (2007) auch soziale Konsequenzen, etwa
41
Wahl in %
3.5 • Kaufentscheidungen als zielorientiertes Handeln
100
Trade-off schwierig
80
Trade-off leicht
60
40
Kontrollbedingung
Bed. mit Aufschieben
Auto B
Auto A
Weitersuchen
Auto B
Auto A
Auto B
0
Auto A
20
Bed. mit Status quo
.. Abb. 3.1 Wahlhäufigkeiten von Optionen bei Manipulation der Möglichkeit, negative Emotionen zu vermeiden. (Aus Luce, 1998, © 1998 by
JOURNAL OF CONSUMER RESEARCH, Inc. • Vol. 24 • March 1998. All rights reserved. Published by the University of Chicago Press.)
wenn Bekannte die Entscheidung für wichtig halten
(vgl. ▶ Abschn. 3.5.3).
Die Regret Theory postuliert, dass Konsumenten versu­
chen, Entscheidungen so zu treffen, dass sie sie nach Mög­
lichkeit nicht bereuen. Konsumenten versuchen, das anti­
zipierte Bereuen zu minimieren. Hat man beispielsweise
die Wahl zwischen einem teuren Markenprodukt und
einem billigen No-Name-Produkt, könnten sich Konsu­
menten fragen, wie ihnen zumute wäre, wenn sie das teure
Markenprodukt kaufen und im Nachhinein herausfinden,
dass das billige Produkt genauso gut ist. Ebenso könn­
ten sie sich fragen, wie ihnen zumute wäre, wenn sie das
billige Produkt kaufen und sich herausstellt, dass es von
schlechter Qualität ist. Konsumenten berücksichtigen in
ihren Entscheidungen, dass sie solche Konsequenzen in
unterschiedlichem Ausmaß bereuen würden und kön­
nen unterschiedliche Strategien zur Vermeidung von Reue
einsetzen, so etwa zu versuchen, bessere Entscheidungen
zu treffen oder diese aufzuschieben (Zeelenberg, 2007).
Im Rahmen eines solchen Szenarios ließ beispielsweise Si­
monson (1992) Versuchspersonen (Vpn) zwischen einem
teuren Markenprodukt und einer günstigen, unbekannten
Alternative wählen und manipulierte gleichzeitig die Anti­
zipation des Bereuens, in dem er einen Teil der Probanden
bat, zu bedenken, welche Gefühle sie im Falle eines Fehl­
kaufs hätten. Entscheidet man sich für das Markenprodukt
und stellt später fest, dass es nicht höherwertig ist, würde
man dies ebenso bereuen wie den Kauf der günstigen Al­
ternative, bei der man feststellt, dass sie nichts taugt. Si­
monson kann zeigen, dass das Bereuen im letzteren Fall
größer ist und Probanden sich im Vergleich zu einer Kon­
trollgruppe in der Bedingung des antizipierten Bereuens
eher für das Markenprodukt entschieden.
Ein Vergleich der beiden hier vorgestellten Theorien
zur Vermeidung von Emotionen zeigt, dass sie in ihren
Vorhersagen recht ähnlich sind, sodass sie eher als ver­
schiedene Perspektiven zu verstehen sind. So postuliert
beispielsweise auch die Regret Theory, dass Personen eine
Änderung des Status quo stärker bedauern, und beide
verweisen auf die Schwierigkeit von Trade-offs als Deter­
minante negativer Emotionen. Beide Theorien postulieren
auch, dass Konsumenten versuchen, negative Emotionen
im Entscheidungsprozess zu vermeiden, und zeigen Mög­
lichkeiten auf, diese zu regulieren. Luce et al. (2001) gehen
sogar davon aus, dass die Regret Theory in ihren Ansatz
integrierbar ist. Dem Bereuen sind auch positive Aspekte
abzugewinnen (Zeelenberg, 2007), da das Vermeiden von
Reue i. d. R. zu subjektiv besseren, d. h. weniger zu bereu­
enden Entscheidungen führen sollte. Die Regret Theory
beinhaltet auch zeitliche Aspekte, so kann man aus einer
Entscheidung, die man bereut, etwas für die Zukunft ler­
nen, während der Ansatz von Luce et al. (2001) stärker auf
das aktuelle Entscheidungsproblem ausgerichtet ist.
3.5.3
Die Rechtfertigbarkeit
von Entscheidungen
Ein weiteres Ziel, das im Kontingenzansatz von Bettman
et al. (1998) eine Rolle spielt, ist die Rechtfertigbarkeit
von Entscheidungen. Konsumenten fragen sich auch, mit
3
42
1
Kapitel 3 • Kaufentscheidungen
Preis (Günstigkeit)
Billig
A
2
B
3
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16
17
18
19
20
21
22
C
D
Markenqualität
Teuer
Gering
Hoch
.. Abb. 3.2 Schematische Darstellung von vier Produkten (A–D), die
sich in Preis und Markenqualität unterscheiden. Auf der dargestellten
Linie liegen Produkte, die sich in ihren Eigenschaftsausprägungen,
nicht aber im Gesamturteil unterscheiden
welchen Gründen man eine Entscheidung rechtfertigen
kann. Neben der Rechtfertigung vor sich selbst müssen
Konsumenten ihre Kaufentscheidungen auch vor ande­
ren rechtfertigen, z. B. wenn diese von anderen kritisiert
werden. Kaufentscheidungen finden also in einem sozialen Kontext statt, und dies wird bereits im Rahmen der
Entscheidung berücksichtigt. Rechtfertigung besitzt auch
eine gewisse Nähe zur Vermeidung negativer Emotionen
(▶ Abschn. 3.5.2), denn der Mangel an „guten Gründen“
kann zum Bereuen einer Kaufentscheidung führen. Die
Regret Theory sieht soziale Faktoren wie Rechtfertigungs­
pflicht sogar als Determinante von Bereuen an.
Gehen Konsumenten davon aus, dass sie sich für den
Kauf eines Produktes rechtfertigen müssen, so kann dies
zum einen zu einer höheren Anstrengungsbereitschaft,
der Verwendung akkuraterer Entscheidungsstrategien
und somit zu besseren Resultaten führen. Die Verwen­
dung der multiplikativen Strategie sollte zur Wahl der
besten Alternative führen, und diese Wahl sollte sich gut
rechtfertigen lassen. Lee, Herr, Kardes und Kim (1999)
zeigen, dass Probanden unter Rechtfertigungsdruck eher
kompensatorische und extensivere Strategien verwenden
als Personen ohne Rechtfertigungsdruck. Allerdings ist
die beste Alternative in vielen Fällen schwer identifizier­
bar, und aufgrund notwendiger Trade-offs müssen Nach­
teile in Kauf genommen werden. Konsumenten neigen in
solchen Fällen dazu, gute Gründe zu konstruieren (Sha­
fir, Simonson & Tversky, 1993). Sie sind auch dankbar,
wenn sie gute Gründe für ihre Entscheidung mitgeliefert
bekommen, die für sie und andere akzeptabel sind (z. B.
„richtige Mütter kaufen …“). Dies hat zur Konsequenz,
dass die erwartete Notwendigkeit, sich zu rechtfertigen,
nicht immer zu besseren Entscheidungen führt (Lerner
& Tetlock, 1999).
Was in einer konkreten Situationen einen guten
Grund darstellt, ist stark von den präsentierten Pro­
duktalternativen und ihren Eigenschaftsausprägungen
abhängig. Diese Kontextabhängigkeit lässt sich besonders
gut daran zeigen, dass Kaufentscheidungen anders aus­
fallen, wenn weitere Alternativen zu einer bestehenden
Auswahl hinzukommen. Das wohl eindruckvollste Bei­
spiel ist der „asymmetrisch dominierte Effekt“, dessen
Prinzip in . Abb. 3.2 verdeutlicht wird (Ariely, 2008; Si­
monson, 1989; ▶ Beispiel). Hierzu werden zunächst nur
die Produkte A und B betrachtet. Können Konsumenten
nur zwischen diesen beiden Produkten wählen, so müs­
sen sie einen Trade-off vornehmen, d. h. sie müssen ent­
weder das billigere Produkt A oder das Markenprodukt
B kaufen. Die Entscheidungen zwischen den Produkten
A und B werden nun mit einer Situation verglichen, in
der ein drittes Produkt C zur Auswahl hinzugefügt wird.
Produkt C schneidet im Vergleich zu Produkt B eindeu­
tig schlechter ab: Seine Markenqualität ist gleichwertig,
aber es ist teurer als B. Man spricht davon, dass Produkt
B das Produkt C dominiert. Studien haben gezeigt, dass
die Erweiterung um Produkt C – im Vergleich zur allei­
nigen Präsentation der Produkte A und B – den Anteil an
Entscheidungen für Produkt B erhöht. Der asymmetrisch
dominierte Effekt besteht demnach darin, dass sich die
Kaufwahrscheinlichkeit des dominierenden Produkts (B)
durch die Erweiterung um eine dominierte Alternative
(C) erhöht. Diesen Effekt können rationale Entschei­
dungstheorien nicht erklären, denn die Hinzunahme
einer irrelevanten (schlechten) Alternative sollte sich
nicht auf die Entscheidung auswirken. Allerdings liefert
Produkt C einen guten Grund, sich für Produkt B zu ent­
scheiden: Die Wahl der dominierenden Alternative lässt
sich leichter rechtfertigen, denn sie ist eindeutig besser als
die dominierte Alternative.
Beispiel
| |
Ariely (2008) ließ Studierende in zwei Bedingungen
zwischen verschiedenen Abonnementvarianten für
eine Zeitschrift wählen (. Abb. 3.3). In Bedingung
A standen ein Online-Abonnement sowie ein kombiniertes Online- und Print-Abonnement zur Wahl,
in Bedingung B wurde als zusätzliche Alternative ein
Print-Abonnement zum Preis des kombinierten Abonnements hinzugefügt. Das kombinierte Abonnement
dominiert das Print-Abonnement, da es umfassender,
aber nicht teurer ist. Asymmetrische Dominanz liegt
vor, da nur das kombinierte Abonnement, nicht aber
das Online-Abonnement eindeutig besser ist als das
Print-Abonnement. Es zeigt sich, dass das Hinzufügen
einer dominierten Alternative, die dementsprechend
nicht gewählt wird, die Wahlanteile der jeweils anderen
Alternativen beeinflusst.
43
3.5 • Kaufentscheidungen als zielorientiertes Handeln
84%
68%
32%
16%
0%
Economist
Online-Abo
(59$)
Economist
Print + OnlineAbo (125$)
Economist
Online-Abo
(59$)
Bedingung A
Economist
Print-Abo
(125$)
Economist
Print + OnlineAbo (125$)
Bedingung B
.. Abb. 3.3 Der asymmetrisch dominierte Effekt (Ariely, 2008)
Ein ähnliches Phänomen beschreibt der Kompromisseffekt (Simonson, 1989), der auftritt, wenn man in
. Abb. 3.2 Produkt D als dritte Alternative (zu den Pro­
dukten A und B) hinzufügt. Produkt D ist insgesamt
gleichwertig, denn Produkt D ist teurer, besitzt aber auch
eine besonders hohe Markenqualität. Der Kompromis­
seffekt führt dazu, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, das
Produkt mit mittlerer Ausprägung (Produkt B) zu kaufen.
Auch hier liefert die Aufnahme des neuen Produkts D ei­
nen guten Grund, Produkt B zu kaufen: Man vermeidet es,
Produkte mit sehr schlechten Eigenschaftsausprägungen
zu kaufen, da diese sich schwer rechtfertigen lassen. Statt­
dessen entscheidet man sich für den Kompromiss.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass „schlechte
Gründe“ die Neigung, ein Produkt zu kaufen, senken
können. Simonson, Carmon und O‘Curry (1994) haben
gezeigt, dass Produkteigenschaften, die als unerwünscht
oder unnötig eingeschätzt werden (z. B. biochemische
Funktionen in Taschenrechnern, Treueplaketten), die
Kaufwahrscheinlichkeit senken können. Die Autoren
argumentieren, dass zum einen ein schlechter Grund
das Produkt insgesamt in einem schlechten Licht daste­
hen lässt und Personen zum anderen befürchten, andere
könnten vermuten, sie hätten das Produkt nur aus diesem
Grund gekauft.
3.5.4
Kaufentscheidungen
als zielorientiertes Handeln –
Fazit und Erweiterungen
Der hier vorgestellte Kontingenzansatz ist der wohl pro­
minenteste Ansatz zur Erklärung von Kaufentscheidun­
gen. Ausgehend von den in ▶ Abschn. 3.4 dargestellten
Entscheidungsstrategien zeigen Bettman und Kollegen,
dass Konsumenten ihre Entscheidungsstrategien in der
Kaufsituation in Abhängigkeit von ihren Zielen flexibel
wählen. Durch die Berücksichtigung von Zielen können
mit diesem Ansatz Phänomene erklärt werden, an denen
ökonomisch-rationale Entscheidungstheorien scheitern.
Bettmann und Kollegen gehen davon aus, dass die
vier vorgestellten Metaziele einen Großteil der Ziele von
Konsumenten abdecken. Ob weitere Ziele existieren, bleibt
allerdings offen, und auch wann welches Ziel relevant ist,
wird nur ansatzweise erläutert, wenn etwa Einflüsse von
Trade-offs oder Zeitdruck nachgewiesen werden. Weitere
Arbeiten machen zudem deutlich, dass Konsumenten Ziele
nicht nur bewusst auswählen oder bestimmen, sondern
dass Ziele auch unbewusst aktivierbar sind. So zeigen etwa
Chartrand, Huber, Shiv und Tanner (2008), dass durch Priming von Prestige oder Sparsamkeit (Tiffany vs. Wal Mart)
die Produktwahl (prestigereiches Markenprodukt vs. güns­
tige Handelsmarke) beeinflusst wird. Priming erhöht die
Zugänglichkeit des Primes und der mit ihm assoziierten
Konzepte, so dass diese die bewusste Verarbeitung weiterer
Informationen beeinflussen können. So lässt sich vermu­
ten, dass durch das Priming von Prestige in der bewussten
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22
Kapitel 3 • Kaufentscheidungen
Entscheidung für ein Produkt Attribute, die mit dem Prime
assoziiert sind (Markenprodukt), stärker gewichtet werden
als andere, deren Zugänglichkeit nicht durch Priming er­
höht wurde.
Ganz allgemein wird in letzter Zeit die Fokussierung
der Konsumentenforschung und des Kontingenzansat­
zes auf bewusste Prozesse hinterfragt. Nimmt man die in
▶ Abschn. 3.3 vorgestellte Typologie als Ausgangspunkt,
so sind mit dem Kontingenzansatz insbesondere extensive
und limitierte Kaufentscheidungen gut erklärbar, da diese
Typen Aufmerksamkeit, d. h. eine bewusste kognitive Ver­
arbeitung von Information voraussetzen. Habitualisierte
und Impulskäufe lassen sich weniger gut erklären, da hier
reaktive (reizgesteuerte) Komponenten eine stärkere Rolle
spielen. Neben bewussten Prozessen, die der Introspek­
tion zugänglich sind, existieren weitere Prozesse, die weit­
gehend synonym als unbewusst (Dijksterhuis & Nordg­
ren, 2006), automatisch (Chartrand, 2005) oder implizit
(Strack, Werth & Deutsch, 2006) bezeichnet werden und
Kaufentscheidungen beeinflussen.
Im Rahmen des „unconscious thought effect“ postu­
lieren Dijksterhuis und Kollegen (z. B. Bos, Dijksterhuis
& van Baaren, 2011), dass unbewusste Prozesse die Qua­
lität von Entscheidungen unter bestimmten Umständen
sogar verbessern können, wie es auch im Alltäglichen mit
dem Phänomen des Überschlafens einer Entscheidung
beschrieben wird (Bos et al., 2011). Nehmen Probanden
Informationen über Produkte auf und werden dann für
einige Minuten abgelenkt, so dass keine bewusste Elabo­
ration der Informationen möglich ist, so wählen sie im
Anschluss bessere Optionen als Probanden, die direkt
eine Entscheidung trafen (▶ Info-Box) oder im gleichen
Intervall bewusst über diese Wahl nachdenken mussten
(vgl. Strick, Dijksterhuis, Bos, Sjoerdsma & van Baaren,
2011). Bos et al. zeigen, dass die Informationen auch unter
Ablenkung, d. h. ohne Aufmerksamkeit weiter integriert
und verarbeitet werden. Die Relevanz des Effektes ist um­
stritten. Eine Metaanalyse von Strick et al. (2011) zeigt,
dass der Effekt einerseits klein aber robust ist, andererseits
aber von einer Reihe von Randbedingungen abhängig
ist. So tritt er nur bei komplexen Entscheidungen auf, bei
denen die Zahl der zu verarbeiteten Produkte und At­
tribute die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses übersteigt
und wenn Personen das Ziel, sich über die Produkte ei­
nen allgemeinen Eindruck zu verschaffen, verfolgen, nicht
aber bei spezifischeren Zielen (z. B. das sicherste Produkt
auswählen). Zudem ist der Effekt an die Zeitvorgabe bei
der bewussten Wahl und auf Szenarien mit simplen At­
tributausprägungen begrenzt (Payne, Samper, Bettman
& Luce, 2008).
Info-Box
| |
Der „unconscious thought effect“
In Experiment 2 von Bos et al. (2011) wurden 72 Probanden jeweils zwölf dichotome Eigenschaften („ist
umweltfreundlich“ – „ist nicht sehr umweltfreundlich“)
von vier Autos dargeboten. Die insgesamt 48 Eigenschaften wurden in zufälliger Reihenfolge für je 4 s auf
einem Bildschirm eingeblendet. Für zwei dieser Autos
(Qualitätsalternativen) waren vier wichtige Eigenschaften (z. B. Verbrauch, Fahrverhalten) positiv und
acht unwichtige Eigenschaften (Getränkehalter, Zahl
der Auspuffrohre) negativ ausgeprägt; für die beiden
anderen Autos (Häufigkeitsalternativen) waren die acht
unwichtigen Eigenschaften positiv, die vier wichtigen
negativ ausgeprägt. Nach der Darbietung der Eigenschaften wurden die Probanden zufällig in zwei Bedingungen aufgeteilt. In der sofortigen Entscheidungsbedingung sollten die Probanden direkt im Anschluss die
vier Autos beurteilen, in der „unconscious thought“-Bedingung sollten die Probanden für fünf Minuten eine
komplizierte Aufgabe bearbeiten (Vergleich von Ziffern
in Zahlen an unterschiedlichen Positionen), die ihre
kognitive Kapazität beansprucht und so ein bewusstes
Nachdenken über die Attribute der Autos verhindert.
Erst dann wurden sie gebeten, die Autos zu beurteilen.
Für die Auswertung wurde ein Differenzwert zwischen
den Beurteilungen der besseren Qualitätsalternativen
und der Beurteilung der schlechteren Häufigkeitsalternativen gebildet. Tatsächlich zeigt dieser Wert, dass
Probanden in der „unconscious thought“-Bedingung
die Qualitätsalternativen gegenüber den Häufigkeitsalternativen im Vergleich zu Probanden der sofortigen
Entscheidungsbedingung bevorzugen. Die Autoren
postulieren, dass sich die Probanden auch während
der Ablenkungsaufgabe unbewusst weiter mit den
Produkten beschäftigten und dabei eine sinnvolle
Gewichtung der gezeigten Attribute vorgenommen
hatten. Die schwächeren Urteile der Probanden in der
sofortigen Entscheidungsbedingung werden auf das
Fehlen der Gelegenheit zur weiteren unbewussten
Verarbeitung zurückgeführt.
Bos et al. (2011) befragten die Probanden im Anschluss
an die Urteile auch nach der subjektiven Wichtigkeit
der zwölf Attribute, die wiederum in einer Differenz
zwischen wichtigen und unwichtigen Attributen zusammengefasst wurde. Zwischen dieser Differenz und
der Beurteilung der vier Autos ermittelten die Autoren
einen signifikanten Zusammenhang von r = .58 für die
„unconscious thought“-Bedingung und einen nicht
signifikanten Zusammenhang in der sofortigen Entscheidungsbedingung.
45
3.6 • Rationalität von Kaufentscheidungen
Es existieren Modelle, die unbewusste und bewusste Pro­
zesse gemeinsam abbilden (Dijksterhuis & Nordgren, 2006;
Strack et al., 2006). In ihrem Reflective-Impulsive-Model
postulieren Strack et al. (2006) zwei Systeme. Das eine ist
ein reflektives System, das auf der kognitiven Verarbei­
tung von Produktalternativen basiert. Hier können se­
mantische und mathematische Beziehungen zwischen Re­
präsentationen abgebildet und verarbeitet werden, wie sie
etwa Entscheidungsstrategien (vgl. . Tab. 3.3) und damit
extensiven und limitierten Kaufentscheidungen zugrunde
liegen. Auch das Entwickeln von Plänen und Absichten ist
im reflektiven System verortet. Weiterhin postulieren die
Autoren ein impulsives System, das auf unbewussten, as­
soziativen Verknüpfungen zwischen Konzepten basiert, die
durch externe Stimuli oder bewusstes Nachdenken aktiviert
werden. Beide Systeme beeinflussen sich gegenseitig, sodass
die Aktivierung impulsiver Konzepte Einfluss auf bewusste
Entscheidungen nehmen kann, wie dies beim Priming der
Fall ist, und reflektive Prozesse im impulsiven System weiter
verarbeitet werden, wie etwa beim „unconscious thought
effect“. Habitualisierte Käufe werden beispielsweise als er­
lernte assoziative Verknüpfungen im impulsiven System in­
terpretiert (Wood & Neal, 2009), Impulskäufe basieren auf
externen Stimuluskonstellationen. Beide lösen ohne Betei­
ligung bewusster Prozesse einen Anstoß zum Kauf aus, der
dann unter Beteiligung des reflektiven Systems ausgeführt
oder unterdrückt wird und in entsprechendes Verhalten
(Gang zur Kasse, Bezahlen) mündet.
3.6
Rationalität
von Kaufentscheidungen
Viele der oben genannten Beispiele erwecken den Ein­
druck, Konsumenten träfen nicht immer rationale Kauf­
entscheidungen. Impulskäufe, das Festhalten an Gewohn­
heiten oder das Phänomen des asymmetrisch dominierten
Effekts beschreiben „suboptimale“ Entscheidungen. Immer
wieder findet sich daher die Behauptung, eine Vielzahl
von Kaufentscheidungen würde nicht gemäß ökonomisch
ratio­naler Prinzipien gefällt.
Die Frage, was genau unter Rationalität zu verstehen
ist, lässt sich jedoch nur schwer klären und bleibt in der
Forschung umstritten. In der Ökonomie gilt eine Kaufent­
scheidung als ökonomisch rational, wenn sie den subjekti­
ven Nutzen maximiert (v. Neumann & Morgenstern, 1961;
vgl. ▶ Kap. 11), was i. d. R. die Verwendung der multiplika­
tiven Entscheidungsstrategie voraussetzt. Solche Theorien
postulieren, dass rationale Entscheidungen zumindest ei­
nige Regeln erfüllen sollten, wie etwa die konstante Wahl
einer Alternative, wenn schlechtere Alternativen hinzu­
kommen. Beispiele wie der asymmetrisch dominierte Ef­
fekt verletzen diese Regel; demnach handeln Konsumenten
nicht immer rational (und klassische ökonomische Theo­
rien können menschliches Entscheiden nicht abbilden).
Oft nehmen diese Theorien auch an, dass Produkte und
ihre Eigenschaften prinzipiell bekannt und bewertbar sind,
was nicht immer der Fall ist. Zudem kann argumentiert
werden, dass Kosten-Nutzen-Abwägungen auch den Ver­
zicht auf die multiplikative Strategie nahe legen. Beispiels­
weise wurde in ▶ Abschn. 3.5.1 angesprochen, dass die
multiplikative Strategie Zeit benötigt und unter Zeitdruck
zu suboptimalen Ergebnissen führen kann oder dass der
Kauf eines Produkts mit unbedeutenden Konsequenzen
den Aufwand der multiplikativen Strategie kaum recht­
fertigt. Andere Autoren (z. B. Becker, 1993) gehen davon
aus, dass Kaufentscheidungen generell rational getroffen
werden. Geht man von der individuellen mentalen Reprä­
sentation der Produkte, ihrer Vor- und Nachteile sowie der
Ziele der Käufer aus, so lässt sich jede Kaufentscheidung
rational begründen. Diese Argumentation würde jedoch
das Kriterium der Rationalität überflüssig machen.
Ein Ansatz, der hier Orientierung verspricht, ist der
von O‘Shaugnessy (1987), der den Begriff der Rationalität
vermeidet und stattdessen die Frage aufgreift, wann Kon­
sumenten nicht weise entscheiden. Nach O‘Shaugnessy
existieren vier Faktoren, die zu solchen nicht weisen Ent­
scheidungen beitragen (. Abb. 3.4).
Der 1. Faktor umfasst die Rationalität des Kaufbedürfnisses, z. B. wenn Konsumenten ihre eigenen Bedürfnisse
unklar sind, wenn sie also nicht wissen, was sie benötigen,
welche Attribute besonders wichtig sind usw. Dabei geht
O‘Shaugnessy (1987) davon aus, dass Bedürfnisse prinzi­
piell rational sind, nicht jedoch die Prioritäten, die ihnen
eingeräumt werden. Konsumenten können demnach ein
Produkt wählen, das ihre Bedürfnisse insgesamt weniger
gut befriedigt als ein anderes Produkt. Die Wahl eines
Handytarifs könnte hierfür ein Beispiel sein. Hier kann
der Konsument zwischen Tarifen mit unterschiedlichen
Grundgebühren, Telefonkosten, Vertragslaufzeiten und
Freiminuten entscheiden und könnte so eine Entschei­
dung treffen, die optimal zu seinen Bedürfnissen passt.
Allerdings dürfte es Konsumenten schwer fallen, ihre Be­
dürfnisse exakt zu bestimmen, zudem können sie sich im
Laufe der Vertragslaufzeit ändern, so dass Unsicherheit
hinsichtlich der Bedürfnisse besteht. Den besten Tarif zu
wählen, dürfte sehr schwierig sein.
Ein 2. Faktor ist nach O‘Shaugnessy (1987) das Wissen um die relevanten Alternativen. Auch wenn Konsu­
menten meinen, sie überblickten „den Markt“, könnten
sie das beste Produkt übersehen, weil es nur in einem ab­
gelegenen Geschäft erhältlich ist. Auch die Verwendung
selektiver Strategien mit zunehmender Komplexität des
Produktangebots kann dazu führen, dass Alternativen
übersehen oder nicht angemessen beurteilt werden (vgl.
▶ Abschn. 3.5). Konsumenten können demnach nicht
3
46
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4
Kapitel 3 • Kaufentscheidungen
Rationales Entscheiden
„nicht-weises“ Entscheiden
1. Rationalität des Bedürfnisses
• Unklare Bedürfnisse
2. Wissen um relevante Alternativen
• Informationsdefizite
3. Korrekte Faktenwahrnehmung
• Mangelndes Verständnis
• Persönliche Wünsche
• Erwartungen
4. Rationale Informationsverarbeitung
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22
Mangelnde Kompetenzen
Denkroutinen
Wunschdenken
Werthaltungen
Emotionen
.. Abb. 3.4 Vier Faktoren, die rationales Entscheiden beeinflussen. (In Anlehnung an O‘Shaugnessy, 1987, © Oxford University Press)
weise entscheiden, wenn sie zu wenige Informationen be­
sitzen. Eine Rolle spielen dabei Einschätzungen über Un­
terschiede zwischen den Produkten. Kommt man zu dem
Schluss, alle Produkte seien sehr ähnlich, ist man weniger
geneigt, weitere Produkte zu sichten. Umgekehrt lohnt es
sich auch nicht, bei großen vermuteten Unterschieden sehr
genau zu suchen, da man die Unterschiede ja schon auf den
ersten Blick erkennen kann.
Ein 3. Faktor bezieht sich auf die korrekte Wahrnehmung von Fakten. Konsumenten besitzen nicht immer das
notwendige Wissen, um Produkteigenschaften und deren
Relevanz für ihre Bedürfnisse einzuordnen. In der Tat hat
sich ein ganzer Forschungszweig mit der Frage befasst, in
welchem Umfang Konsumenten Informationen, die sie aus
bestimmten Medien erhalten, nicht oder falsch verstehen
(vgl. u. a. Jacoby & Hoyer, 1990). Oftmals werden Informa­
tionen selektiv verzerrt oder ignoriert, weil sie nicht mit
den Wünschen des Käufers in Einklang stehen. Beispiels­
weise können real nicht existierende Unterschiede zwi­
schen Markenartikeln und „No-Name-Artikeln“ ignoriert
oder umgedeutet werden. Ebenso können Erwartungen die
Faktenwahrnehmung beeinflussen (vgl. auch ▶ Info-Box in
▶ Abschn. 3.5).
Der 4. Faktor thematisiert die korrekte Verarbeitung
von Informationen. O‘Shaugnessy (1987) spricht hier
insgesamt fünf Aspekte an, durch die es zu einer verzerr­
ten Verarbeitung von Informationen kommen kann (vgl.
. Abb. 3.4). Bei mangelnden Kompetenzen könnte bei­
spielsweise aus den gegebenen Fakten eine falsche Schluss­
folgerung gezogen werden oder Konsumenten verrechnen
sich beim Vergleich von Preisen pro Mengeneinheit. Auch
Denkgewohnheiten können zu falschen Schlüssen führen,
wenn etwa der „erste Eindruck“ einer Produktpackung
überbewertet wird oder wenn man sich darauf verlässt,
dass größere Verpackungen mehr nutzbaren Inhalt bie­
ten (was bei Konzentraten nicht gilt). Des Weiteren geben
sich Konsumenten Wunschdenken hin, das insbesondere
von Werbebotschaften angesprochen wird, beispielsweise
dass Pickelcremes zu einem attraktiven Partner führen
oder ein ganz bestimmtes Bier mehr Spaß und Aufregung
bringt. Verzerrungen können sich auch aus komplexeren
Überzeugungssystemen ergeben, die mit der angemes­
senen Verarbeitung von Fakten konfligieren; ▶ Kap. 11).
Wenn man beispielsweise allen Produkten aus einem
Herkunftsland grundsätzlich misstraut, wird man zumin­
dest einige wenige gute Produkte übersehen. Schließlich
können auch Emotionen zu Verzerrungen führen, wie die
Diskussion um die Vermeidung negativer Emotionen in
▶ Abschn. 3.5.2 gezeigt hat.
3.7
Ausblick
Dieser Beitrag nimmt eine konsumentenorientierte Per­
spektive ein, um einen Einblick in Erleben und Verhalten
von Konsumenten bei Kaufentscheidungen zu geben und
um unterschiedliche Formen von Kaufentscheidungen
zu ordnen. Wir haben eine Typologie vorgestellt sowie
einen Kontingenzansatz, der aufzeigt, wie Kontextfak­
toren und Ziele von Konsumenten die Wahl einer Ent­
scheidungsstrategie mitbestimmen. Im Rahmen dieser
Ansätze wurde eine Vielzahl an Forschungsergebnissen
präsentiert.
Welche praktische Relevanz besitzen die hier darge­
stellten Forschungsergebnisse? Zur Beantwortung dieser
Frage ist es notwendig, die Konsumentenperspektive
gegen eine stärker produktorientierte Sichtweise zu tau­
schen. So ist beispielsweise das Wissen, welcher Entschei­
dungstyp vorherrscht, welche Entscheidungsstrategien
und Ziele beim Kauf eines Produkts eine Rolle spielen, von
Bedeutung, wenn es um die Bewerbung oder Änderungen
von Produkten geht. Produkte, bei denen Rechtfertigbar­
keit als Ziel eine Rolle spielt, sollten „gute Gründe“ für
einen Kauf hervorheben. Wenden Konsumenten beim
47
3.7 • Ausblick
Kauf eines Produkts vorwiegend nonkompensatorische
Strategien an, ist es von besonderer Bedeutung, bei re­
levanten Produkteigenschaften gut abzuschneiden, da
z. B. ein zu hoher Preis durch Qualität nicht kompensiert
werden kann. Der Ansatz von Bettman et al. (1998) zeigt
allerdings auch die Grenzen dieser produktorientierten
Sichtweise auf. Kaufentscheidungen sind auch kontext­
abhängig, beispielsweise bestimmt auch das angebotene
Sortiment, für welches Produkt sich Konsumenten ent­
scheiden. Für die Marktforschung bedeutet dies, dass zur
Untersuchung von Kaufentscheidungen ein realistisches
Produktangebot die Validität von Prognosen verbessern
kann. Ebenso bestimmt das Sortiment eines Geschäfts,
welche Produkte attraktiv erscheinen. Bei großen Sorti­
menten verwenden Konsumenten stärker nonkompen­
satorische Prozesse, bei denen die infrage kommenden
Produkte relativ früh eingegrenzt werden. Es ist hier für
Produkte besonders wichtig, auf den relevanten Eigen­
schaften gute Ausprägungen vorzuweisen. Phänomene
wie der Kompromisseffekt oder der asymmetrisch do­
minierte Effekt zeigen auch, dass Sortimentsänderungen
zu unerwarteten Verschiebungen in Kaufentscheidungen
führen können; wenn beispielsweise das teuerste Produkt
aussortiert wird, könnte sich dies auf die Kaufbereitschaft
für das zweitteuerste Produkt auswirken.
In der Wirtschaftspsychologie existieren weitere verwandte Forschungsbereiche, die hier nur am Rande
betrachtet wurden. So wird mit dem Fokus auf Kaufent­
scheidungen nur ein Ausschnitt des gesamten Konsumprozesses beleuchtet. Der Konsumprozess wird allgemein in
mehrere Phasen unterteilt (Blackwell et al., 2001), nämlich
1. Bedürfniswahrnehmung,
2. Informationssuche,
3. Evaluation von Alternativen,
4. Kaufentscheidung,
5. Konsum,
6. Evaluation nach dem Konsum und
7. Entsorgung des Produkts.
Im Vordergrund dieses Kapitels stehen die Phasen 2–4.
Ein weiterer Punkt, der hier nicht betrachtet wurde,
sind sog. nicht vergleichbare Wahlen („noncomparable
choices“) zwischen Produkten, die nicht dasselbe Bedürf­
nis befriedigen. Beispielsweise könnten sich Konsumenten
fragen, ob sie ein Auto oder ein Motorrad als Fortbewe­
gungsmittel kaufen, oder sie müssen bei knappem Bud­
get zwischen einem Paar Schuhe und dem Besuch eines
Open-Air-Konzerts wählen. Die wenigen existierenden
Forschungsarbeiten zu diesem Thema zeigen, dass Konsu­
menten versuchen, die Produkte anhand von abstrakteren
Eigenschaften zu vergleichen, wie etwa der Nutzungshäu­
figkeit oder der zu erwartenden Freude am Produkt (z. B.
Johnson, 1984).
Weitere Aspekte werden in anderen Kapiteln vertieft.
▶ Kap. 7 beschäftigt sich mit der Wirkung von Marken,
und ▶ Kap. 11 geht näher auf die Preiswahrnehmung ein.
In beiden Kapiteln wird auch die Sichtweise des Marke­
tings, die wir hier außen vor lassen, aufgegriffen und es
werden Dinge wie Preis- und Produktpolitik oder Mar­
kenmanagement thematisiert. Auch methodische Aspekte
haben wir in diesem Kapitel weitestgehend ausgeklammert
und verweisen hierfür auf ▶ Kap. 10. Es ist des Weiteren
von entscheidender Bedeutung, dass wir in diesem Kapitel
fast ausschließlich Forschung präsentieren, die Kaufentscheidungen thematisiert. Wir haben somit eine Vielzahl
von Arbeiten vernachlässigt, die Präferenzen und Urteile
von Konsumenten erfassen, bei denen Versuchspersonen
z. B. Produkte in eine Rangreihe bringen oder über jedes
Produkt ein Urteil abgeben müssen. Solche Änderungen in
der Wahl der abhängigen Variable (Entscheiden vs. Urtei­
len) sind nicht trivial: Es gibt eine ganze Reihe von Studien
zur sog. Präferenzumkehr, die zeigen, dass Personen, fragt
man sie, für welches Produkt sie sich entscheiden würden,
nicht immer dasjenige Produkt wählen, das sie in einer
Urteilsaufgabe als das beste beurteilen (z. B. Nowlis & Si­
monson, 1997).
??
Kontrollfragen
1. Zeigen Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten
von Impulskäufen und habitualisiertem Käufen auf.
2. In einem Online-Shop können Sie die Vielzahl
angebotener Produkte reduzieren, in dem Sie per
Click alle Produkte, die in einer Eigenschaft unerwünschte Ausprägungen aufweisen, ausschließen.
Welcher Entscheidungsstrategie ähnelt dies?
3. Welche Konsequenzen resultieren aus schwierigen
Trade-offs zwischen Produkteigenschaften?
4. Welche Faktoren beeinflussen, ob Konsumenten
„Bereuen“ in ihre Entscheidungen einfließen lassen?
5. Geben Sie ein Beispiel, in dem Konsumenten eine
irrationale Entscheidung treffen.
Fazit
Dieses Kapitel gibt einen Einblick in die Forschung und den
Wissensstand über Kaufentscheidungen. Dabei wird gezeigt,
wie sich Kaufentscheidungen, die durch eine große Bandbreite an unterschiedlichen Verhaltensweisen charakterisiert
sind, im Rahmen einer Typologie einteilen und beschreiben
lassen. Es wird außerdem dargelegt, dass Individuen über ein
großes Arsenal an Entscheidungsstrategien verfügen und sie
dieses in Abhängigkeit von ihren Zielen und dem jeweiligen
Kontext nutzen.
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22
Kapitel 3 • Kaufentscheidungen
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3
51
Erfolgreiches Überzeugen
durch Argumente
Dieter Frey, Peter Fischer, Andreas Kastenmüller,
Tobias Greitemeyer, Klaus Moser
4.1
Grundlagen des Überzeugens – 52
4.1.1
4.1.2
4.1.3
Offenheit und kritisches Denken – 52
Die Rolle von Argumenten in Theorien zur Einstellungsänderung – 52
Argumente als „Bäume“: Der Baum als Symbol
für eine Argumentationskette – 53
4.2
Kommunikationsinhalte – Qualität von Argumenten – 53
4.2.1
4.2.2
Verständlichkeit – 53
Zweiseitige Argumentation – 55
4.3
Qualität von Argumenten – Randbedingungen
ihrer Wirksamkeit – 59
4.3.1
4.3.2
Eigenschaften des Senders – 59
Eigenschaften des Empfängers – 59
4.4
Ein Beispiel eines integrativen
argumentorientierten Programms – 62
Literatur – 63
K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie, Springer-Lehrbuch,
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
4
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22
Kapitel 4 • Erfolgreiches Überzeugen durch Argumente
„Erfolg ersetzt alle Argumente. Schlechte Argumente bekämpft man am besten, indem man ihre Darlegung nicht
stört.“ (Salvador Dali)
Erfolgreiches Überzeugen scheint gute Argumente vorauszusetzen, aber auch seine Grenzen zu haben. Man glaubt
beispielsweise, dass eine Gehaltserhöhung gerechtfertigt wäre, da man verbesserte Umsätze erzielt oder eine
Zusatzqualifikation erworben hat. Dennoch wird das
zusätzliche Entgelt verweigert. Kurz darauf erfährt man
vielleicht sogar, dass ein Kollege, der weitaus weniger berufliche Leistung erbringt, ein erheblich höheres Gehalt
hat als man selbst. Oder: Man glaubt, in einem Rechtsstreit über die besseren Argumente zu verfügen und ist sich
deshalb sicher, den Prozess zu gewinnen. Dem Verteidiger
des Gegners gelingt es jedoch, die Argumentationskette
zu schwächen, sodass man den Prozess verliert. Warum
auch an sich gute Argumente erfolglos sind, kann unterschiedlich erklärt werden: Beispielsweise werden eigentlich
schlagkräftige Argumente nicht adäquat vermittelt, oder
die Rezipienten können nicht gewillt sein, sich gute Argumente anzuhören, weil sie dadurch Meinungen, zu denen
sie schon ein bestimmtes Commitment (d. h. Bindung) aufgebaut haben, infrage stellen lassen würden. Im folgenden
Beitrag soll daher nicht nur dargestellt werden, wie überzeugende Argumente aussehen und wie sie aufgebaut sind,
sondern auch, unter welchen Umständen sie so vermittelt
werden können, dass sie erfolgreich sind.
Zunächst werden einige Grundlagen vorgestellt, die
erfolgreiches Überzeugen durch Argumente ermöglichen.
Anschließend gehen wir im Hauptteil auf inhaltliche Aspekte von Argumenten ein und erörtern zu beachtende
Randbedingungen der Wirksamkeit. Genauer gesagt, werden wir zunächst auf Merkmale verständlicher Argumente
eingehen und dann auf Ursachen für eine fehlende oder
nicht ausreichend große Offenheit der Rezipienten für Argumente. Abschließend wird ein beispielhaftes integratives
Modell des Überzeugens durch Argumente dargestellt.
4.1
4.1.1
Grundlagen des Überzeugens
Offenheit und kritisches Denken
Um Rezipienten durch Argumente überzeugen zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein.
Natürlich muss es verständliche Argumente geben, die
Rezipienten müssen aber auch offen für Argumente sein.
Wie wichtig Offenheit ist, mag ein Exkurs in die Wissenschaftstheorie unterstreichen. Sir Karl Popper, wohl einer
der einflussreichsten Wissenschaftstheoretiker der Neuzeit
(vgl. Popper, 1973), machte den sog. „kritischen Rationalismus“ als Denk- und Geisteshaltung bekannt. In seinem
Zentrum steht die Wichtigkeit eines kritisch-rationalen
Dialogs. Zunächst ist es vor allem in der Wissenschaft
notwendig, dass Argumente auf der Basis von Kritik und
Vernunft – d. h. hierarchiefrei und ohne Dogmatismus –
ausgetauscht werden, damit Fortschritte erzielt, zumindest
aber unzulängliche Theorien identifiziert werden können.
Solch ein kritisch-rationaler Dialog, wie ihn Popper (1973)
für die Wissenschaft fordert, möchte er dann aber auch auf
die Gesellschaft übertragen wissen: Der kritisch-rationale
Dialog ist für ihn die Philosophie für eine offene Gesellschaft. Das heißt nicht, dass kritisch-rationale Diskussionen ohne Leidenschaft geführt werden sollen, aber es zählt
letztlich immer das Argument statt die Macht (statt „Ober
sticht Unter“). Es wird somit deutlich, dass Offenheit eine
Grundvoraussetzung dafür ist, dass durch Argumente
überzeugt werden kann. Und wir ergänzen: Dies gilt auch
für das Individuum! Wie wir sehen werden, gibt es allerdings eine ganze Reihe von Ursachen, warum Individuen
nicht offen für Argumente sind.
4.1.2
Die Rolle von Argumenten in
Theorien zur Einstellungsänderung
Zwei zentrale Theorien, die die Wirkung von Argumenten auf Einstellungen beschreiben und vorhersagen, sind
das Elaboration-Likelihood-Modell (ELM; Petty & Cacioppo, 1986) und das Heuristic-Systematic-Model (HSM;
Chaiken, Giner-Sorolla, & Chen, 1996). Beide Modelle
besagen, dass Menschen Argumente entweder auf dem
zentralen Weg (systematische, d. h. aufwändige, analytische und umfassende Verarbeitung von Informationen)
oder auf dem peripheren Weg (heuristische, d. h. wenig
aufwändige Verarbeitung von Informationen nach einfachen Entscheidungsregeln [Heuristiken]) verarbeiten (als
Überblick siehe Bohner & Dickel, 2011; Glasman & Albarracin, 2006; vgl. auch ▶ Kap. 2). Im Falle des zentralen
Wegs steht das Argument an sich, also dessen Qualität und
dessen Inhalt im Vordergrund. Beim peripheren Weg achtet man hingegen auf Aspekte der Botschaft, die eher das
Umfeld des Arguments betreffen, Heuristiken oder periphere Reize spielen eine Rolle. Typische Heuristiken sind
„Expertenstatements kann man vertrauen“ oder „Mehrheitsmeinungen sind richtig“. So werden Produkte, für die
vermeintliche Experten werben (z. B. Zahnarztfrauen für
Zahnbürsten), positiver beurteilt, als wenn vermeintliche
Laien für diese werben. Welcher Weg bei der Verarbeitung eines Arguments eingeschlagen wird, hängt von der
Motivation und der Fähigkeit der Rezipienten ab. Dabei
wurden verschiedene Faktoren identifiziert, die den peripheren gegenüber dem zentralen Weg wahrscheinlich machen: erhöhter Zeitdruck (Chaiken, Giner-Sorolla, & Chen,
1996), die entsprechende Entscheidung wird als unwichtig
53
4.2 • Kommunikationsinhalte – Qualität von Argumenten
wahrgenommen (Maheswaran & Chaiken, 1991), es muss
wenig Verantwortung für die Entscheidung übernommen
werden (Lerner & Tetlock, 1999), oder ein themenrelevantes Hintergrundwissen fehlt (Petty & Cacioppo, 1986). Persönlichkeitseigenschaften wie z. B. ein niedriger „need for
cognition“ oder ein hoher Wunsch nach Kontrolle („desire
for control“) führen ebenfalls verstärkt zu einer peripheren
Informationsverarbeitung (Maheswaran & Chaiken, 1991).
All diese Faktoren können wir dahingehend zusammenfassen, dass sie beschreiben, wie eine geringe Offenheit für
Argumente entstehen kann.
Ist Offenheit gegeben – und sind die Argumente von
hoher Qualität –, dann findet eine intensivere Verarbeitung
(„Elaboration“) statt. Wurde eine Botschaft elaboriert, kann
sie eher in das kognitive System des Rezipienten integriert
werden und stabilere Einstellungsänderungen bewirken.
Zudem führt eine zentrale Informationsverarbeitung eher
zu einer Transformation von Einstellung in Verhalten als
eine periphere Informationsverarbeitung (▶ Kap. 2). Natürlich kann man nach beiden Modellen auch über die
periphere Route Einstellungsänderungen erreichen, d. h.
ohne dass der Empfänger die Argumente tief und umfassend elaboriert. Solche Einstellungsänderungen sind aber
meistens nur kurzfristig und haben geringe Auswirkungen
auf Verhalten. Es ist deshalb bei Überzeugungsprozessen,
die nachhaltig wirken sollen, von erheblicher Bedeutung,
die Informationen so zu vermitteln, dass der Empfänger
motiviert und fähig ist, die Argumentation zu verstehen.
Was aber genau macht nun ein Argument „gut“ oder
führt dazu, dass es hohe Qualität hat? Obwohl es zu den
beiden hier vorgestellten Theorien bereits seit ca. drei Jahrzehnten Forschung gibt, finden sich nur wenige unmittelbare Anhaltspunkte. Im Folgenden werden wir daher in
anderen Forschungsbereichen Anleihen machen und einige Vorschläge unterbreiten, was „starke, überzeugende,
qualitativ hochwertige“ Argumente auszeichnen könnte.
4.1.3
Argumente als „Bäume“:
Der Baum als Symbol
für eine Argumentationskette
Wie kann es kommen, dass ein Argument „Macht“ hat,
dass es überzeugt? Eine Antwort hierauf lautet, dass gute,
starke Argumente oft in allgemeine Visionen und Werte
eingebettet sind. Diese Visionen und Werte stellen quasi
den „Unterbau“ für eine gute Argumentation dar. Der
Baum ist ein hilfreiches Symbol dafür, wie man sich die
Ableitung einer wirksamen Argumentationskette vorstellen kann (▶ Beispiel).
Ein Baum hat Wurzeln, einen Stamm und Äste mit
Blättern. Die Wurzeln stehen für die Werte, die Visionen, aber auch die Prämissen und Ziele, von denen die
Argumente abgeleitet werden. Der Stamm steht für die
Argumentationskette, also den logischen Aufbau der Argumente und Schlussfolgerungen. Die Äste stehen für die
Feinadjustierung der Argumentation je nach Zielgruppe,
Gegenargumenten usw.
Beispiel
| |
Man möchte als Geschäftsführerin einer Einzelhandelskette einen Filialleiter überzeugen, dass er die Filiale am
Samstag öffnet, obwohl sie bisher geschlossen war, und
dass sie gleichzeitig für bestimmte Schlüsselkunden bis
20 Uhr zugänglich ist. Die Argumentation kann man
von folgenden Werten und Visionen ableiten (Wurzeln):
Wir wollen erfolgreich sein.
Wir dürfen nicht übersehen, was die Konkurrenten machen. Wir müssen die Bedürfnisse des
Kunden sehen.
Überall werden Filialen am Samstag geöffnet.
Der Kunde hat ein hohes Interesse und ein hohes
Bedürfnis, am Samstag in die Filialen zu gehen.
Die Sicherung der Arbeitsplätze ist uns wichtig.
Wichtig ist, dass Sender und Empfänger der Botschaft
von denselben Grundwerten und Grundprämissen
ausgehen und diese teilen. Dann sind die Argumente
und Schlussfolgerungen überzeugend – nämlich dass
die Filiale am Samstag geöffnet werden muss. Natürlich
kann eine Feinabstimmung vorgenommen werden, z. B.
für Familien, sodass Angestellte, die Kinder haben, eine
Sonderregelung erhalten; dort wird man sich möglicherweise an den Samstagen abwechseln. Insgesamt wird
solch eine Ableitung im Sinne eines „Baumes“ eine höhere Akzeptanz haben als wenn ohne Angabe von Gründen verordnet wird, am Samstag die Filiale zu öffnen.
---
4.2
Kommunikationsinhalte – Qualität
von Argumenten
Erfolgreiches Überzeugen kommt zwar meistens durch
ein Zusammenspiel von Eigenschaften des Senders, des
Empfängers und des Kommunikationsinhaltes zustande
(vgl. bereits Hovland, Janis & Kelley, 1953), wir werden im
Folgenden aber zunächst vor allem auf den Kommunikationsinhalt eingehen.
4.2.1
Verständlichkeit
Wenn man durch Argumente, genauer gesagt durch deren
Inhalt, überzeugen möchte, muss vorausgesetzt werden,
dass der Rezipient diese zunächst versteht. Hier wurden
4
54
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2
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22
Kapitel 4 • Erfolgreiches Überzeugen durch Argumente
verschiedene Aspekte identifiziert, die Aussagen verständlicher machen (für einen Überblick siehe Moser, 2002):
Dabei ist es zunächst wichtig, dass das verbale Material
(die Sprache, Jargon, Abkürzungen) bedeutungsvoll ist.
So wird die Silbe „NAG“ (wie z. B. in „nagen“) besser verstanden als die Silbe „NYK“ (bei der es keine Assoziation
zu einem deutschen Wort gibt). Ferner ist es zentral, sich
auf das sprachliche Niveau des Rezipienten (z. B. Ingenieure vs. ungelernte Arbeiter) einzustellen und Argumente
an dieses anzupassen.
Auch durch die Strukturierung von Texten können
Aussagen leichter verständlich gemacht werden. Dazu
zählt die Bildung von kurzen Sätzen, wobei Klammerbildungen vermieden werden sollten. Auf grammatikalischer
Seite empfiehlt es sich, Aktivsätze Passivsätzen vorzuziehen. Ferner sind negativ formulierte Sätze schwieriger zu
verstehen als positiv formulierte Sätze. Weiterhin wirken
Substantivierungen komplizierter und somit weniger
leicht verständlich. Bei einer Produktbeschreibung wirkt
z. B. der Satz „Nach dem Einfüllen des Waschpulvers
schließen Sie bitte …“ weniger verständlich als der Satz
„Nachdem Sie das Waschpulver eingefüllt haben, schließen
Sie bitte …“. Ferner sollten gute Übergänge geschaffen
werden, d. h. neue Abschnitte sollten vorbereitet und u. U.
zusammengefasst werden, sofern sie einen größeren Platz
einnehmen. Zudem werden Texte leichter verstanden, bei
denen eine semantische Deduktion vorliegt. Das heißt,
das Allgemeine sollte vor dem Speziellen genannt werden,
bzw. das Einfache vor dem Komplizierten, das Bekannte
vor dem Unbekannten und das Interessante und Wichtige
vor dem Langweiligen und Unwichtigen. Ebenfalls sollten gliedernde Vor- und Zwischenbemerkungen eingefügt
werden. Solche Bemerkungen (z. B. „insgesamt gibt es vier
verschiedene …“ oder „bisher haben wir …“) können die
Verständlichkeit eines Textes erhöhen und dazu führen,
dass das vermittelte Wissen besser in das bereits bestehende integriert werden kann.
Ein bekannter Versuch einer Systematisierung von Faktoren, die zu mehr Verständlichkeit führen, stammt von
Langer, Schulz von Thun und Tausch (1981). Sie nennen
vier Dimensionen von „Verständlichmachern“: Einfachheit vs. Kompliziertheit, Gliederung vs. Ungegliedertheit,
Prägnanz vs. Weitschweifigkeit und anregende (vs. keine
anregenden) Zusätze (. Tab. 4.1). Werden diese Faktoren
berücksichtigt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Argumente verstanden werden. Denn nur wenn ein Rezipient
Argumente verstanden hat (und entsprechend des ELM elaboriert verarbeitet), kann er durch diese überzeugt werden.
Drei einschränkende Anmerkungen sind allerdings
angebracht. Erstens haben viele verständliche Texte überhaupt keine persuasive Wirkung, weil sie diese auch gar
nicht beabsichtigen. Darstellungen sind Darstellungen, so
möchte man sagen (vgl. ▶ Beispiel).
.. Tab. 4.1 Vier Dimensionen der Textverständlichkeit. (Nach
Langer, Schulz von Thun & Tausch, 1981, zitiert in Moser, 2002)
Dimension Einfachheit
Einfachheit
Kompliziertheit
Einfache Darstellung
Kurze, einfache Sätze
Geläufige Wörter
Fachwörter erklärt
Konkret, anschaulich
Komplizierte Darstellung
Lange, verschachtelte Sätze
Ungeläufige Wörter
Fachwörter nicht erklärt
Abstrakt, unanschaulich
Dimension Gliederung – Ordnung
Gliederung – Ordnung
Ungegliedertheit – Zusammenhangslosigkeit
Gegliedert
Folgerichtig
Übersichtlich
Gute Unterscheidung von
Wesentlichem und Unwesentlichem
Der rote Faden bleibt
sichtbar
Alles kommt schön der
Reihe nach
Ungegliedert
Zusammenhangslos
Unübersichtlich
Schlechte Unterscheidung
von Wesentlichem und
Unwesentlichem
Man verliert oft den roten
Faden
Alles geht durcheinander
Dimension Kürze – Prägnanz
Kürze – Prägnanz
Weitschweifigkeit
Kurz, knapp
Gedrängt
Aufs Wesentliche beschränkt
Aufs Lehrziel konzentriert
Jedes Wort ist notwendig
Viel Unwesentliches
Breit
Abschweifend
Ausführlich
Vieles hätte man weglassen
können
Dimension anregende Zusätze
Anregende Zusätze
Keine anregenden Zusätze
Anregend
Interessant
Abwechslungsreich
Persönlich
Nüchtern
Farblos
Gleichbleibend neutral
Unpersönlich
Beispiel
| |
Hymes (1979) benennt sieben Funktionen von Sprache,
die in der folgenden Tabelle zusammen mit illustrierenden Werbeslogans wiedergegeben werden.
Sieben Funktionen von Sprache
Funktion
Beispiel
Expression
„Ich rauche gern“
Direktivität/Persuasion
„Nimm 2“
Poetik
„Wer wird denn gleich in
die Luft gehen?“
Kontakt
„Ein Bier wie mir“
55
4.2 • Kommunikationsinhalte – Qualität von Argumenten
Funktion
Beispiel
Metasprache
„Dazu wird Ihre Frau
nicht ‚nein‘ sagen
können“
Darstellung
„Der Sekt mit dem gewissen Extra“
Kontext
„Schreiben Sie uns die
beworbenen Markennamen!“
Wer etwas sagt, kann damit etwas über sich sagen
(Expression), jemanden auffordern (Direktivität), etwas
„im übertragenen Sinne“ meinen (Poetik), Kontakt
suchen (z. B. durch Umgangssprache), über „Sprache“
sprechen (Metasprache), etwas darstellen oder die
Situation (Kontext) erläutern. In den meisten Fällen
haben sprachliche Äußerungen mehr als eine Funktion.
Sprechen oder Schreiben heißt insbesondere in der
Werbung weit mehr als etwas darzustellen, sich verständlich zu machen und von einer Position durch gute
Argumente überzeugen zu wollen.
Erinnern wir uns an das in ▶ Kap. 2 vorgestellte Werbewirkungsmodell von Rossiter und Percy. Es steht in
der Tradition anderer Modelle, nach denen Werbung
bestimmte Motive der Rezipienten anspricht. Die in
der Werbung verwendeten Argumente haben genau
diese Funktion. Dass informationale Motive wie die
„Problembeseitigung“ durch Argumente angesprochen werden, ist offensichtlich – das Reinigungsmittel
muss besonders intensiv reinigen, z. B. „den Schmutz
packen“. Solche Argumente beschreiben aber nicht nur,
sie nutzen z. B. auch bildhafte Sprache (Poetik).
Zweitens kann auch ein schlechtes Argument verständlich sein, Verständlichkeit verbessert also auch dann die
Chance, dass eine inhaltliche Elaboration stattfindet, wenn
z. B. ein Produkt schlicht kein besonders gutes Merkmal
hat. In solch einem Fall werden Rezipienten den Persuasionsversuch zurückweisen. In der Tat kann unter solchen
Umständen sogar die Verhinderung einer Elaboration,
z. B. durch Erschweren des Verständnisses, angezeigt sein
(vgl. ▶ Kap. 2). Drittens kann es auch gegen qualitativ gute
Argumente Widerstände geben. Hierauf geht der nächste
Abschnitt ein.
4.2.2
Zweiseitige Argumentation
Generell kann man in einer Argumentation einseitig (man
nennt nur die Vorteile einer bevorzugten Entscheidungsalternative, z. B. eines Produkts) oder zweiseitig (man nennt
zusätzlich auch Nachteile) informieren. Wenn es darum
geht, dass Argumente qualitativ gute Entscheidungen bewirken sollen, dann scheint zweiseitige Argumentation der
einseitigen Argumentation vorzuziehen zu sein. So zeigt
sich, dass einseitiges Informieren (im Vergleich zu zweiseitigem) verstärkt zu fatalen Fehlentscheidungen führt.
Beispielsweise wurde die fehlgeschlagene Invasion in der
Schweinebucht unter US-Präsident J. F. Kennedy hauptsächlich auf eine einseitige Informationspolitik zurückgeführt (Janis, 1982). Kray und Galinsky (2003) stellten
Versuchspersonen in einem Laborexperiment vor eine
Entscheidungsaufgabe und fanden, dass Personen, die
sich nur einseitig informierten, schlechtere Entscheidungen fällten. Da wir eigentlich daran interessiert sein sollten,
gute Entscheidungen zu fällen, sollten wir an zweiseitigen
Argumenten besonders interessiert sein. Tatsächlich ist
dem aber nur in Grenzen der Fall.
Generell neigen Menschen dazu, verstärkt nach Informationen zu suchen, die für eine – warum auch immer
getroffene – Entscheidung sprechen (selektive Informationssuche; z. B. Frey, 1986; Hart et al., 2009). Dies kann
zum einen daran liegen, dass Menschen ihren Selbstwert
steigern möchten (d. h. man möchte sich z. B. als guter
Entscheider sehen), zum anderen daran, dass entscheidungsunterstützende Informationen leichter verarbeitet
werden können, da diese typischerweise vertrauter sind als
entscheidungswidersprechende Informationen und somit
leichter verstanden/verarbeitet werden können (Fischer &
Greitemeyer, 2010).
Die Qualität von Entscheidungen scheint also von
zweiseitigem Informieren zu profitieren, zugleich gibt es
aber eine Neigung, hierauf zu verzichten. Was bedeutet
dies für die Gestaltung von Beeinflussungsversuchen? Ein
kurzer Blick in die Werbepraxis ergibt, dass überwiegend
einseitig argumentiert wird. In der Tat zeigt sich, dass einseitiges Informieren zu Einstellungen führt, die das entsprechende Verhalten besser vorhersagen als zweiseitiges
Informieren. Einseitiges Informieren führt zu stabileren
Einstellungen (Glasman & Albarracin, 2006).
Warum sollte man vor diesem Hintergrund überhaupt
in Erwägung ziehen, Rezipienten zweiseitig zu informieren? In der Tat hat bereits frühere Forschung zur Wirkung
zweiseitiger Information darauf hingewiesen, dass sie nur
unter bestimmten Bedingungen einseitiger Information
überlegen ist (Moser, 2002). In der erwähnten Metaanalyse von Glasman und Albarracin (2006) geht es um neu
gebildete Einstellungen und es ist wenig wahrscheinlich,
dass die Rezipienten bereits zu Beginn kritisch eingestellt
waren. Es ist auch wenig wahrscheinlich, dass sie kritische
Informationen über das Einstellungsobjekt aus anderen
Quellen erhalten haben. Und in einem erheblichen Teil
der Studien waren sie auch nicht besonders motiviert, sich
mit den Botschaften auseinanderzusetzen. Zweiseitiges
Informieren mag in solchen Fällen eher zur Verwirrung
4
Kapitel 4 • Erfolgreiches Überzeugen durch Argumente
56
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21
22
beitragen. Demgegenüber gibt es Situationen, in denen die
Rezipienten eher skeptisch sind und aus anderen Quellen
widersprechende Informationen erhalten. Sind sie zudem
(dennoch) motiviert, sich mit der Botschaft auseinanderzusetzen, sind die Bedingungen für eine stärkere Wirkung
zweiseitiger Information günstig. Die am häufigsten angeführte Erklärung für die Wirksamkeit zweiseitigen Argumentierens bedient sich der Analogie des „Impfens“
(▶ Info-Box).
Info-Box
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Die Inokulationstheorie
Der Umgang mit konträren Argumenten und deren
Widerlegungsmöglichkeit ist Gegenstand der Inokulationstheorie (McGuire, 1964; für einen Überblick siehe
Compton & Pfau, 2005). Sie erklärt, wann Einstellungen
stabil sind und insbesondere gegen Gegenargumente
„immun“ bleiben. Die Theorie besagt Folgendes: Will
man bei einer Person eine Einstellungs- und Verhaltensänderung erreichen, muss man zweiseitig informieren,
d. h. man sollte nicht nur die Zieleinstellung bestärken,
sondern sie zudem mit Gegenargumenten „impfen“. Die
Inokulationstheorie bedient sich einer Analogie aus der
Medizin: Personen, die geimpft werden, werden gleichsam „resistent“ gegen Fremdkörper – nämlich eben solche kritische Gegenargumente. Dies kann durch zwei
Strategien erreicht werden:
die Rezipienten selbst Gegenargumente erzeugen
und widerlegen lassen (= aktives Impfen)
Gegenargumente von außen vorbringen und
widerlegen (= passives Impfen)
Menschen kann man also dadurch impfen, dass entweder sie selbst oder andere negative Implikationen
einer bestimmten Einstellungs- oder Verhaltensänderung aufführen und dass sie selbst oder andere diese
dann zu minimieren, also zu widerlegen oder auch zu
bagatellisieren versuchen. Dies führt dazu, dass sie
gegen weitere negative Informationen immun sind.
Beispielsweise konnten Bechwati und Siegal (2005) demonstrieren, dass Kunden, die vor einer Kaufentscheidung mit entscheidungswidersprechenden Informationen geimpft wurden, gekaufte Produkte seltener zum
Umtausch zurückgaben. Aktives Impfen scheint dabei
effektiver zu sein als passives Impfen, da Personen beim
aktiven Impfen „sich selbst überzeugen“ (Compton &
Pfau, 2005).
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Es liegt auf der Hand, dass vor allem positive Argumente
von den Vorteilen einer Position überzeugen können. In
der Tat fanden Crowley und Hoyer (1994), dass der Anteil
der negativen Informationen maximal 40 % aller Argu-
mente betragen sollte. Sie sollten frühzeitig, aber nicht als
Erstes dargeboten werden. Das Widerlegen von negativen
Informationen ist vor allem dann zentral, wenn diese wichtig (also von hoher Qualität) sind.
Nach Eisend (2007) sind die Wirkmechanismen bei
der zweiseitigen Argumentation weniger kompliziert als
ursprünglich vermutet. Er findet, dass die höhere Glaubwürdigkeit der Werbebotschaft der entscheidende Faktor
ist. Zugleich allerdings ergeben sich hierdurch neue Fragen, insbesondere diejenige nach der Rolle der Elaborationstiefe. Wenn wir uns daran erinnern, dass Glaubwürdigkeit der Quelle eigentlich ein peripheres Merkmal ist, dann
stellt sich die Frage, ob sie nicht tatsächlich zu verschiedenen Wegen der Informationsverarbeitung beitragen kann:
Zum einen kann sie zu intensiverer Elaboration anregen,
zum anderen aber auch nur dazu, für weitere periphere
Merkmale zugänglich zu sein. Da zweiseitige Argumente
oft insgesamt ausführlicher sind, also mehr Aussagen enthalten, könnte dies von weniger involvierten Rezipienten
auch einfach als (weiterer) Hinweis auf die Stärke der vorgebrachten Position gewertet werden.
Die Darstellung der Vorzüge zweiseitiger Argumentation hat vor allem darauf aufmerksam gemacht, wie
bedeutsam die aktive Verarbeitung der Argumente durch
die Rezipienten ist. Auch die nachfolgenden Beispiele zeigen, wie solch eine Auseinandersetzung gefördert werden
kann.
Furchtappelle und die
Auseinandersetzung mit Argumenten
Selbst starke und überzeugende Argumente können ihre
Wirkung verlieren, wenn sie negative Emotionen wie z. B.
Angst und Furcht hervorrufen. Obwohl dies eigentlich
eine Selbstverständlichkeit ist, werden Furchtappelle
eingesetzt. Der Grund ist, dass von ihnen zugleich erhofft
wird, sie würden Rezipienten überhaupt erst motivieren,
sich mit Argumenten auseinanderzusetzen. Allerdings
wurde zur Frage, wie furchterregend oder bedrohend
eine Botschaft sein soll (z. B. dass man aufhört zu rauchen oder Drogen zu nehmen), festgestellt, dass eine zu
starke Furchterregung (z. B. Zeigen von furchterregenden Bildern einer Raucherlunge) dazu führen kann, dass
die betroffenen Argumente abgewertet werden (vgl. u. a.
▶ Kap. 12). Trope, Ferguson und Raghunathan (2000)
berichten in diesem Zusammenhang, dass Personen ihre
negative Stimmung „reparieren“ möchten, indem sie sogar verstärkt nach Informationen suchen, die ihnen ihre
Furcht nehmen (z. B. Informationen, die für das Rauchen
sprechen). Mittlere Furchterregung dagegen erhöht die
Chance, dass die angesprochene Person bereit ist, sich
mit der Thematik auseinanderzusetzen, und dass sie
nicht vorab eine abwehrende Haltung einnimmt. Menschen zu drohen, scheint also nur in „milden Dosen“ zu
57
4.2 • Kommunikationsinhalte – Qualität von Argumenten
einer Zunahme an Offenheit zu führen. Wichtig ist für die
Wirksamkeit eines Furchtappells, dass dem Empfänger die
Chance gegeben bzw. aufgezeigt wird, welches Verhalten
denn die Furcht reduzieren kann (vgl. Albarracin, Wallace
& Glasman 2004; s. auch ▶ Kap. 6).
Die genaue Wirkung von Furchtappellen lässt sich
nur schwer vorhersagen, weshalb sich die Frage stellt, ob
es nicht alternative (und bessere) Möglichkeiten gibt, die
Auseinandersetzung mit Argumenten zu fördern. Zwei solcher Möglichkeiten sind Fragetechniken, die im nächsten
Abschnitt vorgestellt werden.
Sokratisches Fragen und Suggestivfragen
Die sog. Sokratesfragen bauen auf einem von Sender und
Empfänger geteilten Werte- und Prämissensystem auf, wobei durch die Ableitung bestimmter Fragen der Empfänger
einer Nachricht in eine gewisse Richtung gelenkt werden
soll (▶ Beispiel).
Beispiel
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Man möchte mit einer Abfolge von Sokratesfragen erreichen, dass ein Filialleiter seine Filiale am Samstag
öffnet und bis 20 Uhr für die Schlüsselkunden zur Verfügung steht. Wir gehen erneut vom obigen Beispiel
des „Baums“ aus und wenden nun sokratische Fragen
an. Um jemanden zu überzeugen, muss man sicher
sein, dass das Gegenüber ein ähnliches Wertesystem
hat wie man selbst. Zu diesem Wertesystem gehört
z. B. das Überleben auf dem Markt, innovativ sowie
besser zu sein als der Konkurrent. Wenn man diese
Werte teilt, kann man daraus z. B. folgende Fragen
ableiten:
Können wir uns erlauben die einzigen zu sein, die
nicht am Samstag öffnen?
Müsste nicht Ihre Filiale auch öffnen?
Müssten nicht Sie als Filialleiter ebenso als Vorbild
vorangehen?
Das heißt, durch Sokratesfragen kann man Menschen
zu einer Schlussfolgerung bringen, indem man Fragen
aus einem gewissen Werte- und Prämissensystem (Wurzel eines Baumes, siehe oben) ableitet.
--
So ist auch in der Verhaltenstherapie der sokratische Dialog ein bewährtes Mittel, um Klienten von der Sinnhaftigkeit bestimmter therapeutischer Interventionen zu überzeugen (z. B. Hautzinger, 1998). Der Grundgedanke ist: Die
Rezipienten kommen selbst auf die Schlussfolgerung und
fühlen sich nicht manipuliert (zu Sokratesfragen siehe auch
Lotz & Diekstra, 1995). Eine verwandte Idee findet sich in
der Werbekommunikation. So untersuchte bereits Kardes
(1988) die Frage, ob die Einstellung zu einem Produkt tat-
sächlich durch eine explizite oder eher durch eine implizite
Schlussfolgerung in der Werbebotschaft positiv beeinflusst
wird. Dabei liegt die Überlegung nahe, dass dies von der
Involviertheit von Personen abhängt. Es zeigte sich, dass
das beworbene Produkt besser bewertet wurde, wenn das
Produktinvolvement höher war. Vor allem aber führte bei
geringem Involvement eine explizite Schlussfolgerung und
bei hoher Involviertheit eine implizite Schlussfolgerung zu
einer positiveren Bewertung des Produkts. Es zeigte sich
also, dass bei geringerem Involvement dem Rezipienten
„auf die Sprünge geholfen“ werden muss, während bei
hohem Involvement der Rezipient nicht alles „vorgesagt“
bekommen will. Verschiedene Argumente sind denkbar,
warum Explizitheit ein Problem sein könnte: Beispielsweise beleidigt man den Verstand der Rezipienten, provoziert Ärger und Reaktanz und lässt die Rezipienten nicht
aktiv partizipieren.
Werfen wir nun aber einen Blick auf den aktuellen
Forschungsstand – die Studie von Kardes (1988) hat eine
ganze Reihe anderer Studien motiviert. Dabei ist der Forschungsstand keineswegs so konsistent, wie man sich dieses nach dem oben Angeführten wünscht. Die Frage, ob
explizite oder implizite Argumentationen überzeugender
sind, ist anhand von zwei Formen von Implizitheit untersucht worden. Entweder die Schlussfolgerungen wurden
komplett weggelassen, oder die Verhaltensempfehlungen
wurden nur sehr allgemein formuliert. Die Metaanalyse
von O‘Keefe (1997) ergab allerdings einen schwachen Effekt (r = .11) zugunsten von Explizitheit. Überraschenderweise fanden sich auch keine Belege für eine moderierende
Wirkung von Involvement, also auch Rezipienten, die zu
einer intensiveren Verarbeitung der Informationen motiviert waren, ließen sich nicht von einer impliziten Argumentation stärker überzeugen.
Sokratische Fragen sollen nicht nur Einsicht fördern,
sie sind auch schlicht ein Mittel, um Personen zu wiederholten Zustimmungen zu bringen. Solch ein Ziel kann aber
auch alternativ erreicht werden: Durch sog. Suggestivfragen kann ein Sender schließlich einen Empfänger dazu
bringen, dass er bestimmte erwünschte Antworten gibt.
Dabei kann aus einer „normalen Frage“ oft alleine durch
den Zusatz weniger Wörter eine Suggestivfrage entwickelt
werden. Beispielsweise kann ein Verkäufer fragen: „Meinen Sie nicht auch, dass ein Laptop möglichst viel Speicherplatz haben sollte?“ Hier ist die Antwort – nämlich
„ja“ – deutlich enthalten. Bei einer nicht-suggestiven Frage
sind hingegen die Antwortmöglichkeiten weit vielfältiger
(z. B. „Meinen Sie, dass ein Laptop möglichst viel Speicherplatz haben sollte?“). Im Telefonmarketing finden sie oft als
Einstiegsfragen Anwendung, etwa mit Formulierungen wie
„Steuern sparen, ist das für Sie ein Problem?“ oder „Meinen Sie auch, dass Sie zu viel für Ihre Krankenversicherung
bezahlen?“
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1
Kapitel 4 • Erfolgreiches Überzeugen durch Argumente
Argumente als Feedback
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Persuasive Kommunikation, wie sie etwa in Verkaufsgesprächen oder in der Fernsehwerbung stattfindet, wird in
der medienkritischen Öffentlichkeit oft einseitig so interpretiert, als versuche sie, auf einen desinteressierten und
willenlosen Rezipienten Einfluss zu nehmen. Das ist aber
gar nicht immer der Fall. Wir können Argumente auch als
Antwortangebote auf Fragen interpretieren, die sich Verbraucher, Wähler, Kunden etc. stellen. So gesehen mögen
beispielsweise zwar manche Verkäufer gewichtige Argumente für ihre Position nennen, weil sie bestimmte Ziele zu
erreichen versuchen, wie z. B. Einsicht in die Überlegenheit
eines Produkts oder gar Leidensdruck beim Rezipienten.
Ein Verkäufer möchte aber vielleicht nur den Empfänger
informieren, mit ihm in einen Dialog treten, um ihm zu
erklären, warum er oder sie eine bestimmte Position hat
und warum diese Position überzeugend ist. So gesehen
sind Rezipienten Problemlöser, und ihre Bereitschaft zur
Aufnahme von Argumenten stellt kognitives Lernen dar.
Menschen lernen dann, Argumente in ihr kognitives System aufzunehmen.
Dieses kognitive Lernen kann z. B. darin bestehen, dass
den Betroffenen verdeutlicht wird, welche Konsequenzen
eine Nicht-Änderung von Einstellungen oder Verhalten
hat. Rezipienten erhalten verbales Feedback über ihr Verhalten, ihre Einstellungen oder ihre Pläne. Sie können dann
lernen, dass altes Verhalten bestraft und neues Verhalten
belohnt wird (Beispiele: „Diese Reparatur wird teurer
kommen als die Anschaffung eines neuen Geräts“ oder
„Sie werden damit viel Freude haben“). Aus solch einer
Feedbackperspektive muss man, um Verhalten zu beeinflussen, den Nutzen einer Verhaltensänderung herausstellen. Handlungen, die verstärkt werden, werden wiederholt.
Dabei ist es zentral, zu identifizieren, was genau für den
Empfänger eine Belohnung und was eine Bestrafung ist.
Wichtig ist auch, dass eine einmalige Belohnung oder Bestrafung oft nur begrenzte Effekte zeigt, und dass ein konsequentes, kontinuierliches Vorgehen nötig ist, beispielsweise einem Kunden mehrfach zu einer Kaufentscheidung
zu gratulieren.
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Scheinqualität von Argumenten I:
Pseudoerklärungen
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Gewisse Argumentformen scheinen durchaus eine persuasive Wirkung zu haben. Interessanterweise lässt sich
dies sogar dann zeigen, wenn der Inhalt zweifelhaft oder
gar „leer“ ist. Besonders elementar zeigte sich dies in einer Studie von Albrecht et al. (2013), in der auch in der
Werbung oder auf der Verpackung aufgeführte gänzlich
irrelevante Attribute zu einer besseren Bewertung der
beworbenen Marken führten. Pseudoerklärungen sind
Aussagen, die durch Zusätze wie „weil, aufgrund dessen“
als Argumente deklariert werden, obwohl sie eigentlich
keine (guten) Argumente sind. Beispielsweise beschreibt
Langer (1989) ein Experiment, bei dem Studierende, die
in einer Schlange vor einem Kopierer standen, von einer
zuvor vom Versuchsleiter entsprechend instruierten Person darum gebeten wurden, sie vorzulassen. Dabei fragte
die Person in der einen experimentellen Bedingung: „Entschuldigen Sie bitte, ich habe fünf Seiten. Kann ich den
Kopierer benutzen?“ In der anderen Bedingung wurde von
ihr zusätzlich das Wort weil verwendet: „Entschuldigen Sie
bitte, ich habe fünf Seiten. Kann ich den Kopierer benutzen, weil ich Kopien machen muss?“ Es zeigte sich, dass
dies mehr Erfolg hatte, dass also alleine der Zusatz „weil“
Wirkung hatte. Offenbar können solche „Kausalwörter“
als Hinweisreize dienen. Sie können Rezipienten dazu
bringen, dass sie (fälschlicherweise) denken, eine Bitte sei
mit einem Argument begründet – und da begründete Bitten scheinbar „bessere“ Argumente darstellen, sollte man
ihnen eher nachkommen. Einschränkend sollte allerdings
angemerkt werden, dass die genannte Pseudoerklärung
schon nicht mehr wirksam war, wenn die Zahl der Kopien
nicht 5, sondern 20 betrug. Die Annahme, wir würden
im Alltag primär gedankenlos („mindlessness“) handeln,
scheint auch aus weiteren Gründen eher übertrieben zu
sein (Folkes, 1985).
Pseudoerklärungen sind ein Beispiel für Argumente,
die nicht sonderlich integer sind, sie stellen Irreführungen
dar. Gleichwohl können aber inhaltlich schwache Argumente durchaus Wirkung entfalten. Einige weitere Beispiele führen wir im nächsten Abschnitt an.
Scheinqualität von Argumenten II:
Scheinargumente
Will man eine Person überzeugen, so benötigt man eigentlich gute Argumente, die im Sinne eines Baumes aufgebaut
werden sollten (siehe oben). Doch in vielen Fällen werden
auch „Scheinargumente“ verwendet, die gleichwohl sehr
wirkungsvoll sein können. Dabei werden folgende Techniken verwendet (für einen Überblick siehe Wohlrapp,
1995):
Killerphrasen: Killerphrasen sind Argumente, die
nahezu keinen argumentativen Inhalt besitzen und
von denen man annimmt, dass sie einen großen
Konsens besitzen, wobei sie von starker Ablehnung
oder Herabsetzung des Diskussionspartners gekennzeichnet sind. Ein Beispiel für eine Killerphrase ist:
„Jetzt haben Sie Wirtschaft studiert und wissen nicht
einmal, dass man unter diesen Umständen nicht in
(…) investieren darf. Informieren Sie sich zunächst
einmal!“
Drohung: Mit einer Drohung wird durch Einschüchterung und Macht das Ende einer rationalen Diskussion bewirkt. So könnte man z. B. durch die Aussage:
„Sie wissen, dass Sie sich eigentlich strafbar gemacht
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59
4.3 • Qualität von Argumenten – Randbedingungen ihrer Wirksamkeit
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haben und dass Sie durch eine entsprechende Aussage vor Gericht kämen“ bewirken, dass sich eine Person schnell zum Bezahlen einer Rechnung bewegen
lässt.
Ethisches Argument: Das ethische Argument ist
gerade bei ethischen Debatten wirksam und bezieht
sich auf Prinzipien, die von den meisten Menschen
(und somit auch von der Zuhörerschaft) geteilt werden. Beispiel: „In allen Kulturen ist Diebstahl strafbar.
Somit ist auch unter uns Diebstahl ethisch verwerflich.“
Scheinrationalität: Eine weitere Möglichkeit besteht
darin, dass man eine Position als allgemein bekanntes
Wissen darstellt und einen Widerspruch als Weltfremdheit oder gar Dummheit darstellt. Mithilfe
einer geeigneten Einleitung (z. B. „Jedes Kleinkind
weiß doch, dass eine neue Investition viel Geld kostet,
aber sich auf Dauer auszahlt“) kann so kritisches
Nachfragen verhindert werden, weil Angst besteht,
als unwissend zu erscheinen.
Persönlicher Angriff: Beim persönlichen Angriff
wird dem Gegenüber suggeriert, dass er über zu wenig Sachwissen verfügt und somit seine Argumente
schwach oder ungültig sind. Oft wird die Person mit
einer bestimmten Personengruppe in Beziehung
gesetzt (z. B. aufgrund von Geschlecht, Religion,
Profession oder Hautfarbe), beleidigt (z. B. „Vollidiot“,
„Nazi“), oder die Argumentation wird pauschal abgewertet (z. B. „dummes Geschwätz“, „Ausrede“).
Es handelt sich hier um Argumente, die eine „sachliche“
Ebene verlassen, die sogar kaum noch die Bezeichnung
„Argument“ verdienen. Sie bedienen sich ergänzender
Mittel, beispielsweise emotionalisieren sie den Rezipienten
oder eine Zuhörerschaft. Sie sind auch ein Angriff auf die
Offenheit der Situation. Solch zweifelhafte, oft nicht integre Argumente zu erkennen, ist eine Herausforderung für
Rezipienten und Zuhörer. Dieser Abschnitt macht somit
deutlich, dass es vermutlich eine ganze Reihe von Umständen gibt, die der „Kraft des Arguments“ Grenzen setzen.
Im nächsten Abschnitt werden wir einige solcher Faktoren
Revue passieren lassen.
4.3
4.3.1
Qualität von Argumenten –
Randbedingungen ihrer Wirksamkeit
Eigenschaften des Senders
Eingangs wurde bereits deutlich gemacht, dass die Wirkung von Argumentqualität von Kontextbedingungen abhängt; bei systematischer Informationsverarbeitung (die
wiederum hohe Fähigkeit und Motivation des Empfängers
der Botschaft voraussetzt) ist es z. B. relativ unerheblich,
von welcher Quelle die Informationen stammen (Chen,
Shechter, & Chaiken, 1996), hier zählt fast ausschließlich die Qualität der Argumente. Je geringer jedoch die
Fähigkeit und die Motivation sind, desto wichtiger sind
Quellen­eigenschaften. Dann haben z. B. Informationen, die
von Experten stammen oder Mehrheitsmeinungen widerspiegeln, eine stärkere Überzeugungskraft. Die Glaubwürdigkeit von Experten kann sich dabei aber über die Zeit
hinweg auf bestimmte Art und Weise verändern. Weitere
Ausführungen zu den Determinanten der Glaubwürdigkeit
der Quelle von Botschaften finden sich in ▶ Kap. 5.
4.3.2
Eigenschaften des Empfängers
Im Sinne unserer einleitenden Überlegungen ist der Erfolg
des Argumentierens davon abhängig, ob die Rezipienten
offen gegenüber Veränderungen sind oder nicht („open
mindedness“ vs. „closed mindedness“, vgl. Glasman & Albarracin, 2006). Plausibel scheint zu sein, dass ein „analytischer Zahlenmensch“ eher Argumenten zugänglich ist
als ein intuitiver Mensch, den man auch mit „Emotionen
überzeugen“ kann. Lassen sich solche Überlegungen aber
auch systematischer überprüfen? Erste Hinweise gibt es.
Beispielsweise, und wie oben schon kurz erwähnt, haben
manche Menschen verstärkt Freude, sich mit Argumenten
auseinanderzusetzen und diese zu analysieren („high need
for cognition“). Andere wiederum verarbeiten Argumente
generell eher oberflächlich („low need for cognition“). Fragen nach der genauen Rolle von Rezipientenmerkmalen
lassen sich allerdings deshalb nur schwer beantworten, weil
Menschen nicht immer nach der Wahrheit suchen und sich
ein akkurates Urteil bilden möchten. So kann es sein, dass
sie einfach nur ihre Ansichten verteidigen oder Meinungen
von anderen Personen übernehmen möchten, um Konflikte zu vermeiden. Im Folgenden sollen die wichtigsten
und etabliertesten Ansätze vorgestellt werden, die erklären,
warum Informationen auf sehr heterogene Art und Weise
verzerrt werden können und Argumentqualität alleine oft
nicht genügt, um Persuasion zu bewirken.
Streben nach Konsistenz
Die Dissonanztheorie (Harmon-Jones, 2000) geht davon
aus, dass Menschen nach kognitiver Konsistenz streben
und versuchen, diese aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Diese kognitive Konsistenz ist z. B. oft nicht mehr
vorhanden, wenn eine Person eine Entscheidung getroffen hat. Dies ist insofern der Fall, als man bei einer Entscheidung auf die Vorteile der nicht gewählten Alternative
verzichten muss. Somit entsteht kognitive Dissonanz – ein
aversiver motivationaler Zustand. Eine Möglichkeit, diesen aversiven Zustand zu reduzieren, besteht darin, ent-
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Kapitel 4 • Erfolgreiches Überzeugen durch Argumente
scheidungskonsistente Informationen zu suchen, also nur
noch parteiisch für Argumente zugänglich zu sein. Diese
Selektivität der Informationssuche nimmt mit der Stärke
und Wichtigkeit der darin enthaltenen Argumente zu. Sind
Argumente jedoch schwach, so werden verstärkt der Entscheidung widersprechende Argumente beachtet, da diese
leicht widerlegt werden können. Bestehende Urteile oder
Entscheidungen werden daher nur schwierig zu revidieren
sein. Dies gelingt nur dann, wenn eine Vielzahl dissonanter
Kognitionen (Wissenselemente, Argumente) auftreten (für
einen Überblick siehe Harmon-Jones, 2000; Peus, Frey &
Stöger, 2006).
Eine weitere Theorie, nach der Menschen Informationen in Richtung ihrer anfänglichen Meinung verzerren, ist
die Hypothesentheorie der sozialen Wahrnehmung, die im
Folgenden dargestellt werden soll.
Hypothesengesteuerte Wahrnehmung
Die Hypothesentheorie der Wahrnehmung (für einen
Überblick siehe Abele, 2006) besagt, dass Menschen bestimmte Vorurteile, Hypothesen, kognitive Sets und Stimmungen haben, in deren Licht sie ihre Umwelt wahrnehmen und die wie ein Filter in der Informationsaufnahme
und -verarbeitung wirken (vgl. Bruner & Postman, 1951;
Lilli & Frey, 1993). Argumente werden also nicht „neutral“, sondern „im Licht“ bestimmter Hypothesen im weitesten Sinne aufgenommen – oder auch gleich abgelehnt.
Der Begriff „Hypothese“ kann breit verstanden werden.
Wenn z. B. ein Rezipient erfährt, dass ein Argument, das
ihm nun präsentiert wird, von einer bestimmten Person
stammt, dann kann bereits dies zu einer einflussreichen
Hypothese führen (z. B.: „Was wird da jetzt schon noch
kommen!“). Will also eine Person eine Einstellungs- oder
Verhaltensänderung erzielen, so ist entscheidend, wie sie
wahrgenommen wird, noch bevor sie ein erstes Argument
äußert: glaubwürdig oder unglaubwürdig, positiv oder negativ, sympathisch oder unsympathisch, mit Expertenstatus verbunden oder nicht. So wird z. B. ein mehrdeutiges
Argument positiv interpretiert, wenn es von einem Experten kommt, und negativ, wenn es von einem Laien stammt
(Chaiken & Maheswaran, 1994). Personen, die das Image
haben, warmherzig zu sein, können daher unter Umständen eher eine Änderung erzielen als Personen, von denen
gesagt wird, sie seien kaltherzig. Ähnlich kann man die
Hypothesentheorie der Wahrnehmung auch auf Vertrauen
oder Misstrauen gegenüber einer Person anwenden. Hat
man Vertrauen zu einer Person, die z. B. eine Verhaltens­
änderung erreichen will, so wird man jegliches Verhalten
des Gegenübers eher positiv interpretieren. Besteht Misstrauen, wird man jegliches Verhalten des Gegenübers eher
kritisch oder negativ interpretieren. Auch der Erfolg von
Markentransfers kann mithilfe der Hypothesentheorie der
Wahrnehmung erklärt werden. Wird ein neues Produkt
unter einem bekannten Markennamen eingeführt, dann
kreiert der Markenname eine Erwartung („Hypothese“),
die zu einer positiv verzerrten Wahrnehmung des neuen
Produkts führt (vgl. ▶ Kap. 7 und ▶ Kap. 9).
Die vorstehenden Ausführungen sollen nicht suggerieren, der Erfolg des Argumentierens hänge nur von
subjektiven Faktoren ab. Denn interessanterweise hat die
Hypothesentheorie der Wahrnehmung auch gezeigt, unter
welchen Bedingungen Hypothesen weniger stark wirken
(z. B. wenn man mehr Informationen erhält, wenn es alternative Erklärungen für Sachverhalte gibt, wenn man mehr
Zeit hat, sich auseinanderzusetzen etc.; vgl. Abele, 2006;
Lilli & Frey, 1993).
Fehlende Kontrollwahrnehmung
Argumente sollen Menschen in vielen Lebenslagen zu Veränderungen bringen, sie sollen bestimmte Produkte kaufen, gesünder leben, Energie sparen usw. Auch wenn sie die
Botschaft verstehen, verhalten sie sich so, als müsste man
etwas anderes vermuten, warum? Eine Antwort hierauf
gibt die Theorie der kognizierten Kontrolle (als Überblick
Skinner, 1996; Fritsche, Jonas & Frey, 2006), die davon ausgeht, dass Menschen eher bereit sind, ihre Gewohnheiten
zu ändern oder gar Opfer zu bringen, wenn drei Formen
von Kontrollwahrnehmung gegeben sind:
1. Erklärbarkeit/Sinn: Menschen müssen wissen, warum
sie ihr Verhalten ändern sollen. Wo der Sinn nicht erkannt wird, wird man sich auch nicht ändern bzw.
langfristige Verhaltensänderungen zeigen. Wer beispielsweise gegen Kernenergie eingestellt ist, aber keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem eigenen
Verhalten, z. B. Nutzung von „Ökostrom“, und der Unterstützung besagter Angelegenheit erkennen kann,
wird weniger dazu bereit sein, mehr für „sauberen
Strom“ zu bezahlen.
2. Vorhersehbarkeit: Wie ist der Prozess der Änderung?
Wo ist der Horizont? Man muss Veränderungsprozesse
nachvollziehen können und wissen, in welche Richtung
man sich verändern soll. Wer den Eindruck hat, das
eigene Verhalten sei lediglich kostspielig, die Wirkung
sei aber nicht erkenn- oder spürbar, wenn z. B. das
Umschwenken auf Ökostrom lediglich dazu führt, dass
konventioneller Strom weniger nachgefragt wird, daher
die Preise sinken und dann diese Angebote noch attraktiver werden, der wird mit wenig Engagement den
Gedanken einer Änderung des eigenen Konsumverhaltens verfolgen.
3. Beeinflussbarkeit: Die Rezipienten müssen das Gefühl
haben, etwas (am besten unmittelbar) beeinflussen zu
können. Wer z. B. sein Umweltverhalten verändert und
unmittelbar Feedback erhält, wird das entsprechende
Verhalten eher aufrechterhalten. Wer also z. B. statt mit
dem eigenen Auto mit öffentlichen Verkehrsmitteln
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4.3 • Qualität von Argumenten – Randbedingungen ihrer Wirksamkeit
zur Arbeit fährt und daher monatlich mehr Geld in der
Haushaltskasse übrig hat, wird eher in seinem Verhalten bestärkt werden. Auch eine generelle Überzeugung,
das entsprechende Verhalten ausführen zu können (z. B.
günstige Anschlüsse zu haben, die Fahrkarte jederzeit
zurückgeben zu können etc.), ist hierbei hilfreich.
Die Berücksichtigung dieser drei Elemente der kognizierten Kontrolle ist sowohl relevant, wenn es darum geht,
neue Einstellungen zu schaffen, als auch dann, wenn bestehende Einstellungen verändert werden sollen, und ebenso,
wenn es um Verhaltensänderungen geht (Beispiele finden
sich in diesem Lehrbuch in den ▶ Kap. 12 und ▶ Kap. 15).
Ein weiterer Aspekt, der die Stabilität einer Einstellung
auch gegen starke Argumente reguliert, ist der Selbstwert,
der im Folgenden thematisiert wird.
Selbstwert
Die Selbstwertschutztheorie geht davon aus, dass Menschen bestrebt sind, ihren Selbstwert zu wahren und wenn
möglich zu erhöhen. Der Selbstwert funktioniert ähnlich
wie das Immunsystem, d. h. bedrohliche Informationen
(z. B. negative Testberichte über ein gerade gekauftes Produkt) werden zunächst abgeschirmt, indem sie untergewichtet, verdrängt oder reinterpretiert werden. Nennt
ein Sender eine selbstwertbedrohende Information (z. B.
abwertende Kritik), so werden die Information und/oder
der Sender abgewertet. Die Konsequenz ist, dass derjenige,
der ein Verhalten eines Dritten ändern möchte, diesen
Dritten durch Argumente nicht bedrohen oder abwerten
darf. Beinhaltet eine Kritik Wertschätzung gegenüber dem
Adressaten, so wird sie mit erhöhter Wahrscheinlichkeit
angenommen (als Überblick Petersen, Stahlberg & Frey,
2006). Ferner ist es wichtig, dass man dafür sorgt, dass
Empfänger ihre Freiheit nicht beeinträchtigt sehen. Diese
Freiheit wird auch von der Reaktanztheorie thematisiert,
die im Folgenden dargestellt wird.
Widerstand gegen Einengung
Die Reaktanztheorie (als Überblick Dickenberger, 2006;
Miron & Brehm, 2006) postuliert, dass Menschen ihre Freiheit erhalten wollen, sich autonom verhalten zu können.
Einengung entsteht entsprechend der Theorie unter zwei
Bedingungen:
Eliminierung von Alternativen (Du darfst nicht!)
Hervorhebung von Alternativen (Du musst!)
--
Freiheitseinengung im Sinne der Eliminierung einer Alternative oder der Hervorhebung einer Alternative kann zu
Reaktanz führen, was Widerstand und Bumerangeffekte
hervorruft. Typische Reaktionen sind Trotzverhalten, Aggression, Aufwertung der eingeschränkten Alternative und
Ablehnung der hervorgehobenen Alternative. Um solche
Reaktionen zu vermeiden, kommt Folgendes in Betracht:
Wenn man die Einstellung einer anderen Person ändern
will, muss man versuchen, sie mit den Argumenten nicht
einzuengen, sondern ihr Freiheitsspielräume zu lassen (als
ein Beispiel wurde weiter oben die Verwendung impliziter
Schlussfolgerungen genannt.) Als betroffene Person muss
sie am Änderungsprozess beteiligt sein, sie muss eingebunden werden. Insbesondere führen Brachialgewalt und
zu starker Druck zum Gegenteil dessen, was gewünscht
wird (siehe auch Dickenberger, Gniech & Grabitz, 2002).
Eine wichtige Verkaufstechnik besteht daher darin, Kunden mehr als eine Alternative anzubieten, ihnen also nicht
deutlich zu machen, dass man ohnehin schon weiß, was sie
wollen bzw. brauchen.
Gerechtigkeitsempfinden
Die Überzeugungskraft von starken Argumenten kann im
Falle wahrgenommener Ungerechtigkeit leiden. Gerechtigkeit wird immer dann erlebt, wenn Menschen erhalten, was
sie verdienen aufgrund dessen was/wer sie sind und was sie
getan haben. Diese Theorie wurde zwar bisher hauptsächlich in der Arbeits- und Organisationspsychologie angewandt, sie ist aber auch für den vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung. Persuasion kann man auch als einen
Austausch von Argumenten verstehen, wobei allerdings
der Sender erreichen will, dass der Rezipient den Output
des Senders stärker gewichtet als den eigenen. So gesehen
können Rezipienten Ungerechtigkeit wahrnehmen. Die Gerechtigkeitsforschung (siehe hier Tyler, 2004; Klendauer,
Streicher, Jonas & Frey, 2006) hat verschiedene Techniken
identifiziert, mit denen man wahrgenommene Ungerechtigkeit kompensieren kann. Eine „Kompensation“ kann
durch prozedurale Gerechtigkeit erfolgen: Hierzu gehört,
dass Argumente erläutert werden oder dass verwendete
Kriterien, die zu einem Ergebnis geführt haben, erklärt
werden. Ein anderer Aspekt ist, dass die zu überzeugende
Person eine Stimme („voice“) hat. Voice bedeutet, dass einer Person die Gelegenheit eingeräumt wird, sich zu artikulieren, sie also Luft ablassen, Bedenken vorbringen, ihre
eigene Position äußern kann. Weitere Mittel, mit denen
erlebte Ungerechtigkeit minimiert werden kann, besteht
darin, der Person mit Respekt und Achtung zu begegnen
(Wertschätzung), sich zu entschuldigen oder zu versuchen,
die Verantwortlichkeit für erlebtes Unrecht zu relativieren
(Montada & Kals, 2013). Für den Bereich des Beschwerdemanagements sind solche Überlegungen besonders bedeutsam. Dies sind Situationen, in denen Kunden ihren
„Output“ für unangemessen halten und es darauf ankommt,
prozeduale Gerechtigkeit „erlebbar“ zu machen.
Bei Interaktionen kann es aber auch dazu kommen,
dass Menschen Argumenten nicht zugänglich sind oder
diese verzerren, weil sie sich selbst „in Szene“ setzen wollen. Dies wird im folgenden Abschnitt thematisiert.
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Kapitel 4 • Erfolgreiches Überzeugen durch Argumente
Selbstdarstellung
Auch aufgrund von Selbstdarstellungstendenzen („impression management“) kann die Überzeugungskraft von
Argumenten beeinträchtigt werden. Selbstdarstellung
bezeichnet ein Motiv, nach dem Menschen in einem bestimmten (meist positiven) Licht vor anderen Menschen
erscheinen möchten (z. B. intelligent, kooperativ etc.). Die
Forschergruppe um Tetlock (z. B. Tetlock, 1992; Lerner &
Tetlock, 1999) konnte beispielsweise zeigen, dass Menschen ihre Einstellungen an erwartete Diskussionspartner
anpassten: War die Einstellung des erwarteten Diskussionspartners unbekannt, so nahmen die (studentischen)
Versuchspersonen eher moderate Einstellungen ein, d. h.
solche, die Studenten im Durchschnitt vertreten. War die
Einstellung des erwarteten Gegenübers bekannt, so passten
sich die Probanden ihrem Gesprächspartner an und äußerten entsprechende Einstellungen. Auch wer eigentlich
genau weiß, welche Biermarke am besten schmeckt, wählt
gelegentlich eine andere, um z. B. Individualität auszudrücken. Dies fanden Ariely und Levav (2000), wenn Gäste
in einem Restaurant nacheinander ihre Bestellung aus vier
unterschiedlichen Biersorten aufgeben sollten: Wer später bestellte, wählte eher eine der „übrig gebliebenen“ aus
– was im Übrigen dazu führte, dass die Betreffenden mit
ihrer Wahl weniger zufrieden waren.
Gruppendruck und Minoritäteneinfluss
Untersuchungen von Janis im Rahmen des Groupthink-Modells (Janis, 1982; Frey, Schulz-Hardt & Stahlberg, 1996)
zeigen, dass Gruppen einen starken Einfluss auf Einzelne
ausüben können. Der formelle Führer oder die Mehrheit
unterdrücken oft kritisches Denken, was dazu führt, dass
sich Einzelne dem Gruppendruck beugen, um die Harmonie innerhalb der Gruppe herzustellen bzw. nicht zu gefährden. Dieses hat positive und negative Konsequenzen. Positiv ist dies zu werten, wenn die Gruppe die „Wahrheit“ oder
die optimale Lösung eines Problems kennt und so andere
Mitglieder überzeugt, ihre Einstellung und ihr Verhalten zu
ändern. Dieser Gruppendruck und die Konformität können
allerdings auch nachteilig sein. Dies trifft dann zu, wenn
die Gruppe eine angemessene Meinung unterdrückt (vgl.
auch Frey, Schulz-Hardt & Stahlberg, 1996; Schulz-Hardt,
Frey, Lüthgens & Moscovici, 2000). Gruppendruck mag ein
Paradebeispiel dafür sein, dass sich auch gute Argumente
in sozialen Situationen oft nicht durchzusetzen vermögen.
Ganz so pessimistisch muss das Fazit allerdings nicht sein.
Es gibt durchaus Fälle, in denen sich eine einzelne Person oder ein kleines Team gegen eine Mehrheit durchsetzen kann. Die Erkenntnisse von Moscovici zeigen (vgl. als
Überblick Erb & Bohner, 2006), dass Minoritäten unter
ganz spezifischen Bedingungen durchaus Erfolg haben
können, nämlich dann, wenn sie:
---
sich einig und untereinander im Einklang sind,
konsistent über die Zeit hinweg sind,
flexibel in der Argumentation sind, d. h. teilweise zu
Kompromissen mit der Majorität bereit sind (Brücken bauen),
Koalitionen bilden
und besonders dann, wenn es gelingt, den Meinungsführer der Mehrheit zu überzeugen (dann ist der
Überzeugungsprozess auch der anderen Mehrheitsmitglieder erfolgsversprechender).
Wenn eine Minorität zeitlich konsistent und dabei flexibel
in der Argumentation gegen eine Majorität „ankämpft“,
kann dies bewirken, dass die Majorität zu einer tieferen
Verarbeitung der Information gelangt. Die Minorität bewirkt dabei einen Konflikt bei der Majorität über die Richtigkeit ihrer Position. Je konsistenter die Minorität ist, umso
eher besteht die Chance, dass zunächst einzelne und dann
mehrere Majoritätsmitglieder in ihrer Position verunsichert
werden und schließlich ihre Meinung ändern (siehe auch
Kerr, 2002; für einen Überblick siehe Erb & Bohner, 2002).
4.4
Ein Beispiel eines integrativen
argumentorientierten Programms
Im Folgenden wird ein Programm vorgestellt, wie Menschen
auf der Basis von Argumenten dazu gebracht werden können, ihre Ansichten und Gewohnheiten zu ändern. Dieses
Programm baut auf der Theorie der Schutzmotivation (Rogers, 1975; 1983) auf, die zeigt, wie Motivation und Fähigkeit
der Rezipienten erhöht werden, um dadurch Einstellungsund Verhaltensänderungen zu erreichen. Es handelt sich
um eine Theorie (als Überblick Frey, Stahlberg & Gollwitzer,
2001), die auf viele Bereiche des menschlichen Verhaltens,
in denen es um Veränderungen von Einstellungen, Verhalten und Gewohnheiten geht, angewandt werden kann,
beispielsweise auf Umweltverhalten, Gesundheitsverhalten
(vgl. ▶ Kap. 12) und auch Verhalten in Organisationen.
Damit Menschen ihr Verhalten (ihre Gewohnheiten)
ändern, bedarf es eines „Laufes über 110 m Hürden“. Entsprechende Kampagnen müssen gemäß der Theorie folgende Aspekte deutlich machen:
Schwerwiegende Konsequenzen: Eine Person muss
erkennen, dass sich schwerwiegende Konsequenzen
ergeben, wenn sie das Verhalten nicht ändert (z. B.
Leberzirrhose, wenn sie weiter trinkt).
-
Hohe Wahrscheinlichkeit für persönliche Betroffenheit: Die angesprochene Person muss feststellen, dass
sie als Alkoholiker von schwerwiegenden Konsequenzen betroffen ist (z. B. Arbeitsplatzverlust, Verlust
einer Partnerschaft, gesundheitliche Probleme).
63
Literatur
-
Möglichkeit effektiver Gegenmaßnahmen: Die
Person muss wahrnehmen, dass es Maßnahmen gibt,
gegen Alkoholismus etwas zu unternehmen (z. B. eine
Entziehungskur, soziale Unterstützung suchen).
Persönliche Ausführbarkeit effektiver Gegenmaßnahmen (Selbstwirksamkeit): Die Person muss wahr-
nehmen, dass sie selbst die Möglichkeit hat, solche
Maßnahmen umzusetzen.
Intrinsische/extrinsische Verstärker für bisheriges
Verhalten vs. intrinsische/extrinsische Verstärker
für neues Verhalten (Verhaltenskosten von bisherigem vs. neuem Verhalten): Dieses ist wohl der
gravierendste Wirkfaktor, weil häufig viele in- und
extrinsische Verstärker für das bisherige Verhalten
vorhanden sind, und es schwierig ist, für das neue
Verhalten in- oder extrinsische Verstärker zu erhalten. In vielen Fällen ist es deshalb leichter, ein neues
„zusätzliches“ Verhalten aufzubauen als ein altes
abzubauen und gegen ein neues auszutauschen.
Verdeutlichung von Eigennutz oder Gemeinnutz:
Die Person muss klar sehen, dass sie oder ihre Umgebung Vorteile von diesem neuen Verhalten hat.
Wichtig ist bei Kampagnen zu Einstellungs- und Verhaltensänderungen, dass man alle oben genannten Faktoren
erkennt und versucht, sie möglichst geschickt umzusetzen.
Durch Anwenden dieser Prinzipien konnte beispielsweise
gezeigt werden, dass Risikoverhalten in Bezug auf Hautkrebs (z. B. längeres Sonnenbaden) erheblich reduziert
werden kann (McMath & Prentice-Dunn, 2005).
??
Kontrollfragen
1. Unter welchen Umständen wird bei der Verarbeitung von Argumenten der periphere gegenüber
dem zentralen Weg bevorzugt?
2. In einem Beispiel im Lehrbuchkapitel versuchte
eine Geschäftsführerin einen Filialleiter zu überzeugen, die Filiale am Samstag zu öffnen. Der
Versuch, ihn zu überzeugen, die Filiale am Sonntag
zu öffnen, würde aber mehr Überzeugungsarbeit
erfordern. Was sind die Ursachen dafür?
3. Was ist der Unterschied zwischen einer einseitigen
und einer zweiseitigen Argumentation, und welche
von beiden führt zu stabileren Einstellungen?
4. Sie haben mit Sicherheit schon einmal die Phrase
„Das funktioniert in der Praxis doch nicht“ gehört.
Unter welche Kategorie von Scheinargumenten ist
sie einzuordnen?
5. Minoritäten können sich gegenüber einer Mehrheit
durchsetzen, aber mit deutlich mehr Erfolg, wenn
bestimmte Kriterien erfüllt sind. Können Sie drei
solcher Bedingungen nennen?
Fazit
In diesem Beitrag haben wir dargelegt, was gute Argumentationsketten sind und wie sie vermittelt werden können.
Ferner haben wir aufgezeigt, wie man trotz schwacher (oder
nicht vorhandener) Argumente andere Menschen (z. B. durch
Suggestivfragen oder Pseudoerklärungen) überzeugen kann.
Wahrscheinlich wären gesellschaftliche und wissenschaftliche
Fortschritte, von denen wir heute profitieren (z. B. technische
Erfindungen, medizinische Erkenntnisse, aber auch Demokratie und Menschenrechte) ohne rationales Überzeugen nicht
möglich gewesen. Doch man kann davon ausgehen, dass
Überzeugen auf Basis von starken Argumenten ein Ideal ist,
das durch zahlreiche Faktoren beeinträchtigt werden kann.
Die Wirkung rationaler Argumente ist begrenzt: Dort, wo beispielsweise die empfundene Bedrohung zu groß ist, wo Emotionen stark sind, wo die Beziehungsebene gestört ist, haben
es Argumente schwer. Wenn Menschen wenig zugänglich,
wenig offen sind, dann entscheiden stattdessen oft Affekte
und Vorurteile, wie ein Argument interpretiert wird – oder ob
es überhaupt wahrgenommen wird. Schlüssige Argumente
erfordern es, um wirksam zu sein, dass neben die Einsicht in
die Richtigkeit des neuen Verhaltens auch die Veränderung
von Belohnungsstrukturen oder der Glaube daran, das Verhalten auch tatsächlich ausführen zu können, treten. So sollte
es nicht überraschen, dass Emotionalisierung von vielen, die
überzeugen wollen, zumindest als eine hilfreiche Ergänzung
betrachtet wird (▶ Kap. 6).
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Kapitel 4 • Erfolgreiches Überzeugen durch Argumente
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4
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Persuasion
durch Glaubwürdigkeit
Matthias Spörrle, Florian Becker, Lutz von Rosenstiel
5.1
Begriffliche Klärungen – 68
5.1.1
5.1.2
5.1.3
5.1.4
Einstellung, Persuasion und daraus resultierende
Verhaltensweisen – 68
Glaubwürdigkeit – 69
Manipulation – 70
Ethik und Moral im Kontext der Persuasion – 71
5.2
Glaubwürdigkeit im Kontext – 72
5.2.1
5.2.2
5.2.3
5.2.4
5.2.5
Der Sender der Kommunikation – 73
Aspekte der Botschaft – 74
Der Empfänger der Kommunikation – 76
Der Kommunikationskanal – 77
Der Kontext der Kommunikation – 78
Literatur – 79
K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie, Springer-Lehrbuch,
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
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22
Kapitel 5 • Persuasion durch Glaubwürdigkeit
In Literatur und Geschichte finden sich zahlreiche Belege
dafür, dass die Überzeugungsleistung einer einzelnen Person eine fundamentale Wendung herbeiführen kann. Da ist
jene große Rede des Marc Anton, von William Shakespeare in
dichterische Form gebracht, in welcher der Redner in höchst
geschickter Weise den politischen Gegner unglaubwürdig
macht und das Volk, das anfangs noch für seinen Widersacher
war, gegen diesen aufwiegeln kann. Oder man erinnere sich
an die junge Maria Theresia, die in einer verzweifelten Lage
ihres Reiches in einer ergreifenden Rede mit Tränen in den
Augen die zunächst höchst reservierten Vertreter des ungarischen Hochadels zu wahrer Begeisterung und rückhaltloser Unterstützung ihrer Politik gewann. Diese Beispiele sind
Hinweis dafür, dass Kommunikation Menschen überzeugen,
Einstellungen wandeln und somit letztendlich auch Verhalten
verändern kann.
Ein wichtiger Faktor für diese Überzeugungsleistung ist
die wahrgenommene ▶ Glaubwürdigkeit des Senders. Ob
das subjektiv glaubwürdig Wirkende dabei wirklich objektiv glaubwürdig ist, bleibt jedoch eine offene Frage. Für die
Entfaltung einer psychologischen Wirksamkeit ist die Realität weniger wichtig als die wahrgenommene Realität. In
diesem Kapitel soll dementsprechend die wahrgenommene
Glaubwürdigkeit des Senders in ihren Auswirkungen auf die
Einstellung des Empfängers einer Botschaft dargestellt werden. Hierbei werden neben Sender und Empfänger weitere
▶ Komponenten der Kommunikation in ihrer Auswirkung
dargestellt, die sich im Rahmen von Einflussnahmeversuchen
des Senders auf den Empfänger als relevant erwiesen haben.
Überzeugen ist neben anderen Funktionen (wie z. B. Informieren, Beschreiben) eine häufige Zielsetzung der Kommunikation. Um eine überzeugende Kommunikation zu
bewirken, stehen unterschiedliche Wirkmechanismen
zur Verfügung. Dieser Beitrag analysiert nicht alle diese
möglichen Aspekte, die zur Überzeugung des Empfängers
verwendet werden können, sondern hat den Fokus auf das
Überzeugen durch Glaubwürdigkeit. Hierbei soll aufgezeigt werden, dass die Überzeugungswirkung einer Kommunikation von Merkmalen des Senders, des Empfängers,
der Botschaft und des Kontextes der Kommunikation
beeinflusst wird. Anschauliche Beispiele illustrieren den
praktischen Nutzen der dargestellten Befunde. Insgesamt
soll deutlich werden, was unter Glaubwürdigkeit zu verstehen ist und welche Auswirkungen glaubwürdige Kommunikation in unterschiedlichen Kontexten haben kann.
5.1
Begriffliche Klärungen
Bei der Betrachtung von Persuasion durch Glaubwürdigkeit ist es zunächst ratsam, einige Begriffe näher zu beschreiben und in ihrer Relevanz für unsere Thematik zu
beleuchten. Das sind zum einen Einstellung, Persuasion
und Glaubwürdigkeit, zum anderen ▶ Manipulation und
Ethik.
5.1.1
Einstellung, Persuasion und daraus
resultierende Verhaltensweisen
Einstellungen sind zeitlich relativ stabile Bereitschaften,
auf einen Meinungsgegenstand (Person, Objekt, Konzept)
wertend zu reagieren (vgl. z. B. Neumann, 2003, S. 135).
Die individuell geäußerte Einstellung ist dabei das integrative Ergebnis einer Zusammenfassung dreier Komponenten:
1. Wissen über den Meinungsgegenstand (kognitive
Komponente),
2. Gefühle, die mit dem Meinungsgegenstand verknüpft
sind (emotionale oder affektive Komponente),
3. Verhaltensintentionen gegenüber dem Meinungsgegenstand (motivationale oder konative Komponente).
Unter Persuasion wird die Veränderung von Einstellungen durch soziale Einflussnahme im Rahmen von Kommunikationsakten verstanden. Im Alltag verwenden wir
viel Zeit auf den Versuch, die Einstellungen anderer Personen zu verändern, sei es durch die Vermittlung von
Wissen oder durch die Aktivierung von Emotionen oder
Motiven. Persuasion gehört somit zum täglichen Leben.
Viele Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt damit,
professionell Einstellungen zu verändern, sei es durch die
Entwicklung und Schaltung von Werbung, als Verkäufer,
durch Kommunikation in der Presse, als Vorgesetzte, die
die Mitarbeiter unterweisen und motivieren, als Lobbyist
oder Wahlkampfstratege, der Politiker und ihre Entscheidungen beeinflusst, oder als Trainer in einem Seminar oder
einer Fußballmannschaft.
Sowohl aus der Forschungs- als auch insbesondere
aus der Anwendungsperspektive ist hierbei von Bedeutung, ob sich die veränderte Einstellung auch in entsprechenden Verhaltensweisen niederschlägt. Persuasion
soll letztlich konkret den Kauf eines Produkts, die Wahl
einer Partei, die Bewerbung bei einer bestimmten Firma
oder die Bereitstellung von Risikokapital bewirken. Neben
diesen Reaktionen erster Ordnung, die stets als konkretes
Verhalten anzusehen sind, sind auch wichtige Reaktionen
zweiter Ordnung von Bedeutung, die Auswirkungen der
Persuasion auf Einstellungen darstellen. Kundenzufriedenheit, Markenbekanntheit oder das Commitment von
Mitarbeitern sind Beispiele solcher Reaktionen, die durch
Persuasion beeinflusst werden können.
Die vertiefte Darstellung der Auswirkungen von Persuasion (also veränderter Einstellung) auf solche Reaktionen erster und zweiter Ordnung geht über den Rahmen
69
5.1 • Begriffliche Klärungen
dieses Kapitels hinaus, das sich zentral mit der Glaubwürdigkeit als einer Determinante der Persuasion beschäftigen
soll. Grundsätzlich seien an dieser Stelle lediglich zwei Aspekte angemerkt:
1. Zunächst belegt die Forschung, dass ein konsistenter
Zusammenhang zwischen Einstellung und damit assoziiertem Verhalten besteht, wenn neben den Einstellungen zum Einstellungsobjekt (z. B. „Ist dies ein hochwertiges Produkt?“) auch Einstellungen zur sozialen
Akzeptanz (z. B. „Was denken andere über mich, wenn
ich dieses Produkt kaufe?“), zur eigenen Fähigkeit (z. B.
„Kann ich dieses Produkt überhaupt bedienen?“) sowie zu den situativen Verhaltensmöglichkeiten (z. B.
„Habe ich die Möglichkeit, dieses Produkt zu kaufen/
nutzen?“) und konkreten Verhaltensintentionen (z. B.
„Möchte ich dieses Produkt kaufen/benutzen?“) berücksichtigt werden (vgl. Armitage & Conner, 2001).
Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem Bewusstsein zugänglichen Einstellungen und daraus resultierendem Verhalten muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass diese Verbindung durch unbewusste
Prozesse substanziell beeinflusst werden kann (Baumeister, Masicampo & Vohs, 2011).
2. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Persuasion
eine umso stärkere Wirkung entfalten kann, je überlegter das betreffende Zielverhalten durchgeführt wird
(beispielsweise beim Kauf eines Autos). Bei kognitiv
wenig elaborierten Verhaltensweisen (beispielsweise
dem vorher nicht geplanten Impulskauf einer Süßigkeit im Rahmen eines Lebensmittelgroßeinkaufs) hingegen werden Einstellungen (und damit Persuasion)
eine vergleichsweise geringere Bedeutung für das Verhalten haben. In solchen Kontexten entfalten aktuelle
Stimmungslagen oder die konkreten Merkmale der
Situation eine stärkere Wirkung.
5.1.2
Glaubwürdigkeit
Glaubwürdigkeit („credibility“) ist neben Attraktivität und
Macht (vgl. Kelman, 1961) eines der zentralen Merkmale des
Senders, die die Grundlage sozialer Einflussnahme bilden.
Betrachten wir an dieser Stelle exkursorisch kurz zentrale
Befunde zu Attraktivität und Macht, insoweit sie als für die
Persuasion relevant anzusehen sind. Dies erscheint insbesondere deswegen notwendig, weil Attraktivität gelegentlich
auch als eine Subdimension der Glaubwürdigkeit konzipiert
wird (vgl. Maathuis, Rodenburg & Sikkel, 2004), in jedem
Fall aber als eine ihrer Determinanten anzusehen ist.
Die Forschung belegt mitunter erhebliche Zusammenhänge zwischen der Attraktivität eines Senders und
der Einstellungsänderung bei Mitgliedern der Zielgruppe
(Baker & Churchill, 1979; Eagly & Chaiken, 1975; Fried-
man & Friedman, 1979; Tannenbaum; 1956). Attraktive
Personen führen zu positiverer Bewertung von Werbung,
steigern Kaufintentionen und tatsächliches Kaufverhalten,
attraktive Verkäufer haben mehr Interaktion mit Kunden
und werden positiver bewertet (vgl. im Überblick Koernig
& Page, 2002). Die Produktkategorie und das Produkt­
image wirken dabei als Moderatoren auf die Beziehung
zwischen Attraktivität und Persuasion (Koernig & Page,
2002; Parekh & Kanehar, 1994): Passt das Angebot nicht
zum Thema Attraktivität (z. B. Rasenmäher), hat diese unter Umständen nur sehr geringe oder gegenläufige Effekte
auf die Persuasion. Zudem zeigt sich in Kontexten der Personalbeurteilung, dass sich die Attraktivität der zu beurteilenden Person in gleichgeschlechtlichen Konstellationen
auch negativ auf die Beurteilung der Zielperson auswirken
kann (Agthe, Spörrle & Maner, 2010, 2011).
Auch der Bereich der Testimonials (dies können Prominente sein [„celebrities“] oder unbekannte Laientestimonials, die beispielsweise den typischen Nutzer repräsentieren) ist im Bereich der Glaubwürdigkeit dem Feld
Attraktivität und Kompetenz zuzuordnen. Die Forschung
zum Lernen am Modell hat gezeigt, dass insbesondere
solche Modellpersonen nachgeahmt werden, die attraktiv
sind, mit denen sich die Zielgruppen identifizieren können und die Erfolg haben (vgl. Bandura, 1969; zusammenfassend Neumann, 2003, S. 129). Es existieren Hinweise
darauf, dass bei der Betrachtung von Werbeanzeigen die
Identifikation mit dem Laientestimonial wichtiger sein
kann als dessen Attraktivität (Agthe, Herget, Spörrle &
Felser, 2011). Prominente als Modelle haben besonders bei
Angeboten mit hohem sozialem Risiko (Mode, Schmuck,
Kleidung etc.) einen starken Einfluss auf die Glaubwürdigkeit der Kommunikation.
Auf zwei Probleme der Werbung mit berühmten Personen sei an dieser Stelle hingewiesen: Obwohl Prominente
konsistent mit bestimmten Attributen (z. B. Persönlichkeitsmerkmalen) versehen werden (Bekk & Spörrle, 2010), besteht die Gefahr der Unglaubwürdigkeit durch den „Tanz auf
zu vielen Hochzeiten“. Für was hat eigentlich Franz Beckenbauer noch nicht geworben? In Folge solcher Aktivitäten
ist die Glaubwürdigkeit von Testimonials generell drastisch
zurückgegangen (King, 1989). Zudem ist bei Testimonials
auch die weitere Imageentwicklung nicht vorhersagbar.
So hat etwa ein großer deutscher Versorger mit Christoph
Daum geworben, um mit ihm die Unternehmenswerte nach
dem Motto auszudrücken: „Christoph Daum vertritt Werte,
die auch wir vertreten!“ – kurz vor seinem Kokainskandal.
Auch die Machtposition eines Senders kann auf die
Einstellungsübernahme Einfluss haben. Dies zeigt sich beispielsweise bei Opfern von Entführungen, Angehörigen
autoritärer Staaten und einigen Mitarbeitern in der Annäherung ihrer Auffassung an die des jeweils Mächtigen (von
Rosenstiel, Molt & Rüttinger, 2005).
5
70
Kapitel 5 • Persuasion durch Glaubwürdigkeit
1
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Kontext
Kanal
Sender
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.. Abb. 5.1 Für Persuasion relevante Komponenten der Kommunikation
Zurück zur Glaubwürdigkeit: Glaubwürdigkeit bedeutet, dass dem Sender die Fähigkeit und Motivation zugeschrieben wird, wahrheitsgetreu zu kommunizieren (vgl.
Fill, 2002, S. 36). Dementsprechend wird Glaubwürdigkeit
in der Literatur überwiegend als das Produkt aus wahrgenommener Kompetenz („expertise“, „expertness“) und
Vertrauenswürdigkeit („reliability“, „trustworthiness“)
des Senders angesehen (vgl. Berlo, Lemert & Mertz, 1969;
Mowen, Wiener & Joag, 1987). Angemerkt sei an dieser
Stelle, dass das Konzept der Glaubwürdigkeit insbesondere
in faktoranalytischen Studien mitunter mit weiteren Dimensionen versehen wurde (z. B. Dynamik), die sich jedoch nicht einheitlich durchgesetzt haben (vgl. Pornpitakpan, 2004). Glaubwürdigkeit ist somit eine von mehreren
Eigenschaften einer Kommunikationsquelle, die Persuasion beeinflussen können, und setzt sich aus den Dimensionen Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit zusammen.
Glaubwürdigkeit und Persuasion lassen sich empirisch
mitunter kaum trennen, insbesondere in Studien, die extrem hohe Korrelationen zwischen beiden Konstrukten
belegen (z. B. r = .85; Moldovan, 1984). Zudem wird Glaubwürdigkeit in Untersuchungen oft indirekt aus den Änderungen von Einstellungen abgeleitet. Bei einem Blick auf
klassische Kommunikationsmodelle (z. B. Schramm, 1955;
Shannon & Weaver, 1962; McGuire, 1969) fällt allerdings
auf, dass zum besseren Verständnis der Persuasionsprozesse mehr als nur die Quelle der Kommunikation gehört.
Auch die Botschaft, der Empfänger, der Kanal, auf dem
die Kommunikation erfolgt, sowie der Kontext, in dem die
Kommunikation stattfindet (z. B. Vorgeschichte und das
soziale Umfeld, vgl. Lazarsfeld, Berelson & Gaudet, 1948;
Katz & Lazarsfeld, 1955), sind zu beachten, da deren Merkmale mit der Glaubwürdigkeitswahrnehmung des Senders
interagieren.
Es scheint somit sinnvoll, die Betrachtung der Glaubwürdigkeit über die Ebene des Senders hinaus auszudehnen. Die Forschungslage zeigt dementsprechend, dass es
ratsam ist, Glaubwürdigkeit nicht nur bezüglich der Quelle
der Kommunikation zu analysieren, sondern auch im Kontext der anderen Variablen, die das kommunikative Setting definieren (. Abb. 5.1): Die Botschaft an sich, aber
auch das Medium der Kommunikation können glaubwür-
dig oder eben unglaubwürdig wirken und dadurch den
Kommunikationseffekt stark beeinflussen. Auch Eigenschaften und Zustände des Empfängers (wie etwa seine Intelligenz oder gegenwärtige Stimmung) und Merkmale des
Kontextes der Kommunikation (z. B. die Vorgeschichte)
beeinflussen die wahrgenommene Glaubwürdigkeit. In
. Abb. 5.1 ist zudem noch ein einstufiges Modell der Kommunikation abgebildet. Tatsächlich ist jedoch davon auszugehen, dass auch mehrstufige Kommunikationsaspekte
– wie etwa vermittelt über Meinungsführer und soziale
Gruppen – mit der Glaubwürdigkeit eng verbunden sind.
Bevor auf diese Aspekte eingegangen wird, soll jedoch das
Thema Manipulation kurz angesprochen werden, da es mit
dem Stichwort Persuasion oft verbunden wird.
5.1.3
Manipulation
Der Begriff „Persuasion“ ist nicht unbedingt positiv besetzt. Viele Menschen assoziieren damit Manipulation.
Man denkt an unseriöse Verkäufer und Politiker sowie
Betrug. Auch bei der Werbung wird häufig und schnell an
Manipulation gedacht (▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Marktpsychologen als „geheime Verführer“
Nicht unerheblich zur Diskreditierung der Werbung
beigetragen haben Veröffentlichungen, die weniger
der wissenschaftlichen Erkenntnis als dem eigenen
Marketing und der Beeinflussung potenzieller Kunden
dienten. Ein berühmtes Beispiel dafür ist die Vicary-Studie (Vicary, 1957), bei der angeblich unterschwellig
zwischen den einzelnen Bildern einer Kinovorführung
Aufforderungen zum Konsum von Popcorn und Cola
eingeblendet wurden. Der Absatz habe sich daraufhin
deutlich erhöht. Auch wenn diese Studie mittlerweile
als Fälschung entlarvt wurde (vgl. Neumann, 2003,
S. 31), hat sie breite Aufmerksamkeit gefunden und
wird noch häufig zitiert. Den Marktpsychologen
brachte dies den Ruf ein, „geheime Verführer“ zu sein
(Packard, 1957).
Andere Untersuchungen zeigen mittlerweile allerdings
durchaus die Möglichkeit auf, unterhalb der bewussten
Wahrnehmungsschwelle Einfluss nehmen zu können (z. B. Lazarus & McCleary, 1951; Hawkins, 1970).
Auch Karremans, Stroebe und Claus (2006) haben die
Forschung zu unbewussten Primings in der Werbung
aufgegriffen und konnten in der Tat nachweisen, dass
durch nicht bewusst wahrgenommene Markennamen
der Konsum in Richtung dieser Marken gelenkt werden
konnte, zumindest dann, wenn ein entsprechendes
71
5.1 • Begriffliche Klärungen
Grundbedürfnis vorhanden war. Ein Bedürfnis scheint
somit nicht weckbar zu sein, aber wenn es vorhanden
ist, kann es durch unterschwellige Stimulation wohl
entsprechend gelenkt werden; dieses Priming kann
sogar habituelle Markenpräferenzen überdecken
(Verwijmeren, Karremans, Stroebe & Wigboldus, 2011).
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass
offensichtlich auch das Konzept „Vertrauen“ an sich
durch Priming aktiviert werden kann, was die Persuasionswirkung einer nachfolgend präsentierten Botschaft
erhöht (Légal, Chappé, Coiffard & Villard-Forest, 2012).
Für Konsumentenschützer beruhigend ist in diesem
Zusammenhang sicherlich, dass durch eine explizite
Warnung vor solchen Primings deren Wirksamkeit
ausgeschaltet werden kann (Verwijmeren, Karremans,
Bernritter, Stroebe & Wigboldus, 2013).
Nicht selten spricht Werbung kaufentscheidende Motive
verdeckt an, die nicht zum Vorteil des Konsumenten gereichen. So spricht etwa eine Automobilwerbung für einen
Sportwagen das heikle Motiv „Gas geben“ verdeckt durch
die Darstellung (durchdrehende Reifen) an und rationalisiert gleichzeitig verbal: „Sie können länger frühstücken.
Sie sind früher zum Abendessen zurück. Gibt es ein besseres Familienauto?“
Auch andere schwer durchschaubare Techniken des
Marketings haben für die Aktivitäten der Anbieter sensibilisiert. So ist beispielsweise „Captive-Product-Pricing“
weit verbreitet. Ein Hauptangebot – etwa ein Drucker –
wird extrem kostengünstig, mitunter sogar stark subventioniert, angeboten. Das benötigte Zubehör – in diesem
Fall die Druckerpatrone – wird stark überteuert angeboten. So hat etwa Hewlett-Packard eine Marge von 35 %
auf seinen Tintenpatronen und erwirtschaftet über 70 %
des Gesamtgewinns mit Druckerzubehör (Elgin, 2003).
Ähnliches zeigt sich bei Mobiltelefonen, die mit Verträgen verschenkt oder sehr günstig angeboten werden. Die
verdeckten und langfristigen Kosten, die beispielsweise im
Rahmen des Vertrags anfallen, sind schwer durchschaubar
und kognitiv fern und werden deswegen von vielen Personen bei ihren Kaufentscheidungen wenig gewichtet oder
sogar ganz ausgeblendet.
Häufig wird auch versucht, durch Verträge, Kompatibilität von Zubehör, Kündigungsfristen, bürokratischen
Aufwand, bestimmte Dateiformate und anderes Austrittsbarrieren für die Kunden aufzubauen. Nicht umsonst wird
darum im Marketing von „Customer-lock-In“ gesprochen.
Manipulation ist allerdings ein komplexer Begriff, der
einer näheren Betrachtung bedarf. Von Rosenstiel und
Neumann (2002) definieren Manipulation mittels der folgenden Kriterien, die alle vorliegen müssen, um von Ma-
nipulation sprechen zu können (angemerkt sei an dieser
Stelle, dass auch weniger strenge Definitionen des Begriffs
existieren):
1. Der Sender beeinflusst den Empfänger bewusst.
2. Der Sender verfolgt damit den eigenen Vorteil.
3. Der Sender nimmt keine Rücksicht auf mögliche Nachteile für den Empfänger.
4. Der Sender verwendet dabei nicht oder kaum zu
durchschauende Techniken und lässt dem Empfänger
damit das Gefühl der freien Entscheidung.
Bei Persuasion lassen sich – wie bereits gesagt – nicht von
vornherein alle vier Kriterien der Manipulation annehmen.
So kann Persuasion durchaus dem Vorteil des Empfängers
dienen. Ein Beispiel wäre die Anwendung von schwer
durchschaubaren Techniken, wie etwa das klassische Konditionieren von Emotionen in der Werbung, um jemanden
dazu zu bringen, mit dem Rauchen aufzuhören. Zudem
kann Persuasion auch vollkommen offen und sachlich erfolgen, ohne dass dabei schwer durchschaubare Techniken
angewendet werden.
Zu bedenken ist hierbei, dass mit einem aufgedeckten
manipulativen Verhalten die Glaubwürdigkeit und das
Vertrauen meist langfristig erodiert werden. In wirtschaftlichen, politischen oder anderen zwischenmenschlichen
Kontexten hat dies dann verheerende Konsequenzen für
die langfristige Beziehung. So fiel es beispielsweise der Regierung Bush wesentlich schwerer, die UN gegen den Iran
und sein Atomprogramm zu mobilisieren, als dies noch
bei Saddam Hussein und dem Angriff auf den Irak der
Fall war. Außenminister Powells im Nachhinein immer
unglaubwürdiger erscheinender Auftritt bei den UN hat
offensichtlich nicht nur ihn viel politisches Kapital und
Glaubwürdigkeit gekostet.
Es lässt sich also festhalten: Wenn es um langfristige
Beziehungen geht, sind Glaubwürdigkeit und offene Manipulation meist antagonistisch. Wird die Manipulation
erkannt, sind die Vertrauenswürdigkeit und damit die
Glaubwürdigkeit nicht mehr gegeben.
5.1.4
Ethik und Moral im Kontext
der Persuasion
Auch wenn Manipulation und Persuasion nicht stets miteinander verknüpft sind, gibt es doch eine Vielzahl von
Beispielen, die ethische und moralische Fragestellungen
aufwerfen. So werden in der Werbung Strategien angewandt und Inhalte vermittelt, die durchaus intensive Diskussionen verdienen. Einige Beispiele hierzu:
Ein Hersteller von Kartoffelchips zeigt in seiner
Werbung Comicfiguren, die föhnend in der Badewanne sitzen oder mit Metallgegenständen in den
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-
Kapitel 5 • Persuasion durch Glaubwürdigkeit
eingesteckten Toaster greifen. Dies soll dazu dienen,
den kribbeligen Geschmack des Produktes zu verdeutlichen. Die Wirkung dieser Werbung auf Kinder
ist gerade aus einer Perspektive des Modelllernens
(Bandura, 1979) bedenklich.
Ein anderer Hersteller von Kartoffelchips lässt brennende Stuntmen – die stark an politische Selbstverbrennungen erinnern – in der Fußgängerzone
herumrennen. Die (zumindest) verblüfften Beobachter bekommen anschließend die „besonders feurigen“
Chips präsentiert.
Ein Konsortium zur Entwicklung eines neuartigen
militärischen Fluggerätes vermarktet dieses in den
USA mit einer Anzeige, die das Waffensystem über
einer zerstörten und brennenden, offensichtlich
arabischen, Stadt zeigt. Der Text: „It descends from
the heavens. Ironically it unleashes hell.“ Zwar mag
dies der Zielgruppe gefallen, die über den Rüstungsetat verfügt, doch ist die Wirkung unter anderem auf
arabischstämmige Minoritäten sicherlich bedenklich.
Eine Münchner Diskothek bewirbt ihr alkoholisches
Angebot mit dem Slogan „Billig macht willig.“ Dazu
die Abbildung von Damenbeinen mit einem heruntergelassenen Slip, was nicht nur aufgrund der bloßen
Sexualisierung als problematisch anzusehen ist.
Die Werbung eines Fitness-Studios: Ein stark dickleibiger Mensch hält Nahrung in ein Piranha-Becken.
Doch die Fische orientieren sich lediglich an seinem
Bauch hinter der Glaswand.
Dies sind eher offenkundige Beispiele, die schlicht durch
ihre Rücksichtslosigkeit ethisch problematisch sind. Aber
auch nicht-durchschaubare Werbung oder Marktkommunikation, die für gesundheitsschädliche Angebote wie
Alkohol oder Tabakwaren wirbt, verdient aus einer moralischen Perspektive durchaus eine genauere Diskussion.
Auch ein kritischer Blick in die Anreiz- und Bewertungssysteme mancher Unternehmen, mit denen diese
die Arbeitseinstellungen ihrer Mitarbeiter beeinflussen,
verdeutlicht, dass in vielen Bereichen der Wirtschaft
ethisch bedenkliche Persuasion betrieben wird. Mitunter
zeigen sich Strukturen, bei denen Mitarbeiter allein nach
ihrer kurzfristigen Leistung – unabhängig von gesundheitlichen und sozialen Folgen – bewertet werden und die – je
nach Werthaltung – als menschenverachtend eingestuft
werden könnten. Gängige Slogans wie „up or out“ oder
„grow or go“ spiegeln diese Haltung wider. Auch zeigt sich
durch das Zuweisen von Statussymbolen wie Dienstwagen oder Notebooks eine oft schwer zu durchschauende
Einflussnahme auf Personen, der sich zu entziehen mit
zunehmender Zeit immer schwieriger wird.
Besonders Verkaufspraktiken geraten in die Kritik. Diese müssen dafür nicht unbedingt im Bereich des
Trickbetrugs oder der Haustürgeschäfte angesiedelt sein.
Günstige Lockangebote, die oft nicht (mehr) vorhanden
sind, wenn die Kunden in das Geschäft kommen, sind ein
Beispiel; aber auch das sehr günstige Anbieten von Artikeln, bei denen Kunden Referenzpreise gespeichert haben,
und das gleichzeitig überteuerte Angebot solcher Waren,
bei denen diese Referenzpreise nicht bestehen. Als Resultat
kaufen die Kunden die überteuerten Artikel, weil sie annehmen, diese seien ebenfalls günstig.
Die dramatischsten Beispiele für fragwürdige Persuasion eröffnet sicherlich regelmäßig der Sektor Medien,
Public Relations und Politik. So hat beispielsweise 1991
eine angebliche „Augenzeugin“ tränenüberströmt und
glaubwürdig erscheinend vor dem UN-Menschenrechtsausschuss berichtet, wie irakische Soldaten bei ihrem Einmarsch in Kuwait Babys aus ihren Brutkästen geworfen
hätten. Erst viel später stellte sich heraus, dass sie als Verwandte des Botschafters von Kuwait während der ganzen
Zeit des irakischen Einmarsches in den USA gewesen war.
Sie wurde offenbar von einer PR-Agentur zu dieser Aussage
animiert, um den Irak zum Feindbild im Westen aufzubauen und die UN-Entscheidungen zu beeinflussen (vgl.
Olschewski, 1992, S. 173; Palm & Rötzger, 2002, S. 148,
164, 174).
Gerade systematische Persuasion, wie sie etwa in der
Werbung betrieben wird, hat auch Auswirkungen im Sinne
der Sozialisation der Bevölkerung (vgl. im Überblick von
Rosenstiel & Neumann, 2002; Kroeber-Riel & Weinberg,
2003). So kann eine allgemeine sozialisierende Wirkung
angenommen werden (Meyer & Koller, 1971; Hermanns,
1972; Ward, Klees et al., 1987). Insgesamt kann als Konsequenz dieser Wirkung durch professionelle Persuasion
mit Milliardenetats eine Tendenz zu wachsender Außensteuerung kritisiert werden (Riesman, 1971). Werte des
„Habens“ werden dadurch gegenüber denen des „Seins“
in der Gesellschaft zunehmend in den Vordergrund gerückt (Fromm, 1976). Erwartungen an den Lebensstandard
werden geweckt, die weit über dem Durchschnitt liegen.
Durch diese unrealistisch positiv inszenierte Welt in der
Werbung wird die kritische Auseinandersetzung mit der
Realität verringert und der Ressourcenverbrauch übersteigert (vgl. ▶ Kap. 16).
5.2
Glaubwürdigkeit im Kontext
Die wahrgenommene Glaubwürdigkeit wird von Variablen des Senders, der Botschaft, des Empfängers, des Kanals
und des Kontextes der Kommunikation beeinflusst. Sollen
die Glaubwürdigkeit oder der persuasive Erfolg einer Kommunikation bestimmt werden, kommt man nicht umhin,
die Konfigurationen dieser zahlreichen Variablen zu beachten, wodurch Kontingenzmodelle erforderlich werden
5
73
5.2 • Glaubwürdigkeit im Kontext
(. Abb. 5.2). Im Folgenden werden zentrale Befunde der
Glaubwürdigkeitsforschung zu den Bereichen Sender, Botschaft, Empfänger, Kanal und Kontext dargestellt.
Sender
Kontext
5.2.1
Der Sender der Kommunikation
Bei Betrachtung der im Folgenden vorgestellten Befunde
ist zunächst anzumerken, dass der Sender insbesondere
im Rahmen der Werbekommunikation weiter ausdifferenziert werden sollte (Moser & Spörrle, 2013): Es kann
unterschieden werden zwischen dem Unternehmen, das
hinter der Werbebotschaft steht, dem Autor der Werbebotschaft (i. d. R. ein Werbekreativer) und der (möglicherweise
gar nicht real existierenden) Persona, die gegebenenfalls in
der Werbung auftritt. Alle diese drei Entitäten können in
den Augen des Empfängers unterschiedliche Imageaspekte
oder Ausprägungen von Persuasionsdeterminanten besitzen, die miteinander in Wechselwirkung treten können.
Dass dem Unternehmen als Sender möglicherweise stereotypenhaft eine geringere Glaubwürdigkeit unterstellt wird,
kann aus der Studie von Dou, Walden, Lee und Lee (2012)
abgeleitet werden: Probanden, denen ein von YouTube
stammendes Produktvideo über den Amazon Kindle 2
gezeigt wurde, beurteilten die Quelle als weniger glaubwürdig, wenn ihnen gesagt worden war, dass es sich beim Sender um Amazon handelt als dann, wenn ein Produktnutzer
oder eine unabhängige Produkttest-Website als Quellen
benannt worden waren. Für eine akkurate Abschätzung der
Werbewirkung empfiehlt es sich somit möglicherweise die
Einstellung der Empfängergruppen hinsichtlich aller drei
Sender-Entitäten zu erfassen.
Grundsätzlich kann, von Ausnahmen abgesehen (z. B.
Tormala, Briñol & Petty 2006), als empirisch gesichert angenommen werden, dass ein glaubwürdiger Sender grundsätzlich eine höhere Persuasionswirkung hat als ein weniger glaubwürdiger (vgl. Pornpitakpan, 2004; ▶ Übersicht).
Nicht nur hinsichtlich Einstellungen kann ein Nachweis
der Glaubwürdigkeitswirkung erbracht werden, auch Verhaltensmaße erweisen sich als mit der Glaubwürdigkeit
des Senders verbunden. So konnten beispielsweise Weick,
Gilfillan und Keith (1973) nachweisen, dass Musikern beim
Spielen des gleichen Musikstücks mehr Fehler unterliefen,
wenn sie dachten, dass es von einem wenig glaubwürdigen
Komponisten geschrieben worden war, als dann, wenn sie
einen sehr glaubwürdigen Urheber vermuteten.
-
Glaubwürdigkeit und Eigenschaften des Senders
Kompetenz und Expertise sind insbesondere bei
wenig kompetenten Zielgruppen und bei Angeboten, bei denen der Kunde (beispielsweise aufgrund
Glaubwürdigkeit
Kanal
Botschaft
Empfänger
.. Abb. 5.2 Glaubwürdigkeit und Komponenten der Kommunikation
-
der Komplexität des Angebots) stark von seinem
Vertrauen geleitet wird, empfehlenswert.
Wahrgenommene Motivation bzw. Vertrauenswürdigkeit (keine wahrgenommenen Anreize für
Falschaussagen, Argumentation entgegen den
eigenen Interessen) des Senders fördern die Glaubwürdigkeit.
Attraktivität (in einigen Modellen nicht als Bestandteil der Glaubwürdigkeit angesehen) des Senders
unterstützt die Glaubwürdigkeit, wenn sie zum
Kommunikationsinhalt passt.
Es zeigt sich zudem, dass Quellen, die gegen ihr eigenes
Interesse argumentieren, besonders glaubwürdig sind
(Eagly, Wood & Chaiken, 1978). So wäre eine Warnung
der Genindustrie vor den erheblichen Gesundheitsrisiken
eines ihrer Produkte sicher wesentlich glaubwürdiger als
die gleichen von Greenpeace kommunizierten Bedenken.
Verbunden hiermit ist auch das Befundmuster, dass durch
die Revidierung einer zuvor geäußerten Meinung ein Sender seine persuasive Wirkung erhöhen kann. Hier ist jedoch wichtig, dass die Argumente, die den Sinneswandel
herbeigeführt haben, stark sind (Reich & Tormala, 2013).
Insbesondere bei qualitativ schwer greifbaren Produkten mit hohem Kaufrisiko (beispielsweise teuren Technikprodukten mit komplexen Spezifikationen) scheint
die Glaubwürdigkeit des Senders bedeutsam zu sein. Hier
dient sie als Hinweisreiz für die Qualität, da objektive
Qualitätsmerkmale nicht verfügbar oder nur aufwändig
erschließbar sind (vgl. Grewal, Gotlieb & Marmorstein,
1994; Kotler & Keller, 2006).
Die Glaubwürdigkeit des Senders hängt insbesondere
von den Variablen ab, die Einfluss auf die zugrunde liegenden Variablen Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit
ausüben. Hierzu gehören Aspekte wie wahrgenommenes
Wissen des Senders, Fähigkeiten und Erfahrung in einem
für den Meinungsgegenstand relevanten Bereich. So ist
etwa Boris Becker geeignet als kompetenter Sender für die
Bewerbung von Tennisschlägern; vergleichsweise weniger
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Kapitel 5 • Persuasion durch Glaubwürdigkeit
geeignet dürfte er als Experte für Automobile sein. Eine
Konsequenz für die Marktkommunikation ist daher die
Auswahl von Quellen, deren Kompetenz im relevanten Bereich bei der Zielgruppe außer Zweifel steht. Es gilt, dafür
entsprechende Belege und Leistungsbeispiele zu kommunizieren. Insbesondere bei Angeboten mit hohen Risiken
in gesundheitlicher oder finanzieller Hinsicht ist die Zuschreibung von Kompetenz wichtig (vgl. von Rosenstiel
& Neumann, 2002, S. 225). Einige Forschungsarbeiten bemühten sich auch um eine Analyse eines möglicherweise
differenziellen Effekts der Subdimensionen Kompetenz
und Vertrauenswürdigkeit. So deuten beispielsweise die
Befunde von McGinnies und Ward (1980) darauf hin, dass
Vertrauenswürdigkeit im Vergleich zur Kompetenz als bedeutsamere Variable anzusehen ist.
Die wahrgenommene Kompetenz kann aber auch
mit der wahrgenommenen Qualität der vorgebrachten
Argumente in Wechselwirkung treten: Wenn es gilt, Personen von etwas zu überzeugen, was ihren Einstellungen
widerspricht, dann ist es für einen als kompetent wahrgenommenen Sender schädlich, schwache Argumente zu
präsentieren, er wirkt dann sogar weniger überzeugend als
ein Nicht-Experte (sowohl als der, der schwache als auch
als der, der starke Argumente präsentiert; Clark, Wegener,
Habashi & Evans, 2012). Zudem scheint auch eine Wechselwirkung der Kompetenz mit der wahrgenommenen Sicherheit des Senders zu bestehen: So wirkte eine sehr kompetente Quelle dann überzeugender, wenn ihre persuasive
Aussage mit geringer Sicherheit vorgetragen wurde (eine
Nicht-Experten-Quelle hingegen wirkte dann überzeugender, wenn die Aussage mit hoher Sicherheit vorgetragen
wurde). Interpretiert wurde dieser Befund damit, dass die
Inkongruenz zwischen hoher Kompetenz und niedriger
Sicherheit erwartungsdiskonform ist und somit eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Argumenten bewirkt.
Damit dieser Effekt Wirksamkeit entfalten kann, ist es somit erforderlich, dass zumindest eine gewisse Qualität der
Argumente vorliegt (Karmarkar & Tormala, 2010).
In speziellen Situationen kann aber auch Inkompetenz
für eine erfolgreiche Persuasion eine wichtige Eigenschaft
der Quelle sein, um Einfachheit in der Bedienung eines
Produkts oder einer Dienstleistung zu verdeutlichen: So
kann die Tatsache, dass Boris Becker (der nicht als Experte für diesen Bereich gilt) ein Computerprogramm
bedienen kann, als Hinweis auf die leichte Bedienbarkeit gesehen werden. Schließlich kann sich natürlich die
wahrgenommene Glaubwürdigkeit eines Senders im Laufe
der Kommunikation ändern. Etwa durch die Qualität der
Argumente (Swasy & Munch, 1985) oder die Reaktionen
anderer Empfänger.
Die langfristige Bedeutung der Glaubwürdigkeit
des Senders wird durch andere Forschungsergebnisse
wieder relativiert (Kelman & Hovland, 1953). Nach 6 Wochen bestanden bei der Einstellungsänderung keine Unterschiede mehr zwischen Gruppen, die einer Botschaft
von einer unglaubwürdigen oder von einer glaubwürdigen Quelle ausgesetzt waren. Kurz nach der Kommunikation waren die Unterscheide noch deutlich gewesen. Diese
und andere Forschungsergebnisse zum sog. Sleeper-Effekt
haben Konsequenzen für die Praxis (zusammenfassend:
Kumkale & Albarracín, 2004). Offenbar wird die Glaubwürdigkeit der Quelle im Laufe der Zeit weniger bedeutend für die Einstellungsänderung. Verleumdungskampagnen unglaubwürdiger Quellen sind daher langfristig
effektiv.
5.2.2
Aspekte der Botschaft
Neben dem Sender ist auch die Botschaft (in Form und
Inhalt) eine wesentliche Determinante der Glaubwürdigkeit (▶ Übersicht). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass beim Empfänger unterschiedliche kognitive Prozesse im Persuasionskontext abzulaufen scheinen,
abhängig davon, ob auf den Sender oder die Botschaft
fokussiert wird (Clark, Wegener, Sawicki, Petty & Brinol,
2013). Dies spricht dafür, bei der Analyse der Persuasionswirkung einer Werbung nicht nur Merkmale der Botschaft
zu analysieren, sondern auch, ob und in welchem Maße
der Rezipient überhaupt diese Merkmale der Botschaft fokussiert. Es ist anzunehmen, dass gerade im Kontext der
noch folgend zusammengefassten Forschung zu Aspekten
der Botschaft diese durch das Untersuchungsdesign und
durch Instruktion der Teilnehmenden in den Fokus gerückt wurden. Daher sollten die hier zusammengetragen
Befunde nicht unreflektiert auf den Anwendungskontext
übertragen werden.
Die bloße Wiederholung einer Botschaft reicht bereits aus, sie glaubwürdiger erscheinen zu lassen (Arkes,
Boehm & Xu, 1991). Wir kennen alle als Beispiel hierfür
den berühmten Ausspruch „Ceterum censeo Carthaginem
esse delendam!“, der angeblich am Ende jeder Rede oder
Aussage von Cato Censorius fiel. Insbesondere wenn verschiedene Quellen die Botschaft wiederholen, dürfte die
Glaubwürdigkeit davon profitieren. Für die Marktkommunikation ist das ein wesentliches Argument für eine wiederholte Schaltung von Werbung. Allerdings gibt es auch
Hinweise darauf, dass es ein Zuviel an Wiederholungen
gibt, weil dadurch die Absicht zu überzeugen deutlicher
wird, was wiederum die Reaktanz des Empfängers erhöht
(Koch & Zerback, 2013). Die Forschung von Shu und Carlson (1014) spricht dafür, dass dreimal die optimale Anzahl
von Wiederholungen ist, wenn der Empfänger beim Sender persuasive Absichten vermutet.
75
5.2 • Glaubwürdigkeit im Kontext
Glaubwürdigkeit
und Eigenschaften der Botschaft
-
Starke Argumente sollten wiederholt werden, ohne
starke Übertreibung verwendet und mit Variation
eingesetzt werden.
Schwache Argumente sollten weniger häufig wiederholt werden.
Zweiseitige Kommunikation ist bei gebildeten Zielgruppen und bei widersprechenden Einstellungen
der Zielgruppe wirksamer.
Zweiseitige Argumentation ist auch zu empfehlen,
wenn gegen widersprechende Kommunikation
(durch Konkurrenten) immunisiert werden soll.
Einseitige Kommunikation ist bei wenig gebildeten
und einstellungskonformen Zielgruppen sinnvoll.
Eine niedrige Glaubwürdigkeit des Senders verlangt
die Vermeidung übertreibender Argumente.
Übertreibende Argumente sind bei ohnehin
hochwertig eingeschätzten Werbegegenständen
möglich und wirksam.
Eine hohe Glaubwürdigkeit des Senders verlangt
gute Argumente. Fehlen diese, sollten weniger
glaubwürdige Sender eingesetzt werden.
Gleichwohl sind hierbei die Sättigungseffekte allzu aufdringlicher Werbung zu berücksichtigen. Zudem gibt es
neben der Sättigung auch eine Habituierung, die zu Nichtbeachtung führt. Hier ist also auf Maß bei der Wiederholung sowie auf Variation in der Marktkommunikation
zu achten. Fehlen bei verbaler Argumentation die guten
Argumente, kann eine Wiederholung zudem sogar kontraproduktiv für die Glaubwürdigkeit und damit für die
Einstellungsänderung sein. Die Empfänger haben dann
Zeit, Gegenargumente zu entwickeln und die kommunizierten Inhalte zu hinterfragen. Gute und glaubwürdige
Argumente profitieren dagegen von mehreren Wiederholungen (Cacioppo & Petty, 1985).
Interessanterweise haben aber auch schwache Argumente ihre Berechtigung im Kontext der Persuasion: Geht
es darum Personen, die bereits eher positiv eingestellt
gegenüber einer Sache sind, zu einer noch stärker gefestigten Meinung oder sogar zu entsprechendem Verhalten
zu bewegen, scheint es empfehlenswerter zu sein, eher mit
schwächeren Argumenten zu beginnen. Dies führt bei den
Rezipienten eher dazu, eigenständig weitere Argumente für
den Meinungsgegenstand zu entwickeln und dadurch die
eigene Meinung noch stärker zu festigen (Akhtar, Paunesku
& Tormala, 2013). Insbesondere in der Nachkaufphase
(z. B. bei Urlaubern nachdem sie am Ressort angekommen
sind) bietet dieser Befund wichtige Handlungspotenziale,
um die (wegen der nachträglichen Rechtfertigung des eigenen Verhaltens) ohnehin wohl schon positive Grundhaltung weiter zu verstärken.
Zweiseitige Kommunikation (▶ Kap. 4), die auch Gegenargumente beinhaltet, scheint dann angemessen zu
sein, wenn die Zielgruppe überdurchschnittlich gebildet
ist und die Argumentation ihrer vorhandenen Einstellung
entgegengerichtet ist. Auch immunisiert zweiseitige Argumentation die mit ihr vermittelten Einstellungen gegen
widersprechende Persuasionsversuche von einer Gegenseite (McGuire, 1964). Die Empfänger haben sich dann
bereits mit den Gegenargumenten auseinandergesetzt und
sind kritischer. Einseitige Kommunikation (nur Pro-Argumente) ist dann vorzuziehen, wenn die Zielgruppe
geringer gebildet ist und wenn die Personen bereits die
gewünschten Einstellungen haben (Hovland, Lumsdain
& Sheffield, 1949).
Wie schwierig die Wirkung einer bestimmten Argumentation abzuschätzen ist, zeigt sich in zahlreichen empirisch nachgewiesenen Wechselwirkungen mit anderen
Komponenten des Kommunikationsakts: Insbesondere
Empfänger mit hohem Involvement (hohe Bedeutung
des Gegenstands für die eigene Person) sprechen stark
auf die Qualität der Argumente an. Die Qualität der
Argumente an sich ist bei Personen mit geringerem Involvement hingegen nur dann effektiv, wenn der Sender
besonders glaubwürdig ist (Heesacker, Petty & Cacioppo,
1983). Conen (1985) ging davon aus, dass eine übertreibende, mit vielen Superlativen arbeitende Werbung generell zu Reaktanz führt und somit ihr Ziel verfehlt. Diese
Hypothese bestätigte sich nicht. Daraufhin betrachtete
Conen den Werbegegenstand. Erschien dieser hochwertig, so hatte die geschilderte Superlativwerbung den
erwünschten Effekt und wirkte in diesem Kontext glaubwürdig. Erschien der Werbegegenstand dagegen minderwertig, kam es zu der zunächst generell vermuteten Reaktanz; der gleiche Text wirkte in diesem Zusammenhang
offensichtlich unglaubwürdig. In ähnlicher Weise ist auch
bei Sendern mit geringerer Reputation auf allzu extreme
und übertriebene Argumente zu verzichten (vgl. dazu
auch Goldberg & Hartwick, 1990). In diesem Zusammenhang erwähnenswert sind ebenfalls die Befunde von Tormala, Briñol und Petty (2006), die zeigen konnten, dass
ein Sender mit hoher Glaubwürdigkeit dann zu einer
reduzierten Persuasion führt, wenn schwache Argumente
für das beworbene Produkt angegeben werden. Dieselben schwachen Argumente führten aber bei einer Quelle
mit geringerer Glaubwürdigkeit zu einer vergleichsweise
erhöhten Persuasion. So belegen diese Befunde, dass die
wahrgenommene Güte der vorgebrachten Argumente mit
Merkmalen des Empfängers, des Werbungsgegenstands
sowie des Senders in Wechselwirkung tritt.
5
Kapitel 5 • Persuasion durch Glaubwürdigkeit
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5.2.3
Der Empfänger der Kommunikation
In der Kommunikation bestimmen zahlreiche Variablen des Empfängers darüber, wie glaubwürdig ein Sender erscheint (▶ Übersicht). Je geringer das Vorwissen
über ein Angebot, desto wichtiger sind für die Persuasionswirkung die Expertise und Vertrauenswürdigkeit
der Quelle, also ihre Glaubwürdigkeit (Ratneshwar &
Chaiken, 1991). Wissen Personen dagegen bereits sehr
viel über einen Werbegegenstand, dann haben sie in der
Regel bereits feste Einstellungen hierzu entwickelt. Hier
führt dann das Streben nach kognitiver Konsistenz und
Dissonanzreduktion (vgl. Festinger, 1957) häufig zu einer Verteidigungshaltung: Den eigenen Einstellungen
widersprechende Information wird vorselektiert, kritisch
und einseitig hinterfragt und aktiv widerlegt (▶ Kap. 4).
Entsprechend hat sich gezeigt, dass bei einer einstellungsdiskrepanten Kommunikation der Sender besonders
glaubwürdig sein muss, um überhaupt einen Einstellungswandel erreichen zu können (McGinnies, 1973). Bei einstellungskonformer Kommunikation ist dagegen offenbar
ein Sender mit mittlerer Glaubwürdigkeit effektiver als
einer mit hoher Glaubwürdigkeit, weil der Empfänger
entsprechend viele stützende Argumente selbst generiert
(Dholakia, 1986). Eine praktische Konsequenz daraus ist,
zu Beginn der Kommunikation zunächst mit der Einstellung der Zielgruppe konforme Inhalte zu platzieren, um
eine Abwehrhaltung der Zielgruppe zu vermeiden. Später
können vorsichtig auch zunehmend kritischere Inhalte
gesendet werden, die aber jeweils die bereits bestehenden
Einstellungen berücksichtigen sollten.
Glaubwürdigkeit im Kontext von Eigenschaften
und aktuellen Zuständen des Empfängers
-
Bei geringem Wissen der Empfänger sind die
Expertise des Senders und seine Glaubwürdigkeit
besonders relevant.
Bei umfangreichem Wissen sollte zunächst einstellungskonform mit der Kommunikation begonnen
werden. Es sind besonders starke und abgestimmte
Argumente erforderlich.
Personen, die sehr stark auf soziale Akzeptanz achten, reagieren besonders auf sozial positiv bewertete Modelle und sozialen Druck.
Personen, die eher individualistisch orientiert sind,
reagieren stärker auf die Expertise und Kompetenz
des Senders.
Periphere Hinweisreize sind immer wichtig, insbesondere aber bei niedrigem Involvement.
Bei höherem Involvement sind starke Argumente
und zweiseitige Argumentation wichtig.
-
Je geringer Wissen und Intelligenz der Empfänger
sind, desto wichtiger sind periphere Hinweisreize
und desto unangebrachter starke und ausführliche
Argumentationen.
Auch Persönlichkeitsmerkmale der Empfänger spielen
eine Rolle. Personen, die sehr sozial orientiert sind und
stark auf die Meinungen anderer achten, sind besonders
empfänglich für attraktive Sender, mit denen sie sich identifizieren können (DeBono & Harnish, 1988). Bei Personen mit eher individualistischer Orientierung sind hingegen Expertise und Kompetenz der Quelle bedeutsamer
für die Glaubwürdigkeit der Kommunikation. Personen,
denen die soziale Akzeptanz wichtig ist, orientieren sich
also folgerichtig an sozial akzeptierten Modellen bei ihrer
Einstellungsbildung. Sie versuchen, Einstellungen zu übernehmen, die ihrem Umfeld gefallen. Praxisrelevant ist dies
insbesondere bei der Kommunikation mit Zielgruppen, die
beispielsweise in einem bestimmten Alter entwicklungsbedingt stark außenorientiert sind. Hier kann bei der Kommunikation auf sozialen Druck gesetzt und mit attraktiven
Bezugsgruppen geworben werden. In diesen Subkulturen
sozial stark akzeptierte Modelle – etwa Extremsportler
oder Musikstars – können dann sehr glaubwürdig sein und
effektiv bei der Persuasion eingesetzt werden. Personen,
die autoritaristisch eingestellt sind (Harvey & Hays, 1972)
oder weniger zur Reflexion und zum Nachdenken neigen
(McGinnies & Ward, 1974), werden besonders stark von
Sendern mit hoher Glaubwürdigkeit beeinflusst.
Eine zentrale Moderatorvariable für die Glaubwürdigkeit der Kommunikation auf Seiten des Empfängers ist
das bereits angesprochene Involvement. Dieses ergibt sich
aus der wahrgenommenen Bedeutung eines Einstellungsobjekts für eine Person (Zaichkowsky, 1985). So wird ein
Motorradfan bei einer Kommunikation über Harley-Davidson entsprechend mit hohem Involvement reagieren,
eine ältere Dame hingegen eher nicht oder gar ablehnend.
Das Involvement hängt eng mit den Bedürfnissen, Werten und Motiven einer Person zusammen. So wird der
genannte Motorradfan wahrscheinlich ein stärkeres Bedürfnis nach Freiheit, Wildheit, Männlichkeit und Ungebundenheit haben. Je stärker die Beziehung des Inhalts
einer Kommunikation oder des Werbegegenstands zu den
Motiven und Bedürfnissen erlebt wird, desto höher ist das
Involvement. Ganz in diesem Sinne konnten auch Hirsh,
Kang und Bodenhausen (2012) zeigen, dass Werbeanzeigen dann als überzeugender beurteilt wurden, wenn sie
der Persönlichkeit der beurteilenden Person entsprachen.
Befunde wie diese untermauern die Relevanz der Passung
von Merkmalen des Empfängers mit denen der Werbebotschaft.
77
5.2 • Glaubwürdigkeit im Kontext
Das individuelle Involvement beeinflusst die Verarbeitung der Kommunikation. Petty, Cacioppo und Schumann
(1989) haben dementsprechend ein Modell entwickelt, um
die Verarbeitung von Werbung unter verschiedenen Involvementbedingungen zu erklären: Bei einer Verarbeitung
unter High-Involvement-Bedingungen wird die Kommunikation unter starker kognitiver Beachtung verarbeitet.
Insbesondere wenn die Zielgruppe ein hohes Involvement
hat oder schlechte Erfahrungen mit einem Angebot gemacht
hat, sind Glaubwürdigkeit und starke Argumente, die auch
potenzielle Gegenargumente und das Vorwissen der Zielgruppen berücksichtigen, in der Kommunikation wichtig
für eine Einstellungsänderung. Unter Low-Involvement-Bedingungen haben Personen hingegen kaum Interesse daran,
sich intensiv mit der Kommunikation auseinanderzusetzen;
auch sehr überzeugende Argumente werden unter diesen
Bedingungen kaum beachtet. Unter solchen Bedingungen
achten Menschen verstärkt auf periphere Hinweisreize wie
das Aussehen einer Person, die Einrichtung eines Geschäftes, die bloße Länge eines Textes, die Gestaltung einer Verpackung oder eben auch die Glaubwürdigkeit einer Quelle
(vgl. auch Eagly & Chaiken, 1993, S. 336 ff.).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass individuelle Einstellungen durch periphere Hinweisreize insbesondere unter Low-Involvement-Bedingungen deutlich
beeinflusst werden. Unter High-Involvement-Bedingungen
sollten zudem passende Argumente eingesetzt werden, die
auf die kognitive Komponente von Einstellungen abzielen.
Auch die individuelle Fähigkeit und Möglichkeit
zur Verarbeitung einer Kommunikation beeinflusst die
Glaubwürdigkeitseinschätzung: Fehlen die kognitiven und
zeitlichen Voraussetzungen zur Verarbeitung oder treten
Störungen hierbei auf (Festinger & Macoby, 1964; Eagly &
Chaiken, 1993), haben auch gute Argumente keine Auswirkung auf die Persuasion, denn sie werden schlichtweg nicht
verstanden. Das zeigt sich beispielsweise in politischen
Diskussionen: Nur eine Minderheit der Wahlberechtigten
kann angemessen beurteilen, wie das Gesundheitssystem
gestaltet werden sollte, damit es effizienter wird, und wie
die unterschiedlichen Argumente hierbei zu beurteilen
sind. In solchen Fällen nehmen periphere Hinweisreize
(z. B. die Sympathie des Politikers) die zentrale Funktion
bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit ein. Ähnliche
Entwicklungen zeigen sich bei komplexen High-Tech-Produkten, bei denen die meisten Kunden beim Vergleich der
Alternativen einfach überfordert sind. Entsprechend gewinnen Marken als Schlüsselreize und Sympathieträger an
Bedeutung. Konsistent dazu sind die Untersuchungsergebnisse von Hovland, Lumsdain und Sheffield (1949), dass
zweiseitige Kommunikation glaubwürdiger ist, wenn die
Zielgruppe gebildet ist. Fehlen die intellektuellen Voraussetzungen (Wissen und Intelligenz), dann ist elaborierte
Kommunikation unwirksam.
5.2.4
Der Kommunikationskanal
Der gewählte Kanal der Kommunikation tangiert die
Glaubwürdigkeit eher indirekt, indem er es erlaubt, entsprechende Argumente oder periphere Hinweisreize zu
senden (▶ Übersicht). Insbesondere die Bandbreite und
der Grad an Individualisierung der Kommunikation sind
wichtige Grundvoraussetzungen, um glaubwürdige Botschaften übermitteln zu können.
Glaubwürdigkeit und Eigenschaften
des Kommunikationskanals
-
Der Kommunikationskanal bedingt durch seine
Bandbreite den Anteil an peripheren Hinweisreizen
und Argumenten, der übermittelt werden kann.
Eine zunehmende Bandbreite führt zu einer Polarisierung der Glaubwürdigkeitsurteile.
Je nach Zielgruppe und Inhalt der Botschaft ist eine
andere Auswahl oder Mischung der Kanäle geeignet, um eine individuelle Ansprache zu erreichen.
Der Kanal ist selbst ein peripherer Hinweis auf die
Glaubwürdigkeit des Senders. Es empfiehlt sich
daher, die Einstellungen zu bestimmten Kanälen
für bestimmte Botschaften bei den Zielgruppen zu
eruieren.
Insgesamt sprechen aktuelle Forschungsarbeiten
dafür, dass selbst technikaffine Empfängergruppen
digitale Werbekanäle (E-Mail, SMS) hinsichtlich Vertrauen, Verlässlichkeit und individueller Präferenz
als niedriger einschätzen als klassische Werbekanäle
(Fernsehen, postalische Werbung).
Zunächst zur Bandbreite: Durch E-Mail oder Papier (nur
Text) können wesentlich weniger periphere Hinweisreize
transportiert werden als bei einem Telefonat (Text sowie
paraverbale Signale wie Lautstärke oder Tonhöhe) oder bei
einem persönlichen direkten Gespräch (Text, paraverbale
Signale sowie nonverbale Signale wie Mimik und Gestik).
Eine Erhöhung der Bandbreite scheint generell zu einer
stärkeren Polarisierung der Glaubwürdigkeit zu führen
(Brandstätter, 1975). Wer glaubwürdig ist, wird umso
glaubwürdiger wahrgenommen. Wer ohnehin unglaubwürdig ist, wird umso unglaubwürdiger wahrgenommen.
Ein unglaubwürdiger Sender ist daher im Fernsehen noch
unglaubwürdiger als im Radio und noch am glaubwürdigsten in Pressetexten. Umgekehrt ist ein glaubwürdiger Sender am glaubwürdigsten im Fernsehen und am wenigsten
glaubwürdig in Pressetexten (Worchel, Andreoli & Eason,
1975).
Neben der Bandbreite ist auch die Möglichkeit zur Individualisierung der Kommunikation (der Standardisie-
5
78
Kapitel 5 • Persuasion durch Glaubwürdigkeit
20
rungsgrad) bedeutsam: Je spezifischer auf den einzelnen
Empfänger eingegangen werden kann, desto überzeugender kann kommuniziert werden. So ist es bei Plakaten,
Fernsehspots oder Flyern schwer, auf den einzelnen Empfänger einzugehen. Bei direkten persönlichen Gesprächen,
Telefonaten oder Direktmarketingmaßnahmen mit zur
Segmentierung verwendeten Datenbanken der Zielpersonen im Hintergrund ist deutlich mehr Individualisierung
realisierbar. Entsprechend kann der Inhalt der Kommunikation an die einzelnen Empfänger angepasst und so die
Persuasionswirkung erhöht werden.
Zudem gibt es je nach Kanal Unterschiede in der Möglichkeit des Empfängers zum Widerspruch: Ein Werbespot im Fernsehen läuft weiter und lässt dem Empfänger
(im Unterschied zu einem Zeitungsinserat) nicht viel Zeit
zu hinterfragen oder zum Entwickeln eigener Gedanken.
Im Internet kann (im Unterschied zum Fernsehen) leicht
nach Vergleichsobjekten, Kundenmeinungen oder Belegen
gesucht werden. Eine gewagte Argumentation hat somit
im Fernsehen ein vergleichsweise relativ geringes Risiko,
hinterfragt zu werden.
Schließlich kann der Kanal selbst als peripherer Hinweisreiz auf die Glaubwürdigkeit fungieren. So leidet
beispielsweise gegenwärtig insbesondere das E-Mail-Marketing unter der Spamproblematik, die dazu führt, dass
generell Werbeinhalte von E-Mails und SMS-Kurznachrichten allein aufgrund des Mediums als weniger glaubwürdig eingeschätzt werden. Bemerkenswerterweise zeigt
sich diese relative Abwertung von neuen Werbekommunikationskanälen im Vergleich zu klassischen, obwohl die
digitalen Medien sicherlich schon im Leben der meisten
Befragten angekommen sind. Zudem scheinen auch jüngere und digitalaffinere Gruppen dieses Vorurteil bezüglich
der Werbekanäle zu besitzen (Danaher & Rossiter, 2011).
Möglicherweise ist diese negative Konnotation neuer Medien bei Frauen noch stärker ausgeprägt, da sie von einer
E-Mail-Kommunikation deutlich weniger überzeugt werden als von einer persönlichen Interaktion, wohingegen
für Männer dieser Unterschied nicht auftritt (Guadagno
& Cialdini, 2002). Auch positiv aktivierende und damit
vermeintlich in jedem Fall positive digitale Kanäle sind
nicht immer von Vorteil: In Online-Spielen eingebettete
Werbung war im Vergleich zu Online-Bannerwerbung nur
dann von Vorteil, wenn kein explizites Einkaufziel vorlag,
war dieses jedoch vorhanden, zeigte sich kein Vorteil der
ins Spiel eingebetteten Werbung (Jung, Min & Kellaris,
2011).
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22
Der Kontext der Kommunikation
Auch der Kontext der Kommunikation beeinflusst die
Glaubwürdigkeit (▶ Übersicht). So ist es wichtig, dass die
vorhergehenden Erfahrungen mit dem Sender den Ein-
druck von Aufrichtigkeit hinterlassen haben (Eagly, Wood
& Chaiken, 1978). Das gilt auch dann, wenn jemandem
über Dritte mitgeteilt wurde, dass eine Quelle nicht glaubwürdig sei.
Glaubwürdigkeit und Eigenschaften
des Kommunikationskontextes
-
Bestehen bereits schlechte Erfahrungen oder
Vorwarnungen, dann sind gute Argumente umso
wichtiger.
Die Reaktion von anderen Personen im Umfeld des
Empfängers auf die Kommunikation ist wichtig für
die Glaubwürdigkeit der Botschaft.
Ablenkung des Empfängers kann die Glaubwürdigkeit schwacher Argumente erhöhen.
Der Einfluss anderer Personen auf die Glaubwürdigkeit
einer Botschaft zeigt sich auch an weiteren Forschungsergebnissen. Reagieren beispielsweise andere Personen in
der Gegenwart des Empfängers positiv auf eine Botschaft,
steigt deren Glaubwürdigkeit und das Ausmaß der Persuasion (Hildum & Brown, 1956; Wood & Kallgren, 1988).
Noch ausgeprägter ist dieser Effekt bei Personen, die stark
auf soziale Akzeptanz achten. Vor dem Hintergrund dieser
Befunde empfiehlt es sich beispielsweise bei einem Auftritt
in der Öffentlichkeit, im Publikum Personen zu platzieren,
die sich der vorgetragenen Argumentation deutlich sichtund hörbar anschließen.
Fehlen der Kommunikation die starken Argumente, so
kann auch bei nicht einstellungskonformen Empfängern
mit entsprechender Ablenkung der Aufmerksamkeit während der Kommunikation dennoch eine persuasive Wirkung in die gewünschte Richtung erfolgen, da periphere
Hinweisreize an Bedeutung gewinnen und somit die Botschaft insgesamt glaubwürdiger wird (vgl. Petty, Wells &
Brock, 1976). In der Praxis zeigen sich entsprechende Anwendungen bei der Split-Screen-Werbung, bei der im Hintergrund in einem zweiten Fenster die Sendung weiterläuft.
Ein weiterer Aspekt ist hierbei das Timing von Kommunikation. So können Informationen gezielt dann kommuniziert werden, wenn die Zielgruppe ohnehin abgelenkt (und
evtl. zusätzlich in gute Stimmung versetzt) ist, beispielsweise durch Großereignisse wie Weltmeisterschaften.
Allgemein ist davon auszugehen, dass wegen der zunehmenden Informationsüberlastung die meiste Kommunikation ohnehin nicht mit voller Aufmerksamkeit verfolgt
wird. So kann immer häufiger von Ablenkung ausgegangen
werden. Entsprechend nimmt die Bedeutung peripherer
Hinweisreize als Indikatoren der Glaubwürdigkeit in der
Marktkommunikation zukünftig weiter zu.
79
Literatur
??
Kontrollfragen
1. Fassen Sie kurz den aktuellen Forschungsstand
zum unterschwelligen Priming im Kontext von
Werbung zusammen.
2. Inwiefern kann zwischen verschiedenen Sendern
einer Werbebotschaft unterschieden werden und
warum ist diese Unterscheidung wertvoll?
3. Welche Merkmale des Senders sind relevant für
dessen glaubwürdigkeitsbasierte persuasive Wirkung?
4. Nennen Sie eine Wechselwirkung zwischen Merkmalen des Senders und Merkmalen der Botschaft.
5. Welche Merkmale des Empfängers sind im Kontext
glaubwürdigkeitsbasierter Persuasion bedeutsam?
Fazit und Ausblick
Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit (assoziiert mit Variablen wie Attraktivität, Machtposition und Dynamik) erweisen
sich auf Seiten des Senders als zentrale Bestimmungsstücke
der wahrgenommenen Glaubwürdigkeit. Die hier dargestellten Befunde belegen, dass Persuasion generell in eindeutiger
Weise mit hoher Glaubwürdigkeit des Senders verbunden
ist, dass hierbei aber die anderen Komponenten der Kommunikation bei der Analyse der Verbindung zu berücksichtigen sind, da hierbei komplexe Wechselwirkungen entstehen
können. So wurden beispielsweise Befunde dargestellt, die
belegten, dass eine maximale Glaubwürdigkeit des Senders nicht immer vorzuziehen ist (z. B. wenn nur schwache
Argumente vorliegen und bei Konformität zwischen der anfänglichen Meinung des Empfängers und der Aussage der
Botschaft).
Forscher wie auch Praktiker sind daher gut beraten, sich
für ein Gesamtmodell des Zusammenhangs von Glaubwürdigkeit und Persuasion von einfachen Wenn-dann-Aussagen
zu verabschieden. Gerade neuere Studien aus der Persuasionsforschung befassen sich zwischenzeitlich intensiv mit
Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Merkmalen der
am Kommunikationsprozess beteiligten Elemente und adressieren hierbei Fragen im Kontext von Passung, Kompensation,
Kontrast und Assimilation. Diese Erträge sind erfreulich, machen aber auch deutlich, dass die Annäherung an die Realität mit einer erhöhten Komplexität unseres Kenntnisstands
einhergeht. Ein Werbekonzept, das demensprechend die hier
dargestellten Kommunikationskomponenten berücksichtigt
und hierbei auch explizit mögliche Wechselwirkungen zwischen den beteiligten Elementen miteinbezieht, läuft weniger
Gefahr, keine oder eventuell sogar gegenläufige Effekte zu
erzielen. Das Werbekonzept ist dementsprechend vor Beginn
der Kampagne nicht nur hinsichtlich seiner einzelnen Komponenten separat zu validieren und zu optimieren, sondern
muss durch Forschung abgesichert werden, die die möglichen
Wechselwirkungen der einzelnen Kommunikationsbestandteile und -beteiligten explizit berücksichtigt.
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Kapitel 5 • Persuasion durch Glaubwürdigkeit
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5
83
Emotionale Werbung
Axel Mattenklott
6.1
Begriffsklärungen – 84
6.1.1
6.1.2
6.1.3
6.1.4
Eine Klassifikation von Werbebotschaften – 84
Emotion, Stimmung und Gefühl – 84
Identifizierung und Messung von Emotionen – 85
Zwei Arten emotionaler Reaktionen – 88
6.2
Modelle emotionaler Werbung – 88
6.2.1
6.2.2
6.2.3
6.2.4
6.2.5
Emotionale Konditionierung – 89
Einstellungsübertragung – 89
Gefühle durch den Gebrauch von Marken – 92
Gefühle als Motive – 93
Wirkung spezifischer Gefühle – 95
Literatur – 98
K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie, Springer-Lehrbuch,
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
6
Kapitel 6 • Emotionale Werbung
84
2
„Man hat nur eine Chance, wenn man die Menschen berührt,
wenn sie merken, etwas kommt von Herzen.“ (Josef Zotter,
Hersteller handgeschöpfter Schokolade; zitiert nach Eck,
2006, S. 39)
3
6.1
4
6.1.1
1
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
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21
22
Begriffsklärungen
Eine Klassifikation
von Werbebotschaften
Wenn im Folgenden von Werbung die Rede ist, dann geht
es um Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, Spots im
Hörfunk und Fernsehen sowie Werbeformen im Internet.
Diese Art Werbung wird in klassischen Medien vermittelt
und wird daher auch als klassisch bezeichnet. Werbung
umfasst eine Reihe weiterer Varianten, wie z. B. Sponsoring oder Event Marketing. Neue Varianten werden
entwickelt, z. B. Branded Entertainment (die Marke wird
in die Unterhaltungssendung integriert), Programming
(eine Fernsehsendung im Dienst der Marke, z. B. die Nutella-Show) oder zunehmend Werbung in Videospielen.
Im Unterschied zur klassischen Werbung sind die weiteren Varianten in der werbepsychologischen Forschung
mit Ausnahme von Product Placements (vulgo Schleichwerbung) bislang selten untersucht worden (Glass, 2007;
Woelke, 1998).
Werbebotschaften vermitteln einen Inhalt, der auf
verschiedene Weise umgesetzt werden kann. Drei breite
Kategorien der Ausführung lassen sich unterscheiden:
Kommunikatoren, Erzählungen und Produktpräsentationen (Mattenklott, 2002; Shimp, 1976). Kommunikatoren in der Werbung sind entweder Prominente oder
Menschen „wie du und ich“, die im Zusammenhang mit
einer Marke dargestellt werden. Erzählungen in der Werbung sind Inszenierungen chronologischer Handlungen
oder Zusammenstellungen unverbundener Handlungen.
Chronologische Handlungen unterscheiden sich im Verlauf ihres Spannungsbogens. Steigt die Spannung einer
Handlung bis zu einem Punkt stetig an und fällt danach
ab, bezeichnet man die Erzählung als klassisches Drama
(▶ Beispiel).
Beispiel
| |
Der Werbespot zeigt eine junge Frau im Büro, die ihre
Arbeit unterbricht, weil sie offensichtlich von Kopfschmerzen geplagt wird. Trotz ihrer Anstrengung weiterzuarbeiten, kommt sie nicht voran. Eine Kollegin bemerkt dies und gibt ihr eine Tablette. Die Protagonistin
lächelt dankbar. Schnitt. Nach einiger Zeit geht es ihr
besser.
Besteht der Werbespot aus einer Folge unverbundener
Handlungen, spricht man von einem Vignette-Drama. In
der Regel sind solche unverbundenen Handlungen sehr
kurz und von stark rhythmischer Musik begleitet.
Der Inhalt von Werbebotschaften lässt sich danach unterscheiden, ob er informativ oder emotional bzw. transformationell ist. Informationen bestehen aus Argumenten
zugunsten der beworbenen Marke oder der empfohlenen
Handlung, z. B. nicht zu schnell zu fahren. Produktpräsentationen unterstützen häufig die Argumente, wenn z. B. demonstriert wird, dass eine Maschine zum Abschleifen von
Lacken jeden Winkel eines Fensterrahmens erfasst.
Emotionale bzw. transformationelle Werbebotschaften
versuchen, angenehme Gefühle, Emotionen oder Stimmungen zu erzeugen und sie auf die beworbenen Marken
zu übertragen (. Abb. 6.1). Bei Mischformen, die in der
Praxis häufig vorkommen, richtet sich die Zuordnung danach, ob die Argumente überwiegen oder die Intention,
angenehme Gefühle zu erzeugen.
6.1.2
Emotion, Stimmung und Gefühl
Obschon die drei Begriffe „Emotion“, „Gefühl“ und „Stimmung“ nicht einheitlich definiert werden (z. B. Otto, Euler
& Mandl, 2000), lassen sie sich durch die folgenden Charakteristika unterscheiden:
Emotionen sind unmittelbare, kurzzeitige und
intensive Reaktionen auf Ereignisse, die sich als
körperliche Veränderung (z. B. des Herzschlags), als
Ausdruck (Mimik, Gestik) und als individuelles Erleben äußern, das zumeist sprachlich benannt werden
kann. Emotionen, wie z. B. Furcht, synchronisieren
Gedanken, Handlungen, körperliche Veränderungen,
Gefühle und Motive.
Stimmungen sind seltener Reaktionen auf Ereignisse,
zumindest nicht unmittelbare. Sie sind weniger intensiv als Emotionen und halten i. d. R. länger an.
Gefühle sind die subjektiven Komponenten von
Emotionen, d. h. sie sind das, was als individuelles
Erleben benannt werden kann. Gefühlsbegriffe sind
wesentlich zahlreicher als Begriffe für Emotionen;
z. B. wird in der psychologischen Literatur Freude als
Emotion bezeichnet. Freude kann auch als Gefühl
berichtet werden: „Ich freue mich“. Daneben gibt es
zahlreiche Begriffe, die das gleiche oder ein verwandtes Gefühl ausdrücken, z. B. „bin begeistert“, „… in
froher Stimmung“, „… aufgeräumt“ oder „… froh“.
-
Der Begriff „Affekt“ bezeichnet einen heftigen Gefühls­
ausbruch mit stark reduzierter Handlungskontrolle. Er ist
eher ein psychiatrischer als ein psychologischer Begriff, z. B.
„… eine Straftat ist im Affekt verübt worden“. Der englisch-
85
6.1 • Begriffsklärungen
Klassifikation der Werbestrategien
Inhalt
Ausführung
Informationell
Kommunikatoren
Markeneigenschaften
Experten
Erzählung
Transformationell
Gefühle beim
Sehen des
Werbespots
Gefühle beim
Gebrauch der
Marke
Demonstration des Effektes
Präsentation des Produktes
.. Abb. 6.1 Klassifikation von Werbebotschaften nach Umsetzung und Inhalt
sprachige Begriff „affect“ wird als Oberbegriff für Emotion
und Stimmung verwendet. Im Deutschen hat der Begriff
„Emotion“ diesen Status. Entsprechend bezeichnet der Begriff „emotionale Werbung“ alle Gestaltungsformen, die intendieren, Emotionen, Stimmungen oder Gefühle zu erzeugen, die für die Einstellungen gegenüber den beworbenen
Marken oder das Befolgen beworbenen Verhaltens günstig
sind (Mattenklott, 2002). Welche Emotionen von Werbung
erzeugt werden, wird im folgenden Abschnitt behandelt.
6.1.3
Identifizierung und Messung
von Emotionen
Für die Identifizierung von Emotionen lassen sich zwei
Methoden unterscheiden (Poels & DeWitte, 2006). Eine
Methode vertraut darauf, dass die Probanden sich ihrer
Gefühle bewusst sind und sie verbal oder bildlich beschreiben können. Begründet wird sie mit der Annahme,
dass Gefühle die Folge von Bewertungen sind und nicht
den Bewertungen vorausgehen. Diese Annahme ist für Bewertungstheorien („Appraisal“-Theorien) zentral. Wahrgenommene Ereignisse werden zunächst bewertet, und in
Abhängigkeit von der Bewertung eines bestimmten Ereignisses wird ein Gefühl erzeugt. Die zweite Methode erfasst
körperliche Veränderungen, die als Indikatoren von Emotionen aufgefasst werden. Derartige körperliche Veränderungen sind den Probanden nicht in jedem Fall bewusst.
Selbstbeschreibung
Bei der ersten Methode, die sich auf Selbstbeschreibungen
stützt, lassen sich zwei Varianten unterscheiden. Die erste
Variante hat zum Ziel, die bei der Wahrnehmung von Werbung erlebten Emotionen verbal beschreiben zu lassen. Die
zweite Variante lässt die Emotionen bildlich wiedergeben.
Verbale Beschreibung
Verbale Beschreibungen von Gefühlen stammen aus Protokollen der Probanden oder aus ihren Angaben, ob und
in welchem Ausmaß die in existierenden Klassifikationen
enthaltenen Emotionsbeschreibungen mit den selbst erlebten Emotionen übereinstimmen. Solche Klassifikationen
sind allgemeine Emotionstypologien und Emotionsdimensionen. Emotionstypologien bestehen je nach Autor
aus sieben bis elf Emotionen. Diese sind Interesse, Überraschung, Ekel, Skepsis, Ärger, Furcht bzw. Angst, Scham,
Schuld, euphorische Freude, heitere Gelassenheit bzw. stille
Freude und soziale Geborgenheit (z. B. Izard, 1977). Daneben gibt es Vorschläge, Emotionen in einem Raum mit
zwei oder drei Dimensionen anzuordnen, z. B. nach einer
Dimension Wohlgefühl mit den Polen angenehm und unangenehm und einer Dimension Aktiviertheit mit den Polen aktivierend und beruhigend (Russell, 1980; . Abb. 6.2).
Diese Methode haben Allen, Machleit und Marine
(1988) mit Izards Typologie (Izard, 1977), Olney, Holbrook
und Batra (1991) mit Russells Emotionsdimensionen (Russell, 1980) sowie Zeitlin und Westwood (1986) mit Plutchiks „Emotion Circumplex“ (Plutchnik, 1980) gewählt.
Zwei Nachteile der Beschränkung auf Emotionsklassifikationen sind (Bagozzi, Gopinath & Nyer, 1999):
1. Einige der darin enthaltenen Emotionen sind als
Beschreibungen von Reaktionen auf Werbung zu
unspezifisch, treffen also nicht das, was Konsumenten
empfinden. Man denke an Ekel oder Scham. Das sind
intensive Emotionen, die durch Werbung i. d. R. nicht
erzeugt werden.
2. Durch Werbung erzeugte Gefühle kommen in den
Emotionstypologien und in den aus Emotionsdimensionen gebildeten Strukturen nicht vor, z. B. Gefühle,
die emotionale Bindung charakterisieren, wie Liebe
oder Enttäuschung.
6
86
Kapitel 6 • Emotionale Werbung
1
aktivierend
2
unzufrieden
3
ärgerlich,
frustriert
4
5
erstaunt,
überrascht
deprimiert,
unglücklich
unangenehm
6
vergnügt,
erfreut
gelangweilt,
freudlos
7
schläfrig, erschöpft
9
zufrieden
beruhigend
10
.. Abb. 6.2 Die Zirkumplexstruktur der Emotionen nach Russell (1980)
11
Um diese Nachteile zu vermeiden, präsentiert man den
teilnehmenden Probanden Anzeigen oder Fernsehspots
und fragt sie, welche Gefühle sie erlebt haben. Entweder protokollieren die Befragten ihre Gefühle, oder sie
kreuzen aus einer umfangreichen Liste von Gefühlsbegriffen, die wesentlich zahlreicher sind als die maximal
elf Emotionsbegriffe, diejenigen an, die ihre Erlebnisse
charakterisieren. So protokollierten die Probanden in
der Studie von Batra und Ray (1986) ihre Gedanken und
Gefühle, welche die Autoren anschließend mithilfe eines
theoretisch begründeten Kodierschemas kategorisierten.
Die Gefühlsbeschreibungen ließen sich drei Kategorien
zuordnen:
1. euphorische Freude,
2. heitere Gelassenheit bzw. stille Freude und
3. soziale Geborgenheit.
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
angenehm
zufrieden,
warmherzig
betrübt
8
12
angeregt
aktiv,
energiegeladen
Edell und Burke (1987) ließen die nach der Darbietung von
Fernsehspots erlebten Gefühle protokollieren und legten
ihren Probanden zusätzlich eine Liste mit Gefühlsbegriffen
vor, in der sie jene markierten, die sie als Gefühle empfunden hatten. Auf diese Weise entstand ein Inventar aus
169 Gefühlsbegriffen, das nach einer zweiten Studie mit
anschließender Faktorenanalyse auf 69 reduziert wurde.
Die drei Faktoren benannten sie
„euphorische Gefühle“,
„negative Gefühle“ und
„warmherzige Gefühle“.
--
Auch Holbrook und Batra (1990) zeigten ihren Probandinnen (Hausfrauen) Fernsehspots und instruierten sie,
ihre erlebten Gefühle in einer Liste mit 94 Gefühlsbegriffen zu identifizieren. Mithilfe ihrer Analyse entschieden
sich die Autoren für eine endgültige Typologie aus zwölf
Kategorien von Gefühlen. Auf ähnliche Weise reduzierte
Richins (1997) in mehreren Analyseschritten die anfänglich 175 Beschreibungen erlebter Emotionen in Konsumsituationen auf 16 Kategorien. . Tabelle 6.1 zeigt beispielhaft
die Ergebnisse der Analysen (s. u.).
Bildliche Wiedergabe
Bei der zweiten Variante von Selbstberichten werden die
Probanden gebeten, ihre Gefühle bildlich wiederzugeben.
Das erfolgt entweder statisch oder kontinuierlich. Bei
statischen Selbstberichten von Gefühlszuständen werden den Probanden schematisch gezeichnete Personen
vorgegeben, wobei jede Zeichnung unterschiedliche Ausprägungen der Emotionsdimensionen mit den Polen sehr
angenehm versus sehr unangenehm und aufgeregt versus
entspannt repräsentiert. Die Gefühle werden nicht weiter
unterschieden. Am häufigsten ist das „Self-Assessment
Manikin“ von Lang (1995) angewendet worden (Morris,
1995; . Abb. 6.3). Die Probanden markieren einen von
neun Skalenpunkten, der am besten repräsentiert, wie
ausgeprägt sie Angenehmheit und Aktiviertheit erleben.
Fünf der Skalenpunkte entsprechen den durch die schematischen Zeichnungen dargestellten Gefühlen und die
6
87
6.1 • Begriffsklärungen
Bei diesem Bild fühle ich mich spontan ...
glücklich
angenehm
fröhlich
vergnügt
und
unglücklich
verärgert
traurig
abgestoßen
1
2
3
4
5
6
7
8
9
angeregt
aufgeregt
erregt
nervös
aufgerüttelt
entspannt
gelassen
träge
1
2
3
4
5
6
7
8
9
.. Abb. 6.3 Das „Self-Assessment Manikin“
restlichen vier den Gefühlen zwischen zwei benachbarten
Darstellungen.
Bei kontinuierlichen Selbstberichten von Gefühlen
bewegen die Probanden beim Betrachten der Werbespots
einen Stift auf einem Bogen Papier von oben nach unten.
Empfinden sie angenehme Emotionen, führen sie den
Stift in der Abwärtsbewegung nach rechts, und wenn sie
unangenehme Emotionen empfinden, nach links. Die Abweichungen der entstandenen Linie von einer Senkrechten, die den Weder-noch-Bezug bildet, sollen die Ausprägungen der Gefühle wiedergeben. Das ist die Methode
des „warmth monitor“ von Aaker, Stayman und Hagerty
(1986). Eine neuere Variante ersetzt den Stift durch die PCMaus und verbessert die Synchronisation des zeitlichen
Verlaufs von Werbespot und Aufzeichnung (Baumgartner,
Sujan & Padgett, 1997).
Erfassung körperlicher Veränderungen
Nachteile von Selbstberichten sind, dass
1. nicht sämtliche Gefühle mit bewusster Aufmerksamkeit registriert werden und somit auch nicht berichtet
werden können (LeDoux, 1998),
2. Selbstberichte verfälscht werden können, insbesondere
dann, wenn die Probanden sich in einer Weise darstellen wollen, die mit sozialen Normen im Einklang ist.
Diese beiden Nachteile lassen sich mit der zweiten Methode vermeiden, die darauf gründet, dass sich Emotionen
in körperlichen Vorgängen manifestieren. Solche Vorgänge
werden am häufigsten als Änderungen der Mimik, der
elektrodermalen Aktivität und der Herzrate (Zeitintervall
zwischen zwei Herzschlägen) gemessen. Änderungen der
Mimik werden mit einem von Ekman und Friesen (1978)
entwickelten Kodierschema (FACS) oder mit dem Elek­
tromyogramm (EMG) erfasst.
Änderungen der Mimik als Reaktionen auf Werbung
sind allerdings häufig so subtil, dass sie mit dem Kodierschema nicht erfasst werden (z. B. Derbaix, 1995). Mit dem
EMG, das auch nichtsichtbare Änderungen von Gesichtsmuskeln mithilfe von Elektroden registrieren kann, insbesondere die für Stirnrunzeln oder Lächeln verantwortlichen, scheint das besser zu gelingen (Bolls, Lang & Potter,
2001; Hazlett & Hazlett, 1999). Allerdings kann infolge der
auf das Gesicht geklebten Elektroden für die Probanden
eine unnatürliche Situation mit dem Nachteil entstehen,
ihre Aufmerksamkeit auf Änderungen der Mimik zu lenken.
Körperliche Vorgänge werden auch als elektrodermale
Aktivität (EDA) oder als Herzrate gemessen. Elektrodermale Aktivität und Herzrate sind als Indikatoren der emotionalen Tönung von Radiowerbung interpretiert worden
(Bolls, Lang & Potter, 2001) und die Herzrate als Indikator
von Aufmerksamkeit und Aktiviertheit (Lang, 1990). In
der Forschung zur Werbung sind elektrodermale Aktivität
und Herzrate als Indikatoren für Emotionen insbesondere
zur Validierung anderer Messmethoden, mit denen erlebte
Emotionen als Reaktionen auf Werbung erfasst werden
sollten, untersucht worden (Aaker et al., 1986; Bolls et al.,
2001; Lang, 1990; Vanden Abeele & MacLachlan, 1994).
Aus einer Analyse mehrerer in der Werbepraxis durchge-
88
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
führter Studien zogen LaBarbera und Tucciarone (1995)
den Schluss, dass die EDA als Prädiktor des Werbeerfolgs
(Verkauf der beworbenen Produkte) gut geeignet ist. Dass
beide Methoden zur Messung emotionaler Reaktionen
auf Werbung selten angewendet worden sind, mag auf
den ersten Blick überraschen, haben sie doch den Vorteil, sensible und verfälschungsimmune Indikatoren zu
produzieren. Nachteile der Methoden sind, dass die Auswertung der Messungen diffizil und die Interpretation der
Maße nicht eindeutig ist. Die phasische (kurzzeitige) EDA
ist v. a. ein valider Indikator der Orientierungsreaktion,
d. h. einer Reaktion auf Ereignisse, die sich von den zuvor
wahrgenommenen Ereignissen qualitativ oder quantitativ
unterscheiden (Vossel, 1990). Welches Gefühl von einem
derart anderen Ereignis erzeugt wird, z. B. Zuneigung,
Euphorie oder Wärme, lässt sich mithilfe der EDA nicht
identifizieren. Bei der Herzrate kann z. B. eine phasische
Dezeleration erhöhte Aufmerksamkeit oder ein negatives
Gefühl indizieren. Man kann sich leicht vorstellen, dass die
Interpretation von EDA und Herzrate als Indikatoren emotionaler Reaktionen auf Werbespots insbesondere dann,
wenn sie Erzählungen mit wechselnder emotionaler Tönung inszenieren, ohne weitere Methoden auf unsicheren
Füßen steht.
11
12
13
14
15
16
17
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19
20
21
22
Kapitel 6 • Emotionale Werbung
6.1.4
Zwei Arten emotionaler Reaktionen
Wenn in der Praxis der Markt- und Werbeforschung von
„Entscheidung aus dem Bauch“ und „Bauchgefühl“ die
Rede ist, sind damit Situationen gemeint, in denen die
Entscheidenden ihren Gefühlen stärker vertrauen als Reflexionen und Schlussfolgerungen. In der Forschungsliteratur zu Emotionen gibt es die Unterscheidung zwischen
emotionalen Reaktionen, die automatisch bzw. spontan
und ohne einflussnehmende gedankliche Aktivität erfolgen („lower-order affective reactions“), und langsameren
emotionalen Reaktionen, die nach gedanklicher Aktivität
entstehen („higher-order affective reactions“; z. B. Berkowitz, 1993; in der Werbepsychologie Rossiter & Bellman,
2005). Im Kontext der Werbepsychologie gibt es über die
Wirkung der beiden Arten emotionaler Reaktionen bislang wenig Forschung. Shiv und Fedorikhin (1999) fanden, dass Probanden, die an ihren Überlegungen gehindert
wurden, ob sie sich für einen Schokoladenkuchen oder den
gesünderen Fruchtsalat entscheiden sollten, häufiger den
Schokoladenkuchen wählten als Probanden, die Zeit hatten, ihre Wahl gedanklich vorzubereiten. Wer den Schokoladenkuchen wählte, zeigte eine stärkere Tendenz, seine
Wahl durch Gefühle zu begründen.
Die Ergebnisse dieser Studie werfen die Frage auf, ob
Probanden in Konsum- und Werbesituationen ihre spontan auftretenden Gefühle äußern. Die Methoden fast aller
in ▶ Abschn. 6.1.3 beschriebenen Studien fordern die Probanden auf, ihre Gefühle in ein Format zu übersetzen, in
dem sich die Gefühle selbst nicht äußern, am häufigsten
in ein sprachliches und seltener in ein bildliches Format.
Eine derartige Aufforderung bewirkt Selbstreflexion, denn
die Probanden müssen prüfen, ob ihre Empfindungen dem
entsprechen, was sie protokollieren oder ankreuzen. Hierdurch werden vermutlich häufiger Emotionen des Typus
„higher-order“ berichtet als emotionale Reaktionen, die
spontan auftreten und unmittelbar Handlungen folgen
lassen, denn der Anblick von Werbung oder von Marken
ruft i. d. R. keine intensiven Emotionen hervor, wie etwa
Wut oder Ekel. Derzeit liegt empirisch gesichertes Wissen
über die Wirkung emotionaler Reaktionen ohne und mit
gedanklicher Aktivität auf Einstellungen zur Werbung und
zur Marke noch nicht vor.
6.2
Modelle emotionaler Werbung
Modelle emotionaler Werbung versuchen zu erklären, wie
die durch Werbung erzeugten Gefühle auf die Einstellungen gegenüber den beworbenen Marken wirken.
Einstellung ist ursprünglich als ein Konstrukt aus drei
Komponenten definiert worden,
1. einer kognitiven (die Meinung über die Marke),
2. einer affektiven (die Sympathie für die Marke) und
3. einer verhaltensbezogenen (die Absicht, eine Marke zu
konsumieren).
Allerdings hat sich die Definition im Verlauf der Jahre
gewandelt. So definieren z. B. die Sozialpsychologen Petty
und Cacioppo (1981) Einstellung als „… ein allgemeines
und andauerndes positives oder negatives Gefühl gegenüber einer Person, einem Objekt oder Gegenstand“ (S. 7),
und die Werbeforscher Batra, Myers und Aaker (1996) die
Markeneinstellung: „Eine Markeneinstellung repräsentiert
das von angenehm bis unangenehm reichende Gefühl gegenüber einer Marke“ (S. 126). In ihrer Studie operationalisierten Batra und Ray (1986) die Einstellung gegenüber
der Marke mit fünf durch Eigenschaftsgegensätze verankerten Skalen:
„nützlich–nutzlos“,
„wichtig–unwichtig“,
„angenehm–unangenehm“,
„nett–furchtbar“ und
„gut–schlecht“.
---
Edell und Burke (1987) maßen die Einstellungen gegenüber Werbung und Marke mit einer 7-stufigen Skala, die
von „sehr ungünstig“ bis „sehr günstig“ reichte.
Aus diesen Definitionen und Operationalisierungen
der Einstellung wird deutlich, dass die affektive Kompo-
89
6.2 • Modelle emotionaler Werbung
nente zentral ist, die kognitive auch berücksichtigt wird
und die verhaltensbezogene darin nicht mehr vorkommt.
Sie wird von der Einstellung separiert und bildet heute die
Kaufabsicht. In der konsumenten- und werbepsychologischen Forschung ist sie als eigenständiges Konstrukt selten
ein Thema (Batra et al., 1996; Kroeber-Riel & Weinberg,
1999).
Vier theoretische Modelle, die erklären, wie Gefühle
als Reaktionen auf Werbung Einstellungen zur Werbung
und zur Marke beeinflussen, werden im Folgenden beschrieben: ▶ Emotionale Konditionierung, ▶ Einstellungsübertragung, ▶ Gefühle durch den Gebrauch von
Marken und ▶ Gefühle als Motive.
6.2.1
Emotionale Konditionierung
Emotionale Konditionierung im Kontext von Konsumentenund Werbepsychologie bezeichnet Methoden, Marken mit
angenehmen Emotionen zu verbinden. In der Werbepraxis
spricht man davon, dass Marken mit Gefühlen „aufgeladen“
werden. In Untersuchungen werden unbekannte Marken als
Namen, Logos oder Bilder mit Markennamen in räumliche
oder zeitliche Nähe mit Objekten gebracht, deren Rezeption
angenehme Gefühle auslöst. Die verwendeten Marken sind
unbekannt, weil sie im Unterschied zu bekannten Marken
noch nicht mit Bewertungen oder Einstellungen assoziiert
sind. Angenehme Emotionen sollen zumeist durch Bilder,
z. B. von schönen Gesichtern (Till et al., 2008) oder Musik
(Gorn, 1982; Kellaris & Cox, 1989) erzeugt werden. Angenommen wird, dass sich die räumliche oder zeitliche Nähe
von solchen Bildern bzw. Musik und Marken günstig auf die
Einstellungen gegenüber den Marken auswirken.
Eine bekannte Form der emotionalen Konditionierung
ist die klassische Konditionierung. Sie ist eine Form des
Lernens, das ein bestimmtes Muster besitzt. Angewendet
auf den Kontext Konsumenten- und Werbepsychologie
werden zuerst die unbekannte Marke und anschließend
ein Bild gezeigt, das angenehme Gefühle hervorruft. Die
unbekannte Marke wird bedingter Reiz und das Bild unbedingter Reiz genannt.
In einem Experiment von Till, Stanley und Priluk
(2008) war der bedingte Reiz die fiktive Anzeige eines
Styling Gels und der unbedingte Reiz ein Foto der Schauspielerin Jennifer Aniston, die im Vorversuch als attraktiv
und vertrauenswürdig beurteilt worden war. Die Ergebnisse zeigten mit diesem Assoziationsmuster bei 5 Paarungen von bedingtem und unbedingtem Reiz positivere
Einstellungen gegenüber dem fiktiven Styling Gel, als wenn
es auch mit anderen Fotos assoziiert wurde und somit die
Paarung Styling Gel und Jennifer Aniston unsystematisch
war. Diese positiveren Einstellungen ließen sich noch
2 Wochen nach dem Experiment nachweisen.
Ein ähnliches Experiment wird von Kroeber-Riel
und Weinberg (1999, S. 133–135) beschrieben. Es stellte
eine Situation nach, wie sie im Kino üblich ist, wo zuerst
Werbung und dann der Film gezeigt wird. Die Werbung
bestand u. a. aus Anzeigen für eine Seife mit dem Markennamen Hoba, ein Name, der zuvor ohne emotionale
Bedeutung für die Testpersonen war. Die Anzeigen zeigten
Fotos schöner Frauen, warmherziger Freundschaftsbeziehungen und beliebter Ferienlandschaften, die Gefühle von
Erotik, Wärme und Freude erzeugen sollten und jeweils
auch den gedruckten Namen Hoba-Seife. Die Paarung von
bedingtem und unbedingtem Reiz entsprach somit nicht
dem Muster der klassischen Konditionierung. 24 Stunden
nach der Kinovorführung beschrieben die Untersuchungspersonen ihre Empfindungen gegenüber der Marke Hoba.
Sie wurde im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Kinovorführung nun stärker mit den Eigenschaften zärtlich, erlebnisreich, fröhlich und erregend verbunden, also mit Eigenschaften, die als Indikatoren der affektiven Einstellung
interpretiert werden können.
Die Übertragung von Gefühlen auf die beworbenen
Marken gelingt nicht mit jeder Kombination von unbekannter Marke und gefühlserzeugendem Objekt. Wichtig
ist eine semantische Passung, ein „match-up“. Eine Marke
für einen Glasreiniger mit Gefühlen zu verbinden, die
durch die Darbietung von Fotos einer bekannten Schauspielerin aktiviert werden, ist sicher wesentlich schwieriger als wenn die Marke ein Schönheitsprodukt bezeichnet
(Allen & Shimp, 1990).
Mit der emotionalen Konditionierung wird der zuvor
unbekannten Marke eine Bedeutung verliehen. Daher bezeichnen einige Autoren die emotionale Konditionierung
auch als semantisch (Janiszewski & Warlop, 1993) oder als
evaluativ (Walther, Nagengast & Trasselli, 2005).
6.2.2
Einstellungsübertragung
Anfang der 1980er Jahre verbreitete sich in der werbepsychologischen Forschung die Auffassung, dass die Rolle der
Emotionen im Prozess von der Wahrnehmung der Werbung bis zur Einstellung gegenüber der Marke vernachlässigt worden sei (Holbrook & O‘Shaughnessy, 1984). So
begannen einige Autoren die Annahme zu prüfen, dass die
Vorhersage von Einstellungen zur Werbung und zur Marke
besser gelingt, wenn die durch Werbung induzierten Gefühle als Prädiktoren einbezogen werden, als wenn dies
allein durch die Bewertung der Werbung nach Merkmalen,
wie z. B. Qualität oder Ästhetik erfolgt. Diese Untersuchungen hatten zum Ziel, die relativen Anteile von Gefühlen
und Bewertungen für die Vorhersage solcher Einstellungen
zu identifizieren. Anfänglich dominierte das von Batra und
Ray (1986) sowie von Edell und Burke (1987) begründete
6
90
1
.. Tab. 6.1 Beispiele für Gefühlsbeschreibungen aus den Untersuchungen von Edell und Burke (1987), Holbrook und Batra
(1990) und Richins (1997)
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
Kapitel 6 • Emotionale Werbung
Edell und Burke
(1987)
Holbrook und
Batra (1990)
Richins (1997)
Faktor 1:
Euphorische
Gefühle
– Aktiv
– Erfreut
– Freudig
erregt
Typ 1: Aktivation
– Aufgerüttelt
– Aktiv
– Aufgeregt
Cluster 1: Ärger
– Frustriert
– Ärgerlich
– Genervt
Faktor 2: Negative Gefühle
– Ärgerlich
– Gelangweilt
– Kritisch
Typ 2: Gemütlichkeit
– Gemütlich
– Gelassen
Cluster 2: Unzufriedenheit
– Unerfüllt
– Missmutig
Faktor 3:
Warme Gefühle
– Zugeneigt
– Ruhig
Typ 3: Traurigkeit
– Traurig
– Reumütig
– Betrübt
Cluster 3: Scham
– Verlegen
– Beschämt
– Gedemütigt
.. Tab. 6.2 Mittlere signifikante Korrelationen zwischen Gefühlen, die durch Werbung erzeugt wurden und Einstellungen
gegenüber Werbung und Marken sowie Kaufintentionen. (Aus
Brown, Homer & Inman, 1998)
Beziehungen
Positive und negative Gefühle
Positive Gefühle und Einstellungen
gegenüber Werbung
Negative Gefühle und Einstellungen gegenüber Werbung
Untersuchungsparadigma, demzufolge die Probanden,
nachdem sie einen Werbespot gesehen hatten, die Intensität ihrer Gefühle auf Skalen ankreuzten (. Tab. 6.1). Das
wurde für jeden Werbespot wiederholt. Hierbei war jede
Skala mit einem Gefühlsbegriff bezeichnet. Ebenso bewerteten sie die Werbespots nach den drei Faktoren
Überzeugung (Beispiele für Items sind glaubhaft,
informativ und interessant),
Aktivität (Items waren z. B. dynamisch, vergnügt und
aufregend) und
Liebenswürdigkeit (mit Items wie behutsam, beruhigend und heiter).
-
Zur gleichen Zeit entwarfen MacKenzie, Lutz und Belch
(1986) Modelle, die den Verlauf der Wege von Gefühlen
und Bewertungen zu den Einstellungen gegenüber Werbung und Marke repräsentierten.
Eine erste Metaanalyse der Studien von Brown und
Stayman (1992) ergab, dass die Beziehungen zwischen
Gefühlen und Bewertungen auf der einen Seite und den
Einstellungen zur Werbung sowie zur Marke auf der anderen Seite sich am ehesten durch ein Modell abbilden ließen, demzufolge die Einstellungen gegenüber der Marke
auf zwei Wegen beeinflusst wurden:
1. von bewertenden Gedanken bzw. Kognitionen zur
Werbung, z. B. wie glaubhaft sie bewertet wird, über
die Einstellung gegenüber der Werbung zur Marken­
einstellung,
2. von bewertenden Gedanken zur Werbung über die Einstellung gegenüber der Werbung und weiter über bewertende Gedanken zur Marke zur Markeneinstellung.
Positive Gefühle und Einstellungen
gegenüber Marken
Mittlere Korrelationen
–0.262
0.551
–0.494
0.367
Negative Gefühle und Einstellungen gegenüber Marken
–0.389
Positive Gefühle und Kaufintentionen
0.280
Negative Gefühle und Kaufintentionen
–0.200
Dieses Modell der beiden Wege der Einflussnahme auf
Markeneinstellungen bezeichneten MacKenzie et al. (1986)
als duales Vermittlungsmodell („dual mediation model“;
▶ Kap. 2). Auffällig an diesem Modell ist, dass Gefühle als
Prädiktoren der Einstellung zur Werbung nicht vorkommen und dies trotz einer relativ hohen Korrelation von
r = 0.54. Der Grund war ein Versäumnis von Brown und
Stayman (1992): Sie hatten positive und negative Gefühle
nicht getrennt behandelt. Somit konnten sie die Möglichkeit nicht ausschließen, dass Gefühle und Einstellungen gegenüber der Werbung nicht oder sogar negativ korrelierten.
Dieses Versäumnis wurde in einer folgenden Metaanalyse behoben (Brown, Homer & Inman, 1998), deren
allgemeine Ergebnisse den Erwartungen entsprachen: Insbesondere ließ sich ein bedeutsamer Einfluss von Gefühlen auf die Einstellungen zur Werbung und zur Marke
nachweisen. Unerwartet war, dass negative Gefühle die
Einstellungen nicht stärker beeinflussten als positive. Der
von Edell und Burke (1987) berichtete Befund, dass positive und negative Gefühle als Reaktionen auf eine Werbung
im Unterschied zu Bewertungen gleichzeitig auftreten und
sich somit nicht ausschließen, konnte bestätigt werden
(. Tab. 6.2).
Beeinflusst v. a. durch die sozialpsychologische Forschung (z. B. Chaiken, 1980) entstand das Modell der Einstellungsübertragung (Batra et al., 1996). Die grundlegende Annahme des Modells lautet: Gefällt die Werbung,
gefällt auch die Marke. Gefallen ist die affektive Komponente der Einstellung. Deshalb wird diese Art der Übertragung von Gefühlen auch als Einstellungsübertragung
bezeichnet. Für diese angenommene Wirkung sind in der
Forschung zwei Erklärungen vorgeschlagen worden:
91
6.2 • Modelle emotionaler Werbung
-
-
-
Die erste Erklärung einer Einstellungsübertragung
von der Werbung auf das Produkt kann aus Modellen der zwei Wege der Überzeugung durch eine
Botschaft (Chaiken, 1980; Petty & Cacioppo, 1986)
abgeleitet werden (s. auch ▶ Kap. 2 und ▶ Kap. 4).
Nach diesen Modellen entsteht eine positive Einstellung zur Marke einmal dann, wenn die Argumente
der Werbebotschaft eine kritische Prüfung bestehen.
Bei einer Waschmittelmarke ist dies z. B. der Fall,
wenn sie ihr kommuniziertes Versprechen, jede Art
Fleck zu beseitigen, überzeugend begründet. Dieser
Weg der Einstellungsbildung wird als zentral (Petty &
Cacioppo, 1986) bzw. systematisch (Chaiken, 1980)
bezeichnet. Ihm wird ein peripherer bzw. heuristischer Weg der Einstellungsbildung gegenübergestellt,
der dadurch charakterisiert ist, dass sich die Konsumenten nicht mit den Inhalten der Werbebotschaft
beschäftigen. Die Einstellung gegenüber der Marke
wird vielmehr durch nichtinhaltliche Merkmale
geprägt, v. a. durch die Gestaltung der Werbung.
Unter welchen Bedingungen der eine oder andere
Prozess der Einstellungsbildung angestoßen wird,
hängt einmal von der Fähigkeit der Konsumenten ab,
die Argumente der Werbebotschaft zu verstehen, und
zum anderen vom Involvement der Konsumenten bei
der Rezeption von Werbung. Involvement kann als
eine Motivation aufgefasst werden, sich mehr oder
weniger intensiv mit dem Inhalt einer Botschaft zu
beschäftigen (für eine Definition ▶ Kap. 2). Bei dem
überwiegenden Teil der Werbebotschaften ist diese
Art Motivation eher gering ausgeprägt, da aufgrund
der Kürze der Werbezeit oder des begrenzten Raums
für Textbotschaften kaum inhaltlich argumentiert
werden kann. Werbung muss daher häufiger auf die
Wirksamkeit des peripheren Prozesses der Einstellungsbildung setzen. Dazu gehören Gefühle, die bei
der Rezeption von Werbung entstehen.
Eine weitere Erklärung des Prozesses der Übertragung
einer positiven Einstellung zur Werbung auf eine
Marke nimmt eine indirekte Wirkung der Einstellung
gegenüber der Werbung auf die Einstellung gegenüber der Marke an (Schwarz, Bless & Bohner, 1991).
Rezipienten sind motiviert, einen durch die Werbung
erzeugten angenehmen Gefühlszustand beizubehalten.
Das gelingt ihnen, wenn ihre Gedanken zur beworbenen Marke positiv gefärbt sind. Kritische Gedanken
würden dagegen den angenehmen Gefühlszustand
stören. In einem angenehmen Gefühlszustand gefallen
die Marken besser und werden daher günstiger bewertet als in einem weniger angenehmen Gefühlszustand.
Aus den Modellen zur Einstellungsübertragung lassen
sich vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten ableiten. Sie
beruhen auf einem Kontiguitätsprinzip, das als Heuristik
formuliert lautet: „Wenn die Werbung gefällt, gefällt auch
die beworbene Marke“. Die Nähe dieses Prinzips zur emotionalen Konditionierung ist deutlich. Womöglich ist die
Einstellungsübertragung ein anderer Ausdruck für eine
derartige Konditionierung, mit welcher die beworbene
Marke den emotionalen Bedeutungsgehalt der Werbung
annimmt.
Verhältnis von Bewertung und Gefühl
in der Wirkung auf Einstellungen
Die Autoren der ersten Studien zur Untersuchung von Gefühlen als Prädiktoren von Einstellungen gegenüber der
Marke haben angenommen, dass (kognitive) Bewertungen
und Gefühle ihre Wirkungen unabhängig voneinander auf
diese Einstellungen ausüben (Batra & Ray, 1986; Edell &
Burke, 1987). Diese Annahme legten die Ergebnisse der
Regressionsanalysen nahe, die zeigen, dass Bewertungen
und Gefühle die Einstellungen besser vorhersagten, als
wenn einer der Faktoren in der Analyse nicht berücksichtigt wurde. Leider berichten die Studien keine Korrelationen von Bewertungen und Gefühlen. Anzunehmen,
dass die beiden Prädiktoren korrelieren, ist naheliegend,
denn wird eine Marke z. B. als qualitativ schlecht beurteilt,
wird ihre Darbietung keine angenehmen Gefühle erzeugen. Welcher der beiden Faktoren die Einstellung gegenüber der Marke stärker beeinflusst, ist nicht eindeutig zu
beantworten. In den Studien von Batra und Ray (1986)
sowie von Edell und Burke (1987) ist der Einfluss der Bewertungen etwas größer als jener der Gefühle. Zu einer
anderen Schlussfolgerung kommen Morris, Woo, Geason
und Kim (2002), nämlich dass die Gefühle nahezu doppelt
so viel Varianz in den verhaltensbezogenen Komponenten der Einstellungen zur Marke erklären wie Wissen und
Bewertungen.
Aus der sozialpsychologischen Forschung lagen Erkenntnisse über die Rolle moderierender Bedingungen
bei der Vorhersage von Einstellungen vor, insbesondere
über die beiden Moderatoren Involvement und gedankliche Aktivität bzw. kognitive Elaboriertheit (z. B. Eagly &
Chaiken, 1993). Bei einer geringen Ausprägung von Involvement war die Wirkung von Gefühlen auf Markeneinstellungen am größten (z. B. Batra & Stephens, 1994). Wurden
Probanden instruiert, die Gestaltung von Werbung zu bewerten und somit gedankliche Aktivität zu investieren, war
der Anteil der Gefühle an ihren Reaktionen auf die dargebotene Werbung geringer als bei Probanden, die nicht
instruiert worden waren, sich Gedanken über die Werbegestaltung zu machen (Madden, Allen & Twibble, 1988).
Eine weitere Analyse des Verhältnisses von Gefühlen
und Bewertungen im Prozess der Bildung von Einstellungen zu Werbung und Marke unternahmen Yoo und
MacInnis (2005). Die Ergebnisse ihrer Studie zeigen, dass
6
92
1
Kapitel 6 • Emotionale Werbung
Einstellung
zum Werbespot
Positive Gefühle
2
Einstellung
zur Marke
Glaubwürdigkeit
3
Überzeugung
Negative Gefühle
4
5
.. Abb. 6.4 Glaubwürdigkeit, Einstellung zur Werbung und Überzeugung als Mediatoren zwischen Gefühlen und Markeneinstellungen
6
17
Gefühle und Bewertungen die Einstellung zur Marke nicht
unabhängig voneinander vorhersagten. Wenn die Werbung
positive Gefühle erzeugte, wurde ihre Gestaltung als glaubwürdig empfunden, und über diese Bewertung wirkten die
Gefühle auf einem Weg positiv auf die Einstellung gegenüber der Werbung, auf dem zweitem Weg positiv auf die
Überzeugung, dass die beworbene Marke die behaupteten
Vorteile auch tatsächlich hatte, und auf dem dritten Weg
direkt auf die Markeneinstellung. Die Einstellung gegenüber der Werbung und die Überzeugung wiederum vermittelten die Wirkung der Glaubwürdigkeit auf die Einstellung gegenüber der Marke (. Abb. 6.4). Somit ließen
sich zwischen Gefühlen und der Einstellung zur Marke
drei Mediatoren identifizieren, die Glaubwürdigkeit der
Werbung, die Überzeugung von der Qualität des Unternehmens und die Einstellung gegenüber der Werbung.
Ähnliche Beziehungen zwischen positiven Gefühlen,
Bewertungen und Einstellungen fand Homer (2006). Positive Gefühle wirkten auf Bewertungen und diese wiederum
auf die Einstellungen gegenüber Marken, allerdings nur
dann, wenn die Marken bekannt waren. Bei unbekannten
Marken wirkten die positiven Gefühle eher direkt auf die
Einstellungen. Negative Gefühle wirkten direkt auf die Einstellungen gegenüber den Marken.
Ob die Bekanntheit der Marken aus der Werbung
stammte oder auch aus ihrer Verwendung, teilte Homer
(2006) nicht mit. Der Aspekt Verwendung ist im folgenden
Modell von Bedeutung.
18
6.2.3
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
19
20
21
22
Gefühle durch den Gebrauch
von Marken
Die grundlegende Annahme dieses Modells ist, dass Konsumenten die gleichen Gefühle wie die Protagonisten in
der Werbung erleben, wenn sie die beworbenen Marken
verwenden und nach wiederholter Nutzung eine emotionale Bindung zu den Marken entwickeln. Ohne die
Werbung würden die Konsumenten diese Gefühle nicht
erleben (Puto & Wells, 1984). Eine Übertragung der in der
Werbung dargestellten Gefühle auf die Konsumenten ist
nur dann erfolgreich, wenn die Darstellung als realitätsentsprechend empfunden wird und die Konsumenten
die emotionalen Zustände der Protagonisten nachempfinden können (Batra et al., 1996). Da die meisten Menschen in ihrem Leben bereits einmal unter Kopfschmerzen gelitten haben, können sie vermutlich Empathie für
die Protagonistin im oben beschriebenen Werbespot für
Kopfschmerztabletten empfinden. Realitätsentsprechend
ist die Darstellung dann, wenn die Kopfschmerzen dank
der Tablette gelindert werden, nicht aber, wenn die Protagonistin in einen euphorischen Zustand versetzt würde.
Die emotionalen Reaktionen der Konsumenten werden nach Kamp und MacInnis (1995) von zwei Merkmalen
beeinflusst:
Das erste bezeichnen die Autoren als emotionale
Dynamik („Emotional Flow“), die als das Ausmaß
definiert wird, in dem die in einem Werbespot dargestellten Emotionen als dynamisch wahrgenommen
werden. Erzählungen setzen häufig die Dynamik von
Gefühlen als Stilmittel ein und können Escalas (2004)
zufolge Beziehungen zwischen Selbst und Marke
(„self-brand connections“) fördern. Weil eigene Lebenserfahrungen im Gedächtnis häufig in Form von
Erzählungen gespeichert sind, so die Begründung,
lässt sich eine vermittelte Erzählung leichter mit der
eigenen Lebenserfahrung assoziieren als eine Aufzählung von Informationen.
„Emotional Integration“ heißt das zweite Merkmal,
das als Grad der dargestellten Verbindung zwischen
der Marke und den emotionalen Reaktionen der Protagonisten in der Werbung definiert wird. Emotional
Integration ist in hohem Maße realisiert, wenn die
Gefühlsänderungen der Darsteller auf die Nutzung
der beworbenen Marken zurückgeführt werden können.
-
Emotional Flow und Emotional Integration werden idealtypisch in einer Form von Erzählung realisiert, die als
klassisches Drama bezeichnet wird (Stern, 1994). Die Erzählung der unter Kopfschmerzen leidenden Frau erfüllt
die Merkmale des klassischen Dramas insofern, als der
93
6.2 • Modelle emotionaler Werbung
Spannungsverlauf der Erzählung bis zu einem Punkt ansteigt, an dem die Tablette als „Held“ die Wendung, d. h.
die Linderung der Kopfschmerzen herbeiführt.
Eine emotionale Verbindung zwischen Marke und
Konsument, die ja das Ziel emotionaler Werbung ist, erfolgt in zwei Schritten. Im ersten Schritt wird die Beziehung zwischen Konsument und Protagonist im Werbespot
hergestellt und im zweiten Schritt die Bindung zwischen
Konsument und Marke.
Der erste Schritt der emotionalen Beziehung zwischen den Protagonisten im Werbespot und den
Konsumenten zeigt sich zum einen darin, dass die
Situation der Protagonisten nachempfunden und
verstanden wird, und zum anderen in der Intensität
der Gefühle, die Konsumenten bei der Rezeption der
Werbung erleben. Beide Indikatoren sind für Empathie charakteristisch (Escalas & Stern, 2003).
Der zweite Schritt, die positive Einstellung gegenüber der Marke, die zur Bindung an die beworbene
Marke führt, zeigt sich
a. im Ausmaß der subjektiven Relevanz der Marke,
d. h. in welchem Maße die Marke als bedeutsam,
sinnvoll und den eigenen Zielen ähnlich wahrgenommen wird (Kamp & MacInnis, 1995) und
b. im Grad der Übereinstimmung zwischen Selbst
und Marke, also wie stark der Konsument den Eindruck gewinnt, die Marke würde zu ihm passen.
-
Bislang gibt es nur wenige Studien, die das Modell geprüft haben. Kamp und MacInnis (1995) zeigten ihren
Probanden Varianten von Fernsehwerbespots für dieselbe
Marke, in denen emotionale Dynamik und emotionale Integration in unterschiedlichem Ausmaß gezeigt wurden.
Wenn in den Spots beide Merkmale stark ausgeprägt waren, berichteten die Probanden mehr Empathie, intensivere Gefühle, stärkere Beziehungen zu den beworbenen
Produkten, größere Relevanz der in den Werbespots
beworbenen Produkte, größere Sympathie (positivere
Einstellungen) für die Spots und eine höhere Kongruenz
zwischen Marke und Selbst, als wenn nur eines oder keines der beiden Merkmale stark ausgeprägt waren. Ob die
gezeigten Fernsehwerbespots Emotional Flow und Emotional Integration eingesetzt hatten, beurteilten allerdings
die Probanden selbst.
Die von Kamp und MacInnis (1995) berichteten Ergebnisse konnten Mattenklott, Bolenius, Frieser und Hujer
(2005) nicht bestätigen. Vielmehr legten die Ergebnisse ihrer Studie die Interpretation nahe, dass sich die Probanden
von den Fernsehwerbespots nur dann emotional stärker
angesprochen fühlten und günstigere Einstellungen zur
Werbung und Marke wiedergaben, wenn der „Plot“ der
Erzählung durch die Bedingung „Emotional Flow“ verständlich wurde. Das war z. B. dann der Fall, wenn der
Werbespot mit Emotional Flow eine humorvolle Episode
erzählte, die sich ohne Emotional Flow nicht erschloss.
Der zentralen Annahme des Modells „Gefühle durch
den Gebrauch der Marke“ zufolge werden die in der Werbung dargestellten Gefühle auf die beworbene Marke dann
übertragen, wenn es der Werbung gelingt, die gleichen
oder ähnliche Gefühle zu aktivieren, die von den Konsumenten bereits früher erlebt worden sind. So soll z. B. das
belebende und entspannende Gefühl einer warmen Dusche nach dem Arbeitsalltag auf die Marke des beworbenen Duschgels übertragen werden. Ob solche oder ähnliche Gefühle auch dann mit der Marke verbunden werden,
wenn jemand nur morgens duscht, ist nicht bekannt. Mit
anderen Worten: Ob die Transformation von Gefühlen auf
Marken nur für in der Werbung dargestellte Situationen
erfolgt oder über derartige Situationen generalisiert wird,
muss die künftige Forschung zeigen.
Auffällig ist, dass die motivierende Wirkung des in
Aussicht gestellten Gefühls im Modell der transformationellen Werbung als Annahme nicht formuliert wird, obschon ein großer Teil der beworbenen Produkte hedonistische Motive anspricht (Hirschman & Holbrook, 1982).
Dieser Aspekt bildet den Kern des nächsten Modells.
6.2.4
Gefühle als Motive
Ereignisse werden aufgesucht, wenn sie als angenehm erlebt
werden, und vermieden, wenn sie mit negativen Gefühlen
assoziiert werden. Stellt man sich vor, die Ereignisse selbst
zu erleben, antizipiert man i. d. R. die Gefühle, die mit diesen Erlebnissen verbunden sind. Unter der Annahme, dass
es v. a. die Gefühle sind, derentwegen Ereignisse aufgesucht
oder vermieden werden, haben Gefühle eine motivierende
Kraft (Abele-Brehm & Gendolla, 2000). Einer der Wege zum
Ziel, angenehme Gefühlszustände zu erleben und unangenehme zu vermeiden oder diese zumindest zu lindern,
führt über den antizipierten Konsum von Produkten. Ein
Vorschlag hierzu stammt von Rossiter, Percy und Donovan
(1991). Sie haben eine Klassifikation der Agentur Foote,
Cone & Belding (FCB) von Produkten nach „Think versus feel“ und „High versus low involved“ weiterentwickelt
(Ratchford, 1987). Im dargestellten Rossiter-Percy-Gitter
(. Abb. 6.5) werden Produktkategorien nach dem Involvement von Konsumenten und der Art der Motivation zur
Nutzung eines relevanten Produkts unterschieden. Unter
Involvement verstehen Rossiter et al. (1991) das mit einem
Kauf verbundene subjektive Risiko, eine Fehlentscheidung
zu treffen. Dieses Risiko ist natürlich bei Produkten wie einer Lebensversicherung oder einem längeren Urlaub höher
als bei einem Waschmittel oder einer Schokolade.
Rossiter et al. (1991) betrachten die Motivation im Hinblick auf das Erstreben positiver Gefühle oder das Vermei-
6
94
Kapitel 6 • Emotionale Werbung
1
Informationell
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
Transformationell
Schwache
Involviertheit
Aspirin
Kugelschreiber
Reinigungsmittel
Schokolade
Wein
Kaffee
Starke
Involviertheit
Laptop
Versicherung
Neue industrielle
Produkte
Ferien
Bekleidung
Autos
.. Abb. 6.5 Eine Auswahl von Produkten im Rossiter-Percy-Gitter
den unangenehmer Gefühle. So entscheiden sich Konsumenten für Produkte, um entweder unangenehme Gefühle
zu vermeiden oder angenehme zu erleben. Informationelle
Motive werden erfüllt, wenn unangenehme Gefühle, die
der Kauf von Produkten mit sich bringen kann, gar nicht
erst auftreten. Hat man sich z. B. einige Male über seinen
Drucker geärgert, wird man Erleichterung empfinden,
wenn der neu gekaufte Drucker alle Qualitätsansprüche
mühelos erfüllt. Angst vor sozialer Ablehnung weicht einem Zustand der Entspannung, wenn ein Jugendlicher
die Markenjeans trägt, die auch von allen anderen seiner
Gruppe getragen wird. Neben diesen beiden informationellen Motiven führen Rossiter et al. noch drei weitere
negative Motive auf, nämlich
Enttäuschung, wenn das gekaufte Produkt die Konsumenten nicht zufriedenstellt,
Schuld, die aus einem ungelösten Konflikt zwischen
Gier und Verzicht entsteht, und schließlich
Unzufriedenheit, wenn ein Produkt verbraucht ist.
-
Werbung kann solche informationellen Motive gezielt ansprechen, indem sie Informationen darüber kommuniziert,
wie unangenehme Gefühle vermieden werden können.
Produkte werden aber auch gekauft, weil man sich
durch ihren Konsum angenehme Gefühle verspricht. Rossiter et al. (1991) unterscheiden hierbei drei positive bzw.
transformationelle Motive, die zu solchen Kaufhandlungen anregen, nämlich
die sensorische Belohnung durch alle Produkte, die
für unsere Sinne angenehm sind,
die intellektuelle Stimulation, die wir aufsuchen,
wenn wir uns langweilen, und schließlich
die soziale Anerkennung, wenn wir uns mit den
„richtigen“ Dingen umgeben (Hirschman & Holbrook, 1982).
-
Das Rossiter-Percy-Gitter ist als Werkzeug für die Werbeplanung konzipiert worden, da es unterschiedliche Werbestrategien für Produkte und Marken in Abhängigkeit
von ihrer Position in einem der vier Quadranten nahelegt.
Im Fall von Produkten mit hohem Involvement, d. h. mit
einem hohen Risiko eines Fehlkaufs, halten Rossiter et al.
(1991) emotionale Werbung für weniger geeignet. Diese
Annahme ließ sich in einer Untersuchung von Geuens, De
Pelsmacker und Faseur (2010) allerdings nicht bestätigen.
Emotionale Werbung war allgemein für Einstellungen gegenüber der Marke positiver als informative Werbung.
Die Antizipation angenehmer Gefühle bei der Produktnutzung, die beispielsweise von Protagonisten in der
Werbung bereits stellvertretend erlebt werden, wird als
bedeutsames Moment der Kaufentscheidung angenommen. In einer Studie wurden die Annahmen geprüft, dass
Konsumprodukte, deren Nutzung Stimmungen steigern
können, positiver bewertet und eher gekauft werden als
Produkte, die zur Stimmungsverbesserung weniger geeignet sind (Mattenklott et al., 2005). Die Ergebnisse bestätigten die Annahmen: Am häufigsten wurden Produkte mit
der Begründung einer Stimmungsverbesserung gewählt,
und diese Produkte erhielten bessere Bewertungen als Produkte, die sich für eine Stimmungsverbesserung weniger
gut eigneten.
Die biopsychologische Forschung des letzten Jahrzehnts hat zeigen können, dass Gefühle und Motive eng
miteinander verbunden sind (z. B. Winkielman, Berridge &
Wilbarger, 2005). Versetzten die Autoren Untersuchungspersonen in den Motivationszustand Durst, steigerte die
unterschwellige Darbietung freundlicher Gesichter den
Anreiz des durststillenden Getränks. Die Personen in
dieser Versuchsbedingung tranken mehr und waren bereit, mehr für das Getränk zu bezahlen als durstige Personen, denen unfreundliche Gesichter dargeboten worden
waren. Laut Interpretation dieser Ergebnisse hatten die
freundlichen Gesichter angenehme Gefühle erzeugt, die
das Getränk begehrter machte. In den Selbstberichten der
Untersuchungspersonen zeigten sich die vermuteten angenehmeren Gefühle als Folge der Darbietung freundlicher
Gesichter nicht. Eine naheliegende Frage ist, ob sich diese
Ergebnisse generalisieren lassen, ob also die Rezeption
freundlicher Gesichter, die z. B. in Kaufhäusern auf großflächigen Fotos zu sehen sind, unabhängig davon, ob sie
mit oder ohne bewusste Aufmerksamkeit wahrgenommen
werden, den Anreiz der Produkte steigert.
Die Gültigkeit des Modells „Gefühle als Motive“ scheint
begrenzter zu sein als die des Modells der Einstellungsübertragung oder des Modells der emotionalen Konditionierung, denn die Werbung muss die dominanten Motive
der Konsumenten treffen und aktivieren. Welche Motive
dominant sind, hängt sehr von der Situation ab, in der sich
ein Konsument befindet, z. B. nach dem Mittagessen womöglich das Motiv nach sensorischer Stimulation, das sich
durch das Aroma von Kaffee anregen lässt. Wenn es der
Werbung gelingt, dass die beworbene Marke gekauft wird,
und wenn die Marke die entstandene Motivation erfüllt,
95
6.2 • Modelle emotionaler Werbung
wird dies ein erster und wichtiger Schritt zu einer positiven
Einstellung gegenüber der Marke sein.
6.2.5
Wirkung spezifischer Gefühle
Die Forschung zur Wirkung spezifischer Gefühle, die bestimmte Gestaltungsformen von Werbung erzeugen sollen,
bezieht sich im Wesentlichen auf drei von diesen:
Humor,
Furcht und
erotische Gefühle.
--
Humor
Humor ist eines der am häufigsten eingesetzten Gestaltungsmittel der Werbung. Das Marktforschungsinstitut
GfK klassifizierte in den Jahren 1999 und 2000 27,4 % aller
Werbespots im deutschen Fernsehen als humorvoll (Mattenklott, 2002). Ähnliche Zahlen wurden aus Nordamerika
berichtet, wo 30,6 % aller Hörfunkspots und 24,4 % aller
Fernsehspots das Stilmittel Humor einsetzten (Weinberger,
Spotts, Campbell & Parsons, 1995). In der Forschungsliteratur ist Humor anfänglich durch drei Merkmale charakterisiert worden. Das grundlegende Merkmal ist Überraschung aufgrund von Inkongruenz gegenüber dem
erwarteten Ausgang der humorvollen Erzählung (Suls,
1983). Überraschung kann auch unangenehm sein, und
dann wäre die Anekdote nicht humorvoll. Humorvoll ist
die Überraschung, wenn sie eine spielerische Leichtigkeit
(„playfulness“) besitzt – das ist das zweite Merkmal –, die
für eine Komödie charakteristisch ist. Das dritte Merkmal
ist die Schnelligkeit, mit der die Inkongruenz zwischen
Erwartung und Erlebnis vom Betrachter aufgelöst werden
kann. Alden, Mukherjee und Hoyer (2000) nennen neben
der spielerischen Leichtigkeit das Gefühl der Wärme, das
sich nach der Auflösung der Inkongruenz ergeben würde.
Reaktionen auf humorvolle TV-Spots erfolgen hiernach
2-stufig, zuerst entsteht Überraschung und nach deren
Auflösung das heitere Gefühl. Woltman-Elpers, Mukherjee und Hoyer (2004) fanden, dass Überraschung das für
Humor wichtigste Merkmal ist. Darüber hinaus werden
spezifische Charakteristika für die Auflösung der Inkongruenz angenommen (s. Moser, 2002).
In einem Resümee der Forschung von Weinberger und
Gulas (1992) finden sich die folgenden Wirkungen von
Humor. Die Punkte 1–5 betreffen die allgemeine Wirkung
und die Punkte 6–8 die Wirkung von Humor in Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen:
1. Humor zieht die Aufmerksamkeit auf sich.
2. Humor beeinträchtigt nicht das Verstehen der Werbebotschaft.
3. Humor steigert die Sympathie für die Werbung. Diese
Wirkung ist unter allen die stärkste.
.. Tab. 6.3 Mittlere Korrelationen zwischen Humor in der
Werbung und den abhängigen Variablen Aufmerksamkeit,
Einstellungen gegenüber Werbung und Marken, selbstberichteten positiven und negativen Gefühlen, Kaufintentionen und
beurteilter Glaubwürdigkeit. (Aus Eisend, 2008)
Abhängige
Variablen
Mittlere
Korrelationen
Effektgrößen
Aufmerksamkeit
0.416
29
Einstellung gegenüber Werbung
0.374
87
Einstellung gegenüber Marken
0.189
49
Positive Gefühle
0.268
6
Negative Gefühle
–0.283
3
Kaufintentionen
0.192
46
Glaubwürdigkeit
–0.130
13
Anmerkung: „Effektgrößen“ bezeichnet die Anzahl der Studien, aus denen die Korrelationen geschätzt werden konnten.
4. Humor ist für eine positive Einstellung zur Marke und
für die Kaufintention nicht wirkungsvoller als Nichthumor.
5. Humor erhöht nicht die Glaubwürdigkeit der Marke.
6. Bezug zur Botschaft: Humor, der sich auf die Botschaft
bezieht, erzeugt mehr Sympathie für die Werbung als
Humor ohne Beziehung zur Botschaft.
7. Bewährte Produkte: Humor steigert die Sympathie für
die Werbung etablierter Produkte stärker als für neue
Produkte, insbesondere für die Werbung von Produkten, die schnell konsumiert werden und die sensorisch
angenehme Erlebnisse verheißen.
8. Zielgruppen: Humor wirkt zielgruppenspezifisch.
Bemerkenswert ist, dass Humor sich zwar günstig auf die
Sympathie für die Werbung, d. h. auf die Einstellung zur
Werbung auswirkt, aber nicht auf die Einstellung zur
Marke.
Eine Metaanalyse von Eisend (2008) zeigt etwas andere
Ergebnisse. Humorvolle Werbung korreliert positiv mit der
Einstellung gegenüber der Marke und der Kaufintention
und leicht negativ mit der Glaubwürdigkeit (. Tab. 6.3).
Außerdem ist die Beziehung zwischen Humor und Aufmerksamkeit am stärksten. Die im Vergleich zur Einstellung gegenüber der Werbung schwächere Korrelation von
Humor mit der Einstellung zur Marke könnte verschiedene
Ursachen haben. Einmal die, dass Humor nur eine Facette
von Sympathie ist, während die Sympathie für die Marke
viele Facetten umfasst, wie z. B. Ehrlichkeit, Anregung oder
Kultiviertheit (Aaker, 1997). Ein weiterer Grund könnte
sein, dass die Konsumenten bereits Einstellungen zu den
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Kapitel 6 • Emotionale Werbung
beworbenen Marken hatten, die von humorvoller Werbung
nicht wesentlich beeinflusst werden konnten.
Wenn Markeneinstellungen auch durch Argumente
gestützte Bewertungen enthielten, war der Einfluss von
Humor gering (Cline & Kellaris, 1999). Der Einfluss einer
humorvollen Gestaltung auf die Einstellungen zur Werbung war auch dann gering, wenn die Werbung unerwartet
relevante Informationen vermittelte (Lee & Mason, 1999).
Dagegen behinderten unerwartet irrelevante Informationen in der humorvollen Gestaltung den Einfluss von Humor nicht.
Ein Problem für die Wirkung humorvoller Werbung,
das in den von Weinberger und Gulas (1992) analysierten
Studien nicht untersucht worden ist, scheint der „Abrieb“
(„wearout“) von Humor zu sein. Erzählt man derselben
Person einen Witz zum zweiten Mal, ist das Moment der
Überraschung verloren. Durch Varianten der humorvollen
Botschaften („pool-outs“) versucht man, dieses Problem
zu vermeiden. Als ein Beispiel sei die Kinowerbung für
Langnese-Eiscreme mit ihren zahlreichen humorvollen
Episoden genannt, von denen in einem Spot nur jeweils
eine gezeigt wurde.
Furcht
Ein Selbstverständnis von Gesellschaften ist die Sicherung
ihres Fortbestehens. Dazu gehört, dass jedes Mitglied sein
Leben und das der anderen Mitglieder nicht gefährdet. Was
so selbstverständlich vernünftig erscheint, wird aber nicht
von allen praktiziert. Politiker denken zunächst daran, welche Sanktionen gegen die „Unvernünftigen“ verhängt werden sollten. Psychologen versuchen zu erforschen, wie man
die Menschen überzeugt, sich und andere vor Gefahren zu
schützen. Grundsätzlich lässt sich das mit zwei Arten von
Überzeugungsversuchen unternehmen, einer vertraut auf
die Einsicht in die Vernunft der Argumente und der andere
auf Furcht vor negativen Folgen des lebensbedrohenden
oder gesundheitsschädlichen Verhaltens. Werbebotschaften mit Darstellungen solch negativer Folgen werden als
Furchtappelle bezeichnet. Werbebotschaften, die Furcht
vor sozialer Ablehnung zum Inhalt haben, werden in ▶ Abschn. 6.2.4 behandelt.
Die Forschung zur Wirkung von Furchtappellen, die
hauptsächlich Gefahren durch ungesundes Verhalten zum
Inhalt hatte, begann in den 1950er Jahren. Die erste publizierte Theorie nimmt an, dass Menschen, die mit Furchtappellen konfrontiert werden (z. B. wenn sie Fotos zerstörter
Gebisse als Folge nachlässiger Zahnpflege sehen), in einen
unangenehmen Motivationszustand geraten (Hovland,
Janis & Kelley, 1953). Dieser Motivationszustand drängt
die Betroffenen, die unangenehme Furcht zu beseitigen.
Dies kann dadurch erfolgen, die Regeln der Zahnpflege
konsequent umzusetzen oder die Furcht zu verdrängen,
indem das Thema Zahnpflege aus ihren Überlegungen
ausgeblendet wird. Ist der unangenehme Motivationszustand durch die erzeugte Furcht schwach, putzt man seine
Zähne regelmäßig; ist er dagegen intensiv, so die für die
Wirkung von Furcht wichtige Annahme, beschäftigt man
sich nur noch mit der Verdrängung der Furcht. Für das
praktische Handeln ließ sich aus dieser Theorie folgern,
dass schwache Furchtappelle wirksamer sind als starke.
Das konnte mithilfe eines Experiments bestätigt werden,
dessen Ergebnisse zeigten, dass die Empfehlung zur regelmäßigen Zahnpflege dann am häufigsten befolgt wurde,
wenn die erzeugte Furcht am geringsten war (Janis & Fesh­
bach, 1953).
Ein unangenehmer Motivationszustand infolge einer
furchterzeugenden Darstellung von Gefahren und ihren
Konsequenzen kann auch dadurch gemildert werden, dass
anschließend ein für Leben und Gesundheit unschädliches Verhalten gezeigt wird. Rossiter und Thornton
(2004) untersuchten die Wirkung zweier Formen von
Furchtappellen, die mit Videofilmen erzeugt werden sollten. In einem Video wurde gezeigt, wie die Verletzung
eines Fußgängers durch ein fahrendes Auto aufgrund einer niedrigen Geschwindigkeit hätte vermieden werden
können, im anderen Video wurde ein Kind offensichtlich
tödlich verletzt. Nach drei Wochen unterzogen sich die
Untersuchungspersonen einem Autofahrer-Geschwindigkeitstest. Per Video wurden verschiedene Fahrsituationen
simuliert, in denen die Untersuchungspersonen am Steuer
saßen, und dabei wurden ihre Fahrgeschwindigkeiten gemessen. In den Ergebnissen zeigten sich angemessenere
Fahrgeschwindigkeiten unter der Bedingung des Videos,
das zeigte, wie der Unfall mit einem Fußgänger vermieden
werden konnte. Rossiter und Thornton begründen dessen
stärkere Wirkung mit einer negativen Verstärkung der Probanden. Negative Verstärkung bezeichnet die Wegnahme
eines unangenehmen Zustands. In der Studie von Rossiter
und Thornton (2004) zeigte sich der unangenehme Zustand in einer hohen berichteten Anspannung der Untersuchungsteilnehmer, wenn der Unfall gezeigt wurde. Diese
Art Anspannung interpretierten Rossiter und Thornton
als Furcht. Auf die Furcht folgte Erleichterung, wenn das
Video zeigte, dass der Unfall infolge angemessener Geschwindigkeit vermieden werden konnte.
Eine Verwendung starker Furchtappelle berührt die
Frage, ob man es den Betrachtern überlassen darf, wie sie
die Furcht bewältigen. Fragen der ethischen Rechtfertigung
von Furchtappellen behandeln z. B. Hastings, Stead und
Webb (2004).
Die folgende Theorie von Leventhal (1970) nimmt an,
dass beide, die in der Werbung dargestellte Bedrohung
und die durch sie ausgelöste Furcht, parallel und potenziell aufeinander bezogen verarbeitet werden. Im Unterschied zur oben skizzierten Theorie von Hovland, Janis
und Kelley (1953) ist der Theorie von Leventhal zufolge
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6.2 • Modelle emotionaler Werbung
ein gewisses Maß an Furcht notwendig, um sich mit
der Bedrohung auseinanderzusetzen. Ohne Furcht würde
keine Motivation zum Handeln entstehen, und sehr große
Furcht würde Handeln verhindern, weil die Betroffenen
allein mit der Bewältigung der Furcht beschäftigt wären.
Wendet man diese Theorie auf Appelle zur Vermeidung
von Gesundheitsgefahren an, müssten sie ein mittelhohes
Maß an Furcht erzeugen, um wirksam zu sein. Wenn die
empfohlene Handlung befolgt wird, sollte dies die Furcht
beseitigen.
Die dritte Theorie von Witte (1992) ist eine Erweiterung der Theorie von Leventhal (1970). Sie nimmt an, dass
die in der Werbung dargestellte Bedrohung zwei Bewertungen anregt. Zuerst wird bewertet, ob die Bedrohung für
den Rezipienten relevant ist. Für den Nichtraucher z. B. ist
die vermittelte Bedrohung durch Rauchen irrelevant. Er
wird nicht motiviert sein, sich weiter mit der Botschaft der
Werbung zu beschäftigen. Wird dagegen die Bedrohung als
relevant bewertet, erzeugt sie Furcht. Nun wird die empfohlene Maßnahme zur Kontrolle der Bedrohung bewertet.
Wird sie als effektiv und als zu bewältigen eingeschätzt,
beginnen die Betroffenen sie anzuwenden und damit die
Bedrohung zu kontrollieren und die Furcht zu beseitigen
oder zu lindern. Wird dagegen die empfohlene Maßnahme
als ineffektiv oder aussichtlos zu bewältigen beurteilt, beginnen die Betroffenen die Furcht mit defensiven Reaktionen zu kontrollieren, indem sie z. B. die in der Werbung
vermittelte Bedrohung leugnen oder es ablehnen, sich mit
dem Thema der Werbung zu beschäftigen.
Defensive Reaktionen zur Kontrolle der Furcht wurden in einer Studie von Mukerjee und Dubé (2012) dann
reduziert, wenn starke Furchtappelle in Anzeigen, sich vor
Hautkrebs zu schützen, mit Humor verbunden waren. Hierdurch wurde die Wirksamkeit der Furchtappelle erhöht.
Eine Metaanalyse von Witte und Allen (2000) zur Wirkung von Appellen, seine Gesundheit zu schützen, ergab,
dass Furcht und Einstellung gegenüber der empfohlenen
Maßnahme im Mittel mit 0.15, Furcht und Verhaltensintention mit 0.13 und Furcht und Verhaltensänderung mit
0.16 korrelierten. Die niedrigen Korrelationen deuten auf
heterogene Wirkungen der Furchtappelle. Laut Autoren
waren alle Korrelationen positiv. Moderatorvariablen
konnten sie nicht identifizieren. Die Ergebnisse der Studien stützten am wenigsten die Theorie von Hovland, Janis
und Kelley (1953) und tendenziell am stärksten die Theorie
von Witte (1992).
Die erzeugte Furcht wird als Mediator zwischen wahrgenommener Bedrohung und Handlung angenommen
und kann selbst experimentell nicht variiert werden. Die
in den Studien gemessene Furcht korrespondierte mit der
Stärke der Bedrohung eher selten (Dillard & Anderson,
2004). Das Ausmaß an empfundener Furcht war u. a abhängig
-
von individuellen Erfahrungen mit der Bedrohung,
z. B. hat man als Autofahrer bedrohliche Situationen
gemeistert,
von der Einschätzung, ob die dargestellte Bedrohung
für einen selbst gefährlich ist (Mukerjee & Dubé,
2012),
von der Illusion der Unverwundbarkeit, z. B. können
sich junge, gesunde Raucher schwer vorstellen, an
Folgen des Rauchens zu erkranken,
von der Neigung, sich riskanten Situationen auszusetzen („sensation seeking“), oder
davon, ob die dargestellten Folgen des schädigenden
Verhaltens nicht nur für die Gesundheit, sondern
auch sozial bedrohlich sind, z. B. dass Drogenkonsum
zur Ablehnung durch Gleichaltrige führt (Schoenbachler & Whittler, 1996).
Daraus darf man jedoch nicht folgern, dass Furcht für die
Wirkung der Werbung mit Appellen zur Vermeidung von
Schäden für „Leib und Leben“ keine Rolle spielt. Zwar
schätzen einige Autoren der wenigen im deutschsprachigen Raum durchgeführten Studien die Wirkung durch induzierte Furcht gering ein (z. B. Trommsdorff, 1984). Für
die Mehrzahl durchgeführter Studien dagegen resümieren
Koeppler (2000), LaTour und Rotfeld (1997) sowie Witte
und Allen (2000), dass im Allgemeinen gilt: je größer die
erzeugte Furcht, desto größer die Überzeugung. Die größere Überzeugung stellt sich aber nur dann ein, wenn die
Werbebotschaft ein hoch wirksames Verhalten zur Abwendung der dargestellten Gefahr vermittelt (Witte & Allen,
2000). Als Fazit lässt sich festhalten, dass für die Wirkung
einer Werbebotschaft, die ihre Zielgruppe mit Darstellungen möglicher Schäden für die eigene und für die Gesundheit anderer überzeugen will, zwei Momente entscheidend
sind: eine Gefahrendarstellung, die von den Personen der
Zielgruppe als für sie relevant bewertet wird, und die Vermittlung von Verhaltensmaßnahmen, die zur Vermeidung
des dargestellten Schadens für effektiv gehalten werden.
Erotische Gefühle
Erotische Werbung aktiviert die Betrachter zum näheren
Hinsehen, am stärksten zu Darstellungen gegengeschlechtlicher Models. Ob dies die gedankliche Beschäftigung mit
der Werbebotschaft fördert oder behindert, ist ein Thema
der Forschung (Moser & Verheyen, 2011). Die höhere Aktivierung fördert die gedankliche Beschäftigung mit den
erotischen Darstellungen, reduziert aber die Erinnerung an
die Informationen über die Marke (z. B. Grazer & Keesling,
1995).
Eine weitere Forschungsfrage bezieht sich auf die Wirkung der durch erotische Werbung hervorgerufenen Gefühle auf Einstellungen zur Werbung. In einer Studie von
Severn, Belch und Belch (1990) profitierten die Einstellun-
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Kapitel 6 • Emotionale Werbung
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gen zur Werbung von erotischen Darstellungen in einer
Anzeige für Schuhe. La Tour (1990) fand, dass eine positiv
gefärbte Aktivierung bei Männern der „Treiber“ für günstige Einstellungen gegenüber der Werbung für Parfüms
war. Dagegen war die durch erotische Werbung erzeugte
Aktivierung bei Frauen eher von Anspannung charakterisiert, und ihre Reaktionen auf die Werbung fielen weniger
günstig aus. Positive Einstellungen gegenüber der Werbung
profitierten in einer Studie von Huang (2004) von Darstellungen leidenschaftlicher Liebe in Anzeigen für Parfüms.
Dagegen fand sich mit Darstellungen warmherziger Beziehungen keine vergleichbare Wirkung. In einer umfangreichen Studie fanden Reichert, La Tour und Kim (2007), dass
Männer die elf präsentierten erotischen Fernsehwerbespots
mit dem Self-Assessment Manikin (Lang, 1995) positiver
bewerteten als Frauen. Wurden die Bewertungen der Spots
für Frauen und Männer getrennt analysiert, zeigten sich bei
beiden positivere Bewertungen, wenn die Spots gegengeschlechtliche Models präsentierten. In den Einstellungen
gegenüber der Werbung unterschieden sich Frauen und
Männer nicht. Die Einstellungen ließen sich durch das auf
Sexualität bezogene Selbst-Schema („sexual self-schema“)
vorhersagen, das die Offenheit gegenüber Sexualität repräsentiert. Die Vorhersagen waren für Frauen besser als für
Männer.
??
Kontrollfragen
1. Wie ist das Verhältnis zwischen dem Modell der
klassischen Konditionierung und dem Modell der
emotionalen Konditionierung in Bezug auf die
Übertragung von Gefühlen auf die Einstellungen
zur Marke?
2. Wie wird der Transfer von Gefühlen, die infolge
der Rezeption von Werbung auf die beworbenen
Marken entstehen, mithilfe des Modells der Einstellungsübertragung erklärt?
3. Wie lassen sich die stärkeren Beziehungen
zwischen negativen Gefühlen und Einstellungen
gegenüber Werbung und Marke bei Anzeigenwerbung (vs. Fernsehwerbung) erklären?
4. Gibt es Werbung, mit der beide Arten von Motiven,
informationelle und transformationelle, aktiviert
werden sollen?
5. Stehen Glaubwürdigkeit und Humor in der Werbung im Widerspruch?
Fazit
Emotionale Werbung versucht, bei den Konsumenten Gefühle
zu erzeugen und auf die beworbenen Marken zu übertragen.
Diese Art der Übertragung von Gefühlen versuchen vier Modelle zu erklären: „Emotionale Konditionierung“, „Einstellungsübertragung“, „Gefühle durch den Gebrauch von Marken“ und
„Gefühle als Motive“. Die beiden Modelle „Emotionale Kondi-
tionierung“ und „Einstellungsübertragung“ sind sich insofern
ähnlich, als sie Marke und gefühlserzeugende Darstellungen
gemeinsam oder zeitlich sehr nah darbieten und dadurch eine
assoziative Verbindung herstellen, deren Inhalt die emotionale Bedeutung der gefühlserzeugenden Darstellungen ist.
Die Forschung zeigt, dass sich die beiden Modelle insgesamt
bewährt haben. Die Anwendung der beiden Modelle „ Gefühle
durch den Gebrauch von Marken“ und „Gefühle als Motive“
ist im Vergleich zu den beiden anderen Modellen begrenzter,
weil sie bestimmte Gestaltungsformen der Werbung, autobiografische Erlebnisse und im Fall des Modells „Gefühle als
Motive“ die Passung von dargestellten Motiven und aktuell
wirkenden Motivationen voraussetzen. Da es bislang nur sehr
wenige Studien zur Prüfung der Modelle gibt, lässt sich ihre
Gültigkeit noch nicht bewerten.
Die Forschungsergebnisse zur Wirkung des spezifischen
Gefühls Humor zeigen positive Wirkungen auf die Aufmerksamkeit gegenüber Werbung, auf Einstellungen zur Werbung
und schwächer auf Einstellungen zur Marke. Humorvolle Werbung überzeugt weniger als nichthumorvolle Werbung.
Furchtappelle überzeugen dann, wenn die Gefahrendarstellung für relevant und das empfohlene Verhalten zur
Vermeidung von Gefahren für effektiv gehalten werden. Sehr
starke Furchtappelle erzeugen anscheinend defensive Reaktionen. Die Forschung ergibt insgesamt eine positive, wenngleich
schwache Beziehung zwischen Furcht und Überzeugung.
Erotische Werbung zieht Aufmerksamkeit an, was für die
Erinnerung an die beworbenen Marken eher ungünstig ist.
In Bezug auf Einstellungen gegenüber der Werbung ist die
Forschungslage uneinheitlich. Männer scheinen erotische
Werbung besser zu bewerten als Frauen. Ein auf Sexualität
bezogenes Selbst-Schema erlaubte bessere Vorhersagen der
Einstellung gegenüber Werbung. Über Einstellungen gegenüber der Marke gibt es kaum Forschung.
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101
Markenmanagement
Michaela Wänke, Arnd Florack
7.1
Einführung und Überblick – 102
7.2
Psychologische Theorien und Modelle
der Markenwirkung – 102
7.2.1
7.2.2
Sozial-kognitive Grundlagen – 102
Selbstrelevante Funktionen von Marken – 104
7.2.3
Marken-Kunden-Beziehungen – 107
7.3
Markenstrategien – 108
7.3.1
7.3.2
7.3.3
Marken- und Produktlinienerweiterung – 108
Die optimale Markenbreite – 110
Psychologische Funktionen als Basis von
Markenarchitekturstrategien – 111
7.4
Steuerung der Markenidentität – 114
7.4.1
7.4.2
Komponenten der Markenidentität – 114
Umsetzung der Markenidentität – 114
7.5
Zukunft der Markenführung – 115
Literatur – 117
K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie, Springer-Lehrbuch,
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
7
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1
2
3
Kapitel 7 • Markenmanagement
„Die LEGO Marke ist weit mehr als nur unser Logo. An die
Marke sind Erwartungen an das Unternehmen geknüpft, an
Produkte und Dienstleistungen sowie an die unternehmerische Verantwortung, die die LEGO Gruppe ihrer Umwelt und
Umgebung gegenüber trägt. Die Marke ist das Zeichen für das
Original, das Qualität garantiert.“ (LEGO Gruppe, 2006)
4
7.1
5
Ähnlich wie beim englischen Begriff „Brand“, in dem noch
der Brauch anklingt, Vieh durch Brandzeichen zu kennzeichnen, liegt auch die Herkunft des deutschen Begriffs
„Marke“ in der Kennzeichnung oder Markierung. Schon
früh stempelten Händler zur Kennzeichnung Säcke und
Kisten, und Handwerker signierten ihre Werkstücke wie
Künstler ihre Kunstwerke (vgl. Esch, 2003). Solange Handel und Konsum vorwiegend lokal stattfanden und man
seine Schuhe direkt beim Schuster und die Möbel direkt
beim Schreiner kaufte, war eine Herkunftsbezeichnung
aber weitgehend unnötig. Erst mit dem überregionalen
Vertrieb von Gütern erlangte die Herkunftsbezeichnung
größere Bedeutung, da sie im Zeitalter anonymer Beziehungen zwischen Hersteller und Verbraucher eine Identifizierung des Herstellers erlaubte. Zu wissen, von wem man
Produkte erwirbt, ist allerdings nur dann wichtig, wenn
sich die Erzeugnisse verschiedener Hersteller unterscheiden oder wenn die Einstellung zu einem Unternehmen
selbst wichtig ist (z. B. wenn man Unternehmen bevorzugt, die in ihrer Produktion Rohstoffe aus fairem Handel
einsetzen). Mit zunehmender Vielfalt und Spezifizierung
der Güterwelt werden Orientierungshilfen notwendig, und
vertraute Marken können genau diese Orientierung bieten.
Auf dieser Grundlage beruht die heutige Markenwelt. Eine
Marke offeriert dem Verbraucher ein Versprechen.
Eine Marke steht aber nicht nur für eine bestimmte
Qualität oder spezifische funktionale Eigenschaften eines
Produkts. Der Konsum einer bestimmten Marke sendet
Signale an die soziale Umwelt, die auf den Konsumenten
selbst bezogen sind. Marken dienen daher dem Selbstausdruck, der Selbstpräsentation und der Selbstbestätigung.
Marken können beispielsweise die Funktion von Statussymbolen annehmen, indem sie die (angestrebte) Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen kommunizieren
und somit der sozialen Identität dienen. Gerade dieser
Aspekt wird vom Marketing gerne gepflegt, indem in der
Markenkommunikation die entsprechenden Zielgruppen
gezeigt werden.
Die Bedeutung und der Wert einer Marke hängen im
Wesentlichen von den Vorstellungen der Verbraucher ab.
So stellt nach Aaker (1996) eine Marke ein mit dem Markennamen assoziiertes Bündel von Eigenschaften dar, das
den Wert des bloßen Produktes erhöht (oder in einem für
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Einführung und Überblick
ein Unternehmen ungünstigen Fall vermindert) und das
sich deutlich von den mit anderen Marken verbundenen
Eigenschaftskonfigurationen unterscheidet. Die Hauptaufgabe des Markenmanagements ist dementsprechend in erster Linie, eine derartige Vorstellung zu schaffen und zu pflegen. Einerseits erfordert dies Konstanz und Konsistenz im
Markenauftritt, damit sich beim Verbraucher ein einheitliches, möglichst deutliches und klar distinktes Bild formt.
Andererseits gilt es, dieses Bild auch den Erfordernissen des
zeitlichen Wandels anzupassen, ohne die Identität zu verlieren. Beide Anforderungen sind Leitlinien, wenn es darum
geht, die Produktpalette einer Marke zu verändern – meist
zu erweitern – oder neue Zielgruppen zu erschließen. Die
Tatsache, dass es letztlich darum geht, die Vorstellung des
Verbrauchers über eine Marke zu steuern und seine Einstellungen, Gefühle und Urteile zu beeinflussen, macht
deutlich, dass Erkenntnisse über psychologische Prozesse
eine wichtige Grundlage der Markenführung sind. In den
folgenden Abschnitten werden wir daher auf psychologische Ansätze zur Erklärung der Wirkung von Marken
eingehen, bevor wir dann anschließend die Implikationen
dieser Ansätze für die Markenführung erläutern.
7.2
7.2.1
Psychologische Theorien
und Modelle der Markenwirkung
Sozial-kognitive Grundlagen
Betrachtet man eine Marke als Bündel von Vorstellungen,
Assoziationen und Erwartungen hinsichtlich bestimmter
Attribute, dann bietet sich das psychologische Konstrukt
des kognitiven Schemas als theoretischer Rahmen an.
Unter einem Schema versteht man kognitive Strukturen,
in denen Wissen über ein Thema oder einen Gegenstand
organisiert ist (Bless & Schwarz, 2002). Schemata umfassen
alle mit dem Gegenstand verbundenen Attribute und deren
Beziehung untereinander. Sie wirken sich auf die Informationsverarbeitung aus, indem sie beeinflussen, welche
Information wahrgenommen, weiter elaboriert und erinnert wird. Die Perspektive einer Marke als Schema oder als
Kategorie (beide Begriffe werden im Folgenden synonym
verwendet) erlaubt es, spezifische Hypothesen über die
Wirkung und Steuerung von Marken abzuleiten.
Bedeutung der Marke
für Informationsverarbeitung,
Urteilen und Verhalten
Der Kauf eines Produktes – die im Marketing letztlich zentrale Größe – ist erst der letzte Schritt in einer Kette aus einzelnen Schritten der Informationsverarbeitung (zum Überblick über Informationsverarbeitung im Konsumkontext
siehe Shavitt & Wänke, 2001; Wänke, 2002). Am Anfang
103
7.2 • Psychologische Theorien und Modelle der Markenwirkung
steht die Wahrnehmung und Aufnahme von Information.
Die aufgenommene Information wird weiter verarbeitet,
indem Schlussfolgerungen gezogen werden. Sowohl extern Dargebotenes als auch intern generierte Informationen
werden abgespeichert und wieder erinnert. Schließlich wird
die Information zu einem Urteil integriert. Dieses Urteil
kann sich auf das weitere Verhalten auswirken und neben
anderen Faktoren die Produktwahl beeinflussen.
In Abwesenheit eindeutiger Unterscheidungsmerkmale (z. B. kleiner versus großer Kofferraum beim Auto)
kann die Marke beeinflussen, welche Produkteigenschaften wahrgenommen werden und wie ein Produkt beurteilt
wird. Eine Studie von Hoyer und Brown (1990) zeigt diesen
Einfluss einer Marke. Die beiden Forscher präsentierten
den Teilnehmern einer Studie drei Originalverpackungen Erdnussbutter verschiedener Marken und variierten
ohne Wissen der Probanden den Inhalt. In der für uns
entscheidenden Bedingung enthielt eine Verpackung qualitativ hochwertige Erdnussbutter, und zwei Verpackungen
enthielten jeweils die identische qualitativ minderwertige
Erdnussbutter. Verwendeten die Forscher nun Verpackungen von drei unbekannten Marken, konnten immerhin
59 % der Teilnehmer die hochwertige Sorte identifizieren.
Wurde aber die qualitativ schlechte Erdnussbutter in einer
Verpackung einer bekannten Marke und die hochwertige
Erdnussbutter in einer Verpackung einer unbekannten
Marke angeboten, wählten nur 20 % der Teilnehmer die
qualitativ beste Erdnussbutter. Bemerkenswerterweise
wählten 73 % der Teilnehmer in diesem Fall die bekannte
Marke sogar zur besten Erdnussbutter. Anscheinend
schmeckten die Teilnehmer andere (und bessere) Aromen,
wenn es sich um eine etablierte Marke handelte, oder sie
bewerteten die geschmeckten Aromen in diesem Fall besser. Tatsächlich belegen andere Studien in ähnlicher Weise
den Einfluss von Marken auf die Beurteilung von Produkten. Bekannt ist der Befund, dass die Beurteilung von Pepsi
Cola und Coca-Cola unterschiedlich ausfällt, je nachdem,
ob die Marke gekennzeichnet ist oder nicht (McClure, Li,
Tomlin, Cypert, Montague & Montague, 2004).
In der dargestellten Studie von Hoyer und Brown
(1990) war in Blindtests (▶ Info-Box) die Mehrheit der
Probanden in der Lage, das hochwertige Produkt zu identifizieren. Trotzdem hatte die Marke in den Bedingungen
mit Markenkennzeichnung einen sehr deutlichen Effekt.
Man kann annehmen, dass solche Erwartungseinflüsse
aufgrund von Marken noch stärker zum Tragen kommen,
wenn die relevanten Eigenschaften von den Konsumenten
gar nicht oder nur schwer persönlich beurteilt werden können, wie z. B. bei der Einschätzung der Schadstoffbelastung
in Babynahrung, der Beurteilung der Verarbeitungsqualität
von Autos oder der Beurteilung der gesundheitsfördernden Wirkung von Joghurts. Gerade in solchen Fällen können Konsumenten aus der Zugehörigkeit zur Marke und
aus ihrem Wissen über die Marke Information ableiten
oder konstruieren, die sie kaum selbst einschätzen können.
Info-Box
| |
Blindtests
Aus den Belegen für die Einflüsse von Marken auf die
Beurteilung von Produkteigenschaften lassen sich
Handlungsanweisungen für Produkttests in der Marktforschung ableiten. Blindtests bilden nicht die Realität
des Produktkonsums ab und sollten daher nun dann
eingesetzt werden, wenn man am objektiven und unbeeinflussten Konsumerleben interessiert ist. Blindtests
sind dann angebracht, wenn das Produkt ohne Markenkennung konsumiert werden soll, wie beispielsweise
Speisen und Getränke in Restaurants und Kantinen.
Randbedingungen des Markeneinflusses
auf die Informationsverarbeitung
Die Wahrnehmung und die Interpretation von Informationen sind sehr stark durch Markenwissen geleitet. Der
Einfluss des Markenwissens ist jedoch nicht immer gleich
stark und hängt vom Umfang der Informationsverarbeitung
ab. Informationsverarbeitung kann unterschiedlich aufwändig vonstattengehen. Schemageleitete Verarbeitung stellt
dabei das eine Extrem dar, das mit geringem kognitivem
Aufwand auskommt. Es ist nicht nötig, möglichst viele und
akkurate Informationen zu sammeln, zu prüfen, genau zu
durchdenken und miteinander zu verknüpfen, wenn man
eine Entscheidung lediglich aufgrund des Markennamens
trifft. Stattdessen wird man relevante Information aus bereits vorhandenem Schemawissen ableiten und das Urteil
auf dieses Schemawissen stützen. Wenn beispielsweise für
eine Person zur Markenvorstellung von IKEA gehört, dass
IKEA preiswert ist, kann diese Person für ein IKEA-Produkt ableiten, dass es preiswert ist, ohne einen Preisvergleich mit Produkten anderer Marken vorzunehmen (s.
auch ▶ Info-Box). In welchem Ausmaß Konsumenten auf
Schemawissen zurückgreifen, hängt von der Motivation ab,
sich mit den zur Verfügung stehenden Informationen auseinanderzusetzen, und von den kognitiven Ressourcen und
Fähigkeiten. Die kognitiven Ressourcen können beschränkt
sein, wenn ein Konsument ermüdet oder gerade mit anderen Dingen beschäftigt ist, die nichts mit dem Kauf oder
der Einschätzung des relevanten Produktes zu tun haben.
Die Bedeutung der Motivation bei der Beurteilung eines Produktes haben Maheswaran, Mackie und Chaiken
(1992) untersucht. In ihrer Studie wurden Versuchsteilnehmer gebeten, ein Telefon zu beurteilen. Bei der Beurteilung
des Produkts war ihnen der Markenname bekannt, und sie
hatten Informationen über einzelne Attribute und Eigenschaften. Es wurde jedoch variiert, ob die Beurteilung des
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Kapitel 7 • Markenmanagement
Telefons für die Teilnehmer relevant oder weniger relevant
war. Einer Gruppe von Probanden wurde mitgeteilt, dass
das Telefon bald in ihrem Umfeld zu kaufen sein werde.
Dies sollte die Relevanz des Produktes erhöhen. Einer weiteren Gruppe von Probanden wurde demgegenüber gesagt,
dass es sich um eine großangelegte Befragung zur Einführung des Produkts in einer anderen Region handeln sollte.
Für diese Gruppe war das Produkt also weniger relevant.
Es zeigte sich, dass die Urteile über das Produkt deutlich
stärker vom Markennamen beeinflusst waren, wenn das
Produkt weniger relevant für die Teilnehmer war. Umgekehrt hatten die tatsächlichen Attribute mehr Einfluss auf
das Urteil, wenn die Konsumenten hoch motiviert waren,
ein zutreffendes Urteil zu fällen.
Info-Box
| |
Wie weit geht die „Geiz-ist-geil-Mentalität“?
Ausgelöst durch einige Werbekampagnen von großen Einzelhändlern im Elektronikbereich spricht
man in Deutschland seit einiger Zeit von einer
„Geiz-ist-geil-Mentalität“ der Konsumenten. Discounter,
Billigprodukte und Handelsmarken („No-Name-Brands“)
scheinen beliebter denn je. Insbesondere bei Produkten, bei denen es kaum subjektiv messbare Qualitätsunterschiede zu geben scheint (Zucker, Sahne, etc.), ist die
Einstellung verbreitet, dass Markenprodukte sich nicht
von unter Handelsmarken angebotenen Produkten unterscheiden. Entsprechend berichteten Verbraucher in
einer Studie (Friese, Wänke & Plessner, 2006) eine Präferenz für Handelsmarken gegenüber Markenprodukten. Interessant ist aber, dass sich etliche Probanden
in dieser Studie nur dann für die Handelsmarken entschieden, wenn sie sich bei der Entscheidung Zeit lassen
konnten. Unter Zeitdruck wählten Probanden auch in
dieser Studie eher die Markenprodukte. Das heißt, viele
Probanden gingen davon aus, dass Handelsmarken den
Markenprodukten nicht unterlegen waren, sie besaßen
aber dennoch eine automatische Präferenz für die Markenprodukte, die insbesondere unter Zeitdruck ihre
Entscheidung beeinflusste.
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Ein weiterer Faktor, der die Nutzung von Schemawissen
beeinflusst, ist die Expertise der Verbraucher. Wer sich
schlecht in einer Produktkategorie auskennt, wird die zur
Verfügung stehende Information nicht adäquat beurteilen
können. Im schlimmsten Fall kann detaillierte Produktinformation Konsumenten auch verwirren und überfordern.
Konsumenten mit geringer Expertise orientieren sich daher eher an Schemawissen, das mit Markennamen oder
Herkunftsbezeichnungen („Made in XY“) verbunden ist
(Maheswaran, 1994).
Zudem legt sozialpsychologische Forschung nahe, dass
Menschen in guter Stimmung eher auf bestehende Wissensstrukturen, wie beispielsweise Schemata, zurückgreifen (Bless, 2001). Dieser Effekt der Stimmung zeigte sich in
einer Studie von Greifeneder, Bless und Kuschmann (2007)
auch bei der Beurteilung von Markenprodukten. Trotz völlig
identischer Beschreibung eines Geländewagens erhielt dieser positivere Beurteilungen, wenn er der Marke Mercedes
zugeordnet wurde, als wenn die Versuchsteilnehmer davon
ausgingen, dass es sich um ein Fahrzeug der Marke Skoda
handelte. Dieser Einfluss der Marke auf die Beurteilung des
Fahrzeugs zeigte sich bei guter Stimmung deutlich stärker.
7.2.2
Selbstrelevante Funktionen
von Marken
Marken erlauben Konsumenten Schlussfolgerungen über
Merkmale zu ziehen, die sie nicht beobachten oder beurteilen können oder zu deren Prüfung ihnen die Motivation
oder Möglichkeit fehlt. So kann ein Konsument beispielsweise annehmen, dass ein Waschmittel einer bestimmten
Marke eine gewünschte Funktion mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllt – nämlich die Wäsche sauber zu waschen
und sie dabei nicht zu schädigen. In der Einleitung zu diesem Beitrag haben wir aber schon angesprochen, dass Markenprodukte nicht nur erworben werden, weil sie einen
funktionalen Nutzen haben und man sich von ihnen verspricht, dass sie bei der Lösung eines spezifischen Problems
helfen. Marken haben in vielen Fällen eine Signalfunktion,
die auch als symbolischer Benefit bezeichnet wird (Park,
Bernard, Jaworski & MacInnis, 1986). Marken signalisieren anderen Menschen etwas über den Markennutzer, und
Markennutzer können diese Signalfunktion einer Marke
gezielt nutzen, um eine tatsächliche oder erwünschte Eigenschaft ihres Selbst zu unterstreichen (. Abb. 7.1).
Selbstdiskrepanzen und Selbstregulation
Das Selbst einer Person umfasst die Gedanken, Gefühle und
Überzeugungen über die eigene Person sowie das damit
verbundene Erleben und die daraus folgende Steuerung des
eigenen Verhaltens (Leary & Tangney, 2003). Das Selbst repräsentiert in diesem Sinne auch die Wahrnehmung der
eigenen Persönlichkeit. Menschen haben eine Vorstellung
darüber, wie sie sich über verschiedene Situationen hinweg
verhalten, ob sie beispielsweise eher zurückhaltend sind
oder eher spontan und kontaktfreudig. Dieses Wissen wird
als tatsächliches Selbst bezeichnet. Darüber hinaus sind
Erleben und Verhalten von Menschen in vielen Situationen
auch davon beeinflusst, wie sie gerne wären und welche Eigenschaften sie gerne besitzen würden. Diese Hoffnungen
und Wünsche werden durch das ideale Selbst beschrieben.
Higgins (1987) betont, dass neben dem idealen Selbst auch
105
7.2 • Psychologische Theorien und Modelle der Markenwirkung
Selbstdarstellung
Selbstwertstärkung
Konsistenz
Passung der Marke zum tatsächlichen, gewünschten
oder von anderen erwarteten Selbst
Markenwahl
.. Abb. 7.1 Einfluss des Selbst auf die Markenwahl
Wissen darüber wichtig ist, wie man eigentlich sein sollte,
z. B. in Entsprechung zu eigenen moralischen Standards,
aber auch zu sozialen Normen (Soll-Selbst).
Das Wissen darüber, wie man ist, gerne wäre oder sein
sollte, hat Einfluss darauf, welche Produkte man als akzeptable Kaufalternativen betrachtet, wie man Produkteigenschaften gewichtet, wie man eine Entscheidung fällt und
wie zufrieden man letztendlich mit der Wahl eines Produkts ist. Eine Person, die sich beispielsweise selbst als verantwortungsvoll und umweltbewusst betrachtet, wird bei
dem Kauf eines Autos möglicherweise nur solche Autos in
die engere Wahl mit einbeziehen, die wenig Kraftstoff verbrauchen und den gängigen Umweltstandards entsprechen.
Zentral ist dabei, welche Selbstaspekte in der Auswahlsituation gerade verhaltensleitend sind und auf welchen Dimensionen Diskrepanzen wahrgenommen werden (Higgins,
1987). Eine Person könnte beispielsweise wahrnehmen,
dass bestimmte Eigenschaften ihres tatsächlichen Selbst
(„Ich bin ein langweiliger Typ“) nicht mit den Eigenschaften des idealen Selbst übereinstimmen („Ich wäre gerne
ein kreativer Typ“), und versuchen, dieser Wahrnehmung
z. B. durch die Wahl eines bestimmten Produkts oder einer
bestimmten Marke entgegenzusteuern. Das ideale Selbst
umfasst dabei vor allem wünschenswerte Eigenschaften. In
gleicher Weise können Marken, aber auch zur Reduktion
von Diskrepanzen in Bezug auf Eigenschaften eingesetzt
werden, die nicht nur wünschenswert, sondern sehr stark
als ein erwarteter Soll-Zustand oder Pflicht gesehen werden. Sehen wir es als unsere Pflicht an, sorgsam mit der
Umwelt umzugehen, dann können wir z. B. Reinigungsmittel der Marke Frosch verwenden, um eine Verletzung dieser
Pflicht (des Soll-Selbst) zu vermeiden.
Die Kongruenz (Passung) einer Marke zu einem aktuellen oder gewünschten Selbstbild ist bei vielen Konsumentscheidungen ein wichtiger Faktor. Der Einfluss von Kongruenz auf das Kaufverhalten geht dabei auf zwei grundlegende
Motivationen zurück: die Motivation, den Selbstwert zu er-
höhen, und die Motivation, über verschiedene Situationen
hinweg konsistent zu sein (Sirgy, 1982). Das Streben nach
Konsistenz erfüllt verschiedene Funktionen. Zum einen erleichtert es die Selbstorganisation: Die Orientierung an konsistenten eigenen Prinzipien, Standards und Einstellungen
gibt Sicherheit und lässt schnelle und effektive Entscheidungen zu. Zum anderen vereinfacht es den sozialen Umgang.
Interaktionen mit Personen, die fortwährend ihre Meinungen, Einstellungen und Verhaltensgewohnheiten ändern,
werden als unangenehm erlebt. Tatsächlich verhalten sich
Menschen oft nicht konsistent zu ihrer Selbstrepräsentation.
Werden solche Diskrepanzen offensichtlich, kann dies die
Motivation auslösen, Konsistenz herzustellen, z. B. über den
Kauf eines Markenprodukts (▶ Info-Box).
Personen können motiviert sein, konsistent mit ihrem tatsächlichen Selbst zu erscheinen. Sie können aber
wie dargestellt auch motiviert sein, konsistent zu ihrem
Ideal-Selbst aufzutreten. Konsumenten können in diesem
Sinne Markenprodukte erwerben, um ihr aktuelles Selbst in
Richtung des Ideal-Selbst zu ergänzen (Gollwitzer & Wicklund, 1985). Die mangelnde, aber erwünschte Kultiviertheit
einer Person kann in dieser Weise durch die Kultiviertheit
ausgeglichen werden, die die Marke des eigenen Autos ausstrahlt. Letztendlich ist die Wahl einer Marke damit auch
ein Werkzeug zur Erhöhung des Selbstwerts. Ein Defizit,
das hinsichtlich eines bestimmten Selbstaspekts besteht,
muss jedoch nicht unbedingt auf derselben Dimension ausgeglichen werden, um den Selbstwert zu erhöhen (Steele,
1988). Ein Student, dem in einer Prüfung mangelnde Fähigkeit attestiert wurde, könnte seinen herabgesetzten Selbstwert dadurch wieder aufbauen, dass er Stärken in anderen
Bereichen betont und beispielsweise seine abendlichen Aktivitäten als erfolgreicher DJ weiter ausbaut. Marken können hier eine unterstützende Funktion übernehmen, indem
sie die relevanten Selbstaspekte unterstreichen. Der Student
könnte z. B. einen Plattenspieler einer Marke erwerben, die
exklusiv Produkte für DJs vertreibt.
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Kapitel 7 • Markenmanagement
Damit ein Konsument mit dem Kauf oder Besitz eines
Markenprodukts sein Selbst erfolgreich verändern kann, ist
es nicht nur notwendig, dass er motiviert ist, sein Selbstbild
zu unterstreichen oder zu ergänzen. Es ist auch notwendig,
dass der Besitz oder die Verwendung des Markenprodukts
diagnostisch für die angestrebte Selbstdarstellung ist.
Ein Produkt kann dann als diagnostisch für ein erwünschtes Selbst angesehen werden, wenn es eindeutig hinsichtlich eines erwünschten Merkmals differenziert und wenn
die Konsumenten vermuten, dass diese Differenzierung
von relevanten anderen Personen auch so wahrgenommen wird. Eine Differenzierung hinsichtlich der Merkmale jung und dynamisch wäre beispielsweise gegeben,
wenn ein Produkt in einer Produktkategorie sich dadurch
auszeichnet, dass dieses Produkt, aber nicht alle anderen
Produkte der Kategorie, als dynamisch angesehen wird.
Möchte eine Person beispielsweise beim wöchentlichen
Jogging im Park als jung und dynamisch wahrgenommen
werden, dann wäre eine Selbstergänzung über das Tragen
einer bestimmten Sportschuhmarke wenig hilfreich, wenn
mehr oder minder alle Sportschuhmarken mit den Merkmalen jung und dynamisch verbunden sind oder wenn die
entsprechende Positionierung der Marke anderen nicht bekannt ist. Damit die Verwendung einer Marke diagnostisch
für das eigene Selbst sein kann, muss zudem Wahlfreiheit
bestehen (Strebinger, Otter & Schweiger, 1998). Ist beispielsweise die Qualität eines bestimmten Produkts überragend und der Preis sehr niedrig, kann das Produkt in
der Selbstwahrnehmung nicht zur Änderung der eigenen
Persönlichkeit herangezogen werden, da der Grund für
die Produktwahl offensichtlich nicht in den Eigenschaften
der Marke zu finden ist, mit denen eine Selbstergänzung
angestrebt wird. Bei einem niedrigen Preis würden alle
Konsumenten zu dem Produkt greifen, und es wäre nicht
möglich, sich mit dem Kauf des Produkts von anderen
Konsumenten unterscheidbar darzustellen.
Die Bedeutung des Selbst liegt aber nicht nur in der
Motivation zur Vermeidung von Inkongruenz oder zur Erlangung von Kongruenz. Das Selbst von Personen hat auch
einen Einfluss auf grundlegende Prozesse der Informationsverarbeitung. Aspekte, die mit dem Selbst verknüpft
sind, sind auch zugänglicher im Gedächtnis und sollten
daher schon eine größere Wahrscheinlichkeit besitzen,
eine starke Gewichtung in Produktbeurteilungen zu erlangen. Darüber hinaus rufen Konsumenten solche Marken
schneller aus dem Gedächtnis ab und können diese schneller einer Produktkategorie zuordnen, wenn die Marken zu
salienten Selbstaspekten passen (Florack & Scarabis, 2006).
Insgesamt gibt es eine große Zahl an Befunden, die die
Bedeutung des Selbst für die Beurteilung und Auswahl von
Marken belegen (siehe für einen Überblick Bauer, Mäder &
Huber, 2002; Bauer, Mäder & Wagner, 2006; Sirgy, 1982).
Bei höherer Passung zum Selbst ergeben sich positivere
Einstellungen zu den Marken (Sirgy, 1982), eine stärkere
Identifikation mit der Marke (Bauer et al., 2002), eine deutlichere Kaufabsicht (Bauer et al., 2006) und eine höhere
Zufriedenheit bei Verwendung eines Markenprodukts
(Bauer et al., 2002).
Welches Selbst und welche spezifischen Diskrepanzen
gerade verhaltensleitend sind, sollte von der Zugänglichkeit und Verfügbarkeit der Diskrepanzen im Gedächtnis
abhängen. Das Selbst umfasst so viel Wissen, dass nicht
alle Wissensinhalte gleichzeitig aktiviert sein können.
Man geht heute daher davon aus, dass das Selbst dynamisch organisiert ist und in unterschiedlichen Situationen
unterschiedliche Selbstaspekte bedeutsam sind. Bei einem
Gespräch unter Freunden sind möglicherweise andere
Aspekte der Selbstrepräsentation bedeutsam als bei der
Ausübung einer beruflichen Tätigkeit. Insgesamt sollten
Selbstaspekte, die häufig und kurze Zeit zurückliegend
aktiviert wurden, eine höhere Wahrscheinlichkeit besitzen, Verhalten zu beeinflussen. Darüber hinaus können
Merkmale in einer Konsumsituation die Salienz eines
spezifischen Selbstaspekts oder einer spezifischen Diskrepanz erhöhen. So könnte eine Werbekampagne am Point of
Purchase deutlich machen, dass ein Ziel (z. B. körperliche
Fitness) nicht erreicht ist.
Info-Box
| |
Bedeutung selbstrelevanter Funktionen
für das Markenmanagement
Für das Markenmanagement ist das Wissen über die
Funktion des Selbst von Bedeutung, da Marken so positioniert werden können, dass sie Eigenschaften repräsentieren, die in einer Passung zu wichtigen Selbstaspekten der Konsumenten stehen und damit einen
Einfluss auf das Kaufverhalten haben. Eigenschaften
von Produkten, die in einer Passung zu menschlichen
Selbstaspekten oder im weiteren Sinn zur menschlichen Persönlichkeit stehen können, werden als Eigenschaften der Markenpersönlichkeit bezeichnet (Aaker,
1997; Florack & Scarabis, 2012). Das Konzept der Markenpersönlichkeit wird in der Marketingpraxis häufig
verwendet. Es dient der Positionierung von Marken
und der Ausrichtung von Marketingkampagnen auf
spezifische Charakteristika der relevanten Zielgruppen.
Darüber hinaus erleichtert es die Kommunikation zwischen Markenmanagern und Kreativen. Die Erfassung
der zugrunde liegenden Eigenschaften der Markenpersönlichkeit lässt sich zudem in der Marktforschung
gut umsetzen, da es Probanden oft leicht fällt, einer
Marke menschliche Eigenschaften zuzuschreiben (z. B.
„diese Marke ist sehr aufregend und kreativ“ oder „diese
Marke ist sehr zuverlässig und vertrauenswürdig“).
107
7.2 • Psychologische Theorien und Modelle der Markenwirkung
7.2.3
Marken-Kunden-Beziehungen
Menschen gehen mit Produkten häufig um, als seien diese
belebte Objekte mit Motiven, Werten und einem eigenen
Willen. Es gibt Personen, die ihrem Auto Namen geben
oder davon sprechen, dass es nicht anspringen „will“, wenn
der Motor nicht gestartet werden kann. Auch zu Marken
können Konsumenten Beziehungen aufbauen, die eher
einer zwischenmenschlichen Beziehung ähneln als einer
Beziehung zwischen einem Objekt und einer Person (Fournier, 1998). In vielen Fällen identifizieren sich Menschen
so stark mit Marken, dass diese Teil ihrer sozialen Identität werden (vgl. Muniz & O‘Guinn, 2001). Im Extremfall kann das Gefühl der Verbundenheit mit einer Marke
so weit gehen, dass Menschen sich das Logo einer Marke
eintätowieren. So ist beispielsweise das Logo der Motorradmarke Harley Davidson eine der meist getragenen Tätowierungen.
Da Individuen also offenbar quasimenschliche Beziehungen zu Marken aufnehmen können, liegt es nahe,
anzunehmen, dass Individuen in solchen Beziehungen
auch Konzepte, Schemata und Strategien verwenden,
deren Anwendung sich im Bereich zwischenmenschlicher Beziehung bewährt hat. Neuere Forschung aus dem
Konsumentenbereich stützt diese Annahme. Menschliche
Beziehungen werden zu einem großen Teil über Normen
reguliert. Mit unterschiedlichen Arten von Beziehungen
sind unterschiedliche Normen verknüpft. In ökonomischen Austauschbeziehungen gewähren die beteiligten
Interaktionspartner anderen einen Vorteil, um im Gegenzug einen vergleichbaren Vorteil zu erhalten. So kann eine
Person beispielsweise einen Preis zahlen, um im Gegenzug
ein Produkt zu erhalten. In solchen Beziehungen achten
Personen sehr darauf, was sie für ihren Einsatz zurückbekommen. Ein Preis, der nicht der Qualität einer Leistung
entspricht, kann zu Unzufriedenheit und zum Abbruch einer Austauschbeziehung führen. Anders verhält es sich in
gemeinschaftlichen Beziehungen, wie beispielsweise zu
Freunden oder Familienmitgliedern. In solchen Beziehungen stehen nicht nur die persönlichen Gewinne im Vordergrund, sondern auch die persönlichen Bedürfnisse der
Beteiligten. Von einem Freund würde man nicht verlangen,
dass er für eine Hilfeleistung, beispielsweise für die Unterstützung bei einem Umzug, einen adäquaten Preis bezahlt.
Marken-Kunden-Beziehungen können von Konsumenten als ökonomische Austauschbeziehung oder gemeinschaftliche Beziehung wahrgenommen werden. Das
oben beschriebene Beispiel, bei dem ein Konsument für
einen Preis eine Gegenleistung erhält, verdeutlicht sehr gut
eine ökonomisch geprägte Marken-Kunden-Beziehung.
Von einer gemeinschaftlichen Beziehung würde man beispielsweise sprechen, wenn ein Konsument einer Marke
treu bleibt, obwohl vergleichbare Produkte anderer Marken
günstiger zu haben sind. Ein Konsument könnte beispielsweise berücksichtigen, dass das hinter der Marke stehende
Unternehmen gerade in einer wirtschaftlich schwierigen
Lage ist, in der es seine treuen Kunden braucht.
Man kann davon ausgehen, dass Konsumenten in einer engen Marken-Kunden-Beziehung auf einer gemeinschaftlichen Basis starke positive Assoziationen zu Marken
besitzen, die ihre Erwartungen, Wahrnehmung und Urteile
beeinflussen. Ein Apple User, der eine enge gemeinschaftliche Beziehung zur Marke Apple aufgebaut hat, wird kleinere Produktfehler weniger dem Unternehmen anlasten als
jemand, dessen Beziehung zu Apple nicht so ausgeprägt
ist. Interessant ist aber, dass Konsumenten dann besonders
empfindlich reagieren, wenn „Verhaltensweisen“ der Marke
die durch die Beziehung implizierten Normen verletzen. In
einer sozialen Beziehung gemeinschaftlicher Prägung wäre
eine Normverletzung gegeben, wenn ein Freund für eine
Hilfeleistung bei einem Umzug eine Rechnung präsentieren würde. Ebenso verhält es sich in gemeinschaftlichen
Marken-Kunden-Beziehungen. Eine Studie von Aggarwal
(2004) zeigt dies eindrucksvoll. Die Teilnehmer dieser Studie sollten sich entweder vorstellen, sie hätten eine gemeinschaftliche oder ökonomische Beziehung zu einer Bank.
Anschließend erhielten sie die Information, die Bank habe
zur Bearbeitung einer Anfrage des Kunden eine zusätzliche
Servicegebühr erhoben. Bei einer gemeinschaftlichen Beziehung führte die zusätzliche Gebühr zu einer viel stärkeren Abwertung der Bankmarke als bei einer ökonomischen
Beziehung. Welche Normen und Erwartungen in einer
Beziehung zu einer Marke bestehen, hängt unter anderem
von der wahrgenommenen Persönlichkeit einer Marke ab
(Aaker, Fournier & Brasel, 2004). Bei einer Beziehung zu
einer jugendlichen Marke bestehen andere Erwartungen
als bei einer Beziehung zu einer ehrlichen Marke. Bei einer
jugendlichen Marke werden Produktfehler oder fehlende
Perfektion nicht notwendigerweise als Verstoß gegen die Beziehungsnorm gesehen. Sie werden mitunter sogar erwartet.
Wenig bekannt ist noch, was den Ausschlag dafür gibt,
ob eine Marken-Kunden-Beziehung eher als gemeinschaftlich oder ökonomisch wahrgenommen wird. Eine Determinante der Marken-Kunden-Beziehung ist die Positionierung von Marken durch die Marketingkommunikation.
Henkel versucht beispielsweise, über den in der Kommunikation verwendeten Claim „A brand like a friend“ eine
gemeinschaftliche Kundenbeziehung zu etablieren. Über
die reine Marketingkommunikation hinaus spielt auch
das Verhalten der Mitarbeiter mit direktem Kundenkontakt eine wichtige Rolle. Letztendlich bilden sich Markenbeziehungen aber nicht nur auf eine vom Unternehmen
gesteuerte Weise, sondern auch über wenig kontrollierbare
Wege, wie beispielsweise in spontan entstehenden Markengemeinschaften, die sich über Blogs, Foren und Webseiten
austauschen.
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108
Kapitel 7 • Markenmanagement
7.3
Markenstrategien
Die Präferenzen von Konsumenten werden immer spezifischer. Dementsprechend wächst der Anspruch an die
Unternehmen, diese Präferenzen auch mit entsprechenden Marken zu bedienen. Da Unternehmen nicht nur ihre
eigenen Marken immer differenzierter führen, sondern
darüber hinaus häufig ursprünglich unternehmensfremde
Marken akquirieren, führen heute die großen Markenunternehmen nicht mehr nur eine oder wenige Einzelmarken,
sondern eine Vielzahl von Marken in unterschiedlichster
Verbindung und Anordnung. Das Unternehmen Nestlé
führt beispielsweise neben Einzelmarken wie Kitkat oder
Perrier auch ganze Markenfamilien wie Maggi oder Alete.
Auch zu Pepsi-Co gehören nicht nur Marken im Bereich
von Getränken wie Pepsi-Cola, 7up oder Tropicana Orangensaft, sondern beispielsweise auch Marken im Bereich
von Frühstückscerealien, Snacks, Reis und Pasta, die in den
USA unter dem Label Quaker vertrieben werden.
Die Führung verschiedener Marken ist kostenintensiv
und sollte aus unternehmerischen Gesichtspunkten wohl
überlegt sein. Erfolgreiches Markenmanagement sollte
daher zunächst die Frage beantworten, welche Produkte
unter welchen Marken geführt werden und wie sie im Gesamtmarkenportfolio der vom Unternehmen vertriebenen Marken angeordnet werden sollen. Als Strategien zur
Einsparung von Marketingkosten dienen die Erweiterung
von Produktlinien und die Erweiterung oder Dehnung von
Marken auf neue Produktkategorien.
7.3.1
Markenund Produktlinienerweiterung
Ein gutes Beispiel für die Erweiterung einer Marke ist NIVEA. Ausgehend von dem Kernprodukt NIVEA Creme
expandierte NIVEA in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst in die Segmente Haarshampoos und
Sonnenkosmetik, in den 90er Jahren wurde der Bereich
Haarpflege um Stylingprodukte erweitert, und auch dekorative Kosmetik kam dazu. Heute umfasst die Marke NIVEA Produkte für Gesichtspflege, Haarpflege, Rasur, Körperpflege, Babypflege und Sonnenschutz. Hinter solchen
Erweiterungen von Marken und Produktlinien steht die
Hoffnung, dass Konsumenten ihre vorhandenen positiven
Markenassoziationen auch auf das neue Produkt übertragen (Assimilation des neuen Produkts an die Marke; auch
als Spill-over bezeichnet).
Kategorisierung als Grundlage
von Imagetransfer
Zur Beurteilung der Wirkung von Produktlinien- und
▶ Markenerweiterungen eignet sich die Kategorisie-
rungstheorie (siehe auch Wänke, Bless & Schwarz, 1999;
Bless, Greifeneder & Wänke, 2012). Die Kategorisierung
eines neuen Produkts als Teil der Marke (Inklusion) ist
Voraussetzung für die Ableitung entsprechender Informationen und den ▶ Imagetransfer. Die mentale Inklusion
eines Produkts in eine Marke erfolgt aber nicht zwangsläufig, nur weil ein Markenname auf dem Produkt steht. Die
Inklusion muss vom Konsumenten aktiv vorgenommen
werden. Beispielsweise könnte man den Cayenne, einen
Geländewagen von Porsche, als untypisch für Porsche
ansehen und ihn nicht gemeinsam mit den anderen Autos von Porsche kategorisieren, sondern aus der Marke
Porsche exkludieren. Dadurch würde man, obwohl man
weiß, dass der Cayenne aus dem Hause Porsche kommt,
keine porschetypischen Eigenschaften für den Cayenne
erschließen. Er wäre dann eben kein „richtiger“ Porsche.
Aufbauend auf psychologischen Modellen postulierten
einige Autoren daher auch die Passung zur Marke als
Voraussetzung für eine erfolgreiche Markenerweiterung,
bei der die Markeneigenschaften auf das neue Produkt
übertragen werden (vgl. Boush & Loken, 1991). Für neue
Produkte, die den vorhandenen Produkten ähneln, erwartet man einen stärkeren Transfer als bei unähnlichen
Produkten. Die Ähnlichkeit kann aber auf verschiedenen
Dimensionen wahrgenommen werden und ist nicht nur
von der Produktkategorie abhängig (Herr, Farquhar &
Fazio, 1996; Park, Milberg & Lawson, 1991). Das heißt,
ein Porsche Cayenne kann durchaus auf Dimensionen wie
Exklusivität und Perfektion als sehr ähnlich zu den anderen Modellen von Porsche wahrgenommen werden, auch
wenn er ein Geländewagen und kein Sportwagen ist (also
einer unterschiedlichen Kategorie angehört als die Sportwagen, die den Kern der Marke Porsche darstellen).
Die Inklusion eines Produkts in die Marke ist auch
durch Merkmale beeinflussbar, die nicht direkt in Zusammenhang zu beobachtbaren Funktionen und Leistungen
eines Produkts stehen. Belege hierfür liefert eine Studie
von Wänke, Bless und Schwarz (1998). In dieser Studie
beurteilten Versuchsteilnehmer einen Kleinwagen einer
Sportwagenmarke als sportwagentypischer, wenn die Namensgebung in einer einheitlichen Linie zu den Vorgängermodellen stand (Siena, Roma, Milano), als wenn der
Name einen Bruch mit der Tradition der Namensgebung
bedeutete (Ellipse, Square, Milano). Bei gleicher Marke
und gleicher Erweiterung entschieden also Oberflächenmerkmale (hier der Name), ob eine Kategorisierung in
die Marke und damit eine Übertragung der Markeneigenschaften erfolgte oder nicht.
In der Marketingliteratur ging man lange davon aus,
dass die Inklusion einer Markenerweiterung (z. B. BMW
X5 als Teil der Marke BMW) in die Marke zu Assimilationseffekten an die Marke führt, dass diese aber im Falle
einer Exklusion (z. B. Mini als separate Marke des Unter-
109
7.3 • Markenstrategien
nehmens BMW) ausbleiben. Psychologische Kategorisierungsmodelle sagen aber nicht nur ein Ausbleiben von Assimilationseffekten vorher, sondern sogar eine Umkehrung
in Kontrasteffekte: Bei der Exklusion eines Produkts aus
der Marke wird nach diesen Modellen das Produkt gegenüber der Marke kontrastiert. In diesem Sinne fand sich in
der oben zitierten Untersuchung (Wänke et al., 1998; Experiment 2) auch, dass der Kleinwagen bei einem Bruch mit
der bisherigen Namenstradition sogar als eher untypisch
für einen Sportwagen beurteilt wurde, als wenn überhaupt
keine Information über die Stammmarke gegeben war.
Eine unbeabsichtigte Exklusion eines neuen Produktes
kann den Transfer von Eigenschaften der Stammmarke
also nicht nur behindern, sondern sogar zu einer deutlich
ungünstigen Wahrnehmung des Produktes führen.
Ob ein neues Produkt in eine Marke inkludiert oder aber
exkludiert wird, wird, abgesehen von Passung und Oberflächenmerkmalen, aber noch von verschiedenen anderen
Faktoren beeinflusst. Ein Einflussfaktor ist die Stimmung,
in der sich die Konsumenten zum Zeitpunkt der Beurteilung befinden. In guter Stimmung bilden Menschen breitere
Kategorien und ordnen verschiedene Dinge eher einer gemeinsamen Kategorie zu. In schlechter Stimmung differenzieren Menschen eher. Dieser Einfluss der Stimmung auf die
Informationsverarbeitung führt dazu, dass es bei Markenerweiterungen eher unter guter als unter schlechter Stimmung
zu einer Inklusion eines Produkts in die Marke kommt (Barone, Miniard & Romeo, 2000). Ähnlich wie die Stimmung
wirkt auch die strategische Orientierung einer Person auf
Kategorisierungsprozesse. Individuen unterscheiden sich
darin, ob sie bei der Erreichung eines Ziels eher präventions- oder promotionsorientiert handeln (Florack, Keller
& Palcu, 2013; Florack, Scarabis & Gosejohann, 2005). Eine
Konsumentin könnte bei einem Kauf beispielsweise darauf
achten, dass ein Produkt notwendigen Anforderungen entspricht und dass sie einen Fehlkauf vermeidet (Präventionsorientierung), oder stärker darauf, dass ein Produkt ideale
Eigenschaften besitzt, die es vom Standard abheben (Promotionsorientierung). Die Forschung hat gezeigt, dass promotionsorientierte Konsumenten offener für ungewöhnlichere
Kategorisierungen sind als präventionsorientierte Personen
(Yeo & Park, 2006). Ist bekannt, dass beim Kauf eines Produktes eine Promotionsorientierung eine große Rolle spielt,
dann können sich für Entscheider im Markenmanagement
auch ungewöhnliche Markenerweiterungen anbieten. Ist
jedoch beim Kauf eine Präventionsorientierung dominant,
dann sind ungewöhnliche Markenerweiterungen weniger
angezeigt.
Kategorisierung als Basis
für Feedbackeffekte
Einen Imagetransfer erhofft man sich oft nicht nur von einer Marke zu einem neuen Produkt, sondern auch von be-
sonders erfolgreichen Produkten zu einer Marke und den
anderen Produkten der Marke. Markenmanager stellen
daher gerne ihre Flaggschiff-Produkte besonders heraus
in der Hoffnung, dass die Marke insgesamt davon profitiert. Umgekehrt besteht aber im Fall von Produktmängeln
oder negativen Schlagzeilen über ein Produkt die Befürchtung, dass die ganze Marke Schaden nehmen könnte. Im
positiven wie im negativen Fall können Produkte über solche ▶ Feedbackeffekte auf ihre Stammmarken abfärben.
Dieselbe Dynamik gilt für einzelne Produktmarken und
ihr Verhältnis zu einer Dachmarke. Die Randbedingungen für eine solche Übertragung (Assimilation, Spill-over)
lassen sich wieder anhand von Kategorisierungsmodellen
ableiten.
Die Inklusion in die Marke ist Voraussetzung dafür,
dass das ▶ Markenimage auf die Erweiterung übertragen
wird. Sie ist aber auch Voraussetzung dafür, dass die Produktattribute eines Flaggschiffs oder eines mangelhaften
Produktes auf die Marke übertragen werden. Ein Flaggschiff wird einer Marke nur dann nützen, wenn es auch als
Teil der Marke kategorisiert wird, genauso wie ein mangelhaftes Produkt nur dann Schaden anrichtet, wenn es in
den Augen der Verbraucher wirklich zur Marke gehört. Für
beides gibt es empirische Evidenz.
Verbraucherinnen in einem Supermarkt beurteilten
Unox-Dosensuppen signifikant positiver, wenn ihnen zuvor die Untergruppe Unox „Die Feinen“, eine besonders
exquisite Produktlinie von Unox, präsentiert worden war
(Wänke, 2002). Dies zeigt, dass Flaggschiffe durchaus positiven Einfluss haben können. In einer anderen Bedingung
wurden jedoch ebenfalls „die Feinen“ gezeigt, nun aber wurden die Verbraucherinnen dazu gebracht, „die Feinen“ als
Submarke zu kategorisieren. Durch diese Kategorisierung
wurden „die Feinen“ als nicht zur eigentlichen Marke gehörig empfunden, und ihre positive Wirkung auf die Marke
Unox blieb aus. Es fanden sich im Gegenteil sogar Kontrast­
effekte: Das Herausstellen der positiven Submarke führte
zu einer schlechteren Bewertung der Marke Unox im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, der „die Feinen“ gar nicht
gezeigt wurde. Es liegt nahe, dass im Fall der Subkategorisierung „die Feinen“ einerseits nicht zur Beurteilung von
Unox-Dosensuppen herangezogen wurden, da sie ja nicht
als zu Unox gehörig wahrgenommen wurden. Andererseits
aber zeigen die Befunde, dass die Unox-Dosensuppen nun
an dieser besonders exklusiven Submarke gemessen wurden und es durch diesen sehr hohen Vergleichsstandard zu
einem negativeren Urteil kam. Ähnliche Ergebnisse fanden
sich auch in anderen Studien. Negative Informationen über
ein Erweiterungsprodukt schadeten in diesen Studien nur
dann der Muttermarke, wenn die Erweiterung der Marke
ähnlich war (Romeo, 1991) und nicht aufgrund der Kennzeichnung mit einer spezifischen Submarke aus der Marke
exkludiert wurde (Milberg, Park & McCarthy, 1997). In
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Kapitel 7 • Markenmanagement
einer Studie von Milberg et al. (1997) fand beispielsweise
keine Übertragung eines negativen Images von einem Produkt auf die Muttermarke Timex statt, wenn das Produkt
der Submarke Calibre by Timex zugeordnet wurde.
Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass bei einer
Exklusion eines Produkts aus einer Marke Kontrasteffekte
wahrscheinlich werden. Umgekehrt sollte die Inklusion eines Produkts in eine Marke mit größerer Wahrscheinlichkeit zu Assimilationseffekten führen. Dies bedeutet aber
auch, dass bei einer gelungenen Inklusion in eine Marke die
Gefahr besteht, dass das Image der Marke Schaden nimmt
(z. B. Roedder John, Loken & Joiner, 1998); nämlich genau
dann, wenn ein Produkt in die Marke inkludiert wird, das
stark vom bisherigen Markenbild abweicht (▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Brand Identity
Betrachtet man die psychologischen Grundlagen von
Imagetransfer und Feedbackeffekten, dann kann man
schließen, dass ein Produkt einer Marke nur dann von
dem Flaggschiff der Marke profitieren kann, wenn sowohl das betreffende Produkt als auch das Flaggschiff
als Teil der Marke gesehen werden. Wänke, Bless und
Igou (2001) fanden hierfür empirische Bestätigung.
Ein durchschnittlich ausgestatteter Toaster profitierte
in dieser Untersuchung nur dann von einem Spitzenmodell derselben Marke, wenn die Werbeanzeigen die
gemeinsame Marke betonten (Brand Identity). Wurde
die gemeinsame Stammmarke nicht hervorgehoben,
wirkte das Spitzenmodell als Vergleichsstandard, und
der mittelmäßig ausgestattete Toaster fiel in der Bewertung deutlich ab.
Die Größe von Assimilations- und Kontrasteffekten als
Folge von Inklusion oder Exklusion eines Produkts in eine
Marke hängt davon ab, wie viele andere Informationen
Konsumenten neben der Information über die Markenzugehörigkeit haben. Je mehr andere Informationen in eine
Beurteilung eingehen, desto geringer wird der Einfluss
jeder einzelnen Information sein. Im obigen Beispiel der
Erweiterung einer Sportwagenmarke (Wänke et al., 1998)
waren die Effekte für Laien daher deutlich ausgeprägter als
für Auto-Experten.
Der Umfang des Wissens über eine Marke steht auch
in einem Zusammenhang zur Breite einer Marke. Je mehr
unterschiedliche Produkte Konsumenten einer Marke zuordnen, desto größer wird das Wissen über die Marke sein.
Für Marken heißt dies auch, dass bei breiten Marken der
Schaden durch ein einzelnes Produkt geringer sein sollte
als bei engen Marken. In einer Untersuchung, in der systematisch die Markenbreite variiert wurde, zeigte sich dem-
entsprechend, dass der negative Einfluss eines Produktes
bei Versagen stärker auf eine enge Marke als auf eine breite
Marke wirkte (Einwiller, Wänke & Samochowiec, 2006). Es
muss allerdings beachtet werden, dass bei breiten Marken
ein Produkt leichter inkludiert werden kann und die Markenerweiterung eher akzeptiert wird als bei engen Marken.
Dies führt zu positiveren Beurteilungen der Erweiterung
bei breiteren Marken (Boush & Loken, 1991; Felser, 2001).
Ist der Schritt der Inklusion aber erst einmal getan, hat wie
oben ausgeführt das inkludierte Produkt weniger Einfluss
auf die Beurteilung einer breiten Marke als auf die Beurteilung einer engen Marke.
7.3.2
Die optimale Markenbreite
Im vorangehenden Abschnitt haben wir schon darauf hingewiesen, dass bei breiten Marken eine Erweiterung der
Marke in neue Produktkategorien erleichtert ist und dass
auch Mängel bei einzelnen Produkten besser aufgefangen
werden können. Mit der Vielfalt des Angebots wächst zudem die Chance, dass Konsumenten genau das Produkt
finden, das ihren Bedürfnissen optimal entspricht, dass
also eine Passung zwischen Wunsch und Angebot vorliegt
(Chernev, 2003). Dies ist insbesondere wichtig, wenn sich
die Bedürfnisse der Konsumenten verändern. Verbraucher können dann bei neuen Bedürfnissen innerhalb einer Marke wechseln und müssen nicht zu Wettbewerbern
greifen. Ein breites Angebot steigert somit die Wahrscheinlichkeit von Markentreue.
Eine Erweiterung, die über eine Produktkategorie hinausgeht (z. B. von Creme auf Shampoo), bietet Konsumenten darüber hinaus die Möglichkeit, viele verschiedene
Produkte aus einer „vertrauten Hand“ zu erwerben. Marken, die in vielen Produktkategorien vertreten sind, haben
mehr Kontaktpunkte zu Konsumenten und eine höhere
▶ Markenbekanntheit (Brand Awareness). Markenbekanntheit schafft zum einen Vertrautheit mit der Marke,
zum anderen führt es dazu, dass die Markenprodukte im
Verkaufsregal schneller erkannt oder bei gedächtnisbasierten Entscheidungen besser aus dem Gedächtnis abgerufen
werden. Vielfalt im Angebot impliziert darüber hinaus Expertise (Berger, Draganska & Simonson, 2006) und wird
zum Teil auch per se schon als positive Abwechslung angestrebt (Ratner, Kahn & Kahneman, 1999; Loewenstein,
1994).
Vielfalt bringt aber nicht nur Vorteile, sondern auch
Nachteile mit sich (zum Überblick siehe Wänke & Greifeneder, 2012). Die Produktion und Vermarktung von vielen
unterschiedlichen Produkten und Produkttypen ist mit höheren Kosten verbunden. Außerdem kann die Exklusivität
einer Marke oder das Image eines Spezialisten in einem
bestimmten Bereich verloren gehen (Berger et al., 2006).
111
7.3 • Markenstrategien
Einige empirische Belege deuten auch darauf hin, dass
sich Konsumenten in bestimmten Situationen von einem
Überangebot verwirrt fühlen und einen Kauf vermeiden.
Eindrucksvoll ist die Wirkung der Verkleinerung einer
Produktlinie von Procter & Gamble. Das Unternehmen hat
nach der Reduzierung seiner „Head and Shoulders Shampoo“-Serie von 26 auf 15 Varianten den Absatz um 10 % gesteigert (zititert nach Iyengar & Lepper, 2000). Ein anderes
Beispiel für den Nachteil eines breiten Angebots liefert eine
Studie von Iyengar und Lepper (2000). Sie stellten in einem Supermarkt einen Probierstand mit Marmeladen auf.
Wenn sechs Sorten zum Kosten angeboten wurden, kauften 30 % der Konsumenten eine Marmelade dieser Marke
– standen dagegen 24 Sorten zum Probieren bereit, kauften
nur 3 % der Konsumenten eine Marmelade. Verbraucher
kauften auch weniger Schokolade, nachdem sie von 30 im
Vergleich zu 6 Sorten eine Kostprobe nehmen konnten.
Größere Vielfalt kann also dazu führen, dass Konsumenten eine Kaufentscheidung vertagen oder ganz Abstand von dem Kauf nehmen. Darüber hinaus ist auch
belegt, dass die Wahl aus einem großen im Vergleich zu
einem beschränkten Angebot zu einer niedrigeren Zufriedenheit führen kann. Insbesondere berichteten Verbraucher, die eine Praline aus sechs Optionen wählten,
eine höhere Zufriedenheit mit dieser Praline (Iyengar &
Lepper, 2000) als Verbraucher, die eine Praline aus 30 Optionen wählten. Psychologisch können mehrere Prozesse
zu diesem erstaunlichen Ergebnis geringerer Zufriedenheit
nach größerer Auswahl beitragen. Zum einen kann allein
die Tatsache einer Entscheidung zwischen zwei attraktiven Optionen bewirken, dass beide in ihrer Attraktivität
abnehmen (Brenner, Rottenstreich & Sood, 1999). Denn
durch den Vergleich der Alternativen im Verlauf des Entscheidungsprozesses wird die Abwesenheit der Vorteile
jeder Option in der jeweils anderen Option besonders augenfällig. Zum anderen könnte sich das negative Gefühl
der Qual der Wahl auf die zur Verfügung stehenden Produkte übertragen. Ein dritter Erklärungsansatz geringerer
Konsumzufriedenheit bei breiterem Angebot geht darauf
zurück, dass eine Entscheidung für ein Produkt eben auch
eine Entscheidung gegen ein anderes bedeutet. Kann man
nur eines auswählen, bleiben doch Zweifel, ob nicht das
andere Produkt besser gewesen wäre. Generell sind die
genannten Effekte bei größerer Auswahl stärker, weil man
sich, wie in der Bedingung mit 30 Pralinen, gegen 29 davon
entscheiden und nicht nur, wie im anderen Fall, fünf Alternativen ablehnen muss. Es soll jedoch nicht unerwähnt
bleiben, dass die negativen Effekte der Produktvielfalt bislang wenig repliziert wurden.
Neben der Überforderung durch ein Überangebot an
attraktiven Alternativen und den negativen Konsequenzen der Qual der Wahl gibt es aber noch einen weiteren
Grund, warum Vielfalt nicht unbedingt zu einem höhe-
ren Absatz führen muss. Nicht jede Art von Differenzierung in einem Sortiment ist sinnvoll. Tatsächlich zeigte
sich in entsprechenden Untersuchungen (Chernev, 2005)
dann ein Entscheidungsaufschub, wenn in einem breiten
Angebot gleich attraktive Attribute enthalten waren, die
sehr gut auch in einem einzigen Produkt kombiniert werden könnten (z. B. Zahnpasta mit Schutz vor Karies oder
Zahnpasta mit Schutz vor Zahnstein oder Zahnpasta mit
Schutz vor Paradontose). Ein überdifferenziertes Angebot, in dem Alternativen zur Wahl stehen, die man jeweils
für unabdingbar hält, wird also kaum mehr Absatz bringen. Produkte, die verschiedene Attribute vereinen (z. B.
Zahnpasta mit 3-fach Schutz), ziehen Käufer von den sehr
spezialisierten Produkten ab.
7.3.3
Psychologische Funktionen als Basis
von Markenarchitekturstrategien
Zur Einsparung von Marketingkosten ist es sinnvoll, so
wenige Marken wie möglich zu führen und Marken möglichst weit zu dehnen. Unsere vorangehenden Ausführungen zeigen aber, dass eine zu weite Dehnung von Marken
das Markenimage verwässern kann und schlimmstenfalls
Umsatzeinbußen bei den Kernprodukten der Marke zu erwarten sind. Die Frage ist also, was die optimale Strategie
zur Führung eines komplexen Markenportfolios in einem
Unternehmen ist. Die Optionen, die hier zur Verfügung
stehen, sind vielfältig. Stark vereinfacht kann man drei
wesentliche Strategien unterscheiden, die auch in Mischformen verfolgt werden können (Esch, 2003; . Abb. 7.2):
Dachmarkenstrategien (auch als Unternehmensmarkenstrategien bezeichnet),
Einzelmarkenstrategien,
Familienmarkenstrategien.
--
Bei einer Dachmarkenstrategie wird eine Marke für alle
Produkte des Unternehmens verwendet. Siemens wäre ein
Beispiel hierfür. Sowohl PCs als auch Telefonanlagen und
hoch technisierte Industrieprodukte tragen dasselbe Label.
Aaker und Joachimsthaler (2000) bezeichnen Unternehmen mit einer solchen Strategie auch als „Branded House“.
Der extreme Gegenpol ist die Führung von Einzelmarken
(Einzelmarkenstrategie), die in der Wahrnehmung des
Konsumenten unverbunden sind. Aaker und Joachims­
thaler bezeichnen Unternehmen mit einer solchen Strategie als „House of Brands“. Bei einer Familienmarkenstrategie werden unter einer Marke verschiedene Submarken
geführt, die unter Umständen einen starken eigenen
Charakter entwickeln können. Ein Beispiel ist die Marke
NIVEA. Wir haben bereits angesprochen, dass unter dem
Markennamen NIVEA heute zahlreiche unterschiedliche
Produkte zur Körperpflege vertrieben werden. Dazu ge-
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112
1
Kapitel 7 • Markenmanagement
Einzelmarke
Familienmarke
Dachmarke
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4
Führung von Produkten
unter einer eigenständigen
Marke
Führung aller Produkte
einer Produktlinie unter einer
Marke
Führung aller Produkte eines
Unternehmens unter einer
Marke
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Z.B. Nutella, Yogurette, tictac
(Ferrero)
Z.B. Nivea Bathcare, Nivea
Sun, Nivea Deodorant
(Beiersdorf)
Z.B. Siemens
(Verkehrstechnik,
Kommunikationstechnik,
Medizinische Geräte, …)
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Mischformen
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Unterschiedliche Markenstrategien in
verschiedenen Produktbereichen
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.. Abb. 7.2 Markenstrategien
11
hören Submarken wie NIVEA Bathcare, NIVEA Beauté,
NIVEA Sun und NIVEA Deodorant.
Ein Unternehmen kann eine einzelne, aber auch mehrere Strategien parallel verfolgen und in einem Bereich
auf eine Einzelmarkenstrategie setzen, während es in einem anderen Bereich Marken des eigenen Portfolios als
Familienmarken führt. Berücksichtigt man nicht nur die
Anordnung der Marken im Unternehmen zueinander,
sondern auch die Ausrichtung auf bestimmte Zielgruppen,
dann kann man zielgruppenspezifische Markierungsstrategien als weitere Option hinzufügen (vgl. Strebinger,
2012). Bei zielgruppenspezifischen Markierungen wird
ein Produkt mit einer Markierung versehen, die für eine
bestimmte Zielgruppe relevant ist. Während bei der Einzelmarkenstrategie eine Produktmarke, wie z. B. Nutella, für
alle Zielgruppen geführt wird, wird beim zielgruppenspezifischen Branding eine Marke nur für eine bestimmte Zielgruppe geführt. Die zielgruppenorientierte Markenstrategie kann in Verbindung mit einer Einzelmarkenstrategie
erfolgen (zielgruppenspezifische Einzelmarkenstrategie)
oder über unterschiedliche Produktkategorien ausgeweitet werden. Das Label Armani wird beispielsweise über
verschiedene Produktkategorien wie Kosmetik, Uhren,
Schmuck, Kleidung oder Einrichtungsbedarf geführt. In
allen Fällen wird bei Armani aber eine sehr ähnliche Zielgruppe angesprochen. Die sehr trendy positionierte Marke
Perrier ist ebenfalls stark auf eine Zielgruppe ausgerichtet.
Unter dieser zum Nestlé-Konzern gehörenden Marke wird
aber ausschließlich Mineralwasser angeboten.
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Strebinger (2012) plädiert dafür, bei der Entscheidung
für eine ▶ Markenarchitekturstrategie die psychologischen Nutzen von Marken in den angezielten Segmenten
zu berücksichtigen. Er unterscheidet in Anlehnung an
Park et al. (1986) vier wesentliche Nutzen von Marken
(. Abb. 7.3), von denen wir drei schon in den vorangehenden Abschnitten erwähnt haben. So spricht er zunächst davon, dass Marken einen funktionalen Nutzen
haben können, da sie mit der Lösung eines spezifischen
Problems (z. B. die Wäsche sauber waschen) verbunden
werden (▶ Abschn. 7.1). Darüber hinaus benennt er symbolische Nutzen von Marken. Wir haben zuvor bereits
ausführlich dargelegt, dass Konsumenten in diesem Sinne
mit einer Marke etwas über sich selbst aussagen können
(▶ Abschn. 2.2). Neben diesen beiden Nutzenformen
sieht Strebinger auch noch relationale und experienzielle
Nutzen von Marken als bedeutsam. Relationale Nutzen
entstehen aus der Beziehung eines Konsumenten zur
Marke. Wir haben hier zuvor davon gesprochen, dass
Konsumenten eine Beziehung zu einer Marke aufbauen
können, die über eine ökonomische Austauschbeziehung
hinaus geht und die auch in schwierigen Zeiten mit gegenseitiger Verlässlichkeit verbunden ist (▶ Abschn. 2.3).
Experienzielle Nutzen entstehen aus Produkterlebnissen,
die mit einem bestimmten Geschmackserlebnis oder anderen Erlebnissen im weitesten Sinne verbunden sind. So
erwarten Konsumenten unter Umständen ein bestimmtes
Geschmackserleben, wenn sie ein Eis von Haägen-Dasz
konsumieren, oder sie schätzen möglicherweise die dis-
113
7.3 • Markenstrategien
Funktionaler Nutzen
Symbolischer Nutzen
Lösung von Problemen
(z.B. Waschmittel wäscht die
Wäsche sauber)
Selbstdarstellung
(z.B. Auto signalisiert einen
bestimmten Status)
Mischnutzen
Relationaler Nutzen
Experienzieller Nutzen
Sympathie, emotionale
Bindung, Vertrauen
(z.B. Verlässlichkeit)
Produkterlebnisse
(z.B. Atmosphäre im
Starbucks Coffee House)
.. Abb. 7.3 Markennutzen
tinkte Atmosphäre, die mit einem Starbucks Coffee House
verbunden ist.
Die psychologischen Nutzen von Marken lassen sich
mit unterschiedlichen Markenarchitekturstrategien
unterschiedlich gut bedienen (Strebinger, 2012). Stehen
funktionale Nutzen über die gesamte Produktpalette eines Unternehmens im Vordergrund, dann bietet sich eine
Markierung über die Dachmarke an. Dies ist beispielsweise
bei den Produkten, die von Siemens vertrieben werden,
zu einem großen Teil der Fall. Konsumenten, die einen
Computer, ein Faxgerät oder ein Industrieprodukt von
Siemens kaufen, sind an Problemlösungen interessiert.
Diese Produkte werden nicht gekauft, um Selbstaspekte
der Konsumenten zu unterstützen. Eine Dachmarkenstrategie bietet sich ebenfalls an, wenn relationale Aspekte für
den Konsumenten wichtig sind. Einem Konsumenten, der
eine Versicherung erwirbt, fehlen oft die Möglichkeiten,
die Angebote eingehend zu prüfen. Für sie oder ihn ist die
Verlässlichkeit des Unternehmens zentral.
Sind experienzielle Aspekte einer Marke stark ausgeprägt, dann steht dies Markenerweiterungen im Weg. Es
besteht dann die Gefahr, dass kein Imagetransfer stattfindet
und die Marke verwässert wird. Es ist schwer vorstellbar,
eine Marke wie Nutella, deren Markenkern stark durch das
Geschmackserlebnis geprägt ist, auf Produkte wie Pasta
oder Pizza auszuweiten. In einem solchen Fall wäre daher
eine Einzelmarkenstrategie vorteilhaft.
Ganz anders ist dies, wenn symbolische Aspekte einer
Marke im Vordergrund stehen. In diesem Fall ist die Produktkategorie wenig entscheidend. Eine Person, die nach
außen einen hohen Status signalisieren möchte, kann dies
mit einem Sportwagen von Porsche ebenso tun wie mit einer Sonnenbrille von Porsche. Wichtig ist, dass die Marke
auch diagnostisch für eine Selbstaussage sein kann. Dies
ist nicht der Fall, wenn ein Produkt nicht fest mit einer
bestimmten Zielgruppe verbunden ist. Eine Sonnenbrille
von Porsche, die von Konsumenten mit hohem wie auch
niedrigem Status getragen wird, verliert ihren diagnostischen Wert für die Selbstergänzung. Hat eine Marke
für den Konsumenten einen deutlichen symbolischen
Nutzen, ist eine zielgruppenspezifische Ausrichtung
angezeigt.
Stehen für Konsumenten verschiedene Nutzen gleichzeitig im Vordergrund, dann sind Familienmarkenstrategien zur Strukturierung des Markenportfolios geeignet.
Diese lassen sich auch mit einer Zielgruppenspezifizierung
verbinden. So könnte man vermuten, dass Käufer eines
Volkswagens an der Qualität des Fahrzeugs interessiert
sind (funktionaler Nutzen), dass beim Autokauf zudem
aber auch symbolische Aspekte eine Rolle spielen, die eine
Ausrichtung der Markenführung auf unterschiedliche
Zielgruppen verlangen. Die verschiedenen Modelle eines
VW Passat sagen in diesem Sinn tatsächlich etwas anderes
über den Käufer aus als die verschiedenen Modelle des
VW Beetle (symbolischer Nutzen). Beide Modellreihen
geben aber ein ähnliches Qualitätsversprechen (funktionaler Nutzen). Durch die Führung einer Markenfamilie
(VW) mit entsprechenden Submarken (Passat, Beetle)
können beide Nutzenaspekte bedient werden. Dass der
Vermischung von einer zielgruppenspezifischen Ausrichtung und einer Familienmarkenstrategie aber Grenzen
gesetzt sind, zeigt das Beispiel des VW Phaeton. Dieses
Modell der Luxusklasse musste in den USA wegen Erfolglosigkeit vom Markt genommen werden. Vermutlich
können mit diesem Fahrzeug die symbolischen Nutzenerwartungen der Konsumenten in diesem Segment nicht
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Kapitel 7 • Markenmanagement
ausreichend unter der Familienmarke Volkswagen angesprochen werden.
Das Modell von Strebinger (2012) zur Auswahl einer Markenarchitekturstrategie ist ausschließlich an den
Konsumenten orientiert. Neben den Konsumenten gibt
es aber noch weitere Zielgruppen der Markenführung
(vgl. Esch & Bräutigam, 2001). Mitarbeiter, Handelspartner, Zulieferer, staatliche Behörden und Aktionäre sind
nur einige Beispiele. Für die Ansprache von Anspruchsgruppen wie Aktionären oder Handelspartnern ist die
Dachmarkenstrategie besonders geeignet, da diese ihre
Entscheidungen und Urteile seltener auf der Basis von
Einzelmarken treffen. Zum Beispiel gibt es zwar zu erwerbende Aktien von der Firma Henkel, jedoch nicht von
der Submarke Pritt. Insofern wird für einen Aktionär, der
ja per definitionem mit Aktien handelt, eher Henkel von
Interesse sein.
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7.4
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Steuerung der Markenidentität
Einer Marke ohne Persönlichkeit, nicht unähnlich einer
Person, fehlen Freunde und sie mag leicht übersehen
werden. (Aaker, 1996; Übersetzung durch die Autoren)
Eine Marke, von der niemand eine klare Vorstellung
hat, wird wenig Erfolg haben. Marken dagegen mit einer klaren Markenpersönlichkeit oder im weiteren Sinne
mit einer klaren ▶ Markenidentität haben eine größere
Chance, von Konsumenten wahrgenommen und genutzt
zu werden. Es ist aber nicht nur wichtig, dass die Identität einer Marke distinkt ist. Natürlich spielen auch die
inhaltlichen Merkmale der Markenidentität eine große
Rolle. Ein wichtiges Steuerelement der Markenführung ist
daher die Festlegung einer Markenidentität. Die Marken­
identität bezeichnet das Selbstbild einer Marke, das heißt,
sie bringt zum Ausdruck, wofür eine Marke steht und wie
sie nach außen auftreten soll (Esch, Kiss & Roth, 2004).
Neben dem Selbstbild einer Marke ist zur Steuerung der
Marke auch wichtig, wie die Marke von Konsumenten
und anderen Anspruchsgruppen wahrgenommen wird.
Man spricht in diesem Fall vom Markenimage. Fehlt in
einem Unternehmen eine feste und eindeutige Vorstellung davon, wie die Identität einer Marke aussehen soll,
dann kann es zu einem diffusen Markenimage kommen.
Darüber hinaus ist es problematisch, wenn zwischen der
Selbstsicht im Unternehmen und dem Image der Marke
eine große Diskrepanz besteht. Der erste Schritt zur erfolgreichen Ausrichtung einer Markenidentität ist daher
die Festlegung der Markenidentität im Unternehmen und
der Vergleich mit dem gegenwärtigen Markenimage der
Konsumenten.
7.4.1
Komponenten der Markenidentität
Eine Bestimmung und Festlegung der Markenidentität
ist erleichtert, wenn man ein vereinfachtes Schema zur
Darstellung der Identität heranzieht. Aaker (1996) unterscheidet beispielsweise zwischen einer Kernidentität
und erweiterten Identitätskomponenten. Burmann, Meffert und Feddersen (2012) sehen als eine Grundidee des
identitätsbasierten Markenmanagements, dass sich das
Markennutzenversprechen und Markenverhalten auf der
Seite des Unternehmens mit den Markenerwartungen
und dem Markenerlebnis der Konsumenten decken. Als
wichtige Grundlage des Führungskonzepts einer Marke
sehen sie die Vision (Wohin wollen wir?), die Persönlichkeit (Wie treten wir auf?), die Werte (Woran glauben
wir?), die Kompetenzen (Was können wir?) und die Herkunft (Woher kommen wird?). Alle diese Komponenten
münden schließlich in die angebotenen Leistungen (Was
tun wir?). Auf der Seite des Konsumenten sehen Burmann
et al. neben der Markenbekanntheit insbesondere symbolische und funktionale Nutzenassoziationen der Marke als
wichtig an.
Ein Ansatz, der in der Praxis häufig Verwendung findet, ist das Markensteuerrad von „icon brand navigation“
(vgl. Esch, 2003). Das Markensteuerrad basiert auf der
Annahme, dass zu einer erfolgreichen Steuerung einer
Marke Klarheit darüber bestehen muss, was die grundlegende Kompetenz einer Marke ist (Kompetenz), was für
den Konsumenten die ausschlaggebenden Kaufargumente
sind (Benefit & Reason Why), welche Markenpersönlichkeit die Marke besitzt (Tonalität) und wie sie gegenüber
den Konsumenten auftritt (Markenbild). Damit die vom
Unternehmen in Bezug zu diesen Punkten angestrebte
Markenidentität eine Entsprechung im wahrgenommenen
Markenimage der Konsumenten oder anderen Stakeholdergruppen findet, ist ein Ist-Soll-Vergleich notwendig.
Werden hier Diskrepanzen festgestellt, ist eine gezielte
Steuerung über das Produkt (z. B. Verpackungen, Preis,
Verkaufsorte), die Kommunikation und die Mitarbeiter
notwendig.
7.4.2
Umsetzung der Markenidentität
Die Herausbildung eines klaren und deutlich abgegrenzten Markenimages wird gestützt, wenn alle Marketingmaßnahmen das gleiche Bild der Marke nach außen tragen.
Dies erhöht zum einen die Wahrscheinlichkeit, dass die
Konsumenten mit dem dargestellten Image in Kontakt
kommen und das Bild der Marke erlernen (Esch, 2003).
Es verhindert zudem, dass das Markenbild durch Inkonsistenzen verwässert wird. Ein wichtiges Instrument der
Umsetzung einer Markenidentität ist heute immer noch
115
7.5 • Zukunft der Markenführung
die klassische Werbekommunikation. Vermehrt wird aber
auch die Inszenierung einer Marke über Events oder Sponsoring wichtig. Eine optimale Gestaltung der Markenkommunikation hängt davon ab, dass man Kenntnisse darüber
hat, wie Kommunikationsmaßnahmen von den Rezipienten aufgenommen und verarbeitet werden (siehe für einen
Überblick Scarabis & Florack, 2012). Bei der Planung von
Kommunikationsmaßnahmen ist daher Wissen darüber
notwendig, in welchem psychologischen Zustand sich die
Rezipienten bei der Aufnahme der Informationen befinden
und wie eine spezifisch auf diesen Zustand ausgerichtete
Kommunikationsstrategie aussehen muss.
Verschiedene Ansätze der identitätsbasierten Markenführung sehen in der unternehmensinternen Markenkommunikation und der Führung der Mitarbeiter eine
weitere wichtige Größe zur Steuerung der Markenidentität
(Burmann & Zeplin, 2005; Esch & Vallaster, 2005). Mitarbeiter, die sich mit einer Marke und einem Unternehmen
identifizieren, tragen wesentlich zum Unternehmenserfolg
bei (Frey, Kaminski & Greitemeyer, 2012). Sie können als
Markenbotschafter betrachtet werden und sind im Sinne
eines Behavioral Branding somit ein entscheidender Faktor des Markenmanagements. Der Begriff des Behavioral
Branding umfasst dabei Maßnahmen, die den Aufbau und
die Pflege von Marken durch Verhalten und persönliche
Kommunikation stützen (Tomczak, Herrmann, Brexendorf
& Kernstock, 2005). Dazu gehört nicht nur das Verhalten
von Mitarbeitern in einer offiziellen Funktion, sondern
auch das Eintreten für die Marke im persönlichen Umfeld.
Bei Betrachtung der Effekte unternehmensinterner
Markenführung sind zwei psychologische Konstrukte von
zentraler Bedeutung: einerseits das Brand Commitment
und andererseits die Identifikation mit der Marke. Der
Begriff des Brand Commitment geht zurück auf den Begriff des organisationalen Commitment, der die Bindung
zwischen einer Organisation und Mitarbeitern bezeichnet
(Meyer & Allen, 1991; Moser, 1996). Organisationales
Commitment kann auf eine affektive Bindung zu einem
Unternehmen bezogen sein, aber auch auf eine Beziehung
zu einem Unternehmen, die besteht, weil keine besseren
Alternativen vorhanden sind. Das Konstrukt der Identifikation beschreibt die psychologische Verbindung zwischen
einem Mitarbeiter und der Marke, für die er seine Arbeit
einsetzt. Je mehr sich ein Mitarbeiter mit seinem Unternehmen und einer Marke identifiziert, desto mehr wird
er die Werte, Normen und Interessen des Unternehmens
und der Marke in sein Selbstkonzept aufnehmen und nach
außen vertreten. Die Interessen und Ziele des Unternehmens und der Marke werden dann als eigene wahrgenommen. Affektives Commitment und Identifikation können
als Grundlage für das Engagement für die Marke gesehen
werden. Burmann und Zeplin (2005) bezeichnen dies als
Brand Citizenship Behavior (▶ Übersicht).
Aspekte des Brand Citizenship Behavior
(Burmann & Zeplin, 2005)
1. Helping Behavior: Die Mitarbeiter sind freundlich
und hilfsbereit gegenüber internen und externen
Kunden. Sie übernehmen auch Aufgaben außerhalb
der eigenen Zuständigkeit (z. B. bei Eingang einer
Beschwerde).
2. Brand Consideration: Die Mitarbeiter berücksichtigen, welche Auswirkung ihr Verhalten auf die
Marke hat und welches Verhalten das gewünschte
Markenimage stützt.
3. Brand Enthusiasm: Die Mitarbeiter zeigen eigene
Initiative zur Stärkung der Marke.
4. Sportsmanship: Die Mitarbeiter sind bereit, sich
für die Marke zu engagieren, auch wenn dies hohe
eigene Kosten bedeutet (z. B. Überstunden).
5. Brand Endorsement: Die Mitarbeiter empfehlen die
Marke auch außerhalb der Arbeit (z. B. gegenüber
Freunden).
6. Self Development: Die Mitarbeiter verbessern kontinuierlich ihre Fähigkeiten und tragen so zu qualitativ hochwertigen Produkten der Marke bei. Dazu
gehört auch, sich fortlaufend Wissen über die Marke
(Wie hat sich die Marke verändert? Was ist der Kern
der aktuellen Marke?) und die Kunden anzueignen.
7. Brand Advancement: Die Mitarbeiter tragen im
Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses zur Anpassung der Markenidentität an sich
verändernde Bedingungen bei. Sie geben Rückmeldungen von Konsumenten weiter und machen
Verbesserungsvorschläge.
Interne Markenkommunikation, Personalentwicklungsmaßnahmen und das Verhalten von Führungskräften
werden in der Marketingforschung als wesentliche Faktoren betrachtet, die affektives Commitment und Identifikation der Mitarbeiter stärken. Maßnahmen der internen
Markenführung haben über diesen Weg einen positiven
Einfluss auf das Markenimage und letztendlich auf den
Markenwert.
7.5
Zukunft der Markenführung
Während in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die meisten Konsumprodukte noch lokal vertrieben
wurden, ermöglichten die zunehmende Verbesserung der
Verkehrsverbindungen und der Wegfall von Handelsbarrieren, Güter auch in überregionalen Märkten anzubieten.
Heute agieren viele Unternehmen weltweit. Die Globalisierung wirft die Frage auf, inwieweit wirtschaftliche und
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Kapitel 7 • Markenmanagement
kulturelle Unterschiede der jeweiligen Märkte unterschiedliche Markenpolitik und -kommunikation erfordern. Regionale Marken für die jeweiligen Märkte verursachen
nicht nur ein Mehr an Kosten und Aufwand als eine globale Marke, sie sind auch einem einheitlichen globalen
Markenimage und einer Markenidentität abträglich. Andererseits müssen Hersteller befürchten, mit einer nicht
auf die lokalen Eigenheiten und kulturellen Bedürfnisse
der Zielgruppe abgestimmten Strategie nur suboptimale
Ergebnisse zu erzielen. Die Frage, ob internationale Standardisierung mehr oder weniger Erfolg erzielen kann als
lokale Spezialisierung, durchzieht die Marketingliteratur
der letzten vierzig Jahre (siehe bereits Elinder, 1965) und
hat nichts an Aktualität eingebüßt. Einerseits wurde z. B.
von Levitt (1983) eine weltweite Angleichung der Verbraucherbedürfnisse prophezeit, die auf eine erhöhte Mobilität
der Konsumenten und eine verstärkte Nutzung moderner
Kommunikationstechnologien zurückgeht. Andererseits
wurde darauf verwiesen, dass trotz Angleichung die Unterschiede größer seien als die Gemeinsamkeiten, und es
wurde postuliert, dass der Erfolg international agierender
Marken in ihrer Fähigkeit der lokalen Anpassung liege
(z. B. Kotler & Bliemel, 2001). Auf den ersten Blick scheint
die weltweite Verfügbarkeit von Coca-Cola und McDonalds Levitt recht zu geben. Bei genauer Betrachtung zeigt
sich jedoch, dass es recht wenig wirklich global standardisierte Marken gibt, also Marken, die weltweit in Namen,
Qualität, Verpackung und Image identisch sind. Obwohl
McDonalds auf der ganzen Welt vertreten ist, reflektiert
das jeweilige Angebot die regionalen Essgewohnheiten,
wenn in deutschen Filialen Bier und in französischen Wein
angeboten wird (Kloss, 2002). Auch Coca-Cola schmeckt
nicht in jedem Land gleich; für die einzelnen Submarken
werden sogar unterschiedliche Bezeichnungen geführt. In
deutschsprachigen Ländern wird die kalorienreduzierte
Version unter dem Namen „Cola light“ angeboten, weil
das amerikanische „Diet Coke“ zu sehr an Diätnahrung
erinnert. Die Einführung des zuckerfreien „Coke Zero“ ist
auch ein Versuch, diese unterschiedlichen Versionen durch
ein Produkt zu ersetzen. Wirklich global standardisierte
Marken findet man eher im Technikbereich, die Marke
IBM ist ein Beispiel, während im Lebensmittelbereich die
lokalen Variationen auch bei global agierenden Marken,
wie z. B. Nestlé oder Unilever, dominieren (siehe auch Kornadt, 1986).
Selbst im Falle global standardisierter Marken kann
eine Anpassung der Werbekommunikation an die kulturellen Eigenheiten sinnvoll sein. Jack Stahl, der frühere
Chief Operations Officer von Coca-Cola äußerte sich eher
ablehnend gegenüber globaler Kommunikationsstandardisierung: „Unsere Kunden […] wollen keine Werbung,
die überall gleich aussieht. […] Wir müssen genau wissen, wie wir einen New Yorker ansprechen wollen oder
einen Menschen in einer Stadt in Brasilien“ (zitiert nach
Kloss, 2002, S. 243). Die meisten global agierenden Unternehmen fahren Mischformen von zentral entwickelter, aber lokal angepasster Werbung, wie beispielsweise
McDonalds. Andere, wie BMW oder Nestlé, setzen zwar
bestimmte Vorgaben, die in allen Ländern eingehalten
werden müssen, sie passen die spezifische Werbung für
bestimmte Produkte aber den regionalen Gegebenheiten an. Wieder andere verfolgen in unterschiedlichen
Märkten unterschiedliche Positionierungsziele. Levi's
Jeans betonten in den 90er Jahren in der amerikanischen
Werbung das soziale Gruppengefühl, versuchten aber in
Europa ein individualistisches, sexuell attraktives Image
aufzubauen. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen,
dass Angehörige der jeweiligen Kultur positiver auf kulturkongruente Werbung reagieren (zum Überblick siehe
Wänke & Haberstroh, 2007). Es ist aber nicht auszuschließen, dass in Zukunft die kulturellen Unterschiede
schwächer werden und die vermehrte Darbietung kulturfremder Werbung Kommunikationsgewohnheiten
ändern könnte.
Eine kulturelle Angleichung der Märkte bedeutet zwar
einerseits vermehrte globale Standardisierung der Marken.
Andererseits aber ist auch die gegenläufige Entwicklung,
ein Trend zur zielgruppenorientierten und stärker diversifizierten Markenpolitik zu erwarten. Die länderspezifische
Marktsegmentierung und Markenpolitik wird wohl weniger wichtig werden, und Verbrauchertypologien, in denen
Verbraucher aufgrund von Werten, Motiven, Life­styleKomponenten und psychografischen Merkmalen klassifiziert werden, werden zunehmend überregional erstellt
werden. Eine junge erfolgreiche Frau in Berlin wird wahrscheinlich mehr mit jungen Karrierefrauen in New York
gemeinsam haben als mit einer Hausfrau aus Zwickau. Eine
globale Vereinheitlichung, wie sie eine globale Markenwelt
mit sich bringt, einerseits, und eine individualisierte, auf
den jeweiligen Kunden abgestimmte Maßanfertigung
(„customization“) andererseits, werden die Entwicklung
der Marken im 21. Jahrhundert kennzeichnen.
??
Kontrollfragen
1. Warum eignet sich das Konzept der Markenpersönlichkeit für die Praxis der Markenführung?
2. Nennen Sie einen Nachteil einer engen gemeinschaftlichen Marken-Kunden-Beziehung aus Sicht
der Unternehmen.
3. Unter welchen Bedingungen kann eine erfolgreiche Markenerweiterung einer bestehenden Marke
schaden?
4. Welche Markenarchitektur ist für Marken mit
symbolischem Nutzen und welche für Marken mit
funktionalem Nutzen besonders geeignet?
5. Was sind die Kernelemente des Markensteuerrads?
117
Literatur
Fazit
Marken können im Sinne eines kognitiven Schemas als Bündel
von produktbezogenen Vorstellungen, Assoziationen und Erwartungen gesehen werden. Sie haben einen Einfluss darauf,
wie Informationen über die markierten Produkte wahrgenommen, interpretiert und abgespeichert werden. Vermittelt über
die Beeinflussung der Informationsverarbeitung prägen sie
Urteile und Verhalten. Konsumenten greifen vor allem unter
zwei Bedingungen zu Markenprodukten, die schematisiert
ihren Präferenzen entsprechen: 1.) wenn sie wenig motiviert
oder mit anderen Denkinhalten beschäftigt sind und 2.) wenn
sie die Komplexität der Informationen über Produktalternativen reduzieren müssen. Wie Markenprodukte beurteilt
werden und ob sie gekauft werden, hängt nicht nur von der
Qualität der Produkte ab. Konsumenten können Marken auch
nutzen, um ihr Selbst zu unterstreichen oder in Richtung eines
erwünschten Ideals zu ergänzen.
Die Beziehung zwischen Konsumenten und Marken kann
unter bestimmten Umständen Züge einer gemeinschaftlichen
Beziehung annehmen, die von einer rein ökonomischen Austauschbeziehung zu unterscheiden ist. In einer gemeinschaftlichen Beziehung erwarten Konsumenten mehr von einer
Marke als eine Leistung für einen entsprechenden Preis. Sie
reagieren dann mitunter empfindlich auf Inrechnungstellung
von Zusatzleistungen.
Zur Steuerung der Markenidentität kann das Wissen über
die Funktionen von Marken eingesetzt werden. Basierend
auf psychologischen Modellen sind Entscheidungen darüber
möglich, wie Produktmarken im Bereich der gesamten Markenarchitektur eines Unternehmens angeordnet werden. Eine
angestrebte Markenidentität kann dabei über die Kommunikation umgesetzt werden.
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Kapitel 7 • Markenmanagement
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119
Kundenzufriedenheit
und Kundenbindung
Friedemann W. Nerdinger, Christina Neumann, Susanne Curth
8.1
Einführung – 120
8.2
Definitionsansätze – 121
8.2.1
Kundenzufriedenheit – 121
8.2.2
Kundenbindung – 122
8.3
Theoretische Ansätze – 124
8.3.1
8.3.2
Entstehung von Kundenzufriedenheit – 124
Entstehung von Kundenbindung – 126
8.4
Messung von Kundenzufriedenheit
und Kundenbindung – 128
8.4.1
8.4.2
Messung der Kundenzufriedenheit – 128
Messung der Kundenbindung – 133
8.5
Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit
und Kundenbindung – 133
Literatur – 136
K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie, Springer-Lehrbuch,
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
8
120
Kapitel 8 • Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
1
„Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“ (Franz Kafka)
2
8.1
3
Kunden zählen zum immateriellen Vermögen eines Unternehmens, ihr Wert bestimmt sich v. a. durch den tatsächlichen Ertrag aus einer bestehenden oder zukünftigen
Kundenbeziehung. Kunden verfügen darüber hinaus aber
auch über verschiedene Potenziale, die von Unternehmen
genutzt werden. Dazu gehört das Potenzial zum Verkaufserfolg, z. B. durch Wiederkäufe oder das sog. Cross-Buying,
d. h. durch den Erwerb von zusätzlichen, von der Ursprungsleistung unabhängigen Leistungen eines anderen
Geschäftsbereichs (vgl. Tomczak & Rudolf-Sipötz, 2006).
Der Kunde kann aber auch durch Weiterempfehlung der
Produkte oder Dienstleistungen die Gewinnung neuer
Kunden beeinflussen, und er kann bei der Entwicklung
neuer Produkte hilfreich sein. Aus dem Referenzpotenzial
des Kunden oder seiner Kaufhäufigkeit wird auf den Wert
des Kunden für das Unternehmen und damit auf dessen
Profitabilität geschlossen (vgl. Eggert, 2006; ▶ Info-Box).
Der eminenten Bedeutung der Kunden stehen aber u. a.
die Stagnation der Märkte und ein daraus resultierender
zunehmender Verdrängungswettbewerb gegenüber. Diese
Entwicklungen erschweren es, neue Kunden zu gewinnen
– darin liegt ein Grund, warum das Konzept der ▶ Kundenbindung immer wichtiger wird. Für eine verstärkte Bindung
des Kunden an das Unternehmen sprechen aber auch die
ständig steigenden Kosten der Neukundenakquisition im
Vergleich zur Pflege bestehender Kunden (Meffert, 2008).
Kundenbindung kann aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden, gewöhnlich ist der Blick aus der
Perspektive des Anbieters gemeint. Dazu zählen alle Aktivitäten, die seitens des Leistungserbringers zur Intensivierung der Kundenbeziehung unternommen werden, wie
z. B. der Aufbau von Kontaktstellen, die dem Kunden eine
direkte Ansprache des Unternehmens erleichtern. Kundenbindung kann aber auch aus Sicht des Kunden betrachtet
werden. Diese nachfragerorientierte Perspektive bezieht
sich beispielsweise auf Einstellungen des Kunden zur Geschäftsbeziehung (Neumann, 2013). Das ist der Blickwinkel, den gewöhnlich die Wirtschaftspsychologie einnimmt
und der auch den folgenden Ausführungen zugrunde liegt.
Wie lässt sich Kundenbindung herstellen? Gewöhnlich wird davon ausgegangen, dass Kundenbindung durch
▶ Kundenzufriedenheit entsteht. Das Thema Kundenzufriedenheit nimmt seit den 70er Jahren in der Marketingforschung einen großen Raum ein, und in der Praxis
wenden Unternehmen erhebliche Ressourcen auf, um die
Zufriedenheit ihrer Kunden zu messen und möglichst zu
steigern (Stock-Homburg, 2012). Kundenzufriedenheit
wird als die kognitive und emotionale Bewertung der ge-
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22
Einführung
samten Erfahrungen mit einem bestimmten Anbieter und
dessen Produkten bzw. Dienstleistungen definiert (vgl.
Homburg, Giering & Hentschel, 1999).
Ob allerdings Kundenzufriedenheit in jedem Fall zu
Kundenbindung führt, ist umstritten. Manche Kunden
wechseln den Anbieter, obwohl sie mit den Leistungen zufrieden sind; andere bleiben ihm treu, obwohl sie mit dessen Leistung unzufrieden sind (Stauss & Neuhaus, 2004;
Jung & Yoon, 2012). Die Frage nach dem Zusammenhang
zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung wird
im Folgenden genauer untersucht. Zu diesem Zweck werden zunächst die beiden Konstrukte betrachtet, wobei
die wichtigsten theoretischen Ansätze zu ihrer Erklärung
ebenso dargestellt werden wie ausgewählte Messansätze.
Info-Box
| |
Die (fragwürdige) Bedeutung des Kundenwertes
Aus der Sicht der Anbieter umfasst der Kundenwert
die Attraktivität eines Nachfragers für den Anbieter
bzw. dessen ökonomische Gesamtbedeutung für die
Zielerreichung eines Unternehmens (vgl. Tomczak &
Rudolf-Sipötz, 2006). Diese Sichtweise ist deutlich von
der Perspektive der Nachfrager zu unterscheiden, nach
der sich der Kundenwert am Nutzen orientiert, den ein
Kunde bei der Inanspruchnahme einer Leistung oder
den Kauf eines Produktes wahrnimmt (Reinecke & Keller, 2006). Zur Berechnung des Kundenwertes für einen
Anbieter werden auf Individualebene sowohl monetäre
als auch nicht-monetäre Bewertungskriterien herangezogen. Hierzu zählt sowohl das Markt- wie auch das
Ressourcenpotenzial eines Kunden. Ersteres umfasst
den gegenwärtigen und zukünftigen Ertrag, der aus
der Geschäftstätigkeit eines Anbieters mit diesem
Kunden erwächst (z. B. die Kundenrentabilität oder die
erwartete Cross-Buying-Bereitschaft). Darüber hinaus
liefern Kunden im Sinne einer Unternehmensressource
indirekt einen Beitrag zum Unternehmenserfolg. So
bestimmt sich das Ressourcenpotenzial eines Kunden
beispielsweise aus der Häufigkeit, in der ein Kunde das
Unternehmen anderen Nachfragern weiterempfiehlt
oder aus dessen Feedbackbereitschaft (Tomczak &
Rudolf-Sipötz, 2006). Insgesamt betrachtet ist der
Kundenwert demnach eine Steuerungsgröße, welche
entscheidend dafür sein kann, ob Anbieter in die Geschäftsbeziehung mit einem Kunden investieren oder
sich aus dieser sukzessiv zurückziehen (Eggert, 2006).
Auch wenn dem Kundenwert im Beziehungsmarketing
hohe Relevanz zugesprochen wird, ist seine Messung
in der Unternehmenspraxis oft mit Herausforderungen
verbunden (vgl. Eggert, 2006). So sind viele Kostenrechnungssysteme nicht in der Lage, erforderliche
121
8.2 • Definitionsansätze
Wahrgenommene
Leistung
(Ist-Leistung)
Vergleichsprozess
Positive
Diskonfirmation
(Ist > Soll)
Begeisterung
Konfirmation
(Ist = Soll)
Zufriedenheit
Negative
Diskonfirmation
(Ist < Soll)
Unzufriedenheit
Vergleichsstandard
(Soll-Leistung)
.. Abb. 8.1 Das Diskonfirmationsparadigma (C/D-Paradigma; in Anlehnung an Homburg, Giering & Hentschel, 1999, © 1999 Schäffer-Poeschel
Verlag für Wirtschaft, Steuern und Recht GmbH in Stuttgart)
Umsatz- oder Kostendaten kundenbezogen zu erfassen. Zudem sind die sog. „soft facts“ (z. B. das Referenzpotenzial) in der Unternehmenspraxis nur schwer
quantifizierbar (Tomczak & Rudolf-Sipötz, 2006).
Darüber hinaus scheint die Selektion der Kunden nach
ihrem Wert für das Unternehmen auch aus ethischer
Perspektive fragwürdig. So kann die gezielte Ausgrenzung wenig profitabler Kundengruppen die Reputation
eines Unternehmens gefährden (vgl. Eggert, 2006).
8.2
8.2.1
Definitionsansätze
Kundenzufriedenheit
Die Entwicklung von Kundenzufriedenheit kann auf
verschiedene Weise erklärt werden. In der Wissenschaft
hat sich das ▶ Diskonfirmationsparadigma weitgehend
durchgesetzt (auch als C/D-Paradigma = Confirmation/
Disconfirmation-Paradigma bezeichnet; vgl. Homburg &
Stock-Homburg, 2012). Demnach entsteht Kundenzufriedenheit, wenn ein Kunde seine aktuellen Erfahrungen bei
der Produktnutzung (Ist-Leistung) mit seinen Erwartungen vergleicht (Soll-Leistung). Entspricht die Ist-Leistung
der Soll-Leistung, d. h. kommt es zur Bestätigung der Erwartungen (Konfirmation), führt das zu Zufriedenheit.
Übertrifft die tatsächliche Leistung die erwartete Leistung
(positive Diskonfirmation), so entsteht besonders hohe
Zufriedenheit. Unzufriedenheit resultiert dagegen, wenn
die Ist-Leistung die Erwartungen nicht erfüllt (negative
Diskonfirmation).
Nach diesem Ansatz soll Zufriedenheit bei Konfirmation und bei positiver Diskonfirmation entstehen.
Demgegenüber gehen andere Autoren davon aus, dass bei
Bestätigung der Leistung lediglich Indifferenz entsteht,
Zufriedenheit bildet sich demnach erst bei positiver Diskonfirmation (z. B. Hill, 1986). Weiterhin wird angenommen, dass die Grenze zwischen Zufriedenheit und Unzufriedenheit nicht durch einen Punktwert gekennzeichnet
ist, sondern es sich hierbei um eine Toleranzzone handelt.
Liegt der Vergleichswert von Ist- und Soll-Leistung innerhalb dieses Bereichs, so wird die Leistung als zufriedenstellend eingestuft. Bei einer sehr starken positiven Diskonfirmation sind die Kunden „begeistert“ (Stauss, 1999;
vgl. . Abb. 8.1).
Bei der Ist-Leistung handelt es sich um das vom Kunden wahrgenommene Leistungsniveau. Eine objektiv gleiche Leistung kann von unterschiedlichen Kunden jeweils
unterschiedlich wahrgenommen werden. Dieser subjektiv
wahrgenommenen Ist-Leistung stehen als Vergleichsstandard die Erwartungen der Kunden gegenüber; sie stellen das Leistungsniveau dar, welches ein Kunde fordert.
Wichtige Quellen von Erwartungen sind die persönlichen
Bedürfnisse des Kunden, seine bisherigen Erfahrungen,
mündliche Empfehlungen durch Bekannte sowie Versprechungen des Unternehmens (Zeithaml, Parasuraman &
Berry, 1992).
Nach dem C/D-Paradigma ist Kundenzufriedenheit
das Ergebnis eines kognitiven Vergleichs von wahrgenommener Ist- und Soll-Leistung. Zufriedenheit kann aber
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22
Kapitel 8 • Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
auch als Gefühl betrachtet werden; entsprechend wurde
in der Forschung zur Kundenzufriedenheit die Bedeutung
von Emotionen nachgewiesen (Burns & Neisner, 2006).
Kundenzufriedenheit kann somit als Einstellung gegenüber einem Objekt definiert werden, die folgende Aspekte umfasst (Homburg, Giering & Hentschel, 1999):
die kognitive Komponente, also die Bildung einer
Meinung über ein Objekt, z. B. über ein Produkt oder
eine Dienstleistung,
die emotionale Komponente, d. h. die bei der Bewertung der jeweiligen Objekte auftretenden Gefühle.
-
Der relative Einfluss der kognitiven und emotionalen Komponenten bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit
kann sich im Zeitverlauf verändern. In einer Studie von
Homburg, Koschate und Hoyer (2006) stieg der Einfluss
der kognitiven Komponente im Zeitverlauf an, während
der Einfluss der emotionalen Komponente abnahm. Kundenzufriedenheit sollte daher als dynamisches Konstrukt
betrachtet werden.
Geht man von der Drei-Komponenten-Theorie der
Einstellung aus (vgl. Nerdinger, 2003), so müsste bei der
Definition von Kundenzufriedenheit als Einstellung zusätzlich noch eine Verhaltensbereitschaft berücksichtigt
werden. Gemeint ist damit die Absicht eines Kunden, Produkte oder Dienstleistungen wieder zu kaufen oder weiterzuempfehlen. Allerdings konzentriert sich die Messung
von Kundenzufriedenheit auf die kognitive und emotionale
Komponente (vgl. ▶ Abschn. 8.4.1), daher wird die Verhaltensabsicht hier nicht als Definitionsbestandteil von Kundenzufriedenheit angesehen, sondern im Zusammenhang
mit der Kundenbindung diskutiert (vgl. ▶ Abschn. 8.2.2).
Nach dem Modell des Diskonfirmationsparadigmas
entsteht Kundenzufriedenheit aufgrund einer bestimmten Transaktion, d. h. aus einer einzigen Kauf- oder Nutzungserfahrung. Demgegenüber zeigt die Forschung, dass
sich aufgrund einer einzelnen Transaktion gewöhnlich nur
etwas über die Haltung gegenüber einem bestimmten Produkt oder einer bestimmten Dienstleistung aussagen lässt,
das Zufriedenheitsurteil über alle bereits stattgefundenen
Transaktionen hinweg – die sog. kumulative Zufriedenheit
– dagegen aussagekräftiger in Bezug auf den Erfolg eines
Unternehmens ist (Giering, 2000). Im Folgenden wird daher Kundenzufriedenheit als zeitlich überdauernde Einstellung verstanden, die sich im Verlauf mehrerer Transaktionen entwickelt.
8.2.2
Kundenbindung
Kundenbindung umfasst sowohl das bisherige Verhalten
als auch die Verhaltensabsicht eines Kunden gegenüber
einem Anbieter oder dessen Leistungen. Zum bisherigen
Verhalten zählt das tatsächlich gezeigte Wiederkauf- und
Weiterempfehlungsverhalten, die Verhaltensabsicht ist
v. a. durch Wiederkauf-, Zusatzkauf- (Cross-Buying) sowie Weiterempfehlungsabsicht gekennzeichnet (Meyer
& Oevermann, 1995; vgl. . Abb. 8.2). Aus der Sicht der
Nachfrager kann der Bindungszustand eines Kunden an
das Unternehmen verschiedene Ursachen haben (▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Kundenbindung – ein psychologisches Konstrukt
In Bezug auf Kundenbindung herrscht Uneinigkeit in
der Begriffsbestimmung. So betrachten z. B. Weinberg
und Terlutter (2005, S. 46) Kundenbindung „als ein psychisches Konstrukt der Verbundenheit oder Verpflichtung einer Person gegenüber einer anderen Person
oder einem Unternehmen (…) Kundenbindung kann
auch ein Zustand der Gebundenheit sein, wobei dieser
Zustand immer mit psychischen Konsequenzen einhergeht“.
Demnach werden mit der Kundenbindung innere
Bindungszustände beschrieben, die in Abhängigkeit
von den Bindungsursachen in unterschiedlicher Art
und Weise zum Tragen kommen können (vgl. Georgi,
2010). Unter dem inneren Zustand der Verbundenheit
wird ein positives Gefühl verstanden, das durch die Zufriedenheit eines Kunden bestimmt wird. Stellen beispielsweise die Leistungen eines Friseurs einen Kunden
zufrieden, so fühlt sich dieser der Person des Friseurs
u. U. verbunden und wird in der Folge das Geschäft weiterempfehlen. Das Gefühl der Verpflichtung kann dagegen von einer Person sowohl positiv als auch negativ
erlebt werden (Weinberg & Terlutter, 2005). Verbundenheit kommt dem Konzept des affektiven Commitments
nahe, welches ein emotional begründetes Gefühl der
Bindung beschreibt (vgl. Bansal, Irving & Taylor, 2004).
Geht der Kunde z. B. schon über Jahre hinweg zum selben Friseur, so kann er sich aufgrund einer persönlichen
Beziehung gegenüber dem Friseur verpflichtet fühlen.
Fühlt er sich dem Friseur zudem verbunden, ist die Beziehung mit einem positiven Gefühl belegt. Ist die Person mittlerweile jedoch mit der Leistung des Friseurs
unzufrieden, so kann die Verpflichtung auch negativ
empfunden werden. Die dafür ursächliche Gebundenheit entsteht durch den Aufbau von Wechselbarrieren
(z. B. durch vertragliche Regelungen) seitens des Anbieters, wodurch der Kunde in seiner Wahlfreiheit eingeschränkt wird (Bliemel & Eggert, 1998).
Häufig werden rationale und emotionale Bindungsursachen unterschieden (z. B. Bagusat, 2006). Zu den ratio-
123
8.2 • Definitionsansätze
Kundenbindung
Verhaltensabsicht
Bisheriges Verhalten
Wiederkauf
Weiterempfehlung
Zusatzkaufabsicht
(Cross-SellingPotenzial)
Wiederkaufabsicht
Weiterempfehlungsabsicht
.. Abb. 8.2 Das Konstrukt „Kundenbindung“. (In Anlehnung an Homburg & Faßnacht, 2001)
nalen Bindungsursachen werden die folgenden Faktoren
gezählt (vgl. Bagusat, 2006; Homburg & Bruhn, 2010):
situative Faktoren als äußere Gegebenheiten, die
nicht durch den Anbieter, sondern vielmehr durch
die Beschaffenheit des Marktes beeinflusst werden
(z. B. ob der Standort eines Anbieters aus der Sicht
des Kunden im Vergleich zur Konkurrenz als günstig
eingeschätzt wird),
ökonomische Faktoren, die dazu führen, dass ein
Kunde aufgrund wahrgenommener Wechselkosten auf
einen Anbieterwechsel verzichtet (z. B. ob die mit dem
Wechsel einer Versicherung verbundenen Kosten für
den Kunden zu hoch sind; vgl. ▶ Info-Box),
vertraglich-rechtliche Faktoren, die Kunden zumindest zeitweise durch vertragliche Vereinbarungen an
einen Anbieter binden (z. B. der Vertrag mit einem
Fitnessstudio über eine bestimmte Mindestlaufzeit),
technologische Faktoren, die zu einer technischen
Abhängigkeit des Kunden beitragen (z. B. ob ein Automobilhersteller aufgrund spezifischer Technologien
seiner Fahrzeuge Folgekäufe oder die Nutzung von
Zusatzleistungen durch den Kunden erzwingt),
anbieterinduzierte Faktoren, die mit einer Differenzierung des Angebots gegenüber der Konkurrenz
verbunden sind (z. B. ob Unternehmen durch individualisierte Systeme oder aufgrund einer besonderen
Fachkompetenz des Personals die wahrgenommene
Einzigartigkeit der Leistung durch den Kunden erhöhen).
-
Demgegenüber gehören zu emotionalen Bindungsursachen alle Faktoren, die aus psychisch-emotionaler Perspektive eines Kunden relevant sind (vgl. Bagusat, 2006).
Hierzu zählen:
(Produkt-)Involvement als die innere Anteilnahme
bzw. das Interesse eines Kunden an einer bestimmten Produktkategorie (z. B. wird ein Gutschein zum
-
-
zehnjährigen Jubiläum eines Musikgeschäftes als Bindungsmaßnahme insbesondere dann positiv aufgenommen, wenn der Kunde generell für diese Produkte
hohes Interesse und Engagement entwickelt),
Kundenzufriedenheit als positives Gefühl, das beim
Kunden entsteht, wenn die Ist-Leistung die Soll-Leistung übertrifft (z. B. wird ein Kunde mit einem Friseur
zufrieden sein, wenn er den gewünschten Haarschnitt
für einen unerwartet günstigen Preis erhält),
Vertrauen als das Gefühl eines Kunden, sich auf das
zukünftige Verhalten eines Anbieters verlassen zu
können (wenn z. B. ein Kunde seiner Bank vertraut,
wird er eher deren Ratschlägen zum Wertpapierkauf
Folge leisten),
Commitment als eine innere Verpflichtung eines
Kunden gegenüber dem Anbieter (z. B. aus Sympathie
zum anbietenden Unternehmen oder der Identifikation gegenüber der Marke),
Erlebnisorientierung als Bedürfnis des Kunden
nach emotionaler Anregung (z. B. schaffen Anbieter
durch eine erlebnisorientierte Ladengestaltung oder
Kunden­events eine Angebotsdifferenzierung in gesättigten Märkten),
soziale Komponenten (z. B. die soziale Integration
des Kunden in die Produktentwicklung oder bestehende persönliche Beziehungen zu Kundenkontaktmitarbeitern oder anderen Nachfragern in Kundenclubs; vgl. ▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Die Bedeutung von Kundenkarten und Kundenclubs für die Kundenbindung
Kundenkarten und Kundenclubs haben sich in der
Unternehmenspraxis zu einem immer beliebteren
Instrument der Kundenbindung etabliert (Tomczak,
8
Kapitel 8 • Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
124
1
Reinecke & Dittrich, 2010). Dabei sind beide Maßnahmen gewöhnlich sehr eng miteinander verknüpft; so
existieren in den seltensten Fällen Kundenclubs ohne
eine hierfür bestimmte Mitgliedschaftskarte (vgl. Tomczak et al., 2010).
Kundenkarten stellen in erster Linie preis- und kommunikationsbezogene Kundenbindungsmaßnahmen
dar. Sie ermöglichen eine gezielte Ansprache des Kunden sowie die Gewinnung wertvoller Kundeninformationen (z. B. über das Cross-Buying-Verhalten). Indem
Inhabern dieser Karte oftmals exklusive Leistungen
versprochen werden (z. B. IKEA-Family), wird erwartet,
dass sich diese Kunden dem Anbieter gegenüber loyal
verhalten (vgl. Tomczak et al., 2010).
Demgegenüber sind Kundenclubs i. d. R. von Unternehmen initiierte Vereinigungen bestehender und
potenzieller Kunden und bieten neben exklusiven finanziellen Vorteilen auch einen sozialen Zusatznutzen.
Folglich generieren Kundenclubs neben ökonomischen
auch emotionale Wechselbarrieren. Letzteres steht
insbesondere bei Web oder Brand Communities (z. B.
Harley Davidson) im Vordergrund. Anders als Kundenclubs im klassischen Sinne werden Brand Communities
meist von den Kunden selbst initiiert und haben einen
netzwerkorientierten Charakter (Popp, 2011). Durch
den Austausch der Kunden – online und/oder offline
– nicht nur mit dem Unternehmen, sondern auch mit
anderen Nachfragern, kann ein Zugehörigkeits- und
Gemeinschaftsempfinden entstehen, welches sich
auch auf die Loyalität gegenüber dem Unternehmen
oder der Marke übertragen kann (vgl. Muniz & O‘Guinn,
2001)
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8.3
8.3.1
Theoretische Ansätze
Entstehung
von Kundenzufriedenheit
Das Diskonfirmationsparadigma (▶ Abschn. 8.2.1) bildet
das Grundmodell zur Erklärung der Entstehung von Kundenzufriedenheit. Eine Reihe von psychologischen Theorien liefert detaillierte Ansätze zur genaueren Erklärung
einzelner Aspekte dieses Modells. Dazu zählt die Assimilations-Kontrast-Theorie, die erklärt, wie Vergleichsstandards (Soll-Leistung) oder wahrgenommene Leistungen
(Ist-Leistung) nachträglich verändert werden. Mit der Attributionstheorie und der Zwei-Faktoren-Theorie der Kundenzufriedenheit kann dagegen der Zusammenhang zwischen
Erwartungserfüllung und dem Grad der Zufriedenheit erklärt werden (vgl. Homburg & Stock-Homburg, 2012).
Assimilations-Kontrast-Theorie
Die Assimilations-Kontrast-Theorie verbindet zwei eigenständige theoretische Ansätze, um die nachträgliche
Veränderung der Ist- bzw. Soll-Leistung zu erklären. Die
Assimilationstheorie geht – wie die Theorie kognitiver Dissonanz von Festinger (1957; ▶ Abschn. 8.3.2) – davon aus,
dass Individuen ein Gleichgewicht ihres kognitiven Systems
anstreben. Bezogen auf die Kundenzufriedenheit kann die
Konfirmation der Erwartungen als Gleichgewicht angesehen werden. Dieser Zustand sollte demnach erstrebenswert
sein. Liegt dagegen Diskonfirmation vor – egal ob in positiver oder negativer Richtung –, sind Individuen bestrebt, die
Differenz zwischen Ist- und Soll-Leistung zu verkleinern.
In diesem Fall passen sie entweder die Erwartungen an die
wahrgenommene Leistung oder umgekehrt die Wahrnehmung an die Erwartungen an. Dieser Mechanismus wird als
Assimilationseffekt bezeichnet (Anderson, 1973).
Die Kontrasttheorie geht vom entgegengesetzten Effekt aus. Nehmen Individuen eine Differenz zwischen Erwartung und wahrgenommener Leistung wahr, so neigen
sie dazu, diese Differenz zu vergrößern (Anderson, 1973).
Bei Übererfüllung der Erwartungen durch die wahrgenommene Leistung wird die Differenz zur Erwartung im Sinne
der Kontrasttheorie subjektiv vergrößert. Kunden werden
daher zufriedener sein als dies aufgrund der tatsächlichen
Leistung zu erwarten wäre (Churchill & Surprenant, 1982).
Umgekehrt werden sie besonders unzufrieden sein, wenn
die Erwartung durch die Ist-Leistung nicht erfüllt wird.
Die Assimilations-Kontrast-Theorie, in der beide Ansätze verbunden werden, geht davon aus, dass Individuen
Beurteilungen in Abhängigkeit von einem Ankerreiz vornehmen (Hovland, Harvey & Sherif, 1957). Die Erwartung
eines Konsumenten kann einen Ankerreiz bilden. Der subjektive Abstand zwischen der Erwartung (Ankerreiz) und
der Wahrnehmung bestimmt, wie die wahrgenommene
Leistung bewertet wird, d. h. ob der Assimilations- oder
der Kontrasteffekt einsetzt. Weicht die wahrgenommene
Leistung subjektiv nur relativ wenig von der Erwartung
ab, kommt es zur Assimilation, d. h. die wahrgenommene
Leistung wird näher an die erwartete Leistung gerückt.
Liegt die wahrgenommene Leistung jedoch deutlich über
oder unter den Erwartungen, setzt der Kontrasteffekt ein
(Sherif & Hovland, 1961). Die Differenz zwischen Erwartung und Wahrnehmung wird in diesem Fall vergrößert.
Wie stark darf die Abweichung maximal sein, bzw. wie
gering muss sie mindestens sein, damit die jeweiligen Effekte einsetzen? Sherif und Hovland (1961) gehen davon
aus, dass sich hierbei die folgenden Bereiche unterscheiden
lassen:
Bereich der Akzeptanz: Liegt die Differenz in diesem
Bereich, tritt der Assimilationseffekt ein, d. h. es
erfolgt eine nachträgliche Anpassung der Erwartung
bzw. der wahrgenommenen Leistung.
-
125
8.3 • Theoretische Ansätze
-
Bereich der Ablehnung: In diesem Bereich setzt der
Kontrasteffekt ein, d. h. die Differenz zwischen Istund Soll-Leistung wird vergrößert.
Bereich der Neutralität: Hier zeigt sich keiner der
beiden Effekte, die Erwartung bzw. die wahrgenommene Leistung werden nicht angepasst.
Die persönliche Bedeutung des Beurteilungsobjekts ist
entscheidend für das Ausmaß der Zone. Ist ein Beurteilungsobjekt für ein Individuum persönlich bedeutsam, so
wird der Bereich der Ablehnung größer sein als der Bereich
der Akzeptanz. Wenn umgekehrt ein Beurteilungsobjekt
persönlich weniger bedeutsam ist, so wird der Bereich
der Akzeptanz größer sein und der Ablehnungsbereich
entsprechend geringer (zur empirischen Überprüfung im
wirtschaftspsychologischen Kontext vgl. Olson & Dover,
1979).
Attributionstheorie
Die Attributionstheorie beschreibt, wie sich Menschen
Ereignisse in ihrer Umwelt erklären, indem sie diesen
Ursachen attribuieren, d. h. zuschreiben. Bezogen auf das
Entstehen von Kundenzufriedenheit kann die Attributionstheorie erklären, warum bei gleichen Konfirmationsniveaus unterschiedliche Grade der Zufriedenheit auftreten
können (Homburg & Stock-Homburg, 2012).
Ursachen für die Erklärung von Ereignissen können
nach dem Ort der Entstehung, nach ihrer Kontrollierbarkeit und der zeitlichen Stabilität unterschieden werden
(Folkes, 1984). In Bezug auf den Ort der Verursachung
bestehen zwei Möglichkeiten, die als internale bzw. externale Attribution bezeichnet werden (Heider, 1958):
Internale Attribution: In diesem Fall werden Ereignisse durch Faktoren erklärt, die in der handelnden
Person liegen. Beobachtet z. B. der Kunde eines
Supermarktes, wie eine Kassiererin einen anderen Kunden unhöflich behandelt, so könnte er das
gezeigte Verhalten auf ein Merkmal der Person (z. B.
den Charakter der Kassiererin) zurückführen.
Externale Attribution: Bei dieser Form wird das
Ereignis auf Faktoren der Umwelt zurückgeführt.
Erklärt der Kunde das Verhalten der Kassiererin
beispielsweise durch ihre starke Belastung aufgrund
des hohen Kundenandrangs, dann wird das unhöfliche Verhalten auf eine in der Umwelt zu findende
Ursache zurückgeführt.
-
Der Ort der Verursachung hat große Auswirkungen auf die
Zufriedenheit (vgl. zum Folgenden Folkes, 1984). Werden
Erwartungen nicht erfüllt, entsteht höhere Unzufriedenheit, wenn der Kunde internal attribuiert, also die Ursache
für die schwachen Leistungen beim Anbieter sieht und
nicht Merkmale der Umwelt dafür verantwortlich macht.
Kontrollierbarkeit bezieht sich darauf, ob ein Handelnder die Ursache beeinflussen konnte. Glaubt ein Konsument, der Anbieter konnte die Ursache für ein Ereignis,
das seine Erwartungen nicht erfüllt, kontrollieren, so führt
dies zu stärkerer Unzufriedenheit als im Falle wahrgenommener Nichtkontrollierbarkeit. Ist z. B. ein Kunde mit dem
Produktangebot im Supermarkt unzufrieden und glaubt,
dass es in der Macht des Personals liegt, das Produktangebot zu sichern, so wird er unzufrieden sein. Glaubt er
dagegen, dass die Versorgung mit Produkten stark von unbeeinflussbaren Faktoren abhängt (z. B. der Logistik des
Versorgers oder der Lage des Supermarktes), dann wird die
Unzufriedenheit deutlich geringer ausfallen.
Stabilität ist die dritte Dimension, nach der sich Attributionen unterscheiden lassen. Ursachen können zeitlich
stabil oder variabel sein. Wird z. B. die Erwartung eines
Kunden nicht erfüllt, und sieht er diese Nichterfüllung als
zeitlich stabil an, so wird die Unzufriedenheit größer sein
als im umgekehrten Fall (Folkes, 1984). War der Kunde
mit der Bedienung an der Fleischtheke unzufrieden und
sieht die Bedingungen für die schlechte Bedienung als
zeitlich stabil an (z. B. weil Fleischverkäufer nach seiner
Meinung generell unfreundlich sind), so wird er unzufriedener sein als bei einer zeitlich variablen Erklärung, z. B.
wenn es sich um eine Aushilfskraft handelt. Letzteres wird
sich wieder ändern und lässt Hoffnung auf Besserung. Daher ist in diesem Fall die Unzufriedenheit geringer. Die
wesentlichen Annahmen der Attributionstheorie konnten
in vielen Studien für den Dienstleistungsbereich empirisch
bestätigt werden (vgl. Nerdinger, 2011). Demnach erleben Kunden eine geringe Zufriedenheit mit der Leistung,
wenn die Ursache der Nichterfüllung ihrer Erwartung als
zeitlich stabil und als vom Anbieter kontrollierbar angesehen wird.
Zwei-Faktoren-Theorie
Die Zwei-Faktoren-Theorie, die in der Arbeitszufriedenheitsforschung entwickelt wurde (Herzberg, Mausner &
Snyderman, 1959), erklärt die Entstehung unterschiedlicher Zufriedenheitsniveaus in Abhängigkeit von der Art
der Belohnungen durch die Arbeit bzw. die Organisation.
Nach dieser Theorie sind Arbeitszufriedenheit und Arbeitsunzufriedenheit zwei voneinander unabhängige Dimensionen, d. h. sie werden entgegen der weit verbreiteten
Annahme nicht als gegensätzliche Pole einer Dimension
betrachtet (. Abb. 8.3).
Zufriedenheit und Unzufriedenheit werden jeweils
durch unterschiedliche Faktoren ausgelöst. Die sog. Hygienefaktoren sind für Unzufriedenheit verantwortlich;
werden sie nicht erfüllt, sind Mitarbeiter unzufrieden. Sind
diese Faktoren erfüllt, so entsteht nicht Zufriedenheit, sondern lediglich ein neutraler Zustand, der als Nichtunzufriedenheit bezeichnet wird. Hygienefaktoren sind Faktoren,
8
126
Kapitel 8 • Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
1
Die gängige Sichtweise
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Zufriedenheit
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Neutral
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Die Zwei-Faktoren-Sichtweise
4
7
Das Kano-Modell ist v. a. für die Messung von Kundenzufriedenheit wichtig geworden und wird dort wieder aufgegriffen (▶ Abschn. 8.4.1).
Zufriedenheit
Unzufriedenheit
.. Abb. 8.3 Sichtweisen von Zufriedenheit und Unzufriedenheit. (In
Anlehnung an Maddox, 1981, © 1981 by JOURNAL OF CONSUMER
RESEARCH, Inc. • Vol. 8 • June 1981. All rights reserved. Published by
the University of Chicago Press.)
die das Arbeitsumfeld betreffen, wie z. B. die physischen
Arbeitsbedingungen oder die Beziehung zu den Kollegen.
Zufriedenheit entsteht durch die sog. Motivatoren; im
Arbeitsleben werden damit Aspekte der Arbeitstätigkeit
wie beispielsweise Lob, Aufstieg und Arbeitsinhalte bezeichnet. Werden die Erwartungen an Motivatoren nicht
erfüllt, erleben die Mitarbeiter einen neutralen Zustand der
Nichtzufriedenheit.
Das nach seinem Entwickler benannte Kano-Modell
der Kundenzufriedenheit geht von der Zwei-Faktoren-Theorie aus und versucht, die zufriedenheitsbeeinflussenden
Faktoren im Konsumbereich zu ermitteln. Diese Faktoren
werden nach der Stärke ihres Einflusses auf die Kundenzufriedenheit klassifiziert. Das Modell unterscheidet drei
Arten von Faktoren, die – ähnlich den Hygienefaktoren
und Motivatoren – unterschiedliche Zufriedenheitsniveaus
verursachen (Bailom, Hinterhuber, Matzler & Sauerwein,
1996; . Abb. 8.4):
Basisfaktoren: Kunden setzen diese Faktoren als
selbstverständlich voraus, sodass bei Nichterfüllung
Unzufriedenheit entsteht und bei Erfüllung ein neutraler Zustand der Nichtunzufriedenheit. Basisfaktoren entsprechen den Hygienefaktoren im Modell von
Herzberg.
Leistungsfaktoren: Kunden erwarten diese Faktoren.
Es besteht ein linearer Zusammenhang zwischen dem
Konfirmationsniveau und der Zufriedenheit.
Begeisterungsfaktoren: Kunden setzen diese Faktoren nicht als selbstverständlich voraus. Bei positiver
Diskonfirmation kann ein starkes Zufriedenheitsniveau erreicht werden bzw. bei Nichterreichung nur
ein Zustand der Nichtzufriedenheit. Begeisterungsfaktoren entsprechen den Motivatoren im Modell der
Arbeitszufriedenheit.
-
8.3.2
Entstehung von Kundenbindung
Wie bereits festgestellt (▶ Abschn. 8.2.2), können verschiedene Ursachen zu Kundenbindung führen. Die psychologischen Bindungsursachen sind dabei am wichtigsten, da sie
an den anderen Dimensionen implizit beteiligt sind (Weinberg & Terlutter, 2005). Nachfolgend wird auf ausgewählte
verhaltenswissenschaftliche Theorien eingegangen, die das
Entstehen von Kundenbindung erklären können (zu weiteren Erklärungsansätzen vgl. u. a. Braunstein, Huber &
Herrmann, 2005).
Kognitive Dissonanz
Nach der Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger,
1957; vgl. zum Folgenden Aronson, Wilson & Akert, 2011)
streben Menschen ein Gleichgewicht ihres kognitiven Systems an. Dieses System setzt sich aus einzelnen Kognitionen zusammen, d. h. aus Meinungen oder Wissenseinheiten. Kognitionen können in relevanter und irrelevanter
Beziehung zueinander stehen. Ist die Beziehung relevant,
so können sie konsonant, d. h. harmonisch, oder aber dissonant sein, d. h. sie passen nicht zusammen. Kognitive
Dissonanz löst eine unangenehme Spannung aus, worauf
die betroffene Person danach drängt, die Dissonanz zu reduzieren. Die Motivation zur Beseitigung von Dissonanz
hängt von ihrer erlebten Stärke ab; diese ergibt sich aus
dem Anteil der konsonanten bzw. dissonanten Elemente
sowie deren Wichtigkeit. Ist der relative Anteil der dissonanten Elemente in Bezug auf deren Wichtigkeit größer
als der Anteil der konsonanten Elemente, so werden Maßnahmen ergriffen, die kognitive Dissonanz zu reduzieren.
Dazu bestehen drei grundlegende Möglichkeiten:
Hinzufügen neuer (konsonanter) Kognitionen,
Veränderung dissonanter Kognitionen,
Veränderung des Verhaltens.
--
Kognitive Dissonanz kann nach dem Kauf eines Produkts
oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung auftreten.
War die Entscheidung für den Kauf von großer subjektiver
Bedeutung, und standen ähnlich attraktive Alternativen
zur Verfügung, kann es leicht zu einem Nachentscheidungskonflikt kommen. Ein solcher Konflikt liegt vor,
wenn z. B. ein Kunde nach dem Besuch eines Friseurs über
die Qualität des Ergebnisses unsicher ist. In diesem Fall
wird er versuchen, die damit verbundene Dissonanz zu
verringern, z. B. indem er dissonante Informationen vermeidet (dazu zählen z. B. Informationen über Qualität und
Preis anderer Friseure) und stattdessen nach konsonanten
127
8.3 • Theoretische Ansätze
Zufriedenheit
Leistungsanforderungen
Begeisterungsanforderungen
Anforderungen erfüllt
Anforderungen nicht erfüllt
Basisanforderungen
Unzufriedenheit
.. Abb. 8.4 Das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit. (In Anlehnung an Bailom et al., 1996, © Japanese Society for Quality Control)
Informationen sucht, die seine Entscheidung rechtfertigen (z. B. positive Äußerungen des Freundeskreises über
diesen Friseur). Diese Tendenz, nachträglich seine (Kauf-)
Entscheidungen zu rechtfertigen, bestärkt demnach das gewählte Verhalten und unterbindet gleichzeitig die Suche
nach Alternativen. Diese beiden Mechanismen der Reduktion kognitiver Dissonanz führen demnach zu verstärkter
Bindung des Kunden an einen Anbieter.
Wahrgenommenes Risiko
Das Verhalten der Konsumenten ist für sie gewöhnlich mit
Risiken verbunden, da ihre Handlungen Konsequenzen
nach sich ziehen, die unangenehm sein können und sich
vorab nur schwer abschätzen lassen. Bei Kaufsituationen
können mehrere Risikoarten unterschieden werden (Kuß
& Diller, 2001):
Funktionale Risiken beziehen sich auf die erwarteten Eigenschaften von gekauften Gütern, z. B. wenn
sich ein Konsument nicht sicher ist, ob ein gekauftes
Kleidungsstück auch wie gewünscht warm hält.
Das finanzielle Risiko stellt die Befürchtung eines
Konsumenten dar, einen unangemessenen Preis zu
zahlen oder die finanzielle Belastung nicht tragen zu
können.
Ein Konsument sieht sich einem physischen Risiko
gegenüber, wenn er Gesundheitsschäden befürchtet,
-
-
wie z. B. Folgen einer unsachgemäßen Behandlung
durch einen Physiotherapeuten.
Psychologische Risiken kennzeichnen die mangelnde Identifikation mit einem Gut, z. B. wenn sich
ein Konsument nicht sicher ist, ob er chemische
Haushaltsreiniger überhaupt benutzen soll, weil diese
schädlich für die Umwelt sein könnten. Dies wäre
dann gegebenenfalls nicht mit den eigenen Wertvorstellungen zu vereinbaren.
Soziale Risiken spiegeln die Befürchtung wider, im
sozialen Umfeld Ansehen oder den Status verlieren
zu können. Beispielsweise fragt sich ein Konsument
beim Kauf eines Autos, ob die Marke in seinem
Freundes- und Bekanntenkreis anerkannt ist oder
evtl. Spott hervorrufen könnte. Soziale Risiken
können jedoch auch bei Wechselentscheidungen
eine wesentliche Rolle spielen. Dies ist insbesondere
in solchen Dienstleistungen der Fall, die stark durch
soziale Interaktionen mit anderen Nachfragern oder
Kundenkontaktmitarbeitern geprägt sind (z. B. Fitness- und Freizeitdienstleistungen; Dienste sozialer
Netzwerkseiten). So wird der Kunde auf den Wechsel
eines Dienstleistungsanbieters verzichten, wenn mit
der Abwanderung ein Verlust sozialer Beziehungen
zu lieb gewonnenen Kundenkontaktmitarbeitern
oder anderen Nachfragern einhergeht.
8
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22
Kapitel 8 • Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
Ob das wahrgenommene Risiko verhaltenswirksam wird,
hängt von der individuellen Toleranzschwelle eines Konsumenten ab. Überschreitet das wahrgenommene Risiko diese
Toleranzschwelle, sind Konsumenten bestrebt, das Risiko
zu reduzieren (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2013). Eine
Möglichkeit zur Reduktion solcher Risiken besteht darin,
dass ein Kunde wiederholt z. B. ein Produkt einer bestimmten Marke kauft, wodurch mit der Zahl der positiven Erfahrungen das Risiko sinkt, mit einem Kauf unzufrieden zu sein.
Lerntheoretische Erklärungen
Kundenbindung kann auch auf Lernprozesse zurückgeführt
werden, wobei die operante Konditionierung sowie das Lernen am Modell relevant sind (Homburg & Stock-Homburg,
2012). Die Theorie der operanten Konditionierung geht
von folgendem Zusammenhang aus: Folgt auf ein Verhalten eine positive Konsequenz im Sinne einer Belohnung,
steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten in einer
ähnlichen Situation wieder gezeigt wird. Belohnung kann
die positive Konsequenz eines Verhaltens oder aber der
Entzug einer Bestrafung sein. Folgt dagegen eine negative
Konsequenz im Sinne einer Bestrafung, wird das Verhalten
in Zukunft in vergleichbaren Situationen seltener gezeigt.
Bestrafung kann sowohl die Darbietung einer negativen
Konsequenz nach dem gezeigten Verhalten als auch die
Wegnahme einer Belohnung sein (vgl. Nerdinger, 2012).
Kundenbindung entsteht demnach durch Konsequenzen, die auf ein Verhalten des Kunden folgen, z. B. auf den
Kauf einer Ware. Das Verhalten eines Kunden kann durch
Zufriedenheit mit der Ware belohnt oder entsprechend
durch Unzufriedenheit bestraft werden. Eine Belohnung
wird das Verhalten verstärken: Erfüllt ein Produkt oder
eine Dienstleistung die Ansprüche eines Kunden, steigt
die Wahrscheinlichkeit, dass er das gleiche Produkt wieder kauft. Eine Bestrafung im Sinne von Unzufriedenheit
wird dazu führen, dass er das Produkt nicht wieder kauft
(Hoyer, MacInnis & Pieters, 2012). Damit kann die Theorie
des operanten Konditionierens Kundenbindung im Sinne
einer Folge der erlebten Zufriedenheit erklären.
Nach der Theorie des Lernens am Modell kann durch
die Beobachtung von Modellen neues Verhalten erlernt
werden: Wird beobachtet, dass eine Modellperson für
ein bestimmtes Verhalten belohnt wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die beobachtende Person das Verhalten
imitiert. Dazu muss u. a. das Modell der beobachtenden
Person in wichtigen Merkmalen ähnlich sein. Nach dieser
Theorie kann Kundenbindung unterschiedlich erklärt werden (Homburg & Stock-Homburg, 2012):
Lernen durch Imitation: Ein Kunde zeigt sich gegenüber einem Anbieter loyal, da eine Modellperson sich
ebenfalls loyal zu diesem Anbieter verhält.
-
Lernen aus den Konsequenzen des Verhaltens
anderer: Ein Modell ist mit einem Anbieter sehr
zufrieden, verhält sich loyal und kann so Qualitätsrisiken anderer Anbieter ausschließen. Der Kunde wird
das gleiche Verhalten zeigen, da er sich die gleichen
positiven Konsequenzen erhofft.
Die dargestellten Theorien der Kundenbindung und Kundenzufriedenheit ergänzen sich bei der Erklärung dieser
Konzepte; in Abhängigkeit von der Fragestellung können
damit unterschiedliche Probleme untersucht werden. Zu
diesem Zweck müssen aber die Konzepte gemessen werden.
8.4
8.4.1
Messung von Kundenzufriedenheit
und Kundenbindung
Messung der Kundenzufriedenheit
Die Vielzahl von Methoden zur Messung der Kundenzufriedenheit lässt sich nach verschiedenen Kriterien
systematisieren. Häufig wird nach der Art der Messung –
objektiv oder subjektiv – und nach der Orientierung des
Messinhalts unterschieden (vgl. Bruhn, 2013). Dadurch
entsteht folgende Systematisierung (vgl. . Abb. 8.5):
Art der Messung: Objektive Messmethoden erfassen
die Kundenzufriedenheit durch beobachtbare Größen, die nicht von der subjektiven Wahrnehmung
des Konsumenten abhängen, wie z. B. die Zahl der
Beschwerden oder die Verlängerung von Verträgen
mit Mobilfunkanbietern. Subjektive Verfahren legen
die Wahrnehmung der Kunden zugrunde.
Orientierung des Messinhalts: Ereignisorientierte
Verfahren betrachten die Zufriedenheit mit einem speziellen Kontaktereignis, z. B. ein Telefonat.
Merkmalsorientierte Verfahren beziehen sich auf
Produkt-, Service- oder Interaktionsmerkmale, die
der Kunde beurteilt. Problemorientierte Verfahren
versuchen die zufriedenheitsrelevanten Schwierigkeiten zu identifizieren, wie z. B die Auswertung von
Beschwerden (Bruhn, 2013).
-
Im Folgenden werden ausgewählte Verfahren zur subjektiven Messung der Kundenzufriedenheit erläutert.
Merkmalsorientierte Verfahren
Service Quality: SERVQUAL
Der Service-Quality-Fragebogen (SERVQUAL) von Parasuraman, Zeithaml und Berry (1985) wurde zur Messung
der Dienstleistungsqualität entwickelt. Die Forscher betrachten Dienstleistungsqualität als eine subjektive Größe,
d. h. was Kunden als Qualität erleben, ist die Qualität. Ähnlich wie bei der Kundenzufriedenheit wird die Dienstleistungsqualität auf einen Vergleich von Erwartungen und
Leistungen zurückgeführt; die daraus resultierende Erwar-
129
8.4 • Messung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
Ansätze zur Messung von Kundenzufriedenheit
Objektive
Messung
Subjektive
Messung
Merkmalsorientierte
Verfahren
Ereignisorientierte
Verfahren
Problemorientierte
Verfahren
- SERVQUAL
- Messung von
Merkmalswirkungen
- Kritische Ereignismethode
- Beschwerde- und
Lobanalyse
.. Abb. 8.5 Systematisierung der Messansätze von Kundenzufriedenheit. (In Anlehnung an Bruhn, 2013)
tungs-Wahrnehmungs-Lücke definiert die erlebte Qualität.
In diesem Vorgehen wird die Nähe der Dienstleistungsqualität zum Konstrukt der Kundenzufriedenheit ersichtlich
(Stauss, 1999), daher kann die Messung von Service- oder
Dienstleistungsqualität als ein spezieller Fall der Zufriedenheitsmessung betrachtet werden.
Die theoretische Grundlage des SERVQUAL-Messansatzes bildet das Lückenmodell der Servicequalität (engl.:
GAP-Model; vgl. Zeithaml et al., 1992). Dieses Modell
wurde auf der Basis einer explorativen Studie entwickelt,
an der Unternehmen aus vier Dienstleistungsbranchen
teilnahmen, wobei Vertreter der Unternehmen sowie
deren Kunden befragt wurden. Den Anbietern wurden
verschiedene Fragen zur Servicequalität gestellt, z. B. zum
Verständnis von Servicequalität aus Kundenperspektive,
zu Verbesserungsmaßnahmen der Servicequalität und
Problemen beim Erbringen hoher Servicequalität. Die
Kunden wurden zu ihren Erwartungen an die Dienstleistungen befragt. Aus dem Vergleich der Äußerungen ließen sich Lücken identifizieren, d. h. Konfliktbereiche, die
durch unterschiedliche Vorstellungen von Servicequalität
zwischen Kunden und Dienstleistern entstehen können.
Folgende Lücken können die vom Kunden wahrgenommene Dienstleistungsqualität beeinflussen (Zeithaml et al.,
1992, S. 51 ff.):
Lücke 1: Falsche Vorstellungen des Managements von
Kundenerwartungen.
Lücke 2: Fehlende Normen zur Erfüllung der Kundenwünsche (es genügt nicht, die Erwartungen zu
kennen, sondern es müssen auch Leistungsnormen
für die Mitarbeiter existieren).
Lücke 3: Wenn die Leistung nicht den Normen entspricht.
-
-
Lücke 4: Wenn der Service nicht hält, was die Firma
verspricht (diese Lücke entsteht aufgrund übertriebener Werbeversprechen).
Lücke 5: Erwarteter und erlebter Service seitens des
Kunden unterscheiden sich. Diese Lücke umfasst alle
vorhergehenden Lücken; um die Lücke 5 zu schließen, müssen die Lücken 1–4 geschlossen werden.
Mit dem SERVQUAL-Fragebogen wird auf der Grundlage der Lücke 5 die Diskrepanz zwischen erwarteter und
wahrgenommener Leistung aus Kundensicht erfasst. Zur
Operationalisierung des Modells wurden 22 Items entwickelt, die fünf Dimensionen der Dienstleistungsqualität
messen (▶ Übersicht). Zu jedem Item werden sowohl die
Erwartung als auch die Wahrnehmung der tatsächlichen
Leistung erfragt; die Differenz der Aussagen bestimmt das
Ausmaß der Zufriedenheit. In der ▶ Übersicht sind die fünf
Qualitätsdimensionen sowie Beispiele der Items mit den
Soll- und Ist-Fragen dargestellt. Die Fragen beziehen sich
auf Firmen aus der Servicebranche bzw. auf eine bestimmte
Firma. Den Fragen sind Zahlen von 1 bis 7 zuzuordnen,
wobei 1 für „absolut falsch“ und 7 für „absolut richtig“ steht
(Parasuraman et al., 1985).
Die SERVQUAL-Dimensionen und Beispielfragen
für die Soll-Ist-Messung (in Anlehnung an
Zeithaml et al., 1992, S. 202 ff.)
Dimension 1: Materielles
a. Soll-Frage: Zu hervorragenden Unternehmen der
Dienstleistungsbranche … gehören modern aussehende Betriebs-/Geschäftsausrüstungen.
8
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1
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3
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5
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8
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11
Kapitel 8 • Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
b. Ist-Frage: Firma X hat modern aussehende Betriebs-/Geschäftsausrüstungen.
Dimension 2: Zuverlässigkeit
a. Soll-Frage: Wenn hervorragende Firmen der Branche … versprechen, etwas zu einem bestimmten
Termin zu erledigen, wird der Termin eingehalten.
b. Ist-Frage: Wenn Firma X verspricht, etwas zu einem
bestimmten Termin zu erledigen, hält sie den Termin ein.
Dimension 3: Entgegenkommen
a. Soll-Frage: Arbeitnehmer hervorragender Firmen
der Branche … werden Kunden prompt bedienen.
b. Ist-Frage: Mitarbeiter der Firma X bedienen Sie
prompt.
Dimension 4: Souveränität
a. Soll-Frage: Arbeitnehmer hervorragender Firmen
der Branche … sind stets gleich bleibend höflich zu
den Kunden.
b. Ist-Frage: Mitarbeiter der Firma X sind stets gleich
bleibend höflich zu Ihnen.
Dimension 5: Einfühlung
a. Soll-Frage: Hervorragende Unternehmen der Branche … widmen jedem ihrer Kunden individuelle
Aufmerksamkeit.
b. Ist-Frage: Die Firma X widmet Ihnen individuelle
Aufmerksamkeit.
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22
Messung von Merkmalswirkungen
Im Kano-Modell der Kundenzufriedenheit (▶ Abschn. 8.3.1) wird zwischen Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren unterschieden. Wie kann man diese Faktoren ermitteln? Zu diesem Zweck wurde ein spezifisches
Verfahren entwickelt, das von der explorativen Erhebung
von kundenspezifischen Produktanforderungen ausgeht
(vgl. zum Folgenden Bailom et al., 1996). Ziel ist dabei eine
tiefgehende Analyse der „echten“ Kundenprobleme und
Bedürfnisse (im Gegensatz zur bloßen Registrierung der
geäußerten Wünsche der Kunden). Die so identifizierten
Produktanforderungen werden anschließend nach der
Stärke ihres Einflusses auf die Zufriedenheit der Kunden
eingeordnet, d. h. danach, ob es sich um Basis-, Leistungsoder Begeisterungsfaktoren handelt. Dies geschieht mithilfe eines Fragebogens, in dem pro Produktanforderung
zwei Fragen gestellt werden, eine funktionale und eine
dysfunktionale Frage. Die funktionale Frage erfasst die
Reaktion des Kunden, wenn das jeweilige Leistungsmerkmal vorhanden ist. Die dysfunktionale Frage bezieht sich
auf die Reaktion des Kunden, wenn das Merkmal nicht
vorhanden ist (▶ Beispiel, in Anlehnung an Bailom et al.,
1996). Zusätzlich zu den funktionalen und dysfunktionalen Fragen wird gewöhnlich pro Produkteigenschaft die
Beurteilung des derzeitigen Produkts hinsichtlich dieses
Merkmals sowie die subjektive Wichtigkeit für den Kunden
erfragt.
Beispiel
Zwar kann der vorgenommene Soll-Ist-Vergleich hilfreich
bei der Analyse von Schwachstellen sein, das methodische
Vorgehen wurde aber auch stark kritisiert (vgl. Leimeister,
2012). So hat es sich als nicht sinnvoll erwiesen, mit einem
universellen Fragebogen alle Dienstleistungen zu untersuchen, vielmehr müssen jeweils die branchenspezifischen
Besonderheiten einer konkreten Dienstleistung berücksichtigt werden (Hentschel, 2000). Außerdem finden sich
bisher kaum empirische Belege für die Relevanz einer
separaten Messung von Wahrnehmung und Erwartung,
vielmehr bildet die Messung der aktuellen Ausprägung
einer Leistung ohne die separate Erfassung der Erwartungen die Wahrnehmung der Servicequalität aus Kundensicht am besten ab. Diesen Kritikpunkt haben Cronin
und Taylor (1992) aufgegriffen und einen Fragebogen zur
Messung der Dienstleistungsqualität entwickelt – den
sog. SERVPERF (für „service performance“) ‒, der ausschließlich die tatsächliche Leistungsbeurteilung erfasst.
Dieser Fragebogen hat sich allerdings in der Praxis kaum
durchgesetzt, d. h. trotz der vielfältigen Kritik ist SERVQUAL immer noch eines der am häufigsten eingesetzten
Messinstrumente zur Erfassung der Kundenzufriedenheit
(Coulthard, 2004).
| |
Funktionale Frage: Wenn Sie die Kassiererin im Supermarkt begrüßt, wie denken Sie darüber?
1. Das würde mich sehr freuen.
2. Das setze ich voraus.
3. Das ist mir egal.
4. Das könnte ich evtl. in Kauf nehmen.
5. Das würde mich sehr stören.
Dysfunktionale Frage: Wenn Sie die Kassiererin im Supermarkt nicht begrüßt, wie denken Sie darüber?
1. Das würde mich sehr freuen.
2. Das setze ich voraus.
3. Das ist mir egal.
4. Das könnte ich evtl. in Kauf nehmen.
5. Das würde mich sehr stören.
Bei der Auswertung der Daten werden zunächst die Antworten in die Kano-Auswertungstabelle (. Abb. 8.6) eingetragen. So lässt sich das jeweilige Leistungsmerkmal als Basis-, Leistungs- oder Begeisterungsmerkmal identifizieren.
Neben den drei genannten Faktoren wird auch nach
Faktoren unterschieden, denen gegenüber der Kunde indifferent ist, d. h. es ist ihm egal, ob die jeweilige Eigenschaft
131
8.4 • Messung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
Funktionale (positive) Frage
Produktanforderung
Dysfunktionale (negative) Frage
4. Könnte
ich in Kauf
nehmen
5. Würde
mich sehr
stören
A
A
O
I
I
I
M
R
I
I
I
M
4. Könnte
ich in Kauf
nehmen
R
I
I
I
M
5. Würde
mich sehr
stören
R
R
R
R
Q
1. Würde
mich sehr
freuen
2. Setze
ich voraus
1. Würde
mich sehr
freuen
Q
A
2. Setze
ich voraus
R
3. Das ist
mir egal
A(ttractive): Begeisterungsanforderung
3. Das ist
mir egal
O(ne-dimensional): Leistungsanforderung
M(ust-be): Basisanforderung
Q(uestionable): Fragwürdig
R(everse): Entgegengesetzt
I(ndifferent): Indifferent
.. Abb. 8.6 Kano-Auswertungstabelle. (Nach Bailom et al., 1996, © Japanese Society for Quality Control)
vorliegt oder nicht. Für diese Faktoren wäre er nicht bereit,
Geld auszugeben. In das Feld „Q“ fällt ein Leistungsmerkmal, wenn ein Ergebnis als fraglich eingestuft wird, z. B.
wenn sowohl bei der funktionalen als auch bei der dysfunktionalen Frage „Würde mich sehr freuen“ angegeben
wird. Produkteigenschaften, die in das Feld „R“ eingeordnet werden, sind vom Kunden nicht gewollt.
Anschließend werden die Ergebnisse nach Häufigkeiten zusammengefasst, sodass eine Übersicht entsteht, wie
häufig die einzelnen Produkteigenschaften in die jeweilige
Faktorkategorie eingestuft wurden. Die Kano-Methode
ermöglicht Aussagen darüber, ob die Erfüllung einer Produktanforderung die Kundenzufriedenheit steigern kann
oder ob damit nur Unzufriedenheit vorgebeugt wird. Je
nach Ziel der Befragung ist eine unterschiedliche Tiefe in
der Auswertung erforderlich (zum detaillierten Vorgehen
vgl. Bailom et al., 1996). Problematisch ist auch der hohe
Befragungsaufwand, da zu jedem Leistungsmerkmal mindestens drei Fragen zu stellen sind. Der Fragebogen wird
daher sehr lang und die Befragung kostenintensiv. Zudem
sind dysfunktionale Fragen z. T. nicht nachvollziehbar, da
Kunden das Fehlen einer erwünschten Eigenschaft normalerweise nicht positiv stimmt (Groß-Engelmann, 1999).
Ereignisorientierte Verfahren:
Methode der kritischen Ereignisse
Die Methode der kritischen Ereignisse geht auf Flanagan
(1954) zurück, der sie ursprünglich für die Analyse von
Arbeit entwickelt hat. Mit dieser Methode werden Informationen über Ereignisse erhoben, die für den beruflichen
Erfolg positiv oder negativ sind. Unter einem Ereignis ist
beobachtbares menschliches Verhalten zu verstehen, das
in bestimmten Situationen gezeigt wird und Rückschlüsse
bzw. Vorhersagen auf das künftige Verhalten der Person
zulässt. Kritisch ist ein Ereignis, wenn dieses Verhalten
Einfluss auf das Ziel der untersuchten Aktivität hat, also
wenn z. B. in einem Verkaufsgespräch die Unfreundlichkeit
des Verkäufers dazu führt, dass der Kunde nichts kauft.
Ziel ist es, effektive bzw. ineffektive Verhaltensweisen möglichst umfassend zu identifizieren und konkrete Beispiele
hierfür zu sammeln.
Flanagan (1954) liefert keine festen Regeln, nach denen
die Methode durchzuführen ist, sondern flexible Richtlinien, die an jede Situation angepasst werden müssen. Methodische Mindestanforderungen sind jedoch zu beachten
(Kaiser, 2005, S. 158):
Die von den Befragten geschilderten kritischen Ereignisse müssen sich auf erlebtes Verhalten beziehen.
Die befragte Person muss unmittelbar in das Ereignis
involviert sein.
Die wesentlichen Bestimmungsgrößen der kritischen
Ereignisse müssen bei der Schilderung des Erlebnisprozesses enthalten sein.
Die kritischen Ereignisse müssen begründet sein, d. h
es muss klar werden, warum ein Ereignis als kritisch
erachtet wird.
-
Bitner, Booms und Tetreault (1990) haben das Verfahren
auf den Bereich der Kundenzufriedenheit angewendet
(▶ Info-Box).
8
Kapitel 8 • Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
132
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22
Info-Box
| |
Kritische Ereignisse in der Begegnung
zwischen Mitarbeiter und Kunde
Bitner et al. (1990) haben Kunden von Fluggesellschaften, Hotels und Restaurants mit der Methode der kritischen Ereignisse befragt. Die Kunden wurden gefragt:
„Denken Sie an eine Begegnung mit einem Mitarbeiter
einer Fluggesellschaft/eines Hotels/eines Restaurants,
die Sie besonders zufrieden (unzufrieden) gestellt hat.
Erzählen Sie mir bitte genau, was dabei passiert ist.“
Rund 700 Ereignisse wurden gesammelt, jeweils ca.
die Hälfte zufriedenstellende sowie nicht zufriedenstellende.
Die Ereignisse wurden anschließend nach drei Gruppen
geordnet:
Reaktionen der Mitarbeiter auf Fehler, z. B.: „Das
Essen im Restaurant wurde erst nach sehr langer
Zeit serviert, aber der Kellner entschuldigte sich
und schenkte zum Abschluss eine Flasche Wein.“
Reaktionen der Mitarbeiter auf Wünsche und
Bedürfnisse der Kunden, z. B.: „Das Hotelzimmer
war sehr laut, doch der Mitarbeiter an der Rezeption wollte mir kein anderes Zimmer geben.“
Spontane Reaktionen der Mitarbeiter, z. B.: „Als
die Stewardess merkte, dass ich stark hustete,
brachte sie mir ein Glas Wasser.“
Die identifizierten Faktoren wirken in unterschiedlichem Maße auf die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit
der Kunden. Den größten Einfluss auf die Unzufriedenheit der Kunden hat die Reaktion der Servicemitarbeiter auf Fehler. Reagieren Mitarbeiter jedoch positiv auf
Fehler, so können Kunden sogar zufrieden gestellt werden, obwohl ursprünglich ein Fehler vorlag. Die Reaktion der Mitarbeiter auf Wünsche und Bedürfnisse der
Kunden beeinflusst in erster Linie die Zufriedenheit der
Kunden. Durch spontane Handlungen der Mitarbeiter
können Kunden begeistert werden, da keine Erwartungen diesbezüglich bestehen. Widersprechen spontane
Handlungen jedoch den Wünschen und Bedürfnissen
der Kunden, können sie auch hohe Unzufriedenheit
auslösen.
-
Die mit der Methode der kritischen Ereignisse identifizierten Faktoren können als Basis für konkrete Handlungsempfehlungen einer kundenorientierten Unternehmensführung angesehen werden (vgl. Nerdinger, 2003).
Sie können z. B. Ausgangspunkt für die Entwicklung von
firmenspezifischen Kundenzufriedenheitsmessungen sein
oder wichtige Hinweise für die Schulung von Mitarbeitern geben. Allerdings erweist sich die Anwendung dieser
Methode als sehr aufwändig, zudem sind die Reliabilität
und die Validität der Daten umstritten. Problematisch ist
auch, dass der Forscher häufig bei der Auswertung nicht
eindeutig interpretierbare Daten subjektiv bewerten muss,
z. B. bei der Zuordnung der Ereignisse zu Kategorien. Fraglich ist zudem, ob die vom Kunden genannten Ereignisse
wirklich ihre Zufriedenheit beeinflusst haben. So werden
jüngere oder gut zur Stimmung passende Ereignisse besser
erinnert, wogegen man sich an andere Ereignisse, die möglicherweise für das Zufriedenheitsempfinden bedeutsamer
sind, nicht erinnert (Kaiser, 2005).
Durch die Methode der kritischen Ereignisse werden
nur extreme Ereignisse erfasst, eine Betrachtung von Prozessen findet gewöhnlich nicht statt. Dieser Kritikpunkt
ist in der sequentiellen Ereignismethode berücksichtigt
(Stauss & Weinlich, 1996). Das Verfahren, das speziell
für die Anwendung im Dienstleistungsbereich entwickelt
wurde, berücksichtigt sämtliche Kontaktpunkte zwischen
Anbieter und Kunde. Damit werden im Zeitablauf positive und negative Ereignisse in Bezug auf die vom Kunden
wahrgenommene Dienstleistungsqualität ermittelt.
Problemorientierte Verfahren:
Beschwerde- und Lobanalyse
Bei Beschwerden äußert der Kunde seine Unzufriedenheit
bzw. bei Lob seine besondere Zufriedenheit mit Vorfällen,
die die Zweckmäßigkeit und/oder Güte der erlebten Leistung hervorheben bzw. infrage stellen (Hentschel, 1992).
Da diese Form der Kommunikation vom Kunden ausgeht,
ist keine spezielle Methode zur Erhebung von Beschwerde
und Lob angezeigt. Empfehlenswert sind aber unternehmerische Maßnahmen, die den Kunden die Kommunikation erleichtern, z. B. kostenlose Beschwerdehotlines
(Stauss & Seidel, 2004) oder Internet-Feedback-Seiten
(Stauss, 2009). Bei der Auswertung der Daten sind verschiedene Analysephasen zu durchlaufen, wie die Selektion geeigneter, d. h. aussagekräftiger Kundenmeldungen,
die Bildung von Problemkategorien, die Zuordnung der
Beschwerden bzw. der Anerkennungen zu diesen Kategorien sowie die Bestimmung der Häufigkeiten und die
Berichterstattung.
Da Beschwerden und Lob kundeninitiiert erfolgen,
sind die damit gewonnenen Informationen von hoher Relevanz und Aktualität. Zudem ist die Beschwerde- und Lobanalyse eine kostengünstige Methode. Allerdings geben
die Informationen nur Ausschnitte der Realität wieder; so
sind die sich beschwerenden bzw. lobenden Kunden nicht
repräsentativ für die anderen Kunden (Stauss & Hentschel,
1990). Empirisch konnte z. B. ein hoher Anteil von „unvoiced complaints“ nachgewiesen werden, d. h. obwohl die
Kunden einen Grund gehabt hätten, beschwerten sie sich
nicht, u. a. wegen des als zu hoch eingeschätzten Beschwerdeaufwands (Stauss & Seidel, 2008).
133
8.5 • Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
8.4.2
Messung der Kundenbindung
Die Entwicklung von Methoden zur Messung der Kundenbindung wurde bislang stark vernachlässigt, daher werden
im Folgenden lediglich einige Messmöglichkeiten erwähnt.
Ausgangspunkt bildet dabei die Definition von Kundenbindung (▶ Abschn. 8.2.2), die sowohl auf das bisherige als
auch das zukünftige Verhalten des Konsumenten zielt. Daher muss auch bei der Messung des Konstrukts zwischen
der Ex-post-Messung des tatsächlich gezeigten Verhaltens
(Grad der Kundenbindung) und der Ex-ante-Messung
(Qualität bzw. Stabilität einer Bindung) unterschieden
werden. Im Rahmen der Ex-post-Messung der Kundenbindung sind mehrere Messansätze denkbar. So können
z. B. Umsatz oder Marktanteil als Indikatoren für Kundenbindung dienen. Nachteilig sind hierbei jedoch z. B.
die fehlende Unterscheidbarkeit zwischen Erst- und Wiederkäufern sowie die Wirkung situativer Einflüsse (z. B.
die konjunkturelle Lage). Daneben sind auch Größen wie
die Kundenabwanderungsrate sowie die durchschnittliche
Dauer einer Kundenbeziehung als Messansatz vorstellbar.
Aufgrund der Ex-post-Betrachtung sind diese Größen allerdings nur eingeschränkt für eine aktive Unternehmenssteuerung einsetzbar (Meyer & Oevermann, 1995).
Bei der Ex-ante-Messung handelt es sich hauptsächlich um die Messung psychologischer Konstrukte, die im
Zusammenhang mit der Kundenbindung stehen sollen,
z. B. die Beschwerdezufriedenheit, die Wiederkaufabsicht
(Meyer & Oevermann, 1995) oder das einstellungsbezogene Commitment (vgl. Moser, 2002; Bansal et al., 2004).
Diese psychologischen Konstrukte werden in der Literatur
z. T. als Indikator des zukünftigen Verhaltens angesehen.
Auf den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit
und Kundenbindung wird im nachfolgenden Abschnitt
eingegangen.
8.5
Zusammenhang zwischen
Kundenzufriedenheit
und Kundenbindung
Der große Aufwand, der bei der Messung der Kundenzufriedenheit betrieben wird, wird nicht zuletzt mit der Erwartung betrieben, dadurch die Bindung der Kunden an
das Unternehmen vorhersagen zu können. Das erfordert
einen Zusammenhang der Konstrukte – eine Annahme,
die nicht unumstritten ist und daher abschließend noch
etwas genauer betrachtet wird.
Gewöhnlich wird Kundenbindung als eine mögliche
Auswirkung von Kundenzufriedenheit betrachtet, weshalb
eine Vielzahl empirischer Untersuchungen zum Zusammenhang der beiden Konstrukte durchgeführt wurde. In
diesen Arbeiten wird allerdings Kundenbindung gewöhn-
lich durch die Verhaltensabsicht und nicht durch das tatsächlich gezeigte Verhalten erfasst. Die Studien lassen sich
im Wesentlichen in drei Kategorien einteilen (Homburg
& Bucerius, 2012):
1. Studien, die den Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung betrachten,
2. Studien über den funktionalen Verlauf des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung,
3. Studien zur Analyse von Moderatorvariablen des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und
Kundenbindung.
Zunächst zu den Studien der ersten Kategorie. Die Untersuchungen wurden in den verschiedensten Branchen
durchgeführt, wobei der Mehrzahl das Diskonfirmationsparadigma zugrunde liegt. Das typische Vorgehen ist in der
▶ Info-Box exemplarisch anhand einer Studie dargestellt.
Info-Box
| |
Kundenzufriedenheit
im Business-to-Business-­Bereich
Patterson, Johnson und Spreng (1997) untersuchten
Kundenzufriedenheit im Geschäftskundenbereich.
Hierzu befragten sie Unternehmensberater und ihre
Klienten. Ziel der Studie war es u. a., den Entstehungsprozess von Kundenzufriedenheit zu untersuchen. Das
Diskonfirmationsparadigma diente als Basis für die
Untersuchungen. Ausgangspunkt war die Hypothese,
dass sich Kundenzufriedenheit positiv auf die Wiederkaufabsicht auswirkt.
Gemessen wurden die Erwartung der Kunden vor
dem „Kauf“ (Durchführung von Projekten) und die
Erwartungserfüllung nach dem Kauf im Abstand von
12 Monaten. Die Erwartungen wurden als Vorhersage
zukünftiger Leistungen mit 26 Items erfasst, über die
ein Index gebildet wurde. Nach Erbringung der Leistung wurde die Wahrnehmung der Leistung mit den
gleichen 26 Items gemessen. Diskonfirmation wurde
global erfasst („besser oder schlechter als erwartet“).
Zusätzlich wurden die Zufriedenheit mit der Leistung
sowie die Wiederkaufabsicht gemessen.
Wie sich zeigt, ist das Diskonfirmationsparadigma
auch im Geschäftskundenbereich gültig: Je höher die
Erwartungen sind, desto weniger wahrscheinlich ist
es, dass die wahrgenommene Leistung die Erwartungen erfüllt. Dagegen wirkt sich die wahrgenommene
Leistung positiv auf die Diskonfirmation aus: Je besser
die Ist-Leistung eingeschätzt wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Erwartungen erfüllt werden.
Zudem wirkt eine positive Diskonfirmation positiv auf
8
134
1
Kapitel 8 • Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
die Kundenzufriedenheit. Schließlich fand sich auch ein
Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Wiederkaufabsicht, d. h. die Kundenzufriedenheit wirkt sich
positiv auf die Wiederkaufabsicht aus.
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Auch eine Reihe anderer Studien konnte einen positiven
Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und
Aspekten von Kundenbindung nachweisen (vgl. zusammenfassend Homburg & Bucerius, 2012). So konnte beispielsweise Bitner (1990) in einer Studie zur Bewertung
von Dienstleistungen bei Fluggästen feststellen, dass
Kundenzufriedenheit positiv auf die Wahrnehmung der
Dienstleistungsqualität wirkt, die wiederum die Kundenbindung positiv beeinflusst. Gerpott und Rams (2000)
befragten Kunden von Mobilfunkbetreibern und fanden
einen positiven Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung. Schließlich wurde auch in
einer Metaanalyse über 50 Studien zur Kundenzufriedenheit (Szymanski & Henard, 2001) ein Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und der Wiederkaufabsicht
nachgewiesen.
Daneben finden sich aber auch Hinweise, dass es offensichtlich auch Kunden gibt, die trotz Zufriedenheit die Geschäftsbeziehung abbrechen. Einen Erklärungsansatz für
dieses Phänomen liefert das qualitative Kundenzufriedenheitsmodell von Stauss und Neuhaus (2004). Dem Modell liegt die Überlegung zugrunde, dass die Qualität des
Zufriedenheitsempfindens, das je nach Persönlichkeit unterschiedlich ausfällt, über den Zusammenhang zwischen
den beiden Größen entscheidet. Im qualitativen Kundenzufriedenheitsmodell werden fünf Zufriedenheitstypen
unterschieden (Stauss & Neuhaus, 2004):
Fordernd Zufriedene stehen dem Anbieter mit
positiven Gefühlen wie Optimismus und Zuversicht
gegenüber. Sie erwarten aufgrund ihrer bisherigen
Erfahrungen, dass der Anbieter auch in Zukunft
steigende Ansprüche zufriedenstellen kann. Die
Geschäftsbeziehung möchten sie aufrechterhalten,
Leistungssteigerungen sind dafür jedoch Bedingung.
Stabil Zufriedene bringen dem Anbieter ebenfalls
positive Gefühle der Bestätigung und des Vertrauens
entgegen. Im Vergleich zu den fordernd Zufriedenen sind sie jedoch passiv, was die Anforderungen
und Ansprüche gegenüber dem Anbieter betrifft. Sie
erwarten, dass alles so bleibt, wie gehabt. Die Geschäftsbeziehung möchten sie ohne Veränderungen
beibehalten.
Resigniert Zufriedene fühlen gegenüber dem Anbieter Gleichgültigkeit. Sie schätzen die Beziehung so
ein, dass sie nicht mehr als das bisher schon Erhaltene erwarten können. Dennoch möchten sie die
-
-
Beziehung aufrechterhalten, da sie auch von anderen
Anbietern nicht mehr erwarten.
Stabil Unzufriedene sind vom Anbieter enttäuscht
und empfinden Ratlosigkeit. Trotz der Unzufriedenheit verhalten sie sich passiv. Sie erwarten eigentlich mehr, wissen aber nicht, was sie dafür machen
können. Konsumenten dieses Typs sind zwar zum
Wechsel bereit, werden aber aufgrund ihrer Passivität
in der Geschäftsbeziehung verharren, bis ein spezieller Anstoß erfolgt.
Fordernd Unzufriedene sind in Bezug auf ihr Anspruchs- und Forderungsverhalten sehr aktiv und
neigen zum Protest gegenüber dem Anbieter. Sie
erwarten, dass sich das bisherige Leistungsangebot
erheblich verbessert, und fordern dies auch ein. Die
Geschäftsbeziehung werden sie aufrechterhalten,
wenn ihre Forderungen beachtet werden, andernfalls
wechseln sie den Anbieter.
Stauss und Neuhaus (2004) konnten diese Typologie auch
empirisch belegen. Das qualitative Kundenzufriedenheitsmodell kann daher – ohne Anspruch auf Vollständigkeit
– auch empirisch überzeugend verdeutlichen, dass Kundenzufriedenheit nicht automatisch zu Kundenbindung
führen muss (Kaiser, 2005).
Die bislang dargestellte erste Kategorie der Studien
stellt einen positiven Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung fest, wobei ein linearer
Verlauf unterstellt wird. Die zweite Kategorie von Untersuchungen widmet sich der Frage nach den Formen funktionaler Zusammenhänge (vgl. Kumar, Pozza & Ganesh,
2013). In mehreren Studien wurden unterschiedliche Verlaufsformen festgestellt (vgl. . Abb. 8.7).
In einigen Untersuchungen zeigte sich ein progressiver Zusammenhang, der besagt: Wenn die Zufriedenheit
hoch ist, wird schon bei einer kleinen Verschlechterung des
Zufriedenheitsniveaus die Absicht zum Wiederkauf stark
sinken. Wenn dagegen ein Anbieter seine bisher schon zufriedenen Kunden noch etwas mehr zufriedenstellen kann,
so hat dies große Auswirkungen auf die Kundenbindung.
Dafür finden sich auch empirische Belege. In einer Studie von Jones und Sasser (1995) wurden Kunden aus der
Automobilbranche gefragt, ob sie ihr Auto wieder kaufen
würden. Zwischen zufriedenen Kunden und äußerst zufriedenen Kunden zeigte sich ein deutlicher Unterschied
in der Wiederkaufabsicht.
Zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
kann auch ein sattelförmiger Zusammenhang bestehen.
Erst wenn die Kundenzufriedenheit über einem bestimmten Level liegt, hat dies starke Auswirkung auf die Kundenbindung. Kunden sind einem Anbieter emotional erst
dann besonders verbunden, wenn ein gewisser Indifferenzbereich überschritten wird.
135
8.5 • Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
b
Sattelförmiger Zusammenhang
Kundenloyalität
Progressiver Zusammenhang
Kundenloyalität
a
Indifferenzbereich
Kundenzufriedenheit
d
S-förmiger Zusammenhang
Kundenloyalität
Degressiver Zusammenhang
Kundenloyalität
c
Kundenzufriedenheit
Kundenzufriedenheit
Kundenzufriedenheit
.. Abb. 8.7 Mögliche funktionale Zusammenhänge zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung. (In Anlehnung an Homburg & Bucerius, 2012)
Jones und Sasser (1995) konnten auch einen degressiven Zusammenhang feststellen. Sie fanden, dass unter
gewissen Umständen ein kleiner Anstieg in der Zufriedenheit der Kunden große Auswirkungen auf deren Wiederkaufabsichten haben kann. Ist das Zufriedenheitsniveau
der Kunden jedoch schon relativ hoch, so hat eine geringe
Verschlechterung nur relativ wenige Auswirkungen auf die
Zufriedenheit.
Eine vierte Form des funktionalen Verlaufs bildet der
s-förmige Zusammenhang. Burmann (1991) untersuchte
die Beziehung zwischen Konsumentenzufriedenheit und
Marken- und Händlerloyalität im Automobilbereich. Ein
s-förmiger Zusammenhang konnte zwischen Konsumentenzufriedenheit und Markenbindung gezeigt werden.
Kunden mit einem hohen Zufriedenheitslevel reagieren
weniger sensibel auf ein Sinken der Zufriedenheit als Kunden, deren Zufriedenheit unter einem bestimmten Wert
liegt.
Wie können diese Funktionsverläufe begründet werden? Jones und Sasser (1995) gehen davon aus, dass die
unterschiedlichen Verläufe aus der verschieden starken
Wettbewerbsintensität der Märkte resultieren. Sie konnten belegen, dass in hoch kompetitiven Märkten progressive und in Märkten mit geringerer Wettbewerbsintensität
eher degressive Zusammenhänge vorliegen. Eine allgemein
akzeptierte Theorie zur Erklärung der funktionalen Zusammenhänge liegt jedoch noch nicht vor (Homburg &
Bucerius, 2012).
Die Tatsache, dass Kundenzufriedenheit nur einen Teil
der Kundenbindung erklärt (Dagger & David, 2012), ist
der Ansatzpunkt der dritten Kategorie von Studien, die
den Einfluss von Moderatorvariablen auf den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
untersucht. Methodisch betrachtet sind Moderatoren Variablen, die sich stärkend oder schwächend auf den Zusammenhang zwischen zwei anderen Variablen auswirken.
In empirischen Untersuchungen ließen sich verschiedene
Moderatoren des Zusammenhangs von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung identifizieren. Beispielsweise können hohe Wechselkosten der Kunden zu einer
als unfreiwillig erlebten Bindung an den Anbieter beitragen und den Zusammenhang von Kundenzufriedenheit
und Kundenbindung schwächen (Dagger & David, 2012).
Ebenso wichtig ist das Involvement der Kunden. Involvierte Kunden legen mehr Wert auf die Qualität als weniger
involvierte Kunden und geben mehr Geld aus, wenn sie
mit der Leistung zufrieden sind (Seiders, Voss, Gewal &
Godfrey, 2005).
8
Kapitel 8 • Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
136
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??
Kontrollfragen
1. Was besagt das Diskonfirmationsparadigma?
2. Welche emotionalen Bindungsursachen lassen sich
unterscheiden?
3. Was besagt die Assimilations-Kontrast-Theorie mit
Blick auf die Entstehung von Kundenzufriedenheit?
4. Wie erklärt das Kano-Modell die Entstehung von
Kundenzufriedenheit?
5. Wie wird mit dem SERVQUAL Kundenzufriedenheit
gemessen?
Fazit
Die langfristige Bindung von Kunden stellt einen entscheidenden Erfolgsfaktor für Unternehmen dar. Eine wichtige Bedingung der Kundenbindung bildet die Kundenzufriedenheit.
Kundenzufriedenheit führt aber nicht automatisch zu Kundenbindung. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden
Konstrukten ist offensichtlich sehr viel komplexer als bislang
angenommen. Empirische Untersuchungen zeigen verschiedene Formen des Zusammenhangs, d. h. dass Veränderungen
der Kundenzufriedenheit zu unterschiedlichen Auswirkungen
in der Kundenbindung führen können. Zur Stärkung der Kundenbindung müssen zudem auch andere Faktoren berücksichtigt werden.
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Campus.
8
139
Marketinginstrumente –
psychologisch betrachtet
Georg Felser
9.1
Psychologie und Marketing – 140
9.2
Produktpolitik – 141
9.2.1
Passung von Marke und Produkt – 141
9.2.2
9.2.3
Produkt- und Markennamen – 142
Multisensuale Gestaltung von Produkten – 144
9.3
Preis- und Konditionenpolitik – 145
9.3.1
9.3.2
9.3.3
Preis und Absatz – 145
Preisstruktur – 146
Rückgabegarantien – 147
9.4
Vertriebspolitik – 148
9.4.1
9.4.2
Direktmarketing – 149
Gestaltung der Verkaufsräume – 151
9.5
Kommunikationspolitik – 153
9.5.1
9.5.2
Public Relations – 153
Kommunikation mit Multiplikatoren und die
Diffusion von Produktinnovationen – 154
Die direkte Kommunikation mit dem Kunden – 156
9.5.3
Literatur – 158
K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie, Springer-Lehrbuch,
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
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Kapitel 9 • Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet
Das Benediktinerkloster Andechs oberhalb des Ammersees ist
seit Jahrhunderten für sein Bier berühmt. Als aber Anfang der
90er Jahre der Biermarkt in Deutschland stagnierte, brachte
das auch die Andechser Klosterbrüder in Bedrängnis. Gemäß ihrer Ordensregel steuerten die Mönche aber nicht nur
durch Gebet, sondern auch durch tatkräftige Arbeit dagegen.
Heute ist Andechs nicht nur eine berühmte Abtei, sondern
auch eine Marke. Unter dem Namen „Kloster Andechs“ werden die Erzeugnisse der wohl kleinsten nationalen Biermarke
Deutschlands verkauft (117.000 Hektoliter im Jahr 2009). Kloster Andechs ist aber ebenso rege im Tourismus-, Kultur- und
Tagungsmarketing. Mit seinen Carl-Orff-Festspielen und dem
Traum von einem Festspielhaus droht Andechs gar Bayreuth
Konkurrenz zu machen.
Außerdem sind die Brüder vom heiligen Berg ins Lizenzgeschäft eingestiegen: Ausgewählte Premiumprodukte vom
Käse, Senf, Brot bis zum Schnupftabak dürfen nach Prüfung
der Rohstoffe und Zutaten unter der Dachmarke „Kloster Andechs“ vertrieben werden. Wer die Abtei besucht, kann dort
neben dem Bier auch reichlich Merchandisingartikel erwerben: Mützen, Taschen, Regenschirme und natürlich Biergläser.
Hinter diesen wirtschaftlichen Aktivitäten steht ein Marketingkonzept, das die ursprünglichen Ziele des Benediktinerordens integriert: Die Mönche erwirtschaften keinen Privatbesitz, sondern finanzieren von ihren Erträgen ihre karitativen
Projekte, errichten ein Pilgerhotel oder bieten „Ethikberatung“
an (Etscheit, 2002; von Hardenberg, 2010; Wieking, 2000).
9.1
Psychologie und Marketing
„Marketing – das ist doch im Grunde alles Psychologie.“
Für eine solche Behauptung finden sich schnell Belege.
Die meisten Marketingmaßnahmen setzen voraus, dass
bestimmte Annahmen über das Verhalten von Menschen
zutreffen, dass Menschen bestimmte Bedürfnisse haben
und dass bestimmte psychologische Gesetzmäßigkeiten
gelten. Jede Facette des Marketings lässt sich daher aus einem psychologischen Blickwinkel betrachten – dass dies
möglich ist, soll der folgende Beitrag belegen.
Und doch lässt sich Marketing nicht vollständig auf
Psychologie zurückführen. Das ist nicht nur deshalb so,
weil die klassischen Marketingthemen mehr umfassen
als nur Annahmen zum menschlichen Verhalten: Zum
Beispiel braucht die Preispolitik neben fundierten Erwartungen zum Verhalten im Markt und über die Preiswahrnehmung der Kunden noch eine solide Kosten- und
Leistungsrechnung. Die Vertriebspolitik muss nicht nur
einkalkulieren, wie die Kunden einzelne Absatzwege wahrnehmen und nutzen, sie braucht zudem auch eine funktionierende Logistik. Wichtiger noch ist aber ein anderer
Unterschied zwischen Marketing und Psychologie: Zum
Marketing gehört im besten Fall immer ein umfassendes
Konzept, eine abgestimmte Strategie, die nicht auf ihre
Einzelmaßnahmen reduzierbar ist. Aus diesem breiteren
Blickwinkel heraus werden im Marketing üblicherweise
Maßnahmen oder Instrumente kombiniert, um Effekte zu
erzielen. Die Psychologie konzentriert sich im Vergleich
hierzu eher auf das Individuum als auf den Markt, sie
richtet sich weniger auf das Ganze als auf einzelne Mechanismen und Mikroprozesse. Dies ist keine generelle und
zwangsläufige Eigenschaft der Psychologie, aber typisch
ist sie schon. Sie zeigt sich z. B. darin, wie Psychologie –
insbesondere hier natürlich Konsumentenpsychologie –
betrieben wird. Forschungsarbeiten etwa aus dem Journal
of Consumer Research oder dem Journal of Consumer Psychology thematisieren in erster Linie einzelne Effekte und
isolierte Prozesse. Würde man Marketing auf diese Perspektive reduzieren, geriete leicht die Forderung aus dem
Blick, dass gutes Marketing nicht bei einzelnen Phänomenen stehen bleiben, sondern diese in ein Gesamtkonzept
integrieren sollte.
Das in weiten Teilen der Psychologie dominierende
experimentelle Paradigma ist zudem im Marketing nur
begrenzt umsetzbar: Einzelne Elemente einer Marketingkonzeption lassen sich experimentell noch verhältnismäßig leicht testen. Das gesamte Konzept ist aber im Rahmen
eines Experiments kaum prüfbar. So ist es schon nahezu
unmöglich, den Erfolg eines Produkts im Markt eindeutig
kausal auf eine einzelne Werbekampagne zurückzuführen. Marketing besteht aber nur zu einem kleinen Teil aus
Werbung: Den Erfolg des ganzen Pakets experimentell zu
prüfen, ist natürlich noch schwieriger.
Von Marketing spricht man natürlich nicht als „Paket“;
gebräuchlich ist der Begriff des ▶ Marketingmix, an dem
sich der Beitrag im Folgenden auch orientieren wird. Die
kommenden Ausführungen ordnen den vier Elementen
des Marketingmix einzelne psychologische Konzepte und
Effekte zu, die in dem jeweiligen Element wichtig werden.
So wird es in ▶ Abschn. 9.2 unter der Überschrift „Produktpolitik“ darum gehen, welche Produkte unter welchem
Namen und mit welcher äußeren Gestaltung verkauft werden sollten. In ▶ Abschn. 9.3 wird die Preis- und Konditionenpolitik unter psychologischen Gesichtspunkten
diskutiert. ▶ Abschnitt 9.4 diskutiert die psychologische
Bedeutung unterschiedlicher Vertriebswege einschließlich
der Gestaltung von Verkaufsräumen. Das psychologisch
auf den ersten Blick vielleicht reichste Marketingelement
ist die Kommunikationspolitik, die in ▶ Abschn. 9.5 angesprochen wird. Aus den vielen möglichen Themen werden
in diesem Abschnitt die PR-Arbeit im Dienste des Marketings, die Kommunikation mit Multiplikatoren und die
direkte Interaktion von Verkäufer und Kunde vertieft.
Die Zuordnung von psychologischen Argumenten zu
den Elementen des Marketingmix kann selbstverständlich
nicht erschöpfend sein. Es lassen sich leicht viele andere
141
9.2 • Produktpolitik
Beispiele anführen, von denen ein großer Teil aus anderen
Beiträgen im vorliegenden Band ergänzt werden könnte
(siehe v. a. ▶ Kap. 2–8).
Produktpolitik
9.2
Ob BMW neben seinen Autos auch Rasenmäher, Motorboote oder Spiegelreflexkameras verkauft, hat einen
Einfluss sowohl auf die Verkaufschancen dieser neuen
Produkte als auch auf die Marke BMW selbst (z. B. Maoz
& Tybout, 2002). Die Produkte selbst müssen natürlich
gewissen Qualitätsstandards genügen, sie sollten dabei
aber auch gut aussehen und möglichst alle anderen Sinne
angenehm ansprechen. Über all das hinaus sollten sie zu
Hersteller und Marke passen (▶ Beispiel).
Beispiel
| |
„Kloster Andechs-Light; der leichte Genuss“ – dieses
Bier wird es wohl nie geben. In ihrer Produktpolitik
hat sich die Marke darauf festgelegt, nicht allen Kundenwünschen nachzugeben. Das „bayerisch-kernige
Image der jahrhundertealten Brauerei“ (Wieking,
2000, S. 62) würde eine Diätversion ihres wichtigsten
Produkts nicht vertragen. Bis 2009 gab es auch Andechser Restaurants, die am Markenkern ausgerichtet und
ausgestaltet waren, vermittelten sie doch mit blanken
Holztischen und Eckbänken klösterliche Einfachheit.
Die Bierdeckel enthielten besinnliche Sprüche, und
die Speisekarte orientierte sich am Kirchenjahr. Wichtig war das Produktkonzept dahinter: „Bayerische Kost
anbieten kann jeder – wir wollen das Erlebnis ‚Kloster
Andechs‘ transportieren“ (zitiert nach Wieking, 2000,
S. 63). Ein Richtungswechsel in 2010 verstärkt dieses
Ziel einmal mehr: Das Gaststätten-System gibt es mittlerweile nicht mehr, und andere zeitweilig geplante
Expansionen, etwa Hotel oder Golfplatz wird es nicht
geben. „Das würde nicht zu uns passen“, erklärt hierzu
der Leiter der Klosterbrauerei (zitiert nach von Hardenberg, 2010).
9.2.1
Passung von Marke und Produkt
Da mehr als 80 % aller neuen Produkte Fortführungen
oder Erweiterungen bereits existierender Marken und
Produktlinien sind, hat diese letztere Frage der Passung
in der Vergangenheit eine große Aufmerksamkeit erfahren. So fragen sich z. B. Maoz und Tybout (2002), ob eine
genaue Passung möglicherweise weniger positiv bewertet
wird als eine leichte Diskrepanz zwischen Marke und Pro-
dukt, da ja das Auflösen von leichter Schemainkongruenz
intellektuell stimuliere und angenehm erlebt werde. In der
Tat können die Autoren zeigen, dass von den drei oben
zitierten fiktiven BMW-Produkten der Rasenmäher als
mittelmäßig passendes Produkt positiver beurteilt wird
als das vergleichsweise gut passende Motorboot oder die
unpassende Kamera. Diese Beziehung galt allerdings nur
für hoch involvierte Urteiler, die bereit waren, sich mit
dem Produkt gedanklich zu beschäftigen. Bei niedrigem
Involvement stieg die Bewertung nahezu linear mit dem
Grad der Passung an.
Eine intellektuelle Stimulation durch eine mittelmäßige
Passung von Produkt und Marke wird demnach anscheinend nur von Konsumenten goutiert, die sich mit dem
Produkt auseinandersetzen wollen. Im alltäglichen Vorbeirauschen der Produktinformation an niedrig involvierten
Kunden dürfte diese Anregung allerdings untergehen: Bei
geringem Involvement wird das Produkt am besten bewertet, das auch am besten zur Marke passt.
An der Untersuchung von Maoz und Tybout (2002)
bleiben allerdings zwei Punkte unbefriedigend: Zum einen muss man methodisch kritisieren, dass in dem vorgestellten Design die Effekte der Passung mit denen des
konkreten Produkts konfundiert sind. Es ist letztlich nicht
zu entscheiden, ob die Passung des Rasenmähers oder eine
seiner anderen Eigenschaften für die Effekte gesorgt hat.
Zum anderen entsteht der Eindruck, die Passung von
Produkt und Marke stehe unabhängig von einem Urteiler
sozusagen a priori bereits fest. Diese Sichtweise lässt außer Acht, dass Menschen aktiv mentale Kategorien bilden,
aus denen sich Zusammengehörigkeit und Diskrepanz
von Objekten erst als Folge ergeben. Mit anderen Worten:
Passung wird normalerweise nicht vorgefunden, sie wird
mental konstruiert.
Ob ein Objekt in eine Kategorie gehört, hängt von einer
Reihe von Kontextbedingungen ab. Die Variation dieser
Bedingungen kann sogar zu völlig gegensätzlichen Kategorisierungen führen. So zeigten z. B. Wänke, Bless und
Schwarz (1999), dass dasselbe Produkt je nach Fragestellung unter eine attraktive oder eine unattraktive Kategorie
subsumiert und infolgedessen entweder auf- oder abgewertet wurde. Den Probanden wurden die Objekte „Hummer“,
„Wein“, „Zigaretten“ und „Zeitungen“ präsentiert. Diese
Objekte sollten anhand unterschiedlicher Fragestellungen
kategorisiert und in der Folge bewertet werden. Lautete
nun die Frage: „Welche Produkte sollte man nicht an Kinder verkaufen?“, gelangte der Wein in die gleiche Kategorie
wie die Zigaretten. In dieser mentalen Gesellschaft wurde
er negativer bewertet als in einer Kontrollbedingung. Signifikant positiver als in der Kontrollbedingung erscheint der
Wein allerdings, wenn er nach der Frage: „Welche Produkte
sind Nahrungsmittel?“ in dieselbe Kategorie wandert wie
der Hummer.
9
142
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3
4
Kapitel 9 • Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet
Die Untersuchung von Wänke et al. (1999) zeigt, dass
mentale Kategorien ad hoc gebildet werden können und
keineswegs a priori feststehen. Daher ist auch der Kontext, den ein neues Produkt und die Marke füreinander
bilden, durchaus formbar. Dasselbe Produkt kann je nach
Kommunikation entweder als passend oder als unpassend
erlebt werden – mit den jeweiligen Begleiterscheinungen
(s. insbesondere ▶ Kap. 7).
Produkt- und Markennamen
5
9.2.2
6
Das vermutlich meiststrapazierte Zitat der Literaturgeschichte zum Thema „Namen“ enthält eigentlich eine
prüfbare wissenschaftliche Hypothese: Die junge Julia Capulet hat sich in Romeo, ein Mitglied der mit ihrer Sippe
verfeindeten Montagues, verliebt. Nun will sie sich einreden, dass der Name ihres Liebsten nichts zur Sache tue und
behauptet zu diesem Zweck, dass der sensorische Eindruck
beim Schnuppern an einer Rose schließlich auch immer
derselbe sei und sich auch dann nicht ändere, wenn man
den Namen „Rose“ durch einen beliebigen anderen ersetze.
So eloquent diese These auch vorgetragen wird, sie ist wohl
offenbar falsch: Sensorische Erlebnisse ändern sich deutlich, wenn ein Name hinzukommt. Nachgewiesen ist das
z. B. für Geschmackserlebnisse unter variierenden Namen
(z. B. Hoyer & Brown, 1990) oder im Vergleich von Blindverkostung mit korrekter Bezeichnung (z. B. Allison & Uhl,
1964; Brochet, 2002; McClure, Li, Tomlin, Cypert, Montague & Montague, 2004).
Die Untersuchung von McClure et al. (2004) replizierte
den bekannten Befund, dass die Beurteilung der Marken
Pepsi und Coca-Cola sehr unterschiedlich ausfällt, je nachdem, ob Probanden wissen, welche Marken sie trinken.
Das Experiment ist insofern bemerkenswert, als hier die
Autoren zeigen, dass auch die hirnphysiologischen Erregungsmuster zwischen Blindverkostung und markenbewusstem Konsum systematisch variieren. Problematisch
an Befunden aus dem Hirnscanner ist allerdings, dass aus
ihnen nicht hervorgeht, ob das Produkt unter verschiedenen Namen auch unterschiedlich schmeckt. Um direktere
Hinweise auf diese Frage zu erhalten, nutzten Litt und Shiv
(2012) Miraculin, ein natürliches Protein, das zwar selbst
geschmacksneutral ist, aber für einige Zeit die menschliche Sensibilität für Säure betäubt. Diese Substanz wurde
Probanden ohne ihr Wissen verabreicht. Für eine folgende Weinverkostung wurde die starke, aber zutreffende
Erwartung erzeugt, der Wein könne einen sauren Beigeschmack haben. Wenn Erwartungen an das Produkt nur
das Urteil über den Geschmack verändern, nicht aber das
Geschmackserlebnis selbst, dann müsste diese Erwartung
das Urteil über den Geschmack in immer derselben Weise
verändern – unabhängig davon, was wirklich geschmeckt
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werden kann. Tatsächlich aber interagierte der Effekt der
Erwartung sehr stark mit der Sensibilität für Säure: Bei
säuresensiblen Personen verstärkte die irrige Erwartung
die Wahrnehmung von Säure im Wein. Gegenüber einer
Kontrollbedingung ohne Erwartung beschrieben diese
Probanden den Wein als erheblich saurer. Bei Probanden,
die keine Säure schmecken konnten, stellte sich der gegenteilige Effekt ein: Sie bewerteten den Wein noch weniger
sauer als ohne Erwartung.
Felser (2013) manipulierte die Erwartungen an den
Geschmack eines Tees direkt über den Namen. Unterschiedlich schmeckende Tees erhielten je nach Bedingung
den Namen „Vor dem Kamin“ oder „Tropical Feeling“. Zusätzlich wurde variiert, ob die Probanden den Namen vor
oder nach der Verkostung erfuhren. Der Name sollte das
Geschmackserlebnis selbst nur dann beeinflussen können,
wenn er vor der Verkostung bereits bekannt ist – danach
kann er nur noch auf das Urteil, nicht aber auf das sensorische Erlebnis wirken. Wie erwartet, beeinflusste der
Name das Geschmacksurteil nur dann, wenn er noch vor
der Verkostung bekannt war (zu diesem Vorgehen siehe
auch Lee, Frederick & Ariely, 2006).
Die referierten Befunde sprechen also sehr stark dafür, dass hinter der unterschiedlichen Beurteilung unter
verschiedenen Namen wirklich ein unterschiedliches Geschmackserleben steht. Offenbar wird es sich sowohl für
Julias ganz persönliches Schicksal als auch im Leben von
Marken als fatal erweisen, wenn man sich über die Bedeutung von Namen hinwegsetzt.
Das heutige Marketing kennt den Wert eines Namens
und ist sogar bemüht, ihn auf Euro und Cent zu beziffern
(Schimansky, 2007). Namen werden teuer gehandelt: Philip Morris kaufte Kraft für $ 13 Mrd. mit der Begründung,
damit habe man einen „ausbaufähigen Markennamen“
erworben. Nestlé kaufte Perrier für $ 2,5 Mrd., obwohl
Perrier in den meisten Kriterien für ein Mineralwasser
seinen Konkurrenten nicht überlegen ist – auch hier
wurde v. a. der Markenname bezahlt (Kohli, LaBahn &
Thakor, 2001).
Im Widerspruch zu dieser offenkundig hohen Bedeutung des Namens wird die Namensgebung selbst in den
Unternehmen wenig systematisch betrieben. In einer
Untersuchung von Kohli et al. (2001) erklärte eine überwältigende Mehrheit der Unternehmen, relativ unsystematisch, sehr intuitiv und insgesamt „quick and dirty“ zu
den Produkt- und Markennamen zu kommen. 26 % der
Unternehmen verzichten auf jegliche Tests zur Überprüfung der Vorschläge, 45 % benutzen Fokusgruppen oder
andere qualitative Methoden, und 35 % benutzen statistische Erhebungen. Das strategische Vorgehen ist ebenfalls
nicht systematisch ausgeprägt: Immerhin 21 % der befragten Unternehmen erklärten, die endgültige Auswahl sei
ganz anderen Kriterien gefolgt als ursprünglich festgelegt
143
9.2 • Produktpolitik
worden war. Nur ein Drittel der Unternehmen verwendete
(gewichtete) Beurteilungskriterien bei der Auswahl.
Wenn Unternehmen Namen vergeben, denken sie in
erster Linie daran, sich mithilfe des Namens im Markt
zu positionieren, von den Mitbewerbern zu differenzieren und ein unverwechselbares Image aufzubauen. Neben
diesen psychologischen Wirkungen im Markt muss aber
auch daran gedacht werden, dass der Name als Warenzeichen eingetragen und damit geschützt werden kann. Dieser
Punkt genießt bei den Unternehmen allerdings nur eine
geringe Priorität (s. Kohli et al., 2001, S. 458). Dabei hat er
wichtige praktische Konsequenzen, variiert doch der mögliche rechtliche Schutz mit der Art des Namens: Deskriptive Namen (z. B. Laser Jet für einen Drucker) genießen
einen geringeren Warenschutz als etwa willkürliche (z. B.
Camel für Zigaretten) oder geprägte Namen (Exxon für
Gas; Kohli et al., 2001).
Unzulässig sind generische Namen, also Namen, die im
Grunde die Sache, das Produkt selbst bezeichnen (z. B. Seife
für Seife). Man darf also ein Produkt als „Allesreiniger“ bezeichnen, man darf es aber nicht so nennen. Psychologisch
wäre eine solche Namensgebung voraussichtlich sinnvoll,
denn ein generischer Name wie auch z. B. Schonkaffee wirkt
außerordentlich suggestiv. Dies zeigt sich auch bei anderen,
zulässigen suggestiven Bezeichnungen wie etwa Livio, das
den Anklang an hochwertiges Olivenöl nutzt, oder Vileda,
das durch den Klang eine hochwertige materielle Beschaffenheit suggeriert.
Aber auch Lautverbindungen, die auf den ersten Blick
völlig sinnfrei sind, wecken Assoziationen und lösen Erwartungen aus. Peterson und Ross (1972) erzeugten mit
dem Computer sinnlose Wörter und ließen sie von Probanden einschätzen. Es zeigte sich u. a., dass bestimmte
Lautverbindungen mehr für die eine als die andere Produktkategorie als geeignet erlebt werden (z. B. „whumies“
für Frühstücksflocken, aber nicht für Waschmittel).
In aller Regel verwenden Firmen bei Produkt- und
Markennamen – bewusst oder unbewusst – traditionelle
linguistische Mittel (s. auch Bergh, Adler & Oliver, 1987),
so etwa Alliterationen (Coca-Cola), Lautmalerei (Sanso,
Cracker), Binnenreime (Raum-Traum), Palindrome (Sugus,
Omo) oder Akronyme (Haribo, Eduscho). Anfangsplosive
(z. B. c, p, t, b und k) werden für Markennamen häufiger
verwendet als sie in der Sprache generell vorkommen. Offenbar werden Wörter mit diesen Anfangsbuchstaben besser erinnert (Schloss, 1981, zitiert nach Kohli et al., 2001).
Die Vokale in Markennamen gehen mit Unterschieden
in der Wahrnehmung einher. In einer Untersuchung von
Klink (2003) waren Vorderzungenvokale (im Deutschen
z. B. e, i und a) mit helleren Farben assoziiert als Hinterzungenvokale (im Deutschen o und u). Vorderzungenvokale in Kombination mit Reibelauten waren assoziiert
mit kleineren, eher kantigen Figuren (z. B. in Logos). In
einer weiteren Studie zeigte Klink (2003), dass z. B. ein Bier
stärker, dunkler und „schwerer“ erlebt wurde, wenn der
Name einen Hinterzungenvokal hatte und das Logo runder, dunkler und größer war.
Die beschriebenen Vokalunterschiede entscheiden daher auch darüber, ob eine Eiscreme eher Frish oder Frosh
heißen sollte. Yorkston und Menon (2004) stellten ihren
Probanden unter diesen Namen zwei fiktive Eismarken
vor. Die Namen unterschieden sich nur in dem Vokal. Da
Hinterzungenvokale eher größer, schwerer, weicher und
dunkler wahrgenommen werden, sollte das Eis unter dem
Namen Frosh auch cremiger, weicher und sahniger erlebt
werden. Da dies bei Eiscreme auch wünschenswerte Eigenschaften sind, sollte das Eis unter dem Namen Frosh positiver bewertet werden als unter Frish. Sowohl die sensorische
Wahrnehmung des Produkts als cremig oder sahnig als
auch dessen Bewertung fiel den Hypothesen entsprechend
zugunsten von Frosh aus.
Es liegt nahe, durch eine ausländische Schreibweise
Eigenschaften eines attraktiven Landes zu suggerieren.
Auch dies tun viele Unternehmen, allerdings darf bei dieser Strategie nicht vergessen werden, dass Länderimages
international nicht immer dieselben sind.
Überhaupt sollte bei der Namensgebung stets bedacht
werden, ob das Unternehmen auch global auftritt oder
dies in Zukunft zu erwarten ist. Produktnamen lassen
sich unterschiedlich gut in andere Sprachen und Schreibweisen hinüberretten. Wörter und Laute, die nur in einer
bestimmten Sprache üblich sind (z. B. Häagen-Dasz), bereiten besonders große Übertragungsprobleme, sie können
freilich gleichzeitig dazu dienen, bestimmte Länderimages
zu aktivieren. In europäischen Ländern sind ausländische
Namen in fremder Aussprache relativ gebräuchlich (z. B.
Lancia, Renault). Hierbei bleibt allerdings die Wirkung bestimmter kulturtypischer linguistischer Mittel oft auf der
Strecke (z. B. Toys ‘R‘ Us) oder es wird eine völlig andere Bedeutung suggeriert als im Ursprungsland (Pizza Hut: Das
hutähnliche Logo, mit dem das in Amerika und Europa
übliche rote Dach der Filialen angezeigt wird, suggeriert
in Deutschland statt der eigentlichen „Pizza-Hütte“ in der
Tat einen „Pizza-Hut“).
Bei der Übertragung in ferne Kulturen, wo zusätzlich
die Schreibweise gewechselt werden muss, steht man oft
vor der Frage der lautangleichenden oder eher bedeutungserhaltenden Übertragung. Im Chinesischen etwa wären
Beispiele für eine lautangleichende Übertragung fangtà
für Fanta oder kédá für Kodak, eine bedeutungserhaltende
Übersetzung ist jízhuang-xiang für Container (Beispiele
nach Jinlong, 1994).
Nur selten gelingt es, gleichzeitig sowohl lautlich als
auch semantisch dem Originalnamen gerecht zu werden.
Eine solche Ausnahme ist in China aber anscheinend für
Coca-Cola gelungen:
9
Kapitel 9 • Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet
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»
Kekou kelè ist eine interpretierende lautangleichende
Übernahme von Coca-Cola. Die chinesische Übersetzung … klingt phonetisch ähnlich wie Coca-Cola, so
dass der Konsument sogleich an ein ausländisches
Produkt denkt. Zusätzlich lenkt die Bedeutung der
chinesischen Lautfolge die Phantasie jedoch in eine
bestimmte Richtung. Denn sie besagt wörtlich: ‚Es
schmeckt gut, und man trinkt es mit Behagen.‘ Diese
reizvolle Übersetzung kann sowohl unter marktpsychologischen wie kommerziellen Gesichtspunkten als
ein hervorragendes Beispiel für die Übernahme eines
fremden Produktnamens angesehen werden. (Jinlong,
1994, S. 19)
9.2.3
Multisensuale Gestaltung
von Produkten
„Blind tasting of great wines is often disappointing“ (E.
Peynaud, zitiert nach Brochet, 2002, S. 12). Auch die ganz
großen Weinkenner bekennen sich offenbar dazu, dass
der zentrale geschmackliche Eindruck des Produkts erst
aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Sinne und
Kognitionen hervorgeht. In der Tat ist nicht nur die Markenkenntnis, wie oben angedeutet, für den sinnlichen
Eindruck des Produkts entscheidend. Auch das Aussehen des Produkts, seine Konsistenz, sein Geruch oder
die Geräusche, die es macht (▶ Info-Box), oder die Form,
in der es dargeboten wird, entscheiden über das Konsum­
erlebnis.
Info-Box
| |
Akustikdesign
Konsumenten schließen daraus, wie ein Produkt beim
Gebrauch klingt, auf die Eigenschaften des Produkts.
Wenn man beim Staubsaugen noch das Telefonklingeln mehrere Zimmer weiter hören kann, dann ist der
Motor des Staubsaugers offensichtlich zu schwach.
Wenn die Küchenmaschine beim Kneten des Hefeteigs nicht mehr wie beim Bereiten der Quarkspeise
gemütlich brummt, sondern höhere und lautere
Klänge vernehmen lässt, dann scheint sie ihrer Aufgabe
nicht gewachsen zu sein. Aber nicht nur Gebrauchsgegenstände, sondern auch Lebensmittel induzieren
über die mit ihnen verbundenen Klänge Erwartungen:
Das Kauen von Kartoffelchips verursacht ein charakteristisches Krachen und Knacken, und so gehen die
Produktentwickler davon aus, dass sich gute Chips
auch im Klang von schlechten unterscheiden (Beispiele
nach Weidt, 2006).
In keinem der genannten Fälle sind die Geräusche der
Produkte noch original und ursprünglich. Ein Staubsauger könnte längst nahezu geräuschlos funktionieren,
und auch gute Küchenmaschinen klingen bei schwerem Teig anders als beim Sahneschlagen. Im Dienste
der Multisensualität manipulieren „Akustikdesigner“
bzw. „Lebensmittelakustiker“ die natürlichen Geräusche der Produkte so, dass sie bei den Konsumenten
die passenden Erwartungen erzeugen.
Aber nicht nur scheinbar natürliche Geräusche wie das
oben zitierte Brummen der Küchenmaschine werden
von den Konsumenten begrüßt. Auch offensichtlich
beliebige Zuordnungen von Klängen zu Ereignissen
können anscheinend die Kauflust stimulieren. Die Klingeltöne beim Handy sind nur ein besonders prominentes Beispiel. Skurriler noch erscheint das Beispiel eines
Kühlschranks, der sich in den USA angeblich „sensationell gut“ verkaufe, weil er beim Schließen klinge „wie
die Tür einer Cadillac Limousine“ (Weidt, 2006, S. 2).
Dies gilt, wie das Zitat zu Anfang nahelegt, z. B. für Weine:
Blind und nur auf Basis des Geschmacks lassen sich oft
Weißweine nicht von Rotweinen unterscheiden. Und auch
Kenner beschreiben einen Weißwein in roter Farbe beim
Geschmackstest mit Begriffen, die normalerweise nur auf
Rotweine angewendet werden (Brochet, 2002).
Einen entsprechenden Effekt erzeugten Tom, Barnett,
Lew und Selmants (1987) mit Pudding: Sie ließen ihre Versuchspersonen einen Vanillepudding probieren, der aber
schokoladenbraun gefärbt war. Niemand bemerkte den
Vanillegeschmack.
Margarine hat normalerweise ein weißliches Aussehen
und schmeckt ein wenig ölig, Butter sieht gelblich aus und
schmeckt eher cremig. Heutzutage wird Margarine mit
Karotin eingefärbt, wodurch sie eine gelbliche Färbung
wie Butter erhält. Dies ist nach Ergebnissen von Cheskin
(1957) erforderlich, da der wenig beliebte ölige Geschmack
von Margarine stark mit der weißen Färbung verbunden
ist. Cheskin zeigte, dass Versuchspersonen den Geschmack
von weißer Butter als ölig und den Geschmack von gelber
Margarine als cremig beschreiben.
Aber nicht nur geschmackliche, sondern auch physikalische Eigenschaften werden aus dem Aussehen der
Produkte abgeleitet: Zum Beispiel sollte Margarine in ihrer
hellgelben Farbe eine leichte Rotbeimischung haben, damit
sie als streichfähig wahrgenommen wird (Kroeber-Riel,
1993, S. 268).
Die Darbietungsform entscheidet nicht nur über das
Erleben von Geschmack oder Konsistenz, sondern auch
über die Einschätzung von Mengen. Zum Beispiel wird
das Fassungsvermögen von dünnen und hohen Behältern
145
9.3 • Preis- und Konditionenpolitik
deutlich über- bzw. das Volumen von niedrigen und breiten Behältern unterschätzt (Raghubir & Krishna, 1999).
Das hat zur Folge, dass Konsumenten größere Mengen
eines Getränks in ein niedriges breites Glas gießen als in
ein hohes schmales. In der Folge konsumieren sie auch
mehr aus niedrigen als aus hohen Gläsern. Diese Fehleinschätzung von Mengen ist zwar erfahrungsabhängig, aber
offenbar überwinden Menschen diese Tendenz zur Fehleinschätzung nie ganz. In einer Reihe von Experimenten
ließen Wansink und Ittersum (2003) unterschiedliche Probanden Getränke in niedrige oder hohe Gläser schütten.
Bei Kindern lag die Differenz zwischen der Menge in dem
niedrigen und dem hohen Glas bei durchschnittlich 74 %.
Das Ausmaß der Unterschätzung nimmt zwar für ältere
Probanden ab, aber der Fehler an sich bleibt stabil und wird
auch durch Expertise nicht eliminiert: In einer Stichprobe
aus erfahrenen Barkeepern, die explizit instruiert wurden,
in die Gläser die gleiche Menge zu geben, betrug der Unterschied immer noch 27 %.
Der Fehler bleibt zudem nicht auf die Mengenschätzung beschränkt, er erstreckt sich auch auf den Konsum:
Die Probanden von Wansink und Ittersum (2003) konsumierten auch größere Mengen der jeweiligen Getränke
aus niedrigen und breiten Gläsern. Diese Effekte haben
offenkundige Implikationen für die Produktgestaltung:
Schlanke Gefäße empfehlen sich, wenn der Konsument
das Gefühl haben soll, er bekomme eine große Menge
für sein Geld. Breite Gefäße sind zu empfehlen, wenn der
Konsument die konsumierte Menge eher unterschätzen
soll.
9.3
Preis- und Konditionenpolitik
Psychologisch gesehen ist die Preispolitik vielleicht sogar
das interessantere Werkzeug des Marketings, denn gerade
hier zeigt sich die Unzulänglichkeit ökonomischer Prinzipien besonders eindrucksvoll. Immerhin erscheinen Zahlenwerte, Gewinne und Verluste zunächst als „harte Fakten“, die wenig Spielraum für Interpretation lassen. Daher
sollte es der „Homo oeconomicus“ auch besonders leicht
haben, sich nutzenmaximierend zu verhalten. Aus psychologischer Perspektive zeigt sich dagegen, dass Zahlen,
Mengen und Preise starken und systematischen Wahrnehmungsverzerrungen unterliegen, die ebenso starke Verhaltenskonsequenzen haben (z. B. Liu & Soman, 2008).
9.3.1
Preis und Absatz
Als Marketinginstrument ist die Preispolitik zwar effektiv, aber auch teuer: Wenn man ein Produkt durch einen
günstigen Preis attraktiv macht, verringert sich dadurch
natürlich der Profit pro verkaufte Einheit. Dieser Verlust
muss durch einen höheren Absatz kompensiert werden,
und es ist eine Rechenaufgabe, bei welchem Preis der Profit
dank erhöhtem Absatz maximal ist.
Aber bereits in diese Überlegungen greift die Psychologie mit einschränkenden Argumenten ein. Zum einen
ist es keineswegs immer sicher, dass bei steigendem Preis
der Absatz sinkt. In vielen Situationen entscheiden Konsumenten auf der Basis der Konsensheuristik, das heißt: Sie
schauen, was vergleichbare andere kaufen, und tun dann
dasselbe in der Erwartung, dass das, was viele andere machen, so falsch nicht sein kann (für einen Überblick siehe
z. B. Felser, 2007). Dieses Verhalten hat allerdings zur
Folge, dass ein Gut, das stark nachgefragt ist (und daher
nach den Marktgesetzen teurer wird), gleichwohl und zwar
genau wegen der starken Nachfrage noch stärker nachgefragt wird.
Einen ähnlich paradoxen Effekt hat es, wenn Konsumenten bei ihrer Konsumentscheidung durch Reaktanz
motiviert werden. Reaktanz als die Folge einer wahrgenommenen Freiheitseinschränkung stellt sich u. a. ein,
wenn Güter knapp werden. Die Knappheit kann auf eine
hohe Nachfrage zurückgehen, zudem kann sogar der mit
der erhöhten Nachfrage einhergehende hohe Preis als
weiterer Indikator der Verknappung erlebt werden. Diese
Form der Reaktanz soll z. B. von dem Spruch ausgelöst
werden: „Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben.“ Reaktanz besteht darin, dass
Güter, auf die man nicht ohne weiteres Zugriff hat, aufgewertet werden. Wird der Zugriff durch einen hohen Preis
erschwert, kann sich eine erhöhte Nachfrage trotz erhöhtem Preis ergeben.
Diese Argumente widersprechen punktuell der Annahme, dass mit steigendem Preis der Absatz sinken muss.
Zudem erscheint auch unplausibel, dass die Funktion stetig
verläuft. Vielmehr ist mit charakteristischen Unstetigkeiten bei bestimmten Preisen zu rechnen; die Unstetigkeiten
markieren dann Preisschwellen, oberhalb deren der Absatz
unverhältnismäßig stark absinkt. Solche Schwellen werden etwa für Preise unterstellt, die mit einer 9 enden (z. B.
Schindler, 1994).
Offenbar ist das subjektive Preiserleben eines Produkts als teuer oder billig nicht mit dem objektiven Preis
identisch. Dies zeigt sich nicht nur in den Unstetigkeiten
der Preis-Absatz-Funktion, sondern auch in dem Phänomen, das Christensen (1989) als die „Psychophysik des
Geldausgebens“ bezeichnet: Ähnlich wie der subjektive
Nutzen materieller Güter nicht linear mit ihrem Wert ansteigt, steigt auch der erlebte „negative Nutzen“ von Geldausgaben im Bereich niedriger Beträge sehr viel stärker
an als im Bereich hoher Ausgaben. Die logarithmische
Funktion beim Weberschen Gesetz, die das Verhältnis der
Reizintensität zur Empfindungsstärke bezeichnet, gilt an-
9
146
1
3
4
.. Abb. 9.1 Das Webersche
Gesetz und die Preissensibilität
teuer
subjektive Empfindung
2
Kapitel 9 • Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet
5
12
10
8
6
4
2
billig
0
10
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8
9
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16
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19
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20
30
40
Absolute Geldbeträge
scheinend auch bei dem subjektiven Erleben von Preisen
und Ausgaben (Christensen, 1989; . Abb. 9.1; dieselbe Logik fließt in die Wertfunktion der Prospect-Theorie, z. B.
Kahneman & Tversky, 1979, ein, ▶ Kap. 11).
Von großer Bedeutung ist dabei aber, wie Konsumenten Ausgaben gedanklich kategorisieren, welche „mentalen Konten“ sie bilden und welche Aufwendungen für
sie subjektiv zusammengehören. So kann man z. B. davon
ausgehen, dass bei einer Reihe von zusammengehörigen
Ausgaben die bisherigen kumulierten Ausgaben den Ausgangsreiz bilden, an dem die folgenden Ausgaben relativiert werden. Fügt man nun am Ende eines Einkaufs (bei
relativ hohem Ausgangsreiz) einen weiteren Artikel hinzu,
wird der Preis hierfür als weniger gravierend wahrgenommen als wenn man diesen Artikel gleich zu Anfang (bei
einem niedrigen Ausgangsreiz) gewählt hätte (. Abb. 9.1).
Christensen (1989) ließ beispielsweise ihre Probanden anhand eines Katalogs eine Stereoanlage zusammenstellen.
Manipuliert wurde die Position, an der die Kopfhörer in
dem Katalog auftauchten. Wenn die Kopfhörer bereits auf
den ersten Seiten enthalten waren, wurde ein wesentlich
günstigeres Exemplar gewählt als wenn die Kopfhörer erst
auf den letzten Seiten vorgestellt wurden.
Dieser Positionseffekt ist einer von mehreren Gründen,
aus denen heraus es für Verkäufer Sinn macht, am Ende
des Einkaufs noch einmal zusätzliche Produkte anzubieten:
Der für diese Produkte noch anfallende Betrag wird von
den Käufern als relativ gering empfunden.
9.3.2
Preisstruktur
Die Annahme einer logarithmischen Funktion zwischen
objektiven Kosten und subjektivem Empfinden (. Abb. 9.1)
macht es plausibel, warum Konsumenten Pauschalangebote gegenüber Einzelpreisen auch dann bevorzugen, wenn
das Pauschalangebot teurer ist (z. B. Prelec & Loewenstein,
1998). Das mehrfache Bezahlen von kleineren Einzelprei-
50
60
sen würde in der Summe wesentlich schmerzlicher erlebt
als das einmalige Bezahlen eines Pauschalpreises.
Offenbar ist die Aufteilung bzw. Zusammensetzung
der Preise ein wichtiger Faktor bei der Kostenwahrnehmung. Bauer (2000) bezeichnet diese Aufteilung als ▶ Preisstruktur. Dabei unterscheidet er zwischen Preisstruktur im
engeren und im weiteren Sinne. Unter die Preisstruktur im
engeren Sinne fallen alle Formen der Aufteilung, die sich
auf den effektiven Preis auswirken. Zum Beispiel ist das im
Falle eines Vertrags für ein Mobiltelefon beim Verhältnis
von Grundgebühren zu Einheitenpreisen der Fall: Hier
ergeben unterschiedliche Aufteilungen für ein gegebenes
Nutzungsverhalten auch unterschiedliche Gesamtpreise.
Psychologisch und ökonomisch interessanter ist allerdings die Preisstruktur im weiteren Sinne: Sie umfasst nur
die Kommunikation des Preises. Hier ergeben sich für
unterschiedliche Preisstrukturen keine unterschiedlichen
Endpreise. Zum Beispiel ist es für den Käufer rechnerisch
irrelevant, ob ich sage, ich verlange einen Aufschlag bei Kartenzahlung oder ich gewähre einen Rabatt bei Barzahlung.
Psychologisch allerdings macht das einen Unterschied.
Bauer (2000) zeigt in einer Reihe von Experimenten,
dass sich Konsumenten stark davon beeinflussen lassen,
wie ein Preis kommuniziert wird. Im oben genannten
Beispiel kann man erwarten, dass die Konsumenten mit
dem Begriff „Aufschlag“ eher einen zusätzlichen Preis
bzw. einen vermeidbaren Verlust verbinden. Unter dem
Begriff „Rabatt“ würde die Transaktion dagegen eher als
die Chance auf einen Gewinn erlebt. Nun sind Menschen
generell stärker motiviert, einen Verlust zu vermeiden als
einen gleich großen und gleich wahrscheinlichen Gewinn
zu erzielen (siehe z. B. Tversky & Kahneman, 1991). Daher
wird es Konsumenten auch wichtiger sein, einen Preisaufschlag zu umgehen als einen Rabatt einzustreichen. Die Bereitschaft zur Barzahlung sollte also in der „Aufschlag“-Bedingung stärker sein als in der „Rabatt“-Bedingung.
Eine weitere interessante Gestaltungsmöglichkeit durch
Preisstrukturen im weiteren Sinne ergibt sich, wenn man
147
9.3 • Preis- und Konditionenpolitik
komplexe, mehrdimensionale Angebote hat: Diese kann
man in Teilpreise für einzelne Angebotskomponenten zerlegen. Wenn ich etwa ein Auto verkaufe, dann kann ich zu
einzelnen Komponenten meines Angebots eigens ausweisen, was sie kosten. Anstatt die Kosten für Klimaanlage,
Alufelgen und Musikanlage zu aggregieren und nur einen
Gesamtpreis mitzuteilen, könnte ich also diese Kosten genau beziffern, sodass der Käufer statt einem Gesamtpreis
vier Einzelpreise vorfindet.
Wenn in einer solchen Situation die Konsumenten
darüber urteilen, ob es sich um ein günstiges oder ein
teures Angebot handelt, müssen sie die Einzelinformationen zu einem Gesamturteil inte­­grieren­.­ ­Hierbei­ ­gehen­
­sie­ ­allerdings­ ­stark­ ­vereinfachend­ ­vor­.­ ­Im­ ­Beispiel­ ­von­
. Abb. 9.2 besteht das Gesamtprodukt, ein Auto, aus dem
Grundmodell und drei einzeln ausgewiesenen Ausstattungselementen.
Wie . Abb. 9.2 zeigt, ist es anscheinend irrelevant,
welchen rechnerischen Anteil die einzelne Komponente
am Gesamtpreis hat. So macht das Ausstattungselement 1
vom Gesamtpreis zwar nur 3 % aus, bei der Beurteilung
der Preisgünstigkeit insgesamt geht es aber mit dem gleichen Gewicht ein wie der Preis für das Grundmodell, der
seinerseits immerhin 83 % des Gesamtpreises ausmacht.
Wenn also nun eines der Ausstattungselemente als
günstig wahrgenommen wird, dann beeinflusst diese
Wahrnehmung das Gesamturteil genauso stark wie wenn
das Grundmodell günstig erscheint. Die Einzelurteile
werden offenbar gleichgewichtig zu einem Gesamturteil
integriert. Bei der Preisgestaltung kommt es nun darauf
an, möglichst viele Einzelelemente zu bezeichnen, die als
günstig erlebt werden.
Im Experiment von Bauer bestanden die Ausstattungselemente 1–3 in der einen Bedingung aus eher
kostspieligen Elementen, für die die angegebenen Preise
sehr günstig wirken mussten: Allradantrieb (689 Euro),
Klimaanlage (519 Euro) und Alufelgen (349 Euro). In
einer zweiten, der sog. teuren Bedingung, wurden mit
denselben Preisen Elemente ausgewiesen, die normalerweise nicht viel kosten und die mit den angegebenen
Preisen eigentlich deutlich überbezahlt wären: Zentralverriegelung (689 Euro), elektrische Antenne (519 Euro)
und Fußmatten (349 Euro). Die objektive Ausstattung des
Angebots war unter beiden Bedingungen gleich, denn was
in der einen Bedingung als Sonderausstattung ausgewiesen wurde, war in der anderen Bedingung explizit unter
das Grundmodell subsumiert.
Trotzdem erschien den Probanden dasselbe Auto zum
selben Preis deutlich preisgünstiger, wenn die Sonderausstattung aus Elementen bestand, die normalerweise eher
kostspielig sind. Dieser starke Unterschied in der Preiswahrnehmung war nicht darauf zurückzuführen, dass die
Probanden jeweils unterschiedlich hohe Preise erinnerten:
Einschätzung der Preisgünstigkeit für…
Grundmodell
€21.719
.47
Ausstattungselement 1
€689
.51
Ausstattungselement 2
€519
.40
Ausstattungselement 3
€349
.59
Einschätzung der
Preisgünstigkeit
insgesamt
.. Abb. 9.2 Zusammenhänge zwischen einzelnen Preisgünstigkeitsurteilen mit der Beurteilung des Gesamtpreises (bivariate Korrelationen, eigene Darstellung, Daten aus Bauer, 2000, mit freundlicher
Genehmigung des Herbert-Utz-Verlags, München)
Sollten die Probanden die Preise im Rückblick schätzen,
unterschieden sich die Schätzungen in beiden Bedingungen nicht.
Wie . Abb. 9.2 zeigt, kümmert es die Konsumenten
offenbar genauso viel, ob sie günstige Fußmatten oder ein
günstiges Auto bekommen. Für Händler bedeutet dies,
dass sie möglichst alle Elemente eines Angebots, die die
Konsumenten als teuer wahrnehmen werden, zusammenfassen, alle als günstig erlebten Elemente aber einzeln ausweisen und vielleicht sogar in weitere Einzelkomponenten
aufsplitten sollten. Bei der Beurteilung der Preisgünstigkeit
achten Konsumenten nämlich sehr viel stärker darauf, wie
oft, als darauf, wie viel sie sparen.
9.3.3
Rückgabegarantien
In vielen Lebenslagen ist es angenehm und vorteilhaft,
wenn man eine einmal getroffene Entscheidung wieder
zurücknehmen und revidieren kann (z. B. Gilbert & Ebert,
2002). Die Möglichkeit, ein Produkt wieder zurückgeben
zu können, sollte daher von Konsumenten hoch geschätzt
werden. Dies macht es auch für das Marketing zu einer
interessanten Option, den Kunden bei der Rückgabe hohe
Freiheiten einzuräumen. Das amerikanische Unternehmen
Land's End bietet zu seinen Produkten gar eine lebenslange
Geld-zurück-Garantie. Der Erfolg solcher Strategien zeigt,
dass Händler mit der Umkehrbarkeit der Konsumentscheidung Geld verdienen können.
Psychologisch gesehen enthält dieses Element der
Konditionenpolitik allerdings auch Probleme, wie das folgende Experiment zeigt: Gilbert und Ebert (2002) ließen
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22
Kapitel 9 • Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet
ihre Probanden zwischen zwei Bildern wählen. Ein Teil der
Probanden konnte die Wahl nach einigen Tagen noch einmal rückgängig machen, ein anderer Teil traf seine Wahl
endgültig und ohne die Möglichkeit der Revision. Einer
Kontrollgruppe wurden diese beiden Bedingungen nur geschildert mit der Frage, welche Bedingung die Probanden
bevorzugen würden. Eine deutliche Mehrheit entschied sich
bei dieser hypothetischen Entscheidung für die reversible
Bedingung. Bei der Vorhersage, wie ihnen das gewählte Bild
nach einigen Tagen gefallen würde, erwarteten alle Probanden eine leichte Verbesserung gegenüber dem Zeitpunkt
der Entscheidung. Die Frage, ob die Entscheidung revidiert
werden konnte, spielte bei der Vorhersage keine Rolle.
Tatsächlich veränderte sich die Zufriedenheit mit dem
gewählten Bild weit stärker als von den Probanden vorhergesagt. Wichtiger noch ist aber, dass sich die Zufriedenheit in der reversiblen und der irreversiblen Bedingung in
unterschiedliche Richtungen veränderte. Wer seine Wahl
wieder rückgängig machen konnte, war nach zwei Tagen
erheblich weniger zufrieden mit dem Bild als zum Zeitpunkt der Wahl. Für Probanden, die ihre Entscheidung
nicht mehr umkehren konnten, stieg über die Zeit die Zufriedenheit mit dem gewählten Bild dagegen deutlich an.
Die Unterschiede zwischen reversibler und irreversibler
Wahl waren auch nach elf Tagen noch immer stabil.
Dieser Effekt einer irreversiblen Wahl kann nicht damit erklärt werden, dass Personen sorgfältiger abwägen,
wenn sie ihre Entscheidung nicht mehr rückgängig machen können: Der Effekt stellt sich auch dann ein, wenn
die Probanden erst nach ihrer Wahl erfahren, ob sie ihre
Entscheidung noch einmal revidieren können oder nicht
(Gilbert & Ebert, 2002).
Menschen haben generell die Tendenz, sich mit dem
zu arrangieren, was sie haben, und nicht allzu lange nach
dem zu verlangen, was sie sowieso nicht haben können.
Diese Tendenz findet sich in unzähligen Effekten der Psychologie wieder. Gilbert und Ebert (2002) sprechen hier
von einem „psychologischen Immunsystem“, das allerdings auf bestimmte auslösende Bedingungen angewiesen
ist. Eine dieser Bedingungen ist die Unveränderbarkeit der
Umstände. Mit einer Realität, die man noch verändern
kann, muss man sich sinnvollerweise nicht abfinden. Mögliche Mängel bleiben salient, eine eventuelle Unzufriedenheit bleibt erhalten. Die Aufwertung des Gegebenen und
die Abwertung von nicht realisierten Alternativen setzen
erst dann ein, wenn die Umstände nicht mehr geändert
werden können.
Die adaptive Tätigkeit des „Immunsystems“ bleibt typischerweise unbewusst. Daher ist es auch nicht überraschend, dass in der Untersuchung von Gilbert und Ebert
(2002) die Probanden ihre spätere Bewertung im Vorhinein weder in ihrer Stärke noch (im Fall der reversiblen Entscheidung) in ihrer Valenz richtig vorhersagen konnten.
Diese Befunde lassen eine Konditionenpolitik, die
den Konsumenten ein hohes Maß an Freiheit einräumt,
ambivalent erscheinen. Lange Fristen für eine Geld-zurück-Garantie, Reservierungen und Entscheidungen in
der Schwebe werden zwar einerseits von den Konsumenten
begrüßt und steigern damit wohl kurzfristig den Absatz,
sie führen aber andererseits letztlich eher zu einer geringeren als zu einer höheren Zufriedenheit (siehe auch Felser,
2011).
9.4
Vertriebspolitik
Wie und wo Personen Produkte und Verkäufer antreffen,
ist nicht nur eine Frage der Logistik, sondern auch der Motive und Gewohnheiten der Konsumenten. Dies zeigt sich
bereits auf demografischer Ebene: Rentner, Großfamilien,
gut verdienende Singles oder weniger einkommensstarke
Studierende unterscheiden sich deutlich darin, wo, zu welchem Zeitpunkt oder in welchen Mengen sie einkaufen.
An die hiermit verbundenen Gewohnheiten müssen
sich Anbieter mit ihrer Erreichbarkeit, mit der Lage der
Geschäfte und den Öffnungszeiten anpassen. Blackwell,
Miniard und Engel (2006) empfehlen, möglichst viele
Vertriebskanäle gleichzeitig zu betreiben („multichannel
retailing“), um möglichst viele Konsumenten zu erreichen. Immerhin ist es einfacher, das Verkaufsformat den
Lebensgewohnheiten der Konsumenten anzupassen, als
umgekehrt die Lebensgewohnheiten von Menschen zu
verändern (Blackwell et al., 2006, S. 172; s. hierzu aber die
▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Anpassung um jeden Preis?
Wer seinen Abend im Biergarten des Klosters Andechs
verbringen will, kann dort eine Überraschung erleben:
„Das populäre Braustüberl auf dem Heiligen Berg
schließt täglich um 21 Uhr, egal wie groß der Andrang
noch ist“ (Wieking, 2000, S. 63). Die Ordensregeln des
Benedikt von Nursia aus dem Jahr 529 sind für die
Mönche bis heute bindend. Sie regeln die Nachtruhe
wie auch die Verpflichtung zur Gastfreundschaft. Von
Letzterem profitieren im Jahr gleich mehrere Hunderttausend Besucher – und lassen sich von den restriktiven Öffnungszeiten nicht abschrecken.
Das Festhalten an Ordensregeln erscheint aus marktpsychologischer Perspektive nur auf den ersten Blick
unprofessionell: Tatsächlich ist diese Konsequenz ein
wichtiger Baustein in der Glaubwürdigkeit, mit der
die Marke insgesamt auftritt. Man muss sich übrigens
nicht auf Klosterregeln berufen, um mit einer restrikti-
149
9.4 • Vertriebspolitik
veren Vertriebspolitik letztlich erfolgreicher zu sein als
wenn man alle Absatzmöglichkeiten gleichzeitig nutzt.
Die Frage ist immer, ob man durch das Eingehen auf
Kundenwünsche möglicherweise an Profil, Eigenständigkeit und Glaubwürdigkeit einbüßt. Vor dieser Frage
stehen z. B. Produkte aus dem Ökobereich, die über
lange Zeit nur in speziellen Läden zu haben waren,
aber dank dem entsprechenden Verbraucherinteresse
längst auch über Discounter vertrieben werden (z. B.
Brohmann & Eberle, 2006).
9.4.1
bound Telemarketing, und Anrufen, die das Unternehmen entgegennimmt, dem Inbound Marketing.
-
Direktmarketing
Formen des Direktmarketings
Der Vertriebsweg sollte zu den Gewohnheiten der Konsumenten passen. Hier hat sich in den letzten Jahren viel
getan: Physisch vorhandene Verkaufsräume wie etwa einzelne Geschäfte, Filialen größerer Ketten und Einkaufszentren werden in den letzten Jahren tendenziell weniger
besucht, während andere Formen des Vertriebs auf dem
Vormarsch sind. Besonders stark entwickeln sich in jüngster Zeit verschiedene Formen des ▶ Direktmarketings,
insbesondere der Weg über das Internet.
Blackwell et al. (2006, S. 173 ff) unterscheiden sechs
Formen des Direktmarketing, die im Folgenden näher vorgestellt werden:
Direktverkauf („direct selling“): Zu dieser Kategorie
zählt jede Art von Verkauf im persönlichen Kontakt
außerhalb der eigentlichen Verkaufsräume, so auch
z. B. der Besuch der Avon-Beraterin. Nicht nur der
Haustürverkauf fällt hierunter, sondern auch Formen
des Verkaufs, die durch die Beziehung der Beteiligten
angeregt wurden, so etwa auf Tupper-Partys (s. hierzu
auch Solomon, 1999, S. 313).
Verkauf auf ein Werbeanschreiben hin („direct
mail ads“): Diese Verkaufsform wird vom Marketing
anscheinend unterschätzt, denn Umfragen zufolge
begrüßen mehr als die Hälfte der Konsumenten direkte Anschreiben. Die Neigung, solche Anschreiben
zu öffnen und zu lesen, sinkt allerdings mit höherem
Einkommen und höherer Bildung (zu psychologischen Strategien in Mailings ▶ Abschn. 9.4.1).
Verkauf über Kataloge („direct mail catalogs“):
Tendenziell kaufen mehr Frauen als Männer anhand
eines Katalogs, außerdem haben Katalogkäufer eine
leicht überdurchschnittliche Schulbildung und verhalten sich eher freizeitorientiert.
Marketing übers Telefon bzw. Telemarketing: Hier
kann man unterscheiden zwischen Anrufen, die das
Unternehmen nach außen schickt, dem sog. Out-
-
-
Der Anteil des Outbound Telemarketing am Gesamtvolumen im Direktmarketing ist mit immerhin 20 %
erstaunlich hoch, wenn man bedenkt, dass sich viele
Konsumenten auf Werbeanrufe hin verärgert zeigen.
Der Erfolg beruht offenbar auf zwei wichtigen Bedingungen: zum einen auf der punktgenauen Auswahl
der Zielgruppe anhand aussagekräftiger demografischer Kriterien und zum anderen auf dem kommunikativen Geschick der Mitarbeiter im Call Center.
Verkauf auf eine Antwort durch die Konsumenten
hin („direct response ads“): Bei dieser Verkaufsart
werden zunächst die Konsumenten durch Anzeigen
in Zeitungen und Zeitschriften zu einer Reaktion
aufgefordert, z. B. zum Einsenden eines Coupons
oder eines Bestellscheins. Etwa 20 % der Käufe von
zuhause aus entfallen auf diese Kategorie. Den größten Zuwachs bei „direct response ads“ verzeichnet
allerdings der Verkauf über Verkaufsprogramme im
Fernsehen, bei denen die Konsumenten ebenfalls zu
einer Reaktion aufgefordert werden, etwa eine Nummer anzurufen oder eine URL aufzusuchen.
Verkauf über das Internet („e-commerce“): Die wohl
größte Revolution in der Vertriebspolitik hat es in
den letzten Jahren durch das Internet gegeben. Der
Einkauf über das Internet verringert Einschränkungen durch räumliche Distanzen, Öffnungszeiten oder
Lagerhaltung. Das Internet erleichtert den Vergleich
von Produkten und Preisen, da man innerhalb desselben Augenblicks weltweit Anbieter identifizieren und
prüfen kann. Besonders gut eignet sich der Einkauf
übers Internet für Waren, die der Käufer schon einigermaßen kennt, aber nicht sofort benötigt, aber auch
für Waren, die er immer wieder einkauft.
Psychologische Strategien in Mailings
„Was würden Sie sagen, wenn ich an Ihrer Haustüre klingeln würde, Ihnen einen Schlüssel entgegenhalte und Sie
als stolzen Gewinner mit den Worten begrüße: ‚Herzlichen
Glückwunsch, das ist Ihr neuer Wagen, und der gehört jetzt
Ihnen?‘“
Dieser Text ist einem Werbebrief entnommen, allerdings keiner unpersönlichen Werbung, sondern einem
Brief, der höchstpersönlich und vertraulich an Sie adressiert wurde. Hier werden gleich mehrere Strategien der
psychologischen Beeinflussung verwendet. Die erste und
vermutlich in Mailings auch meistgenutzte Strategie baut
auf der generellen menschlichen Verlustaversion (z. B.
Tversky & Kahneman, 1991) auf. Da Menschen stärker
motiviert sind, mögliche Verluste abzuwenden, als gleich
hohe und gleich wahrscheinliche Gewinne herbeizuführen (▶ Abschn. 9.3.2), wird auch im Anschreiben schon
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Kapitel 9 • Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet
suggeriert, dass Ihnen das Auto bereits gehört. Dies wird
noch weiter unterstrichen durch Losnummern, Zugangscodes und sogar einen vorab auf Ihren Namen ausgestellten Fahrzeugschein. Diesen Besitz würden Sie ja offenbar
aufs Spiel setzen, wenn Sie die geforderten Schritte nicht
unternehmen.
Eine weitere Strategie ist die Imagination. Stellen Sie
sich die folgende Szene vor: „Ich drücke Ihnen die Schlüssel in die Hand, Sie sitzen hinter dem Steuer des Wagens.“
Diese Anschaulichkeit erhöht enorm die subjektive Plausibilität (z. B. Fiedler, 2000), man macht sich dieses Bild
immer mehr zu eigen – und empfindet es umso aversiver,
wenn man nichts unternimmt, um es zu verwirklichen.
Gregory, Cialdini und Carpenter (1982) zeigen, dass mithilfe der Imagination die Wahrscheinlichkeit gesteigert
werden kann, dass eine Person einem Beeinflussungsversuch nachgibt.
Der oben erwähnte Werbebrief verwirklicht auch
eine besonders wirksame Form der Personalisierung: ein
Post-it mit der handschriftlich aussehenden Aufschrift
„Antworten Sie schnell und gewinnen Sie zusätzlich
5.000 Euro in bar!“. Garner (2005b) zeigt, dass Post-its
eine besonders wirksame Methode sind, um Menschen
bei schriftlichen Aufrufen zur Kooperation zu bewegen.
Eine weitere Strategie ist das Prinzip der Verknappung. Menschen werten das auf, was knapp ist oder zu
werden droht (z. B. Cialdini, 2001; Felser, 2007), und diese
allgemeine Regel wird im Mailing an vielen Stellen ausgenutzt. Wiederholt wird zunächst das Auswahlverfahren
betont, mit dem Sie überhaupt in die engere Wahl für die
Verlosung gekommen sind. Das erhöht die Exklusivität
des Angebots und Ihren privilegierten Status. Dann ist
aber auch alles gleich sehr, sehr eilig – auch das ist eine
Methode, durch Verknappung eine Aufwertung herbeizuführen.
Im Umschlag befinden sich noch eine Menge Papiere,
die durch Siegel und Stempel Seriosität suggerieren sollen.
Solche Zeichen wirken ähnlich wie Attrappen, das heißt:
Man sollte nicht zu genau hinschauen. Bei oberflächlicher
Betrachtung genügen diese Seriositätsattrappen vermutlich auch. Eine oberflächliche Prüfung darf man tendenziell bei guter Stimmung erwarten (Bless, Bohner, Schwarz
& Strack, 1990). Wer also möchte, dass seine Argumente
nicht auf Herz und Nieren geprüft werden, der sollte sein
Publikum in eine gute Stimmung versetzen. Zum Beispiel,
indem er ihnen suggeriert, sie säßen bereits in dem schönen Wagen, den sie ganz sicher schon gewonnen haben …
Interessanter erscheint hier allerdings, dass dem Umschlag die Kopie eines internen Schriftverkehrs beiliegt: ein
vertrauliches Memorandum, in dem einige wichtige Eckpunkte der Verlosung betriebsintern abgestimmt werden,
so etwa die zeitliche Befristung und die Bedeutung der korrekten Zulassungsnummer für die Verlosung (die übrigens
interessanterweise mit Ihrer übereinstimmt). Auch diese
Strategie soll die Glaubwürdigkeit der Werbebotschaft erhöhen: Menschen glauben eher Informationen, die gar
nicht für sie selbst bestimmt sind, da sie hinter solchen
Botschaften keine Beeinflussungsabsicht vermuten müssen
(Walster & Festinger, 1962; ▶ Abschn. 9.5.3). Das Memo an
den Kollegen, das der Kunde zu sehen bekommt, ist daher
vertrauenswürdiger als die strategisch wohlüberlegte Rede
des Verkäufers.
Eine weitere Strategie, diesmal einem anderen Mailing entnommen: Wieder werden Sie namentlich begrüßt,
dann geht es weiter: „… würden Sie sich auch als einen
Leser einstufen, der sich für Politik und alles, was so in der
Welt geschieht, interessiert?“ Nun, so etwas verneinen Sie
sicher nicht leichtfertig. Vielleicht täten Sie das aber besser, denn in der Folge erhalten Sie ein Angebot, das genau
auf Ihre Interessen zugeschnitten ist und bei dem es Ihrem
Bekenntnis zu diesen Interessen diametral entgegenliefe,
wenn Sie hierzu nein sagten.
Das psychologische Prinzip dieser Strategie ist das der
Konsistenz: Es werden beim Gegenüber Verhaltensweisen provoziert, die es ihm immer schwierig machen, die
Richtung seines Verhaltens komplett zu ändern, sobald die
eigentliche Forderung kommt. Menschen neigen grundsätzlich dazu, die Richtung, die ihr Verhalten genommen
hat, nicht ohne Grund zu ändern. Für die Beibehaltung der
Richtung aber brauchen sie keine eigenen Gründe. Darauf
baut auch die Fuß-in-der-Tür-Technik auf (Freedman &
Fraser, 1966). Hierbei holt sich ein Bittsteller zunächst die
Zustimmung zu einer kleinen Bitte, folgt dann aber mit einem deutlich größeren eigentlichen Anliegen. Mit der Zustimmung zu den vorausgegangenen Bitten hat das Verhalten des Adressaten eine bestimmte Richtung genommen,
die er nun nicht mehr ändern kann, ohne dabei das Gefühl
zu haben, er verhalten sich inkonsistent. Allerdings sind
diese Techniken in der direkten Interaktion noch leichter
anzuwenden als im Mailing.
Schattenseiten des Interneteinkaufs
Der Versand über das Internet ist sicher eine bevorzugte
Form des Einkaufs. Vor Weihnachten 2013 sind täglich bis
zu 15 Millionen Päckchen verschickt worden (Schaefer,
2013). So bequem dies auch sein mag, hat dieser Vertriebsweg auch ernste Nachteile, und die Tatsache, dass der Einzelhandel unter dem zunehmenden Interneteinkauf leidet,
ist – zumindest aus Konsumentensicht – nicht einmal der
gravierendste. Für den Handel sind z. B. die hohen Rücksendequoten von online gekauften Waren ein Problem. Der
Online-Fashionhändler Zalando hat 2012 mit dem Slogan
„Schrei vor Glück – oder schick's zurück“ zwar eine preisgekrönte Kampagne genutzt und dabei enorme Bestellmengen provoziert. Da aber bis zu 70 % der Waren wieder
zurückgeschickt wurden, sind die Gewinne ausgeblieben
151
9.4 • Vertriebspolitik
(Groh-Kontio, 2012) – von der Umweltbelastung einmal
ganz abgesehen.
Bekleidung ist nur eine von mehreren Warengruppen,
die sich nur bedingt für den Interneteinkauf eignen. Konsumenten wollen Waren häufig berühren und ausprobieren. Hohe Rücksendequoten gehen mindestens zum Teil
darauf zurück, dass dieses Bedürfnis im Interneteinkauf
nicht befriedigt werden kann. Das Bedürfnis nach Berührung beschränkt sich nicht nur auf das Anprobieren. Auch
die taktile Erfahrung an sich ist bedeutsam (Peck, 2010),
nicht nur um Produkteigenschaften zu testen, sondern
auch quasi als Selbstzweck (Nuszbaum, Voss, Klauer &
Betsch, 2010; Peck & Childers, 2003). Konsumenten fällt
es auch schwerer, eine angebotene Ware nicht zu kaufen,
wenn sie sie wenigstens einmal berührt haben. Allem Anschein nach führt die Berührung zu einem temporären
Gefühl des Besitzes – das Produkt nicht zu kaufen, löst
daraufhin Verlustaversion aus (Peck & Shu, 2009). Diese
Gefühle können bloß vorgestellte Berührungen immerhin
ansatzweise auch hervorrufen – insofern ist es für Internethändler sinnvoll, bei Produktbeschreibungen die taktilen Erfahrungen möglichst plastisch und anschaulich zu
vermitteln (Peck, Barger & Webb, 2013).
Viel dramatischer sind aus Verbrauchersicht sicherlich
aber Praktiken des Internethandels, die Brignull (2011) unter dem Begriff „Dark Patterns“ zusammenfasst. Hiermit
sind Strategien gemeint, die die Möglichkeiten des Internets zum Schaden der Verbraucher ausnutzen. Einige davon sind relativ unverblümte Betrügereien (z. B. Techniken,
die es dem Nutzer unmöglich machen, eine bestimmte
Aktion regulär zu beenden, sog. „road blocks“). Andere
nutzen psychologische Mechanismen zur Täuschung der
Verbraucher, so etwa wenn das Feedback anderer Kunden
verzerrt wiedergegeben wird und dadurch Konsumenten, die nach der Konsensheuristik entscheiden (s. o.),
getäuscht werden. Zu diesen Dark Patterns zählt wohl
auch das individuelle Anpassen von Preisen im Internet.
Nutzer offenbaren durch ihr Suchverhalten Informationen
über ihre Interessen und oft auch über ihre mutmaßliche
Zahlungsfähigkeit, die zur Preisanpassung genutzt werden
können. Zwar wird im Internet nicht alles praktiziert, was
theoretisch möglich ist, dynamische Preisanpassungen
innerhalb von sehr kurzer Zeit bei denselben Anbietern
sind aber durchaus üblich (Kölle, 2013). Diese Praxis mag
aus einer ökonomischen Perspektive nicht problematisch
erscheinen. Immerhin ist es keineswegs zwingend, dass
ein Preis nur dann „fair“ ist, wenn alle Kunden dasselbe
bezahlen. Wenn stattdessen jeder Kunde das bezahlt, was
ihm das Produkt „wert“ ist, könnte man die dynamische
Preisanpassung sogar als besonders gerecht ansehen. Diese
Argumentation (vgl. z. B. Kölle, 2013, S. 82) geht allerdings
von einer Voraussetzung aus, die aus psychologischer Sicht
als ein „Aberglaube“ bezeichnet werden muss, nämlich die
Annahme, dass die Preisbereitschaft eines Konsumenten
Ausdruck seiner Präferenz bzw. seines Bedürfnisses ist. Die
Psychologie hat über Jahrzehnte (spätestens seit den Arbeiten von Tversky & Kahneman, 1974) gezeigt, dass Preisschätzungen unreliabel sind und außerordentlich stark von
externen Ankern abhängen (z. B. Ariely, Loewenstein &
Prelec, 2003).
Brignull (2013) empfiehlt zur Bekämpfung von Dark
Patterns nicht so sehr gesetzliche Regelungen als vielmehr
die Methoden des Internets, so etwa die Plattform ▶ http://
darkpatterns.org/, auf der bislang schon eine Vielzahl von
Praktiken öffentlich gemacht und Unternehmen zum Einlenken gezwungen wurden.
9.4.2
Gestaltung der Verkaufsräume
Für die Konsumenten erscheinen die Lage der Geschäfte im
Ort und die Gestaltung der Verkaufsräume als besonders
augenfällige Elemente der Vertriebspolitik. Die Menge der
möglichen Einflüsse auf die Zufriedenheit der Konsumenten sind beträchtlich (▶ Beispiel): Bereits im Vorfeld des
Einkaufs ist zu fragen, ob und wie sich Konsumenten über
das Geschäft informieren können, ob sie etwa Prospekte
oder Kataloge haben, ob das Geschäft leicht zu erreichen
ist, ob man dort Parkplätze findet und wie der Transport
der Waren geregelt wird. Der letztere Punkt ist nicht nur
dann für das subjektive Einkaufserleben relevant, wenn es
sich um Möbel handelt oder den Wocheneinkauf mit dem
Fahrrad in der Innenstadt. Auch Konsumenten, die eigentlich ausreichend motorisiert sind und über Gepäckraum
verfügen, könnten es begrüßen, wenn ihnen Mitarbeiter
des Geschäfts beim Einpacken der Ware und dem Transport zum Kofferraum behilflich sind. Dieser Service ist in
Deutschland unüblich, in den USA jedoch alltäglich.
Beispiel
| |
Eine weitgehend gleiche Gestaltung, wie man sie etwa
bei den Ikea-Filialen antrifft, erleichtert nicht nur die
Orientierung. Sie kann überdies auch die Kaufbereitschaft psychologisch unterstützen: Beispielsweise kann
eine frühe Präsentation von hochpreisigen Produkten
(z. B. Küchen, Wohnzimmer) im Sinne eines Anker­
effekts spätere Produkte preisgünstiger erscheinen
lassen. Ungeplante, impulsive Käufe sind gegen Ende
des Einkaufs wahrscheinlicher als an dessen Anfang.
Dies gilt nicht nur, weil spätere Ausgaben im Kontext
der bereits verausgabten Summe klein und unscheinbar erscheinen (s. o., Christensen, 1989). Konsumenten
kaufen auch impulsiver, wenn sie bereits eine anstrengende Tätigkeit hinter sich haben (Vohs & Faber, 2007).
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Kapitel 9 • Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet
Der Impulskauf wirkt dann belohnend und stimmungsregulierend – und ein Einkauf, der eine Reihe von
Überlegungen und Entscheidungen abverlangt, kann
durchaus als hinreichend anstrengend gelten, um ein
solches Bedürfnis nach Stimmungsregulation hervorzurufen (Baumeister, 2002). Offenbar ist es also aus
mehreren Gründen sinnvoll, dass Ikea preisreduzierte
Rest- und Einzelstücke (deren Kauf der Konsument
ja nicht geplant haben kann) am Aus- und nicht am
Eingang präsentiert.
Die unattraktive, lagerartige Gestaltung des Verkaufsraums am Ausgang kann auch positive Effekte auf den
Verkauf haben, nämlich dann, wenn die Konsumenten
dies als Hinweis auf einen geringen Preis deuten: Eine
einfache Faustregel beim Vertrieb besagt, dass jeder
Zwischenschritt zwischen Hersteller und Endverbraucher Kosten verursacht. Nach dieser Faustregel werden
auch Konsumenten Angebote über unterschiedliche
Vertriebskanäle beurteilen; d. h., sie dürften Angebote, die nach einem direkten Vertrieb aussehen, als
preisgünstiger erleben im Vergleich zu Angeboten, die
einen indirekten Vertrieb suggerieren.
Dies ist einer der Gründe, weshalb etwa der Verkauf
von Reisen, Bahn- oder Flugtickets am Terminal oder
übers Internet eine lukrative Alternative zum traditionellen Vertrieb über Schalter und Reisebüros darstellt.
Auch sog. Factory Outlets sind nicht zuletzt wegen des
verkürzten Vertriebsweges attraktiv. Diese Verkaufsstätten werden von den Herstellern selbst betrieben, die
dann auch selbst bestimmen, wie die Ware präsentiert
und angeboten wird. Oft befinden sich diese Outlets in
der Nähe des Produktionsbetriebes. In der Regel werden dort die Waren zu sehr günstigen Preisen verkauft,
allerdings handelt es sich dabei aber auch vornehmlich
um überschüssige Produkte, Versuchsserien, die nicht
auf den Markt gekommen sind, Ware zweiter Wahl oder
Auslaufmodelle. Durch den Sonderstatus der Geschäfte
wird auch beim Verkauf von Auslaufmodellen oder
Ware zweiter Wahl das Image des Unternehmens
geschont (Kotler & Bliemel, 1995, S. 858).
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Im Verkaufsraum selbst können unübersichtliche und
überfüllte Gänge, schlecht gekennzeichnete Ware oder
ständig abgelenkte Verkäufer das Einkaufserleben beeinträchtigen (Blackwell et al., 2006), insbesondere dann,
wenn der Einkauf selbst keine freiwillige Wunschbeschäftigung darstellt (Hui & Bateson, 1991).
Ein angenehmes Umfeld im Verkaufsraum kann erheblich zum Verkaufserfolg beitragen. Donovan, Rossiter,
Marcoolyn und Nesdale (1994) zeigen, dass die durch das
Umfeld induzierte Stimmung fünf Minuten nach Betre-
ten der Verkaufsräume sowohl die im Geschäft verbrachte
Zeit als auch die Menge der ungeplanten Käufe vorhersagen kann. Allgemeine Aktivation steht dagegen mit
dem Verhalten im Verkaufsraum in keinem eindeutigen
Zusammenhang. Die Befunde lassen sich erklären, wenn
man den Konsumenten bestimmte Attributionsprozesse
unterstellt (strukturell ähnliche Überlegungen deuten auch
Donovan et al. an): In einem Verkaufsraum, der als wenig
ansprechend erlebt wird, attribuieren Konsumenten ihre
Aktivation auf das Umfeld. Wenn Personen also hoch aktiviert sind, empfinden sie eine unangenehme räumliche
Umgebung noch unangenehmer als wenn sie gering aktiviert gewesen wären. In der Folge sind sie weniger kaufgeneigt. Donovan et al. empfehlen daher, in Verkaufsräumen,
die an sich wenig ansprechend gestaltet sind (z. B. in vielen
Discountern, vgl. auch die einer Lagerhalle ähnelnde Verkaufsfläche in den Metro-Filialen), auf aktivierende Stimuli
(z. B. euphorische Musik, helles Licht, helle Farben) eher
zu verzichten.
Wie wichtig die Befindlichkeit der Konsumenten in
den Verkaufsräumen selbst ist, lässt sich auch daran ablesen, dass mehr als zwei Drittel aller Kaufentscheidungen
vor Ort im Geschäft selbst gefällt werden. Die Zahl variiert je nach Produktkategorie und ist erwartungsgemäß
am höchsten bei Produkten, die häufig aus einem Impuls
heraus gekauft werden, z. B. Süßigkeiten, Kaugummi oder
Kosmetik (s. Solomon, 1999, S. 316).
Zu den Merkmalen, die das Befinden in den Verkaufsräumen beeinflussen, gehören u. a. Farben und Beleuchtung. Zum Beispiel fanden Bellizi und Hite (1992), dass
die Kaufneigung in einer blau gestalteten Umgebung stärker war als bei roter Farbe. Auch hier zeigte sich, dass die
Aktivation die Kaufneigung nicht vorhersagt: Obwohl die
rote Farbe stärker aktivierte, hatte Blau die angenehmere
Stimmung erzeugt, was letztlich offenbar die größere Bedeutung hatte. Was die Beleuchtung betrifft, so wird Tageslicht, soweit möglich, einer künstlichen Beleuchtung vorgezogen. Wal-Mart verzeichnet höhere Absätze in Filialen,
die mit Tageslicht beleuchtet werden können. Bei hellerer
Beleuchtung untersuchen Konsumenten die Waren intensiver. Allerdings kann Beleuchtung auch so gestaltet werden,
dass sie Fehler und Mängel verdeckt. Dies gilt nicht nur
für die Waren. Die Modedesignerin Norma Kamali ließ in
Verkaufsräumen statt der üblichen Neonbeleuchtung ein
pink eingefärbtes Licht anbringen. In diesem Licht sollten
die Kundinnen vorteilhafter aussehen, z. B. sollten Runzeln
und Falten weniger sichtbar sein. In der Folge probierten
und kauften die Kundinnen mehr Bademode als bei der
üblichen Beleuchtung (Beispiele zitiert nach Solomon,
1999, S. 316).
Der Geruch in den Verkaufsräumen hat eine Reihe von
Effekten (z. B. Knoblich, Scharf & Schubert, 2003). Eine besonders auffallende Wirkung finden Spangenberg, Crowley
153
9.5 • Kommunikationspolitik
und Henderson (1996) in einem Experiment auf das subjektive Zeiterleben: Probanden in bedufteter Umgebung erlebten ihren Aufenthalt in den Verkaufsräumen als kürzer
im Vergleich zu Probanden in einer unbedufteten Umgebung. Dabei lag die Fehleinschätzung bei den Probanden
in der unbedufteten Bedingung. Diese waren nämlich der
Meinung, sie seien länger in den Verkaufsräumen gewesen
als es tatsächlich der Fall war. Auch eine positivere Bewertung der Produkte war zu beobachten, diese war allerdings
nicht über alle Produktkategorien gleich stark.
Kommunikationspolitik
9.5
9.5.1
Public Relations
Das Unternehmen im nachfolgend geschilderten ▶ Beispiel
betreibt Kommunikationspolitik, mit Werbung hat diese
Maßnahme aber nichts zu tun. Werbung ist zwar eine prominente, aber offenbar bei weitem nicht die einzige Methode, die das Marketing nutzt, um mit Konsumenten zu
kommunizieren (zu Werbewirkungs- und Persuasionsforschung s. auch ▶ Kap. 2–6 in diesem Band).
Beispiel
| |
Der Hersteller lädt ein in eines der angesagtesten Hotels in einer deutschen Metropole. Es gibt feines Essen,
man parliert mit Marketing- und Geschäftsleitung, und
nach einer Luxusübernachtung gibt es am nächsten
Tag eine Produktpräsentation. Vorher allerdings wird
noch etwas für die Bildung getan: ein unterhaltsamer
Fachvortrag über ein Thema, das mit dem Produkt nur
lose zusammenhängt. Es gibt ein exotisches Büffet,
und dann werden alle Gäste mit einem Shuttle zu einer
Ballonfahrt kutschiert.
Die geladenen Gäste sind freilich keine alltäglichen
Endverbraucher, sondern Journalisten, die für die
Fachpresse schreiben. Sie werden bei dieser Gelegenheit ganz offiziell mit einer Produktneuerung vertraut
gemacht, dürfen das Produkt natürlich auch ausprobieren und sollten dann bitte, bitte wohlwollend darüber
berichten. Der Bericht darf allerdings nicht vor der
offiziellen Markteinführung erscheinen, die erst eine
Woche später stattfindet.
Auch wenn das Hotel sicher eines der teuersten am
Ort war und auch die restlichen Wohltaten nicht eben
gratis waren, hat diese Marketingmaßnahme das
Unternehmen noch immer nur einen Bruchteil dessen
gekostet, was es parallel dazu für seine Werbung
ausgeben wird. Was genau die Journalisten schreiben
werden, hat das Unternehmen zwar nicht mehr im
Griff, aber auch Journalisten fühlen sich der Reziprozi-
tätsnorm verpflichtet (z. B. Cialdini, 2001) und werden
hoffentlich nach dieser großzügigen Behandlung vor
einem totalen Verriss zurückschrecken.
In der PR-Arbeit sind die Unternehmen auf die Zusammenarbeit mit der Presse angewiesen. Dabei kann diese
Pressearbeit durchaus auch in Mitteilungen an eine
nichtspezialisierte Tagespresse bestehen. Für die Pflege des
Unternehmensimages insbesondere in der Region, wo das
Unternehmen ansässig ist, kann diese Arbeit ebenfalls sehr
wichtig sein. Adressaten für diese Art der Kommunikation
sind nicht nur Kunden und Verbraucher, sondern auch lokale Entscheidungsträger oder potenzielle Arbeitnehmer.
Unternehmensimages hängen eng mit der Qualität der Bewerber und ebenso der späteren Arbeitskräfte zusammen:
Wer ein entsprechend positives Image hat, wird als Arbeitgeber von höher qualifizierten Bewerbern nachgefragt
und findet dementsprechend auch besonders qualifizierte
Arbeitskräfte (Turban & Cable, 2003).
Die PR der Unternehmen werden besonders wichtig
in Krisensituationen, etwa wenn der Ruf des Unternehmens bedroht ist. Ein prominentes Beispiel für eine solche Situation ist der Versuch des Shell-Konzerns aus dem
Jahr 1995, die nicht mehr benötigte Bohrinsel Brent Spar
in der Nordsee zu versenken. Diese Absicht wurde durch
Umweltaktivisten von Greenpeace bekannt gemacht und
fügte dem Konzern erheblichen Imageschaden zu (zum
Überblick z. B. Greenpeace, 2005). Die Bedeutung der Medienarbeit ist in diesem Zusammenhang von Seiten des
Konzerns stark unterschätzt worden. So konnte beispielsweise Greenpeace mit deutlich übertriebenen Schätzungen
der in der Plattform enthaltenen Ölrückstände internationales Aufsehen erregen und weitreichende Boykotts von
Shell-Tankstellen auslösen, ohne dass Shell auf diese Informationen angemessen reagierte. Die falschen Schätzungen
wurden später von Greenpeace offiziell zurückgenommen,
der Imageverlust war dadurch aber nicht zu kompensieren
(s. auch Löding, Schulze & Sundermann, 2006). Shell sah
sich gezwungen, die Ölplattform an Land zu entsorgen.
Erst einige Monate später reagierte der Konzern mit einer
Gegenkampagne, zunächst mit dem defensiv angelegten
Slogan „Wir haben verstanden“. Auch das Motto der sich
daran anschließenden Kampagne lief klar auf die Übernahme von Verantwortung hinaus: „Shell – wir kümmern
uns um mehr als Autos.“
In der Tat zeigt sich, dass es durchaus positive Konsequenzen haben kann, wenn ein Unternehmen für negative
Ereignisse der Vergangenheit öffentlich die Verantwortung
übernimmt. Lee, Peterson und Tiedens (2004) können sogar zeigen, dass sich Unternehmen, die in den Jahresberichten explizit eine Teilschuld für eine nicht optimale Un-
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Kapitel 9 • Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet
ternehmensentwicklung übernehmen, im Folgejahr eine
bessere Entwicklung durchlaufen als Unternehmen, die
keine Verantwortung übernehmen. Erklärt wird der Effekt
damit, dass die Übernahme von Schuld auch Kontrollierbarkeit impliziert, sodass die Anleger davon ausgehen, dass
der Kurs von dem Unternehmen positiv beeinflusst werden
kann – und wird. Diese Überlegungen scheinen offenbar
die Anleger zu ermutigen, sodass die Unternehmen letztlich davon profitiert, dass sie eine zunächst wenig positive
Unternehmensentwicklung offen kommuniziert.
Gegenwärtig hat sich unter dem Schlagwort „corporate
social responsibility“ die Bereitschaft, über die Unternehmenstätigkeit hinaus Verantwortung zu übernehmen, noch
erheblich weiterentwickelt. Unternehmen, die sich dieser
Verantwortung verschreiben, erklären sich dazu bereit,
„auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange
in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren“ (Europäische
Kommission 2001, zitiert nach Bassen, Jastram & Meyer,
2005, S. 232; ▶ Kap. 17).
9.5.2
Kommunikation mit Multiplikatoren
und die Diffusion
von Produktinnovationen
In der Produktpräsentation aus dem Beispiel im vorherigen
Abschnitt richtete sich die Kommunikation an spezielle
Multiplikatoren, die an einer wichtigen Schaltstelle für
die Weiterleitung der Information sitzen: Hier bestimmen
Fachjournalisten, was die interessierten Konsumenten
über das Neueste auf dem Markt erfahren werden. In anderen Fällen richtet sich die Kommunikation direkt an Endverbraucher, so etwa, wenn Software vor der Einführung
als Beta-Versionen an ausgewählte Computernutzer ausgegeben wird. Diese Strategie führte nicht nur dazu, dass
Mängel frühzeitig entdeckt und beseitigt werden konnten.
Noch wichtiger ist der kommunikative Effekt dieser Maßnahme (Marsden, 2004).
Wie neue Produkte ihren Weg zum Konsumenten
finden, ist eine der wichtigsten Fragen des Marketings.
Diese Frage wird umso dringlicher, als sich mittlerweile
längst Zeichen einer Innovationsunlust im Markt zeigen
(Dethloff, 2004). Offenbar verändert sich insbesondere
der Markt für technische Produkte schneller als der Bedarf der Konsumenten. Dethloff (2004) zeigt darüber
hinaus, dass die Innovationsmüdigkeit besonders ausgeprägt ist bei Produkten, die sich außerordentlich rasant
verändern (z. B. Haushaltsgeräte). Um die Bereitschaft zur
Übernahme einer Neuerung einzuschätzen, ist es daher
offenbar erforderlich, die Effekte ganzer Serien von Innovationen zu betrachten: Häufige Veränderungen in der
Vergangenheit gehen mit einer verringerten Bereitschaft
einher, eine weitere Neuerung beim Produkt zu akzeptieren.
Es kann keinen Zweifel daran geben, dass für die Diffusion von Innovationen die persönliche Kommunikation der Konsumenten untereinander eine mindestens
so große Rolle spielt wie die Werbung. Batinic und Appel
(2013) zeigten die Bedeutung der persönlichen Kommunikation für eine Konsumhandlung experimentell: Sie
präsentierten einer Experimentalgruppe einen neuen, den
Probanden nicht bekannten Film, der wenig später offiziell
in die Kinos kommen sollte. Aus einer Voruntersuchung
waren Namen und Adressen von Personen aus dem Freundeskreis der Experimental- und einer Kontrollgruppe bekannt. Diese Freunde wurden in der Folge befragt. Für die
Experimentalgruppe zeigte sich, dass 36 % der Freunde
nach zwei Wochen den Film gesehen hatten. Im Freundeskreis der Kontrollgruppe, der kein Film gezeigt wurde,
waren es nur rund 24 %. Offenbar hat die bloße Tatsache,
dass ein Freund einen Film bereits gesehen hat, einen großen Einfluss auf die eigene Bereitschaft, für diesen Film
ins Kino zu gehen.
Frühe Theorien zur Innovationsübernahme gehen
davon aus, dass Menschen rationale Entscheidungen darüber treffen, ob sie eine Neuerung übernehmen wollen.
Dabei kommt zum einen die Einschätzung des erwartbaren Nutzens, zum anderen aber auch eine persönliche
Grundbereitschaft und Offenheit zur Übernahme von
Neuerungen zum Tragen (z. B. Rogers, 1995). Für die Gültigkeit eines solchen Modells spricht u. a. die Tatsache, dass
einer der wichtigsten Faktoren bei der Innovationsneigung
das wahrgenommene Risiko ist (Dethloff, 2004).
Die persönliche Offenheit gegenüber Neuerungen
ist der zweite Faktor bei der Innovationsübernahme.
Diese Offenheit wird als stabiles Merkmal von Personen
verstanden. Zu ihrer Messung stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung (z. B. King & Summers, 1970; Rogers
& Cartano, 1962; s. auch Flynn, Goldsmith & Eastman,
1994). Auch für die Bedeutung dieses zweiten Faktors, der
stabilen Personunterschiede bei der Diffusion von Innovationen, gibt es reichlich Evidenz. So zeigt sich etwa in
dem oben zitierten Experiment von Batinic und Appel
(2013), dass nicht alle Personen gleich gut geeignet sind,
die Konsumhandlung bei anderen anzuregen: Es waren
v. a. Meinungsführer und Filmkenner, die andere zu einem
Kinobesuch anregen konnten. Produktexpertise und Meinungsführerschaft prägen also als differentielle Merkmale
bestimmter zentraler Personen die Konsumgewohnheiten
vieler anderer. Insofern ist es eine besondere Aufgabe der
Kommunikationspolitik, speziell solche Multiplikatoren
anzusprechen.
Risikoabschätzung und individuelle Offenheit bestimmen also nachweislich die Wahrscheinlichkeit einer Innovationsübernahme. Aber auch affektive und emotionale
155
9.5 • Kommunikationspolitik
Komponenten, die in den Modellvorstellungen von Rogers (1995) erstaunlicherweise nicht vorkommen, spielen
bei der Innovationsbereitschaft eine wichtige Rolle. Dies
zeigt sich z. B. in dem Befund, dass die Bereitschaft zur
Übernahme von Neuerungen eng mit dem Personmerkmal
„Hedonismus“ zusammenhängt (Dethloff, 2004).
Ein jüngeres Modell von Batinic (z. B. Batinic, Haupt &
Wieselhuber, 2006) sieht die Diffusion von Innovationen
als Prozess, dessen Verlauf wesentlich durch Trendsetter
bestimmt wird. Trendsetter sind mehr als reine Innovatoren. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass sie früh
eine Technologie aufgreifen, die als neu wahrgenommen
wird. Trendsetter tun dies auch, sie neigen aber in der
Folge dazu, in der Kommunikation mit ihrem sozialen
Umfeld bestimmte Aspekte der Neuerung hervorzuheben
und andere in den Hintergrund zu drängen. Anders ausgedrückt: Sie lenken die Aufmerksamkeit ihrer Freunde
und Bekannten auf bestimmte Aspekte des Angebots und
sprechen Empfehlungen aus. Wichtig ist dabei, dass der
Trendsetter „das Potential einer Innovation frühzeitig
erkennt, ihre Bedeutung in die bestehenden Strömungen
einordnet und dies an sein soziales Umfeld weitergibt“ (Batinic et al., 2006, S. 61).
Ob man nun von Meinungsführern, Innovatoren oder
Trendsettern spricht, in jedem Fall zeigt sich, dass Innovationen von bestimmten Personen eher verbreitet werden
als von anderen. Gleichwohl sind die Personmerkmale
nicht allein entscheidend: Soziale Netzwerke und die
darin stattfindenden Kommunikationsprozesse sind für
die Diffusion von Neuerungen ebenso wichtig wie die Eigenschaften der zentralen Multiplikatoren.
Auch das subjektiv Erlebte der Innovation kann nicht
in allen Fällen plausibel machen, warum sich diese Innovation durchgesetzt hat und jene nicht. Manche Trends
und Modeerscheinungen lassen sich kaum noch als das
Ergebnis einer Risikoabwägung einzelner Meinungsführer
beschreiben. Der durchschlagende, wenn auch teilweise
kurzfristige Erfolg von Tamagotchis, von weit unterhalb
der Hüfte getragenen Schlabberhosen oder verkehrt getragenen Baseballmützen erscheint eher einer Epidemie vergleichbar als einem technologischen Entwicklungsschritt
– und doch ist er für das Marketing ebenfalls wichtig.
Unter den Bezeichnungen „tipping point research“,
„viral culture“, „memetics“ oder „buzz marketing“ sind
Modelle populär geworden, die sich mit der Verbreitung
von solchen Modeepidemien, von ansteckenden Ideen
(„infectious ideas“) beschäftigen. Marsden (2004; siehe
auch Gladwell, 2000) führt die Verbreitung von Ideen und
Verhaltensweisen auf drei Faktoren zurück:
1. Das Gesetz der Wenigen (the rule of the few): Ideen
werden auch in diesem Modell nicht von allen Personen mit der gleichen Wahrscheinlichkeit weitergetragen. Die Kommunikation des Marketing sollte
sich vielmehr an Personen richten, die das sog. ACTIVE-Profil besitzen. Dabei steht ACTIVE als Akronym
für die englischsprachige Bezeichnung der folgenden
Merkmale: Wer das ACTIVE-Profil besitzt,
gehört zu den ersten, die eine Innovation übernehmen („ahead in adoption“),
ist sozial und elektronisch vernetzt („connected“),
reist gern („travellers“),
ist wissbegierig („information hungry“),
redet gern („vocal“) und
rezipiert die Medien („exposed to media“).
2. Der Verankerungsfaktor (the stickiness factor): Ideen
(bzw. Produkte) haben ein unterschiedlich starkes
„Ansteckungspotenzial“. Ideen und Produkte verfügen
über ein besonders hohes Ansteckungspotenzial, wenn
sie
als die Besten ihrer Art wahrgenommen werden
(„excellence“),
als einzigartig gelten („uniqueness“),
ästhetisch ansprechend sind („aesthetics“),
positive Assoziationen wecken („association“),
ein emotionales Engagement erzeugen („engagement“),
die Werte des Nutzers repräsentieren („expressive
value“),
funktionalen Wert haben („functional value“),
nostalgische Gefühle wecken („nostalgic value“),
Charakter und Persönlichkeit besitzen („personification“),
einen angemessenen Gegenwert zu ihrem Preis
bieten („cost“).
3. Die Macht der Umgebung (the power of context):
Die ansteckende Idee muss auf passende Kontextbedingungen treffen. Soziale, mentale und physische
Umweltbedingungen müssen die Idee fördern. Üblicherweise leben Konsumenten in einer Umwelt, an die
sie sich angepasst haben. Aber schon leichte Veränderungen dieser Umwelt werden weitere Anpassungsleistungen auslösen. Solche Kontexte können in Steuern und Bahnpreisen, in der Architektur der Häuser
oder der Versorgung mit Rechnern am Arbeitsplatz
bestehen.
---
----
Dramatisch zeigt sich die Bedeutung solcher kleinen Umweltveränderungen bei der Erforschung von Vandalismus
und Kriminalität: Sobald in einer Wohngegend nur eine
einzige Fensterscheibe sichtbar zerbrochen ist, steigt die
Wahrscheinlichkeit von weiteren Fensterbrüchen sprunghaft an. Die Häufigkeit von Überfällen in der U-Bahn sinkt
erheblich, wenn von den Zügen und Wänden die Graffiti
entfernt werden (z. B. Kelling & Coles, 1996). In ähnlicher
Weise wird also auch erwartet, dass sich Konsumgewohnheiten bereits mit kleinen Variationen in der Umwelt
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Kapitel 9 • Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet
ändern (Gladwell, 2000; Marsden, 2004). Das Marketing
muss also neben den Konsumenten auch deren Umwelt
erforschen und gegebenenfalls beeinflussen.
Die Bedeutung von Umweltbedingungen und Kommunikationsstrukturen zeigt sich auch daran, dass Menschen
manchmal ganz unverhofft und ohne von ihrer Persönlichkeit dazu prädestiniert zu sein, zu Meinungsführern
und Multiplikatoren werden. Berufliche Rollen oder eine
bestimmte Lebenserfahrung können einen Menschen für
andere zu einem wichtigen Informanten machen. Diese
Funktion übernehmen z. B. junge Eltern schnell füreinander, wenn die Verunsicherung beim Umgang mit dem
neuen Erdenbürger und der zugehörige Informationsbedarf besonders groß sind. Trotzdem zeigt sich an den
geschilderten Modellen, dass es nicht nur auf Rollen und
Lebensumstände, sondern auch auf Persönlichkeitsmerkmale ankommt: Die Kommunikationspolitik ist gut beraten, wenn sie insbesondere Menschen mit den passenden
Merkmalen anspricht, denn offenbar ist nicht jeder zum
Multiplikator gleich gut geeignet.
9.5.3
Die direkte Kommunikation
mit dem Kunden
Der unmittelbare Kontakt zwischen Unternehmen bzw.
Händlern und Kunden ist sicher die pointierteste Form der
Kommunikationspolitik. In ▶ Abschn. 9.4.1 wurde auf die
wachsende Bedeutung des Direktmarketing hingewiesen.
Hier fanden sich bereits einige Fälle, in denen eine besonders enge Kommunikation zwischen Kunde und Händler
besteht.
Eine enge Interaktion ist für die Unternehmen nicht
nur im Moment des Kaufs bzw. während der Kaufverhandlungen wichtig. Unter dem Schlagwort Customer
Relationship Management (CRM) sind Unternehmen
bestrebt, existierende Kunden zu halten und zu binden.
Diese Strategie ist deshalb besonders sinnvoll, weil es ökonomisch effizienter ist, Kunden zu halten und zu binden
als neue hinzuzugewinnen. Reichheld und Sasser (1990)
berichten, dass Unternehmen ihren Umsatz je nach Branche zwischen 25 und 85 % steigern konnten, wenn sie die
Abwanderungsrate ihrer Kunden um 5 % senkten. Dies
macht die Pflege der Kundenbeziehungen zu einem wichtigen Baustein der Kommunikationspolitik (Kantsperger,
2005; ▶ Kap. 8).
Eine psychologisch besonders interessante Form der
Kommunikationspolitik ist aber sicher die Interaktion zwischen Verkäufer und Kunde. Viele Strategien der sozialen
Beeinflussung lassen sich am effektivsten in der direkten
Interaktion durchführen, so etwa die Fuß-in-der-Tür- oder
die Tür-ins-Gesicht-Technik (siehe z. B. Cialdini, 2001; Felser, 2007; ▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Tür-ins-Gesicht-Technik
Wir geben einer Bitte sehr viel eher nach, wenn wir
bereits eine vorausgehende Bitte zurückgewiesen haben. Auf diesem Grundprinzip operiert die Tür-ins-Gesicht-Technik (Cialdini, Vincent, Lewis, Catalan, Wheeler & Darby, 1975). Der Fragende lässt sich gleichsam
absichtlich die Tür vor der Nase zuschlagen, um dann
ein zweites Mal an derselben Stelle mit einer Bitte aufzuwarten. Der zweiten Bitte wird mit deutlich erhöhter
Wahrscheinlichkeit entsprochen. Deshalb ist bei dieser
Technik meist das eigentliche Anliegen des Fragenden
erst in der zweiten Bitte enthalten.
Die Tür-ins-Gesicht-Technik wird häufig mit anderen
Prinzipien der sozialen Beeinflussung kombiniert. Am
geläufigsten ist die zusätzliche Ausnutzung des Kontrastprinzips und der Reziprozitätsnorm (Regel der Gegenseitigkeit). Bei der Kombination dieser psychologischen Prinzipien kommt dann eine Technik heraus, die
sich anschaulich in folgendem Dialog zeigt: „Könntest
du mir 200 Euro leihen?“ – „Nein.“ – „Könntest du mir
wenigstens 100 Euro leihen?“
Der Fragende hat aus drei Gründen gute Chancen,
seine 100 Euro zu bekommen.
1. Die befragte Person hat bereits einmal nein
gesagt und ihm damit die Tür vor der Nase zugeschlagen (Anwendung der Tür-ins-Gesicht-Technik).
2. Die zweite Bitte wirkt im Vergleich zur ersten klein
und harmlos (Kontrastprinzip).
3. Der Fragende ist durch die Reduzierung der befragten Person entgegengekommen. Er kann nun
auf die Gegenseitigkeitsnorm hoffen, der zufolge
auch die Zugeständnisse in Verhandlungen in
einem ausgewogenen Gegenseitigkeitsverhältnis
stehen sollten.
Dennoch dürfte ein Unterschied bestehen zwischen dem
„gerissenen“ und auf seinen kurzfristigen Vorteil bedachten Anwender psychologischer Verkaufstricks und dem
Verkäufer, der es versteht, Vertrauen und eine langfristige
Beziehung aufzubauen. Swan, Bowers und Richardson
(1999) stellten in einer Metaanalyse zusammen, von welchen Merkmalen es abhängt, ob Kunden einem Verkäufer
vertrauen. Danach haben z. B. Sachverstand und Kompetenz eines Verkäufers einen starken Einfluss auf seine
Vertrauenswürdigkeit. Interessanterweise sind aber diese
zentralen Verkäufermerkmale nicht die stärksten Determinanten der Vertrauenswürdigkeit: Wichtiger noch als
der Sachverstand erscheint in den Befunden von Swan
et al. (1999) ein Merkmalskomplex, den sie mit den Be-
157
9.5 • Kommunikationspolitik
griffen „Gutmütigkeit“, „Fairness“ und „Wohlwollen des
Verkäufers“ umschreiben. Konsumenten unterstellen diese
Merkmale, wenn sie den Eindruck haben, der Verkäufer
verfolge nicht ausschließlich eigene Interessen. Wird dagegen im Verkaufsgespräch deutlich, dass der Händler z. B.
auf eine Provision hofft, löst dies Reaktanz aus, und die
Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Verkaufs sinkt (z. B.
Wicklund, Slattum & Solomon, 1970).
Im Grunde ist jede deutlich sichtbare Beeinflussungsabsicht des Verkäufers dem Vertrauen und dem Beeinflussungserfolg abträglich. Dies macht auch Kommunikationsformen besonders effektiv, die keine Hinweise auf
eine strategische und mit dem Ziel der Beeinflussung gelenkte Information geben. Dazu zählt eine flüssige, freie
und schnelle Sprechweise, insofern nämlich ein flüssiges
Sprechen eben nicht kalkuliert wirkt. Felser (2007, S. 332 f)
nennt drei Bedingungen, unter denen eine Verkäuferinformation besonders glaubwürdig ist:
1. Der Empfänger zählt sich selbst gar nicht zum Adressatenkreis (Walster & Festinger, 1962): Zum Beispiel
würde der Kunde einer Information mehr Glauben
schenken, die er durch Zufall als Zeuge eines Gesprächs zwischen zwei Händlern aufschnappt, als derselben Information, die ihm der Händler direkt und an
seine Adresse präsentiert.
2. Die Information wird per Zufall, beiläufig und spontan
gegeben, z. B. in Form eines Versprechers, hinter dem
man keine Beeinflussungsabsicht vermuten kann.
3. Der Kommunikator „schadet“ sich mit der Information selbst, z. B. indem der Verkäufer ein Angebot der
Konkurrenz lobt.
Sympathie hat bekanntermaßen starke Einflüsse auf die
Bereitschaft zur Kooperation (z. B. Cialdini, 2001) und offenbar auch auf das Vertrauen dem Verkäufer gegenüber
(Swan et al., 1999). Von den wichtigsten Determinanten
der Sympathie sind Ähnlichkeit und physische Attraktivität am besten untersucht. Reingen und Kernan (1993)
belegen in einer Serie von Experimenten, dass Kunden
physisch attraktive Verkäufer nicht nur als geschickter und
vertrauenswürdiger wahrnehmen, sondern auch eher auf
ihre Vorschläge eingehen und sich bereitwilliger von ihnen
beeinflussen lassen.
In die Analyse von Swan et al. (1999) sind v. a. Studien
eingegangen, bei denen die Sympathie auf der Ähnlichkeit
zwischen Verkäufer und Kunde beruht. Welche Rolle z. B.
Einstellungsähnlichkeit im Verkauf hat, zeigen Woodside
und Davenport (1974) in folgendem Experiment: Die Probanden waren Kunden in einem Schallplattengeschäft. Der
Verkäufer stellte nun bei einem Teil der Käufer Einstellungsähnlichkeit her, indem er behauptete, er habe denselben Musikgeschmack wie sie. Die abhängige Variable
bestand im Verkauf eines kleinen Reinigungsmittels für
Tonköpfe, das den Kunden an der Kasse angeboten wurde.
Der Absatz war deutlich höher, wenn zuvor Ähnlichkeit
hergestellt wurde.
Auch verhältnismäßig nebensächliche Ähnlichkeiten
haben eine deutliche Beeinflussungswirkung: Zum Beispiel
steigt die Bereitschaft zur Kooperation an, wenn man erfährt, dass die bittende Person am selben Tag Geburtstag
(Burger, Messian, Patel, Prado & Anderson, 2004) oder
denselben Vornamen (Garner, 2005a) hat wie man selbst.
Der letztere Effekt ist übrigens auch in Mailings einsetzbar
(▶ Abschn. 9.4.1), wenn die ohnehin personalisierten Anschreiben von fiktiven Absendern stammen, die denselben
Vornamen haben wie der Adressat.
Kunden vertrauen Händlern mehr, mit denen sie schon
mehrfach zu tun hatten. Dies ist ein weiterer Befund aus
der Metaanalyse von Swan et al. (1999). Der Effekt der Vertrautheit mit dem Verkäufer auf das Vertrauen ist zwar
gering, aber bedeutsam.
Verkaufstechniken und -strategien gehören nach
den Befunden von Swan et al. (1999) allerdings kaum zu
den vertrauensbildenden Maßnahmen. In der Metaanalyse wurden vor allem zwei Techniken betrachtet: das gezielte Hinarbeiten auf einen Abschluss (die sog. „closing
technique“, eigentlich eine Sammlung von unterschiedlichen Strategien mit immer demselben Ziel) und Techniken
des „Einschmeichelns“, also gezielte Versuche, Sympathie
zu erzeugen (z. B. Strutton, Pelton & Tanner, 1996). Kunden tolerieren bis zu einem gewissen Grade, dass Verkäufer in der Verkaufssituation eigene Ziele haben und hierzu
auch persuasive Strategien einsetzen (z. B. Kirmani &
Campbell, 2009).
Man kann von den meisten in diesem Beitrag angesprochenen Marketinginstrumenten als Mittel der psychologischen Beeinflussung und insofern als Strategien sprechen, die eben nur in unterschiedlichem Grade subtil und
den Rezipienten wie auch den Anwendern im Marketing
in unterschiedlichem Grade bewusst sind. Wenn dies nun
den Eindruck verstärkt, dass Marketing im Grunde doch
nur aus Psychologie besteht, dann mag dieser Eindruck
vielleicht nicht ganz zutreffen, der Wirtschaftspsychologie
kann er aber eigentlich nur recht sein.
??
Kontrollfragen
1. In Köln wird das Bier in hohen und schmalen
Gläsern (sog. Kölsch-Stangen) ausgeschenkt. Dafür
besteht zwar ursprünglich ein sachlicher Grund
(Kölsch wird schneller schal als andere Biersorten,
und ein kleines Glas mit kleiner Öffnung gleicht
dieses Problem wieder aus). Allerdings hat diese
Gewohnheit auch psychologische Folgen. Stellen
wir uns vor, man könnte das Kölsch genauso gut
in breiten Bierkrügen ausschenken. Welches Gefäß
wäre zu empfehlen, wenn die Konsumenten das
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Kapitel 9 • Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet
Gefühl haben sollten, (a) sie bekämen viel für ihr
Geld, (b) sie hätten noch gar nicht so viel getrunken und könnten gut und gern noch ein Glas
bestellen.
2. Bauer (2000) konfrontierte seine Probanden mit
zwei Angeboten für einen Handy-Vertrag (um An­
kereffekte aufgrund bekannter Preise zu vermeiden, sind die Preise in Dänischen Kronen angegeben). 1) Angebot A beinhaltet: Anschlusspreis 449,
Telefon „Handy“: 5749, monatlicher Basispreis:
399; 2) Angebot B beinhaltet: Anschlusspreis 719,
Telefon „Handy“: 9319, monatlicher Basispreis: 239.
Über die Vertragslaufzeit von 24 Monaten sind
diese Angebote (bis auf eventuelle Zinsvorteile)
ökonomisch gleichwertig. Trotzdem bevorzugen
Probanden deutlich ein Angebot vor dem anderen.
Welches Angebot wird bevorzugt und warum?
3. Unter den berüchtigten „Drückerkolonnen“ war
die folgende Verkaufsstrategie bei Haustürgeschäften sehr beliebt: Ein junger Mann klingelt an
der Haustür und fragt, ob man bereit sei, an einer
Befragung teilzunehmen. Wenn die adressierte
Person zustimmt, folgt als erste Frage: „Haben Sie
Vorurteile gegen ehemals Strafgefangene?“ Erwartungsgemäß wird diese Frage verneint, darauf folgt
die Frage: „Sind Sie der Meinung, man sollte diesen
Menschen bei der Resozialisierung helfen?“ – und:
„Würden Sie selbst helfen, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten?“. Wenn nach mehreren solcher
Fragen stets die erwartete (kooperative) Antwort
gegeben wurde, kommt das eigentliche Anliegen, nämlich dass man doch bitte eine Zeitschrift
abonnieren sollte, denn der Frager habe selbst eine
Gefängnisstrafe verbüßt und das Verkaufen dieser
Abonnements sei für ihn die Chance zur Resozialisierung. Welches psychologische Prinzip wird
hierbei verwendet?
4. Fragen Sie sich zunächst: Wie sollte die Kommunikation durch einen Verkäufer gestaltet sein, damit
sie möglichst glaubwürdig ist bzw. welches Verhalten macht einen Verkäufer vertrauenswürdig? Wenden Sie diese Überlegungen auf eine andere Art
einflussreicher Produktinformation an: Rezensionen und Empfehlungen im Internet. Unter welchen
Bedingungen dürfte diese Information einflussreich sein – unter welcher eher weniger? Schlosser
(2011) untersuchte eine Form der Online-Empfehlung, bei der die Rezensenten ihre Ansichten nicht
völlig frei formulierten, sondern immer sowohl
Vor- als auch Nachteile des jeweiligen Produktes
nennen sollten. Was glauben Sie: Ist diese Form der
Empfehlung der ganz freien Formulierung überlegen oder nicht?
Fazit
Marketing ist ein Gebiet wirtschaftlichen Handelns, das besonders häufig auf psychologisches Wissen zurückgreift. Dies
gilt für jede Teilfacette des Marketings: Die Produktpolitik
muss sich beispielsweise die Frage stellen, wie einzelne Produkte und Dienstleistungen wahrgenommen werden, wie sie
gestaltet werden sollen, damit sie ein hinreichend überzeugendes Qualitätsversprechen abgeben, aber auch, wie sie zu
Hersteller, Marke oder der restlichen Produktfamilie passen.
Über Preise und Konditionen können Umsatz und Absatz
von Produkten reguliert werden. Allerdings bewerten Kunden Preise selten auf der Basis von exakten Berechnungen;
die psychologischen Regeln, die sie stattdessen verwenden,
sind aber bekannt und können vom Marketing antizipiert
werden. Vermeintliche ökonomische Vorteile für die Konsumenten, wie z. B. Rückgabegarantien, haben auch negative
psychologische Nebenwirkungen.
Über die Vertriebspolitik reguliert das Marketing nicht
nur die Verfügbarkeit der Produkte, sondern u. a. auch deren
Image, ihre Präsentation gegenüber dem Kunden und damit
letztlich auch deren Kaufwahrscheinlichkeit. Welche Vertriebswege von den Konsumenten bevorzugt werden, ändert sich
auch über die Zeit und ist nicht zuletzt eine Frage der technischen Randbedingungen, wie der zunehmende Handel über
das Internet zeigt.
Die Kommunikationspolitik des Marketings besteht nicht
nur in Werbung, sondern beispielsweise auch in Pressearbeit
(PR), Customer Relationship Management oder der direkten Interaktion von Verkäufer und Kunde. Insbesondere zur Verbreitung von Produktneuheiten empfiehlt es sich, die Kommunikationspolitik auf geeignete Multiplikatoren zu konzentrieren.
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Kapitel 9 • Marketinginstrumente – psychologisch betrachtet
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161
Methoden
der psychologischen
Marktforschung
Ranjit K. Singh, Anja S. Göritz, Klaus Moser
10.1
Grundlagen – 162
10.1.1
10.1.2
Was ist psychologische Marktforschung? – 162
Psychologische Marktforschung als Evaluationsforschung – 162
10.2
Explizite Verfahren – 163
10.2.1
10.2.2
Aufmerksamkeit und Erinnerung – 164
Erfassung von Verbraucherurteilen, Einstellungen
und Werthaltungen – 166
10.3
Implizite Verfahren – 168
10.3.1
10.3.2
10.3.3
10.3.4
10.3.5
Projektive Verfahren und Kreativtechniken – 168
Apparative Aufmerksamkeitsmessung – 169
Implizite Erinnerungsmessung – 170
Reaktionszeitmaße – 170
Physiologische Maße – 171
10.4
Erfassen des Konsumentenverhaltens – 171
10.4.1
10.4.2
Verhaltensbeobachtung – 172
Apparative und experimentelle Verfahren – 172
10.5
Online-Marktforschung – 173
10.5.1
10.5.2
10.5.3
Online Access Panels – 173
Market Research Online Communities – 174
Tracking – 174
Literatur – 177
K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie, Springer-Lehrbuch,
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
10
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11
„Es reicht nicht, wenn unsere Manager großartige Wirtschaftsfachleute oder auch tolle Techniker sind, wenn sie den
Menschen, also ihren Kunden, längst aus dem Auge verloren
haben.“ (Daniel Goeudevert, Topmanager und Unternehmensberater)
Dieses Kapitel gibt einen Überblick über Methoden, die
in der psychologischen Marktforschung eingesetzt werden. Zunächst wird erläutert, was psychologische Marktforschung ist und auf welche Inhalte sie sich bezieht. Im
Anschluss werden verschiedene Methoden der psychologischen Marktforschung dargestellt, die in vier Gebiete
aufteilbar sind:
Explizite Verfahren, die selbstbezogene Informationen direkt abfragen.
Implizite Verfahren, die auf personenbezogene Informationen indirekt schließen.
Verhaltenserfassung, die Konsumentenverhalten
direkt erschließt.
Online-Methoden, die explizite, implizite und Verhaltenserfassung im Internet verwenden.
-
Das Ziel dieses Kapitels ist es, die Möglichkeiten der psychologischen Marktforschung aufzuzeigen und die bekanntesten Verfahren einzuordnen.
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22
Kapitel 10 • Methoden der psychologischen Marktforschung
Grundlagen
Was ist psychologische
Marktforschung?
Marktforschung dient dazu, Märkte zu verstehen, um Marketingentscheidungen abzusichern. Böhler (2004, S. 19) definiert Marktforschung als „die systematische Sammlung,
Aufbereitung, Analyse und Interpretation von Daten über
Märkte und Marktbeeinflussungsmöglichkeiten zum Zweck
der Informationsgewinnung für Marketing-Entscheidungen“. Marketing wiederum verfolgt das Ziel, Angebote einer
Firma und Bedürfnisse der potenziellen Kunden in Einklang zu bringen. Um dieses Ziel zu erreichen, kann Marketing (1) bereits zusammenpassende Produkte und Kundenbedürfnisse durch Information zusammenbringen, (2)
dabei helfen, Produkte an die Bedürfnisse der Kunden anzupassen (Unterstützung von Forschung und Entwicklung)
oder (3) die Bedürfnisse der Kunden an die Produkte anpassen (Werbung). Bei allen drei Ansätzen sind möglichst
qualitätsvolle Informationen über den Markt unabdingbar.
Man unterscheidet zwischen nicht-psychologischer Marktforschung, die sich mit ökonomischen Informationen (z. B.
Marktanteile, Absatz- und Umsatzzahlen) beschäftigt und
psychologischer Marktforschung, die sich auf das Erleben
und Verhalten von Konsumenten konzentriert.
Letztendlich interessiert Unternehmen im Rahmen
der psychologischen Marktforschung das Verhalten von
Konsumenten; ob beispielsweise ein Kauf getätigt wird,
die Marke weiterempfohlen wird oder Beschwerden laut
werden. Um das Konsumentenverhalten aber nicht nur zu
beschreiben, sondern auch erklären und in gewissem Rahmen vorhersagen zu können, werden Motive, Wünsche,
Bedürfnisse und Vorstellungen des Verbrauchers analysiert. Typische Fragestellungen psychologischer Marktforschung werden im folgenden Abschnitt verdeutlicht.
10.1.2
Psychologische Marktforschung
als Evaluationsforschung
Die psychologische Marktforschung lässt sich als Teilgebiet
der Evaluationsforschung betrachten. Die Evaluationsforschung befasst sich mit vier wesentlichen Fragestellungen:
1. Wirksamkeit der Maßnahme (welchen Effekt hat die
Maßnahme?)
2. Wirkungsmodell (warum wirkt eigentlich die Maßnahme?)
3. Programmausführung (wie wird die Maßnahme umgesetzt?)
4. Programmreichweite (in welchem Umfang wird die
Zielgruppe erreicht?)
Die „Maßnahmen“ sind im Bereich der Marktforschung die
Marketinginstrumente (vgl. insbesondere ▶ Kap. 9). Die
Frage nach der Wirksamkeit kann sich auf ein vermeintlich ultimatives Kriterium wie das Kaufverhalten beziehen,
aber auch auf Teilkriterien wie z. B. die Erinnerung einer
Werbebotschaft oder die Einstellung zur Marke. Die Bedeutung und Rechtfertigung solcher Kriterien ergibt sich
aus Wirkungsmodellen, wie wir sie bereits in ▶ Kap. 2 kennen gelernt haben. Aber auch die Qualität der „Programm­
ausführung“, also beispielsweise wie eine Werbung oder
eine Verkaufsförderungsmaßnahme realisiert wird, kann
Gegenstand der Evaluationsforschung sein. Beispielsweise
könnte eine Erklärung für die mangelnde Wirkung einer
Fernsehwerbung auch im anstößigen Werbeumfeld oder
Übertragungsproblemen des Senders zu finden sein. Die
Evaluation der „Programmreichweite“ besteht u. a. darin,
Einschaltquoten (bei TV-Werbung), Leserschaftzahlen (bei
Printwerbung) oder Ad-click-Raten bei Online-Werbung
zu analysieren. Die psychologische Marktforschung konzentriert sich auf die ersten beiden Fragen, insbesondere
die nachträgliche Einschätzung der Wirkung oder auch
den Versuch, die Wirkung durch „Pretests“ abzuschätzen
bzw. vorherzusagen.
Werbekampagnen eines Unternehmens werden auf
Seiten der psychologischen Marktforschung von der Werbewirksamkeitsmessung begleitet. Zwar besteht Werbe-
163
10.2 • Explizite Verfahren
wirkung insbesondere in der Gewinnung neuer Kunden,
allerdings möchte man oftmals nicht nur im Nachhinein
erfahren, ob die Maßnahme erfolgreich war. Vielmehr besteht auch Interesse daran zu erklären, warum die Maßnahme erfolgreich ist, und eventuell im Vorfeld abschätzen
zu können, ob die Wirkung nicht optimierbar ist. Daher
werden oftmals die angenommenen Prädiktoren des Verhaltens erfasst, wie z. B. Aufmerksamkeit, die dem Werbematerial geschenkt wird, Erinnerung an die Werbung
und das Produkt oder Einstellungen zum Produkt oder
der Marke.
Marktforschungsuntersuchungen, die sich mit Kaufund Verwendungsmotiven auseinandersetzen, werden zusammenfassend als Motivforschung bezeichnet. Im Mittelpunkt steht hierbei die Frage, warum bestimmte Marken
und Produkte bzw. Produktkategorien von bestimmten
Personen verwendet werden und von anderen nicht. Ziel
ist es, die Bedürfnisstruktur der Zielgruppe zu erkennen
und damit die Ursachen ihres Kauf- und Verwendungsverhaltens zu erschließen. Das gewonnene Wissen kann
für viele Marketingaktivitäten als Grundlage dienen, z. B.
für die Generierung neuer Produktideen, die Optimierung
bestehender Produkte oder die Entwicklung von Werbekampagnen. Da manche Motive den Konsumenten nicht
bewusst sind oder sie diese nicht preisgeben wollen, kommen in der Motivforschung häufig implizite Methoden
(▶ Abschn. 10.3) zum Einsatz. Sind jedoch wesentliche
Motive durch vorangegangene Analysen bereits bekannt,
können auch explizite Verfahren (▶ Abschn. 10.2) genutzt
werden.
Typische Fragestellungen einer Motivanalyse sind:
Was ist der zentrale Nutzen der Produktkategorie?
Welche konkreten oder latenten Verbraucherbedürfnisse werden durch Kauf und Verwendung des
Produkts erfüllt?
Aus welchem Grund wird eine bestimmte Marke verwendet? Welche Bedürfnisse ihrer Verwender erfüllt
diese Marke besser als andere Marken?
Aus welchem Grund wird eine bestimmte Marke
nicht verwendet? Welche Hemmschwellen bestehen
bei den Nichtverwendern bezüglich der Verwendung
dieser Marke? Welche Bedürfnisse der Nichtverwender können von anderen Marken besser erfüllt
werden, und auf welche Weise?
-
Ein weiteres Betätigungsfeld psychologischer Marktforschung sind Imageanalysen, die sich mit der Frage
befassen, wie Produkte, Marken oder Firmen von den
Konsumenten wahrgenommen werden. Während die
Motivforschung untersucht, was Menschen sich von einem Produkt versprechen, untersucht die Imageanalyse,
welchen abstrakten Wert eine Marke oder ein Produkt für
den Kunden hat. Wenn Motiv des Kunden und Image des
Produkts übereinstimmen, ist das Produkt begehrenswerter (▶ Beispiel).
Beispiel
| |
Ein Autohersteller möchte wissen, warum der Absatz
eines seiner Modelle hinter den Erwartungen zurückbleibt. Tests durch Automobilclubs und Fachzeitschriften bewerten das Modell als qualitativ hochwertig,
zuverlässig und sicher. Erste Analysen haben ergeben,
dass diese Berichte in der Zielgruppe bekannt sind.
Preislich liegt das Fahrzeug im Rahmen vergleichbarer
Modelle der Konkurrenz, weshalb sowohl eine ungeeignete Preispolitik als auch mangelnde Produktqualität
als Ursachen ausgeschlossen werden können.
Das Unternehmen gibt daher eine Imageanalyse in
Auftrag, in der die Wahrnehmung des Modells, seiner
Nutzer und des Herstellers erkundet werden sollen. Zur
Identifikation möglicher Imageprobleme wird eine Auswahl an Aussagen über das Modell in sozialen Medien
erhoben (Social Media Monitoring, ▶ Abschn. 10.5.3).
Eine qualitative Inhaltsanalyse und eine quantitative
Auszählung von Stichworten kommen zu dem Ergebnis, dass die hohe Qualität des untersuchten Modells
bekannt ist und der Preis durchaus attraktiv ist. Auch
der Hersteller wird als sympathisch und vertrauenswürdig eingestuft, problematisch ist jedoch das Image
des typischen Verwenders des Modells: Dieser wird als
altmodisch, kleinbürgerlich, langweilig, spießig und
unsympathisch beschrieben. Durch Reaktionszeitverfahren (▶ Abschn. 10.3.4) an einer Stichprobe an
Verbrauchern, die sich nach eigenen Angaben innerhalb der nächsten Wochen einen Neuwagen der entsprechenden Fahrzeugklasse zulegen möchten und
bisher kein Modell des Herstellers besitzen, lassen sich
diese Assoziationen bestätigen. Aus vorangegangenen Motiv­analysen ist jedoch bekannt, dass Mitglieder
der Zielgruppe sich als junge bzw. jung gebliebene,
moderne und sportliche Fahrer darstellen wollen, die
unternehmungslustig, weltoffen und kreativ sind und
wissen, was „in“ ist. Da das Image des Modells und die
Motive der Zielgruppe nicht zusammenpassen, ergibt
sich in diesem Fall eine Kaufbarriere. Marketingmaß­
nahmen sollten folglich darauf abzielen, das Image in
die passende Richtung zu rücken.
10.2
Explizite Verfahren
Bei expliziten Verfahren werden Menschen direkt nach
selbstbezogenen Informationen, wie Erinnerungen oder
Einstellungen, befragt. Kennzeichnend für explizite Ver-
10
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Kapitel 10 • Methoden der psychologischen Marktforschung
fahren ist, dass eine bewusst kontrollierte Antwort erfasst
wird und dass die befragte Person versteht, was die jeweilige Frage erfasst. Der Vorteil expliziter Verfahren ist, dass
sie einfach zu konzipieren und interpretieren sind. Explizite Verfahren haben jedoch zwei Schwächen: Zum einen
können Probanden ihre Antworten bewusst verzerren. Da
sie Sinn und Ziel der Frage verstehen, verstehen sie auch,
was eine bestimmte Antwort über sie aussagt. Verwerfliche,
peinliche oder rechtswidrige Sachverhalte werden also weniger wahrscheinlich preisgegeben, oder sie werden durch
eine abgewandelte Antwort verschleiert. Es ergibt sich also
das Problem sozial erwünschten Antwortverhaltens.
Zum anderen greifen explizite Verfahren dann nicht, wenn
die Befragen die relevanten Sachverhalte nicht bewusst abrufen oder ausdrücken können. Viele Menschen können
z. B. nicht die Ursachen ihres alltäglichen Kaufverhaltens
angeben. Diesen Einschränkungen versucht die Marktforschung mit den impliziten Verfahren (▶ Abschn. 10.3) zu
begegnen (▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Forschungsstratergien
Die psychologische Marktforschung bedient sich, wie
die Psychologie allgemein, einer Vielzahl an Forschungsansätzen. Marktforscher verwenden sowohl
qualitative als auch quantitative Verfahren. Qualitative
Verfahren eignen sich besonders für Forschungsgegenstände, über die noch wenig bekannt ist oder die
sich schwer in Zahlen fassen lassen (z. B. Nutzungsmotive für ein neuartiges Produkt oder Assoziationen zu
einer Marke). Quantitative Verfahren lassen sich weiter
einteilen in deskriptive Studien, Quasi-Experimente
und Experimente. Deskriptive Studien erfassen einen
aktuellen Zustand, erklären ihn aber nicht. Fußt eine
solche Studie auf einer repräsentativen Stichprobe,
können Aussagen über die zugrundeliegende Grundgesamtheit getroffen werden (z. B. Meinungsumfragen
für ganz Deutschland). Experimente erheben nicht
nur Daten, sondern verändern die Ausgangsbedingungen systematisch und verteilen Personen zufällig
auf diese Bedingungen. Dies dient dazu, die Wirkung
der Bedingung auf die Personen kausal zu belegen
(z. B. Werbewirksamkeitsstudien, in denen Teilnehmern
zufällig Werbespot A, Werbespot B oder gar kein Spot
gezeigt und dann ihre Einstellung zu dem beworbenen
Produkt erfasst wird). Quasi-Experimente sind eine
Zwischenform. Wie beim Experiment liegen unterschiedliche Ausgangsbedingungen vor, die aber nicht
systematisch manipuliert wurden, sondern bereits
existieren (z. B. der Vergleich von Personen mit unterschiedlichen Erfahrungen mit einer Marke). Es können
nun Zusammenhänge zwischen diesen Anfangsbedingungen und dem erfassten Sachverhalten untersucht
werden, aber diese Zusammenhänge belegen keine
ursächliche Wirkung (Kausalität) der Anfangsbedingungen auf die Sachverhalte. Quasi-Experimente bieten
sich als Vorstudien zu einem Experiment an oder falls
die Ausgangsbedingungen nicht vom Forscher veränderbar sind (z. B. Studien, die das Einkaufsverhalten
von Männern und Frauen vergleichen). Studien lassen
sich auch danach unterscheiden, ob sie im Feld oder
im Labor durchgeführt werden. Feldstudien werden
direkt im relevanten Umfeld unter realen Bedingungen
durchgeführt (z. B. verdeckte Kaufverhaltensbeobachtung im Supermarkt). Wegen der im Feld auftretenden
Störeinflüsse ist es schwieriger, Kausalität zu belegen
als in Laborstudien. Die Ergebnisse aus Feldstudien
sind jedoch realitätsnäher. Laborstudien können Kausalität leichter belegen, weil Störeinflüsse aufgrund der
abgeschirmten Umgebung besser kontrollierbar sind;
sie nehmen dafür aber eine größere Distanz zur Realität
in Kauf (z. B. Werbewirkungsexperimente im Labor).
10.2.1
Aufmerksamkeit und Erinnerung
Die in diesem Abschnitt vorgestellten Verfahren dienen in
erster Linie zur Messung der Werbewirkung und basieren
auf der Annahme, dass sich ein Angebot nur dann gegen
andere durchsetzen kann, wenn es Aufmerksamkeit des
potenziellen Käufers erfährt (vgl. ▶ Kap. 2). Das Wecken
und Steuern von Aufmerksamkeit ist daher ein zentrales
Thema der Werbung, auch wenn Aufmerksamkeitswirkung noch keinen Werbeerfolg garantiert.
Insbesondere können Techniken mit starken Aufmerksamkeitseffekten, wie Schockwerbung oder erotische
Motive, die weitere Verarbeitung der Werbebotschaft negativ beeinflussen. Die Problematik immer effektvollerer,
schockierender Werbemotive bringen Haimerl und Lebok
(2005, S. 4) mit dem Hinweis auf den Punkt, dass diese „zwar
ein Eye Catcher, aber nicht zwingend ein Kaufgrund“ seien.
Am Beispiel erotischer Werbung konnte wiederholt gezeigt
werden, dass solche Darstellungen zwar zu erhöhter Aufmerksamkeit führen, die Erinnerung an den Werbeinhalt
und somit dessen kognitive Verarbeitung aber einschränken (vgl. Moser & Verheyen, 2011). Demnach kann es zwar
sinnvoll sein, mit erotischen oder anderen provozierenden
Motiven zu werben – nämlich dann, wenn das Werbeziel
in hoher Aufmerksamkeitswirkung besteht und eine tiefere
Verarbeitung der Werbebotschaft nicht erforderlich ist bzw.
sogar vermieden werden soll. In anderen Fällen kann aufmerksamkeitsheischende Werbung einem Produkt jedoch
165
10.2 • Explizite Verfahren
mehr Schaden als Nutzen zufügen, z. B. wenn damit Kunden
verschreckt werden und sich mit der so beworbenen Marke
nicht mehr identifizieren können oder wenn die Erinnerung
an die beworbene Marke verbessert werden soll.
Explizite Aufmerksamkeitstests
Zur Überprüfung der Aufmerksamkeitswirkung einer
Werbung werden hauptsächlich apparative Verfahren
(z. B. Eye-Tracking) verwendet, worauf bei den impliziten Verfahren näher eingegangen wird (▶ Abschn. 10.3.2).
Es existieren aber auch explizite, explorative Verfahren
der Aufmerksamkeitsmessung. Selbstbeurteilungsskalen
erfragen Aufmerksamkeit mit vorgegebenen Items, während Probanden bei einer ausführlichen Exploration ihre
Gedanken frei wiedergeben können. Eine vor allem in der
Bewertung von Nutzeroberflächen verbreitete Form solcher Explorationen ist der Think-aloud-Test, bei welchem
Probanden eine Aufgabe mit einem System ausführen
und dabei ihre Gedanken laut aussprechen sollen. Diese
Vorgehensweise geht über die bloße Erfassung von Aufmerksamkeit hinaus, da auch Fragen, Unklarheiten und
Bewertungen erfasst werden.
Die explizite Erfassung von Aufmerksamkeit hat jedoch einige Nachteile. Um Aufmerksamkeit bewusst wiedergeben zu können, müssen Probanden Aufmerksamkeit
auf ihre Aufmerksamkeit lenken, was zu einem anderen
Ergebnis führen kann als natürliche Aufmerksamkeit.
Ebenso kommt es zu sozial erwünschtem Antworten, wenn
Probanden nicht zugeben wollen, auf gewisse Inhalte, z. B.
erotische Motive, geachtet zu haben. Die eigene Aufmerksamkeit kann zudem oft nicht vollständig erinnert und
wiedergegeben werden, insbesondere bei Befragungen im
Nachhinein. Aus diesen Gründen sollten explizite Verfahren der Aufmerksamkeitserfassung eher zur Unterstützung
von apparativen Verfahren eingesetzt werden.
Erinnerungstests
Erinnerungsmessungen waren lange Zeit die am häufigsten
verwendeten Werbewirkungsmaße und sind auch heutzutage immer noch weit verbreitet. Dies liegt zum einen an
der einfachen und schnellen Planung, Durchführung und
Auswertung von Erinnerungstests. Zum anderen fußen
Erinnerungstests auf der Überlegung, dass die Bekanntheit („awareness“) einer Marke oder eines Produkts eine
Voraussetzung für den Werbeerfolg ist. In diesem Abschnitt werden zunächst klassische Methoden zur direkten
Erinnerungsmessung exemplarisch dargestellt. Indirekte
Methoden zur Erinnerungsmessung folgen später (▶ Abschn. 10.3.3).
Für die explizite Erinnerungsmessung sind zwei Gruppen von Verfahren zu unterscheiden: Rekognitionstests
und Reproduktionstests. Rekognitionstests untersuchen,
ob ein Befragter eine Werbung nach abermaliger Präsen-
tation wiedererkennt. Bei Rekognitionstests kann die Erinnerungsleistung leicht überschätzt werden, wenn die untersuchte Person immer mit „ja, habe ich wiedererkannt“
antwortet. Bei Leserschaftsuntersuchungen zeigte sich,
dass bis zu 50 % der Befragten bei Vorlage von Titelblättern
behaupten, die Zeitschrift gelesen zu haben, auch wenn
dies nicht der Fall sein kann (z. B. Marder & David, 1961;
Simmons, 1961). Daher wird bei kontrollierten Rekognitionstests eine Auswahl von Vorlagen vorgelegt, wobei
gewährleistet ist, dass die Versuchspersonen einige davon
nicht gesehen haben können. Dies ermöglicht es im Gegensatz zu unkontrollierten Rekognitionstests, das Raten
zu kontrollieren (Singh & Cole, 1985).
Anders als bei Rekognitionstests müssen sich Probanden bei Reproduktionstests (Recalltests) aktiv erinnern.
Zinkhan (1983) beschreibt verschiedene Varianten von
Reproduktionstests:
Ungestützte und gestützte Reproduktionstests, wobei
die Gedächtnisstütze beispielsweise im Hinweis auf
den Kontext der gesehenen Werbung oder auf die
Produktgruppe bestehen kann.
Kurz- und langfristige Reproduktionstests.
Unterscheidung, ob der Markenname oder Elemente
aus der Werbung und ob die Qualität der Werbung
oder des beworbenen Produkts zu erinnern sind.
--
Die Ergebnisse, die mit Reproduktions- und Rekognitionsverfahren gewonnen werden, unterscheiden sich: Rekognitionswerte fallen i. d. R. höher aus als Recallwerte.
Zudem vergrößert sich der Abstand zwischen Rekognitions- und Reproduktionsleistung, wenn die zu erinnernden Reize selten dargeboten wurden. Rekognition profitiert daher von Seltenheit, Reproduktion von Häufigkeit.
Des Weiteren nimmt die Reproduktionsleistung mit der
Menge der insgesamt präsentierten Spots ab, während die
Rekognitionsleistung hiervon nicht betroffen ist (Woelke,
2000). Auch die Aktivierung der Probanden wirkt sich unterschiedlich aus: Sie verbessert Rekognitionsleistungen,
aber beeinträchtigt Reproduktionsleistungen. Thorson und
Rothschild (1985) empfehlen aufgrund solcher Befunde
für die Prüfung kurzfristiger Werbewirkungseffekte Reproduktionstests und für die Prüfung längerfristiger Effekte
Rekognitionstests.
Hierüber wird jedoch häufig vernachlässigt, dass es sich
– wenn überhaupt – um eine notwendige, nicht aber um
eine hinreichende Voraussetzung handelt (vgl. ▶ Kap. 2).
In verschiedenen Studien zeigte sich, dass es kaum einen
Zusammenhang zwischen Erinnerung und Einstellung gibt
(z. B. Lichtenstein & Srull, 1985). Deshalb sagt die Erinnerung an eine Werbung über die weiterführende Wirkung
der Werbung oft nur wenig aus (vgl. Rehorn, 1988). So ist
beispielsweise der Zusammenhang zwischen den Ergebnissen eines Recalltests und der persuasiven Wirkung von
10
Kapitel 10 • Methoden der psychologischen Marktforschung
166
1
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3
.. Tab. 10.1 Formen des qualitativen Interviews. (In Anlehnung an Kepper, 1999)
Interviewform
Fragestellungen und Zielsetzungen
Vorgehen
Exploratives
Interview
Möglichst umfassende und vollständige Informations­
sammlung zu einem bestimmten Sachverhalt; z. B.
Experteninterview
Offen, frei, nicht standardisiert; Befragter kann Schwerpunkte setzen
Tiefeninterview
Analyse schwer erfassbarer psychologischer Sachverhalte, z. B. tiefer liegende, vor- oder unbewusste Motive
und Einstellungen; häufiger Einsatz in der Motivforschung
Zwangloses Gespräch, von einem geschulten Interviewer unauffällig gelenkt; nachträgliche Interpretation
auf Basis psychologischer Theorien; Tiefeninterviews
sind daher eine implizite Methode ( Abschn. 10.3)
Beschäftigung mit einer klar abgegrenzten Thematik; zielgerichtet; evtl. Präsentation von Stimuli (z. B.
Werbevorlage)
Interviewer lenkt das Gespräch, folgt weitgehend einem im Vorfeld erstellten Leitfaden (teilstandardisiert)
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Fokussiertes
Interview
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Werbung seit langer Zeit umstritten (z. B. Koeppler, 1974;
Percy & Rossiter, 1997). Kritisiert wurde auch der geringe
Zusammenhang zwischen der Valenz der erinnerten Inhalte und der Einstellung zum Produkt (z. B. Srull, 1990)
oder der Erinnerung an bestimmte Werbespots und der
Bereitschaft, die beworbene Marke zu kaufen. So stellten
Beattie und Mitchell (1985) Einstellungsänderungen auch
ohne entsprechende Recallwerte der Marke fest.
Obwohl Erinnerungstests als Verfahren zur Bestimmung der Werbewirkung aus den genannten Gründen
kritisch sind, sind sie in der Marktforschung bis heute
verbreitet (von Engelhardt, 1999). In der Regel wird die
Erinnerungsmessung mit der Erhebung weiterer Kriterien
zur Beurteilung der Werbewirkung kombiniert und so die
Aussagekraft der Ergebnisse erhöht.
10.2.2
Erfassung von Verbraucherurteilen,
Einstellungen und Werthaltungen
Wie Verbraucher Güter, Marken oder Werbemaßnahmen
bewerten, ist eine zentrale Fragestellung der psychologischen Marktforschung. Hintergrund ist die Annahme, dass
Bewertungen eines Produktes in Handlungsentscheidungen (z. B. eine Kaufentscheidung) einfließen, auch wenn
Einstellungen das Kaufverhalten nicht immer gut voraussagen (s. ▶ Kap. 2). Dennoch sind Einstellungen eine wichtige Informationsquelle, zumal sie leichter zu erheben sind
als direktes Verhalten. Verbraucherurteile, Einstellungen
und Werthaltungen werden in der Praxis häufig durch explizite Verfahren – zunehmend aber auch durch implizite
Verfahren (▶ Abschn. 10.3.4) – erfasst.
Explizite Verfahren zur Erfassung von Verbraucherurteilen, Einstellungen und Werthaltungen leiden unter den
bekannten Problemen des sozial erwünschten Antwortens
und der Schwierigkeit, Urteile und Einstellungen bewusst
wiederzugeben. Bei der Werbewirksamkeitsmessung ergibt sich zudem das Problem, dass viele Befragte glauben,
▶
oder zumindest angeben, nicht von Werbung beeinflusst
worden zu sein. Die Forschung zum sog. Dritte-Person-Effekt belegt dies eindrucksvoll. Der Dritte-Person-Effekt
beschreibt das robuste Phänomen, dass Personen die Wirkung von Botschaften aus Massenmedien, z. B. Werbung,
auf andere Menschen als stärker einschätzen als die Wirkung auf sie selbst (Moser & Hertel, 1998) – ein Effekt, der
im Übrigen schwächer ausfällt, wenn es um Werbung für
Non-Profit-Ziele geht (z. B. Moser & Leitl, 2006). Der Dritte-Person-Effekt wird i. d. R. umgangen, indem man nicht
direkt fragt, inwiefern ein Werbemittel (TV-Spot, Anzeige,
Verpackung etc.) die Einstellung beeinflusst. Stattdessen
zieht man Rückschlüsse hierauf, indem man z. B. die Einstellung einer Testgruppe mit der einer Kontrollgruppe
vergleicht, die entweder mit keinem oder einem anderen
Werbemittel konfrontiert wurde.
Befragungen
Bei der Befragung handelt es sich um die am weitesten
verbreitete Marktforschungsmethode, was nicht zuletzt
aufwandsökonomische Gründe hat. Befragungen werden
häufig zur Werbewirksamkeitsmessung und zur Bewertung von Produkten verwendet, finden jedoch auch bei
Motiv- und Imageanalysen Anwendung. Grundsätzlich
lassen sich Befragungen nach dem Durchführungsmedium und nach ihrer qualitativen bzw. quantitativen
Ausrichtung unterscheiden. Befragungen können mündlich (sog. Face-to-Face-Interviews) oder schriftlich, aber
auch telefonisch oder über Internet durchgeführt werden,
was Kosten und Zeit für Durchführung und Auswertung
deutlich reduziert. Die Befragung via Internet gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung, während Befragungen via
Telefon wegen rechtlicher Hürden und der Verbreitung von
Mobiltelefonen zurückgehen (ADM 2013).
Die Unterteilung in qualitative und quantitative Befragungen ist weniger eindeutig. Zwischen der qualitativen,
nichtdirektiven Einzelexploration (. Tab. 10.1) und der
quantitativen, stark standardisierten Befragung großer
167
10.2 • Explizite Verfahren
Stichproben existieren zahlreiche Mischformen. So enthalten Marktforschungsstudien häufig offene (halbstandardisierte) Fragen, bei denen im Unterschied zu geschlossenen (standardisierten) Fragen keine Antwortalternativen
vorgegeben sind, sodass der Befragte in der Formulierung
seiner Antwort frei ist. In größeren quantitativen Befragungen werden die Antworten auf offene Fragen im Regelfall sowohl qualitativ (Bildung von Kategorien) als auch
quantitativ (Auszählung nach diesen Kategorien) ausgewertet. Der Vorteil dieses Vorgehens liegt darin, dass auch
Sachverhalte erfasst werden können, die den Forschenden
im Vorfeld nicht präsent waren und daher nicht als Antwortalternative vorgegeben werden konnten.
In der Marktforschung spielt die persönliche Befragung weiterhin eine Rolle, besonders in Fällen, in denen
Reizmaterial unter (relativ) kontrollierten Bedingungen
vorgelegt und beurteilt werden soll. Persönlicher Kontakt
zwischen Interviewer und Befragtem hat den Vorteil, dass
Interesse und Kooperationsbereitschaft des Probanden aufrechterhalten und Verständnisprobleme ausgeräumt werden können. Wichtig ist, dass die Interviewer entsprechend
geschult sind. Dies verringert die Verzerrungen durch den
Interviewer, erhöht allerdings die Kosten und den Zeitbedarf (z. B. für Organisation, Interviewerschulung, Reisen
des Interviewers zum Probanden).
Neben der Befragung von Einzelpersonen kommen
in der psychologischen Marktforschung häufig Gruppenbefragungen zum Einsatz, die als Gruppendiskussionen
oder Fokusgruppen bezeichnet werden. Bei diesem Verfahren kann sowohl die Generierung von Ideen als auch
die qualitative Bewertung von Konzepten oder (vorläufigen) Umsetzungen im Vordergrund stehen. Fokusgruppeninterviews werden i. d. R. mit Gruppen von Personen
durchgeführt, die ein gemeinsames Interesse oder einen
gemeinsamen Hintergrund haben. Sie werden von einem
Moderator geleitet und richten sich auf ein bestimmtes
Thema („Fokus“). Vorteil dieses Vorgehens gegenüber
Einzelexplorationen sind Synergieeffekte, die sog. Gruppendynamik, von der man sich erhofft, dass Teilnehmer
gegenseitig auf ihren Antworten aufbauen und spontaner
und ungehemmter antworten (Kepper 1994, S. 73). Die
Ergebnisse sind jedoch weder objektiv noch repräsentativ (Stewart, Shamdasani & Rook, 2007). Fokusgruppen
eignen sich daher primär zur Ideengewinnung und zum
Testen von Produkten und Dienstleistungen in der Entwicklungsphase.
Skalierte Erfassung von Urteilen
und Einstellungen
Ein einfaches und weit verbreitetes Beurteilungsverfahren
sind Statementbatterien, bei denen den Befragten mehrere Aussagen vorgelegt werden und sie den Grad ihrer
Zustimmung auf mehrstufigen Likert-Skalen mit End-
punkten wie „trifft zu“/„trifft nicht zu“ oder „stimme zu“/
„stimme nicht zu“ angeben sollen. Dieses Verfahren hat
zwei Vorteile: Zum einen fällt die Verbalisierung des eigenen Empfindens vielen Verbrauchern schwer, weshalb
sie auf offene Fragen häufig nur oberflächliche Antworten
geben (ein typisches Beispiel hierfür sind Geschmacksbeurteilungen, vgl. Salcher 1995). Vorformulierte Aussagen hingegen ermöglichen es dem Befragten, über seine
Vorstellungen und Eindrücke Auskunft zu geben, ohne
selbst treffende Worte finden zu müssen. Auch gelingt
es Befragten häufig nicht, sich in der Testsituation „auf
Knopfdruck“ alle bedeutsamen Gesichtspunkte zu einem
Thema bewusst zu machen. Statementbatterien stellen
eine zeitsparende Alternative zur ausführlichen Exploration dar, um zu umfassenden Beurteilungen zu gelangen.
Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die bedeutsamen
Gesichtspunkte dem Marktforscher bei der Erstellung einer Statementbatterie bereits bekannt sind, da sonst ein
verzerrtes Bild entsteht. Existiert daher zu Beginn einer
Befragung nur spärliches Wissen darüber, welche Motive,
Bewertungsdimensionen und Präferenzen im relevanten
Markt vorkommen, dann sollten zunächst explorative Interviews durchgeführt werden.
Der breite Einsatz von Likert-Skalen in der Marktforschung darf jedoch nicht über deren Schwächen hinwegtäuschen. Validität und Reliabilität der Ergebnisse sind
durch verschiedene Antworttendenzen gefährdet. Beispiele sind die sog. Tendenz zur Mitte (d. h. die Befragten
kreuzen eine Mittelkategorie an, z. B. weil sie sich keine
Gedanken machen wollen) und die Tendenz zur Zustimmung (d. h. viele Befragte antworten lieber „ja“ als „nein“).
Durch bestimmte Befragungsarten soll dem entgegengewirkt werden, wie z. B. umgepolte Items, bei denen niedrige Angaben das Gleiche bedeuten wie hohe Angaben bei
nicht umgepolten Items (z. B. als Item für Sportlichkeit:
„Ich verbringe meine Abende meist sitzend oder liegend“).
Das semantische Differenzial (Polaritätenprofil) kombiniert gelenkte Assoziation mit Einstufungen. Anders als
bei Likert-Skalen wird nicht Zustimmung erfragt, sondern
Antwortoptionen liegen zwischen Adjektivgegensatzpaaren (z. B. „heiß“/„kalt“ und „angenehm“/„unangenehm“)
als Pole. Probanden kennzeichnen damit, wie sehr sie
einen Beurteilungsgegenstand mit dem einen oder dem
anderen Pol assoziieren. Semantische Differenziale werden
u. a. zur Untersuchung des Images von Marken oder Unternehmen eingesetzt. Da semantische Differenziale keine
Zustimmung erfragen, wird mit ihnen die Tendenz zur
Zustimmung umgangen.
Paarvergleichsmethode
Oftmals ist es für Befragte schwierig, einzelne Gegenstände
isoliert zu beurteilen, wobei sie aber zu einem Vergleich
zwischen mehreren Gegenständen durchaus in der Lage
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Kapitel 10 • Methoden der psychologischen Marktforschung
sind. Ein Verfahren, das hier ansetzt, ist die Paarvergleichsmethode, bei der jeweils zwei Produkte, Marken
oder Unternehmen miteinander verglichen werden. Auf
diese Weise lässt sich die Position beispielsweise einer
Marke relativ zu Konkurrenzmarken in einer Rangreihe
bestimmen. Werden ganze Märkte untersucht, dann kann
es ein Ziel sein, mithilfe der Paarvergleichsmethode ähnliche Verbraucher zu homogenen Marktsegmenten zusammenzufassen. Basierend auf Paarvergleichen lassen sich
weitere Verfahren anwenden. So nutzt die Conjoint-Messung Paarvergleiche zwischen Produkten, die sich gleichzeitig in mehreren Eigenschaften unterscheiden (z. B. Preis,
Komfort, Sicherheit etc.), um herauszufinden wie wichtig
die einzelnen Eigenschaften dem Verbraucher relativ gesehen sind. Bei der multidimensionalen Skalierung (MDS)
werden nacheinander Produktpaare bezüglich ihrer Ähnlichkeit bewertet und die Produkte basierend auf diesen
Ähnlichkeitsurteilen in einem mehrdimensionalen Raum
verteilt. So können Gruppen ähnlicher Produkte identifiziert werden. Das Verfahren erklärt jedoch nicht, warum
gewisse Produkte als ähnlich wahrgenommen werden und
welche Gesichtspunkte hierfür ausschlaggebend sind. Zur
Erklärung der Ergebnisse müssen daher zunächst inhaltliche Hypothesen aufgestellt werden, die dann mit anderen
Verfahren (z. B. repräsentativen Befragungen) überprüft
werden.
10.3
Implizite Verfahren
Implizite Verfahren sind am leichtesten in Abgrenzung zu
expliziten Verfahren zu verstehen. Bei expliziten Verfahren werden selbstbezogene Informationen direkt abgefragt,
woraufhin die Teilnehmer ihre Antworten bewusst abrufen
und formulieren. Die Teilnehmer wissen, was der Forscher
zur Deutung heranziehen wird. Bei impliziten Verfahren
interpretieren Forscher hingegen Informationen, die den
Teilnehmern nicht bewusst sind oder andere Informationen als die Teilnehmer annehmen. Das Verhältnis zwischen Erhebung und Forschungsergebnis ist also verborgen. Mit diesem Vorgehen wird dem Problem expliziter
Verfahren begegnet, dass Teilnehmer ihre Antworten dort
bewusst verfälschen können. Da bei impliziten Verfahren
auch andere Informationen als bewusste Antworten herangezogen werden, erhalten Forscher zudem Aufschlüsse
über die Person, die über das hinausgehen, was sich eine
Person bewusst machen kann. Dies überwindet das zweite
Hauptproblem expliziter Verfahren. Implizite Verfahren
haben jedoch ihrerseits Nachteile. Sie sind meist deutlich aufwändiger als explizite Befragungen. Sie brauchen
mehr Zeit, spezielles Versuchsmaterial, oft auch spezielle
Apparate, Laborräume und gut geschulte Versuchsleiter.
Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich gerade aus dem
größten Vorteil impliziter Methoden: dem indirekten,
verschleierten Zusammenhang zwischen erfassten Daten
und Schlussfolgerungen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist
es schwer sicherzustellen, dass implizite Verfahren auch
wirklich das messen, was sie messen sollen. Aus dieser
Komplexität ergibt sich auch, dass die Interpretation der
Ergebnisse ein viel höheres Maß an psychologischem (und
häufig auch technischem) Sachverstand erfordert als bei
expliziten Verfahren. Im Folgenden werden mehrere gängige implizite Verfahrensfamilien vorgestellt.
10.3.1
Projektive Verfahren
und Kreativtechniken
In diesen Bereich fällt eine große Zahl an Verfahren, wobei viele Verfahren unter mehreren Begriffen eingeordnet
werden können. Alle Verfahren in diesem Bereich sind
vorrangig qualitativ, weswegen sie sich zur Generierung
neuer Ideen und Fragestellungen und zur Erfassung ganzheitlichen Erlebens eignen. Sie eignen sind weniger zum
Testen von Hypothesen oder zur Evaluierung von Marketingmaßnahmen. Projektive Verfahren sind klassische
implizite Verfahren, die auf die Psychoanalyse Freuds zurückgehen. Die Grundannahme ist, dass Menschen dazu
neigen, eigene Wahrnehmungen und Einstellungen nach
außen zu projizieren. Hierzu wird der Proband aufgefordert, sich zu mehrdeutigem und bezüglich seines Zwecks
nicht unmittelbar einsichtigem Reizmaterial zu äußern.
Häufig enthält dieses Material neuartige und spielerische
Bestandteile, wodurch die Motivation erhöht und zugleich
psychische Kontrollmechanismen und Rationalisierung
umgangen werden sollen. Dies erleichtert es dem Befragten nicht nur, seine Gedanken und Gefühle zu äußern,
sondern regt auch gleichzeitig seine Vorstellungskraft an
(Kepper, 1999; Schub von Bossiazky, 1992). Kreativtechniken zielen darauf ab Teilnehmer zu stimulieren, Ideen zu
generieren und sich ganzheitlicher mit einer Fragestellung
auseinanderzusetzen. Kreativtechniken werden häufig in
erweiterten Fokusgruppen (sog. Kreativworkshops) eingesetzt. Einige der Verfahren können auch als Assoziationstechniken bezeichnet werden, da sie Teilnehmer anregen,
sich in Assoziationen auf das Reizmaterial hin zu ergehen.
Manche Kreativtechniken basieren auf der Psychoanalyse
und sind somit zugleich projektive Verfahren. Im Folgenden werden einige Projektive Verfahren dargestellt und
anschließend einige Kreativtechniken, die nicht auf der
Psychoanalyse beruhen.
Beispiele für projektive Verfahren
Bei projektiven Fragen werden Einstellungen, Motive
o. ä. der Teilnehmer indirekt erfragt. Die Frage zielt hierbei nicht auf die Person selbst, sondern auf andere Per-
169
10.3 • Implizite Verfahren
sonen. Es wird angenommen, dass Teilnehmer so auch
Einstellungen und Motive preisgeben, die sie nicht auf
sich beziehen wollen. Dieses Vorgehen mildert auch den
Dritte-Person-Effekt (▶ Abschn. 10.2.2). Ergänzungstechniken umfassen mehrere projektive Verfahren, bei
denen Teilnehmer spezielles Stimulusmaterial ergänzen
müssen. Dies können Comics mit leeren Sprechblasen
(Ballon Test), Lückensätze oder auch Lückengeschichten
sein. Beim Bild-Erzähl-Test wird Teilnehmern Bildmaterial (z. B. eine Einkaufssituation) vorgestellt, auf dessen
Grundlage sie eine Geschichte erzählen sollen. Im Rahmen der Personifizierung werden Teilnehmer gebeten,
sich Marken oder Produkte als Personen vorzustellen,
z. B.: „Wenn BMW ein Mensch wäre, wie würde sie oder
er aussehen? Wie würde sie oder er sich geben?“ Eine Variante der Personifizierung sind Analogiebildungen mit
bekannten Personen des öffentlichen Lebens, aber auch
mit Tieren oder Gegenständen („Wenn Google ein Auto
wäre, wie würde es aussehen?“).
Beispiele für nicht-projektive
Kreativtechniken
Neben projektiven Kreativtechniken finden auch
nicht-projektive Verfahren Anwendung. Inspiriert durch
die Methoden der Therapieform des Psychodramas schlagen Haimerl und Roleff (1996; 2001) Rollenspiele vor. Mit
dem Rollenspiel werden Geschehnisse wie der Kauf, der
Konsum oder die Verwendung eines Produkts oder einer
Marke in der Marktforschung erkundet. Die Teilnehmer
eines Rollenspiels werden zu diesen Geschehnissen nicht
befragt, sondern sollen sie in kleinen Gruppen vorspielen.
Hierbei sind sie gezwungen, sich spontan und unüberlegt
zu verhalten. Durch Beobachtung der Szenen, Befragung
der Teilnehmer in ihrer Rolle sowie experimentellen Veränderungen (z. B. Austausch der verwendeten Marke)
werden auch solche Zusammenhänge deutlich, die den
Probanden selbst nicht bewusst oder für sie schwer zu
verbalisieren sind (vgl. Haimerl & Roleff, 2001).
Andere Verfahren ermöglichen Teilnehmern, ihre
Gedanken bildlich auszudrücken. Bei Imagerytechniken
wird versucht, den emotionalen Anklang von Produkten
oder Marken anhand der „inneren Bilder“ der Verbraucher
zu erfassen (vgl. Salcher, 1995). So sollen die Versuchspersonen z. B. beim Bildzuordnen aus einer größeren Anzahl
von Bildern, die Personen in unterschiedlichen Situationen, Landschaften, Gegenstände etc. darstellen, diejenigen
auswählen, die ihrer Meinung nach „am besten zur Marke
passen“. Mit Collagentechniken, bei denen aus einer Auswahl verschiedener Zeitschriften Bilder ausgeschnitten
und zu neuen Bildern zusammengefügt werden, können
zum einen Markenbilder und Produktwelten, aber auch
emotionale Zustände, die dem Konsumentenverhalten zugrunde liegen, ermittelt werden.
Als assoziatives, nicht-projektives Verfahren kommt
das Mindmapping zum Einsatz. Mindmapping ist eine
strukturierte Form des Brainstormings, bei dem aufbauend
auf der ersten Assoziation des Probanden weitere Assoziationen erfragt werden, sodass am Ende ein Netzwerk um
den Ausgangsreiz entsteht. Eine Automarke könnte also
assoziiert werden mit Sportlichkeit, und Sportlichkeit wiederum mit Gesundheit und Attraktivität usw.
10.3.2
Apparative
Aufmerksamkeitsmessung
Um die Einschränkungen expliziter Aufmerksamkeitsmaße zu umgehen, werden häufig apparative Verfahren genutzt. Vorwiegend kommt hierbei das Eye-Tracking (Blickbewegungsregistrierung) zum Einsatz. Hierbei werden die
Augenbewegungen der Probanden mit Kameras erfasst.
Diese Kameras sind entweder über einem Bildschirm oder
in einem aufsetzbaren Gestell montiert. Die Augenbewegungen werden registriert und auf das dargestellte Material (Bildschirm) oder die betrachtete Umgebung (mobile
Vorrichtung) bezogen. So lässt sich nachvollziehen, was ein
Proband wann und wie lange ansieht, wenn er beispielsweise mit einer neuen Anzeige oder einem Werbe-Spot
konfrontiert wird. Das Blickverhalten kann durch zwei
Parameter bestimmt werden: durch Fixation und durch
Sakkaden (Muster der schnellen Augenbewegungen). Das
Blickverhalten verläuft so, dass der Fokus der Aufmerksamkeit jeweils für kurze Zeit an einer bestimmten Stelle
der Vorlage verweilt, um sich dann sprunghaft in einer
Sakkade zu verlagern. Die Informationsaufnahme findet
während der Fixationen statt, und aus den Fixationsmustern wird deutlich, welche Elemente eines Werbemittels in
welcher Reihenfolge aufgenommen wurden. Wenn diese
Annahmen stimmen, dann ist auch nachvollziehbar, dass
das Fixationsmuster als Indikator für die Erinnerung an
eine Werbung oder an einzelne Elemente fungieren kann
(z. B. Krugmann, Fox, Fletcher, Fletcher & Rojas, 1994).
Eye-Tracking kann auch dazu dienen, die Prägnanz von
Verpackungsdesigns und Logos zu überprüfen, Benutzeroberflächen zu evaluieren und zu untersuchen, ob und wie
schnell Verbraucher Kleingedrucktes finden und lesen.
Moderne Eye-Tracking Systeme können auch die Pupillenweite erfassen und vereinen somit Eye-Tracking und
Pupillometrie (▶ Abschn. 10.3.5).
Über die Aussagekraft dieser Methode wird allerdings
heftig debattiert. Die Kritik resultiert u. a. daraus, dass aus
einer kurzen Fixation sowohl geschlossen werden kann,
dass das betrachtete Element gut verständlich ist, als auch,
dass es für den Rezipienten nicht relevant ist (Rosbergen,
Pieters & Wedel, 1997). Ebenso kann Fixation nicht immer mit Aufmerksamkeit gleichgesetzt werden (Duchow-
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22
Kapitel 10 • Methoden der psychologischen Marktforschung
ski, 2002). Zum Beispiel fixieren Menschen in Gesprächen
manchmal Gegenstände, obwohl die Aufmerksamkeit auf
das Gespräch gerichtet ist.
Ein weiteres apparatives Verfahren der Aufmerksamkeitsmessung ist das Tachistoskop. Mit diesem Gerät wird
Probanden ein Gegenstand nur für Sekundenbruchteile
gezeigt. Oft ist die Zeitspanne so kurz, dass eine bewusste
Wahrnehmung nicht möglich ist. Die Testperson kann somit nur über undifferenzierte Eindrücke oder emotionale
Reaktionen berichten. Im Mittelpunkt der tachistoskopischen Analyse stehen daher Fragen zur Anmutung und
Gestaltung von Produkten, Packungen, Anzeigen etc.,
beispielsweise die Dominanz und Prägnanz einzelner Elemente (vgl. Salcher, 1995).
10.3.3
Implizite Erinnerungsmessung
Bei direkten Tests wird der Erinnerungsprozess dadurch
angestoßen, dass auf die Werbepräsentation Bezug genommen wird und somit kontextuelle Hinweisreize gegeben
werden. Diese Form des expliziten Erinnerns kann in
bestimmten Fällen die Bewertung des Werbegegenstandes verändern (vgl. Perfect & Askew, 1994) und somit
die Messung verzerren, beispielsweise wenn die Erinnerung des Kontextes („in der Werbung gesehen“) zu einer
Abwertung der Marke führt. Ebenso bildet das bewusste
Ins-Gedächtnis-Rufen von Werbeinhalten nicht die Wirkung dieser Werbung im Alltag ab. Werbung kann auch
wirksam sein, wenn die spezifischen Werbeinhalte nicht
bewusst abrufbar sind. Mittels impliziter Erinnerungstests
wird stattdessen versucht, Gedächtnisinhalte zu ermitteln,
ohne den Kontext, also die Werbung, im Bewusstsein der
Probanden wachzurufen. Hierzu werden Aufgaben vorgegeben, deren Bearbeitung aufgrund des erinnerten Materials erleichtert wird, obwohl sich die Betreffenden an
das zuvor Gesehene i. d. R. nicht aktiv erinnern können.
Zum Beispiel könnten Probanden zu ihren spontanen
Assoziationen zu einer Marke befragt werden. Wenn die
Assoziationen viele Elemente aus einer vorher gesehenen
Werbung beinhalten, dann spricht dies implizit für Erinnerungsleistung, obwohl sich die Probanden nicht an die
Werbung selbst erinnern können (vgl. Krishnan & Chakravarti, 1999). Um auszuschließen, dass es sich nur um
allgemeine Assoziationen handelt, müssen die Ergebnisse
mit Antworten von Probanden verglichen werden, welche
die Werbung nicht gesehen haben. Holden und Vanhuele
(1999) konnten zeigen, dass bereits die einmalige Darbietung eines bis dahin unbekannten Markennamens dazu
führt, dass er noch 24 Stunden später als „bekannt“ bezeichnet wird, obwohl die Darbietung oder gar ihr Kontext
nicht mehr erinnert werden. Möglicherweise wird diese
Art von „Primingeffekt“ von anderen Faktoren bestimmt
als bei Gedächtniseffekten, die mit direkten Tests ermittelt werden. Auch gibt es Hinweise darauf, dass indirekt
erfasste Erinnerungsleistungen eher mit Einstellungen zusammenhängen als direkt erfasste Erinnerungsleistungen
(vgl. Hansen & Wänke, 2009).
10.3.4
Reaktionszeitmaße
Reaktionszeitmaße aus der klinischen und der sozialpsy-
chologischen Forschung finden zunehmend auch in der
Marktforschung Anwendung. Reaktionszeitmaße basieren
auf der Annahme, dass es einer Person unterschiedlich
leicht fällt, Informationen zu verarbeiten. Diese Erleichterung oder Erschwerung kognitiver Verarbeitung zeigt
sich an einer verringerten oder erhöhten Reaktionszeit.
Die Reaktionszeit verringert sich durch intuitiv Einsichtiges, Erwartungsgemäßes, Vertrautes und in Situationen,
in denen automatische Reaktionen angebracht sind. Inkonsistentes, Überraschendes oder bewusste Kontrolle
Erforderndes verlängern hingegen die Reaktionszeit. In
der Marktforschung wird dieses Prinzip primär zur Erfassung von Einstellungen und Werthaltungen genutzt. Wenn
Personen beispielsweise die Marke Porsche mit Reichtum
assoziieren, so sollten sie die Paarung der beiden Reize
„Porsche“ und „Reichtum“ schneller verarbeiten können
als die Verbindung von „Porsche“ und „Armut“. Dies bildet die Grundlage für das bekannteste Reaktionszeitmaß
in der Marktforschung, den Impliziten Assoziationstest
(IAT) (Greenwald, McGhee & Schwartz, 1998). Beim IAT
werden auf einem Bildschirm verschiedene Reize, meist
Bilder oder Wörter, angezeigt. Die Wörter sollen auf einer
Dimension (z. B. gut/schlecht), die Bilder auf einer anderen Dimension (z. B. Markenprodukt/No-Name-Produkt)
eingeordnet werden. Dazu dienen zwei Tasten, die beide
für die Zuordnung von Bildern und Wörtern benutzt werden. Dabei dient eine Taste für die Zuordnung zu „gut“
und „Markenprodukt“, die andere für „schlecht“ und
„No-Name-Produkt“. In späteren Durchgängen wird die
Tastenzuordnung dann vertauscht (z. B. „Markenprodukt“
und „schlecht“ auf derselben Taste). Bei Probanden, die
Markenprodukte gut finden, ist die Assoziation stärker,
und es fällt ihnen folglich leichter, dieselbe Taste für „Markenprodukt“ und „gut“ zu verwenden; ihre Reaktionszeit
sinkt. Probanden, die Markenprodukte ablehnen, müssen
hingegen dieselbe Taste für etwas Positives (gut) und für
etwas für sie Negatives (Markenprodukt) nutzen; die Reaktionszeit steigt. Dieser Reaktionszeiteffekt unterliegt nicht
der bewussten Kontrolle der Versuchsperson, sondern ist
das Ergebnis einer automatischen Aktivierung von kognitiven Strukturen. Ein Beispiel für eine solche IAT-Studie
geben Friese, Wänke und Plessner (2006): Sie zeigen, dass
die in einem IAT ermittelte Vorliebe für Markenprodukte
171
10.4 • Erfassen des Konsumentenverhaltens
oder No-Name-Produkte spätere Produktentscheidungen
besonders gut vorhersagte, wenn der Zeitdruck bei der
Produktentscheidung stark war. Explizite Befragungen
sagen hingegen das Verhalten bei Entscheidungen ohne
Zeitdruck teilweise besser voraus (Nevid & Dimofte, 2010).
Implizite und explizite Einstellungsmaße messen also möglicherweise verschiedene Facetten von Einstellungen.
Ein Nachteil des IAT ist es, dass immer Paare von Objekten bewertet werden (Markenprodukt/No-Name-Produkt). Aussagen über Markenprodukte müssen also z. B.
relativ zu No-Name-Produkten gesehen werden. Diese
Einschränkung umgeht der Single-Category IAT. Hierbei
wird nur ein Einstellungsobjekt (z. B. Markenprodukte)
bewertet. In zwei Aufgabenblöcken müssen die Teilnehmer auf dem Bildschirm erscheinende Reize bewerten.
Die Bewertung geschieht über eine Positiv-Taste und eine
Negativ-Taste. In einem der zwei Aufgabenblöcke soll die
Positiv-Taste gedrückt werden, wenn das Einstellungsobjekt erscheint. Im anderen Aufgabenblock soll die Negativ-Taste gedrückt werden, wenn das Einstellungsobjekt
erscheint. Je nach Einstellung der Teilnehmer reagieren
diese schneller auf das Einstellungsobjekt mit der Positiv- oder der Negativ-Taste. Neben dem IAT gibt es andere Reaktionszeitmaße, wie „go/no-go association task“
(Nosek & Banaji, 2001), welche nur eine Taste nutzt, die je
nach Stimulus entweder gedrückt (go) oder nicht gedrückt
(no-go) werden soll. Ein weiteres Reaktionszeitverfahren
ist die „intrinsic affective Simon task“ (De Houwer, 2003).
Außerhalb der Marktforschung werden Reaktionszeitmaße
für weit mehr als nur die Erfassung von Einstellungen verwendet, weshalb in Zukunft weitere Anwendungsbereiche
in der Marktforschung zu erwarten sind. Denkbar ist die
Anwendung zur Messung, wie stark ein Produkt oder
Werbemotiv Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ebenso sind
Anwendungen als implizite Erinnerungsmaße möglich, bei
denen unbewusst Erinnertes die Verarbeitung erleichtert
und damit die Reaktionszeit senkt.
10.3.5
Physiologische Maße
Eine weitere Gruppe indirekter Verfahren wertet körperliche Reaktionen auf konsumrelevante Reize aus. Die körperlichen Reaktionen werden mit verschiedenen Messgeräten erfasst, z. B. auf der Haut angebrachte Elektroden,
Pupillenmessgeräte oder Tomografen. Personen können
die körperlichen Reaktionen kaum oder gar nicht bewusst
kontrollieren und somit auch nicht verfälschen. Die Aussagekraft einiger dieser Verfahren ist allerdings fraglich,
weil manche physiologische Reaktionsmuster unspezifisch
oder stark fehleranfällig sind. Beispielsweise verändert sich
der Hautwiderstand bei einer emotionalen Reaktion, aber
es bleibt unklar, ob das Erlebnis positiv oder negativ ist.
Ähnlich verhält es sich bei der Pupillometrie, der Messung
des Pupillendurchmessers: Die menschliche Pupille weitet sich bei Erregung sowohl bei furchtbesetzten als auch
angenehmen Reizen. Teilweise lässt sich die Aussagekraft
physiologischer Untersuchungen durch Kombination verschiedener Verfahren erhöhen.
Mit sog. ereigniskorrelierten Potenzialen, einer
speziellen Form des Elektroenzephalogramms, bei der
Spannungsschwankungen auf der Kopfhaut in Reaktion
auf dargebotene Reize abgeleitet werden, kann in Werbewirkungstests die Überraschungswirkung einzelner Werbeelemente objektiviert werden. Beim Elektromyogramm
wird die elektrische Aktivität einzelner Gesichtsmuskeln
in Reaktion auf bestimmte Stimuli erfasst. Das muskuläre
Aktivitätsmuster erlaubt Rückschlüsse auf die Valenz und
teilweise auch die Qualität der dargebotenen Reize.
Bildgebende Verfahren hielten unter dem Begriff des
Neuromarketings in die Marktforschung Einzug. Insbesondere von der funktionellen Magnetresonanztomografie versprach man sich, dem Gehirn bei seiner Auseinandersetzung mit bestimmten Werbereizen in Echtzeit
„zusehen“ zu können. Aufgrund der noch sehr lückenhaften Grundlagenkenntnisse über die Informationsverarbeitung im Gehirn ist die Deutung der beobachteten Vorgänge aber häufig krude und geht im Erkenntnisgewinn
selten über das hinaus, was mit herkömmlichen Verfahren ermittelt werden kann. Außerdem ist die Anwendung
sehr teuer. Marktforschung mit bildgebenden Verfahren
steckt daher noch in den Kinderschuhen. Folglich flaut
die anfängliche Begeisterung für dieses Verfahren in der
Praxis wieder ab. Langfristig könnten bildgebende Verfahren jedoch vielversprechend sein (Ariely & Berns,
2010).
10.4
Erfassen
des Konsumentenverhaltens
Da alle Marketingmaßnahmen kurz- oder längerfristig darauf abzielen, Kaufverhalten auszulösen oder aufrechtzuerhalten, handelt es sich bei der Erfassung des Konsumentenverhaltens um eine wichtige Aufgabe der psychologischen
Marktforschung. Auf Basis von Verhaltensbeobachtungen
und -messungen lassen sich nicht nur bereits durchgeführte Marketingaktivitäten evaluieren, sondern auch
Kaufbarrieren und Optimierungsmöglichkeiten erkennen
(z. B. im Fall von Handhabungstests) oder Rückschlüsse
von einer Stichprobe auf das Verhalten der Grundgesamtheit ziehen (z. B. beim Minimarkttest). Je nachdem, ob Personen sich der Verhaltenserfassung bewusst sind und ob
sie das Verhalten bewusst beeinflussen können, fallen die
Verhaltensmaße unter die expliziten oder impliziten Methoden. Im Folgenden wird zunächst nur auf Maßnahmen
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Kapitel 10 • Methoden der psychologischen Marktforschung
im Offline-Bereich eingegangen; Verhaltenserfassung im
Internet wird später behandelt (▶ Abschn. 10.5.3).
Die Wirkung von Werbe- und Verkaufsförderungsaktivitäten kann auf der Verhaltensebene erhoben werden,
z. B. darüber, ob Kunden Coupons von Anzeigen zurückschicken, gebührenfreie Anrufe tätigen oder Probeabonnements und Werbegeschenke bestellen. Solche Maßnahmen
können auch gebündelt und in Form von umfassenden Bonusprogrammen als Datenquelle herangezogen werden.
Durch die Vernetzung vieler Einzelhandelsunternehmen
(Supermarktketten, Tankstellen, Kaufhäuser usw.) entsteht
so ein viel detaillierteres Bild als durch Einzelmaßnamen.
Ein bekanntes Beispiel ist Payback. Bei Anfragentests wird
über die Werbung den angesprochenen Personen die Möglichkeit geboten, nähere Angaben zu erfragen, z. B. einen
gebührenfreien Anruf zu tätigen. Dieses Testverfahren
wird insbesondere bei Anzeigen in Fachzeitschriften eingesetzt (Singh & Cole, 1989), allerdings kann man damit
nur schon bestehende Werbung testen. Zudem sind solche Tests zeitlich aufwändig und nur bei solchen Werbeanzeigen anwendbar, in denen es auch tatsächlich etwas
zu erfragen gibt. In anderen Fällen begnügt man sich mit
vergleichsweise oberflächlichen „Reaktionsmaßen“, wie das
Anklicken einer Werbung, das Ausbleiben von „Zapping“
oder die Einschaltquote (vgl. Moser, 2002; Moser & Döring, 2008).
10.4.1
Verhaltensbeobachtung
Beobachtungsverfahren lassen sich nach der Art der
Erfassung (persönlich oder apparativ), dem Partizipationsgrad des Beobachters (teilnehmend oder nicht teilnehmend), der Transparenz der Beobachtungssituation
(offen oder verdeckt) sowie dem Ort und Umfeld der
Beobachtung (vollbiotische bzw. quasibiotische Feldbeobachtung oder Laborbeobachtung) unterscheiden (z. B.
Kepper, 1999; Meffert, 1992). Der Einsatz von Beobachtung basiert auf der Überlegung, dass natürliches Verhalten
nur eingeschränkt durch Befragung oder in einer für die
Versuchsperson erkennbaren Testsituation erfasst werden
kann. Die ideale Vorgehensweise zur Erfassung unbeeinflussten Verhaltens stellt daher eine verdeckte Beobachtung
im natürlichen Umfeld dar (vollbiotische Beobachtung),
welche sich jedoch aufgrund ethischer und praktischer
Probleme häufig nicht umsetzen lässt (vgl. Salcher, 1995).
Ein Beispiel für eine vollbiotische Beobachtung ist die
Kaufverhaltensbeobachtung, die direkt am Kaufort und
ohne Wissen des Verbrauchers durchgeführt wird. Dies hat
den Vorteil, dass sich das interessierende Produkt im realen
Wettbewerbsumfeld befindet und der Verbraucher es – anders als in einer unverbindlichen Laborsituation – auch
tatsächlich bezahlen muss. Um für die Kaufentscheidung
ausschlaggebenden Kriterien und Motiven des Verbrauchers auf die Spur zu kommen und gleichzeitig die Gefahr
der Verzerrung bei der Interpretation zu reduzieren, werden Kaufverhaltensbeobachtungen häufig mit einer kurzen
Nachbefragung kombiniert.
In Fällen, in denen eine Beobachtung des Konsumentenverhaltens direkt am Kaufort nicht möglich oder zu
aufwändig ist, kann auf ein als simulierte Kaufsituation
oder Regaltest bezeichnetes Verfahren zurückgegriffen
werden. Hierbei wird ein Proband im Teststudio vor ein
Regal geführt, in dem sich das Testprodukt sowie Konkurrenzprodukte befinden, und dazu aufgefordert, eines der
Produkte auszuwählen. Im Anschluss wird er zu seinen
Entscheidungskriterien befragt. Der Nachteil dieses Vorgehens besteht in der Unnatürlichkeit der Situation, denn die
Testperson muss keine tatsächliche Kaufentscheidung treffen und ist sich zudem bewusst, dass sie beobachtet wird.
Als Vorteil kann jedoch die Möglichkeit genannt werden,
die Situation gezielt zu verändern. Beispielsweise lassen
sich durch die Frage: „Welches Produkt hätten Sie gekauft,
wenn dieses nicht verfügbar gewesen wäre?“ die wichtigsten Wettbewerber des Testprodukts ermitteln.
Eine weitere Ergänzung simulierter Kaufsituationen
und vollbiotischer Kaufverhaltensbeobachtungen besteht
in der Verbindung mit einem sog. Home-Use-Test, bei dem
alle Testpersonen, die das interessierende Produkt gewählt
haben, dieses mit nach Hause nehmen und dort unter natürlichen Bedingungen ausprobieren können, um danach
an einer weiteren kurzen, meist telefonischen Befragung
teilzunehmen. Auf diese Weise lässt sich z. B. ermitteln,
inwiefern bestimmte Produkterwartungen erfüllt wurden,
wo bei der Verwendung Schwierigkeiten aufgetreten sind
und mit welcher Wiederkaufrate zu rechnen ist.
Gerade die bei der Verwendung eines Produkts anfallenden Bewegungs- und Handlungsabläufe lassen sich
jedoch in Befragungen kaum erfassen, da sie oftmals ohne
bewusste Aufmerksamkeit ablaufen. Daher werden während der Entwicklung neuer Produkte (z. B. technische
Geräte) oder Produktverpackungen häufig Handhabungstests durchgeführt, die ebenfalls durch offene oder verdeckte Beobachtungen begleitet und durch gezielte Fragen
ergänzt werden können.
10.4.2
Apparative und experimentelle
Verfahren
Ein bis heute häufig eingesetztes apparatives Verfahren
zur Erfassung des Verhaltens ist die Schnellgreifbühne.
Als Schnellgreifbühne bezeichnet man einen verschließbaren Kasten, in dem mehrere Produkte oder Packungen
aufgestellt werden. Diese werden der Testperson nur kurz
gezeigt, und ihre Aufgabe ist es, einen der Gegenstände
173
10.5 • Online-Marktforschung
auszuwählen und herauszunehmen, bevor sich die Klappe
wieder schließt. So kann z. B. die Aufmerksamkeitswirkung
der Verpackung oder die Bekanntheit der Produkte ermittelt werden.
Um eine völlig andere Art der Verhaltenserfassung
handelt es sich bei Testmarktverfahren. Beispiele hierfür
sind Gebietsverkaufstests oder auch Minimarkttests in
einem Testmarkt, in dem Produkte in einem begrenzten Markt unter realitätsnahen Bedingungen vermarktet
werden. Hierzu wird beispielsweise in zuvor festgelegten
Testhaushalten eine Werbung geschaltet, in vergleichbaren Kontrollhaushalten jedoch nicht. Im Anschluss wird
für einen festgelegten Zeitraum das Konsumverhalten
der Versuchshaushalte erfasst. Ermöglicht werden solche Vorgehensweisen dadurch, dass sich die beteiligten
Haushalte dazu bereit erklären, dass in ihre Fernsehkanäle bestimmte Werbespots eingespeist werden, dass die
Rezeption der Werbespots erfasst wird und dass das anschließende Konsumverhalten bzw. Kaufverhalten regis­
triert wird, indem die Scanner-Daten in den Einkaufsstätten von dem Marktforschungsinstitut ausgewertet werden.
Offensichtlich ist ein solches Vorgehen aufwändig, weshalb
auch nur wenige Marktforschungsinstitute entsprechende
Leistungen anbieten. Ein Beispiel ist die Gesellschaft für
Kon­sumforschung (GfK), die in Haßloch (einer Kleinstadt
in Rheinland-Pfalz) einen Testmarkt mit 3.000 Haushalten
eingerichtet hat.
Die Vorteile dieser Vorgehensweise liegen auf der
Hand: Es findet eine umfassende Überprüfung von
Marktchancen statt, d. h. Reaktionen der Verbraucher,
des Handels und der Wettbewerber können erfasst werden. Dennoch lassen sich bei diesem Verfahren einzelne
Wirkfaktoren einer Vermarktungsstrategie kaum isolieren.
Kosten und Zeitbedarf sind zudem sehr hoch, die Repräsentativität des Testmarkts ist fraglich, und die Konkurrenz
erhält Einblick in eigene Produktentwicklungen. Auch dies
sind Gründe dafür, dass häufig auf die in ▶ Abschn. 10.4.1
bereits dargestellten Kaufsimulationen mit einer Kombination aus Studio- und Home-Use-Test zurückgegriffen wird
(von Engelhardt, 1999).
10.5
Online-Marktforschung
Verhalten im Internet wird zunehmend zum Gegenstand
psychologischer Forschung (Göritz, Singh & Voggeser,
2012) und gewinnt gerade in der psychologischen Marktforschung rapide an Bedeutung. Die Gründe hierfür sind
vielfältig und lassen sich in zwei Bereiche unterteilen. Zum
einen bietet das Internet vielfältige Vorzüge gegenüber
herkömmlichen Erhebungsmedien. Internetforschung ist
meist kostengünstiger, automatisierbar und kann komplexe
Stimuli und Methoden nutzen (Göritz & Schumacher,
2000). Es können mehr und verschiedenartigere Daten in
kürzerer Zeit erhoben werden. Dies ist besonders bei den
vielfältigen verdeckten Beobachtungsmethoden im Internet der Fall (siehe Trackingmethoden ▶ Abschn. 10.5.3).
Zum anderen Verschieben sich Vermarktungsaktivitäten
zunehmend ins Internet (Greve, Hopf & Bauer, 2011), und
die Marktforschung muss folgen. Dies geschieht aufgrund
veränderter Mediennutzungsgewohnheiten der Bevölkerung. Soziale Netzwerke und Online-Medien beanspruchen zunehmend mehr Zeit und werden zu wichtigen Werbeplattformen. Heutige Marketingkampagnen verknüpfen
meist mehrere Medien. So verweisen Fernsehspots auf
eigens angelegte Internetseiten, während Nachrichten in
sozialen Netzwerken auf Aktionen im Supermarkt aufmerksam machen. Dieser Trend wird durch die Medienkonvergenz verstärkt. Selbst traditionelle Offline-Medien
sind zunehmend auch online verfügbar. Bücher, Zeitungen
und Fernsehserien werden z. B. immer häufiger via Internet rezipiert (ARD/ZDF-Medienkommission, 2013; media
control, 2013).
Natürlich gibt es auch Grenzen und Herausforderungen der Online-Marktforschung. Da jedes Forschungsmedium und damit auch das Internet bestimmte
Eigenheiten aufweist, können sich unerwünschte Wechselwirkungen mit der Fragestellung eines Forschungsprojekts ergeben. Beispielsweise kann die technische
Unerfahrenheit einiger Probanden bei einer computergestützten Untersuchung ihre Angaben beeinflussen.
Internetbasierte Untersuchungen sind selbstredend auf
Fragestellungen beschränkt, die mit diesem Medium
realisierbar sind. Physiologische Messverfahren sowie
Sensorik- und Handhabungstests können über das Internet nicht bzw. nur eingeschränkt durchgeführt werden
(Göritz, Batinic & Moser, 2000). Als Kehrseite der größeren Flexibilität und des Fehlens eines Versuchsleiters
haben Studienleiter weniger Kontrolle über die Identität
der Probanden und über die Teilnahmesituation als bei
persönlichem Kontakt im Labor oder einer mündlichen
Befragung. Wegen der Selbstselektion der Probanden,
des Fehlens eines geeigneten Auswahlrahmens und der
unvollständigen Abdeckung der Bevölkerung mit Internetanschlüssen gehen die Vorzüge von Online-Befragungen meist mit Abstrichen bei der Repräsentativität einher
(Chang & Krosnick, 2009). Die Marktforschung im Internet wirft auch neue ethische und rechtliche Fragen auf
(▶ Abschn. 10.5.3).
10.5.1
Online Access Panels
Die Online-Marktforschung verwendet häufig Fragebögen.
Diese können sowohl analog zu früheren papier- oder telefonbasierten Fragebögen angelegt werden oder über alte
10
174
Kapitel 10 • Methoden der psychologischen Marktforschung
12
Formate hinausgehen, indem multimediale Inhalte oder
interaktive Elemente eingebunden werden.
Aus methodischen und ökonomischen Gründen nutzen viele Marktforschungsinstitute sog. Online Access Panels. Access Panels gibt es sowohl im Offline-Bereich (z. B.
Haushaltspanel, Fernsehpanel) als auch im Online-Bereich.
In der Praxis wird das Access Panel manchmal vereinfachend als „Panel“ bezeichnet, was jedoch irreführend sein
kann. Echte Panels umfassen Personen, die zu mehreren
Zeitpunkten zu gleichen Fragestellungen befragt werden.
Access Panels sind hingegen Pools von Personen, welche
sich bereit erklärt haben, gelegentlich an verschiedenen, oft
unabhängigen Untersuchungen teilzunehmen. Access Panels bestehen aus befragungswilligen Personen, aus denen
für Untersuchungen Stichproben gezogen werden können.
Die Feldzeiten von in Online Access Panels durchgeführten Studien können sehr kurz ausfallen. Aus einem Online
Access Panel können zielgruppengerechte Stichproben im
Rahmen von Querschnitt-, Trend-, Panel- und anderen
zeitlichen Designs gezogen werden. Durch das Vorliegen
der Stammdaten der Panellisten und ihrer Angaben aus
früheren Befragungen können Fragebögen auf neue oder
zeitlich instabile Items beschränkt werden, und aktuell erhobene Daten können durch Abgleich mit früher erhobenen Daten auf Reliabilität und Konsistenz geprüft werden.
Außerdem lassen sich in Online Access Panels Mehrfachteilnahmen derselben Probanden an derselben Erhebung
minimieren (Göritz, 2010).
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Market Research Online
Communities
Ein vielseitiger Marktforschungsansatz im Internet sind
Market Research Online Communities (MROCs). Hierbei werden Online-Communitys zu Marktforschungszwecken eigens ins Leben gerufen. Dies geschieht entweder
durch den Hersteller eines Produkts oder durch spezialisierte Marktforschungsinstitute. Teilnehmer in MROCs
werden nach bestimmten Kriterien ausgewählt und gezielt
eingeladen (z. B. Meinungsführer, Personen aus gewissen
Zielgruppen). Die Community ist zielgebunden, und alle
Teilnehmer erhalten eine Vergütung, wobei diese je nach
Partizipation gestaffelt sein kann. MROCs sind entweder
zeitbegrenzt und an ein Projekt gebunden oder zeitlich unbegrenzt und mit breiterem Fokus angelegt. Im Rahmen
des MROCs werden verschiedene Verfahren durchgeführt. Teilnehmer diskutieren in Foren oder in Gruppen
via Chat. Die Teilnehmer werden sowohl mit qualitativen
als auch quantitativen Methoden befragt. Ebenso möglich
sind Online-Experimente und Community-Aktivitäten,
die beispielsweise Kreativtechniken anwenden. Die Vorteile von MROCs sind die genau ausgewählte Stichprobe,
die hohe Partizipation und Motivation, die Vielzahl komplexer Methoden, die angewendet werden können, sowie
die Verknüpfbarkeit verschiedener Forschungsdaten eines Teilnehmers (ähnlich wie in Access Panels). MROCs
sind jedoch aufwändig und erfordern ein großes Maß an
Knowhow und Planung. Die hohe Partizipation und Motivation der Teilnehmer kann zudem nur aufrechterhalten
werden, wenn die Firma den Teilnehmern auf Augenhöhe
begegnet, aufkommende Fragen beantwortet und die eigenen Forschungsinteressen nicht über die Bedürfnisse der
Teilnehmer stellt (Eisele, 2011). Trotz der Vergütung sind
die Teilnehmer keine bloßen Befehlsempfänger, sondern
möchten Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit im Rahmen der
MROCs erleben.
10.5.3
Tracking
Tracking (engl.: verfolgen, nachspüren) bezeichnet die
automatische, meist verdeckte Verhaltenserfassung im Internet. Da die Erfassung oft nicht wahrgenommen wird,
handelt es sich um ein implizites Verfahren mit den entsprechenden Vorteilen (Unbewusstes erfassen und bewusster Verzerrung entgegenwirken). Tracking im Internet erschließt Stichproben von beispielloser Größe. Der zentrale
Nutzen von Tracking liegt aber in der Verknüpfung mit
Marketingmaßnahmen. Daten, die mit Tracking gewonnen
werden, können automatisch und teilweise in Echtzeit für
zielgerichtete Werbemaßnahmen und Angebote verwendet werden. Betrachtete Produkte in einem Online-Shop
bestimmen so die nächste Empfehlung, der in einer Suchmaschine eingegebene Suchbegriff bestimmt das nächste
Werbebanner. Dieser Vorgang wird als Targeting bezeichnet. Targeting versucht, das Problem des Streuverlusts bei
der Werbeausbringung zu lösen. Ein Werbematerial wird
beispielsweise von allen Lesern eines Magazins gesehen,
obwohl es nur für einen Bruchteil der Leser von Belang
ist. Diese Verschwendung von Werbeplatz und Leseraufmerksamkeit würde umgangen werden, wenn jeder Leser
nur für ihn relevantes Werbematerial sehen würde. Dies ist
in Printmedien oder anderen Massenmedien kaum möglich, und Werben in Fachpublikationen ist nur eine grobe
Annäherung. Targeting im Internet verspricht hingegen
eine deutlich flexiblere und umfassendere Abstimmung der
Werbung auf den Rezipienten. Verschiedene Tracking-Ansätze in unterschiedlichen Bereichen des Internets lassen
sich zusätzlich verknüpfen, um ein umfassendes Bild des
Verhaltens, der Einstellungen und der Motive der Verbraucher zu erhalten. Neben der gezielten Schaltung von Werbung können auch Angebote und Preise gezielter auf den
Verbraucher abgestimmt werden. Gerade aufgrund dieser
Möglichkeiten ist die Missbrauchsgefahr groß. Tracking
wirft folglich schwerwiegende ethische und rechtliche Fra-
175
10.5 • Online-Marktforschung
gen auf (▶ Abschn. 10.5.3). Im Folgenden wird Tracking in
einigen Bereichen des Internets näher vorgestellt.
Online-Tracking
Online-Tracking bezieht sich auf Webseiten außerhalb so-
zialer Netzwerke (▶ Abschn. 10.5.3) und Online-Geschäfte
(▶ Abschn. 10.5.3). Online-Tracking wird entweder vom
Betreiber einer gewissen Seite (z. B. des Internetauftritts
eines Herstellers) durchgeführt oder von Advertising Networks, d. h. von Drittanbietern, die Nutzerverhalten auf
mehreren Internetseiten tracken und zusammenführen.
Advertising Networks beschränken sich hierbei nicht immer auf Tracking, sondern treten zugleich als Vermittler
von Werbeschaltungen auf. Der größte Anbieter in diesem Bereich ist aktuell Google. Online-Tracking nutzt eine
Vielzahl von Datenquellen (Greve et al., 2011): technische
Daten (z. B. Stadt und Land des Nutzers, Zeit, verwendeter Browser), sprachbasierte Daten (z. B. Begriffe und Begriffsgruppen auf Seiten und bei Suchen) und Verhaltensdaten (z. B. angeklickte Links und Werbungen; Abfolge
besuchter Seiten). Aus diesen Daten lassen sich statistische
Vorhersagen über den Nutzer (Vorlieben, demografische
Merkmale etc.) ableiten (Predictive Behavioral Targeting).
Diese Schlüsse sind nicht unfehlbar, aber führen im Mittel
zu besseren Ergebnissen als ohne diese Nachbearbeitung.
Derartige Analysen werden teilweise auch in Echtzeit
durchgeführt und direkt in Werbeschaltungen und Angebote umgesetzt (Real Time Targeting).
Wie diese Anwendungsformen verdeutlichen, sind Tracking und Targeting schwer trennbar, da Marktforschung
(Tracking) und Marketing (Targeting) hier eng verzahnt
sind. Die Interpretation von Marktforschungsdaten wird
automatisiert, sodass erfasste Daten direkt Marketingreaktionen steuern können. Anstatt erhobene Ergebnisse
nachträglich zu analysieren, werden Interpretationsregeln
als Algorithmen vor der Erhebung festgelegt. Die Daten
stehen dann schnell oder in Echtzeit zur Verfügung und
steuern direkt gezielte Marketingmaßnahmen. Die Tracking-/Targeting-Infrastruktur erlaubt es Marktforschern
auch, Mikroexperimente durchzuführen. So kann das
Werbematerial, welches mit einem Suchbegriff verknüpft
ist, für einen Teil der Nutzer durch eine alternative Darstellung ersetzt werden. Die resultierenden Klickraten geben
dann Hinweise auf die Werbewirksamkeit.
Bei Personen eines Panels, die der Verfolgung ihres
Netznutzungsverhaltens – meist gegen Belohnung – zugestimmt haben, sind die Möglichkeiten des Trackings
beinahe grenzenlos. Diese Personen installieren eine Tracking-Software, die umfassende – oft über den Webbrowser hinausgehende – Nutzeraktivitäten erfasst (Napoli, Lavrakas & Callegaro, 2014). Bei Konsumenten hingegen, die
der Verfolgung ihres Netznutzungsverhaltens nicht ausdrücklich zugestimmt haben, sind dem Online-Tracking
Grenzen gesetzt. In diesem Fall stützt sich die Datenerfassung meist auf Cookies, d. h. kleine Dateien, die Internetseiten auf dem Computer des Nutzers hinterlegen. Diese
Cookies können in der Folge von derselben oder einer
anderen Seite ausgelesen werden und weisen den Nutzer
als wiederholten Besucher bzw. einen Besucher der jeweils
anderen Seite aus. Nutzer können die Abspeicherung aller
oder gewisser Cookies technisch unterbinden. Darüber hinaus gibt es weitere technische Maßnahmen, die Tracking
erschweren. Eine weitere Beschränkung des Trackings
ist die Interpretation und insbesondere die automatische
Auswertung. Relevante Werbung anzuzeigen ist trotz der
neuen Datenquellen keinesfalls trivial. Zusätzlich entscheiden sich einige Nutzer dazu, Werbung durch Erweiterungen für ihre Browser zu blockieren, was Targeting, wenn
auch nicht immer Tracking, verhindert.
Social Media-Tracking
Social Media-Tracking (und Targeting) findet primär in
sozialen Netzwerken statt. Soziale Netzwerke sind aus
mehreren Gründen für Marktforscher interessant: Marketingmaßnahmen stützen sich zunehmend auf soziale
Netzwerke, soziale Netzwerke haben Einfluss auf die
Meinungsbildung ihrer Nutzer, und soziale Netzwerke
beinhalten vielfältige Nutzerdaten. Zentrale Datenquellen sind die Profile der Nutzer und die Struktur ihrer
sozialen Beziehungen. Die Profile beinhalten meist den
Namen, eine Mailadresse, einen Spitznamen, ein Foto, das
Geburtsdatum, das Geschlecht, den Wohnort und einige
Zusatzdaten. Die Struktur der sozialen Beziehungen des
Nutzers, in visueller Form auch Soziogramm genannt, ist
eine Sammlung von Nutzern als Knotenpunkten und den
Beziehungen zwischen ihnen (Altendorf, 2011). Diese Beziehungen können in manchen sozialen Netzwerken nach
ihrer Art (Verwandtschaft, Freundschaft etc.) unterschieden werden.
Die genannten Informationen sind zunächst auf das
soziale Netzwerk beschränkt. Anbieter sozialer Netzwerke
(z. B. Facebook, Google+) sind jedoch bemüht, Verhaltensinformationen von außerhalb ihres Netzwerks mit
einzubinden. Dies geschieht durch Empfehlungsknöpfe
auf anderen Webseiten (z. B. ein eingebundener „Gefällt
mir“-Knopf) aber auch durch Single-Sign-on-Angebote.
Single-Sign-on bedeutet, dass man sich für Dienste außerhalb eines sozialen Netzwerks nicht zusätzlich anmeldet:
Anstatt für eine Seite eigens ein neues Konto anzulegen,
melden Nutzer sich mit einem bestehenden Konto z. B. eines sozialen Netzwerks an. Meist gewinnen die externen
Dienste Informationen aus den Profilen der Nutzer, während die sozialen Netzwerke Inhalte und Verhalten aus den
externen Diensten integrieren können.
Neben den genannten Social Media-Tracking-Methoden werden natürlich auch die veröffentlichten Inhalte der
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Kapitel 10 • Methoden der psychologischen Marktforschung
Nutzer beim Social Media-Monitoring analysiert. Im Gegensatz zum Tracking steht weniger der einzelne Nutzer,
sondern ein Meinungsbild oder eine Meinungsdynamik
im Vordergrund. Es ist z. B. weniger von Interesse, wie
Frau Müller einen Film findet, sondern wie ganze Bevölkerungsgruppen den Film bewerten, welche Aspekte
sie hervorheben und mit welchen Personengruppen sich
über den Film ausgetauscht wird. Social Media-Monitoring kann sowohl manuell als auch automatisch erfolgen
und sich dabei qualitativer und quantitativer Analysen
bedienen. Es kann als Grundlage für Marketingmaßnahmen in sozialen Netzwerken dienen oder auch zu deren
Evaluation.
E-Commerce-Tracking
Eine weitere Quelle von Verhaltensdaten ist das E-Commerce-Tracking. Läden im Internet erlauben eine automatische und lückenlose Kaufverhaltensbeobachtung, wie sie
in Offline-Läden äußerst aufwändig wäre. Die gewonnenen
Informationen stehen primär den Geschäften und Plattformen selbst zur Verfügung und erlauben es diesen, Empfehlungen, Angebote und Preise abzustimmen. Ein bekanntes
Beispiel sind Amazons automatisierte Produktvorschläge,
basierend auf dem Verhalten des jeweiligen Kunden selbst
sowie dem Kaufverhalten früherer Kunden. Verhaltensdaten, die den E-Commerce-Anbietern zur Verfügung
stehen, umfassen Suchdaten, was die Kunden angesehen
haben, was sie in den Warenkorb legen, was sie tatsächlich
kaufen, was sie auf Wunschlisten eintragen und wie sie
Produkte bewerten und rezensieren.
Mobile-Tracking
Die mobilen Technologien stellen eine Herausforderung
für Marketing und Marktforschung dar, erschließen aber
auch neue Datenquellen. Marketing folgt dem veränderten Nutzungsverhalten von stationären auf mobile Plattformen, um Kunden weiterhin oder noch umfassender
zu erreichen. Gleichzeitig werden Telefonbefragungen
schwieriger, da sie meist nur im Festnetz durchgeführt
werden. Mobiltelefonnummern sind zwar ebenso mit einem Zufallsgenerator erreichbar, aber teurer. Zudem ist
die Teilnahmebereitschaft am Mobiltelefon geringer. Die
zunehmende Verbreitung mobiler Endgeräte, wie Smartphones und Tablets, verknüpft Informationen über das
Surfverhalten im Internet mit räumlichen Koordinaten der
Nutzer. Folglich entstehen maßgeschneiderte und kontextsensitive Angebote, die im Rahmen von Rabattaktionen
oder sozialer Medien den aktuellen Aufenthaltsort der
Nutzer berücksichtigen.
Ethik und Recht
Die vorgestellten Tracking-Formen erweitern zwar die
Möglichkeiten der Marktforschung, werfen aber Fragen
des Datenschutzes und der Wahrung der Privatsphäre
auf. Da die Möglichkeiten durch das Internet noch vergleichsweise neu sind und sich stetig erweitern, befindet
sich der entsprechende gesellschaftliche Diskurs noch am
Anfang. Langfristig muss ein Gleichgewicht zwischen den
Anliegen der Marktforschung und den Rechten der Verbraucher gefunden werden. Dreh- und Angelpunkt der
Problematik ist, inwiefern Tracking personenbezogene
Daten erfasst. Das Bundesdatenschutzgesetz (§ 3 Abs. 1
BDSG) definiert personenbezogene Daten als „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer
bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person“. Dies
veranschaulicht das Dilemma vieler Trackingverfahren.
Die Daten aus einem Tracking-Ansatz lassen vielleicht
noch keine Schlüsse auf eine natürliche Person zu, doch
sobald mehrere Datenquellen zusammengeführt werden,
ist die natürliche Person womöglich bestimmbar. Die Internationalität des Internets sorgt zusätzlich für rechtliche
Komplikationen.
Es existieren zwei Ansätze unterschiedlicher Strenge,
um Datenerfassung im Internet zu regulieren (Hass &
Willbrandt, 2011). Das Opt-out-Verfahren fordert, dass
Personen über die Datenerfassung informiert werden
und sie die Möglichkeit haben müssen, sich gegen diese
Datenerfassung zu entscheiden. Wenn sich der Nutzer
nicht aktiv gegen die Erfassung wehrt, ist sie legal. Dieses
Modell wird in Deutschland bei nicht-personenbezogenen Daten angewandt. Das strengere Opt-in-Verfahren
kommt bei personenbezogenen Daten zum Einsatz. Hier
müssen Personen der Nutzung gewisser Daten zustimmen. Diese kurze Darstellung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die rechtliche Lage komplex ist. Viele
Aspekte sind zudem noch nicht eindeutig geregelt und
werden erst in zukünftigen Rechtstexten festgelegt werden.
Neben dem rechtlichen Rahmen sollten Marktforscher auch ethische Gesichtspunkte sowie die Akzeptanz
verschiedener Methoden bedenken. Dies ist nicht zuletzt
aus ökonomischen Gründen sinnvoll. Ein rücksichtsloses
Vorgehen könnte die Akzeptanz von Marktforschung
verringern und die Datenerhebung deutlich erschweren. Je mehr Nutzer beispielsweise Cookies löschen oder
Opt-out-Möglichkeiten nutzen, desto lückenhafter wird
das erfasste Bild. Da Marktforschung und Marketing im
Internet zunehmend verzahnt werden, könnte eine Ablehnung von Marktforschungsverfahren auch die Wahrnehmung beworbener Produkte und Marken beeinträchtigen. Dies würde dem Sinn der Marktforschung, Marketing
zu unterstützen, zuwiderlaufen. Zuletzt gilt es auch, zukünftige Gesetzgebung zu bedenken. Ein zu aggressives
Datensammeln mag die öffentliche Meinung gegen die
Datenerhebung aufbringen und den Gesetzgeber zu drastischen gesetzlichen Regelungen bewegen.
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Literatur
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Kontrollfragen
1. Welche Vorteile bieten implizite Verfahren gegenüber expliziten Verfahren? Bitte nennen Sie zwei
Vorteile und jeweils ein Anwendungsbeispiel.
2. Marktforscher Maier führt ausführliche, explorative
Interviews mit drei Verbrauchern durch, um herauszufinden, ob ein neues Produkt in Deutschland
Erfolg haben wird. Bitte nennen Sie zwei Gründe,
warum Meiers Ansatz nicht ausreichend ist, und
nennen Sie eine Methode, die Maier anwenden
kann, um diese Nachteile auszugleichen.
3. Um zu erfassen, wie sportlich Audis im Vergleich
zu Toyotas wahrgenommen werden, wurde
ein impliziter Assoziationstest durchgeführt.
Im Schnitt reagierten die Probanden schneller,
wenn sie für Bilder von „Audis“ und „sportlich“
die gleiche Taste nutzten als wenn sie für Bilder
von „Toyotas“ und „sportlich“ die gleiche Taste
nutzten. Stellen Sie eine Vermutung an, welche
der beiden Marken als sportlicher wahrgenommen wurde, und geben Sie an, woraus Sie dies
schließen.
4. Nennen Sie drei Vorteile von Online Access Panels.
5. Zunehmend finden Market Research Online Communities (MROCs) in der Marktforschung Einsatz.
Skizzieren Sie die Methode, und geben Sie einen
Vorteil und einen Nachteil an.
Fazit
Unter psychologischer Markforschung verstehen wir die
systematische Sammlung, Auswertung und Interpretation
von Informationen über Konsumenten und deren Motive,
Wünsche, Bedürfnisse und Vorstellungen. Ziel ist es, das Konsumentenverhalten nicht nur zu erfassen, sondern auch zu
erklären und auf Basis dieses Verständnisses in gewissen Grenzen vorherzusagen.
Die hier vorgestellten Markforschungsmethoden lassen
sich grob in explizite und implizite Verfahren unterteilen. Zu
den expliziten Verfahren zählt v. a. die Befragung, die einzeln
oder in Gruppen, persönlich, telefonisch oder via Internet erfolgen kann. Erfassen lassen sich so beispielsweise die Werbeerinnerung, Beurteilungen von Marken und Produkten,
Motive, Einstellungen und Verhalten. Zwei Einschränkungen
direkter Verfahren sind jedoch, dass sie von der Testperson
leicht durchschaut werden können und nur das erfassen,
was der Testperson auch bewusst ist. Um darüber hinaus unbewusste oder nur teilweise bewusste Motive, Bedürfnisse
und Verhaltenstendenzen aufdecken zu können, werden
implizite Verfahren eingesetzt. Zu diesen zählen implizite
Erinnerungstests, Reaktionszeitmaße, assoziative Verfahren,
projektive Verfahren und zahlreiche Kreativtechniken, aber
auch physiologische Maße und andere apparative Verfahren.
Auch Feldforschung wie z. B. Verhaltensbeobachtungen, ex-
perimentelle Untersuchungen oder Testmarktverfahren lassen sich den indirekten Verfahren zuordnen.
Durch das Internet erweitert sich das Repertoire der
Marktforschung beträchtlich. Sowohl explizite als auch implizite Verfahren finden hier Anwendung. Vorgestellte Verfahren umfassen Online Access Panels, Market Research Online
Communities und verschiedene Varianten des Trackings von
Nutzerverhalten. Es ist abzusehen, dass Online-Methoden
auch weiterhin an Bedeutung gewinnen werden.
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179
Haushalten
und Verbrauchen:
Erhalten von Ressourcen
Kapitel 11
Finanzpsychologie – 181
Stefan Schulz-Hardt, Frank Vogelgesang,
Andreas Mojzisch, Christoph Ehrling
Kapitel 12
Gesundheit in Wirtschaft und Gesellschaft – 207
Georg Bauer, Gregor Jenny
Kapitel 13
Work-Life-Balance – 227
Bettina S. Wiese
Kapitel 14
Berufswahl und berufliche Entwicklung
aus psychologischer Sicht – 245
Gerhard Blickle
Kapitel 15
Arbeitslosigkeit – 263
Karsten I. Paul, Klaus Moser
II
181
Finanzpsychologie
Stefan Schulz-Hardt, Frank Vogelgesang, Andreas Mojzisch,
Christoph Ehrling
11.1
Was ist Finanzpsychologie? – 182
11.2
Grundlagen der Finanzpsychologie – 183
11.2.1
11.2.2
Geld- und Preiswahrnehmung – 183
Finanzbezogenes Entscheiden – 188
11.3
Anwendungsgebiete der Finanzpsychologie – 192
11.3.1
11.3.2
Anlegerverhalten – 192
Sparen und Verschuldung – 198
11.4
Fazit und abschließende Bemerkungen – 201
Literatur – 203
K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie, Springer-Lehrbuch,
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
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Kapitel 11 • Finanzpsychologie
Für Herrn Centmeyer steht fest: Der Euro ist ein Teuro. Das
Bier in der Kneipe, die Kinokarten und erst recht die Mieten
– alles ist seit der Einführung des Euros teurer geworden.
Selbst der nette Bäcker um die Ecke hat bei den Brötchen
aufgeschlagen. Um sicher zu gehen und seine Teuro-Hypothese zu überprüfen, hat Herr Centmeyer die Probe aufs
Exempel gemacht: Von seinem Lieblingsitaliener hat er zwei
Speisekarten mitgenommen: die eine aus der Zeit vor der
Euro-Einführung, die andere aus der Zeit danach. Zugegeben: Die Pasta und die Nachspeisen sind auf der Euro-Speisekarte billiger – insgesamt aber, so zieht Herr Centmeyer
nach eingehendem Vergleich beider Karten die Bilanz, sind
die Preise durch die Euro-Einführung deutlich gestiegen.
Herr Centmeyer fühlt sich somit bestätigt. Umso erstaunter
ist er daher über das, was in der Zeitung steht: Laut Angaben
des Statistischen Bundesamts ist der Verbraucherpreisindex,
der die durchschnittliche Preisentwicklung wiedergibt, in
den vergangenen Jahren stets konstant gestiegen – kein Ausschlag nach oben durch die Euro-Einführung im Jahr 2002!
Ist der Euro also doch kein Teuro? Kann man sich so sehr
täuschen? Um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen,
wendet sich Herr Centmeyer an eine gut befreundete Finanzpsychologin, die ihm erklärt, wie es zu einer solchen
Diskrepanz zwischen Preiswahrnehmung und Preisstatistik
kommen kann.
12
11.1
13
Da die Psychologie die Wissenschaft vom Erleben und
Verhalten von Menschen darstellt, legt der Begriff nahe,
dass Finanzpsychologie etwas mit der wissenschaftlichen
Untersuchung des Erlebens und Verhaltens von Menschen
im Umgang mit finanziellen Mitteln zu tun haben muss.
Interessanterweise hat diese recht junge psychologische
Subdisziplin ihren Ursprung gar nicht in der Psychologie,
die lange Zeit ein weitgehendes Desinteresse an finanzwirtund finanzwissenschaftlichen Fragestellungen zeigte. Als
„Gründungsvater“ der Finanzpsychologie kann der Wirtschaftswissenschaftler Günter Schmölders angesehen werden, dessen klassische Arbeiten zur Psychologie des Geldes
(Schmölders, 1966) und zur Einführung in die Geld- und
Finanzpsychologie (Schmölders, 1975) den Grundstein
legten für die systematische, empirische Analyse finanzbezogenen menschlichen Erlebens und Verhaltens. Dabei
hatte Schmölders ein sehr enges Verständnis des Begriffs
„Finanzpsychologie“, wie schon die Abgrenzung von der
Geldpsychologie im Titel des zweitgenannten Werkes
vermuten lässt: Seiner Ansicht nach sollte sich Finanzpsychologie mit der verhaltensbezogenen Analyse finanzpolitischer Entscheidungsprozesse sowie den Reaktionen
der Bürger auf die Staatswirtschaft (z. B. ihre Steuermoral)
beschäftigen.
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Was ist Finanzpsychologie?
Dass sich die Finanzpsychologie nachfolgend als wesentlich breiteres und sich sehr dynamisch entwickelndes
Themengebiet in der Psychologie etablierte, ist verschiedenen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen zu danken. Auf wirtschaftlicher Seite sind Faktoren
wie etwa die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft
oder auch Veränderungen des Finanzwesens (z. B. eine
zunehmende Anzahl von Börsengängen) zu nennen, die
ein steigendes Interesse an psychologischen Prozessen
bei finanzbezogenem Handeln und ein entsprechendes
Problembewusstsein mit sich brachten. Nicht zuletzt das
Platzen der Börsenblase im Jahr 2000 hat auch bei vielen
interessierten Laien das Interesse an der „Psychologie der
Börse“ geweckt. Wissenschaftlich kam ein wichtiger Motor
für die Finanzpsychologie erneut aus den Wirtschaftswissenschaften, in denen sich die Behavioral Finance als verhaltensorientierte Erweiterung der ökonomischen Finanztheorie etablierte. Anliegen der Behavioral Finance (für
eine Übersicht s. Stracca, 2004) ist es, das Verhalten von
Kapitalmarktteilnehmern durch systematischen Einbezug
psychologischen Wissens besser erklärbar und vorhersagbar zu machen, als dies auf Grundlage der Standardökonomik möglich ist. Das daraus resultierende Interesse an
finanzbezogenem psychologischem Wissen belebte die
finanzpsychologische Forschung v. a. im Bereich des Anlegerverhaltens.
Heute präsentiert sich die Finanzpsychologie als ein
vielfältiges und noch immer wachsendes Themengebiet
der Psychologie. Allerdings fehlen übergreifende Darstellungen, wie z. B. Lehrbücher, aus denen sich ein gemeinsames Verständnis von der Breite und den Grenzen dieser
Disziplin herleiten ließe. Im Einklang mit Fischer, Kutsch
und Stephan (1999) wollen wir sie in diesem Beitrag wie
folgt definieren: Finanzpsychologie ist die Wissenschaft
vom Erleben und Verhalten von Menschen im Umgang
mit Geld oder liquiditätsnah investierten bzw. aufgenommenen Mitteln.
Die Untersuchung dieser Thematik erfolgt im Regelfall auf der Mikroebene, setzt also beim einzelnen Wirtschaftssubjekt an. Dabei lässt sich die Finanzpsychologie
in eher grundlagenorientierte und eher anwendungsorientierte Forschungsbereiche unterteilen. In ersteren
werden die Wahrnehmung von Geld, die Wahrnehmung
von Preisen sowie das Urteilen und Entscheiden über
Geldmittel im Allgemeinen untersucht, in letzteren hingegen fokussiert man konkrete Anwendungskontexte für
finanzbezogenes Urteilen und Entscheiden. Als die drei
größten und bekanntesten Anwendungsbereiche sind das
Anlegerverhalten, das Spar- und Verschuldungsverhalten
sowie Steuerehrlichkeit und Steuerhinterziehung zu nennen. Diesem Begriffsverständnis folgen wir auch im Aufbau unseres Beitrags, in dem wir zunächst die Grundlagen
und anschließend zwei der drei genannten Anwendungs-
183
11.2 • Grundlagen der Finanzpsychologie
bereiche der Finanzpsychologie darstellen. Mit dem dritten Anwendungsbereich, der Steuerehrlichkeit und Steuerhinterziehung, beschäftigt sich ausführlich ▶ Kap. 18 in
diesem Band.
11.2
11.2.1
Grundlagen der Finanzpsychologie
Geld- und Preiswahrnehmung
In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns zunächst mit Bedeutungen und Funktionen von Geld. Aus ihnen leiten sich
Wert und Wahrnehmung des Geldes her. Wir schließen
mit der Wahrnehmung von in Geldeinheiten ausgedrückten Preisen.
Geldwahrnehmung
Bedeutungen und Funktionen von Geld
Der Ursprung des Geldes liegt Schmölders (1966) zufolge
nicht in der Suche nach einem allgemeinen Tauschmittel,
sondern im Geltungsstreben und Schmuckbedürfnis von
Menschen begründet. Zuerst trat Geld in Form von männlichem Würde- und Rangschmuck in Erscheinung, daraus
entwickelte es sich zu Besitzschmuck im Sinne eines Mittels zur Hervorhebung der Persönlichkeit, der Auszeichnung und Anerkennung sowie von Macht und Status. Damit hatte Geld als ein Mittel zur Kommunikation sozialer
Differenzierung soziale und psychologische Funktionen
noch vor ökonomischen. Diese psychologische Wirkung
von Geld zeigt sich z. B. darin, dass die Auseinandersetzung mit Geld, etwa durch die visuelle Konfrontation mit
Geld, zur Aktivierung eines spezifischen Selbstkonzeptes
führt. Dieser als Priming bezeichnete Vorgang verursacht, dass Personen, welche mit Geldreizen konfrontiert
wurden, nachfolgend individualistischer orientiert sind.
So nehmen diese weniger Hilfe in Anspruch, zeigen eine
geringere Hilfsbereitschaft und führen Aufgaben lieber
alleine durch (Vohs, Mead & Goode, 2006). Indem Geld
verschiedene soziale und psychologische Gegebenheiten,
wie Erfolg, Macht, Status, Unabhängigkeit, Sicherheit, Cleverness und Wohlsein, symbolisiert, erhält es symbolische
Bedeutungen (Burgoyne, Routh & Ellis, 1999). Als Wertmaßstab, Wertaufbewahrungs- und -übertragungsmittel
und insbesondere als Tausch- und Zahlungsmittel hingegen hat Geld ökonomische Funktionen.
Die Vielfalt seiner ökonomischen Funktionen, psychologischen und symbolischen Bedeutungen lassen Geld zu
einem generalisierten Sekundärverstärker werden, mit
dem sehr verschiedene Bedürfnisse und Motive befriedigt
werden können. Damit kann Geld im erweiterten Sinne
auch als soziale Ressource verstanden werden, welche uns
das Gefühl vermittelt, vielfältige Probleme lösen zu können, sowie allgemein unsere Bedürfnisse zu befriedigen
(Zhou, Vohs, & Baumeister, 2009). So konnte einerseits
nachgewiesen werden, dass sozialer Ausschluss sowie die
Gedanken an physischen Schmerz das Bedürfnis nach
Geld erhöhen, aber auch, dass Probanden, welche Geld anstelle von Papier gezählt hatten, sich weniger empfindlich
gegenüber physischem Schmerz oder sozialem Ausschluss
zeigten. Hingegen erhöhten Gedanken an Geldverlust die
Vulnerabilität für physikalischen Schmerz und die Folgen
von sozialem Ausschluss. Geld hatte dabei in keinem dieser
Experimente eine pragmatische Funktion. Beispielsweise
konnten Probanden mit Geld nicht beeinflussen, dass die
Temperatur des Wassers, in das sie ihre Hand gelegt hatten, gesenkt wurde, oder dass sie die Hand vor Ablauf der
vorgegeben Zeit aus dem Becken nehmen durften (Zhou
et al., 2009).
Aufgrund der dargelegten Bedeutung von Geld ist es
nicht verwunderlich, dass finanzieller Besitz bzw. das Einkommen erhebliche Auswirkungen auf unsere körperliche
und psychische Verfassung hat. So konnte gezeigt werden,
dass ein Einkommensrückgang sich negativ auf die körperliche sowie psychische Gesundheit von Probanden
auswirkt (Price, Choi & Vinokur, 2002) und ein niedriger
sozial-ökonomischer Status, welcher maßgeblich durch das
Einkommen determiniert ist, das Sterblichkeitsrisiko negativ beeinflusst (Adler & Snibbe, 2003). Interessanterweise
zeigt sich in der Literatur der paradoxe Effekt, dass sich
einerseits ein hohes Einkommen bzw. Reichtum positiv
auf unser subjektives Wohlbefinden auswirkt, das Streben
nach ebendiesem aber andererseits einen negativen Effekt
auf unsere Zufriedenheit hat. Dieses Dilemma trifft dabei
insbesondere jene Personen, welche aufgrund eines bisher
geringen Einkommens nach finanziellem Erfolg streben
(Nickerson, Schwarz, Diener & Kahneman, 2003).
Auch die ökonomische Funktion von Geld birgt eine
wichtige psychologische Komponente: Als Tauschmittel
funktioniert Geld nicht aufgrund seines Gebrauchs- oder
Materialwerts, sondern aufgrund der allgemeinen Anerkennung des Wertversprechens, für das es steht (Schmölders, 1966). Mit Anerkennung des Wertversprechens ist das
Vertrauen darauf gemeint, „daß das Geld, das man jetzt einnimmt, auch zu dem gleichen Werte wieder auszugeben ist“
(Simmel, 1922, S. 164–165, zitiert nach Schmölders, 1966,
S. 144). Das Wertversprechen kann beispielsweise durch
die Inflation untergraben werden. Bleibt das Vertrauen in
das Geld davon aber weitgehend unberührt, so verweist
uns dies auf ein interessantes und zentrales Phänomen der
Geldpsychologie, nämlich die häufig zu konstatierende
Divergenz zwischen Geldwert und dessen Wahrnehmung.
Geldwert und Geldwahrnehmung:
Die Geldillusion
Der (reale) Geldwert bezeichnet in der Ökonomie die
Kaufkraft des Geldes als die Menge aller Güter, die man
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Kapitel 11 • Finanzpsychologie
für einen bestimmten Geldbetrag erwerben kann. Unter
Geldwahrnehmung hingegen verstehen wir die Wahrnehmung und Beurteilung des Wertes von Geld vor dem
Hintergrund eigener geldwerter Bedürfnisse, u. a. in temporären und sozialen Vergleichen. Der reale, ökonomische
Geldwert und der wahrgenommene, psychologische Geldwert können sich deutlich unterscheiden. Dies zeigt sich in
der sog. ▶ Geldillusion (▶ Beispiel). Die Geldillusion ist
die Tendenz, in Zahlen (nominal) anstatt in Kategorien realen Geldwerts zu denken. Sie „besteht in der Anschauung,
daß die Geldeinheit sich immer gleich bleibt, so dass sie als
Wertmaßstab für andere Dinge dienen kann, und dass sie
selbst nicht gemessen zu werden braucht“ (Fisher, 1948,
zitiert nach Schmölders, 1966, S. 145). Eine Inflation von
3 % beispielsweise führt zu einer Verringerung des Wertes
eines Euros um 3 %, ohne dass wir seine Kaufkraft plötzlich als die von 97 Cent wahrnähmen. Wir hegen vielmehr
die Illusion, sie sei nach wie vor die eines Euros – so ist es
schließlich auch unauslöschlich der Münze und, wie wir
weiter unten sehen werden, unserem Denken eingeprägt.
Beispiel
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Empirisch wurde die Geldillusion in den verschiedensten Kontexten gezeigt (siehe u. a. Shafir, Diamond &
Tversky, 1997). Bei Gamble, Gärling, Västfjäll und Marell
(2003) beispielsweise wählten die Untersuchungsteilnehmer eine Währung mit einer großen Geldeinheit,
um Waren zu bezahlen, aber eine Währung mit einer
kleinen Geldeinheit für die Auszahlung ihres Gehalts.
Obwohl sie in der jeweiligen Währung faktisch immer
dieselbe, von ihrer Kaufkraft her identische Geldmenge
erhielten bzw. bezahlen mussten, hatten sie also die
Illusion, bei Zahlung eines nominell kleineren Betrags (auf Deutschland übertragen z. B. 511 Euro statt
1.000 DM) weniger Geld zu verlieren bzw. bei Erhalt nominell höherer Gehälter (z. B. 2.000 DM statt 1.022 Euro)
mehr Geld zu verdienen.
Eine psychologische Erklärung für die Geldillusion liefern
Shafir et al. (1997): Ökonomische Transaktionen können
nominal (in Zahlen) oder real (in Kaufkraft bzw. Wert)
repräsentiert werden. Verschiedene Repräsentationen ein
und desselben Sachverhalts aber führen oft zu systematisch unterschiedlichen Reaktionen (s. hierzu auch ▶ Abschn. 11.2.2). Ein Sachverhalt wird zumeist in demjenigen
Bezugssystem (Frame) repräsentiert, das salienter, einfacher oder natürlicher erscheint. Im Falle ökonomischer
Transaktionen ist dies die nominale Repräsentation (Zahlen auf Scheinen und Münzen). In diesem Sinne erklären
Shafir et al. (1997) die Geldillusion als eine Verzerrung der
Einschätzung des realen Wertes einer Transaktion durch
eine nominale Einschätzung und definieren sie dementsprechend neu: Die Geldillusion ist die Tendenz, in Zahlen (nominal) anstatt in Kategorien realen Geldwerts zu
denken.
Wenn jemand es beispielsweise vorzieht, für seine
Geldanlage 4 % Zinsen bei 3%iger Inflation zu erhalten
statt 2 % Zinsen bei 1%iger Inflation, so kommt darin genau diese Tendenz zum Ausdruck.
Das Vertrauen der Bürger in ihr Geld bzw. das Misstrauen bezüglich seiner Entwertung hat harte ökonomische Konsequenzen: Wer in die Kaufkraft vertraut, wird
eher disponieren. Wer hingegen mit Preissteigerungen
rechnet, wird sein Geld möglichst rasch in Produkte umsetzen. Eine daraus resultierende Nachfragesteigerung aber
treibt die Preise tatsächlich in die Höhe, und zwar nicht
wegen eines aus Inflation resultierenden realen, sondern
allein aufgrund eines antizipierten Wertverlusts.
Preiswahrnehmung
Dimensionen der Preiswahrnehmung
Ebenso, wie es bei der Geldwahrnehmung im Wesentlichen
um die Wahrnehmung des Geldwertes geht, steht bei der
Preiswahrnehmung die Wahrnehmung des Preiswertes
bzw. – dieser Begriff ist gebräuchlicher – der Preishöhe
im Vordergrund. Einige Autoren (z. B. Simon, 2006) unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen Preiswahrnehmung im engeren Sinne als der reinen Enkodierung
der Preisinformation und Preisbeurteilung als dem darauf
aufbauenden Beurteilungsprozess. Wir wollen hier beides
unter dem Oberbegriff der Preiswahrnehmung zusammenfassen.
Preiswahrnehmung in diesem weiteren Sinne hat eine
kognitive, eine affektive und eine konative Dimension
(Meffert & Bruhn, 2006). Die kognitive Dimension umfasst das Preiswissen, das Wissen darüber, welche Preise für
die jeweilige Person welche Relevanz haben, sowie kognitiv
basierte Urteile über die absolute Höhe von Preisen (ist
ein Produkt einen bestimmten Preis wert?) und die relative Höhe von Preisen (Preisrelation zu bisherigen Preisen
bzw. Preisen von Konkurrenzprodukten). Die affektive
Dimension hingegen konstituiert sich aus gefühlsbasierten Urteilen über die Preishöhe sowie über die Relevanz
von Preisen. Die konative Dimension schließlich beinhaltet preisbezogene Verhaltensintentionen, wie z. B. die, ab
einem bestimmten Preis ein Produkt zu kaufen oder zu
verkaufen.
Die Preiswahrnehmung ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, die sowohl in der Person (z. B. verfügbare
kognitive Kapazität, persönliche Involviertheit) als auch
in der Situation (z. B. Art der Preisdarbietung, Image der
Einkaufsstätte) lokalisiert sein können. Eine ausführliche
Erörterung solcher Faktoren erfolgt in ▶ Kap. 3 („Kaufentscheidungen“) sowie ▶ Kap. 9 („Marketinginstrumente
185
11.2 • Grundlagen der Finanzpsychologie
.. Abb. 11.1 Zusammenhang
zwischen Preisschwellen und
Absatzeinbrüchen. (Aus El Sehity,
Kirchler & Brandstätter, 2005)
Käufer (kumulative Prozente)
100.00
75.00
50.00
25.00
0.00
1.39 1.59
1.40 1.60
– psychologisch betrachtet“) in diesem Band. Wir möch-
ten nachfolgend einige Gesetzmäßigkeiten menschlicher
Preiswahrnehmung aufzeigen, aus denen sich die Wirkung
konkreter Einflussfaktoren ableiten lässt.
Preisschwellen
Unsere interne Preiswahrnehmungsskala, in der wir dem
Preis eines Produkts eine subjektive Preishöhe zuordnen,
ist nicht immer eine fein abgestufte kontinuierliche Skala,
sondern wir unterscheiden oftmals nur wenige, relativ
grobe Kategorien wie z. B. „preiswert“, „akzeptabel“ und
„teuer“. Die Grenzen dieser Kategorien stellen die sog.
Preisschwellen dar, bei deren Überschreiten es zu Sprüngen in der wahrgenommenen Preishöhe kommt. Derselbe
Preisunterschied zwischen zwei Produkten kann also als
relativ gering empfunden werden, wenn beide Preise innerhalb derselben Kategorie lokalisiert sind (Assimilationseffekt), oder als relativ groß erlebt werden, wenn sie zu
verschiedenen Kategorien gehören (Kontrasteffekt).
Systematisch lassen sich Preisschwellen mithilfe der
sog. Preis-Absatz-Funktion nachweisen. Sie gibt an, wie
viel Prozent der Kunden ein Produkt zu einem bestimmten Preis zu kaufen beabsichtigen. Ermitteln kann man sie
beispielsweise, indem man bei den Befragten den Preis eines bestimmten Produkts in kleinen Schritten sukzessive
erhöht und jeweils erfragt, ob sie zu dem gegebenen Preis
das Produkt kaufen würden oder nicht. Wäre unsere Preiswahrnehmung kontinuierlich oder verteilten sich Preisschwellen bei den Befragten unsystematisch, so müsste sich
eine absteigende Gerade ergeben, wenn auf der X-Achse
der Preis und auf der Y-Achse der Prozentsatz von Personen mit Kaufabsicht stünde. Überall dort, wo die Funktion
1.99 2.19 2.39 2.59 2.79 2.99 3.19 3.39 3.59 3.79 3.99 4.19 4.40 4.60
4.39 4.59
2.00 2.20 2.40 2.60 2.80 3.00 3.20 3.40 3.60 3.80 4.00
Preis der Zahnpasta (in Gulden)
hingegen plötzliche Sprungstellen aufweist, befinden sich
Preisschwellen, die von einer Vielzahl von Befragten geteilt
werden und somit absatzpolitisch relevant sind – hebt man
den Preis über eine solche Schwelle hinweg an, so sinkt der
Absatz überproportional, wie . Abb. 11.1 illustriert.
Preisschwellen befinden sich üblicherweise bei markanten Glattpreisen (dies sind Preise, die mit einer Null
enden, z. B. 1,50 Euro). Das Wissen um die Existenz sozial
geteilter Preisschwellen erklärt daher möglicherweise die
Präferenz vieler Anbieter für die Verwendung bestimmter
gebrochener Preise (also Preise, die nicht mit einer Null
enden) wie etwa 0,99 Euro oder 1,49 Euro. Solche überproportional häufig vorkommenden gebrochenen Preise
werden dominant gebrochene Preise genannt. Wer als
Anbieter 1,99 Euro statt 2,00 Euro als Preis wählt, der setzt
wohl weniger auf den Kaufanreiz des gesparten Cents als
vielmehr auf andere Faktoren – und dies könnte neben
einem Primacy-Effekt, dem zufolge man die erste Ziffer
des Preises besser erinnert als die nachfolgenden, auch
die Erwartung sein, bei 2,00 Euro läge eine sozial geteilte
Preisschwelle. Interessanterweise konnte nicht eindeutig
belegt werden, dass die Verwendung dominant gebrochener Preise anstelle von Glattpreisen verkaufsförderlich ist
(vgl. Gedenk & Sattler, 1999).
Preisverankerung
Menschen reagieren meistens nicht auf die absolute, sondern vielmehr auf die relative Höhe von Preisen. Sie beurteilen Preise also in Relation zu bestimmten Referenzpreisen. Hierbei gibt es drei Arten von Referenzpreisen:
1. Externe Referenzpreise als Preisinformationen, die
unmittelbar mit dem zu beurteilenden Preis wahrge-
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Kapitel 11 • Finanzpsychologie
nommen werden (z. B. Preise von Konkurrenzprodukten, die nebenan im Regal liegen)
2. Interne Referenzpreise als Preiserfahrungen oder
-kenntnisse, die aus dem Gedächtnis abgerufen werden
3. Preiserwartungen als Erwartungen darüber, wie sich
der Preis eines Produkts in Zukunft entwickeln wird
Die Wirkung von Referenzpreisen erfolgt psychologisch
über den sog. Ankereffekt, den wir in ▶ Abschn. 11.2.2
(Urteilsheuristiken) noch ausführlicher thematisieren werden. Dabei wird ein numerisches Urteil (z. B. über die
angemessene Preishöhe) durch einen vorher gesetzten
numerischen Anker in dessen Richtung beeinflusst. Ankereffekte sind in vielen Fällen sehr hilfreich, weil sie uns
helfen, relativ schnell zu hinreichend genauen Urteilen zu
kommen: Wenn ich beispielsweise ein Urteil über den angemessenen Preis für ein neues Cabrio-Modell abgeben
soll, dann ist es effizient, wenn ich mich an den Preisen
von Mitbewerbern orientiere. Allerdings können Preisanker auch zu unerwünschten Verzerrungen führen, wenn
man sie dort verwendet, wo sie ökonomisch nicht sinnvoll
sind. Beispielsweise zeigten Jonas, Greitemeyer, Frey und
Schulz-Hardt (2002) in einer Serie von Experimenten kurz
vor der Einführung des Euros als Bargeldwährung, dass
Personen für dieselben Produkte einen höheren subjektiv
angemessenen Preis angaben, wenn sie die Schätzungen
in Euro statt in DM durchführen sollten. Dieser Effekt lag
darin begründet, dass die noch im Gedächtnis befindlichen, nominell höheren DM-Preise die Preisschätzungen
in Euro verzerrten. All diejenigen, denen die neuen Euro-Preise auf den ersten Blick so ungewöhnlich niedrig
vorkamen, werden diesen Effekt nachvollziehen können
– erwartungsgemäß verschwand er mit zunehmender Gewöhnung an den Euro und gleichzeitig abnehmender Verfügbarkeit der alten DM-Preisanker (Jonas, Greitemeyer,
Graupmann & Frey, 2002).
Während die obigen Befunde ein Beispiel für die mögliche Verzerrungswirkung interner Referenzpreise geben,
können auch externe Referenzpreise zu systematischen
und unerwünschten Verzerrungen führen: In einer Studie
von Northcraft und Neale (1987) gaben die Probanden
beispielsweise umso höhere subjektiv angemessene Preise
für dasselbe Immobilienobjekt an, je höher die Preisforderung des Besitzers war, und dieses Ergebnismuster zeigte
sich nicht nur bei Laien, sondern auch bei professionellen Immobilienmaklern. Da der Besitzer ein Interesse hat,
unabhängig von der Qualität des Objekts einen möglichst
hohen Preis zu erzielen, ist seine Preisforderung keine
Information, die man in die eigene Preisbeurteilung einbeziehen sollte. Dies zeigt auch, wie Ankereffekte durch
Referenzpreise von Anbietern ausgenutzt werden können,
nämlich indem sie zunächst überhöhte Preisforderungen
stellen. Ein weiteres, etwas subtileres Beispiel hierfür sind
„Mondpreise“, also überhöhte Normalpreise, auf die dann
ein vermeintlich hoher Rabatt gewährt wird – im Vergleich
zu diesem Mondpreis wirkt dann der tatsächliche Preis
günstig.
Preis-Qualitäts-Relation
Unter der Preis-Qualitäts-Relation versteht man die
Tendenz von Menschen, einem höherpreisigen Produkt
auch eine höhere Qualität zuzuschreiben. Ebenso wie die
Preisverankerung liefert sie ein Beispiel für eine zumeist
sinnvolle Heuristik (Vereinfachungsstrategie) für die Preiswahrnehmung, die aber in bestimmten Fällen zu systematischen Verzerrungen oder Fehlern führen kann. Da in der
Realität bessere Produkte im Durchschnitt einen höheren
Preis haben, führt diese Heuristik meistens zu recht adäquaten Urteilen. In verschiedenen Experimenten konnte
allerdings gezeigt werden, dass Menschen sogar beim Vergleich identischer Produkte eine bessere Qualität desjenigen Artikels wahrnehmen, für den (innerhalb realistischer
Grenzen) ein höherer Preis zu zahlen ist (Enis & Stafford,
1969; Leavitt, 1954). Die eigene Erfahrung einer positiven
Korrelation von Preis und Qualität wird also übergeneralisiert.
Unter dem Oberbegriff der Preis-Qualitäts-Relation
wird zumeist auch der sog. Veblen-Effekt geführt (Veblen,
1899, 1986): Bisweilen schließen Menschen nicht von einem hohen Preis auf eine gute Qualität eines Produkts,
einer Wertanlage etc., sondern der hohe Preis wird selbst
zum Qualitätsmerkmal, da er dem Produkt den Charakter
eines Statussymbols verleiht.
Wahrnehmung von Preisveränderungen
Bereits aus den Ausführungen zu Preisschwellen ergibt
sich, dass Menschen Preisveränderungen nicht 1:1 in ihr
Preiswahrnehmungssystem übernehmen, sondern dass
es zu psychologischen Verzerrungen in der Preisveränderungswahrnehmung kommt: Solange eine Preiserhöhung
oder -senkung nicht dazu führt, dass eine Preisschwelle
über- oder unterschritten wird, unterschätzen wir die
Preis­änderung. Bei Über- oder Unterschreitung einer solchen Schwelle hingegen überschätzen wir sie. Im Mittel
sollten sich Unter- und Überschätzungen ausgleichen.
Unter dieser Voraussetzung können Preisschwellen nicht
zu systematischen Unter- und Überschätzungen von Preisentwicklungen führen.
Ob es dennoch systematische Fehlwahrnehmungen
gibt, ist finanzwissenschaftlich v. a. im Zusammenhang mit
der Wahrnehmung von Inflation interessant. In diesem Zusammenhang wurden sowohl systematische Unterschätzungen als auch systematische Überschätzungen nachgewiesen. So belegen die bereits referierten Befunde zur
Geldillusion, dass Menschen Inflation im Extremfall völlig
ignorieren können. Auf der anderen Seite überschätzten
187
11.2 • Grundlagen der Finanzpsychologie
die Befragten in einer Studie von Bates und Gabor (1986)
die Teuerung von ausgewählten Lebensmitteln sowohl im
Monats- als auch im Jahresrückblick.
Hinweise auf die mögliche Moderatorvariable, die
zwischen diesen scheinbar divergierenden Befunden vermittelt, ergeben sich aus einer Serie von Experimenten,
die sich mit der sog. ▶ „Teuro-Illusion“ beschäftigen. Im
Zuge der Einführung des Euros als Bargeldwährung kam es
zu dem Phänomen, dass die Bevölkerung in Deutschland
substanzielle, z. T. extrem hohe Preissteigerungen durch
den Euro wahrnahm, während alle offiziellen Statistiken
keine solchen überproportionalen Preisanstiege oder etwa
eine erhöhte Inflationsrate nachweisen konnten. Während
die meisten Erklärungsversuche für diese Diskrepanz eine
irreführende Kalkulation bei den entsprechenden Statistiken vermuteten, zeigten Traut-Mattausch, Schulz-Hardt,
Greitemeyer und Frey (2004), dass illusionäre Preissteigerungswahrnehmungen mit dem Euro verbunden sind.
In ihren Experimenten präsentierten sie den Versuchspersonen zweimal hintereinander eine angeblich reale Speisekarte eines italienischen Restaurants, wobei die Preise auf
der ersten Karte in DM (Zeit vor der Euro-Einführung)
und auf der zweiten Karte in Euro (Zeit nach der Euro-Einführung) ausgewiesen waren. Einige Speisen waren günstiger geworden, einige preislich stabil geblieben, und einige
waren teurer geworden. Experimentell wurde manipuliert,
welche durchschnittliche Preisveränderung von DM zu
Euro vorlag, nämlich entweder +15 % (steigender Preis­
trend), 0 % (Preisstabilität) oder –15 % (sinkender Preis­
trend). Wie aus . Abb. 11.2 ersichtlich, wurden tatsächliche Preissteigerungen überschätzt, bei tatsächlich stabilen
Preisen wurde eine Preiserhöhung wahrgenommen, und
bei gefallenen Preisen meinten die Probanden, die Preise
seien stabil geblieben.
Diese „Teuro-Illusion“ erwies sich als sehr robust. Sie
trat beispielsweise unvermindert auf, wenn
man beide Speisekarten parallel vorliegen hatte und
direkt vergleichen konnte,
die Preise innerhalb der Speisekarte stabil waren (also
z. B. jedes Gericht akkurat von DM in Euro umgerechnet wurde),
man die Einzelpreise sogar mit Angabe von Einzelergebnissen vergleichen musste oder
ein monetärer Anreiz für eine möglichst genaue
Schätzung gegeben war (vgl. Greitemeyer, SchulzHardt, Traut-Mattausch & Frey, 2002; Traut-Mattausch et al., 2004).
-
Als Ursache für die „Teuro-Illusion“ erwiesen sich die Erwartungen der Versuchspersonen: Je höhere Preissteigerungen erwartet wurden, desto höhere Preissteigerungen
wurden wahrgenommen. Als vermittelnder Mechanismus
dafür, dass die Erwartungen trotz eindeutiger, numerisch
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durchschnittlicher Preistrend
20
Schätzung des Preistrends
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-5
-10
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-20
-25
+15%
0%
–15%
.. Abb. 11.2 Durchschnittlicher realer Preistrend und Schätzung des
Preistrends in drei Bedingungen. (Aus Traut-Mattausch et al., 2004,
S. 746, Copyright © 2004 John Wiley & Sons, Ltd.)
klar nachprüfbarer Gegenevidenz in die Preistrendurteile
eingingen, zeigte sich eine selektive Fehlerkorrektur:
Während Rechenfehler, die entgegen der Preissteigerungserwartung ausfielen, identifiziert und korrigiert wurden,
wurden erwartungskonforme Rechenfehler übersehen und
beeinflussten so das abschließende Urteil (▶ Beispiel).
Beispiel
| |
So hatte Herr Centmeyer aus dem Eingangsbeispiel die
ehemals 17,50 DM für sein Lieblingsgericht versehentlich
in 8,25 Euro umgerechnet. Der neue Preis in der Karte lag
mit 8,75 Euro deutlich höher. Da die irrtümliche Teuerung Herrn Centmeyers Erwartungen entsprach, hatte er
jedoch keinen Anlass, seine eigene Berechnung kritisch
zu überprüfen. Dadurch entging ihm, dass das Gericht
de facto sogar billiger geworden war, denn bei korrekter
Umrechnung hätte es 8,95 Euro kosten müssen.
Durch experimentelle Manipulation der Erwartungen
konnte zudem gezeigt werden, dass die Erwartungen tatsächlich die Ursache der Verzerrungen waren (Greitemeyer
et al., 2005). Insbesondere wurden tatsächliche Preissteigerungen sogar unterschätzt, wenn zuvor die Erwartung
stabiler Preise induziert worden war. Die Erwartungen der
Wirtschaftssubjekte liefern somit auch eine Erklärung für
die zuvor genannten divergierenden Befunde, nämlich dass
reale Preisveränderungen manchmal systematisch unterschätzt und manchmal systematisch überschätzt werden.
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11.2.2
Kapitel 11 • Finanzpsychologie
Finanzbezogenes Entscheiden
Typen von Entscheidungen
Finanzpsychologie beschäftigt sich in allen Anwendungsbereichen mit finanzbezogenen Entscheidungen: Wann
werden aus welchen Gründen Aktien gekauft und verkauft? Wann spart man, wann verschuldet man sich? Wovon hängt die Entscheidung für oder gegen eine ehrliche
Angabe der Einkommensverhältnisse in der Steuererklärung ab? Zur Erklärung und Prognose benötigt man also
Theorien und Modelle menschlichen Entscheidens.
Die psychologische Entscheidungsforschung ist ein
sehr breites und heterogenes Feld (für einen Überblick
siehe z. B. Jungermann, Pfister & Fischer, 1998). Beispielsweise unterscheidet man in der psychologischen Entscheidungsforschung verschiedene Typen von Entscheidungen,
und je nach Entscheidungstyp werden unterschiedliche
Prozesse der Entscheidungsfindung angenommen. Wir
konzentrieren uns hier auf sog. reflektierte Entscheidungen, bei denen die zur Verfügung stehenden Alternativen
analysiert und durchdacht werden, da wir davon ausgehen,
dass dies für viele, insbesondere bedeutsame finanzbezogene Entscheidungen typisch ist (im Gegensatz etwa zu
routinisierten Entscheidungen, bei denen man auf feste
Handlungsmuster zurückgreifen kann). Reflektierte Entscheidungen lassen sich weiter differenzieren nach dem
Grad des Wissens über die Konsequenzen, die die Wahl der
verschiedenen Entscheidungsalternativen mit sich bringen
würde:
Entscheidungen unter Sicherheit: Die Konsequenzen aller Alternativen sind bekannt und sicher.
Entscheidungen unter Unsicherheit: Die Konsequenzen und ihre subjektiven Wahrscheinlichkeiten
sind bekannt.
Entscheidungen unter Ambiguität: Die Konsequenzen sind bekannt, nicht aber ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten.
Entscheidungen unter Unwissenheit: Die Konsequenzen sind, zumindest teilweise, nicht bekannt.
-
Die psychologische Entscheidungsforschung hat sich – wie
auch die ökonomische – auf die ersten beiden Situationen
konzentriert, obwohl sich argumentieren lässt, dass finanzbezogene Entscheidungen, wie etwa der Kauf und Verkauf
von Aktien, höchstens mit sehr vagen Vorstellungen über
die Eintrittswahrscheinlichkeiten bestimmter Konsequenzen (etwa Kursgewinne und Kursverluste) verknüpft sind.
Die beiden Entscheidungstheorien, die wir im Folgenden
vorstellen, weil sie in der Finanzpsychologie am häufigsten
aufgegriffen werden, fokussieren ebenfalls auf Entscheidungen unter Sicherheit bzw. Unsicherheit. Es handelt sich
um Theorien zu individueller Entscheidungsfindung. Den
gesamten Bereich sozial interdependenter Entscheidun-
gen, wie ihn etwa die Spieltheorie behandelt (siehe z. B.
von Neumann & Morgenstern, 1944), und kollektiver
Entscheidungen (siehe z. B. Schulz-Hardt, Greitemeyer,
Brodbeck & Frey, 2002) müssen wir hier aussparen.
SEU-Theorie
Der Ausdruck SEU steht für Subjectively Expected Utility
und charakterisiert die von Edwards (1954) eingeführte
Theorie, weil sie annimmt, dass Personen den subjektiven
Nutzen kalkulieren, den sie bei den verschiedenen Entscheidungsalternativen zu erwarten haben, und dann die
Alternative mit dem höchsten erwarteten Nutzen wählen.
Formal bedeutet dies, dass der Entscheider für jede Alternative j folgenden Ausdruck berechnet:
X
SEUj D
ujk pjk .k D 1 bis n/
--
mit
SEUj = subjektiver Gesamtnutzen von Alternative j
ujk = subjektiver Nutzen, den die Konsequenz k bei
Wahl von Alternative j hat
pjk = subjektive Wahrscheinlichkeit, dass Konsequenz
k bei Wahl von Alternative j eintreten wird
Unter den psychologischen Entscheidungstheorien ist die
SEU-Theorie diejenige, die dem „Homo oeconomicus“ der
Wirtschaftswissenschaften (z. B. Kirchgässner, 1991) am
nächsten steht. Der Homo oeconomicus verfolgt das Ziel
der individuellen Nutzenmaximierung und vermag dieses
durch rationales Entscheiden zu realisieren, wobei Rationalität hier die Konsistenz von Entscheidungen mit der stabilen Präferenzstruktur des Entscheiders bedeutet. Diese
Rationalität der Entscheidung kommt im obigen SEU-Kalkül deutlich zum Ausdruck. Ebenso wie der Homo oeconomicus lässt die SEU-Theorie dabei zu, dass identische
Entscheidungssituationen bei verschiedenen Personen zu
unterschiedlichen Entscheidungen führen können, wenn
die Personen sich in ihrer stabilen individuellen Risikoneigung unterscheiden. Differenziert wird hier zwischen:
risikoscheuen Entscheidern, die eine sichere Alternative (z. B. 5 Euro sicher zu bekommen) einer risikoreichen mit identischem Erwartungswert (z. B. mit
Wahrscheinlichkeit 0,5 entweder 10 Euro oder nichts
zu bekommen) vorziehen,
risikoneutralen Entscheidern, die zwischen beiden
Alternativen indifferent sind, und
risikofreudigen Entscheidern, die im obigen Beispiel
die risikoreiche Alternative präferieren.
-
Als weiteres psychologisches Moment enthält die SEU-Theorie die Subjektivität der Nutzen- und Wahrscheinlichkeitswerte. Trotz dieser subjektiven Elemente ist die SEU-Theorie insgesamt eine Theorie, die den Entscheidern eine
äußerst aufwändige und stringente Informationsverarbei-
11
189
11.2 • Grundlagen der Finanzpsychologie
tung abverlangt, damit diese sich in Einklang mit der Theorie verhalten können. Ihre Verwendung zur Deskription
realen Entscheidungsverhaltens ist folgerichtig aufgrund
der Tatsache kritisiert worden, dass Entscheider diesen sehr
strikten Anforderungen in der Realität oft nicht genügen
und bestimmte Axiome, auf denen die Theorie aufbaut,
verletzen (z. B. Tversky, 1969). Dies führte zu Revisionen
der SEU-Theorie, die mit den empirischen Daten zum Entscheidungsverhalten besser übereinstimmen. Unter ihnen
ist die nachfolgend beschriebene Prospect Theory diejenige,
die am meisten Forschung angeregt hat und auch in der Finanzpsychologie am häufigsten zur Erklärung und Vorhersage finanzbezogener Entscheidungen herangezogen wird.
Wert
Gewinne
Ergebnisse
Verluste
Referenzpunkt
Prospect Theory
Ebenso wie die SEU-Theorie geht die Prospect Theory davon aus, dass Personen ihren subjektiv erwarteten Nutzen
maximieren möchten und dass daher der Nutzen und die
Wahrscheinlichkeiten der Konsequenzen von Alternativen
die Entscheidung bestimmen. Neben diesem gemeinsamen
Kern enthält die Prospect Theory jedoch im Vergleich zur
SEU-Theorie eine Reihe von Erweiterungen. Eine besteht
darin, dass die Prospect Theory von einem 2-phasigen Entscheidungsprozess ausgeht:
1. Phase: Editierung des Entscheidungsproblems
2. Phase: Evaluation des editierten Entscheidungsproblems
--
Die Editierung dient dazu, die Entscheidungssituation
psychologisch zu vereinfachen und so für den Entscheider
besser handhabbar zu machen. Dies geschieht mithilfe verschiedener Editierungsmechanismen wie etwa dem Aufund Abrunden von Zahlenwerten, die wir hier aber nicht
näher besprechen, da sie für die später diskutierten finanzpsychologischen Anwendungen der Theorie nur von untergeordneter Bedeutung sind. In diesem Kontext bedeutsamer sind die beiden Kernelemente der Theorie in der
Evaluationsphase des Entscheidungsproblems, nämlich die
Wertfunktion und die Entscheidungsgewichtungsfunktion.
Die Wertfunktion gibt an, welche psychologischen Werte
(Nutzen im Sinne der SEU-Theorie) objektiven Entscheidungsergebnissen zugeordnet werden. Der Verlauf dieser
Wertfunktion ist in . Abb. 11.3 dargestellt.
Die Funktion verläuft im Gewinnbereich (dies ist der
Bereich rechts vom Nullpunkt) konkav. Daraus folgt, dass
man sich im Gewinnbereich risikoscheu verhält (▶ Beispiel).
Beispiel
| |
Gewinnbereich
Angenommen, man kann zwischen einem sicheren Gewinn von 5 Euro und dem Wurf einer „fairen“
.. Abb. 11.3 Wertfunktion in der Prospect Theory
Münze wählen, bei der man bei „Zahl“ 10 Euro und bei
„Kopf“ nichts gewinnt. Da der psychologische Wert
der 10 Euro nicht doppelt so groß ist wie der psychologische Wert der 5 Euro, ist der psychologische
Erwartungswert der Münzwurfalternative geringer
als derjenige der sicheren Gewinnalternative, die man
folglich wählt.
Im Verlustbereich verhält es sich umgekehrt, da die Funktion hier konvex verläuft (▶ Beispiel).
Beispiel
| |
Verlustbereich
Da die psychologischen „Schmerzen“, die man durch
den Verlust von 10 Euro erfährt, nicht doppelt so groß
sind wie diejenigen bei Verlust von 5 Euro, wird man
eher den Münzwurf wählen (Verlust von 10 Euro oder
kein Verlust), als den sicheren Verlust von 5 Euro in Kauf
zu nehmen.
Der Verlauf der Wertfunktion ist zudem im Verlustbereich
steiler als im Gewinnbereich, sodass das Ausmaß der Risikofreude im Verlustbereich stärker sein sollte als das Ausmaß der Risikoscheu im Gewinnbereich. Dieser Verlauf
bedeutet auch, dass ein Verlust von 5 Euro schwerer wiegt
als der Gewinn derselben Summe.
Ein besonderes Merkmal der Wertfunktion in der
Prospect Theory ist, dass der Mittelpunkt des Koordinatensystems, der auch als Referenzpunkt bezeichnet wird,
nicht notwendigerweise bei Null liegen muss, sondern
dass für objektiv identische Situationen unterschiedliche
Referenzpunkte gewählt werden können, woraus gege-
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Kapitel 11 • Finanzpsychologie
benenfalls unterschiedliche Entscheidungspräferenzen
resultieren. Dies zeigt sich besonders charakteristisch an
sog. Framing-Effekten, bei denen unterschiedliche Darstellungen desselben Sachverhalts zu unterschiedlichen
Referenzpunkten und damit unterschiedlichen Entscheidungen führen (▶ Beispiel).
Beispiel
| |
In einer klassischen Untersuchung von Tversky und
Kahneman (1981) wurden die Probanden befragt, welches von zwei Programmen zur Bekämpfung einer bisher unbekannten asiatischen Krankheit, die das Leben
von insgesamt 600 Menschen bedroht, sie bevorzugen.
Beim Gewinn-Framing wurden die Alternativen so dargestellt, dass Programm A 200 Menschen sicher retten
würde, während Programm B mit einer Wahrscheinlichkeit von ⅓ alle 600 Menschen retten würde, mit einer
Wahrscheinlichkeit von ⅔ jedoch niemanden. Der Referenzpunkt sind hier 600 Tote; die Konsequenzen der
Alternativen werden als Gewinne interpretiert, und da
im Gewinnbereich Risikoscheu dominiert, wurde Programm A bevorzugt. Dies kippte in Risikofreudigkeit
um (Wahl von Programm B), wenn der Referenzpunkt
0 Tote war und die Alternativen per Verlust-Framing
dargestellt wurden: Entweder sterben 400 Menschen
mit Sicherheit (Programm A) oder mit Wahrscheinlichkeit ⅓ stirbt niemand und mit Wahrscheinlichkeit ⅔
sterben alle 600 Menschen (Programm B).
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Die Entscheidungsgewichtungsfunktion gibt an, wie
Wahrscheinlichkeiten in subjektive Entscheidungsgewichte
transformiert werden. Wenn eine Konsequenz eine subjektive Wahrscheinlichkeit von 0,1 aufweist, dann kann sie
trotzdem mit einem höheren (oder niedrigeren) Gewicht
als 0,1 ins Nutzenkalkül aufgenommen werden – was nach
der SEU-Theorie nicht möglich wäre. Die von der Prospect
Theory vorhergesagte Entscheidungsgewichtungsfunktion
ist in . Abb. 11.4 dargestellt (auf eine spätere Modifikation
im Rahmen der weiterentwickelten Cumulative Prospect
Theory gehen wir hier aus Gründen der Vereinfachung
nicht ein; s. hierzu Tversky & Kahneman, 1992).
Der Verlauf zeigt, dass kleine Wahrscheinlichkeiten
übergewichtet werden, während mittlere und große Wahrscheinlichkeiten untergewichtet werden. Die Sprungstellen
zu den Punkten 0 und 1 hin zeigen die besondere Bedeutung, die Ereignisse mit einer Wahrscheinlichkeit von 0
oder 1 psychologisch aufweisen. Wenn man beispielsweise
durch eine Versicherung die Wahrscheinlichkeit eines Totalverlusts der Wohnungseinrichtung (z. B. durch Brand,
Einbruch etc.) von 0,05 auf 0 senken kann, dann ist man
für diese Versicherung zu viel höheren Zahlungen bereit,
1,0
Entscheidungsgewicht π (p)
190
0,5
0
0
0,5
Wahrscheinlichkeit p
1,0
.. Abb. 11.4 Entscheidungsgewichtungsfunktion in der Prospect
Theory
als wenn sie die Wahrscheinlichkeit von 0,1 auf 0,05 senkte.
Diese besondere Bedeutung sicherer Ereignisse (hier die
Sicherheit, keinen Totalverlust zu erleiden) wird auch Sicherheitseffekt genannt.
Urteilsheuristiken
Sowohl in der SEU-Theorie als auch in der Prospect Theory
benötigt der Entscheider Konsequenzen und deren Wahrscheinlichkeiten als Grundlage für seine Wahl. Während
diese Daten in Experimenten üblicherweise vorgegeben
werden, muss man sie sich in der Realität zumeist selbst erarbeiten. Da Menschen keine Informationsverarbeitungsmaschinen mit unbegrenzter Kapazität und Geschwindigkeit sind, nutzen sie hierfür oftmals nicht alle verfügbaren
Informationen, sondern bedienen sich einfacher „Faustregeln“, die man auch als ▶ Urteilsheuristiken bezeichnet.
Urteilsheuristiken machen sich einen regelhaften Zusammenhang zwischen leicht zu verarbeitenden Hinweisreizen
und der infrage stehenden Urteilsdimension zunutze. Im
Folgenden stellen wir die drei bekanntesten Urteilsheuristiken, die von Tversky und Kahneman (1974) in die Literatur eingeführt wurden, in ihrer Relevanz für finanzbezogenes Entscheiden dar.
Verfügbarkeit
Bei der Verfügbarkeitsheuristik wird die Auftretenswahrscheinlichkeit oder Auftretenshäufigkeit eines Ereignisses
geschätzt aufgrund der Leichtigkeit, mit der Beispiele für
dieses Ereignis aus dem Gedächtnis abgerufen oder generiert werden können. Diese Verfügbarkeit von Beispielen kann nach Stephan (1999) auf eigenen Erfahrungen
beruhen (erfahrungsbasiert), von Fremderfahrungen
aus Gesprächen oder den Medien herrühren (gedächtnisbasiert) oder aus der Leichtigkeit resultieren, mit der
191
11.2 • Grundlagen der Finanzpsychologie
neue Beispiele konstruiert werden können (einbildungskraftbasiert).
Wie bei allen Heuristiken gilt, dass dieses Vorgehen
in den meisten Fällen hinreichend genaue Schätzungen
ermöglicht (weil häufiger auftretende Ereignisse auch im
Gedächtnis leichter zugänglich sein sollten), jedoch unter
Umständen systematische Verzerrungen bewirken kann
(weil die Leichtigkeit des Abrufs eben auch von anderen
Faktoren abhängt; ▶ Beispiel).
Beispiel
| |
Wenn ich beispielsweise Termingeschäfte an der Börse
tätige, die mit landwirtschaftlichen Produkten zu tun
haben, und dafür Risiken für den Ernteertrag einschätzen muss, dann werde ich die Risiken spektakulärer Ereignisse, über die häufig in den Medien berichtet wird
(z. B. Naturkatastrophen), systematisch überschätzen
und andere Risiken, die weniger mediales Interesse
finden, jedoch objektiv häufiger auftreten (z. B. Schädlinge), unterschätzen.
Empirisch wurde die Verfügbarkeitsheuristik u. a. in einer
Studie von Stephan (1993) demonstriert: Probanden bekamen Aktienkursveränderungen bekannter und weniger
bekannter Unternehmen präsentiert. Kursanstiege und
Kursverluste hielten sich in etwa die Waage. Waren nun die
bekannten Unternehmen vorrangig unter den Gewinnern
zu finden (sodass es im Nachhinein leicht war, Beispiele
für Gewinner zu generieren), so nahm die Mehrzahl der
Probanden einen Aufwärtstrend der Börse wahr, während
mehrheitlich ein Abwärtstrend gesehen wurde, wenn die
bekannten Unternehmen überwiegend unter den Verlierern zu finden waren (und man es folglich schwer hatte,
Beispiele für Gewinner zu generieren).
dabei nicht berücksichtigte, dass die große Mehrzahl der
Start-up-Unternehmen (gerade in der Internetbranche)
die ersten fünf Jahre nicht überleben. Allerdings ist, wie
Wärneryd (2001) argumentiert, speziell auf Finanzmärkten
oftmals auch das gegenteilige Phänomen zu beobachten
(d. h. ein Dominieren der Basisrate und ein Vernachlässigen der individuellen Informationen), wenn etwa ganze
Marktsektoren uniforme Auf- oder Abwärtsbewegungen
in den Kursen zeigen und so beispielsweise ein gesundes,
profitables Technologieunternehmen für die kurssenkenden „Verfehlungen“ anderer Technologieunternehmen mit
„abgestraft“ wird.
Verankerung
Bei der Verankerungsheuristik nähert sich ein numerisches
Urteil demjenigen Wert an, mit dem man den Urteilsgegenstand anfangs vergleicht. Dies lässt sich am Beispiel
einer Studie von Kiell und Stephan (1997) illustrieren
(▶ Beispiel).
Beispiel
| |
Professionelle Devisenhändler sollten 6-Wochen- und
6-Monats-Prognosen für den amerikanischen Aktienindex Dow Jones, den Wechselkurs des englischen Pfunds
und den Goldpreis abgeben. Vor ihrer genauen Schätzung sollten sie aber zunächst sagen, ob der Wert über
oder unter einem bestimmten Vergleichswert (dem
Ankerwert) liege. Dieser Vergleichswert wurde entweder sehr niedrig oder sehr hoch gewählt (also beispielsweise 6.600 Punkte vs. 8.000 Punkte beim Dow Jones,
der zum Befragungszeitpunkt etwa in der Mitte dazwischen lag). Obwohl die Schätzung aus rationaler Perspektive von diesem Anfangsvergleich unbeeinflusst
sein sollte, gab die Gruppe mit niedrigen Ankerwerten
im Durchschnitt niedrigere Kursprognosen ab als die
Gruppe mit hohen Ankerwerten.
Repräsentativität
Die Repräsentativitätsheuristik besteht darin, dass man ein
Objekt in diejenige Kategorie einordnet, deren Prototyp es
besonders ähnelt. Wenn man auf dem Campus eine Person
mit Sakko und Krawatte trifft und sie auf Grundlage dieser Informationen in die Kategorie „Professor“ einordnet,
so verwendet man die Repräsentativitätsheuristik. Dabei
vernachlässigt man allerdings die Basisrate (Häufigkeit
der Kategorie in der Population), die, weil für Studierende erheblich größer als für Professoren, eher auf einen
besonders gut gekleideten Studenten denn einen Professor hindeutet. Ein Pendant dazu im Finanzbereich wäre
beispielsweise, dass man ein junges Start-up-Unternehmen auf Grundlage seiner überzeugenden, an bekannte,
erfolgreiche Unternehmen erinnernde „Story“ für einen
zukünftigen Gewinner in der Internetbranche hielte und
Ähnliche Ankereffekte haben wir bereits in ▶ Abschn. 11.2.1 (Preisverankerung) bei der Wirkung von Referenzpreisen kennengelernt.
Folgeentscheidungen
Ein finanzpsychologisch besonders interessanter Aspekt
menschlichen Entscheidungsverhaltens dreht sich um die
Frage, wie vorherige finanzielle Investitionen nachfolgende
Entscheidungen beeinflussen. Aus rationaler Sicht sollten
sie dies überhaupt nicht tun, da es sich um sog. versunkene Kosten handelt: Ob ich mein altes Auto kürzlich für
2.000 Euro habe reparieren lassen, sollte keinen Einfluss
darauf haben, ob ich es nach einem neuerlichen schweren
Defekt nochmals reparieren lasse oder verschrotte – denn
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Kapitel 11 • Finanzpsychologie
das Geld, das ich für die erste Reparatur ausgegeben habe,
ist so oder so weg („versunken“). Entsprechend sollten nur
die zukünftigen Konsequenzen von Entscheidungsalternativen in die Kalkulation eingehen.
Im Gegensatz dazu gibt es aber Evidenz, dass sowohl
Laien als auch Experten (d. h. Personen, die aufgrund ihres
Berufs – etwa im Bankgeschäft – zum Treffen rationaler
Entscheidungen ausgebildet wurden) versunkene Kosten
bei ihren Entscheidungen berücksichtigen (z. B. Arkes &
Blumer, 1985; Greitemeyer, Schulz-Hardt, Popien & Frey,
2005). Dieser sog. Sunk-Cost-Effekt zeigt sich bei Entscheidungen über die Nutzung von Gütern darin, dass teurere
Güter mehr genutzt werden als billigere: Beispielsweise
konnten Arkes und Blumer (1985) zeigen, dass Personen,
die auf ein Theaterabonnement einen unerwarteten Preisnachlass erhalten hatten, nachfolgend seltener die entsprechenden Veranstaltungen besuchten als Personen, die den
vollen Preis bezahlt hatten. Dass ein solches Verhaltensmuster nicht nur ökonomisch irrational ist, sondern auch
dysfunktional sein kann, wird jeder nachempfinden können, der sich am Buffet trotz Völlegefühls oder Unwohlseins nach dem ersten Gang weiter bedient, nur weil er viel
Geld dafür bezahlt hat.
Außerdem betrifft der Sunk-Cost-Effekt Reallokationsentscheidungen, also Entscheidungen darüber, ob
eine Alternative, in die bereits Gelder geflossen sind, abgebrochen, fortgesetzt oder sogar intensiviert werden soll.
Verschiedene Studien zeigen, dass die Fortsetzung von Projekten wahrscheinlicher wird, je mehr Mittel bereits dort
investiert wurden – auch wenn der Projekterfolg fraglich ist
(z. B. Garland & Newport, 1991). Ähnliche Effekte werden
in benachbarten Forschungsrichtungen als eskalierendes
Commitment (erhöhte Bindung an verlustreiche Handlungen; Staw, 1976) oder auch Entrapment (Festhalten an
fehlgehenden Handlungen) bezeichnet. Solchen Befunden
ist gemeinsam, dass Menschen unter Umständen sprichwörtlich „gutes Geld dem schlechten hinterherwerfen“.
Die zentrale psychologische Erklärung für Sunk-CostEffekte (sowohl bei Güternutzungs- als auch bei Reallokationsentscheidungen) wird in der Neigung gesehen,
nicht verschwenderisch sein oder erscheinen zu wollen
(Arkes & Blumer, 1985). Die Nichtberücksichtigung versunkener Kosten aber wird von den meisten Menschen
als Verschwendung interpretiert (z. B. Verkauf des Autos
nach vorheriger teurer Reparatur). In der Forschung zu
Entrapment und eskalierendem Commitment spricht man
in diesem Zusammenhang von einem Selbstrechtfertigungsmotiv (Brockner, 1992). Speziell bei Reallokationsentscheidungen wird zudem die Prospect Theory als Erklärungsansatz herangezogen, da die versunkenen Kosten
den Referenzpunkt in den Verlustbereich verschieben und
dadurch risikofreudige Entscheidungen begünstigen (Thaler, 1980). Während eine Abbruchentscheidung die sichere
Realisierung der Verluste bedeutet, eröffnet weiteres Investieren die Chance auf Ausgleich der Verluste, allerdings mit
dem Risiko eines noch viel größeren Verlusts.
11.3
11.3.1
Anwendungsgebiete
der Finanzpsychologie
Anlegerverhalten
In beiden hier präsentierten Anwendungsbereichen der Finanzpsychologie besteht ein wesentlicher Grundgedanke
darin, Daten über tatsächliches Verhalten von Menschen
in diesen Bereichen mit ökonomischen Vorhersagen über
rationales Verhalten zu kontrastieren. Wir beginnen daher beim Anlegerverhalten mit der Frage, wie Menschen
sich aus ökonomischer Sicht an Finanzmärkten verhalten
sollten.
Effiziente Märkte und rationales
Anlegerverhalten
Das ökonomische Standardmodell nimmt an, dass Finanzmärkte „effizient“ sind. Effiziente Märkte sind solche, in
denen alle zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbaren
Informationen bereits in den Kursen der entsprechenden
Finanzwerte (z. B. Aktien) enthalten sind. Die Kursbildung
erfolgt also ohne Zeitverlust und unter Berücksichtigung
aller Informationen. Die genaue Kurshöhe ergibt sich zu
jedem Zeitpunkt ausschließlich aus den zu erwartenden
Dividendenzahlungen sowie den zu erwartenden Wert­
steigerungen und spiegelt beide akkurat wider.
Natürlich wissen Ökonomen, dass die Menschen, die
an den Finanzmärkten agieren, nicht unendlich viele Informationen in unendlich kurzer Zeit mit absoluter Genauigkeit verarbeiten können. Im Individualfall sind also Abweichungen vom ökonomischen Standardmodell möglich.
Diese Abweichungen sollten aber unsystematisch sein und
sich damit auf Marktebene ausgleichen, so dass die Märkte
insgesamt effizient und ihre Preisbildung im geschilderten
Sinne rational sein sollten.
Eine wichtige Konsequenz hieraus ist, dass die Kurse
von Finanzwerten einem Zufallsverlauf (Random Walk)
folgen sollten. Sie reagieren zwar auf Neuigkeiten, aber da
diese Neuigkeiten für den Anleger unvorhersehbar sind
(wären sie vorhersehbar, so wären sie ja schon im Preis
enthalten), sind die Kurse ebenfalls nicht vorhersagbar.
Insbesondere erlauben die Preise von heute keine Prognose
des Preises von morgen, was Cootner (1964) mit dem Satz
„Prices have no memory“ versinnbildlichte.
Für den individuellen Investor haben diese ökonomischen Modelle klare Implikationen: Ein rationaler Anleger sollte für seine Kaufs- und Verkaufsentscheidungen
ausschließlich sog. Fundamentaldaten (Dividenden, Ge-
193
11.3 • Anwendungsgebiete der Finanzpsychologie
winnzuwächse) berücksichtigen. Er sollte dann und nur
dann handeln, wenn
a. das zu erwartende marginale Einkommen aus einem
alternativen Portfolio (Portfolio = Zusammensetzung
des eigenen Wertpapierdepots) höher ist oder
b. das Risiko dieses alternativen Portfolios bei identischem erwartetem Einkommen geringer ist als beim
gegenwärtigen Portfolio.
Während dies normative Vorgaben der klassischen ökonomischen Theorie sind, bemühen sich sowohl die ökonomische Behavioral-Finance-Forschung als auch die
finanzpsychologische Forschung zum Anlegerverhalten,
eine möglichst akkurate Deskription tatsächlichen Anlegerverhaltens zu leisten. Es kann nämlich mittlerweile als
gesichert gelten, dass viele Anleger nicht den normativen
Vorgaben der ökonomischen Standardtheorie folgen. Nach
Kelly (1997) sind an Finanzmärkten drei verschiedene Typen von Anlegern zu finden:
1. Rational Traders: Das Verhalten dieser Personen ist
mit der normativen ökonomischen Standardtheorie
konform.
2. Passive Investors: Diese Personen stellen sich einmal
ein Portfolio zusammen und handeln danach nahezu
gar nicht mehr, auch wenn sie es nach den obigen Vorgaben tun sollten.
3. Noise Traders: Diese Personen handeln im Gegensatz
zu den passiven Investoren zu viel; sie reagieren auch
auf Informationen, die sie normativ ignorieren sollten
(z. B. unzuverlässige Gerüchte).
Behavioral Finance und Finanzpsychologie haben sich vorrangig darauf konzentriert, Systematiken im Verhalten der
letztgenannten Gruppe aufzuzeigen und zu erklären. Der
Fokus liegt zudem auf dem Verhalten von Privatanlegern –
im Gegensatz etwa zum Verhalten institutioneller Anleger,
für die man gemeinhin eine bessere Übereinstimmung mit
dem normativen ökonomischen Modell annimmt.
Informationsnutzung durch Anleger
Wenn Noise Traders definitionsgemäß handeln, obwohl
die Informationslage solches Handeln rational nicht
rechtfertigt, liegt es nahe, nach Besonderheiten in ihrer
Nutzung von Informationen zu suchen. Eine Systematik,
die sich herauskristallisiert hat, besteht darin, dass Anleger oftmals zu sehr auf die Valenz von Informationen
reagieren (d. h. darauf, was die Information für den Kurs
des zugehörigen Finanzwertes impliziert, falls sie denn
zutrifft) und Einschränkungen in der Zuverlässigkeit dieser Informationen zu wenig berücksichtigen (z. B. Nelson,
Bloomfield, Hales & Libby, 2001). Besonders drastisch
zeigte sich dies in einem Experiment von DiFonzo und
Bordia (1997; ▶ Beispiel).
Beispiel
| |
DiFonzo und Bordia (1997) konfrontierten die Versuchs­
personen mit Neuigkeiten, die je nach experimenteller
Bedingung angeblich aus dem Nachrichtenteil des Wall
Street Journal (sehr zuverlässig), aus der Kolumne „Heard on the Street“ des Wall Street Jounal (mäßig zuverlässig) oder von einem geschwätzigen und wenig kompetenten Bekannten „Harry“ (unzuverlässig) stammten.
Trotz dieser klaren Unterschiede in der Zuverlässigkeit
der Informationen, die auch in einem Vortest von einer
anderen Gruppe von Versuchspersonen erkannt wurden, reagierten die Probanden im Experiment auf alle
drei Typen von Informationen gleichermaßen stark.
Wenn man, wie hier geschehen, die Unzuverlässigkeit von
Gerüchten ignoriert, wird man viel zu oft (suboptimale)
Kauf- und Verkaufsentscheidungen treffen.
Darüber hinaus nutzen viele Anleger einen Typ von
Informationen, der nach der Efficient Market Hypothesis völlig ignoriert werden sollte, nämlich Informationen
über den bisherigen Kursverlauf. Wenn die Finanzwerte
einem Random Walk folgen, gibt es keine Möglichkeit,
aus Kursverläufen zukünftige Kurse zu prognostizieren.
Trotzdem neigen Menschen dazu, (vermeintliche) Muster in Kursverläufen zu erkennen, und sie tendieren insbesondere dazu, die Fortsetzung bestehender Trends zu
erwarten, wie Schachter, Oulette, Whittle und Gerin (1987)
in zwei Experimenten zeigen konnten. Andreassen (1988)
interpretierte dies dahingehend, dass eine Fortsetzung von
Trends speziell dann erwartet wird, wenn die Kursinformationen als Trendinformationen dargeboten werden (d. h.
wenn Kursveränderungen statt Kurshöhen angezeigt werden). Oftmals suggeriert also die Verwendung von Charts
(grafische Darstellung von Kursverläufen eines Finanzwerts oder eines Indexes von Finanzwerten) überhaupt
erst, dass es in dem betreffenden Schaubild einen Trend
geben müsse, den es zu entdecken gelte (▶ Info-Box).
Info-Box
| |
Technische Analyse
Unter dem Oberbegriff der technischen Analyse oder
auch Chartanalyse wird eine große Zahl von Techniken
zusammengefasst, die darauf abzielen, Systematiken in
Kursverläufen aufzudecken und daraus Implikationen
für Kaufs- und Verkaufsentscheidungen abzuleiten.
Wir wollen hier nicht über die Existenzberechtigung
der technischen Analyse oder ihrer verschiedenen
Varianten (deren Vertreter z. T. bitter verfeindet sind) urteilen. Uns ist allerdings keine seriöse wissenschaftliche
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Kapitel 11 • Finanzpsychologie
Studie bekannt, in der nachgewiesen werden konnte,
dass mithilfe solcher Techniken tatsächlich überzufällig
gute Kursprognosen möglich sind.
Eine spezielle Vergangenheitsinformation, die rein rational
ebenfalls für Entscheidungen über zu tätigende Transaktionen unerheblich sein sollte, ist der Kaufpreis, den man für
eine Aktie bezahlt hat. Entscheidungstheoretisch handelt
es sich hierbei um versunkene Kosten. Trotzdem verkaufen Anleger Aktien ungern, wenn der Verkaufspreis unter
dem vorherigen Kaufpreis liegt (z. B. Schachter et al., 1987).
Entsprechend hat man bei Anlegern einen systematischen
Dispositionseffekt festgestellt, der darin besteht, dass „Verliereraktien“ länger gehalten werden als „Gewinneraktien“
(Shefrin & Statman, 1985).
In diesem Zusammenhang sollte man beachten, dass
unsere finanzpsychologischen Betrachtungen zum Anlegerverhalten auf Ebene des individuellen Anlegers erfolgen.
Dies ist wichtig, weil Ökonomen oftmals ähnliche Konzepte wie die hier besprochenen verwenden, um Gegebenheiten auf Marktebene zu beschreiben. Beispielsweise
wird oftmals von einer „Unterreaktion“ bzw. „Überreaktion“ auf Neuigkeiten gesprochen: Damit ist gemeint, dass
kursrelevante Neuigkeiten entweder zunächst zu wenig
in den Aktienkurs eingehen, sodass es nachfolgend zu einem länger anhaltenden Trend kommt, bis schließlich der
akkurate Kurs erreicht ist (Unterreaktion), oder dass die
kursbezogenen Veränderungen zunächst zu stark ausfallen (Überreaktion) und deshalb nachfolgend durch eine
gegenteilige Reaktion korrigiert werden (z. B. DeBondt
& Thaler, 1985). Natürlich kann man versuchen, solche
Marktphänomene durch die semantisch ähnlichen Phänomene auf individueller Ebene zu erklären. Beispielsweise
könnte man argumentieren, Überreaktionen des Finanzmarkts auf Neuigkeiten seien darauf zurückzuführen, dass
die Anleger die eingeschränkte Zuverlässigkeit mancher
Informationen kollektiv nicht beachten und deshalb individuell gleichgerichtet überreagieren. Allzu assoziative
Gleichsetzungen von Mikro- und Makrophänomenen sind
aber aus zwei Gründen problematisch: Zum einen gehört
zu jedem Anleger, der beispielsweise auf eine positive Information überreagiert und deshalb zu einem bestimmten
Preis eine Aktie kaufen möchte, auch immer ein anderer
Anleger, der zum selben Preis verkaufen möchte (und
dies nicht täte, wenn er dieselbe Überreaktion zeigte).
Zum anderen werden Kurse zum größten Teil durch das
Verhalten großer institutioneller Anleger bestimmt (wie
beispielsweise großer Pensionsfonds), und das Verhalten
dieser Anleger ist weit mehr durch festgelegte Strategien
und Regeln als durch individuelle kognitive Prozesse ihrer
Manager determiniert.
Affektive Einflüsse auf Anlegerverhalten
Die Vorstellung, dass Anleger nicht kühl überlegt und rational handeln, sondern dass ihre Kauf- und Verkaufsentscheidungen durch Emotionen und Stimmungen geprägt
werden, ist sicherlich diejenige Assoziation, die Laien am
stärksten mit einer „Psychologie der Börse“ verbinden.
Oftmals werden sogar dem Finanzmarkt selbst solche
Emotionen und Stimmungen zugeschrieben. Davon kann
sich jeder selbst überzeugen, der sich etwa die aktuellen
Berichte von der Frankfurter Börse im Rahmen der Tages­
themen anschaut – dort ist dann oft die Rede davon, die
Börse sei an diesem Tag „euphorisch“ oder „verstimmt“
gewesen, oder der Markt sei gar in eine „tiefe Depression“
verfallen.
Während affektive Konzepte in solchen Fällen keinerlei Erklärungswert besitzen und nur zu einer Illustration
der Kursbewegungen dienen, ist aus finanzpsychologischer Sicht interessant, wie Anlageentscheidungen durch
affektive Prozesse der Anleger beeinflusst werden. Einige
Marktphänomene legen nahe, dass solche Einflüsse bedeutsam sein könnten. So konnte etwa Saunders (1993)
zeigen, dass die Aktienkurse an sonnigen Tagen stärker
zum Steigen tendieren als an regnerischen Tagen. Direkte
empirische Evidenz für affektive Einflüsse auf Anlegerverhalten ist jedoch dünn gesät. Zwar sind affektive Einflüsse
auf Urteils- und Entscheidungsprozesse im Allgemeinen in
der Psychologie gut untersucht, aber die konkrete empirische Überprüfung der Übertragbarkeit solcher Erkenntnisse auf den Bereich des Anlegerverhaltens steht nahezu
völlig aus.
Eine Ausnahme stellt ein Experiment von Au, Chan,
Wang und Vertinsky (2003) dar, in dem die Probanden
mit einem internetbasierten Handelssystem Devisenhandel zwischen Deutscher Mark und Schweizer Franken betreiben sollten. Mithilfe einer fingierten Rückmeldung auf
einen Probedurchgang sowie entsprechender Musik wurde
manipuliert, ob sich die Versuchspersonen in positiver,
neutraler oder negativer Stimmung befanden. Die Ergebnisse, die im oberen Teil von . Abb. 11.5 dargestellt sind,
zeigen, dass Probanden in neutraler Stimmung den meisten Gewinn machten, gefolgt von Probanden in negativer
Stimmung. Positive Stimmung erwies sich hingegen als
abträglich für den Erfolg.
Die beiden unteren Diagramme in . Abb. 11.5 schlüsseln dieses Gesamtergebnis genauer auf. Anleger erzielen
bei solchen Devisengeschäften ein umso besseres Ergebnis, je öfter sie die richtige Entscheidung treffen (hier: von
DM in Franken umschichten oder umgekehrt) und je mehr
Geld sie dann bei solchen richtigen Entscheidungen investieren. Das mittlere Diagramm zeigt, dass der Prozentsatz
richtiger Entscheidungen bei positiver Stimmung deutlich
geringer ist als bei neutraler oder negativer. Dies deckt sich
mit Befunden aus der sozialen Kognitionsforschung, denen
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11.3 • Anwendungsgebiete der Finanzpsychologie
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Performance
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5.64
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-91.43
positiv
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neutral
Stimmung
negativ
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Prozentsatz richtiger Entscheidungen
425,00
Investvolumen
400
63,64%
68,42%
60
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Performance
Performance
80
454,55
300
242,11
200
30,00%
20
0
100
positiv
neutral
Stimmung
negativ
0
positiv
neutral
Stimmung
negativ
.. Abb. 11.5 Performance in Abhängigkeit von der induzierten Stimmung. (Nach Au et al., 2003, with permission from Elsevier)
zufolge positive Stimmung zu vergleichsweise oberflächlicheren Denkprozessen führt als negative oder neutrale
Stimmung (Schwarz & Clore, 1996). Beim Investitionsvolumen pro Entscheidung fallen die Personen mit negativer
Stimmung nach unten ab (unteres Diagramm). Auch dies
passt zu Erkenntnissen der sozialen Kognitionsforschung,
wonach negative Stimmung vorsichtigeres Verhalten bewirkt (Schwarz, 1990). Insgesamt bewirken beide Teilprozesse, dass in neutraler Stimmung die höchsten Gewinne
erzielt werden. Der populäre Ratschlag, man solle Anlageentscheidungen in möglichst ausgewogener Stimmung
treffen, lässt sich daher durchaus wissenschaftlich untermauern.
Ein weiterer affektiver Einfluss auf Anlegerverhalten,
der ebenfalls empirisch untersuchte wurde, besteht in
sog. affektiven Urteilen. Im normativen ökonomischen
Entscheidungsmodell werden Anlageentscheidungen auf
Grundlage einer genauen Analyse der Fundamentaldaten
der infrage kommenden Finanzwerte getroffen. Anstelle
solcher differenzierten analytischen Urteile treffen Menschen oftmals affektive Globalurteile, die sich beispielsweise im wahrgenommenen Image eines Unternehmens
niederschlagen. MacGregor, Slovic, Dreman und Berry
(2000) haben solche affektiven Urteile im Anlagekontext
empirisch untersucht. Ihre Versuchspersonen sollten
die gegenwärtige finanzielle Performance verschiedener
Marktsektoren (Biotechnologie, Logistik etc.) anhand
vorgegebener realer Kursdaten beurteilen und Prognosen
für die zukünftige Performance erstellen. Zudem wurden
mithilfe von Imagemaßen und semantischen Differenzialen affektive Urteile über diese Sektoren erfragt. Sowohl
die Einschätzungen der aktuellen Performance als auch die
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Zukunftsprognosen korrelierten hoch mit den affektiven
Urteilen. Diejenigen Sektoren, die den Versuchspersonen
„sympathisch“ waren, waren also auch diejenigen, denen
sie eine gute zukünftige Performance prognostizierten. Da
die Befunde korrelativer Natur sind, liefern sie aber noch
keinen Beleg dafür, dass positive bzw. negative affektive
Urteile positive bzw. negative Prognosen (und damit auch
Kauf- bzw. Verkaufsentscheidungen) bewirken.
Selbstüberschätzung bei Anlegern
Ein Konzept, das oft im Zusammenhang mit affektiven
Einflüssen diskutiert wird, das sich aber aus unserer Sicht
nicht eindeutig auf affektive (oder kognitive) Prozesse zurückführen lässt, ist die Selbstüberschätzung von Anlegern.
Genau genommen werden unter solchen Oberbegriffen
unterschiedliche, aber verwandte psychologische Konzepte
diskutiert, nämlich:
1. Überoptimismus: Dies bezeichnet den Glauben, dass
negative Ereignisse andere Personen mit höherer
Wahrscheinlichkeit treffen als einen selbst, während
positive Ereignisse für die eigene Person wahrscheinlicher sind als für andere (Weinstein, 1984).
2. Kontrollillusion: Menschen neigen dazu, das Ausmaß
ihrer Kontrolle über Ereignisse zu überschätzen, und
glauben oft sogar, völlig zufallsabhängige Ereignisse
(z. B. Ziehen eines Loses) beeinflussen zu können (Langer, 1975).
3. Overconfidence: Overconfidence liegt vor, wenn die
subjektive Sicherheit über die Richtigkeit eigener Urteile die tatsächliche Richtigkeit dieser Urteile übersteigt (Klayman, Soll, Gonzales-Vallejo & Barlas, 1999).
Alle drei Formen der Selbstüberschätzung sind bei Anlegern nachgewiesen worden, und zwar sowohl bei Laien
(Privatanlegern) als auch bei professionellen Anlegern (vgl.
z. B. Hilton, 2001; Wärneryd, 2001). Beispielsweise glauben
Anleger, dass sie bei Finanzwerten, die sie zumindest einigermaßen kennen, den zukünftigen Kurs prognostizieren
können. Daher sind sie bei Prognosen für Finanzwerte aus
ihrem Heimatland sicherer als bei Prognosen für ausländische Werte, während sich die Akkuratheit beider Prognosen nicht unterscheidet (Kilka & Weber, 2000). Mithilfe
solcher Overconfidence versucht man beispielsweise, den
sog. Home Country Bias zu erklären, also die Neigung von
Anlegern, v. a. Werte aus ihrem Heimatland zu kaufen (z. B.
French & Poterba, 1991).
Zudem konnte gezeigt werden, dass Selbstüberschätzung abträglich für die Gewinnerzielung an Finanzmärkten ist. Fenton-O‘Creevy, Nicholson, Soane und
Willman (2003) untersuchten das Ausmaß von Kontroll­
illusionen bei professionellen Aktienhändlern und korrelierten es mit dem finanziellen Erfolg ihrer Portfolios:
Je höher die Kontrollillusionen ausgeprägt waren, desto
schlechter gestaltete sich die finanzielle Performance der
Portfolios. Ein vermittelnder Mechanismus für diese negative Wirkung der Selbstüberschätzung besteht darin, dass
Anleger, die sich selbst stärker überschätzen und daher
meinen, Kurse besonders gut vorhersagen zu können, in
ihrem Portfolio öfter Wechsel vornehmen als Anleger mit
geringerer Selbstüberschätzung. Da erstere keine besseren
Prognosen abgeben als letztere, jedoch für jeden Handel
entsprechende Gebühren zahlen müssen, verdienen sie
unter dem Strich mit ihren Aktienportfolios weniger (Hilton, 2001). Selbstüberschätzung ist daher auch ein Grund,
warum Anleger – rational gesehen – viel zu selten in sog.
Indexzertifikate investieren (also Wertpapiertitel kaufen,
die sich im Einklang mit einem Marktindex wie etwa dem
Deutschen Aktienindex DAX bewegen), die sehr gute Risikostreuung bei minimalen Gebühren bieten, und stattdessen glauben, dass sie selbst (oder Manager von aktiv
gemanagten Fonds) den Markt durch eigene Portfoliozusammenstellung schlagen können (Moore, Kurtzberg, Fox
& Bazerman, 1999).
Soziale Einflüsse auf Anlegerverhalten
Isaac Newton sagte einmal: „Ich kann die Bahn der Himmelskörper auf Zentimeter und Sekunden genau berechnen, aber nicht, wohin die verrückte Menge einen
Börsenkurs treiben kann.“ Da die Kurse von Aktien und
anderen Finanzwerten letztlich auf einer Art von sozialem
Konsens über den angemessenen Preis beruhen, der nicht
zwangsläufig den wahren Wert der entsprechenden Aktie
widerspiegeln muss, ist sozialer Einfluss ein essenzieller
Bestandteil des Anlegerverhaltens.
Drei verschiedene Arten sozialen Einflusses auf Anlageentscheidungen werden diskutiert:
1. Einfluss von interpersoneller Kommunikation und
Gruppenprozessen
2. Einfluss von Medieninformationen
3. Einfluss der Beobachtung des Verhaltens anderer Anleger
Die große Relevanz des ersten Punkts wird unmittelbar
daraus ersichtlich, dass viele Anlageentscheidungen mit
anderen Personen besprochen, in sog. Aktienclubs diskutiert oder sogar kollektiv von Investorengruppen getroffen
werden. Umso erstaunlicher ist es, dass es hierzu praktisch keine empirische Evidenz gibt. Zwar existiert eine
umfangreiche Literatur dazu, wie Urteile und Entscheidungen generell durch Kommunikation und Gruppenprozesse beeinflusst werden (für einen Überblick siehe
z. B. Schulz-Hardt et al., 2002). Jedoch sind uns keine empirischen Studien bekannt, in denen interpersonale oder
intragruppale Kommunikation zu Finanzanlagen erfasst
und dann in Relation zu den entsprechenden Anlageentscheidungen gesetzt wurde. Eine gewisse Ausnahme stellt
197
11.3 • Anwendungsgebiete der Finanzpsychologie
das bereits genannte Experiment von DiFonzo und Bordia
(1997) dar, das die Wirkung von Gerüchten verdeutlicht:
Obwohl die Versuchspersonen grundsätzlich um die Unzuverlässigkeit von Gerüchten wussten, berücksichtigten
sie die Gerüchte in ihren Anlageentscheidungen genauso
stark wie zuverlässige Nachrichten. Dieser Befund lässt
zumindest ahnen, wie stark Gerüchte in der interpersonalen oder intragruppalen Kommunikation Anlageentscheidungen beeinflussen können. Als weitere Ausnahme lässt
sich eine Studie von Barber und Odean (2000) nennen, die
die Performance der Wertpapierportfolios von insgesamt
66 sog. Investment Clubs untersucht haben. Investment
Clubs sind Gruppierungen von Anlegern, die gemeinsam
Finanzanlagen tätigen, zu denen alle ihre Mitglieder Mittel beigesteuert haben. Hier liegen also reale Gruppen­
entscheidungen über gemeinsame Finanzanlagen vor.
Den Ergebnissen von Barber und Odean (2000) zufolge
lag die Performance dieser Portfolios leicht unter dem
entsprechenden Marktindex. Explizite Vergleiche mit entsprechenden Portfolios von individuellen Privatanlegern
wurden aber nicht vorgenommen, sodass Überlegungen
über gruppenbezogene Prozessverluste in diesen Investment Clubs sehr spekulativ wären.
Etwas besser stellt sich die Befundlage bei Medieneinflüssen dar. Hier konnten sowohl Andreassen (1987) als
auch DiFonzo und Bordia (1997) in ihren Experimenten
nachweisen, dass Medieninformationen Anleger dazu verleiten, eine Fortsetzung bestehender Trends zu erwarten.
Die Ursache hierfür ist, dass Medien Begründungen für
Kursveränderungen liefern, auch wenn diese Kursveränderungen vielleicht rein zufällig waren. Sie tendieren zu
kohärenter Berichterstattung und berichten daher mehr
über Ereignisse, die zur aktuellen Kursveränderung passen, bzw. interpretieren uneindeutige Ereignisse in einer
zur Kursveränderung passenden Weise (Kindleberger,
1987). Steigt der Kurs eines Unternehmens, so könnten
Zeitungen beispielsweise darüber berichten, dass ein aktueller Wechsel im Vorstand als längst überfälliger Befreiungsschlag anzusehen ist. Bei einem Kursverlust könnte
dasselbe Ereignis als Anzeichen einer ernsthaften Krise
dargestellt werden. Anleger, die dies lesen, unterstellen
dann dem tatsächlichen Zufallsereignis eine Systematik
und folgen dem vermeintlichen Trend. Dies verleitet sie zu
verstärktem Handel und senkt die Profitabilität ihrer Anlage (Andreassen, 1987; DiFonzo & Bordia, 1997). Solche
trendverlängernden Wirkungen von Medieninformationen werden dadurch verstärkt, dass professionelle Trader
oft die wichtigste Informationsquelle von Journalisten sind:
Wenn nun die Trader an steigende Kurse glauben, dies den
Journalisten weitermelden und kurz darauf in den Medien
genau dies widergespiegelt bekommen, kommt es zu einem sich selbst verstärkenden Kreislauf (Oberlechner &
Hocking, 2004).
Im Sinne des vorhin genannten Zitats von Newton, der
mit der Unvorhersagbarkeit von Massenverhalten an der
Börse haderte, ist die dritte Art von sozialem Einfluss auf
Anlegerverhalten besonders interessant: Sozialer Einfluss
findet an Finanzmärkten nicht nur in einem direkten Sinne
dadurch statt, dass man mit anderen kommuniziert oder
Informationen aus den Medien erhält, sondern auch in indirekter Weise dadurch, dass man aus dem Verhalten anderer Personen erschließt, über welche Informationen sie
verfügen könnten. Anleger, die über private Informationen
verfügen, offenbaren diese durch ihr Verhalten, d. h. durch
ihre Kauf- und Verkaufsentscheidungen. Andere, die diese
beobachten, erschließen die zugrunde liegende Information, handeln gegebenenfalls ebenfalls danach und machen
sie dadurch wiederum für andere zugänglich. Solche Prozesse der Informationsweitergabe ohne Kommunikation
im eigentlichen Sinne werden auch als Informationskaskaden bezeichnet.
Mithilfe solcher Informationskaskaden lässt sich ganz
rational erklären, wie es zu sog. ▶ Herdenverhalten kommen kann, also einer gleichförmigen Verhaltenstendenz
von Marktteilnehmern (z. B. dass nahezu alle plötzlich
bestimmte Aktien kaufen wollen), – und das auch in Situationen, in denen dieses Verhalten objektiv von der tatsächlichen Informationslage her gar nicht gerechtfertigt ist
(Banerjee, 1992). Nehmen wir an, 100 Personen halten Aktie A. Von ihnen haben 49 Personen ein Signal (d. h. eine
private Information), dass Aktie A fallen wird, eine Person
hat ein Signal, dass sie steigen wird, und 50 Personen haben
gar kein Signal zu Aktie A. Aus irgendwelchen Gründen
(z. B. weil sie ein ungeduldiger Käufer ist) trifft nun die
Person mit dem Signal „steigender Kurs“ als erste ihre Entscheidung, und entsprechend ihres Signals entscheidet sie
sich für den Kauf weiterer Anteile von Aktie A. Dies beobachtet eine Person, die kein Signal hat. Aus dem Verhalten
der ersten Person erschließt sie, dass diese wohl ein Signal
für steigenden Kurs erhalten hat, und kauft ebenfalls. Eine
dritte Person, die ein Signal für fallenden Kurs erhalten
hat, ist jetzt im Konflikt: Sie hat ein Signal zum Verkaufen, jedoch zwei Personen beobachtet, die gekauft haben.
Sie weiß, dass nicht alle am Markt über Signale verfügen.
Wenn sie (korrekterweise) annimmt, dass jeder Zweite ein
Signal hat, dann sollte sie davon ausgehen, dass einer der
beiden Käufer ein Kaufsignal hatte – und dies wiegt ihr
eigenes Signal auf. Sie wartet daher ab (ebenso wie jeder
andere, der ein Verkaufssignal hat). Nachdem aber zwei
weitere Personen ohne Signal sich zum Kauf entschlossen haben, kalkuliert dieselbe Person, dass es nun wohl
schon zwei Personen mit Kaufsignal geben wird, und kauft
ebenfalls. Dadurch entsteht ein sich selbst verstärkendes
Herdenverhalten, bei dem jeder Beitritt zur Herde weitere
Beitritte wahrscheinlicher macht. Das Herdenverhalten
führt hier zu einer „Blase“, also einem überhöhten Akti-
11
198
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
Kapitel 11 • Finanzpsychologie
enkurs, denn tatsächlich sprachen ja 49 von 50 Signalen
für den Verkauf.
Während solche Informationskaskadenmodelle v. a.
auf das Herdenverhalten von Privatanlegern zutreffen
dürften, kann ein anderes Modell v. a. Herdenverhalten
unter professionellen Anlegern, wie z. B. Fondsmanagern,
erklären. In diesem Modell des strategisch-rationalen
Herdenverhaltens von Scharfstein und Stein (1990) wird
angenommen, dass es zwei Typen von Managern gibt: die
„smarten“ und die „dummen“. „Smarte“ Manager haben
akkurate Signale, die damit untereinander korreliert sein
müssen. „Dumme“ Manager haben entweder gar keine
oder wertlose und damit zufällig streuende (d. h. unkorrelierte) Signale. Für Manager ist es nun sehr wichtig, smart
zu erscheinen, da davon ihre Reputation und damit auch
ihre Bezahlung abhängen. Wenn man den Eindruck erwecken will, zu denjenigen zu gehören, die korrelierte Signale
erhalten (also den „smarten“), sollte man das Verhalten anderer imitieren – und das gilt nicht nur für die „dummen“,
sondern auch für die „smarten“ Manager. Auch für Letztere
kann es also sinnvoll sein, andere zu imitieren, selbst wenn
ihre Signale in eine andere Richtung tendieren. Wenn sie
als einzelne außerhalb der Herde richtig liegen, kann dies
leicht als Zufallstreffer eines eigentlich „dummen“ Managers erscheinen. Wenn sie aus der Herde ausscheren und
sich damit irren, büßen sie Reputation ein. Irren sie sich
dagegen innerhalb der Herde, so kommt ihnen der Sharing-the-Blame-Effekt zugute, nämlich dass sie für Fehler weniger verantwortlich gemacht werden, wenn andere
denselben Fehler machen.
Beide Modelle des Herdenverhaltens zeigen, dass die
vermeintliche Irrationalität der Börse manchmal ganz
rationale Ursachen haben kann. Allerdings ist auch diese
Schlussfolgerung, wie viele zuvor, mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten, denn die Modelle des Herdenverhaltens
sind bisher in Situationen empirisch überprüft worden, die
nur bedingt als typisch für Finanzmärkte gelten können.
17
11.3.2
18
Im Gegensatz zum Anlegerverhalten und auch zur Steuerpsychologie (▶ Kap. 18) ist der Bereich des Sparverhaltens und der Verschuldung ein Anwendungsbereich, in
dem es vergleichsweise wenig empirische finanzpsychologische Forschung gibt. Vieles von dem, was wir nachfolgend berichten, ist daher noch auf der Ebene plausibler
Hypothesen formuliert.
19
20
Sparen und Verschuldung
21
Sparen: Motive und Hindernisse
22
Wenn Menschen Geld ansparen, so kann dies in verschiedenen Formen geschehen. Wiswede (1995) nimmt u. a.
folgende zwei zentrale Unterscheidungen vor:
1. Kontraktuelles vs. diskretionäres Sparen: Beim kontraktuellen Sparen existiert ein Sparplan, der angibt, in
welchen Abständen welche Beträge einer Sparanlage
zugeführt werden sollen. Eine Kapitallebensversicherung ist hierfür ein Beispiel. Diskretionäres Sparen
stellt im Gegensatz hierzu „Gelegenheitssparen“ dar:
Ein Betrag, den man gerade übrig hat, wird beispielsweise auf ein Sparbuch eingezahlt.
2. Vorsorgesparen vs. Konsumsparen: Wie die Begriffe
schon aussagen, dient Vorsorgesparen der Absicherung
für unvorhergesehene Ereignisse, für das Rentenalter
etc., während Konsumsparen das Ansparen von Geld
für geplante Konsumausgaben bezeichnet.
Damit es überhaupt zum Sparverhalten kommt, bedarf es einer expliziten Motivation hierzu. Das liegt daran, dass es eine
sehr starke Kraft gibt, die dem Sparen entgegenwirkt – nämlich die Neigung, eine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung
dem Aufschieben von Belohnungen („delay of gratification“)
vorzuziehen. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass zukünftige Outcomes (Ergebnisse) sehr
stark diskontiert werden (d. h. eine subjektive Wertminderung gegenüber ihrem aktuellen Wert erfahren). Diese
Neigung ist vielfach ökonomisch-rational, weil Outcomes
umso unsicherer werden, je weiter sie in der Zukunft liegen.
Wenn mir jemand anbietet, entweder 100 Euro sofort oder
110 Euro in einem Jahr zu erhalten (ein Zinssatz von 10 %),
dann könnte es mir unsicher erscheinen, ob diese Person
in einem Jahr noch liquide ist, und natürlich muss ich auch
ökonomische Faktoren wie die Inflationsrate berücksichtigen. Neben diesen rationalen Ursachen trägt auch der sog.
myopische Effekt zur Präferenz von unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung bei: Dieser Effekt besteht darin, dass man
Verhaltenskonsequenzen (positive wie negative) generell
umso mehr unterschätzt, je weiter sie in der Zukunft liegen.
Um Sparverhalten zu initiieren, muss man aber positive Outcomes in der Zukunft in Rechnung stellen, die man durch
dieses Sparverhalten erreichen kann, und negative zukünftige Outcomes (z. B. mangelnde Liquidität im Rentenalter)
berücksichtigen, die sich ohne Sparverhalten ergäben.
Psychologische Erklärungen für Sparverhalten haben
sich verschiedener Persönlichkeitseigenschaften (u. a.
Fähigkeit zum Belohnungsaufschub, Selbstkontrolle, Risikovermeidung, Locus of Control), sozioökonomischer
Variablen (u. a. Alter, Bildung, Einkommen) sowie Gewohnheiten und Einstellungen bedient (für einen Überblick s. Canova, Rattazzi & Webley, 2005). Beispielsweise
zeigte sich, dass Personen, die zum Sparen neigen, über
einen hohen internen Locus of Control und eine hohe Fähigkeit zum Belohnungsaufschub verfügen.
Mit Motiven für das Sparen im engeren Sinne beschäftigte sich erstmals Keynes (1936). Er identifizierte acht verschiedene Motive:
11
199
11.3 • Anwendungsgebiete der Finanzpsychologie
11
10
Selfgratification
6
7
Household
Autonomy
Selfesteem
6
To avoid
debt
6
7
Security
15
7
5
6
20
Old age /
Illness
5
5
8
16
6
6
10
8
Speculation
26
5
9
Retirement
Money
availability
Precaution
5
Purchases
Holidays / Hobbies
.. Abb. 11.6 Hierarchische Zielstruktur für Sparverhalten. Die Zahlen an den Pfeilen geben jeweils an, wie häufig das an der Pfeilspitze stehende, übergeordnete Ziel als Grund für das an der Pfeilbasis befindliche, untergeordnete Ziel genannt wurde (n = 97). (Aus Canova, Rattazzi &
Webley, 2005, S. 30, . Abb. 1, with permission from Elsevier)
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Precaution (Sicherheit)
Foresight (Vorsorge)
Calculation (Rendite erzielen)
Improvement (Verbesserung des Lebensstandards)
Independence (Unabhängigkeit)
Enterprise (Investitionen zum eigenen Vorteil)
Pride (Vererben)
Avarice (Habgier)
In der Folgezeit wurde eine Anzahl verschiedener Motivsysteme vorgeschlagen. Sie unterscheiden sich neben der
Anzahl der einbezogenen Motive in Bezug auf deren Abstraktheit vs. Konkretheit (z. B. „Sicherheit“ vs. „Urlaub“),
hinsichtlich der Berücksichtigung psychologischer Faktoren
(z. B. Selbstkontrolle) sowie bezüglich der Versuche, die unterschiedlichen Motive zueinander in Beziehung zu setzen.
Weil gerade Letzteres für ein tiefer gehendes Verständnis der Motivation zum Sparen unerlässlich ist, erhoben
Canova et al. (2005) Ziele, die die Entscheidung zum
Sparen motivieren, und die allgemeineren Ziele bzw. Interessen „hinter“ diesen Zielen. Theoretische Annahmen
waren bewusst nicht formuliert worden, sondern die Untersuchungsteilnehmer mussten alle Ziele selbst generieren und durch dahinterliegende Ziele begründen. Mittels
Netzwerkanalyse wurde die Karte eines hierarchischen
kognitiven Schemas generiert, in dem Inhalte und Begründungsabfolgen der Ziele repräsentiert sind.
. Abb. 11.6 zeigt die resultierende hierarchische Struktur über 15 identifizierte, saliente Ziele. Je höher ein Ziel
steht, desto öfter ist es das (Meta-)Ziel anderer Ziele (Pfeile
weisen auf es hin) und desto seltener hat es selbst übergeordnete Ziele (Pfeile weisen von ihm weg). In anderen
Worten: Je höher ein Ziel steht, desto abstrakter bzw. allgemeiner ist es. Dementsprechend finden wir auf der untersten Ebene der Hierarchie konkrete Sparziele wie etwa
„Urlaub“ oder „Anschaffungen“. Die drei höchsten Sparentscheidungen motivierenden Ziele in der Hierarchie sind
Selbstwert, Freude (Self-Gratification) und Autonomie.
Übergeordnete Ziele werden dadurch handlungsleitend,
dass sie konkrete Sparziele aktivieren. Insgesamt sind
die gefundenen Sparziele den bereits zuvor in der Literatur erwähnten sehr ähnlich. Neu und wesentlich aber
ist die auf empirischem Wege erschlossene hierarchische
Beziehungsstruktur zwischen ihnen. Die höchsten Ziele
(Selbstwert und Freude) sind psychologischer Natur und
markieren hedonistische Qualitäten des Sparens, womit
deutlich wird, dass neben den negativen Aspekten des Sparens (selbst auferlegtes Leid durch Verzicht) auch positive
(Vorgeschmack zukünftigen Genusses) existieren.
Sparen über die Lebensspanne
Sparverhalten sollte sich in Abhängigkeit vom Lebensalter
ändern. Die Ökonomen Modigliani und Brumberg (1954)
haben hierzu die sog. Lebenszyklustheorie des Sparens
200
1
100
80
60
20
6
–20
8
9
10
11
12
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14
15
16
17
18
19
20
21
22
Konsumausgaben
40
5
7
Einkommen
120
Geldeinheiten
4
.. Abb. 11.7 Einkommen, Konsum und Ersparnis im Lebenszyklus. (Aus Börsch-Supan & Essig,
2002, S. 12, mit freundlicher
Genehmigung des Deutschen
Instituts für Altersvorsorge)
140
2
3
Kapitel 11 • Finanzpsychologie
0
Ersparnis
20
30
40
50
60
70
80
Alter
–40
formuliert. Diese Theorie nimmt nur ein zentrales Ziel an,
das Sparverhalten motiviert, nämlich die Sicherstellung eines über die Lebensspanne stabilen Konsumniveaus. Einziger Spargrund ist gemäß der Theorie also, Vorsorge für
erwartete Einkommenseinbußen zu betreiben.
In . Abb. 11.7 sind die Vorhersagen der Theorie veranschaulicht. Die durchgezogene Linie charakterisiert einen
idealisierten Einkommensverlauf ab einem Lebensalter von
18 Jahren: Man beginnt mit einem bestimmten, (relativ gesehen) geringen Gehalt. Dieses nimmt dann im Verlauf des
Lebens zu und vor dem Eintritt ins Rentenalter wieder ein
wenig ab (da beispielsweise bestimmte leistungsabhängige
oder sonderdienstabhängige Zulagen weniger werden). Mit
dem Eintritt ins Rentenalter kommt es zu einer abrupten
Senkung des zur Verfügung stehenden Einkommens.
Um angesichts dieses Kurvenverlaufs trotzdem stabil
hohe Konsumausgaben tätigen zu können, wie sie durch
die obere gestrichelte Gerade gekennzeichnet sind, muss
man als rationaler Entscheider das eigene Sparverhalten
in charakteristischer Weise über die Lebensspanne verändern. In jüngeren Jahren (in der Grafik bis Mitte 30) ist
das Einkommen für das gewünschte Konsumniveau nicht
ausreichend. Es ist also rational, sich in jüngeren Jahren
etwas zu verschulden, da man ja in der Zeit danach für ca.
30 Jahre ein Einkommen antizipiert, das z. T. deutlich über
dem Konsumniveau liegt. In dieser Zeit sollte man, neben
dem Abbau einer möglichen Verschuldung, Geld ansparen, um den Einkommensabfall, der jenseits der Rentengrenze stattfindet und bis unterhalb des Konsumniveaus
führt, kompensieren zu können. Die genaue Sparquote in
dieser Zeit hängt neben dem gewünschten Konsumniveau
nur noch von der antizipierten Lebenserwartung ab. Mit
dem Eintritt ins Rentenalter sollte dann sofort entspart
werden.
Diese Theorie lässt sich sehr gut mithilfe von Daten
aus der sog. SAVE-Studie (z. B. Börsch-Supan & Essig,
2002) überprüfen. Die SAVE-Studie ermittelte in einem
über 10-jährigen Längs- und Querschnitt das Sparverhalten repräsentativ ausgewählter deutscher Haushalte. Die
Ergebnisse sind gut mit der Lebenszyklustheorie vereinbar – mit einer gewichtigen Ausnahme: Während gemäß
der Theorie im Rentenalter gar kein Sparverhalten mehr
beobachtbar sein sollte, werden empirisch in diesem Alter
nach wie vor Sparquoten von knapp unter 10 % beobachtet
(d. h. etwas weniger als 10 % des Einkommens werden im
Durchschnitt gespart). Zum Vergleich: Die Spitzenwerte
der Sparquote liegen bei 14 % und werden von den 30- bis
39-Jährigen erreicht.
Die Befragungsdaten liefern auch eine mögliche Erklärung für diese relativ hohe Sparquote im Rentenalter: Bei
den Fragen nach ihren Spargründen gaben Personen im
Rentenalter im Vergleich zu jüngeren Menschen überproportional häufig an, Rücklagen für unvorhersehbare Ereignisse bilden zu wollen. Dies ist insofern irrational, als die
älteren Menschen ja im Durchschnitt eine geringere noch
verbleibende Lebensspanne haben, in der solche unerwarteten Ereignisse auftreten könnten. Die Sorge hiervor
scheint aber bei den älteren Menschen höher zu sein und
könnte – dies muss man, da die obigen Befunde korrelativ
sind, mit aller Vorsicht sagen – zu einer theoriekonträr
hohen Sparquote führen. Möglicherweise motiviert aber
auch die – in der soeben dargestellten Studie nicht erfasste
– Sorge um und für die Nachkommen zu fortgesetztem
Sparen. Eine gänzlich andere Erklärung für das Sparverhalten älterer Menschen bietet das von Wärneryd (1995,
1999) postulierte Sparen als eine andauernde Gewohnheit („saving as a continuous habit“), das – im Gegensatz
zur obigen Erklärung – nicht durch ein spezifisches Ziel
motiviert ist. In einer hierarchischen Regressionsanalyse
trugen Sparen als eine andauernde Gewohnheit und Sicherheit signifikant zur Varianzaufklärung der totalen
Sparsumme der Sparer bei.
201
11.4 • Fazit und abschließende Bemerkungen
Verschuldung und Überschuldung
Ebenso, wie es verschiedene Formen des Sparens gibt, sind
auch verschiedene Formen der Verschuldung zu unterscheiden. Nach Wiswede (1995) sind dies:
Explizite Kreditaufnahme (formale Aufnahme eines
festgelegten Konsumkredits, Bausparkredits etc.) vs.
implizite Kreditaufnahme (z. B. Verwendung der
Kreditkarte, Rückgriff auf den Dispositionskredit des
eigenen Girokontos)
Kredit für investive Zwecke (wie etwa eine Unternehmensneugründung) vs. Kredit für konsumptive
Zwecke (z. B. für eine Urlaubsreise)
Verschuldung (Kredit kann in vollem Umfang
zurückgezahlt werden) vs. Überschuldung (Kredit
kann überhaupt nicht mehr oder nur noch reduziert
zurückgezahlt werden)
-
Die letztgenannte Unterscheidung ist finanzpsychologisch besonders bedeutsam, da nicht die Verschuldung,
sondern die Überschuldung ein Problemfeld darstellt:
So lange aufgenommene Kredite in vollem Umfang zurückgezahlt werden können, können Entscheidungen zur
Verschuldung vollständig rational sein – aus der im vorigen Abschnitt behandelten Lebenszyklustheorie lässt sich
ja sogar explizit ableiten, dass Verschuldung in jüngeren
Jahren rational ist, um das gewünschte stabile Konsumniveau sicherzustellen. Zum Problem sowohl für den Kreditgeber als auch für den Kreditnehmer kommt es, wenn
die Grenze zur Überschuldung überschritten wird und
die Verbindlichkeiten nicht mehr oder nur noch teilweise
bedient werden können.
Kredite werden traditionell als Strafreize angesehen,
und zwar sowohl ökonomisch als auch psychologisch:
Ökonomisch wirken die Kreditzinsen, die im Normalfall
über den Sparzinsen liegen, bestrafend, und psychologisch
ist der subjektive Stress zu nennen, den ein Kredit oftmals
mit sich bringt. Zwar ist die Einstellung zu Krediten im
Zuge des Wertewandels positiver geworden (z. B. Engel,
Blackwell & Miniard, 1995), aber nach wie vor empfinden
viele Menschen es als eine psychische Belastung, Konsumgüter auf Kredit zu finanzieren. Interessanterweise wird
diese psychologische Belastung als weit geringer empfunden, wenn es sich um (zumeist vom Umfang her höhere)
Hypotheken auf Eigenheime oder ähnliche Kreditformen
handelt (Brown, Taylor & Price, 2005).
Für den Übergang von der Verschuldung zur Überschuldung konnten einige typische Auslöser identifiziert
werden, darunter in erster Linie plötzliche Arbeitslosigkeit
sowie eine Trennung bzw. Scheidung vom Lebenspartner
(vgl. Korczak & Pfefferkorn, 1992; Lea, Webley & Levine,
1993). Auch personenbezogene Faktoren sind von Bedeutung: Überschuldungsprobleme treten nach Lea (1999)
und Wiswede (1995) v. a. bei Personen auf, die
---
eine positive Einstellung gegenüber Krediten aufweisen,
durch Konsum subjektiv stark belohnt werden,
extravertiert sind,
Budgetplanung nur unzureichend gelernt haben,
Belohnungsaufschub nur schwer ertragen können
und/oder
tatsächliche finanzielle Kreditbelastungen schlecht
kalkulieren können.
Im Hinblick auf soziodemografische Charakteristika
hat sich gezeigt, dass Männer häufiger betroffen sind als
Frauen (bei Konstanthalten anderer Faktoren wie etwa des
Einkommens) und dass Überschuldung überproportional
häufig bei Jugendlichen auftritt (Lea, 1999).
Als wichtigste Maßnahme gegen Überschuldung stellt
sich die Vereinbarung verbindlicher und leistbarer Zahlungspläne dar. Dies ist umso wichtiger, als die betreffenden Schuldner eine solche realistische Budgetplanung
typischerweise vermeiden oder nicht zu leisten vermögen
(s. o.). Darauf aufbauend kann man Rückfälle vermeiden
oder präventiv vorgehen, indem man die Selbstkontrolle
stärkt und Strategien dafür vermittelt, Belohnungsaufschub (z. B. durch Imagination zukünftiger Outcomes) als
weniger negativ zu erleben (vgl. z. B. Catalano & Sonenberg, 1993).
11.4
Fazit und abschließende
Bemerkungen
Beispiel
| |
Herr Centmeyer, unser Protagonist vom Beginn des
Kapitels, weiß mittlerweile Bescheid. Für die gefühlte
Inflation scheint eine einfache Gesetzmäßigkeit der
menschlichen Informationsverarbeitung verantwortlich zu sein: Unsere Wahrnehmung wird von unseren
Erwartungen beeinflusst. Durch diesen Prozess
werden anfängliche Erwartungen eher bestätigt
als widerlegt, d. h. Erwartungen werden selbst
dann aufrechterhalten, wenn vermehrt widersprechende Informationen vorliegen. Übertragen auf
die „Teuro-Illusion“ bedeutet dies, dass die Erwartung von Preissteigerungen die Wahrnehmung von
Preisveränderungen beeinflussen kann, und zwar so,
dass subjektiv Preissteigerungen wahrgenommen
werden, wo objektiv gar keine sind. Dies wirkt sich
selbst dann aus, wenn wir die alten DM-Preise nicht
erinnern müssen, sondern direkt alte und neue Preise
vergleichen können (wie Herr Centmeyer mit beiden
Speisekarten zur Hand). Wenn wir ein Ergebnis
11
202
1
2
3
4
5
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7
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19
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21
22
Kapitel 11 • Finanzpsychologie
ausrechnen, das wir nicht erwartet haben, überprüfen
wir es genau und entdecken schnell den Fehler. Erwartungskonforme Rechenfehler hingegen übersehen wir
leicht. Dies bezeichnet man als selektive Fehlerkorrektur. Herr Centmeyer ist beruhigt: Sein Lieblingsitaliener
hat die Preise im Zuge der Euro-Einführung nicht
erhöht. Sein anfänglicher, durch eigene Schätz- und
Rechenfehler zunächst scheinbar erhärteter Verdacht
ist ihm nun etwas peinlich – nur gut, dass er ihn seinem
Stammitaliener gegenüber nicht geäußert hat!
Solche systematischen Abweichungen vom ökonomisch-rationalen Entscheidungsmodell lassen sich in den
Anwendungsbereichen der Finanzpsychologie wiederfinden: Beispielsweise vernachlässigen Anleger systematisch
die Zuverlässigkeit von Informationen und überschätzen
sich zudem selbst – beides führt dazu, dass sie zu viel handeln und dadurch die Profitabilität ihrer Finanzanlagen
senken. Menschen sparen ökonomisch gesehen im Rentenalter zu viel, möglicherweise aus Angst vor unvorhergesehenen Ereignissen. Und, um eine Erkenntnis aus ▶ Kap. 18
(in diesem Band) hinzuzufügen: Menschen zahlen erfreulicherweise viel ehrlicher Steuern als ein ökonomisches
Nutzenkalkül dies erwarten ließe, wobei Risikoscheu und
eine zu hohe Sorge vor Kontrolle hier eine wichtige Rolle
zu spielen scheinen. Diese Befundlage sollte aber nicht im
Umkehrschluss zu dem Eindruck führen, der Mensch sei
im Umgang mit Geld ein Ausbund an Irrationalität. Psychologen haben eine Vorliebe für Abweichungen von der
Rationalität, aber man sollte dabei stets berücksichtigen,
dass jeder solchen Abweichung eine Vielzahl von Situationen gegenübersteht, in denen rationales Entscheiden vorliegt. Unseres Erachtens ist die weitgehende Rationalität
finanzbezogenen Entscheidens in Anbetracht der massiven
Restriktionen seiner Informationsverarbeitungskapazität,
denen ein menschlicher Entscheider unterliegt, sogar als
bewundernswert zu bezeichnen.
Dies ändert natürlich nichts daran, dass die Untersuchung menschlicher Abweichungen vom Homo oeconomicus ein sinnvolles und wichtiges Unterfangen ist.
Aus unserer Sicht sollten Finanzpsychologen dabei aber
zukünftig zwei Fragen stärker in ihre Untersuchungen
einbeziehen, die insbesondere für Ökonomen essenziell
sind:
1. Was geschieht mit den beobachteten Abweichungen
auf Marktebene? Mitteln sie sich aus, oder bleiben sie
auch auf dieser Ebene als systematische Abweichungen bestehen? Können sie von anderen (rationaleren)
Marktteilnehmern ausgenutzt werden? Beeinflussen
sie dabei das Marktgeschehen (also beispielsweise die
Aktienkurse)?
2. Verändern sich die Abweichungen vom rationalen
Entscheidungsmodell, wenn der Entscheider durch
Erfahrung lernen kann? Lernt also beispielsweise ein
Anleger einen rationaleren Umgang mit Informationen, nachdem er Rückmeldungen über den Erfolg oder
Misserfolg seines bisherigen Vorgehens bekommen
hat?
Die Beantwortung beider Fragen bedeutet aufwändigere
Untersuchungsdesigns als sie in der bisherigen finanzpsychologischen Forschung üblich sind, da neben der individuellen auch die kollektive Ebene einbezogen werden und
zudem eine Betrachtung der relevanten Verhaltensweisen
über längere Zeiträume erfolgen müsste. Der Aufwand
wäre aber aus unserer Sicht lohnenswert, da die so gewonnenen Erkenntnisse uns helfen würden, besonders bedeutsame von weniger bedeutsamen Phänomenen zu trennen
und so vielleicht auch Grundlagen für Interventionen zu
schaffen, um Menschen einen (noch) besseren Umgang
mit Geld zu ermöglichen.
??
Kontrollfragen
1. Vor zwei Monaten hat Herr Centmeyer sich
entschieden, sein Auto für den anstehenden TÜV
letztmalig aufwändig reparieren lassen. Leider
kommt es einige Zeit später auf dem Parkplatz
eines Supermarkts zu einem Auffahrunfall. Die nun
nötigen Reparaturen übersteigen den Restwert
des Autos bei Weitem. Trotzdem entscheidet sich
Herr Centmeyer für eine Reparatur. Wie lässt sich
diese Verhaltensintention von Herrn Centmeyer
finanzpsychologisch erklären?
2. Durch welche drei Dimensionen wird die Preiswahrnehmung des Menschen bestimmt und wie
sind diese definiert?
3. Welche Arten von Referenzpreisen werden unterschieden?
4. Welche drei Prozesse führen zu Selbstüberschätzung bei Anlegern?
5. Welche zentrale Gemeinsamkeit gibt es zwischen
der SEU-Theorie und der Prospect-Theorie? Welche
entscheidende Erweiterung wurde bei der Prospect-Theorie vorgenommen?
Fazit
Sowohl in den Grundlagen- als auch in den Anwendungsbereichen der Finanzpsychologie gewinnt die finanzpsychologische
Analyse menschlichen Urteilens und Entscheidens im Umgang
mit Geld besondere Bedeutung durch den Vergleich mit dem
strikt rationalen Modell des Homo oeconomicus. Dabei zeigt
sich eine Reihe systematischer und gut vorhersagbarer Abweichungen tatsächlichen finanzbezogenen Urteilens und
Entscheidens vom Rationalmodell: In der Geldwahrnehmung
203
Literatur
wird beispielsweise oftmals zu sehr auf den nominalen Geldwert (also auf die reine Zahl) geachtet (Geldillusion). Ebenso
basiert die Preiswahrnehmung oft nicht auf einer intensiven
Elaboration aller preisrelevanten Merkmale eines Produkts
oder einer Dienstleistung, sondern auf dem Vergleich mit Referenzpreisen (Preisverankerung), wobei irrelevante Merkmale
zu systematischen Verzerrungen führen können. Abhängig
von ihren Erwartungen unter- oder überschätzen Menschen
die Inflationsrate systematisch, wie sich deutlich an der „Teuro-Illusion“ gezeigt hat (▶ Beispiel). Finanzbezogene Entscheidungen werden vielfach nicht nach dem reinen ökonomischen
Nutzenkalkül getroffen, sondern durch Heuristiken verkürzt,
und je nach subjektivem Gewinn- oder Verlusterleben kann
Risikoscheu in Risikofreude umschlagen.
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11
207
Gesundheit in Wirtschaft
und Gesellschaft
Georg Bauer, Gregor Jenny
12.1
Einführung – 208
12.1.1
12.1.2
12.1.3
Gesundheitsbegriff – 208
Rahmenmodell zur Gesundheitsentwicklung – 209
Gesundheitsdynamik in der Gesellschaft – 210
12.2
Gesundheit und Gesundheitsdeterminanten
des Individuums – 210
12.2.1
12.2.2
12.2.3
12.2.4
12.2.5
Konzepte und Messung von Gesundheit und Krankheit – 210
Gesundheitskompetenzen – 211
Selbstwirksamkeitserwartung – 212
Gesundheitsverhalten und Lebensstil – 212
Salutogenese und Stressbewältigung – 215
12.3
Gesundheit und Gesundheitsdeterminanten
in der Gesellschaft – 215
12.3.1
12.3.2
12.3.3
Gesundheit von Bevölkerungsgruppen (Epidemiologie) – 215
Gesundheitliche Ungleichheit zwischen Bevölkerungsgruppen – 216
Öffentliche Prävention und Gesundheitsförderung – 217
12.4
Gesundheit und Volkswirtschaft – 218
12.4.1
12.4.2
Direkte und indirekte Kosten von Erkrankungen – 218
Gesundheitsökonomie – 218
12.4.3
Staatliche und privatwirtschaftliche Gesundheitsversorgung – 219
12.5
Gesundheit im Unternehmen – 219
12.5.1
12.5.2
Arbeitsbezogene gesundheitliche Belastungen und Ressourcen – 219
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) – 220
12.6
Ausblick – 223
Literatur – 224
K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie, Springer-Lehrbuch,
DOI 10.1007/978-3-662-43576-2_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
12
Kapitel 12 • Gesundheit in Wirtschaft und Gesellschaft
208
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22
Gesundheit ist ein vielschichtiges Thema. Gesundheit wird
durch das individuelle Erleben und Verhalten bestimmt, aber
ebenso von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beeinflusst. Gesundheit ist ein Wirtschaftsfaktor: Fehlende Gesundheit verursacht einerseits volks- und
betriebswirtschaftliche Kosten, andererseits boomt der privatwirtschaftliche Gesundheitsmarkt. Die Gesellschaftsbereiche, über die sich Gesundheit beeinflussen lässt, gehen
mittlerweile weit über das Krankheitsversorgungssystem
hinaus – Prävention und Gesundheitsförderung finden im
Alltag und zunehmend auch in der Arbeitswelt statt. Dieses
Kapitel beschäftigt sich interdisziplinär mit der individuellen
„Ressource Gesundheit“ und ihrem breiteren Stellenwert in
Wirtschaft und Gesellschaft.
12.1
12.1.1
diskussion einen zentralen Platz haben und dieses Kapitel
begleiten werden:
-
Einführung
Gesundheitsbegriff
Die Weltgesundheitsorganisation WHO formulierte bereits im Jahr 1946, dass Gesundheit nicht nur das „Freisein von Krankheit und Gebrechen“, sondern ein „Zustand
vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ ist. Gesundheit wird hier zum ersten Mal als
multidimensionales Konzept beschrieben, das nicht nur
körperliche, sondern gleichermaßen psychische und soziale Faktoren einbezieht. Diese biopsychosoziale Sichtweise ist der Kern moderner Gesundheitsdefinitionen.
Die WHO hat ihre erste Gesundheitsdefinition, welche
in ihrem Tenor eher statisch und utopisch ist („vollständiges Wohlbefinden“), 40 Jahre später mit der Ottawa-Charta
zur Gesundheitsförderung erweitert. Gesundheit und Gesundheitsförderung werden nun dynamischer definiert
(Ottawa-Charta, 1986):
Gesundheit steht für ein positives Konzept, das die
Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für
die Gesundheit ebenso betont wie die körperlichen
Fähigkeiten.
Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen
Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung
über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit
zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.
Die Verantwortung für Gesundheitsförderung liegt
deshalb nicht nur bei dem Gesundheitssektor, sondern bei allen Politikbereichen (…).
Ein guter Gesundheitszustand ist eine wesentliche
Bedingung für soziale, ökonomische und persönliche
Entwicklung und entscheidender Bestandteil der
-
Lebensqualität.
Mit diesen Ausschnitten aus der Ottawa-Charta werden
weitere Stichworte geliefert, die heute in der Gesundheits-
-
Positives Konzept von Gesundheit und Lebensqualität: Die Konzeption von Gesundheit in Abgrenzung
zur Negativdefinition („Abwesenheit von Krankheit“)
äußert sich in positiven Konstrukten wie „Wohlbefinden“ oder „Handlungsfähigkeit“ (siehe z. B. Faltermaier, 2005). Die körperliche, psychische und soziale
Gesundheit einer Person wird so zum integralen
Bestandteil ihrer Lebensqualität.
Ressourcenorientierung und ▶ Salutogenese: Mit
dem positiven Konzept von Gesundheit stellt sich
nicht mehr die Frage, welche Risikofaktoren Menschen krank machen (Pathogenese), sondern: „Was
erhält den Menschen (trotz allem) gesund?“ Als
Antwort darauf hat Antonovsky (1979) das Salutogenesekonzept entwickelt. Die Salutogenese beschreibt
personale und soziale Ressourcen, die Belastungen
erfolgreich bewältigen helfen und die Gesundheit
fördern.
▶ Gesundheitskompetenzen und Empowerment:
Das Anliegen, dem Menschen ein höheres Maß an
Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit zu
ermöglichen, entstammt dem Bild eines aktiven
Bürgers. Eine wichtige individuelle Ressource hierfür
ist die Gesundheitskompetenz, d. h. die Fähigkeit,
Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die
eigene Gesundheit auswirken (Kickbusch, 2006).
Darüber hinaus sollen die Bürger aber auch befähigt
und ermächtigt werden, vermehrt Einfluss auf gesundheitsförderliche Lebensbedingungen zu nehmen
(„Empowerment“).
Gesundheitsverantwortung: Verantwortlich für
die Gesundheit ist nicht nur der aktive Bürger
selbst, sondern jeder Gesellschaftsbereich, der auf
die Gesundheit des Menschen einwirkt: Die erweiterte Gesundheitsverantwortung umfasst neben der
Eigenverantwortung des Einzelnen den schützenden
bzw. fordernden Staat mit seiner Gesundheits-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, das auf Prävention
ausgerichtete Versorgungssystem sowie die verantwortungsvolle Wirtschaft (Kickbusch, 2006; vgl. auch
Ulrich & Maak, 2000).
Zusammenfassend ergibt sich aus diesen Konzepten ein
dynamisches Verständnis von Gesundheit als Prozess und
nicht als Zustand. Basierend auf system- und handlungstheoretischen Modellannahmen lässt sich „Gesundsein“
definieren als ein konstruktiver Prozess der Selbstorganisation und der Selbsterneuerung einer Person innerhalb
ihrer Umwelt (Udris, 2006).
209
12.1 • Einführung
Ressourcen
Risikofaktoren
Sozioökologische Umwelt
Gesundheitsschutz
Umweltbezogene
Gesundheitsdeterminanten
Gesundheitsförderung
Individuum
psychisch
Individuelle
Gesundheitsdeterminanten
Prävention
sozial
Gesundheitszustand
Medizinische
Versorgung
körperlich
Positive Gesundheit
Salutogenese
Krankheit
Analytische Perspektiven zur
Gesundheitsentwicklung
Pathogenese
.. Abb. 12.1 Gesundheitsentwicklungsmodell (Bauer et al., 2006, S. 155, by permission of Oxford University Press)
12.1.2
Rahmenmodell
zur Gesundheitsentwicklung
Die erörterten Aspekte des modernen Gesundheitsbegriffs
sind im Gesundheitsentwicklungsmodell zusammengefasst (Bauer et al., 2006), welches hier als übergeordnetes
Rahmenmodell für die weitere Auseinandersetzung mit
dem Thema Gesundheit dient (. Abb. 12.1).
Im Zentrum des Modells stehen die körperlichen, psychischen und sozialen Dimensionen des Gesundheitszustandes, die im Wechselspiel zueinander stehen. So wird
z. B. ein glücklicher Mensch (psychische Gesundheit)
aktiver und offener auf andere zugehen und durch solche
Verhaltensweisen stärker sozial eingebettet sein (soziale
Gesundheit). Sozial eingebettet sein wirkt wiederum protektiv auf die körperliche Gesundheit, in Form von Unterstützung bei schwierigen Lebenssituationen, die zu chronischen Stresszuständen führen, u. ä. Analog sind entlang
dieser drei Dimensionen individuelle Einflussfaktoren auf
die Gesundheit abgebildet (individuelle Gesundheitsdeterminanten), welche mit den Gesundheitsdimensionen
im Wechselspiel stehen: So kann sich z. B. regelmäßige Bewegung positiv auf das psychische Wohlbefinden, auf die
körperliche Fitness und die sozialen Kontakte auswirken.
Als individuelle Gesundheitsdeterminanten gelten neben
nicht veränderbaren Aspekten wie Alter, Geschlecht, genetische Dispositionen, körperliche Grundkonstitution
oder Persönlichkeitsstruktur auch veränderbare Faktoren
wie spezifische Verhaltensweisen und Lebensstil (▶ Abschn. 12.2.4), Selbstwirksamkeitserwartung hinsichtlich gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen (▶ Abschn. 12.2.3),
Gesundheitskompetenzen (▶ Abschn. 12.2.2) und grundlegende Aspekte wie Bildungsgrad, Einkommen oder berufliche Position (Hurrelmann, 2003).
Die Gesundheit des Individuums ist darüber hinaus
von umweltbezogenen Faktoren beeinflusst (umweltbezogene Gesundheitsdeterminanten). Diese umfassen
z. B. die wirtschaftliche Lage, die Wohnverhältnisse oder
die Arbeitsbedingungen und -anforderungen. Unter den
umweltbezogenen Faktoren wird auch das Gesundheitsversorgungssystem eingeordnet.
Das Modell zeigt, wie das Individuum mit seinen individuellen Gesundheitsdeterminanten in Interaktion mit
der Umwelt seine Gesundheit im Alltag kontinuierlich
(selbst) reproduziert und entwickelt. Dieser dynamische
Gesundheitsentwicklungsprozess lässt sich nun einerseits
aus der pathogenetischen Perspektive betrachten, welche
die Auswirkungen von Belastungen und Risikofaktoren
auf die Entstehung von Krankheit untersucht. Dagegen
betrachtet die Salutogenese, wie sich die Ressourcen einer
12
210
Kapitel 12 • Gesundheit in Wirtschaft und Gesellschaft
12
Person und ihrer Umwelt auf die Entwicklung positiver
Gesundheit (z. B. Wohlbefinden, körperliche Fitness) auswirken können. Im Alltag wirken Belastungen und Ressourcen kontinuierlich und parallel auf den Menschen
ein. Je nachdem, ob pathogenetische oder salutogenetische
Prozesse überwiegen, wird mehr Krankheit oder positive
Gesundheit entstehen. Somit zeigt das Modell zusammenfassend, dass Gesundheit ein dynamisches Gleichgewicht
zwischen den drei Dimensionen von Gesundheit, zwischen
dem Mensch und seiner Umwelt, sowie den Belastungen
und Ressourcen in dieser Umwelt darstellt.
Gleichzeitig illustriert das Modell, welche Interventionsansätze die Gesundheitsentwicklung beeinflussen
können. Gesundheitsschutz und Prävention setzen bei den
gesundheitlichen Risiken an, wobei Prävention i. d. R. auf
die Vermeidung spezifischer Erkrankungen, etwa auf die
Reduktion der Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Vermeidung schädigender Lebensweisen z. B. durch Tabakprävention, ausgerichtet ist. Gesundheitsschutz umfasst
Maßnahmen, die ohne eine aktive Verhaltensänderung
wirksam werden, wie beispielsweise Unfallprävention
durch technische Verbesserungen oder Kariesprophylaxe
durch Trinkwasserfluoridierung. Die medizinische Versorgung setzt dagegen erst nach Eintritt einer Erkrankung
ein. Die ▶ Gesundheitsförderung zielt dagegen auf die
Förderung individueller und umweltbezogener Ressourcen ab und will damit die Entwicklung positiver Gesundheit stärken.
13
12.1.3
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2
3
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22
Gesundheitsdynamik
in der Gesellschaft
Das Verständnis von Gesundheit als dynamische Balance
zwischen Person und Umwelt sowie die damit einhergehende erweiterte Verantwortung machen Gesundheit zu
einem gesellschaftlichen Thema. Die Gesundheitsdynamik
in der modernen Gesellschaft wird durch sechs Trends
bestimmt (nach Kickbusch, 2006; vgl. auch Rosenbrock,
2001):
1. Die Lebenserwartung hat zugenommen, und die
Menschen sind länger gesund. Die durchschnittliche
Lebenserwartung bei Geburt hat sich in Deutschland zwischen 1871 und 2011 verdoppelt: von 36 auf
78 Jahre für Männer und von 38 auf 83 Jahre für Frauen
(Statistisches Bundesamt, 2012).
2. Das Krankheitsspektrum hat sich zu chronischen
Krankheiten verschoben, welche z. T. vermeidbar
wären. In der Schweiz waren im Jahr 1901 Infektionskrankheiten (inkl. Tuberkulose) die häufigste Todesursache (Bopp & Paccaud, 2007). 2011 waren es
Krankheiten des Kreislaufsystems (Bundesamt für
Statistik, 2013).
3. Mit der Globalisierung entstehen neue Gesundheitsrisiken. Einerseits erhöht sich z. B. das Pandemierisiko
durch Viren wie SARS oder „Vogelgrippe“, andererseits
verstärken sich psychosoziale Belastungen durch die
zunehmende Unberechenbarkeit der Markt- und Arbeitsverhältnisse sowie eine Beschleunigung und Verdichtung der Arbeit (Angst vor Arbeitsplatzverlust,
Hilflosigkeit u. a.; Rantanen, 2001, zitiert nach Ulich &
Wülser, 2004).
4. Das (halbstaatliche) Versorgungssystem nimmt einen immer größeren Teil am Bruttoinlandsprodukt
(BIP) ein. 2011 beanspruchte das Gesundheitswesen in
Deutschland 11,3 % des BIP (Statistisches Bundesamt,
2014).
5. Der privatwirtschaftliche Gesundheitsmarkt expandiert und ist zu einem wichtigen Faktor des
Wirtschaftswachstums geworden. 2002 umfasste der
Schweizer Gesundheitssektor 17 % der Gesamtbeschäftigung, die Bruttowertschöpfung wurde auf 59 Mrd.
Franken geschätzt (Infras, 2006).
6. Das Interesse an der Gesundheit hat signifikant zugenommen – öffentlich wie privat. So wurde der Umsatz
des Wellnessmarkts 2008 in Deutschland auf 73 Mrd.
Euro geschätzt (TNS Infratest, 2008).
Aus Sicht der öffentlichen Gesundheit (Public Health) ist
zu beachten, dass trotz zunehmender Gesundheitsausgaben und erhöhter Lebenserwartung nach wie vor starke und
teilweise sogar zunehmende Unterschiede hinsichtlich Erkrankungshäufigkeiten und Lebenserwartung zwischen den
sozialen Schichten bestehen (vgl. Siegrist & Marmot, 2006).
12.2
12.2.1
Gesundheit
und Gesundheitsdeterminanten
des Individuums
Konzepte und Messung
von Gesundheit und Krankheit
Gesundheit ist ein interdisziplinärer Forschungsgegenstand, mit dem sich u. a. die Psychologie, Soziologie, (New)
Public Health sowie Sozial- und Präventivmedizin befassen
(z. B. Hurrelmann, 2003). Diese Disziplinen konzeptualisieren und messen sowohl den Gesundheitszustand als
auch die individuellen und umweltbezogenen Gesundheitsdeterminanten (Ressourcen/Risikofaktoren) sehr unterschiedlich – eindeutig und zweifelsfrei zu erfassen ist
nur das Todesereignis (Bopp & Paccaud, 2007).
Um die Vielschichtigkeit der biopsychosozialen Gesundheit zu erfassen und abzubilden, wurden Konzepte
entwickelt, die mehrere Achsen (positiv/negativ) und Dimensionen (physisch/psychisch/sozial) umfassen. So ope-
211
12.2 • Gesundheit und Gesundheitsdeterminanten des Individuums
rationalisiert beispielsweise Faltermaier (2005) Gesundheit
mittels einer 3 × 3-Matrix:
Befinden (Wohlbefinden/Stärke): körperliches
Wohlbefinden, psychisches Wohlbefinden (zufrieden,
voller Lebensfreude, glücklich sein etc.), soziales
Wohlbefinden (Harmonie, Eingebundensein in befriedigende Beziehungen)
Aktionspotenzial (Handlungs-/Leistungsfähigkeit):
körperliche Fitness, geistige Leistungsfähigkeit, Erfüllung sozialer Rollen (im Beruf, in der Familie etc.)
Maß an Störungen (Beschwerden/Schmerzen/Probleme/Krankheit): diagnostizierte Krankheit, körperliche und psychische Beschwerden, Einschränkung in
der sozialen Funktionsfähigkeit
-
Solche Konzepte bringen zum Ausdruck, dass eine Person
zwar durch Krankheit z. B. körperlich stark eingeschränkt
sein kann, aber dennoch über ausgeprägte Lebensfreude
und geistige Leistungsfähigkeit verfügen sowie unterschiedliche soziale Rollen erfüllen kann. Empirisch wurde
diese Zweidimensionalität bereits für mentale Gesundheit
und Krankheit nachgewiesen (Keyes, 2014). Des Weiteren
sind Datenbanken für positive Gesundheitsindikatoren
entstanden (▶ https://www.zotero.org/groups/positive_health_indicators/items).
Beispiele für Messinstrumente
Befinden (Wohlbefinden/Stärke): Ein Überblick zu
mehr als 50 Messinstrumenten von Wohlbefinden
findet sich bei Mayring (2003). Die „positive Psychologie“ (Seligman, 2008) – welche analog zur Gesundheitsforschung den Blick vom negativen zum positiven
Befinden gewendet hat – verwendet Konstrukte wie
das Arbeitsengagement (Schaufeli & Bakker, 2004) oder
den (tätigkeitsbezogenen) Flow (Schallberger, 2006).
Die „World Database of Happiness“ (▶ http://www1.
eur.nl/fsw/happiness/) listet Hunderte von Varianten
zur Erfassung des Lebensglücks und der Lebenszufriedenheit auf.
Aktionspotenzial (Handlungs-/Leistungsfähigkeit):
Die Handlungs- und Leistungsfähigkeit wird ebenfalls
oft kontextspezifisch gemessen: Die arbeitsbezogene
Funktionsfähigkeit ist z. B. Gegenstand des Work Ability
Index (WAI; Tuomi et al., 2006).
Maß an Störungen (Beschwerden/Schmerzen/
Probleme/Krankheit): Krankheiten werden durch Experten anhand eines Klassifikationssystems wie der ICD
(International Classification of Diseases) diagnostiziert
und kategorisiert. Für Beschwerden stehen standardisierte Erhebungsinstrumente wie die Freiburger
Beschwerdeliste zur Verfügung (Fahrenberg, 1994).
Die genannten Beispiele zeigen, dass man Gesundheit
als wesentliche Voraussetzung für und Bestandteil von
Lebensqualität kontextspezifisch für eine Lebensdomäne
wie die Arbeit konzeptualisieren und messen kann (z. B.
Arbeitsengagement, Arbeitsfähigkeit, arbeitsbedingte
Rückenschmerzen) oder aber generell (z. B. allgemeine
Lebenszufriedenheit, körperliche Fitness, chronische Erkrankungen). Zudem zeigen die Beispiele, dass Gesundheit
zwar individuell erlebt, aber von der Gesellschaft definiert
und gemessen wird. Damit wird Gesundheit auch zu einem
gesellschaftlichen Phänomen, das wissenschaftlichen und
gesellschaftlichen Trends unterworfen ist. So wird derzeit
z. B. das neue, internationale „Diagnostic and Statistical
Manual of Mental Disorders“ (DSM-5) kontrovers diskutiert, da es alltägliche Leidenszustände und Anpassungsprozesse wie verlängerte Trauer zu pathologisieren droht
und somit auch neue Versorgungsansprüche generiert.
12.2.2
Gesundheitskompetenzen
Die Gesundheit eines Individuums entwickelt sich in
kontinuierlicher Interaktion mit seiner Umwelt – in der
Einleitung wurde dieses dynamische Verständnis von
Gesundheit als konstruktiver Prozess der Selbstorganisation und -erneuerung beschrieben und entsprechend im
Gesundheitsentwicklungsmodell skizziert (. Abb. 12.1).
Heute wird jedoch vom Einzelnen verlangt, immer mehr
eigenständige gesundheitsbezogene Entscheidungen zu
treffen: Die Mitentscheidungsmöglichkeit bzw. -pflicht
betrifft z. B. nicht nur Angebote der (Prä-)Diagnostik und
Therapie, sondern auch die Bandbreite möglicher Gesundheitsversicherungen und Angebote der Gesundheitsförderung (Hurrelmann, 2003). Berücksichtigt man zudem die
Informationsflut zu entsprechenden Angeboten und die
Möglichkeit, sich außerhalb der Fachwelt Gesundheitswissen zu erwerben (z. B. im Internet), wird deutlich, dass
tatsächlich neue Kompetenzen gefordert sind. Hierfür
wurde der Begriff „Health Literacy“ bzw. „Gesundheitskompetenz“ geprägt: Ein Individuum oder eine Gruppe
ist fähig, Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf
die eigene Gesundheit auswirken (Kickbusch, 2006). Kickbusch (2006) unterscheidet folgende Kompetenzbereiche
und Gesundheitskompetenzen:
Persönliche Gesundheit (Grundkenntnisse über Gesundheit, Wissen und Anwendung von gesundheitsförderlichem und -bewahrendem Verhalten u. a.)
Systemorientierung (Zurechtfinden im Gesundheitssystem, kompetenter Partner für die Gesundheitsberufe)
Konsumverhalten (Konsum- und Dienstleistungsentscheidungen unter gesundheitlichen Gesichtspunkten treffen, Durchsetzung von Konsumentenrechten)
-
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Kapitel 12 • Gesundheit in Wirtschaft und Gesellschaft
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-
Gesundheitspolitik (informiert gesundheitspolitisch
Arbeitswelt (Vermeidung von Unfällen und Be-
Diese unterschiedlichen Kompetenzbereiche sollen gefördert und auch gefordert werden, da sie Voraussetzung
für präventives Gesundheitsverhalten sowie eine gesundheitsförderliche Lebensweise und Lebensbedingungen
sind. Eine Schweizer Studie zur Gesundheitskompetenz
zeigte auf, dass 85 % der Befragten eine aktive Rolle in der
medizinischen Entscheidungsfindung spielen möchten,
aber nur 49 % diese aktive Rolle bei ihrem Hausarzt auch
wirklich wahrnehmen können (Wang & Schmid, 2006).
Heute werden verschiedene Strategien zur Stärkung der
Gesundheitskompetenzen diskutiert (Hurrelmann, 2003;
Kickbusch, 2006), z. B. die verbesserte und insbesondere
zielgruppengerechte Bereitstellung von Informationen
oder kommunale Trainingsprogramme unter Verwendung
entsprechend erarbeiteter Materialen. Solche Programme
leisten auch einen Beitrag, die gesundheitliche Schere zwischen „den Kompetenten“ und „den Inkompetenten“ bzw.
zwischen den unterschiedlichen sozialen Gesellschaftsschichten zu reduzieren (▶ Abschn. 12.3.2).
12.2.3
13
Im Salutogenesekonzept werden verschiedene Gesundheitsressourcen definiert, die als dauerhafte Merkmale und
Kräfte einer Person sowie seiner Umwelt einen positiven
Einfluss auf die Gesundheitsentwicklung haben. Faltermeier (2005) kategorisiert diese Ressourcen in Anlehnung
an die Arbeiten von Antonovsky in personal-psychische,
sozial-interpersonale, körperlich-konstitutionelle, soziokulturelle sowie materielle und benennt entsprechende
Konzepte (. Tab. 12.1). Im folgenden Abschnitt wird aus
der Fülle von Ressourcen exemplarisch das Kernkonzept
der Selbstwirksamkeitserwartung als wichtige personal-psychische, individuelle Gesundheitsdeterminante
betrachtet. Weitere Informationen zu diesem und anderen
Konzepten sowie empirische Befunde finden sich z. B. bei
Schwarzer (2005).
Die Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) gehört zu den
Standardkonzepten der Psychologie und wird als wichtiges
Element der erfolgreichen Selbstregulation betrachtet. Die
SWE ist die subjektive Gewissheit, Anforderungssituationen aufgrund der eigenen Kompetenz bewältigen zu können oder eine schwierige Handlung beginnen und zu Ende
führen zu können (Schwarzer, 2004). Dabei wird zwischen
allgemeiner und situationsspezifischer SWE unterschieden, die wie folgt operationalisiert werden:
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Personal-­
psychisch
rufskrankheiten, Einsatz für gesundheitsförderliche
Arbeitsbedingungen und Work-Life-Balance)
12
14
.. Tab. 12.1 Gesundheitsressourcen (Faltermaier, 2005)
handeln)
Selbstwirksamkeitserwartung
Persönlichkeitsmerkmale
Kontrollüberzeugung, Selbstwirksamkeitserwartung, Optimismus, Gesundheitswissen,
Intelligenz, Widerstandsfähigkeit, Selbstwertgefühl, Ich-Identität
Handlungskompetenzen
Copingstrategien, soziale Kompetenzen,
präventive Lebensorientierung
-
Sozial-­
interpersonal
Soziale Unterstützung
Soziale Netzwerke, Vertrauensbeziehungen
Körperlich-­
konstitutionell
Immunkompetenz
Stabilität des vegetativen/kardiovaskulären Systems
Körperliche Fitness
Körpergefühl
Soziokulturell
Kulturelle Stabilität
Religiöse/philosophische Überzeugungen
Materiell
Vermögen, Güter, u. a.
Allgemeine SWE: „Wenn ein Problem auftaucht, kann
ich es aus eigener Kraft meistern/Die Lösung schwieriger Probleme gelingt mir immer, wenn ich mich
darum bemühe“ (Jerusalem & Schwarzer, 1999).
Situationsspezifische SWE hinsichtlich eines gesundheitsrelevanten Verhaltens, z. B. des Rauchens:
„Ich könnte auch dann dem Rauchen widerstehen,
… wenn ich in einer geselligen Runde bin, in der
geraucht wird/… wenn ich mich angespannt oder
nervös fühle“ (Schwarzer, 2004).
Die SWE beruht auf der Einschätzung der eigenen Handlungsmöglichkeiten. Entsprechend ist die stärkste Quelle
der SWE die internal attribuierte, erfolgreiche Ausführung
einer (Bewältigungs-)Handlung. In ▶ Kap. 15 werden verschiedene Trainingsmaßnahmen beschrieben, um die SWE
zu fördern. Der folgende Abschnitt zeigt, dass das Gesundheitsverhalten und der breitere, gesundheitsrelevante Lebensstil neben der SWE von verschiedenen weiteren Faktoren beeinflusst werden.
12.2.4
Gesundheitsverhalten
und Lebensstil
Der Wunsch, „ungesunde“ Verhaltensweisen zu erklären, zu prognostizieren und zu verändern, motivierte die
psychologische Forschung zur Entwicklung von theoretischen Modellen, in denen Einflussgrößen und Wirkmechanismen des Gesundheitsverhaltens abgebildet werden
213
12.2 • Gesundheit und Gesundheitsdeterminanten des Individuums
Überzeugungen über
Verhaltenskonsequenzen
Bewertung der
Verhaltenskonsequenzen
Überzeugungen über die
Erwartungen signifikanter Anderer
Einstellung
subjektive Norm
Intention
Verhalten
Einwilligungsbereitschaft
Kontrollüberzeugungen
subjektive Stärke, mit der internale
und externale Faktoren das
Verhalten behindern oder fördern
wahrgenommene
Verhaltenskontrolle
.. Abb. 12.2 Die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985, 2002; aus Scholz & Schwarzer, 2005, S. 394)
(Stroebe & Stroebe, 1998). Die meisten der nachfolgend
genannten Modelle wurden explizit als Modelle des Gesundheitsverhaltens entwickelt, andere stammen aus der
handlungs-/motivationspsychologischen Forschung und
wurden auf den Gesundheitsbereich angewandt.
Gesundheitsverhalten umfasst alle Verhaltensweisen, die sich auf die Gesundheit auswirken können, wie
körperliche Aktivität, gesunde Ernährung oder bewusste
Entspannung, aber auch die Inanspruchnahme von Früh­
erkennungsmaßnahmen und die Kooperation mit Gesundheitsexperten. Der Verzicht auf gesundheitsschädliches oder -bedrohliches Verhalten wie Rauchen, riskantes
Sexualverhalten oder übermäßigen Alkohol- und Drogenkonsum kann ebenfalls hierzu gezählt werden. Dabei
muss Gesundheitsverhalten nicht immer bewusst auf die
Erhaltung oder Förderung der Gesundheit ausgerichtet
sein. So kann z. B. körperliche Bewegung aus der Arbeit,
Drogenverzicht aus religiösen Motiven oder Entspannung
aus spirituellen Praktiken resultieren. Faltermaier (2005)
unterscheidet zudem zwischen Gesundheitsverhalten und
Gesundheitshandeln: Modelle des Gesundheitsverhaltens
betrachten aufgrund isolierter Variablen eng umgrenzte
Verhaltensweisen (z. B. Auftragen von Sonnencreme),
während das Gesundheitshandeln ein breiter Komplex
von Aktivitäten und Ausdruck einer aktiven Lebensweise
ist. Diese resultiert aus der subjektiven Konstruktion von
Gesundheit, d. h. aus den (handlungswirksamen) Gesundheitskonzepten/-theorien eines Individuums.
Nachfolgend werden zwei unterschiedliche Modelltypen des Gesundheitsverhaltens exemplarisch dargestellt:
kontinuierliche Prädiktionsmodelle und dynamische Stadienmodelle.
Kontinuierliche Prädiktionsmodelle
Den kontinuierlichen Modellen des Gesundheitsverhaltens liegen Hypothesen zugrunde, in welcher Weise einzelne Variablen das Gesundheitsverhalten verändern bzw.
auf dem Kontinuum der Verhaltenswahrscheinlichkeit
verschieben. Diese Variablen sind als Prädiktoren der Intentionsbildung und des Verhaltens konzeptualisiert; sie
umfassen individuelle Gesundheitsdeterminanten wie z. B.
Kontrollüberzeugungen, Selbstwirksamkeitserwartung
oder soziale Unterstützung (. Tab. 12.1).
Zu den kontinuierlichen Prädiktionsmodellen gehören
u. a. die Theorie der Schutzmotivation („protection motivation theory“, PMT) von Rogers (▶ Kap. 4), die sozial-kognitive Theorie von Bandura (▶ Kap. 15) und die Theorie
des geplanten Verhaltens („theory of planned behavior“,
TPB) von Ajzen (2002). Letztere wird hier im Kontext gesundheitsbezogenen Verhaltens beispielhaft vorgestellt (s.
auch ▶ Kap. 2). Die TPB enthält drei Prädiktorvariablen:
Einstellung, subjektive Norm und wahrgenommene Verhaltenskontrolle (. Abb. 12.2).
Die Einstellung wird als affektive Bewertung des geplanten Verhaltens verstanden (Scholz & Schwarzer, 2005).
Sie entsteht aus den – hier gesundheitsbezogenen – Überzeugungen über die Verhaltenskonsequenzen (= Handlungsergebniserwartungen), z. B. „Wenn ich Sport treibe,
werde ich abnehmen, mich fitter fühlen und gesünder sein“,
und der Bewertung dieser Konsequenzen, z. B. „Schlank,
fit und gesund zu sein, ist erstrebenswert“.
Die subjektive Norm bildet sich aus den Erwartungen
anderer, bedeutsamer Personen, z. B. „Meine Familie und
Freunde meinen, ich sollte mehr Sport treiben“, und der
Bereitschaft, in diese Erwartungen einzuwilligen, z. B. „Ich
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22
Kapitel 12 • Gesundheit in Wirtschaft und Gesellschaft
will tun, was sie von mir erwarten“ (Beispiele aus Stroebe
& Stroebe, 1998).
Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle ähnelt der
SWE und beeinflusst im Modell nicht nur die Intention,
sondern auch das Verhalten direkt. Sie setzt sich zusammen
aus unterschiedlichen Kontrollfaktoren, im Modell Kontrollüberzeugungen genannt, z. B. „Ich habe keine richtige
Sportausrüstung, um Sport zu treiben“, und der subjektiven Stärke, mit der solche internen und externen Faktoren
das Verhalten behindern oder fördern, z. B. „Ohne richtige
Sportausrüstung ist es für mich sehr schwierig, Sport zu
treiben“ (Beispiel nach Ajzen, 2002).
.. Tab. 12.2 „Stages of Change“ des transtheoretischen Modells (TTM) am Beispiel „Rauchen“
1
Sorglosigkeit („precontemplation“)
Das Rauchen wird nicht als
Problem betrachtet und es
besteht auch keine Absicht, in
den nächsten Monaten damit
aufzuhören.
2
Bewusstwerden
(„contemplation“)
Es wird ernsthaft darüber
nachgedacht, innerhalb der
nächsten 6 Monate mit dem
Rauchen aufzuhören.
3
Vorbereitung
(„preparation“)
Das Rauchen soll innerhalb der
nächsten 30 Tage aufgegeben
werden.
4
Handlung
(„action“)
Das Rauchen wurde seit weniger als 6 Monaten aufgegeben.
5
Aufrechterhaltung
(„maintenance“)
Das Rauchen wurde seit mehr
als 6 Monaten aufgegeben.
Dynamische Stadienmodelle
Die dynamischen Stadienmodelle bilden unterschiedliche
Phasen ab, die eine Person im Prozess der Verhaltensänderung durchläuft. Diese Phasen respektive Stadien sind
als zeitliche Sequenz konzeptualisiert und unterscheiden
sich qualitativ voneinander. Als dynamisches Stadienmodell gilt z. B. das Transtheoretische Modell der Verhaltensänderung (TTM) von Prochaska und DiClemente
(1983).
Das TTM gilt als Initiator der dynamischen Stadienmodelle und ist das am häufigsten angewendete Modell
in der Gesundheitsförderung. Das TTM operationalisiert
fünf Stadien (Stages of Change), die durch einen zeitlichen
Rahmen definiert sind. Am Beispiel des Versuchs, mit dem
Rauchen aufzuhören, sollen diese Stadien dargestellt werden (. Tab. 12.2).
In jeder Phase wägt die Person Pro- und Kontraargumente bezüglich des zu verändernden Verhaltens gegeneinander ab. Zudem bewirken kognitiv-affektive Prozesse
(z. B. Bewusstseinserhöhung, Neubewertung der eigenen
Person) und verhaltensorientierte Prozesse (z. B. Gegenkonditionierung, Reizkontrolle) das Fortschreiten von
einer Stufe zur nächsten (vgl. z. B. Scholz & Schwarzer,
2005). Die Autoren des TTM haben diese Prozesse aus
unterschiedlichen psychotherapeutischen Interventionen zusammengestellt und modifiziert, daher der Begriff
„transtheoretisch“. Auf der Basis des TTM werden stufengerechte Interventionen entwickelt: Raucher, die sich in
der ersten Phase der Sorglosigkeit befinden, erhalten z. B.
eine kurze Information über die Vorteile des Nichtrauchens, während Rauchern in der Handlungsphase Unterstützung des neuen Verhaltens angeboten wird, z. B. durch
das Einüben alternativer Entspannungsrituale.
Lebensstil
Wie das Gesundheitsentwicklungsmodell (. Abb. 12.1)
deutlich macht, sind gesundheitlich relevante Verhaltensweisen in ein komplexes „Lebensmodell“ eingebunden
und mit der generelle Lebensweise eines Menschen verknüpft, welche durch soziale, kulturelle und ökologische
Dimensionen (Ressourcen wie Risiken) mitbestimmt
ist. In den 70er Jahren hat die Alameda County-Studie
sieben konkrete, gesundheitsrelevante Verhaltensweisen
identifiziert und zu einem „gesunden vs. ungesunden
Lebensstil“ zusammengefasst (z. B. Stroebe & Stroebe,
1998): 7–8 Stunden Schlaf, nicht rauchen, regelmäßig
frühstücken, mäßiger Alkoholkonsum (max. 1–3 Drinks
pro Tag), regelmäßige Bewegung, keine bzw. wenige
Zwischenmahlzeiten, maximal 10 % Übergewicht. Nach
knapp 10 Jahren betrug die Todesrate jener Personen, die
alle 7 Punkte erfüllten – also einen „gesunden Lebensstil“
pflegten – nur 28 % (Männer) bzw. 43 % (Frauen) der Todesrate jener Personen, die 0–3 Punkte erfüllten – also
„ungesund“ lebten. Hinsichtlich eines gesundheitsförderlichen Lebensstils stehen diese Verhaltensweisen auch heute
noch im Zentrum der Gesundheitsforschung und -beobachtung, weil sie das größte Potenzial zur Verbesserung
der Bevölkerungsgesundheit in sich bergen und mittels
Kampagnen und Beratung konkret angegangen werden
können (Gutzwiller & Paccaud, 2007).
Der Begriff „Lebensweise“ oder „Lebensstil“ bezieht
sich auch auf den marktorientierten „Lifestyle“ bzw.
„Health­style“ (Sigrist, 2006): Was mit der Hinwendung
zur Salutogenese und der positiven Konzeption von Gesundheit (Wohlbefinden, Handlungsfähigkeit) begann,
überbordet heute in der engen Norm des ästhetisierten,
gesunden und jungen Körpers, in omnipräsenten Wellnessangeboten und Fitnessmagazinen sowie in Lifestyledrogen und Discountschönheitschirurgie – „Gesundheit ist
machbar“, im wörtlichen Sinne (Kickbusch, 2006).
215
12.3 • Gesundheit und Gesundheitsdeterminanten in der Gesellschaft
12.2.5
Salutogenese
und Stressbewältigung
Neben dem Gesundheitsverhalten und Lebensstil wirkt
insbesondere auch das Stresserleben zentral auf die Gesundheit des Einzelnen ein. Antonovskys Theorie der Salutogenese (1979) entspringt seiner grundlegenden Position,
dass das Leben – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß
– mit Leid und Ungleichgewicht verbunden ist. Anforderungen, Stressoren und Risiken gehören zum Leben eines
Menschen; die Frage ist für ihn konsequenterweise, wie
der dadurch ausgelöste Spannungszustand bewältigt werden kann, damit er nicht in einen gesundheitsschädlichen
Stresszustand mündet. „Stress“ wird meistens anhand von
drei Kategorien definiert (Zapf & Semmer, 2004):
Situations-/stimulusbezogen in Form von Lebensereignissen, die eine Anpassungsleistung erfordern
-
(Stressor)
Reaktionsbezogen als psychophysiologisches Reaktionsmuster des Organismus (Stressreaktion/-zustand)
Interaktionsbezogen als Wechselspiel zwischen Situ-
ation und Individuum, wofür der Ausdruck „transaktional“ verwendet wird. Der kognitiven Bewertung
einer Situation („appraisal“) folgt die Bewältigungshandlung („coping“), die z. B. problemzentriert
(Veränderung des Stressors) oder emotionszentriert
(Veränderung der belastenden Reaktion, z. B. Entspannung) erfolgt.
Die Bewältigungshandlung erfolgt entlang dem kognitiv-transaktionalen Stressmodell von Lazarus (1999):
Eine Situation/Anforderung wird als Stressor („primary
appraisal I“) und als bedrohlich für das Wohlbefinden
(„primary appraisal II“) eingeschätzt sowie hinsichtlich der
emotionalen und funktionalen Beanspruchung bewertet
(„primary appraisal III“). Gleichzeitig werden die für die
Bewältigungshandlung mobilisierbaren Ressourcen beurteilt („secondary appraisal“) und eingesetzt. Anschließend
erfolgt die Einschätzung des (bei Bedarf zu korrigierenden)
Handlungsverlaufs und des Handlungserfolgs („tertiary
appraisal“).
Das ▶ Kohärenzgefühl (Sense of Coherence, SOC)
wurde von Antonovsky (1979) als zentrale, individuelle
salutogenetische Variable eingeführt, die zwischen den
Gesundheitsressourcen und der Bewältigung von Stressoren vermittelt. Sie besteht aus drei Komponenten (nach
Udris, 2006):
Verstehbarkeit: Verstehe ich, was mit mir und
meinem Umfeld geschieht? Ist meine Lebenswelt
strukturiert, erklärbar und damit auch zu einem gewissen Grad vorhersehbar, oder ist sie chaotisch und
unverständlich?
-
-
Bewältigbarkeit: Habe ich selbst Einfluss auf das
Geschehen? Kann ich mein Umfeld mitgestalten
und bin ihm nicht ausgeliefert? Habe ich die nötigen
Ressourcen, um mit den Anforderungen umzugehen?
Sinnhaftigkeit: Sehe ich einen Sinn in dem, was mit
mir und um mich herum geschieht? Ist es lohnenswert, sich dafür einzusetzen und zu engagieren?
Das Kohärenzgefühl beeinflusst die Wahrnehmung und
Beurteilung von potenziellen Stressoren: Menschen mit
hohem Kohärenzgefühl empfinden hohe Anforderungen
seltener als Stressoren; sie sind in der Lage, flexibler aus
ihren Ressourcen auszuwählen, reagieren zuversichtlicher
und zielstrebiger auf ein Problem und beurteilen den Erfolg ihrer Handlung angemessener (Faltermaier, 2005).
Die erfolgreiche Bewältigungshandlung besitzt für Antonovsky eine salutogenetische Wirkung, die nicht erfolgreiche Bewältigung führt zu einem gesundheitsschädlichen
Stresszustand. In dieser Hinsicht erweitert das Gesundheitsentwicklungsmodell (. Abb. 12.1) den Blickwinkel
der Salutogenese: Das Modell postuliert, dass Ressourcen
neben ihrer indirekten Rolle im Stressbewältigungsprozess
auch einen direkten Einfluss auf die positive Gesundheit
haben.
12.3
Gesundheit
und Gesundheitsdeterminanten
in der Gesellschaft
Betrachtet man die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Gesundheitsentwicklung und den Stellenwert der
Gesundheit in der Gesellschaft aus einer Public-­HealthPerspektive, so stehen Daten zum Gesundheitszustand
und -verhalten der Gesamtbevölkerung im Vordergrund,
welche verbunden werden mit Analysen zu den entsprechenden sozialen und volkswirtschaftlichen Konsequenzen (z. B. zur gesundheitlichen Ungleichheit zwischen
Bevölkerungsgruppen oder zu den Kosten von Erkrankungen). Zudem interessieren die Wirkmechanismen der
Gesundheitsentwicklung auf Bevölkerungsebene, um
gesundheitlich ungünstigen Trends (wie gegenwärtig der
zunehmenden Fettleibigkeit bei Jugendlichen) mit gezielten Präventions- und Gesundheitsförderungskonzepten zu
begegnen.
12.3.1
Gesundheit
von Bevölkerungsgruppen
(Epidemiologie)
Die populationsbezogene Beobachtung des Gesundheitszustands und die Suche nach Faktoren, welche die Gesund-
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Kapitel 12 • Gesundheit in Wirtschaft und Gesellschaft
heit der Bevölkerung beeinflussen, sind Gegenstand der
deskriptiven und analytischen Epidemiologie. Epidemiologische Daten dienen nicht nur der Bestandsaufnahme
(Monitoring) des Gesundheitszustands einer Bevölkerung
(▶ Beispiel), sondern auch der Beurteilung des Interventionsbedarfs, der Prioritätensetzung sowie der Rechtfertigung des Einsatzes von (Geld-)Mitteln in der Gesundheitspolitik: So ist gegenwärtig die psychische Gesundheit ein
Themenschwerpunkt des Gesundheitsmonitorings, aber
auch individuelle Gesundheitsdeterminanten wie Bewegungsarmut, ungesunde Ernährung oder Tabak- und Alkoholkonsum bei Jugendlichen sind prioritäre Anliegen. Die
meisten Länder verfügen über Gesundheitsinformationssysteme, die mittels einer limitierten Anzahl definierter
Gesundheitsin
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